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DATENSICHERHEITVerteidigungsstrategien gegen Netzattacken
TRAUM FABRIK Gestern in Hollywood, heute Wirklichkeit: intelligente Maschinen
3D-DRUCK
Lukrative
Geschäfte in
dynamischen
Nischen
BEYOND MAINSTREAM AUSGABE 2014
COO INSIGHTS
INDUSTRIE 4.0BMWVorstand HARALD KRÜGER
über Potenziale der Vernetzung
PLUS alle Fakten zur digitalen Produktion der Zukunft
0THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
WAS MACHT EINEN COO UND SEIN UNTERNEHMEN
IN DER INDUSTRIE 4.0 ERFOLGREICH?
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AUS GESPRÄCHEN MIT VORSTÄNDEN und Verbänden wissen wir, dass Unternehmen mit Hochdruck an der horizontalen Inte gration ihrer Geschäftsprozesse arbeiten. Erst im nächsten Schritt erfolgt die vertikale Integration bis hinunter zu den Maschinen. Industrie 4.0 als umfassende Vernetzung der Prozesse in Produktion, Logistik und Service ist faktisch in jedem größeren produzierenden Unternehmen in Europa ein Thema – dennoch werden die Chancen noch nicht durchgängig herausgearbeitet und aufgegriffen.
Wir haben es mit einem Innovationstreiber zu tun. Es kommt jetzt auf Kreativität im Management an – und die Fähigkeit, vernetzt zu denken und zu handeln. Das Tempo der Veränderung ist nicht überall gleich hoch, doch nehmen wir in allen Branchen einen positiven Druck auf die Unternehmen wahr. Weil sie weiter zu den Besten gehören wollen, steigt die Nachfrage nach Möglich keiten der Geschäftsmodellinnovation.
Hier hat der COO die Chance, eine entschlossene Führungsrolle einzunehmen. Führung bedeutet, die Dringlichkeit klarzumachen, eine digitale Vision zu vertreten, die Komplexität zu überschauen und eine Roadmap zu entwickeln, die seinem Unternehmen Orientierung und Fokussierung erlaubt. Topmanager brauchen den Mut zum Aufbruch. Denn es gibt mentale Schranken und institutionelle Hürden: Mitarbeiter, die um Arbeit und Einfluss bangen; Kunden, die das Potenzial noch nicht erkennen; im Einsatz bewährte Anlagen und eingeschwungene Prozesse. Neue KPIs bestimmen, einen Business Case für die digitalen Innovationen entwickeln, Verbündete in der Netzwerkökonomie finden: Darauf kommt es an. Industrie 4.0 ist eine riesige Chance für die Wettbewerbsfähigkeit der Produktion "Made in Europe". Die Zukunft hat schon begonnen.
DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG auf wettbewerbsintensiven Märkten liegt in kundenindividuellen Produkten, Globalisierung der Wertschöpfung, kürzeren Produktlebenszyklen, Qualität, Flexi bilität und TimetoMarket. Industrie 4.0 macht all das möglich.
Wir alle merken, dass die bestehenden Modelle und Standardabläufe Einschränkungen bedeuten. Die Fokussierung auf Kennzahlen und strenge ReportingVerfahren sorgen dafür, dass wir uns auf die Grenze zwischen gestern und heute konzentrieren – und das Morgen vernachlässigen. Tempo und Komplexität der Veränderungen lassen jedoch Anforderungen an unsere Innovationsfähigkeit steigen.
Industrie4.0Tools ebnen den Weg zu besserer Prozesskontrolle, erhöhen Qualität und Flexibilität, bei gleichzeitiger Kostenreduzierung. Um diesen Weg zu beschreiten, wird es entscheidend darauf ankommen, die Stärke unserer gut ausgebildeten Mitarbeiter zu nutzen. Wir müssen Kompetenzen entwickeln, um neue Techniken und Technologien umzusetzen. Multidisziplinarität und die Fähigkeit, spontan spezialisierte Ressourcen einzubinden, sind erforderlich, um künftig agil und effizient zu sein.
Das Universum der Stabilität liegt schon lange hinter uns. Unter Umständen reicht aber Industrie 4.0 nicht aus, um ein instabiles Geschäftsklima wettzumachen. Es bedarf auch eines neuen Führungsstils. Eine strategische Vision und taktisches Geschick, flexibles Agieren in modularen Organisationen sowie Beziehungsintelligenz: das macht einen erfolgreichen COO aus und wird in der Industrie 4.0 über Sein oder Nichtsein entscheiden. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind dafür eine gute Schule, denn viele von ihnen agieren mit ihrem Pragmatismus schon heute höchst erfolgreich in volatilen, unsicheren Märkten. Wer eine ehrgeizige Karriere in Führungspositionen plant, sollte deshalb unbedingt einige Jahre als COO in einem KMU verbringen.
JEAN-CAMILLE URING ist COO und Mitglied des Vorstands der französischen FIVES CINETIC (Industrial Engineering) und Präsident des Europäischen Verbands der Werkzeugmaschinenindustrie (CECIMO).
THOMAS RINN ist Senior Partner und Global Head of Operations Strategy bei Roland Berger Strategy Consultants.
"TAKTISCHES GESCHICK!" JEAN-CAMILLE URING
Q&A
"MUT ZUR FÜHRUNG!"THOMAS RINN
4 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
INHALT
THINK ACT // COO INSIGHTS // AUSGABE 2014
MENSCH ODER
MASCHINE?
WER DIE PRODUKTION
DER ZUKUNFT
DIRIGIERT.
50
24 "Schlanker, schneller, stabiler"
8 Radikal verzahnt
STATEMENTSWas ist dran an "4.0"? Stimmen aus Politik und Wirtschaft
TITELIndustrie 4.0: Wie volldigitale Produktion die Wertschöpfung revolutioniert.
BILDERREISETraumfabrik: Hollywood als 4.0-Pionier
6
8
19
INTERVIEWWie Digitalisierung die Autofertigung verändert: Gespräch mit Harald Krüger, Produktionsvorstand bei BMW
KENNZAHLENDie Vermessung der vierten industriellen Revolution
3D-DRUCKWo die wirklich interessanten Geschäftsmodelle entstehen.
24
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34
AUFBRUCH OSTVor dem Kraftakt: China will zum Hightech-Lieferanten aufsteigen.
NETZKRIMINALITÄTWie sich Unternehmen gegen Attacken aus dem Cyberspace wappnen können.
INTERVIEWAirbus-Technikchef Jean Botti über neue Sicherheitsanforderungen
37
40
43
INDUSTRIE 4.0*
5THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
34Wie gedruckt
40Die unsichtbare Gefahr
43 "Mehr Angriffsfläche"
COO WERKSTATTChancen durch Digitalisierung: Projekte und Publikationen
LETZTE ANTWORTENEinsichten und Ausblicke von Zukunftsforscher Andreas Neef
SERVICEImpressumDigitales Angebot
46
50
51
19Von wegen Science-Fiction
SELBST IST DIE FABRIK
INDUSTRIELLE REVOLUTION IN VIER ETAPPEN
1.0Ende des 18. Jahrhunderts: In England treibt erst mals eine DAMPFMASCHINE einen Webstuhl an – der Beginn mechanischer Pro-duktion.
Ende des 19. Jahrhunderts: Die ELEKTRIFI-ZIERUNG ermöglicht arbeitsteilige Massen-fertigung am Fließband, zunächst in ameri-kanischen Schlachthöfen, später in der Auto- industrie. Die Qualität steigt, die Preise sinken.
2.0
Vor 50 Jahren: Mit Hilfe von Mikroelektronik und IT, besonders der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS), schreitet die AUTOMA- TISIERUNG der Produktion voran. Maschi-nen übernehmen immer komplexere Aufgaben von Menschen und erhöhen die Produktivität.
3.0
Heute: Im Mittelpunkt der DIGITALISIE-RUNG der Produktion stehen vernetzte cy-ber-physische Systeme (CPS): Werkstücke, Werkzeuge, Produktionsanlagen oder Logis-tikkomponenten mit eingebetteter Software kommunizieren miteinander. Intelligente Produkte kennen ihren Herstellungsprozess und künftigen Einsatz. Kundenindividuelle Massenfertigung zu wirtschaftlichen Kondi-tionen hält Einzug ("Segment of One"). Und: Wertschöpfung endet nicht länger am Werks-tor. Neue Dienstleistungen und Geschäfts- modelle werden möglich, wo vernetzte, in- telligente Produkte auch nach dem Verkauf noch Kontakt zum Hersteller halten können. Produzenten bieten Kunden wert haltige Zu-satzdienste an: Nicht eine Turbine wird ver-kauft, sondern Schubkraft, das schließt z.B. vorausschauende Wartung ein. Vertrauen in eine sichere technologische Infrastruktur lässt deregulierte, wettbewerbs starke Märkte entstehen.
4.0
*
6 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
Das Internet der Dinge ist eine gigantische,
umwälzende Entwicklung.David Cameron, britischer Premierminister
UNTERNEHMEN UND LÄNDER, DIE JETZT HANDELN, DAMIT SICH DIE VER HEISSUN GEN ERFÜLLEN, WERDEN IM 21. JAHRHUN DERT PROSPERIEREN. ALL JENE, DIE SICH DEN INKREMENTELLEN WANDEL AUF DIE FAHNEN GESCHRIE- BEN HABEN, ABER AUF SMART MANU - FAC TURING VERZICHTEN, WERDEN RASCH INS HINTERTREFFEN GERATEN.
Sujeet Chand, Chief Technology Officer, Rockwell Automation
WIE ALLE REVOLUTIONEN BEDEU TET INDUSTRIE 4.0 EINE UMVERTEILUNG DES VERMÖGENS.Tom Comstock, Vice President of DELMIA Strategy & User Experience, Dassault Systèmes
NUR WENIGE WERDEN AUF DER GRÜNEN WIESE EINE INDUSTRIE-4.0-FABRIK BAUEN. EINES DER SCHLÜSSELTHEMEN WIRD DAHER AUCH SEIN, BESTEHENDE FAB RI KEN KOSTEN GÜNS-TIG NACHZURÜSTEN.Dr. Thomas Kaufmann, Vice President Corporate Supply Chain, Factory Integration, Infineon Technologies
(… UND WIE GEHT'S WEITER?)
WAS ISTDRAN
AN"4.0"?
STATE-
MENTS
7THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
Virtuelle Fabrik, echter WertArnold Stokking, Director Industrial Innovation, Forschungsorganisation TNO, Niederlande
Es darf nicht dazu kommen, dass Google künftig Produkte wie Autos oder Fernseher herstellt und europäischen Unternehmen die Rolle der Zulieferer bleibt.Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft
Service in der Industrie 4.0 heißt nicht länger zu reparie- ren, sondern das Versprechen, Fehler zu vermeiden.Dr. Jochen Schlick, Leiter Zukunftsfeld Cyber-Physische Systeme, Wittenstein
Wir brauchen nicht nur wissenschaftliche
Exzellenz, nicht nur individuelle Detail-
lösungen, sondern Ideen, mit denen wir
Geld verdienen können.Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Detlef Zühlke,
wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz
WIR BRAUCHEN EINE KULTUR DES AUFBRUCHS WIE IN AMERIKA.
