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Basler Stadt buch 2014 135 . Jahr / Ausgabe 2015 Christoph Merian Stiftung (Hg.) Christoph Merian Verlag Politik und Gesellschaft Wirtschaft und Region Stadtentwicklung und Architektur Bildung und Umwelt Kultur und Geschichte Alltag und Freizeit Gesundheit? Gesundheit!

Basler Stadtbuch 2014

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‹Gesundheit? Gesundheit!› lautet der Schwerpunkt des diesjährigen Basler Stadtbuchs, in dem die vielfäl-tigen Aspekte dieser Thematik beleuchtet werden. Das Spektrum reicht von Historischem bis zu Aktuel-lem, vom Wirken des umtriebigen Andreas Vesalius und der Gründung der ersten öffentlichen Kranken-kasse bis zum Alltag der Schädlingsbekämpfung und des Lebensmittelinspektorats. Daneben bietet die 135. Stadtbuchausgabe mit den sechs weiteren Kapi-teln den gewohnt abwechslungsreichen Jahresrück-blick und beleuchtet Ereignisse, Themen und Verän-derungen, die im Jahr 2014 bewegten und beschäftigten.

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BaslerStadtbuch 2014

135. Jahr / Ausgabe 2015 Chr istoph Mer ian St i f tung (Hg.)

Chr istoph Mer ian Ver lag

Po l i t i k u n d G e s e l l s c h a f t

W i r t s c h a f t u n d R e g i o n

S t a d t e n t w i c k l u n g u n d A r c h i t e k t u r

B i l d u n g u n d U m w e l t

K u l t u r u n d G e s c h i c h t e

A l l t a g u n d F r e i z e i t

Ge s u n d h e i t ? Ge s u n d h e i t !

Basler Stadtbuch 201 4

www.baslerstadtbuch.chwww.baslerchronik.ch

BaslerStadtbuch

2014

1 35 . Jahr / Ausgabe 2 0 1 5 Chr istoph Mer ian St i f tung ( Hg. )

Chr istoph Mer ian Ver lag

BaslerStadtbuch

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Gesundheit ? Gesundheit !

Auffallend viele Beiträge des diesjährigen Stadtbuchs stehen im Zu­sammenhang von Wandel und Veränderung und damit auch im Zeichen der beschleunigten Zeit. Das Stadtbuch ist (wie schon immer) ein Werk, das bewahrend Veränderungen dokumentiert und auf diese Weise späte­ren Generationen dazu verhilft, ihre eigene Epoche aus der Entwicklung heraus zu verstehen. Darauf verweisen auch die zahlreichen Beiträge zu Jubiläen, die sich in den einzelnen Kapiteln finden lassen.Den Auftakt im Schwerpunktthema ‹ Gesundheit ? Gesundheit ! › macht der fünfhundertste Geburtstag des flämischen Arztes und Anatomen Andreas Vesalius, der im Anatomischen Museum Basel mit einer Sonder­ausstellung gefeiert wurde. Vesal kam 1542 in die Stadt, um den Druck seines Epochenwerks ‹ De humani corporis fabrica › zu begleiten. Er wählte die Offizin von Johannes Oporinus, weil der Basler Buchdruck der Renaissance einen hervorragenden Ruf hatte. Während seines Auf­enthalts führte er auch eine öffentliche Sektion durch (an der Leiche eines Hingerichteten) und präparierte anschliessend dessen Skelett, das in der Folge den Ursprung der anatomischen Sammlung bilden sollte. Ob Vesal während seines Aufenthalts auch das älteste Basler Spital, das auf dem Merian­Stadtplan von 1615 noch gut auszumachen ist, besucht hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Gesichert ist jedoch, dass Geschlechtskrankheiten schon damals eine Geissel der Mensch­heit waren. Der Frage, warum die klassischen venerischen Krankheiten wieder massiv zunehmen, widmet sich der Beitrag ‹Tripper & Co. spüren den Frühling ›. Weitere Schwerpunktthemen behandeln die Arbeit des Lebensmittelinspektorats und der Schädlingsbekämpfung sowie das schlechte sportliche Abschneiden der Basler Stellungspflichtigen bei der Rekrutierung : ‹ Sind die jungen Basler wirklich so schlapp ? ›Politik und Gesellschaft : ‹ Nach dem 9. Februar ›: Wohl keine Abstim­mung der letzten Jahre hat post festum so heftige Diskussionen her­vorgerufen, insbesondere in Basel mit seinen weit über dreissigtausend Grenzgängern. Was die Umsetzung des angenommenen Verfassungs­artikels für die Region bedeutet, muss sich noch zeigen. Dass die ‹ ge­scheiterte Verlobung ›, die Abstimmung zur Fusion von Basel­Stadt und Basel­Landschaft, eine Betrachtung wert ist, versteht sich von selbst. Veränderungen und Wandel in jeder Form – mal abrupt, mal eher still – sind Konstanten menschlicher Gesellschaften. Eine grosse Veränderung gab es im Mai 2014 bei der Christoph Merian Stiftung : Nach zwanzig Jahren wurde der Direktor und ‹ sportliche Leiter › der Stiftung, Christian Felber, verabschiedet. Die hier abgedruckte Laudatio hielt Kommissions­präsident Lukas Faesch. Ein Wandel der eher stillen Art vollzieht sich seit einiger Zeit bei den Bestattungen und Abdankungen. Der Beitrag ‹ Blick auf die Ewigkeit : Abschiedsrituale › schildert neue Wege des Ab­schiednehmens.

Editorial

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Wirtschaft und Region: Warum engagieren sich zunehmend weniger Wirtschaftsvertreter in der Politik ? Liegt es an der mangelnden Zeit für nebenamtliche Tätigkeiten oder betreiben Wirtschaftsvertreter Politik auf anderen Kanälen und sind demzufolge eine ‹ seltene politische Spe­zies ›? In einem lesenswerten Interview blickt Gudrun Heute­Bluhm, knapp zwanzig Jahre lang Oberbürgermeisterin von Lörrach, zurück auf die Beziehung zu Basel. Am Ende dieses Kapitels – Gambrinus zu Ehren – folgt ein Lob der verschiedenen lokalen Kleinbrauereien, die sich mit zunehmendem Erfolg gegen die grossen Bierkonzerne stellen.Stadtentwicklung und Architektur : Wie geht es weiter mit dem neuen Verkehrsregime Innenstadt ? Ist die Verkehrsreduzierung wirklich ver­kehrsfeindlich ? Diesen Fragen geht der Beitrag ‹ Der Geist aus der Fla­sche nach ›. Wohl für lange Zeit vom Tisch ist die Forderung nach einem Rheinuferweg unter dem Münsterhügel, oder wie es im Titel heisst: ‹ Rheines Ufer bleibt reines Ufer ›. Dagegen sind am rechten Rheinufer Veränderungen unübersehbar. Der Bau 1 der Roche wächst in den Him­mel und seiner Schweizer Rekordhöhe von 178 Metern entgegen; für die einen ein neues Wahrzeichen, ein architektonischer Wurf und ein Bei­spiel der prosperierenden Pharmaindustrie, für die anderen eine uner­trägliche Verschandelung der Kleinbasler Stadtsilhouette.Bildung und Umwelt: Veränderung und Bewegung finden sich auch hier, beispielsweise der Umzug der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW auf das Dreispitzareal. Bemerkenswert: Hier scheint die Zusam­menarbeit zwischen den beiden Halbkantonen funktioniert zu haben, steht doch das ‹ Labor der Kreativität › auf Landschäftler Boden. Einen Wandel der eher problematischen Art stellen die Neobiota dar : Mit dem Warentransport oder über neue Verkehrswege eingeschleppte Pflanzen und aus Unwissen oder Bequemlichkeit ausgesetzte Tiere, welche die einheimische Flora und Fauna bedrängen, stellen Bund und Kanton vor fast unlösbare Probleme beim Versuch, diese einzudämmen. Kultur und Geschichte : Nach elf Jahren verliess Adam Szymczyk, nicht ganz unumstrittener Leiter der Kunsthalle Basel, seine Wirkungsstätte. War die Ära Szymczyk ein Erfolg ? Wie auch immer: Für seine neue Funk tion als Verantwortlicher für die nächste Documenta in Kassel ist ihm alles Gute zu wünschen. Ein längerer Beitrag befasst sich, bezogen auf die Jahre 1938 bis 1945, mit der Gedenkstätte für Flüchtlinge in Riehen, die seit 2011 in einem ehemaligen DB­Bahnwärterhäuschen eingerichtet wurde. Dabei stellt sich die Frage, was dieser Ort nun ist : Denkmal, Mahnmal, Ehrenmal, Museum und / oder Kunstgalerie ? Im Kontext von Wandel und Veränderung steht auch die Freiwillige Basler Denkmalpflege, die seit über hundert Jahren für den Erhalt des Basler Stadtbilds kämpft. Immer wieder muss sie sich der Diskussion stellen, wie sie ihr Verhältnis zur kantonalen Denkmalpflege definiert und wie sie die ‹ Balance von Bewahren und Erneuern › lebt. Unter Wahrung die­ser Balance hat die jahrelang vor sich hin bröckelnde St. Alban­Kirche ein neues Kleid erhalten. Nach zwei Jahren einer umfassenden Sa nie ­

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rung, die auch eine Innenreinigung umfasste, leuchtet sie wieder frisch. Obwohl die Farbwahl der Fassade kritische Stimmen dazu brachte, den Namen der Kirche auf ‹ St. Marzipan › zu ändern …Alltag und Freizeit : In diesem Kapitel nahm der FC Basel 1894 in den letzten Stadtbuchjahrgängen regelmässig verdienten Raum ein. Dies­mal jedoch richtet sich der Fokus auf eine andere, ebenfalls erfolgrei­che Mannschaftssportart : Zu ihrem 25­jährigen Jubiläum gelang es den Basel Gladiators erstmals, Schweizer Meister im American Football zu werden. Doch ganz ohne FCB geht es auch dieses Jahr nicht – wenn auch aus einer anderen Warte und persönlichen Sicht : Mämä Sykoras ‹ Von der Schwierigkeit, Basel zu mögen › ist ein Lesegenuss und jedem eingefleischten FCB­Fan zu empfehlen. An einen sporthistorischen Tri­umph wird in ‹ Sportarena und Eisvergnügen › über die achtzig Jahre alte Basler Kunsteisbahn ( ein weiteres Jubiläum ) erinnert : 1939 sahen mehr als sechzehntausend Zuschauer auf der ‹ Kunschti › den 2 : 0­Sieg der Schweizer Eishockey­Nationalmannschaft gegen die Tschecho slo wa­kei, was den Europameister­Titel bedeutete.Zahlreiche weitere Beiträge gibt es noch zu entdecken, und wir wün­schen allen Leserinnen und Lesern viele vergnügliche und spannende Lesemomente.Zu danken gilt es wie jedes Jahr allen Autorinnen und Autoren, die die­sen Stadtbuchjahrgang mit ihren Beiträgen erst ermöglicht haben, so­wie den Stadtbuchberaterinnen und ­beratern. Aus dem Beratergremi­um verabschiedet hat sich Elias Schäfer, der zuständig für den Bereich Wirtschaft und Gewerbe war. Seine Funktion hat nun David Weber vom Gewerbeverband Basel­Stadt übernommen. Neu dazu gestossen ist auch Toya Krummenacher, die somit die zwischenzeitliche Vakanz beim Themenkreis Gewerkschaften und Arbeitnehmer / ­innen aufhebt. Herzlich danke ich der Lektorin Rosmarie Anzenberger und der Fotogra­fin Kathrin Schulthess : Auch dieses Jahr haben sie mich mit ihrem gros­sen Einsatz für das Stadtbuch und mit vielen Anregungen massgeblich unterstützt. Mein Dank geht auch an das Gestaltungsteam von ‹ Groen­landbasel ›, Dorothea Weishaupt, Alena Stählin und Sheena Czorniczek, an den Lithografen Andreas Muster, an die Druckerei Schwabe AG und an den Christoph Merian Verlag sowie an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein wertvoller Begleiter war mir in den letzten drei Jahren auch immer wieder Beat von Wartburg, der mit der Übernahme des Direktionspostens der Christoph Merian Stiftung aus dem Redakti­onsteam ausgeschieden ist : Ihm ein warmer Dank und die besten Wün­sche für seine neue Funktion.