Eberhard Veit, Vorstandsvorsitzender, Festo
INDUSTRIE 4.0IST WIE EIN INTERNATIO - NALES RENNEN. DAS TEAM DEUTSCHLAND HAT SICH FORMIERT, ABER WER ALS ERSTER LOSLÄUFT, MUSS NICHT DER GEWINNER SEIN.Prof. Dr. Dieter Wegener, Head of Advanced Technologies and Standards, Siemens
WENN JEDER UND ALLES VER- NETZT UND KOMPLEXITÄT GRATIS IST, WENN INNOVATIONEN SPOTT- BILLIG SIND UND AUS JEDER ECKE KOMMEN KÖNNEN, DANN VERÄNDERT SICH DIE ARBEITSWELT.Thomas Friedman, Autor und Journalist, New York Times
STATEMENTS
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RADIKAL VERZAHNTProdukte und Prozesse, Daten und Dienstleistungen, Verfahren und Fabriken: INDUSTRIE 4.0 bedeutet permanente Kommunikation auf allen Ebenen. Das revolutioniert die Wertschöpfung. Und schafft Raum für neue Geschäftsmodelle.
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önnte der Begriff "Industrie 4.0" so erfolgreich und so relevant werden wie "Web 2.0"? Professor Willem Jonker aus den Nie derlanden hat diese Frage auf geworfen. Im Auftrag der EU forscht der Mathematiker und Informatiker am European Institute of Innovation and Technology (EIT) zur Informatisierung der Wirtschaft, zur in telligenten Verzahnung von Forschung und Wirtschaft – und darü ber, wie Europa durch eine bessere Wachs tums und Innova tionspolitik seine Wettbewerbsfähig keit steigern kann. Seine Bot schaft: Industrie 4.0 gilt vielen (noch) als Modewort, aber wie Web 2.0 steht es für die enorme Wucht, mit der die Digitalisierung den industriellen Alltag erobert und Geschäftsbeziehungen von Produzenten, Zulie ferern und Kunden umkrempelt. Eine Wucht, welche die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Volkswirtschaften auf ein neues Niveau heben kann.
Der weltweite Wettbewerb um Wertschöp fung nimmt zu – und das auf Märkten, die immer komplexer und unberechen barer werden. Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell permanent infrage stellen. Anforderungen an Variantenreichtum und Schnelligkeit steigen, oft ohne sichere Prognosen zu möglichen Absatzmengen. Das erhöht den Zwang zur Flexibilität beim Produktportfolio, bei Kunden und Liefer an ten, Prozesstechnologien, ITSystemen und Standorten. Solch vielfältigen Kräften halten am besten dezentrale Organisationen mit autonom operierenden Einheiten stand.
Anders herum: Wettbewerb in volatilen, oft ungewissen, überaus komplexen und häufig mehrdeutigen Märkten ("VUCA World") verändert sich durch Industrie 4.0 grundsätzlich, weil sich Wertschöpfungsketten verkürzen. Die Vorteile für Unternehmen liegen auf der Hand. Dazu gehören unter anderem (siehe auch Seite 17):
SCHNELLIGKEIT: Vor und Durchlaufzei ten ("Lead Times") werden kürzer, sowohl von der Produktentwicklung bis zum Markteintritt, als auch zwischen Auftragsannahme und Produktauslieferung. Zudem sinken die Ausfallzeiten. Fern überwachung und vorausschauende Wartung von Maschinen und Industrie anlagen unterbinden kostspieligen Stillstand.
FLEXIBILITÄT: Digitalisierung und Vernetzung plus virtuelle Werkzeugpla nung machen kundenindividuelle Massenfertigung und Kleinstserien zu rentablen Preisen ("Losgröße 1") möglich.
Unter dem Strich werden Ressourcen effizienter eingesetzt, Maschinen und Men schen arbeiten produktiver.
DIE KOSTEN SINKEN, DIE MARGE STEIGT
Der Reifenhersteller Pirelli hat den Einstieg in die verzahnte Fertigung be reits vollzogen. Reifenproduk tion be deutet Maßarbeit in großen Stück zahlen. Gregorio Borgo, General Manager Oper a tions, nennt die Innovationskultur der Italiener "offen und crossfunktional", weil Industrie 4.0 von allen Seiten im Un ter nehmen vorangetrieben werde: "Die Fa b riken der PirelliGruppe sind in ihren Funk tionen und Prozessen sowie in der Ma schi nen pflege zunehmend digitalisiert", so Borgo. Je hochklassiger das Auto, desto hö her die Ansprüche an die Reifen. "In un serem Produktionsumfeld brauchen wir eine balancierte Organisation", sagt Borgo. Diese Balance herzustellen und zu bewahren sei einerseits ein Auftrag an die IT. Dafür stünden Themen wie die Inte gra tion von Fertigungsmanagementsys te men und Produktionsmaschinen, elektronisches
Kanban, automatische Quali täts kontrolle durch Funketiketten und Data Mining. "Andererseits konzentrieren wir uns auf die Entwicklung vielfältiger Fähigkeiten unserer Mitarbeiter, damit sie immer neue Prozesse und Technologien be herrschen", so der Manager Operations.
Zum ITEquipment der nächsten Generation zählt Pirelli seine modularen Fertigungsroboter (MIRS), die es dem Unterneh men ermöglichen, 14 Phasen der tra ditionellen Reifenproduktion auf drei zu verringern. Die MIRSRoboter in den eu ro päischen und USamerikanischen Pirelli Fabriken produzieren unterbrechungsfrei: Keine halb fertigen Produkte müssen zugeführt werden, keine Zwischenlagerung ist nötig, weniger Energie wird eingesetzt. Die durchschnittliche Fertigungszeit vom Rohmaterial bis zum Endprodukt ist halbiert worden. Integrierte Software steuert den Prozess: von der Bewegung der Roboter über Wiederauffüllung von Rohmaterial, Auswahl der Reifengröße und Vulkanisierung bis hin zur Qualitätskontrolle. Der Mini Cooper S war eines der ersten Au tos, das so bestückt wurde, zuletzt kam der neue Bentley hinzu. Pirellis Produktivität ist markant gestiegen.
Ähnliche Erfolge durch die Einführung von Industrie 4.0 feiert der USMotorradhersteller Harley Davidson. In dessen Werk in York, Pennsylvania, 100 Meilen nörd lich von Washington, werden die Modelle "1200 Custom" oder "Street Bob" gefertigt. Individuelle Wunschmaschinen können Kunden online mit dem "Bike Builder" entwerfen und über einen Händler be stellen. Nicht mehr 21 Tage, sondern erst sechs Stunden vor Produktionsbeginn werden die Daten abgerufen. Das gibt Kun den maximale Flexibilität. Bis kurz vor Schluss können sie Änderungen an ihrem Motorrad vornehmen. Harley Davidson hat mit dieser Produktionsstrategie seine Vor und Durchlaufzeiten signifikant verkürzt. In der automatisierten Fertigungsstraße arbeiten Mensch und Maschine eng Hand in (Roboter)Hand zusammen: Modellentwicklung in 3D, digitale Planung und Über
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DIE NEUE WELT DER (MEHR-)WERTSCHÖPFUNGVOM LIEFERANTEN ZUM PARTNER*: WIE SICH DIE ROLLEN IN DER INDUSTRIE WANDELN.
1980Komponenten- OutsourcingKLASSISCHE ROLLEN VERTEILUNG: Liefer anten steuern Einzel teile zur Produktion bei.
2020Integriertes Liefer netzwerkDIE ZUKUNFT HAT BEGONNEN:OEMs werden "lean", Zulieferer sind für kom plexe Systeme und Prozesse mitverantwortlich.
Entwurf & Planung
Forschung & Entwicklung
Prototypenbau & Industrialisierung
Produktion von Komponenten
System integration
Verkauf & Service
BEISPIEL AUTO INDUSTRIEVom Rohmetall zum Schiebedach
KOMPONENTENFERTIGUNG Metallbearbeitung Zulieferer: Brinks Metaal Kunde: PowerPacker
SUBMONTAGE Hydraulik Zulieferer: PowerPacker Kunde: Edscha
SYSTEMINTEGRATION Komplettes Schiebedachsystem Zulieferer: Edscha Kunde: BMW
*
2000Auslagerung von Teilen der WertschöpfungROLLENWANDEL: Die Lieferkette wird komplexer. OEMs geben wichtige Produktionsschritte an Spezialisten ab.
Wertschöpfungskette
Outsourcing
1980 2000 2020
Quellen: Brainport Industries, Roland Berger
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wachung, auf Bildschirmen visualisierte Ar beitsanweisungen. Die Kosten sinken, die Marge steigt.
Solch erfolgreiche Beispiele sind es, die das Konzept der Industrie 4.0 rasant Fahrt aufnehmen lassen, ob als "Advanced Manufacturing" (USA und Großbritannien), "Usines du futur" (Frank reich), "Made dif ferent – Factories of the Future" (Belgien) oder als "Smart Industries" (Nie derlande). Der frühere SAPChef Henning Kagermann, einer der Erfinder des ur sprüng lich deutschen Begriffs Industrie 4.0, hofft auf eine Führungsrolle Deutschlands. Bundeskanzlerin Angela Merkel, so heißt es, legt Wert darauf, dass Industrie 4.0 auch in englischsprachigen Publikationen mit der deutschen Endung "ie" geschrieben wird – als Markenartikel, "Made in Germany". Es geht um nichts we niger als globale Innovations und Markt führerschaft.
Kagermann, inzwischen Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften Acatech, ist auch im Ausland ein gefragter Gesprächspartner. "Zuerst kamen die Chinesen, um die Automatisierung voranzutreiben", erzählt er, "dann die Niederländer, die wissen wollten, wie man viele unterschiedliche Akteure an einen Tisch bekommt; schließlich Amerikaner und Briten, die ihren Industrieanteil erhöhen möchten." Kagermann versteht das große Interesse: "Die Vision von der Industrie 4.0 ist einfach, aber zwingend."
NEUE BALANCE ZWISCHEN MENSCH UND MASCHINE
Industrie 4.0 klingt nach dem neuesten Re lease einer Produktionssoftware und ist doch so viel mehr als ein simples Update. Denn sie schafft ein neues, radikal ver zahntes System in der Produktion. Menschen, Maschinen und Ressourcen kommunizieren unmittelbar miteinander. Intelligente Produkte kennen ihren Herstellungsprozess und künftigen Einsatz. So unterstützen sie aktiv Fertigung und Do kumentation. Grundlage dieser Vision
vernetzter Produktion sind cyberphysische Systeme (CPS): Werkstücke, Werkzeu ge, Produktionsanlagen oder Logistik Komponenten, die mit eingebetteter Software über das Internet in Kontakt stehen. Sie erfassen und be ein flussen ihre Umwelt, bilden dezentrale Netzwerke und optimieren sich eigen stän dig. Ein virtuelles Abbild der realen Welt wird mithilfe hochaktueller Daten – in Echtzeit oder nahezu in Echtzeit erhoben und ausgewertet – laufend aktualisiert, während der Mensch sich über multimodale Schnittstellen und "Augmented Reality" Anwendungen mit dem Produktions system verbindet, um es zu steuern. CPS ermöglichen die nächste Stufe der Dezentralität – der Objekte in der Fabrik, der Maschinen, der Organisation. Mit ihren Schnittstellen zu Smart Mobility, Smart Lo gistics und Smart Grid ist die intelligente Fabrik ein wichtiger Bestandteil künf ti ger Infrastrukturen. Wenn zwei oder mehr Unternehmen über solche Informations flüs se verbunden sind, entsteht in der Netzwerkökonomie ein neues Zusammen spiel der Akteure. Schon ist die Rede von der nächsten Stufe von "Coopetition", von kooperativem Wettbewerb bei maximaler Arbeitsteilung.