Lukas Hartmann, Redaktor

Gesundheit ? Gesundheit !

Gesundheit ? Gesundheit !

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Inhalt

12 Heidrun Osterer

DIE REFORM DER ANATOMIE

UND DER BASLER BUCH­

DRUCK Das Anatomische Museum Basel

feierte den fünfhundertsten Geburtstag von Andreas Vesalius

mit einer Sonderausstellung. Was hat der flämische Arzt und

Anatom mit Basel zu tun ? 16 Simon Baur

«… UND UNSERN KRANKEN NACH­

BARN AUCH»: DAS ERSTE

BASLER SPITAL Was sich aus der Geschichte

des ersten Basler Spitals für die Zukunft lernen lässt

19 Elias Kopf

«FIR JEDE SCHPLYN E

KRANKEKASSE­SCHYN»

Vor hundert Jahren gab sich Basel mit der ÖKK die erste

öffentliche Krankenversicherung der Schweiz – staatlich

subventioniert und daher für alle bezahlbar.

Corina Lanfranchi 22

SIEBZIG JAHRE IM DIENSTE

DER GESUNDHEIT: DAS TROPEN­

INSTITUT Ein Rückblick auf eine wechselvolle

Geschichte, in der auch ein Erdferkel eine bemerkenswerte

Rolle spielte

Daniela Pfeil 27

ORTHOPÄDIE – AUFSCHWUNG

EINER MEDIZINISCHEN

DISZIPLIN Ein kurzer Blick in die Geschichte

der Orthopädie erhellt ihre rasante Entwicklung, von ersten

öffentlichen Sektionen im 16. Jahrhundert bis zu den Fortschritten der Chirurgie.

Pieter Poldervaart 30

TRIPPER & CO. SPÜREN

DEN FRÜHLING Heute Zwanzigjährige nehmen HIV kaum mehr als Bedrohung

wahr. Das führt zu einem sorglosen Sexualverhalten – was wiederum

der Verbreitung von Geschlechts­krankheiten wie Tripper

und Syphilis Vorschub leistet.

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34 Helen Weiss

KANTONALE KONTROLLE IN

KÜCHE UND KÜHLRAUM

Alle zwei Jahre bekommen die Basler Restaurants und

Lebens mittelläden Besuch vom Lebensmittelinspektorat.

Die Gesetzeshüter gegen Schmutz kennen kein Pardon, wenn es

um die Gesundheit der Bevölkerung geht.

39 Julia Konstantinidis

DIE RATTEN­FÄNGER

VON BASEL Als Haustier im Käfig sind sie

putzig, als wild lebende Bewohner des Basler Untergrunds sind

Ratten jedoch nicht gern gesehen. Wächst die Population

unkontrolliert, können die Tiere zum Gesundheitsrisiko werden.

42 Regula Wenger

SIND DIE JUNGEN BASLER

WIRKLICH SO SCHLAPP ?

Wenn die Stellungspflichtigen unseres Landes in die

Turnhosen steigen und zur Rekrutierung antreten, machen

die Basler seit Jahren eine schlechte Figur. Sie holen die

wenigsten Punkte, aber bringen

dafür das höchste Gewicht auf die Waage. Vielleicht sollten

statt Kantone besser Städte miteinander verglichen werden ?

Elias Kopf 47

SUCHT – HILFE UND HEILUNG

Die kantonale Abteilung Sucht geht auf die 1914 gegründete Basler

Trinkerfürsorge zurück. Seither wurden am Rheinknie immer wieder Methoden der

Sucht bekämpfung und ­behandlung eingeführt, die für die Schweiz pionierhaft waren.

Markus Bär 50

KOMPLEMEN­TÄRE

MEDIZIN In der Lehre und Forschung

ist die Komplementärmedizin in Basel kaum verankert.

Ärzte, Therapeutinnen, Spitäler und die Kranken setzen aber

sehr wohl auch auf alternative Heilmethoden.

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Andreas Vesalius wurde als Sohn eines kai­serlichen Leibapothekers in Brüssel gebo­ren. Er studierte an den besten medizini­schen Fakultäten seiner Zeit und lehrte bereits mit 23 Jahren als Professor für Chir­ur gie und Anatomie an der renommierten Universität Padua. Dort reformierte er den Anatomieunterricht: Statt aus Lehr büchern zu dozieren, während die Sektionen von an­deren durchgeführt wurden, stieg er sozu­sagen vom Katheder herab, sezierte selbst vor den Studenten und Zuschauern und er­läuterte am offenen Leichnam seine Befun­de. Dabei stellte er fest, dass der Aufbau des menschlichen Körpers nicht immer mit der traditionellen Lehrmeinung überein stimm ­ te. Diese basierte auf Galen, einem griechi­schen Arzt, welcher vor über tausend Jah­ren Tiere seziert und von ihnen auf den Menschen geschlossen hatte. Noch zu Ve­salius’ Zeit war Galens Lehre so sakrosankt, dass anatomische Abweichungen einer Lau­ne der Natur oder zwischen zeitlichen Ver­