Schöne neue Welt? Noch nicht überall. Denn dafür müssten sich die Unterneh men von den klassischen Steuerungsinstrumenten der Produktion trennen. Dazu zählt Microsofts "Excel", die meistver breitete Software im Manufacturing Execution System (MES) und bislang fest etabliert in der Produktionsund Ressourcenplanung sowie in der Prozessdatenaus wertung. Je nach Investitionsbereitschaft der Unternehmen, so rechnen viele Industrieexperten, werde sich dieses Bild bis 2030 deutlich ändern. Industrie 4.0 ist eine dynamische Evolution. Doch wenn am Ende eines evolutionären Weges revolutionäre Veränderungen locken, dann gilt es schon heute, als Pionier erste mutige Schritte zu wagen.
Gleichwohl fragen sich viele zögerliche Unternehmen: Welche 4.0 Technolo
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Globale ProduktionsstättenIm Zentrum von "4.0" steht ein Netzwerk globaler Produktionsstätten. Die enge
Interaktion mit Partnerunternehmen führt zu einer Steigerung der Profitabilität, weil
sich zum Beispiel Abstimmungen verkürzen, und erlaubt eine stetige Optimierung
und Anpassung der Fertigungsprozesse.
Mächtige MaschinenführerAugmented Reality: Diese Technologie
bietet Menschen, die Maschinen bedienen, eine virtuell verbesserte Sicht auf die
Produktion, was zum Beispiel schnellere Wartungs und Reparaturarbeiten
ermöglicht. Mithilfe von Smartphones, Tablets und Datenbrillen werden sie zu
"Augmented Operators".
Soziale MaschinenSoziale Maschinen sind wissensbasierte,
sensorunterstützte und räumlich verteilte Einheiten autonomer Produktionssysteme. Sie teilen neu gewonnene Infor
mationen mit anderen Maschinen. Zusätzliche Konfiguration ist nicht nötig.
Intelligente ProdukteIntelligente Produkte sind jederzeit identi
fizierbar und lokalisierbar. Jede Information über den Verlauf der Produktion wird
im Produkt gespeichert, etwa auf RFIDChips. Intelligente Produkte steuern
ihren Produktionsprozess selbst.
Virtuelle ProduktionEin digitales Abbild der realen Fabrik verknüpft alle Menschen, Maschinen und Materialien und visualisiert die ablaufenden Prozesse. In
dieser virtuellen Produktion lassen sich Daten analysieren und zukünftige Zustände
simulieren, um die Produktion zu optimieren.
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EINE INTELLIGENTE FABRIK IST
WIE EIN SOZIALES NETZWERK
Menschen, Maschinen und Materialien
kommunizieren und interagieren in Echtzeit.
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passt zu seinem grundsätzlichen Credo, das lautet: Die Industrie muss weg von der Vorstellung, heute schon wissen zu wollen, welche Sensoren eine Maschine in fünf Jahren braucht. Stattdessen müsse man eine Plattform schaffen, auf der sich zukunftsfähige Lösungen entwickeln lassen. "Betriebswirtschaftliche Ertragsrechnungen führen bei Einzelprojekten oft in die Irre, wenn Investitionen den unmittelbaren Gewinn bei Kosten oder Effizienz über steigen", sagt Häuser. Weitblickende Manager würden darauf zählen, dass Datenverknüpfungen in der weiteren Entwicklung der Prozesse auch an unerwarteten Stellen Vorteile einbringen.
Viel Sensorik hilft viel? So sieht der BoschManager das ausdrücklich nicht. Unternehmen bräuchten aber eine Vision vollständiger Datentransparenz, die über die Projektrechnung hinausreicht. Sensoren jedenfalls kosteten nur noch im Cent Bereich, auch Lesegeräte seien billig. Häuser ist sich sicher: "Die Wucht der Industrie 4.0 wird über die günstigen Lösungen kommen."
TREND ZUM "RETROFITTING"
Zurzeit erkennen Beobachter einen starken Trend zum "Retrofitting". Unternehmen rüsten ältere Anlagen nach, ohne gleich eine komplett neue 4.0Produktion zu finanzieren. So schützen sie frühere In vestitionen mit langen Abschreibungsfristen. Schon deshalb ist Industrie 4.0 kein radikaler Umsturz: Technologien und Umsetzungsmöglichkeiten sickern ganz all mäh lich in die Wirtschaft ein.
Die ABB Group, ein global agierender Hersteller von Energieund Automatisierungstechnik, erwartet, dass die klassische Automatisierungspyramide im Kern erhalten bleibt. Sie werde nur überlagert von einem 4.0Netzwerk mit definierten Zugangspunkten zur Produktion. An diesen Kommunikationsknoten werden Lese rechte erteilt, etwa zur Datenanalyse und Fehlersuche. Schreibrechte im Leitsystem gestatten es Servicetechnikern,
gien sind überhaupt schon marktfähig? Jochen Schlick hält dies für die falsche Fragestellung: "Industrie 4.0 ist keine neue Technologie, aber sie bedeutet das Ende der Ineffizienz", sagt der Leiter des Zukunftsfeldes CyberPhysische Systeme bei der Wittenstein AG. Der Ingenieur stieß vom Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) zu einem der weltweit führenden Hersteller mechatronischer Antriebstechnik. Schlicks Argumen tation: Basistechnologien des Internets der Dinge gebe es schon lange, wozu er AutoID, eingebettete Systeme, breitbandige kabellose Netzwerke, digitale Steu erung und Kommunikation rechnet. Aber nun entstünden durch Industrie 4.0 vielversprechende Anwendungsfälle, weil Informationen aus der dinglichen Welt effi zient erfasst und effektiv digital weiter ver arbeitet werden können. Oder anders: Bis her getrennte Informationsquellen wer den kompatibel.
Kompatibilität herzustellen hört sich ein fach an, doch aus seiner Beobachtung scheitern viele Unternehmer genau daran. Schlick empfiehlt deshalb nach "Medienbrüchen im industriellen Alltag" zu suchen: Stellen, an denen die Ineffizienz quasi mit Händen zu greifen ist – wie noch vor einiger Zeit in Wittensteins Intralogistik oder Produktionsplanung, zwei Bereiche, in denen Industriemeister feinste Details noch auf Papier bearbeiteten.
INEFFIZIENZ WAR FRÜHER
Das Unternehmen fertigt Produkte, die in Flugzeugturbinen, Erdölplattformen oder Herzschrittmachern zum Einsatz kom men. Mangelnde Synchronisation der Transportprozesse von Werkstücken mit der Produktion bedeutete Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Fehlende digitale Abbildung der Produktionsplanung hieß, dass der Geschäftsführung gerade nicht jederzeit auftrags, linien oder maschinenbezogene Daten zur Verfügung standen. Inzwischen hat Wittenstein die Brüche im Daten und Kommunikationsstrom
beseitigt: mit QRCodes, intelligenten Werkstückträgern, TabletPCs, digitalen Plantafeln. Als größte Heraus for der ung stellte sich heraus, die Altsysteme zu integrieren. Das ist Wittenstein gelungen. Möglich wurde der Erfolg auch durch ein Netzwerk von 22 externen Partnern – die für Mechanik, Software oder Cloud An bindung verantwortlich waren.
Schlick argumentiert nüchtern, denkt gleichwohl offensiv. Nicht anders als bisher gehe es darum, Pro duktion überall und allerorten zu optimieren. Selbst die Ziele der Unternehmen sei en immer noch die gleichen: Liefertreue, niedrigere Kosten, höhere Qualität. Methodisch hätten bisher Paradigmen der "Lean Production" dabei ge holfen. Trotz dem seien die theoretisch möglichen Leis tungen der Prozesskette oft nicht erreicht wor den. Diese Ineffizienzen zu beseitigen, darin stecke das Potenzial einer umfassen den Digitalisierung der Wert schöpfung. Industrie 4.0 bedeute, das Ziel einer maxi mal effizienten und ressourcenschonenden Produktion auf neuem Wege zu erreichen: nicht durch mehr Automatisie r ung oder bessere Komponenten, sondern durch weniger Schnittstellen im Datenstrom.
Der Informationsfluss, der die Warenbewegung begleitet, bietet laut Schlick "Handlungsempfehlungen für informierte Entscheider", so wie das Navigationssystem für Autofahrer. Als Anwender müsse man nicht jede Facette eines solchen Assistenzsystems verstehen. Keineswegs ausgeschlossen also, dass das Wissen zur Interpretation der Daten die Kernkompetenzen der Anwender in einzelnen Fällen übersteigt: eine neue Marktlücke für Dienstleister zur unterstützenden Steuerung betrieblicher Prozesse.
Die Frage, welche Dienstleistungen das konkret sind, hält Bernd Häuser, Leiter des Zentralbereichs Fertigungskoordination bei Bosch, für lediglich perspektivisch relevant – er setzt auf das Hier und Jetzt. Bei Häuser laufen die Fäden von 50 Pilotprojekten der BoschGruppe zusammen. Seine Antwort auf die Servicefrage
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zentrale Kalibrierungsund Instandhaltungsdienste anzubieten, und zwar im laufenden Betrieb. Die Anlage erkennt ihren eigenen Status, meldet und analysiert drohende Schäden und ordert Ersatzteile. So werden kostspielige Auszeiten vermieden. ABB bietet, wie viele andere Unternehmen, solche Hard und Softwarekom po nen ten für Ferndiagnose und voraus schau ende Wartung schon an.
Auch die Weidmüller Interface GmbH & Co. KG gehört zu den Systemlieferanten der Industrie 4.0, als Hersteller von Steuerungs und Verbindungstechnik sowie Mess und Monitoringsystemen. Letztere sorgen zum Beispiel dafür, dass eine Spritz gussmaschine ihren Öldruck und Betriebstemperaturen direkt ins Internet übertragen kann. Maschinenführer sehen die Echtzeitdaten im Browser auf dem Tab let oder Smartphone und können diese gezielt nutzen – zur Visualisierung, Diagnose, Früherkennung von Anomalien –, damit die Maschinen reibungslos arbeiten. Markus Köster, Ingenieur in Weidmüllers Technologieentwicklung, sieht es nüchtern: "Das Monitoring ist möglich, aber die automatische Nachjustierung wird nicht so nachgefragt – noch nicht", wie er betont.
Woran das liegt? "Oft will der Mensch einfach die Kontrolle über die Abläufe behalten", lautet Britta Hilts Erfahrung. Hilt ist Geschäftsführerin der IS Predict GmbH in Saarbrücken, ein junges 20köpfiges Unternehmen der ScheerGruppe, das sich auf "Predictive Analytics" spezialisiert hat. Mit seinen Konzepten zur voraus schauenden Maschinensteuerung ist die Firma einer der vielen neuen Player auf einem wachsenden Markt. Zugleich sieht Hilt aber auch eine der höchsten Hürden, die einer flächendeckenden Etablierung von Industrie 4.0 entgegenstehen. In etwa der Hälfte der Unternehmen gebe es trotz Messungen an den Maschinen und Anlagen keine für Mehrwertdienste brauchbaren Daten: Informationen werden entweder nicht oft genug erhoben, nicht ge spei chert oder sie sind nicht konvertierbar. Oft bleibe daher nur das Ausdrucken – Old School also.
Fieberhaft wird deshalb in Europa, aber auch außerhalb, an einer einheitlichen Datenstruktur und gemeinsamen Standards gearbeitet, um den Maschinendialog im großen Stil zu erleichtern. In der deutschen "Plattform Industrie 4.0", einem Zusammenschluss von Verbänden, Unternehmen und Forschung, entsteht eine "Normierungsroadmap". In den USA beschäftigt sich die "Smart Manufacturing Leadership Coalition" mit dem Thema. Neue Standards eröffnen neue Märkte.
An dieser Normierung hängt der Erfolg von Industrie 4.0. Ist erst einmal ein offenes System geschaffen, kann jeder Entrepreneur am Spiel teilnehmen. Dann dürfte Metcalfs Gesetz greifen. Demnach wächst der Nutzen eines Kommunikationssystems proportional zum Quadrat der Anzahl seiner Teilnehmer. Je stärker Unternehmen also ihre Produktion vernetzen, desto stärker steigt der Wert des gesamten Wertschöpfungsnetzwerks – und die Wettbewerbsfähigkeit des einzelnen Teilnehmers. Schon 2020 könnten 50 Milliarden in telligente Objekte miteinander kommu ni zieren, zehnmal so viele wie heute. Ur sprünglich eine interessengeleitete Prognose des Netzwerkausrüsters Cisco, gilt diese Zahl mittlerweile als plausibel.
HOHES TEMPO, NEUE SPIELREGELN
Das ungebremste Tempo des Zuwachses verändert die Spielregeln. "Wir müssen sehr schnell die Standards beherrschen", sagt Professor Wolfgang Wahlster, Chef des TechnologieThinkTanks DFKI und Berater der Bundeskanzlerin. "Das ist ein echtes Machtspiel." Europa, Deutschland insbesondere, sieht er gut gerüstet, auch wenn es oft heißt, die Softwareriesen aus Amerika könnten im Vorteil sein, wenn die Wertschöpfung künftig derjenige kontrolliert, der die Daten beherrscht. Doch wem gehören die Daten? Wie separiert man sie für ein tragfähiges Geschäftsmodell, Si cherheitsfragen (siehe dazu Seite 40) ganz außen vor?
Großbritannien Seit 2011 sind 312 Millionen Euro in die
"Advanced Manufacturing Supply Chain"Initiative geflossen, im Frühjahr 2014 hat das "Department
for Business Innovation and Skills" einen zusätzlichen Fonds über 127 Millionen Euro
aufgesetzt, mit dem Forschung und Entwicklung im Automobil und Luftfahrtsektor
gefördert werden.
FrankreichPräsident François Hollande kündigt
3,7 Milliarden Euro für "La Nouvelle France Industrielle" an. In 34 staatlichen Aktionsplänen
werden ausgewählte Industrieprojekte vorangetrieben, darunter auch die Fabrik der
Zukunft ("Usines du futur"): 35.000 Produktions robotern in Frankreich stehen 65.000 in Italien
gegenüber – und 150.000 in Deutschland.
DeutschlandAls Teil des Aktionsplans der Bundesregierung
zur "HightechStrategie 2020" fließen 200 Millionen Euro in die "Plattform Industrie 4.0", die
Expertise aus der Forschung und den Spitzen verbänden des Maschinenbaus sowie der ITK
und Elektroindustrie bündelt.
EuropaBis 2020 investiert die Europäische Kommission
1,15 Milliarden Euro in die PrivatePublic PartnershipInitiative "Fabriken der Zukunft".
Vor allem im Mittelstand soll die technologische Basis der Industrie gestärkt werden: anpassungs
fähige Maschinen, innovative Werkstoffe, moderne IT für die Produktion.
USADie ObamaAdministration hat allein 2013
rund 1,6 Milliarden Euro für Projekte im Umfeld der Produktionsforschung bereitgestellt. Der "Smart Manufacturing Leadership Coalition"
(SMLC), einer bundesweiten Interessen gemeinschaft mit mehr als 30 Firmenmitgliedern,
wurden 500 Millionen Euro zur intelligenten Fabrikvernetzung in Aussicht gestellt.
ChinaPeking will bis 2017 rund 1,2 Billionen Euro
für die Modernisierung und Transformation seiner Industrie investieren. Nicht alles davon wird
Industrie4.0relevant sein. Aus "Made in China" soll "Created in China" werden.
WELTWEITERWETTBEWERB
Was Regierungen sich den Wettlauf um die
Produktion der Zukunft kosten lassen.
Quellen u.a.: EU, GTAI, db research, Roland Berger
16 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
GOOGLE KAUFT ROBOTIK-FIRMEN EN GROS
Der USAutohersteller Ford setzt in seinem Werk in Michigan eine Software von Siemens ein. Sie dient der virtuellen Navigation durch die Produktion und soll die inter nationale Zusammenarbeit der Ford Werke verbessern. Die Infrastruktur von Google Earth hilft dabei, in 3D bis auf die Ebene einzelner Arbeitsplätze durch die Produktion in aller Welt zu wandern. Der Kunde profitiert in jedem Fall. Bleibt die Frage, wer in diesem Wettlauf das bessere Ende für sich hat: Siemens als industrienaher Lieferant, der sich längst auch als Digitalisierer sieht und bereits 17.500 SoftwareIngenieure beschäftigt? Oder doch der neue Riese Google, der nur darauf lauert, das Geschäft mit den Unterneh mensdaten zu übernehmen?
Googles mächtigste Informations sammelstelle ist das Betriebssystem Android, das weltweit auf 80% aller Smartphones und auf 60% aller Tablets läuft. Konnektivität bedeutet eben auch, dass sich sowohl Nutzer als auch Anbieter konkurrierender Systeme gegen etablierte Standards irgendwann nicht mehr wehren kön nen. Und Google ist rastlos. Zum Beispiel mit seinem Projekt "Tango". Entwick ler arbeiten daran, Smartphones und Tablets ein menschliches Verständnis dreidimensionaler Räume und Bewegungen einzupflanzen. Daran beteiligt sind Universitäten, Forschungseinrichtungen und industrielle Partner aus neun Ländern weltweit – darunter Bosch, Infineon, die ETH Zürich, die George Washington University und die Open Robotics Foundation. Hard und Software in den Prototypen zeich net Bewegungen auf und erstellt ein Modell der Umgebung in 3D. Auch hier ist Android die Datenplattform. Sensoren erlauben mehr als 250.000 Messungen pro Sekunde, Position und Orientierung des Geräts werden in Echtzeit aktualisiert. Im Moment zielt "Tango" auf Konsumentenanwendungen. Aber das Potenzial für die Industrie liegt auf der Hand: intelligentere
Navigation, fahrerlose Autos, Drohnensteu erung, AugmentedRealityApps, Steuerung von Werkstücken und Maschinen. Das Projekt hat bisher kaum Aufmerk samkeit in Publikums und Wirtschafts medien gefunden. Sobald sich das ändert, wird sich die Unruhe verstärken, die sich in der produzierenden Industrie breitmacht, seit Google allein 2013 acht Robotikfirmen aufgekauft und den AndroidErfinder Andy Rubin beauftragt hat, eine Sparte zur Roboterentwicklung aufzubauen. Sie soll schnell wachsen.
Bisher schützt den europäischen Maschinen und Anlagenbau die Zergliederung der heutigen IndustrieIT. Dass US Softwareunternehmen bald die Welt der Industrie erobern könnten, glaubt auch Bernd Häuser von Bosch. Die langen Lebenszyklen von Produktionsanlagen hätten viele ITRiesen davon abgehalten, diesen Markt für interessant zu halten. Aber diese Zurückhaltung weiche nun. Häuser: "Wir als Maschinenbauer haben die Bedrohung lange unterschätzt."
EUROPA BIETET DEN USA DIE IT-STIRN
Inzwischen sind Europas Unternehmen hell wach. Als Marktführer bei eingebetteten Systemen besinnen sie sich auf ihre Stärken, z.B. die Kompetenz in der Sensorentechnik. Deutschland kann Unternehmen wie Continental und Sick, Infineon und SAP vorzeigen. In den Niederlanden, wo es viele hochentwickelte Industriezulieferer gibt, profiliert sich NXP Semiconductors, ehemals Philips. Die Schweiz hat einen Maschinen und Anlagenbau von Weltruf, in Norditalien arbeiten Forscher und Unternehmen am Technologietransfer. Frankreich holt gerade mit voller Kraft zwei bis drei Jahre Rückstand auf. Vielfalt zähle, nicht Größe, führt MerkelBerater Wahlster ins Feld: "Intel ist riesig, aber die sind nicht in den Markt gekommen." Auch beim Big Data Mining hat Europa einiges zu bieten: "Hana"Datenbanken von SAP, "Terracotta" von der Software AG oder das in Berlin
entstandene Analysetool "Stratosphere", das erst im April als Projekt in das Apache IncubatorProgramm aufgenommen wur de. "Wir haben Vorsprung in der Techno lo gie, die Amerikaner sind besser in Ver net zung und bei Geschäftsmodellinno vationen", sagt Wahlster, neben Kagermann der zweite Wortschöpfer von Industrie 4.0, "wir wer den uns mit ihnen verständigen."
Bei Endress+Hauser, einem Schweizer Messund Regeltechniker, heißt es, die ho rizontale digitale Integration – Messgeräte und Kommunikationssysteme zur Da tenerfassung und zum Datentransfer – könnten Unternehmen heute schon bezahlen. Sie wären damit in der Lage, auto matisch Auftrag, Lagerung, Lieferung, Bestand zu steuern. Auch die vertikale Integration sei realistisch. Dabei werden Ebenen der Automatisierungspyramide so vernetzt, dass eine Verbindung zwischen Enterprise Resource Planning (ERP) und Produktionsprozess entsteht. Von einem durchgehenden digitalen Engineering kön ne aber noch keine Rede sein: "4.0 als um fassendes Fertigungspaket kann man noch nicht kaufen", heißt es bei En dress+Hauser, aber man will wie Wittenstein durch Vernetzung dorthin.