änderungen des Menschen zugeschrieben wurden.Entgegen populären Meinungen gab es kein kirchliches Obduktionsverbot, das die Ent­wicklung der Anatomie blockierte, sondern es ging eher um ein fragloses Akzeptieren der traditionellen Lehrmeinungen. Vesalius war einer der ersten Anatomen, der seine empirischen Befunde höher wertete als die Lehre Galens. Dieses veränderte Selbstver­ständnis steht am Anfang der modernen Medizin. Vesalius schrieb die Entdeckungen und Erkenntnisse, welche er durch seine Sektionen gewann, von 1538 bis 1542 in sei­nem Lehrbuch ‹ De humani corporis fabrica › nieder. Damit begründete er die neuzeitli­che Anatomie, und dieses Buch bildet bis heute eine wichtige Grundlage der moder­nen Medizin. Zur Verbreitung seines Werkes nutzte Vesa­lius die zu diesem Zeitpunkt bereits etab­lierte Druckkunst. Und hier kommt Basel ins Spiel. Im 16. Jahrhundert war die Stadt

DIE REFORM DER ANATOMIE

UND DER BASLER BUCHDRUCK

Das Anatomische Museum Basel feierte den fünfhundertsten Geburtstag von

Andreas Vesalius mit einer Sonder­ausstellung. Was hat der flämische Arzt

und Anatom mit Basel zu tun ?

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Knochen und Gelenkbänder: Modelle der menschlichen Hand

« Und grün des Lebens goldner Baum »: Blick in die Dauerausstellung des Anatomischen Museums Basel

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ein über ihre Grenzen hinaus bekannter und angesehener Verlagsort, begründet durch Drucker wie Johannes Amerbach oder Johannes Froben, die wichtige Werke der Kir chen literatur, aber auch solche der grie­chischen und römischen Klassik heraus­brachten. Die Sorgfalt und geringe Fehler­quote ihrer Drucke trugen den Ruf der Bas ler Offizinen hinaus in die gelehrte Welt. Aber nicht nur die technische Qualität der Bücher machte die Stadt zu einem Zent­rum der frühen Druckkunst: Über Johannes Amer bach war Johannes Heynlin von Stein

nach Basel gekommen, ein Frühhumanist, welcher prägenden Einfluss auf die damals noch junge Universität hatte, durch Johan­nes Froben fand Erasmus von Rotterdam in die Stadt und in seinem Gefolge weitere hu­manistische Gelehrte. Ihre Anwesenheit führte zur Publikation bedeutender Erst aus­gaben humanistischer Werke; so erschien beispielsweise 1494 das ‹ Narrenschiff › von Sebastian Brant oder 1516 Erasmus’ grie­chisch­lateinische Urtextausgabe des Neu­en Testaments. Frühe Drucke im Bereich

der Medizin hatten meist den Aderlass zum Thema. Vereinzelt kamen auch illustrierte Pflanzenbücher, sogenannte Herbarien, zum Druck, wie das Kräuterbuch ‹ De historia stirpium › von Leonhard Fuchs, erschienen bei Michael Isengrin.Vesalius, der bezüglich der Publikation der ‹ Fabrica › genauso perfektionistisch war wie bei seinen anatomischen Studien, wandte sich um 1542 an den Basler Drucker Johan­nes Oporinus, der wie kein zweiter geeignet war, sein grosses Werk herauszugeben. Selbst hochgelehrt ( er beherrschte Latein

und Griechisch ), hatte Oporinus auch Me­dizin studiert und war während des Aufent­halts von Paracelsus in Basel im Jahr 1527 als dessen Assistent tätig, bevor er sich 1535 mit einer Offizin in einer Druckergemeinschaft selbstständig machte. Ab 1542 führte Opori­nus seine eigene Offizin; die umfangreiche Arbeit am Werk des Vesalius hatte ihm die Möglichkeit dazu gegeben.Vesalius reiste 1542 persönlich nach Basel, um den Druck seiner Publikation zu über­wachen und – einmal anwesend – führte er

Papiermodell aus dem frühen 20. Jahrhundert

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hier auch eine öffentliche Sektion durch. Anschliessend präparierte er die Knochen und fügte sie zu einem Skelett zusammen. Es ist dies das weltweit älteste erhaltene präparierte Skelett eines Menschen über­haupt. Der Anatom schenkte das Skelett der Universität, und knapp dreihundert Jahre später – inzwischen ergänzt durch die Ske­lette einer Frau, eines Kindes und eines Af­fen – fand es Eingang in die 1824 von Carl Gustav Jung zur Schulung der Studenten gegründete und für damalige Verhältnisse ungewöhnlich umfangreiche anatomische

Sammlung. Sie wuchs dank kontinuierli­cher Erweiterung mit aktuellen Präparaten und bildet heute die Dauerausstellung des Museums. Es werden hauptsächlich Origi­nal präparate von menschlichen Körperbe­reichen, Organen und Geweben gezeigt.Vesalius’ Anatomieatlas gilt als eine der schönsten und bedeutendsten Publikatio­nen der frühen Neuzeit. Die ‹ Fabrica › zeich­net sich nicht nur durch die anatomischen Beschreibungen aus, sondern vor allem auch durch ihre Illustrationen. Die 270 Holz­