Nicht warten, starten: Zu einem raschen Einstieg in die Industrie 4.0 rät Martin Marx den produzierenden Unternehmen. Er ist Vertriebsleiter der westfälischen Harting Technologiegruppe, die mit Steckern, Kabeln und elektromechanischen Steckverbindungen 500 Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaftet – und die sich künftig als digitaler Sys tem lieferant einen Namen machen will. "Wir fan gen klein an, es geht um Vertrauen, um erste Netzwerke und darum, Kunden den Nutzen von 4.0 in kleinen Schritten dar zulegen", sagt Marx. Ein Nachfragemarkt müsse sich sukzessive entwickeln. Harting ist einer von mehr als 30 industriellen Partnern im gemeinnützigen Verein "Smart Factory KL e.V.", einer herstel lerunabhängigen Plattform, die aus ge reif te Informationstechnologien in die Fabrikautomation zu integrieren sucht.
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4 STARKE ARGUMENTEVORTEILE DER INDUSTRIE 4.0
Flexibilitätbei Losgrößen und Varianten:
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Die Unternehmen im Netzwerk demonstrie ren zum Beispiel mit Testmodulen, wie selbst Konkurrenten einheitliche Schnittstellen nutzen können, um gemeinsam arbeitsteilig zu produzieren. Diese Module erkennen ihren Nachbarn, sodass sie jeder zeit getauscht oder ausgewechselt werden können. "2013 war unsere Anlage technisch schon einen Schritt weiter", erzählt Professor Detlef Zühlke, Spiritus Rector und Vorstandsvorsitzender der Technolo gieInitiative: "Inzwischen geht es uns aber weniger um das technisch Machbare, als vielmehr um handfeste Geschäftsmodelle." Zühlke berichtet von ersten namhaften Kaufinteressenten: einem Komponentenhersteller aus dem Flugzeugbau, einem Autohersteller, einem Unternehmen aus dem Bereich Anlagenmonitoring.
ES GIBT HANDFESTE GESCHÄFTSMODELLE
Geschäftsmodelle rund um Industrie 4.0 etablieren sich überall – zum Beispiel bei Bosch im saarländischen Homburg. Dort werden seit Juni 2014 hydraulische Scheibenventile für Traktoren gefertigt, 2.200 Varianten in kleinen Stückzahlen. Der Kunde sendet seine Aufträge direkt zur Fertigungsanlage, die sich selbstständig konfiguriert, Teile sucht und laufend Daten zum Fertigungsstatus auswertet. "Die In ves tition in die neue Produktionslinie rechnet sich in kurzer Zeit", sagt Bosch Mana ger Häuser. Zum einen steige die Pro duktivität der Ma schinen, weil sie nicht mehr umgerüstet werden müssten. Zum anderen auch die der Mitarbeiter, weil sie keine einzelnen Aufträge mehr eingeben müssten.
Eine verkürzte Wertschöpfungskette hat inzwischen auch der Getränkeabfüller KHS GmbH aus Dortmund umgesetzt, der mit seiner prämierten digitalen Technologie Innoprint Zigtausende PETFlaschen parallel direkt und rundum ohne Etiketten bedrucken kann. Das schafft maximale Flexibilität, verkürzt die TimetoMarket und ermöglicht kleinste Losgrößen. Die
Tinte wird beim Flaschenrecycling wieder entfernt. Das alles spart Zeit, Geld und Tonnen von Müll.
Mit der Digitalisierung der Geschäftsprozesse hat jetzt auch eine besondere Spielart der individuellen Massenfertigung Einzug gehalten: die Lohnfertigung. Wie bei der 247 TailorSteel GmbH, einem internetbasierten Beschaffungsportal für Lohn arbeiten rund um industrielle Bleche und Rohre. Das Unternehmen ist vor Jahren aus den Niederlanden nach Deutschland expandiert. Zwischen Reißbrett und CAD sind alle Arbeitsabläufe auf die individuellen Anforderungen der Kunden op timiert. Angebote werden innerhalb von Mi nu ten per Mausklick generiert, die Produkte hätten "höchste Qualität auf jederzeit replizierbarem Niveau", wie das Unternehmen sagt. Technisch ist das glaub wür dig, die Herstellung der Werkstücke verrichten Laserschneider von Trumpf. So sichern sich Unternehmen wie 247 Tai lorSteel durch Digitalisierung eine zufriedene Kundschaft.
KUNDEN LASSEN UNTER-NEHMEN KEINE WAHL
Haben unsere hochentwickelten Volkswirtschaften bei Industrie 4.0 die Wahl? Nein, argumentiert Professor Thomas Bauernhansl. Denn nicht Technologien trieben Modularisierung und Flexibilisierung voran, sondern Kunden und Märkte. Bauernhansl ist Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF der Universität Stuttgart sowie Chef des FraunhoferInstituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Seine Logik geht so: Heute steht ein hoher Industrieanteil, vereinfacht gesagt, für große Fortschritte und eine hohe Dynamik. Das Produktivitätswachstum habe in der deutschen Industrie zwischen 2000 und 2010 bei 30% gelegen, doppelt so hoch wie das bei Dienstleistungen. 2010 seien fast 90% der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf die Industrie entfallen. Für Bauernhansl ist es deshalb nur konsequent, dass die EU
den Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung bis 2020 von 16 auf 20% erhöhen will.
Die Reorganisation der Wertschöpfung verspricht große volkswirtschaftliche Potenziale. Allerdings sind die Voraussetzungen in Europa höchst unterschiedlich. 35.000 Produktionsrobotern in Frankreich stehen 65.000 in Italien gegenüber und 150.000 in Deutschland. Das hat die französische Regierung aufgelistet, die ankündigt, in die "Fabrik der Zukunft" zu investieren. Die Frage ist, ob die Industrie die damit verbundene Gelegenheit ergreifen wird. Jean Camille Uring, COO von Fives Cinetic und Präsident im Verband der Europä ischen Werkzeugindustrie (siehe auch Seite 3), spricht von einer Zweiteilung der französischen Wirtschaft.
Als Fives Manager weiß er, was es heißt, Maschinen und Anlagen für die weltweit größten Industriegruppen zu konzipieren und zu liefern, in Branchen von Aluminium und Automobil bis Luftfahrt und Logistik. Als Regierungsberater hat er die Vision der "Usines du futur" mit entworfen: Organisation und Finanzen, Pläne für einzelne Industrien. Uring weiß um die geringe Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen in Frankreich, neue Maschinen allein seien noch nicht die Lösung für globale Märkte.
So wird Europa seine Stärken ausbauen müssen. Deutschland gilt vielen als Spitzenreiter bei der Digitalisierung der Wirtschaft, aber das ist immer nur eine Momentaufnahme. Für Selbstzufriedenheit ist im kompetitiven Umfeld von Industrie 4.0 keine Zeit.
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Herr Krüger, manchen gilt Industrie 4.0 als Modewort. Wie definieren Sie bei BMW den Begriff? Die Verbindung der digitalen Welt mit der realen Welt – vernetzte intelligente Produktion, vernetzte Systeme. So haben wir es bis dato definiert. Klingt nach einer Mainstream-Defini- tion. Was ist für Sie das Besondere an die sem Thema? Für uns bei der BMW Group ist es ganz fundamental, dass immer der Mensch im Mittelpunkt des Pro
duktionssystems steht und dass Industrie 4.0 eine Unterstützung des Menschen ist. Es wird ihn nicht ablösen. Das ist anders als bei früheren Entwicklungen wie "Computer Integrated Manufacturing", die in Vorstellungen einer menschenleeren Fabrik mün deten. Ich bin davon überzeugt, dass der Mensch mit seinen Fähigkeiten und Kompetenzen der zentrale Erfolgsfaktor bleiben wird. Er wird ergänzt durch Industrie 4.0, indem ihm bestimmte Dinge
HARALD KRÜGER, Produktionsvorstand der BMW Group, über Verheißungen von Industrie 4.0, mögliche
Verschiebungen in der Wertschöpfungskette und die zukünftige Interaktion zwischen Mensch und Maschine
INTERVIEW: Jochen Gleisberg, Philipp Grosse Kleimann und Thomas Reinhold
FOTOS: Thomas Dashuber
"SCHLANKER, SCHNELLER, STABILER"
ergonomisch leichter gemacht werden, ein Prozess robuster wird, mit Informationen, die es bisher so nicht gab. Wir reden also nicht über reine Automatisierung.Bedeutet das Evolution oder Revolu tion in der Produktion? Es ist für mich keine Re volution mit dem großen digitalen Sprung, als ob nicht mehr gelten würde, was in der Gegenwart gilt. Was sich deutlich verändern wird: Wir brauchen auch bei BMW Menschen, die ein hohes Inter
IM USWERK IN SPARTANBURG, SOUTH CAROLINA, SETZT BMW IN DER TÜRMONTAGE KOLLABORATIVE ROBOTER EIN. SIE UNTERSTÜTZEN DEN MITARBEITER –
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gen: In ter aktion zwischen Mensch und Maschine. Wir hatten hier auch Forschungspartner mit an Bord. Unser Mitarbeiter wird nicht ersetzt, der Roboter hilft aber, den Prozess noch weiter zu stabilisieren und damit qualitativ noch sicherer zu werden. Diese ergonomische Hilfe bedeutet Nachhaltigkeit im Produktionssystem. Solche Elemente probieren wir auch an anderen Stellen aus. Das bringt Fortschritte bei Effizienz und Qualität – ermöglicht durch Vernetzung. Das ist die Chance von Industrie 4.0: eine noch bessere Vernetzung im Sinne des Gesamtoptimums. Wie wird sich durch Industrie 4.0 das Ver hältnis zu Zulieferern verändern? Werden sich Wertschöpfungsanteile ver-schieben? Als OEM werden wir uns immer auf die Fahrzeugmontage, auf das Auto an sich fokussieren. Es kann aber sein, dass wir uns noch stärker an vormontierten Modulen orientieren, die vernetzt in digitalen Prozessen angeliefert werden. Das geht bis zur Montagesimulation, wenn wir etwa den einen Teil des digitalen Türeneinbaus erarbeiten und der Lieferant einen anderen. Das gesamte Entwicklungs und Produktionssystem lässt sich simulieren,
esse an Systemwissen haben. Wir werden stärker systemorientiert und integriert den ken, ein Gesamtsystem betrachten und nicht nur einzelne Arbeits und Prozess schritte. Um bei der Tragweite zu bleiben: Halten Sie Industrie 4.0 für über- oder unter-schätzt? Ich glaube, dass jedes Unter nehmen seine Potenziale darin suchen muss. Industrie 4.0 ist nicht das Allheilmittel, aber eine nächste Chance, Dinge vernetzter anzugehen, mit mehr Zuverlässigkeit in schlanken Prozessen, höherer Produktivität und Qualität. Aber dies allein wird nicht helfen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie nach oben zu treiben.Zuletzt ist BMW für seine Produktivi -täts fortschritte gelobt worden. Welche Notwendigkeit gibt es überhaupt für Sie, sich der Welt der Industrie 4.0 zu öffnen? In der Vernetzung des gesamten Wert stroms vom Rohmaterial bis zum Endprodukt eines Fahrzeugs liegen noch ungenutzte Chancen. Die BMW Group ist ein Unternehmen, das sich immer wieder durch Innovationen auszeichnet, zum Beispiel in der Nutzung von Kohlefaser für den elektrisch angetriebenen i3 oder den i8.
"Für uns bei der BMW Group
ist es fundamental, dass der Mensch im Mittelpunkt
des Produktions systems steht."
Wenn Sie Innovationen in Produkten vorantreiben wollen, dann müssen Sie auch Innovationen in den Prozessen vorantreiben. Industrie 4.0 verspricht uns, innovativer, vielleicht schneller zu machen, beispielsweise durch weniger Versuche mit Hardware. Es läuft heute schon auf mehr digitale Abbildung hinaus: im Prototypenbau, in der Produkt und Prozessentwicklung. Zeit ist ein ganz wichtiger Faktor in der Wettbewerbsfähigkeit.Kürzere Time-to-Market, also die Vor- laufzeit von der Entwicklung bis zur Pla tzierung eines Produkts am Markt, gilt als ein wesentliches Versprechen von Industrie 4.0. Deswegen sind wir daran interessiert. Wir haben mit kleinen Pilotprojekten angefangen, zum Beispiel in unserem USWerk in Spartanburg, South Carolina. Dort sind unsere kol laborativen Roboter in der Türmontage im Einsatz und unterstützen den Mitarbeiter – punktgenau, schnell und beliebig oft wiederholbar. Die Bewegungen des Menschen und des Roboters sind optimal aufeinander abgestimmt, damit es keine Kollisionen gibt. Das nenne ich intelligente Vernetzung, das ist Produktion von mor
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DIE GRÖSSTEN PRODUKTIONS-STÄTTEN DER BMW GROUPGlobal Footprint: Die elf größten BMWStandorte aus vier Kontinenten sind in den USA, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Südafrika und China beheimatet (Fahrzeugfertigung in Tausend pro Jahr). In Oxford schlägt das Herz des "Mini".
auch über internationale Standorte hinweg. Wir können es gemeinsam mit den Lieferanten schlanker, schneller und stabiler machen. Das Zusammenspiel wird sich nochmals optimieren. Ich glaube aber nicht, dass sich dadurch unmittelbar Wertschöpfungsschritte verändern.Lässt nicht die zunehmende Vernetzung die Bedeutung der Zulieferer eher wach-sen? Wir haben schon heute den überwiegenden Teil der Wertschöpfung in der Hand der Zulieferer. Automobilproduktion – gerade im Premiumsegment – funktioniert nur in einem sauberen Zusammenspiel von Zulieferern und Her stellern. Es gibt natürlich alle Ketten und Arten von Zulieferern. Es gibt Lieferanten, die ein ganzes System beisteuern, inklusive Entwicklung. Die entwickeln eine Türverkleidung und erproben sie auch. Genauso gibt es Komponentenhersteller oder Teilelieferanten. Wir werden in der vernetzten Produktion noch stärker mit den Systemlieferanten zusammenarbeiten, weil die frühe Phase der Produktentwicklung wichtig ist. Wir wollen die Integration so früh wie möglich, um Schnittstellen abzustimmen, um frühzeitig Teile gemeinsam für eine schlanke und schnelle Fertigung zu optimieren. So wird die Vernetzung steigen. Industrie 4.0 wird aber nicht grundsätzlich die Bedeutung der Zulieferer ändern. Sie ist heute schon hoch.An welchen konkreten Projekten for-schen Sie und mit welcher Zielsetzung? Es sind Projekte in der Softwarevernetzung. Bei der BMW Group arbeiten wir mit Projektteams, ohne große Organisation. Wir verfolgen mit Industrie 4.0 drei Ziele: erstens Projekte in der Forschung und Vorentwicklung. Die kollaborativen Roboter in Spartanburg stammen ursprünglich aus der Vorentwicklung der Produktion. Uns geht es um den neuen Leichtbau, um eine andere Art von Auto matisierung, neue Materialverbindungen, einfacheres Klipsen, simplere Ferti gungs konzepte für kürzere Produktionszeiten. Zweitens entwickeln wir Ideen im Tagesgeschäft der Serie weiter. Wir prüfen gerade für künfti
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Quelle: BMW Group
28 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
ge Baureihen und Produkte, wie wir diese Elemente einsetzen können: intelligente Vernetzung, um unser Potenzial bei Qualität, Kosten und Einmalaufwand zu nutzen. Drittens arbeiten wir mit Elemen ten von Industrie 4.0, wenn es um die Planung von neuen Produktprojekten oder neuen Produktionsstrukturen geht. Das müssen Sie uns bitte genauer erklä-ren! Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir bauen gerade unser internationales Produktionsnetzwerk aus, etwa ein neues Werk in Brasilien und eines in Mexiko. Das Werk in Spartanburg wird ebenfalls deutlich erweitert. Es entstehen neue Produktionsstrukturen, in denen wir online die Simulation von Durchlaufzeiten und Prozessen auf ein höheres Niveau bringen. Wir überführen den Anteil einer klassischen technischen Planung früher und intensiver in eine digitale, vernetzte Planung mit den Lieferanten. Wenn wir etwa eine Lackiererei bauen, dann beauftragen wir einen großen Anlagenhersteller, der uns ein ganzes Gewerk liefert. Für BMW als Produzent ist wichtig, wie die Durchlaufzeiten sind, welche Abkühlzeiten wir haben, welche Stabilität in der Perlenkette der Produktion. Ein weiteres Beispiel sind die Montageprozesse. Die Vorteile des kollaborierenden Roboters werden wir nutzen, um die Produktivität unserer Fahrzeugmontage auch an anderen Standorten zu steigern. Zahlt es sich aus? Wenn man Spartanburg als Beispiel nimmt: ja, definitiv! Die Mitarbeiter in der Fertigung sind begeistert. Wir evalu ieren jetzt die Potenziale, wir lernen. Industrie 4.0 ist ja eine permanente Weiterentwicklung. Wir stehen erst am Anfang, aber die ersten Signale sind eindeutig positiv. Ihre Mitarbeiter sind sicher begeistert, wenn ein Roboter ihnen die Tür hebt. Ist denn der Betriebswirt in Ihnen auch be-geistert? Ja, Effizienz und Produktivität sind immer wichtig für mich. Der erste Punkt ist die hohe Zuverlässigkeit dieser Robotertechnologie. Denn Störung in der Produktion begeistert mich gar nicht. Wenn Sie alle 60 Sekunden ein Fahrzeug
produzieren, dann bedeutet jede Sekunde Stillstand einen Verlust. Das Zweite ist: Alles lässt sich viel schneller umsetzen und integrieren. Wir brauchen weniger große Aufbauten, keinen Käfig für die Sicherheit. Unsere neuen Roboter sind klein und flexibel. Integrations und Wechselzeiten sind kürzer, damit kann auch der Einsatz in einer neuen Produktion schneller erfolgen. Es gibt schon einige Aspekte, die mich an dieser Technologie begeistern. Wie taxieren Sie das Gesamtpotenzial von Industrie 4.0? Ich rechne nicht mit einem digitalen Sprung von 20 bis 30% mehr Produktivität. Aber ich freue mich über tägliche, kleine Produktivitätsfortschritte. Nur 5% wären schon viel, wenn
auf den Markt bringen, schnell Produktionskapazitäten erweitern, wenn der Markt dies fordert. Weniger Aufwand durch digitale Vernetzung und Verbesserungen an den Schnittstellen von Lieferant, Systemlieferant und OEM bedeuten Zeitgewinn – ein echter Wettbewerbsvorteil. Denn es kann heißen, dass Sie eine Innovation schneller auf den Markt bringen als andere: Effizienzgewinn an Zeit. Und das dritte Argument hat zu tun mit Qualität und Zuverlässigkeit. Kundenindividuelle Massenfertigung, noch eine Verheißung von Industrie 4.0, dürfte nichts sein, was Sie erst lernen müssen. Von jedem Auto gibt es theore-tisch mehr Varianten, als BMW je ver-kauft. Ja, die Variantenanzahl ist schon sehr hoch. Unsere Flexibilität wird durch Industrie 4.0 aber nochmals gefördert. Den 3er zum Beispiel bauen wir in Südafrika, in China, in München, in Regensburg. Und wenn ich an vier Standorten relativ schnell eine neue Technologie integrieren kann, und zwar global vernetzt und zuverlässig, dann birgt das ein erhebliches Potenzial. Die Simulation betrifft nicht nur die Produktion, auch die Logistik, alle Warenströme und Lieferkonzepte. Dann können Sie relativ schnell sehen, ob eine zusätzliche Variante in einer Türverkleidung auch neue logistische Prozesse nötig macht oder ein größeres Lager. Jetzt sind wir wieder beim systemorientierten Denken. Das wird durch Industrie 4.0 viel stärker abgefragt. Es erfordert umfassend kompetente Mitarbeiter, die Spaß an der Vernetzung von Technologie und IT haben. IT ist ein wichtiges Stichwort: Beherrscht sie in der Industrie 4.0 mehr und mehr die Produktion? Sie erhöht die Bedeutung von IT, aber nicht grundsätzlich, nein. Wir haben heute schon viele Mitarbeiter, die an der Schnittstelle zwischen IT und klassischer Produktionsplanung arbeiten. Das betrachtet die BMW Group seit jeher als Kernkompetenz. Kauft BMW gegebenenfalls IT-Spezia-listen auf? Unser ITKnowhow werden wir immer mit erster Priorität intern entwi
"Drei gute Argumente für Industrie 4.0:
demografischer Wandel,
Zeitgewinn, Qualität"
Sie das auf zwei Millionen Fahrzeuge im Jahr umlegen. Wir bauen ungefähr 8.000 Autos täglich. Unsere Verantwortung ist tagtägliche Effizienz.Wo sehen Sie als Produktionsvorstand weitere positive Aspekte bei der Einfüh-rung von Industrie 4.0? Es gibt drei gute Argumente für Industrie 4.0. Da ist erstens der demografische Wandel in Deutschland. Bei BMW nimmt die Anzahl der Mitarbeiter, die über 50 sind, stetig zu. Eine optimale ergonomische Entlastung bedeutet einen Effizienzgewinn durch eine gesundere Belegschaft. Zweitens: Geschwindigkeit. Heute wollen wir schnell Produkte
INTERVIEW
HARALD KRÜGER
29THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
Sind Strukturen zum Beispiel in Süd-afrika so anders als in Regensburg? Ja, in Südafrika sind ja die Stückzahlen der lokalen Lieferanten in der Regel geringer als in der europäischen Industrie, wo uns mehrere große OEMs beliefern. Das bedeutet oft Prozesse, die deutlich weniger automatisiert sind. Hier kommen betriebswirtschaftliche Überlegungen ins Spiel: In Südafrika haben wir im vergangenen Jahr über 60.000 Autos gefertigt. Nun kann es sein, dass sich eine Technologie zwar für 300.000 Einheiten rechnet, aber nicht für diese Stückzahl. Das sind die gleichen Rechnungen wie früher bei der Automatisierung, wo wir überlegt haben, wie sich Roboter relativ zu Volumen und Arbeitskosten rechnen.Was ist ihre Vision einer digitalisierten Produktion? Wir haben noch den kolla-borativen Roboter aus Spartanburg im Kopf, letztlich vor allem eine ergono-mische Hilfe … als ein Anwendungsbeispiel. Weil wir noch am Anfang stehen. Ok, verstanden. Aber reden wir auch über reine Maschine-zu-Maschine- Kom-munikation, wo der Mensch nicht mehr gefragt ist, außer um mit seinem Tablet zu überwachen, was da passiert? Wir könnten auch über die Kommunikation FahrzeugzuMaschine sprechen. Wir haben bei der BMW Group sehr viel Aus
ckeln und die geeigneten Absolventen und Forscher an den Universitäten rekrutieren. Der Anteil der Mitarbeiter mit SoftwareKnowhow steigt tendenziell. Das liegt an der stärkeren Elektrifizierung der Autos. Außerdem führt die Internationalisierung zu viel mehr Vernetzung. Wenn Sie einen Fahrzeugtyp an mehreren Standorten bauen, dann muss das global abgedeckt sein, zum Beispiel in der Logistik bei den Stücklistensystemen. Die Produktionsplanung ist schließlich auch deutlich globaler geworden. Wer treibt das Thema bei BMW voran? Der Finanzvorstand, der hofft, Kosten zu drücken? Der IT-Vorstand, der seine Be-deutung wachsen sieht? Oder Sie als Produktionsvorstand? Ich glaube, das wird jeder von uns in seinem Ressort treiben und auch wir gemeinsam als Unternehmen. Ein Beispiel: Der Leiter der technischen Montageplanung bei der BMW Group war vorher in der Produktion zuständig für die IT. Er war derjenige, der Infrastruktur und insbesondere Anwendungssoftware zur Verfügung gestellt hat. Jetzt ist er derjenige, der die technische Planung für die Montage verantwortet. Das hilft ihm, seine Ziele zu erreichen, die ich ihm für Herstellkosten, proportionale Fertigungskosten, Einmalaufwand oder Investition setze. Er kennt zwei Blickwinkel. Es ist
nicht so selten, dass Kollegen bei BMW auf solche Art die Perspektive wechseln. Ein Ressort oder eine Funktion alleine kann das Potenzial nicht heben. Deswegen ist es so wichtig, dass die Menschen miteinander gut arbeiten. Es sind Menschen, die Vernetzung vorantreiben – und ohne diese Neugierde auf etwas Neues wäre zum Beispiel auch die CFKKarosserie, also die aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff, nicht entstanden. Das Anforderungsprofil Ihrer Mann-schaft verändert sich. Was ändert sich für Sie persönlich? Wie gehen Sie mit neuen Aufgaben um? Eine Anforderung an mich ist, dass ich mich mit dem Thema intensiver beschäftige, um die Potenziale von Industrie 4.0 besser zu verstehen, denn ich muss sie in neuen Produkt oder Strukturprojekten realisieren oder als Zielvorgaben mitgeben. Dabei muss ich Chancen und Risiken abwägen. Ich frage mich außerdem, wo wir vielleicht eine andere Zusammenarbeit mit Universitäten oder Lieferanten eingehen und was dies für das Geschäftsmodell von BMW bedeutet. Schließlich beschäftigt mich täglich die Inter nationalisierung des BMW Group Netzwerks. Es wird mir nichts nutzen, eine perfekte Musterfabrik in Deutschland zu haben, wenn wir Alternativen an anderen Standorten unberücksichtigt lassen.