schnitte zeigen den Bau des menschlichen Körpers direkt und für damalige Verhältnis­se sehr genau in bis zu ganzseitigen Abbil­dungen. Ihre Vorlagen wurden in Italien, wahrscheinlich von einem Mitarbeiter des berühmten Tizian, Johann Stephan van Cal­car, hergestellt. Revolutionär war in dieser Publikation auch die Darstellung des Kör­pers: nicht mehr liegend als Leichnam, son­dern stehend, als ‹ lebendiger Leib ›. Im Jahr 2013 erschien im Basler Karger­Ver­lag eine englische Neuübersetzung der ‹ Fa­brica ›, die über zwanzig Jahre an der ameri­kanischen North Western University er ar­ beitet worden war. Für die grossformatige, kommentierte Spezialausgabe entwarf der Basler Schriftgestalter Christian Mengelt eigens eine Schrift, die sich an die Schrift der Originalausgabe anlehnt.Eine weitere Würdigung von Vesalius’ Leis­tung bot eine Ausstellung in der Basler Uni­versitätsbibliothek von Februar bis Mai 2014. Unter dem Titel ‹ Die Sünde der Wissen­schaft. Anatomische Bilder vom 15. bis 18. Jahrhundert › gab sie einen Einblick in ihre reichen Bibliotheksbestände an anato­mischen Atlanten, zu denen auch die ‹ Fab­rica › gehört.

Illustration aus der ‹ Fabrica ›G

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Altbundeskanzler Helmut Schmidt, nach seinem Lieblingslied gefragt, antwortete: Matthias Claudius’ ‹ Der Mond ist aufgegan­gen ›. Dort heisst es in den letzten Zeilen: « Verschon uns Gott mit Strafen und lass uns ruhig schlafen, und unsern kranken Nach­barn auch ». Wenn es um Spitäler geht, ist der Aspekt der Nächstenliebe zentral. Und gerade im Hinblick auf ein neu zu bauendes Spital ist es angebracht, weniger architek­tur historische als vielmehr menschliche und soziale Argumente ins Feld zu führen. Denn diese haben auch zentral die Grün­dung des ersten städtischen Spitals in Basel vor dem Jahr 1265 bestimmt. Es würde den Rahmen dieses Beitrags spren­gen, die Geschichte und Wirtschaftsführung des ersten Basler Spitals hier detailliert aus­zubreiten. Den reichhaltigen Quellenbe­stand hat Michaela von Tscharner­Aue be­reits 1983 in einer rund vierhundertseitigen Dissertation zur ‹ Wirtschaftsführung des Basler Spitals bis zum Jahre 1500 › unter­

sucht.1 Ihre Arbeit beschreibt profund, wie das erste Spital von Basel funktionierte, und stellt auch den Zusammenhang zwi­schen dem Spital und dem Barfüsserkloster her: « 1856 übergab das Spital einen grossen Teil seiner Urkunden dem Staatsarchiv. Dieser umfasste nicht nur spitaleigene Ur­kunden, sondern auch solche der Barfüsser ( … ) als Folge der Observanz von 1447. »

Nähe zum Barfüsserkloster

Architekturhistorisch aufschlussreich sind die Ausführungen Anne Nagels im siebten Basler Band der Kunstdenkmäler­Bände.2 Zum – aus heutiger Perspektive – alten Spital schreibt sie: « Auf dem Areal zwischen Barfüsserkloster und Freier Strasse war kurz vor 1265 das bür­gerliche Armen­ und Krankenhaus gegrün­det worden, das 1356 durch das Erdbeben, 1417 durch eine Feuersbrunst zerstört und an derselben Stelle jeweils wieder aufgebaut wurde. Mit dem Erwerb angrenzender Pri­

«… UND UNSERN KRANKEN NACHBARN

AUCH»: DAS ERSTE BASLER SPITAL

Was sich aus der Geschichte des ersten Basler Spitals für die Zukunft lernen lässt

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vat häuser an der Freien Strasse und an der Spital­, der späteren Barfüssergasse, voll­zog sich im Laufe des 15. Jahrhunderts eine stetige Erweiterung des Komplexes. Mit der Erstellung des neuen Hauptgebäudes an der Spitalgasse ( 1501 / 1508 ), eines mit Scheune und Stall verbundenen Backhauses ( 1566 ) und eines neuen Pfrundhauses ( 1573 ) er­reichte das ‹ Spital an den Schwellen › seine bis ins 18. Jahrhundert bestehende Ausdeh­nung. Die bauliche Entwicklung nahm 1746 / 47 ein Ende, als die mittelalterliche Spitalkirche ( ungefähr an der heutigen Ecke Freie Strasse / Kaufhausgasse; SB ) abgebro­chen und dem spätmittelalterlichen Haupt­gebäude zwei Flügelbauten angefügt wur­den, wodurch sich die drei Höfe innerhalb des Areals zu einem einzigen Platz zusam­menschlossen und das Spital eine neue Fas­sade zur Freien Strasse erhielt. » Über das Aussehen des ersten Spitals am Barfüsserplatz erfahren wir am meisten bei Michaela von Tscharner­Aue: « Die Haupt­

gebäude beherbergten den Krankensaal, die Wirtschaftsräume, eine Meisterstube, eine rechte und eine linke Pfründnerstube, Auf­enthaltsräume für die Dienstboten, ein Nar­ren­ und ein Gehörlosenhäuschen sowie ein Schenkhaus. Alle diese Räume befanden sich in den verschiedenen Häusern, die zusam­men mit der Spitalkirche etwa ein Viereck bildeten und einen Hof umschlossen. In die­sem Hof stand ein Brunnen, in dem biswei­len Fische zum alsbaldigen Verbrauch auf­bewahrt wurden. »

Nicht für Reiche

Bis ins 19. Jahrhundert hinein unterschie­den sich die Aufgaben eines Spitals grund­legend von den heutigen. So war das Krite­rium für eine Aufnahme nicht die Krankheit eines Patienten ( ausser bei Lepra, wo eine Isolierung des Kranken erzwungen wurde ), sondern seine Bedürftigkeit. Bei Eintritt mussten die Kranken ihren gesamten ma­teriellen Besitz dem Spital überlassen, tra­