Daumen hoch für "4.0": Harald Krüger sieht
"eindeutig positive Signale".
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tausch zwischen dem Fahrzeug, das durch die Produktion läuft, und den Maschinen. All die Qualitäts, Prozess und Umgebungsdaten, die dort generiert und gewinnbringend genutzt werden. Unser Fahrzeug weiß, was es für eines werden soll, welche Farbe, welche Sonderausstattung. Es kann sein, dass Sie später als bisher in der Produktion noch Varianten erzeugen können. Wir müssen einfach offen sein. Und wie geht's dann Ihrer Einschätzung nach weiter mit der Industrie 4.0? Es ist
noch zu früh, um ganz genau zu sagen, wohin sich das bei BMW entwickelt. Das hängt von so vielen Faktoren ab. Wie entwickelt sich die Technologie? Zu welchen Preisen? Welche Prozesse können Sie abbilden, welche nicht? Denken Sie nur an die Haptik und Optik im Auto, wie wirkt seine Wertigkeit? Wie dem auch sei: Indu s trie 4.0 wird in der Fertigung eines kom plexen Fahrzeugs nicht dazu führen, dass wir mit dem Tablet am Rande nur noch au to matische Vorgänge kontrollieren.
Wen sehen Sie im Vorteil beim internatio-nalen Wettrennen um die vernetzte Pro-duktion: Europa oder die USA? In beiden Märkten gibt es Chancen. Die USA haben im Bereich der AnwendungsIT viele innovative Entwicklungen. In Europa, nicht nur in Deutschland, haben wir einen beispiellosen Mittelstand, viele innovative kleinere Firmen. Wir kennen Lieferanten und Universitäten, die sich mit Produktionslogistik oder Produktionssoftware intensiv beschäftigen. Vernetzung ist heute in Europa noch stärker
INTERVIEW
HARALD KRÜGER
2013198
2004157
FABRIKENWELTWEITES NETZWERK DER WERTSCHÖPFUNGZAHL DER PRODUKTIONS STANDORTE
DEUTSCHLAND REST DER WELT
ABSATZMEHR KÄUFER IN SCHWEL LENMÄRK TEN
PREMIUM FÜR ALLEVolles Programm: Modelle wie i3, Mini Countryman und BMW X6 sprechen neue Käuferschichten an.
MODELLEDIE NEUE VIELFALT IM PRODUKTSORTIMENT
BMW 23
Rolls Royce4
Mini7 2013
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BMW 14
Rolls Royce1Mini
2
2004
17
2013 1,97 Mio.2004 1,21 Mio.
DIE LOGIK DES BMW-ERFOLGSGLOBALE FERTIGUNG, MEHR MODELLE, BREITERER ABSATZ
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BMW Group
31THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
INTERVIEW
HARALD KRÜGER
ausgeprägt. Ich meine die von Forschung, Vorentwicklung, Produktion und Industrie – nicht um Dienst leis tungen zu entwickeln, sondern reale Industrieprodukte. Ich schließe aber nicht aus, dass sich das in den USA ähnlich gut entwickeln könnte.Welche Rolle spielen solche Erwägungen für BMW als ein globales Unternehmen, das nur historisch seinen Sitz in Mün-chen hat? Uns treibt die Strategie einer global ausgewogenen Absatzverteilung. Produktion folgt dem Markt. Wir müssen also in allen Märkten eine erfolgreiche Produktion haben. Dazu gehören Mitarbeiter, die die richtigen Kompetenzen besitzen, und Partner und Lieferanten, die im Netzwerk mit uns agieren. Vor 20 Jahren, als wir Spartanburg auf und ausgebaut haben, sind uns viele Lieferanten gefolgt, um ihre erste Dependance in Amerika zu eröffnen. Die Internationalisierung der Märkte führt zu einer Internationalisierung der Lieferantenstruktur. Wir bemühen uns in den USA genauso wie in Deutschland oder China um ein Optimum an Qualität, Effizienz und Geschwindigkeit. Den kollaborativen Roboter – als Beispiel – haben wir in Spartanburg als Erstes eingesetzt. Zuvor hatten wir ihn in Deutschland in der Forschung und Vorentwicklung. So wird sich das auch im Netzwerk entwickeln. Steht die Wiege solcher Themen heute noch in der Zentrale? Natürlich haben wir
in Deutschland viele gute Fachkräfte. Aber wir sind in der Forschung global aufgestellt. Wir haben seit mehr als zehn Jah ren ein Technology Office für Entwicklung und Produktion in Kalifornien. Wir ha ben auch eines in Japan. Von dort und anderen Stellen im weltweiten Netzwerk kriegen wir Impulse, auch für Trendscouting oder für Produktionsumfänge. Innovation findet heute nicht nur an einem Standort statt.Wo sehen Sie Ihre internationalen Wett-bewerber bei Industrie 4.0.? Ich glaube, dass hier Europa führend ist. Das sagt mir meine Einschätzung von Deutschland und den europäischen Netzen. Dabei sollten wir nicht nur auf die OEMs schauen, sondern auch auf das ausgeprägte europäische Lieferantennetzwerk. Stichwort industrielle Kompetenz. Kann es insbesondere Deutschland gelingen, durch intelligente Technologien einen größeren Anteil an der Wertschöpfung zu erhalten? Ich glaube, dass Deutschland eine Chance hat, eine führende Rolle mit Industrie 4.0 zu spielen. Die Argumente haben wir genannt. Es gibt außerdem eine starke Anlagenindustrie. Deutschland beschäftigt sich intensiv mit dem Thema. Die BMW Group hat sich unter anderem auch über acatech an den Umsetzungsempfehlungen Industrie 4.0 für die Bundesregierung beteiligt. Wir dürfen aber auch nicht globale Entwicklungen unterschät
zen. Es geht im Wettbewerb der Standorte auch um Geschwindigkeit. Das klingt alles sehr harmonisch. Wo bleibt denn da der Wettbewerb? BMW muss sich doch auch behaupten und nicht nur vernetzen! Den Wettbewerb haben Sie immer, jeden Tag aufs Neue. Wenn wir eine Chance sehen, in der Industrie 4.0 einen spezifischen Wettbewerbsvorteil zu gewinnen, dann werden wir diese Chance auch nutzen. Es gibt aber eine zweite Ebene, die in der Vernetzung liegt. Wenn Sie die Chance im Standard sehen, dann brauchen Sie einen Konsens. Deshalb wird es beide Dimensionen geben.Wo stehen Sie im Moment im Vergleich zu anderen Unternehmen? Ich glaube, dass wir als BMW Group nicht so schlecht unterwegs sind, aber die Transparenz des Marktes entsteht ja erst. Gegenwärtig hat das Thema Industrie 4.0 in den Unternehmen eine ganz unterschiedliche Relevanz, von "ganz wichtig" bis zu "für uns ändert sich gar nichts". Siemens sieht sich selber bei Industrie 3.8. Was gilt für Sie? Wir geben dem keine Namen. Das würde auch dem Gedanken einer permanenten Verbesserung widersprechen. Für uns ist es ein wichtiges Thema, mit dem wir uns intensiv beschäftigen. Wir stehen erst am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung. Aber das ist auch das Spannende.
Im Gespräch mit BMWVorstand Harald Krüger: Roland Berger Partner Jochen Gleisberg (l.) und Philipp Grosse Kleimann
HARALD KRÜGER1965 in Freiburg geboren, Studium in Braunschweig und Aachen, Abschluss 1991 an der RWTH als Dipl.Ing. Maschinenbau.
1992 Eintritt in die BMW AG als Trainee Technische Planung/Produktion. 1993 Projektingenieur im Werksaufbau Spartanburg (USA), seit 1997 verschiedene Leitungsfunktionen in München und Großbritannien.
Am 1. Dezember 2008 zum Vorstandsmitglied avanciert, zunächst zuständig für "Personal und Sozialwesen", dann für die Marken MINI, BMW Motorrad, RollsRoyce sowie Aftersales. Seit 1. April 2013 im Vorstand verantwortlich für die Produktion der BMW Group.