Ausschnitt aus dem Merian­Plan: das erste Basler Spital an der Ecke Freie Strasse und Barfüssergasse

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ten sie wieder aus, erhielten sie diesen ohne Abzüge zurück. Verstarb der Patient im Spi­tal, ging sein materieller Besitz in das Eigen­tum des Spitals über. Das Spital war also während Jahrhunderten eine Stätte, wo Ar­me, Alte, Obdachlose und Bettler Pflege und Heilung fanden. Vermögende Patienten lies­sen sich in der Regel zu Hause gesundpflegen. Der Eintritt als Pfründner in das Spital war eigentlich ein Einkauf: Der Patient über­schrieb dem Spital seine weltlichen Güter und ‹ erkaufte › sich so seine Pflege.3 Dank diesen Übertragungen und zahlreichen Stif­tungen besassen die Spitäler Grundbesitz, Häuser oder Renten an Häusern, ausserdem Korn und Wein als Zinsen aus landwirt­schaftlichem Eigentum.

Durch Schenkungen überlebensfähig

Dass das Spital sozusagen eine eigene Wirt­schaft betrieb, zeigt ein Blick in die erhalte­nen Rechnungsbücher, in denen Erträge aus Getreide­ und Weinverkauf, teils auch aus Holzschlag verzeichnet sind. Hinzu kamen Zuwendungen aus städtischen Einnahmen, sei es in Form der auf dem Markt konfiszier­ten Waren oder durch den Erhalt von Straf­geldern. Auch die Spenden diverser Opfer­stöcke in Kirchen oder Almosengelder, die in der Stadt zusammengebettelt wurden, flos sen dem Spital zu – ausserdem grosszü­gige Stiftungen, Spenden und Geschenke vieler Bürger zugunsten der Bedürftigen und Kranken. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es im al­ten Spital an der Freien Strasse zu eng; stei­gende Patientenzahlen zwangen die Stadt Basel, sich nach einem neuen Standort für ihr Bürgerspital umzusehen. Die Wahl fiel auf den 1808 erworbenen Markgräflerhof an der heutigen Hebelstrasse, die ehemalige Basler Residenz der Markgrafen von Baden. Die anfänglich 217 Räume mit 340 Betten des neuen Spitals reichten schon wenige Jahre später nicht mehr aus. Für die Erwei­terung dieses Palais auf dem Gelände, an das

heute die Kliniken I und II des Universitäts­spitals Basel grenzen, wurde im Jahr 1836 eine ‹ Suscription › ausgeschrieben, ein all­gemeiner Spendenaufruf, deren Ergebnis über wältigend war. In 1480 Beiträgen ka men 274 450 Franken zusammen.4 Der damals 37­jährige Christoph Merian­Burckhardt stand an der Spitze der Zeichnenden, er blieb auch in der Folge ein grosser Wohltäter des Bürgerspitals. Die Unterstützung der Basler Bürger war kein Novum – ohne das Engage­ment zahlreicher Wohltäter hätte das Basler Spital seit seinen Anfängen nicht existieren können. Die 1846, 1860 und 1868 neu erstellten Ge­bäude des Spitals an seinem heutigen Stand­ort waren mit der barocken Pracht des Mark­gräflerhofs nur schwer zu vereinbaren. Sie wurden aber als Ausdruck des ‹ sozialen Ba­sel › akzeptiert.

1 Tscharner­Aue, Michaela von: Die Wirt­schaftsführung des Basler Spitals bis zum Jahre 1500. Ein Beitrag zur Geschichte der Löhne und Preise. Basel 1983, Zitate S. 17, 25.

2 Nagel, Anne: Kaufhausgasse. In: dies./Möhle, Martin/Meles, Brigitte: Die Altstadt von Grossbasel I: Innere Altstadt rechts des Birsigs. Profanbauten. Die Kunst ­ denk mäler der Schweiz 109 = Die Kunst­denk mäler des Kantons Basel­Stadt 7, Bern 2006, Zitat S. 511 f.

3 Artikel ‹ Spital ›. In: Historisches Lexikon der Schweiz, www.hls­dhs­dss.ch/ textes/ d/D16579.php

4 https://unigeschichte.unibas.ch/behau­sungen­und­orte/neue­zentren­am­rand/universitaetsspital/entwicklung­des­buerger spitals­im­19.­jahrhundert.html

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Noch Jeremias Gotthelf mokierte sich über « Kropfsalben, Laxieren und Purgieren » und weitere Methoden der traditionellen Heil kunde. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte die Wende hin zur wissenschaftli­chen Medizin: 1847 wies Ignaz Semmelweis die Wirkung der Desinfektion empirisch nach; zeitgleich wurde die Äthernarkose eingeführt. Wenig später begründeten Ro­bert Koch und Louis Pasteur die moderne Bakteriologie und Mikrobiologie. Jetzt wer­den in rascher Folge wirksame Arzneimittel entwickelt; 1910 kommt mit Salvarsan das erste Antibiotikum auf den Markt, das ge­gen die damals grassierende Syphilis hilft.

Ringen um die öffentliche Kasse

Die moderne Medizin hat allerdings ihren Preis, und der übersteigt rasch einmal die Finanzkraft einzelner Personen und Fami­lien. Um Abhilfe zu schaffen, gründen Bas­ler Ärzte und Gewerbeleute im Jahr 1863 die freiwillige Allgemeine Krankenpflege ( AKP ).

Daneben sind zahlreiche sogenannte ge­genseitige Hülfsgesellschaften aktiv. Ange­sichts der geringen Effizienz dieses Systems gibt der Regierungsrat wenig später ein Gut­achten betreffend obligatorischer Kranken­versicherung in Auftrag, das im Jahr 1870 vorliegt. Damit beginnt ein jahrzehntelan­ges Ringen: Mal ist der Grosse Rat gegen ein Obligatorium, mal ist er ( wie im Jahr 1887 ) dafür, doch nun bockt das Volk. Drei Jahre später will deshalb eine neue Vor­lage die Versicherungspflicht nur noch für die unteren Einkommensschichten einfüh­ren; Ziel ist eine öffentliche Krankenkasse mit staatlicher Defizitgarantie. Dagegen op­ponieren vor allem die Ärzte und Apothe­ker, da sie staatlich verordnete und damit tiefe Tarife fürchten. Den Arbeitgebern ist die Beitragspflicht ein Dorn im Auge, die Arbeitnehmer rümpfen die Nase über den drohenden Lohnabzug und die privaten Krankenkassen poltern gegen das Gespenst staatlich verordneter Konkurrenz. Ob die­

«FIR JEDE SCHPLYN E KRANKE­

KASSESCHYN»Vor hundert Jahren gab sich Basel

mit der ÖKK die erste öffentliche Kranken­versicherung der Schweiz – staatlich

subventioniert und daher für alle bezahlbar.

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ser unheiligen Allianz der Partikularinter­essen scheitert auch dieses Vorhaben im Jahr 1890 am Veto des Souveräns.Bewegung in die verfahrene Lage bringt erst das Bundesgesetz über die Kranken­ und Unfallversicherung von 1912. Dieses sieht unter anderem Bundessubventionen nur für Systeme mit freier Arztwahl vor. Damit schlägt die Stunde von Fritz Aemmer, Bas­ler Gesundheitsreformer und Kantonsarzt. Sein Krankenkassenkonzept kombiniert freie Arztwahl mit einem Obligatorium für Personen mit niedrigem Einkommen. « Die

rund 20 000 poliklinikberechtigten Einwoh­ner sind zulasten des Kantons versichert. Abgestuft nach Einkommen gibt es zwei Klassen mit kantonalen Beiträgen von 2/3 und 1/3 der Prämien, dazu kommen die vom Arbeitgeber versicherten Personen sowie die freiwillig Versicherten. Alle Einwohner unter 60 Jahren können der Kasse beitre­ten », beschreiben Hans­Dieter Amstutz und Katrin Küchler die neue Versicherung in ihrem Buch ‹ 75 Jahre ÖKK ›.

Die staatliche Kasse übernimmt die Kosten für Arzt, Spital, Medikamente, Hilfsmittel, Geburtshilfe und Stillgelder. Diesmal regt sich kein politischer Widerstand, und am 1. Oktober 1914 öffnet die ÖKK, die Öffentli­che Krankenkasse Basel­Stadt, als schwei­zerische Pioniertat an der Klybeckstrasse 1b ihren Schalter.

Kaiser Rotbart übernimmt das Zepter

Nach zwei Jahrzehnten sind bereits 116 000 Personen oder über zwei Drittel der Basler Bevölkerung bei der ÖKK versichert, doch

die Kasse rutscht in die roten Zahlen – ein Umstand, der von den Schnitzelbängglern der Breo­Clique an der Fastnacht 1935 mun­ter aufs Korn genommen wird:

Nimm numme unseri Ö.K.K.,die isch am allerschlimmschte dra.Trotz Subvention und Schtaatskreditversufft si fascht im Defizit.

Es hängt halt au die grossi Massewie Klätte an der Krankekasse.

ÖKK / Sympany­Geschäftsstelle im Spiegelhof – 1938 / 39 erbaut inmitten einer breiten Diskussion um das Stadtbild

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Isch d’Kranket no so fadeschynig,me segglet schnäll in d’Polyklinik.

Het Aini Würm, der Ander Made,der Dritt im Hirneli e Schade,so holt me sich fir jede Schplyngratis e Krankekasseschyn.

In diesem kritischen Moment nimmt sich der Sozialdemokrat Friedrich Schneider im kurz zuvor rot gewordenen Basel der krän­kelnden Krankenkasse an. Als Erstes initi­iert der von den Bürgerlichen ‹ Kaiser Rot­bart › geschimpfte neue ÖKK­Verwalter, Regierungsrat und Nationalrat am Fisch­markt einen 1,5 Millionen Franken teuren Neubau für die ÖKK­Verwaltung. Die Geg­ner ziehen mit dem Slogan ‹ Ö.K.K.­Palais – Nein › in den Abstimmungskampf, erleiden aber 1938 an der Urne Schiffbruch. Sodann erhöht Schneider den Selbstbehalt und legt sich 1942 durch die Einführung einer kos­tensenkenden Notverordnung mit der Ärz­teschaft an. Im Krankenkassenbulletin mo­niert er: « Merkantil veranlagte Ärzte und begehrensneurotische Patienten nutzen in idealem Zusammenwirken alle Möglichkei­ten, die Kosten zu vermehren. Unter sol­chen Verhältnissen muss es zu einer Krise der Krankenversicherung kommen. » Zwei Jahre später segelt die umstrittene Notver­ordnung als ‹ Lex Schneider › unbeschadet durchs Basler Parlament; die ÖKK findet in die schwarzen Zahlen zurück.

Unterwegs zur Zweiklassen­Medizin ?

Nach dem Zweiten Weltkrieg treibt der me­dizinische Fortschritt die Gesundheitskos­ten erneut in die Höhe, es kommt zu hitzigen Tarifgefechten zwischen ÖKK und Ärzte­schaft. Ab den Siebzigerjahren reduziert der Kanton Basel­Stadt zudem seine Subven­tionszahlungen, was den Prämienanstieg wei ter beschleunigt. In der Folge wechseln viele Versicherte zu privaten Krankenkas­sen. Trotz einer erfolgreichen Sanierung in den Achtzigerjahren unter dem neuen ÖKK­

Chef und späteren sozialdemokratischen Regierungsrat Ralph Lewin mündet diese Entwicklung im Jahr 2008 in den Neustart der ÖKK als privatrechtliche Unternehmung mit dem Namen ‹ Sympany ›. Seither warnen Kritiker vor einer Zweiklas­sen­Medizin, in der sich nur noch begüterte Personen attraktive Zusatzversicherungen leisten können. Eine alternative Lösung in Form einer gesamtschweizerischen Ein­heitskasse findet denn auch in Basel­Stadt im Herbst 2014 – rechtzeitig aufs hundert jäh­rige ÖKK / Sympany­Jubiläum – mit 45 Pro­zent die höchste Zustimmung aller Deutsch­schweizer Kantone.

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An dieses Tier hatten die Basler Ratsherren wohl kaum gedacht, als sie sich Ende 1943 für die Errichtung des Schweizerischen Tro peninstituts aussprachen und für eine dreijährige Anlauffrist eine jährliche Un­terstützung von 50 000 Franken gewährten. Anstoss zur Gründung des ersten Tro pen­instituts auf Schweizer Boden war die sta­ gnierende Wirtschaftslage während der Kriegs jahre und die Befürchtung steigen­der Arbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit. Mit der Förderung der Naturwissenschaf­ten in Form von Forschungsprojekten, so der Gedanke des Bundes, sollte ein neuer Wirtschaftszweig etabliert werden mit nutzbrin genden Effekten für Industrie und Land wirt schaft, aber auch für Export und Frem den verkehr. Alfred Gigon, damals Professor für Innere Medizin an der Univer­sität Basel, hörte den Ruf aus Bern und reichte das Projekt ‹ Tropeninstitut › ein. Auch Bundesbern befürwortete in der Folge Gigons Idee; bereits am 4. Mai 1944 öffnete

das Schweizerische Tropeninstitut in Basel seine Türen. Erster Vorsteher wurde der Basler Rudolf Geigy ( 1902 – 1995 ). Abweichend von der Fa­milientradition hatte er in Basel und Genf Zoologie studiert und lehrte an der Univer­sität Basel experimentelle Embryologie und Genetik. Für das neu gegründete Tropenin­stitut erwies sich Geigy während seiner lan­gen Direktionszeit ( sie reichte bis 1972 ) als Wegbereiter zentraler Forschungsziele und engagierte Galionsfigur. Bereits ein Jahr nach Amtsantritt brach er mit einem kleinen Team nach West­ und Zentral afrika auf. Das wissenschaftliche Credo lautete: Verbindung von Feldforschung und Laborarbeit, um den Erregern und Überträgern tropi scher Krank­ heiten auf die Spur zu kom men. Geigy und seine Kollegen forschten am lebenden Ob­jekt: Stechmücken, Termiten und Sandflö­he, und erarbeiteten vor Ort erste Ergebnis­se. Ziel war es, mit konkreten Mass nahmen der grassierenden Tropen krank heiten Herr

SIEBZIG JAHRE IM DIENSTE

DER GESUNDHEIT: DAS TROPEN­

INSTITUT Ein Rückblick auf eine wechselvolle

Geschichte, in der auch ein Erdferkel eine bemerkenswerte Rolle spielte

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zu werden und die Lebens situation der dor­tigen Bevölkerung zu verbessern. Im Jahr 1949 trat dann das Erdferkel in Er­scheinung. Auf einer alten Schwarz­ Weiss­Fotografie sieht man Geigy in einem Erdloch buddeln im Versuch, erstmals ein Exemplar dieser bisher unbekannten Gattung zu fan­gen und nach Europa zu bringen. In einer grossen PR­Aktion wurde das Tier in den Basler Zolli gebracht, wo es während zwei Jahren für Aufsehen sorgte. Ein wichtiges Aushängeschild des Instituts waren die Tropenkurse, die Missionsschwes­

tern und ( vorwiegend männliche ) Afrika­reisende auf das Leben auf dem schwarzen Kontinent vorbereiten halfen. Zum Kursan­gebot zählten Sprachkurse, Einführungen in das Kartenlesen und Geografie, aber auch kulturelles Wissen, ein Überblick über die Kolonialgeschichte und natürlich Informa­tionen über die wichtigsten Tropenkrank­heiten. Für Studierende der Medizin wurde ein eigener tropenmedizinischer Kurs an­geboten.

Nach fast dreissig Jahren übergab Rudolf Geigy im Jahr 1972 die Leitung seinem ehe­maligen Assistenten Thierry Freivogel, der bereits in den Fünfzigerjahren in Ifakara ( heute Tansania, damals Tanganyika ) das Feldlabor des Schweizerischen Tropenins­tituts eingerichtet hatte. Ihm folgte 1987 Antoine Degrémont, von 1997 bis heute ist Marcel Tanner Vorsteher des Instituts. Im Herbst 2014 wurde mit Jürg Utzinger be­reits Tanners Nachfolger bestimmt, der im Juli 2015 das Amt des Direktors überneh­men wird.

Rudolf Geigy hatte bereits zu Lebzeiten ver­schiedene Stiftungen eingesetzt, welche die vielfältigen Arbeiten des Tropeninstituts unterstützten, vor allem die Förderung des wissenschaftlichen Austausches mit den Ländern der Tropen und die dortigen Feld­forschungen junger Wissenschaftler. Seit dem Jahr 2010 sind all diese Stiftungen in der R. Geigy­Stiftung zusammengefasst, die auch die Liegenschaften an der Socinstras­se hält.

Erinnerung an die frühen Feldforschungen und die heute noch virulente Malaria: die Skulptur der Anophelesmücke im Innenhof

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Beim Open House im Juni 2014 konnte das Publikum auch einen Blick in die Labors werfen

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