Wer bei BMW in relativ jungen Jahren das Produk tionsressort führt, galt bisher als Kandidat für höhere Aufgaben. Es war auch Norbert Reithofers letztes Ressort, bevor er 2006 Konzernchef wurde.
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32 THINK ACT // COO INSIGHTSINSDUSTRIE 4.0
| WETTLAUF DER REGIONEN |
Startnachteil für EuropaAnteile am weltweiten ITK-Markt
(2013)2
USA 27,1%
EU 21,3%
BRIC 18,7%
Die vierte industrielle Revolution beginnt, ihr Potenzial zu entfalten. Was ist für Unternehmen und Volkswirtschaften drin und wer wird zu den Gewinnern zählen?
| DIGITALES UNIVERSUM |
62% des weltweiten
Datenaufkommens werden im Jahr 2020 aus
China und Indien stammen. 3
Jährliches Wachstum bis 2020: knapp 6%
| WACHSTUMSMOTOR |
Industrie 4.0 überflügelt Weltwirtschaft
1
Jährliches Wachstum bis 2020: 2,5%
GLOBALES BIP:82 Billionen USD
GLOBALE INDUSTRIE 4.0: 13,1 Billionen USD
KENNZAHLEN
33
52%
45%
34%
| MARKTANALYSE |
| RESSOURCENSCHONUNG|
30 MRD. USD LASSEN SICH IN DEN KOMMENDEN
15 JAHREN SPAREN, WENN ES GELINGT, DURCH EINSATZ VON
INDUSTRIE-4.0-TECHNOLOGIEN DEN VERBRAUCH VON FLUGBENZIN
UM 1% ZU SENKEN.5
| PRODUKTIVITÄTSSTEIGERUNG |
78 Mrd. EUR an zusätzlicher Bruttowertschöpfung
(oder 23% mehr Produktivität) sind in sechs deutschen Branchen bis 2025 möglich. Vor allem Maschinen-
und Anlagenbau, Elektrotechnik und Chemie, aber auch ITK, Auto-
industrie und Landwirtschaft sollen von Industrie 4.0 profitieren.
4
| CEO AGENDA |
Im Topmanagement angekommenUmfrage: "Wer beschäftigt sich in
Ihrem Unternehmen mit Industrie 4.0?"6
Noch überwiegt das AngebotUmfrage: "Wie intensiv setzen Sie
sich mit Industrie 4.0 auseinander?"7
| GOVERNANCE |
41% DER UNTERNEHMEN HABEN
NOCH KEINEN GESAMT-VERANTWORT LICHEN FÜR
DAS THEMA INDUSTRIE 4.0 BENANNT.
6
ProduktionGeschäfts- führungIT
Maschinenbauer Anlagenbetreiber
GAR NICHTSPORADISCHINTENSIV
15%
4%
31%
17%
26%
54%
QUELLEN1 Wikibon; Roland Berger 2 Bitkom/EITO ICT Market Report 2014/15
3 IDC Study "Digital Universe", 2012 4 Bitkom/Fraunhofer IAO, "Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland", 2014 5 GE Report
"Industrial Internet", 2012 6 Experton, Anwenderstudie "Industrie 4.0" unter dt. ITK-Entscheidungsträgern, 2014 7 IDC, "Industrie 4.0 in Deutschland",
Befragung dt. Manufacturing-Unternehmen >100 MA, 2014
34
Additive Manufacturing, besser bekannt als 3D-DRUCK, beflügelt die Fantasie wie kein anderes Fertigungsverfahren. Die interessantesten Geschäfts modelle ent stehen nicht in der Massen produk- tion, sondern in dynamischen Nischen.
2013 war der Hype groß, in den Medien und an den Börsen in New York oder Frank furt. Seitdem sind die Erwartungen an die Hersteller von 3D-Druckern verhal-ten seriös geworden, Aktienkurse bewe-gen sich bestenfalls seitwärts. Zwar spre-chen Prognosen davon, dass sich der Markt innerhalb der kommenden zehn Jahre vervierfacht – auf 8 Milliarden Euro Umsatz mit Anlagen, Materialien und der Herstellung von Bauteilen. Das bedeutet rasantes Wachs tum auf schmalem Grund: 3D- Druckmaschinen repräsentieren we-niger als 1,5% des Werkzeugmaschinen-markts. Doch selbst wenn die optimisti-schen Vorhersagen eintreffen, werden die Maschinen mittel- bis langfristig keine bestehenden Fer tigungstechnologien nachhaltig ersetzen.
Es ist nicht der Massenmarkt für Me-tall- oder Kunststoffteile, der vielverspre-chend ist. 3D-Druck – Fertigungstechniker sprechen von generativer oder additiver Fertigung (Additive Manufacturing) – bietet
Ctrl.P
signifikante Vorteile für Klein(st)serien und erschließt neue Geschäftsmodelle.
Sie leiten sich aus drei disruptiven Pfaden ab, die Einfluss auf Fertigungsin-dustrie und B2B- bzw. B2C-Geschäftsmo-delle haben werden: schnelle und kosten-günstige Fertigung individueller Produkte; dazu neue Geometrien, Werkstoffe und Verfahren; schließlich eine Dezentralisie-rung der Produktion.
DIGITALE GESTALTUNG (FAST) OHNE GRENZEN
Gegenüber konventionellen Verfahren bietet Additive Manufacturing eine Reihe von Vorteilen: Die direkte Umsetzung der CAD-Daten in ein Bauteil führt zu extrem kurzen Prozessketten. Die Dezentralisie-rung der Produktion ist mit re lativ gerin-gerem Investitionsaufwand möglich.
Die Bauteilkosten sind unabhängig von der Losgröße, was die Fertigung hoch-spezialisierter Kleinserien und Prototypen
begünstigt. Gleichzeitig sind die Kosten nicht von der geometrischen Komplexität abhängig, sondern werden nur durch das Bauteilgewicht bestimmt. Beinahe unbe-grenzte digitale Gestaltungsmöglichkeiten erlauben neue Geometrien in hochfesten Werkstoffen, die mit konventionellen Ver-fahren bisher nicht zu fertigen sind. So werden neue Bauteilfunktionen realisiert, die die Lebenszykluskosten weiter reduzie-ren. Neue Reparaturstrategien für wertvol-le Bauteile sparen Zeit und Geld. Zudem steigt die Ressourceneffizienz: Bei der Pro-duktion wird nur genauso viel Rohmaterial verbraucht, wie es dem Endgewicht des Bauteils entspricht.
Dennoch haben wir es bei der additi-ven Fertigung nicht nur mit Vorteilen zu tun. Wenn die Kosten unabhängig von der Losgröße sind, bedeutet das Fluch und Segen zugleich.
Würden Bauteile, die heute in mittle-ren und großen Serien gefertigt werden, eins zu eins im 3D-Druck hergestellt, lägen
THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
35
die Kosten um den Faktor 10 bis 50 höher. Selbst wenn diese Kosten bald deutlich fallen werden, lässt sich der Nachteil nicht ausgleichen. Der Grund: Beim 3D-Druck treten keine Skaleneffekte auf. Das erste und das einhunderttausendste Bauteil kos ten dasselbe.
Für die Kleinserie oder den Prototy-penbau sind die Hebelverhältnisse an-ders: Das Verfahren kann über Nacht be-lastbare Prototypen bereitstellen, ohne dass komplexe Werkzeuge beschafft wer-den müssen. Die Folge sind um Monate kürzere Entwicklungs- und Testzyklen in kom plexen industriellen Entwicklungs-programmen. Für hochgradig individu-alisierte Produkte wie Zahnkronen, medi-zini sche Im plantate oder auch Design er-schmuck ist das Verfahren bereits etabliert und wettbewerbsfähig.
Wo keine Werkzeuge nötig sind, wird industrielle Fertigung "on demand" mög-lich, bei Bedarf auch ausgelagert an Part-ner. Die 3D-Drucker für metallische Bau-
Anwendungsfall Medizintechnik: Das Modell zeigt, wie exakt das 3D-Implantat auf das Loch im Schädel passt - ein Musterbeispiel für hochgradige Individualisierung.
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Beim Additive Manufacturing werden dreidimensio-nale Bauteile schichtweise (additiv) aufgebaut, oft heißt es: "gedruckt". Plastik, Keramik, Glas, Sand oder Metalle werden auf Basis der 3D-Daten des Bauteils verarbeitet, die der Entwickler in einer CAD- Umgebung erzeugt. Prozesse zwischen Entwurf und Fertigung werden flexibler, effizienter, günstiger – ein Paradebeispiel für die digitale Transformation in der Industrie 4.0.
Airbus zum Beispiel verbaut im A350 XWB bioni sche Klammern ("Cabin Brackets") aus Titanpulver 1 : 30% leichter als ihre Vorläufer, mit 90% weniger Ab fall an Rohmaterial. So sinken Herstellungs- und Betriebskosten.
General Electric "druckt" Einspritzdüsen aus Ko-balt- Chrom für Flugzeugturbinen 2 .
Auch im Rennsport zählt jedes Gramm: Das teil-weise hohle Achsschenkelgelenk von EOS 3 aus Aluminiumpulver ist um 35% leichter und 20% ver-windungssteifer.
teile kosten zwischen 400 und 1,5 Milli o-nen Euro – je nach Anspruch an Qualität, Bauraum und Leistung ("Build Rate"). Pro-fessionelle Systeme für Kunststoff starten bei einigen zehntausend Euro und gehen bis hoch in den sechsstelligen Bereich. Die Qualität dieser professionellen Systeme ist dem "Home-Printer" für einige hundert Euro deutlich überlegen. Im B2B-Bereich ist eine hochspezialisierte Infrastruktur an Dienstleistern entstanden, die sowohl die Bauteiloptimierung vornimmt als auch die eigentliche Fertigung. Internetplattformen wie Shapeways oder Materialise bedienen auch den B2C- Bereich.
Der Einsatz von Additive Manufactu-ring wird insbesondere dann wirtschaftlich interessant, wenn sich Produktkosten über den gesamten Lebenszyklus hinweg sen-ken lassen. Das können geringere Repara-turkosten sein. Siemens zum Beispiel fräst
verschlissene Gasturbinenbrenner ab und baut sie additiv wieder auf. Flugzeuge oder Sport- und Rennfahrzeuge profitieren von geringerem Treibstoffverbrauch durch ge-ringeres Gewicht oder eine effizientere Ver-brennung. Und General Electric hat Ein-spritzdüsen für den Einsatz im Flugzeug weiterentwickelt.
KURZE ZYKLEN FÜR KREATIVE IDEEN
Kunden rechnen Fertigungskosten gegen den wesentlich größeren Hebel der Treib-stoffersparnis im Produktlebenszyklus. Es ist nicht verwunderlich, dass alle gro-ßen Luftfahrtkonzerne an Komponenten aus dem 3D-Druck arbeiten, darunter ef-
fiziente Turbinen mit neuen Strömungsei-genschaften und optimierter Verbren-nung. Erste Serien werden 2015 erwartet.
Auch die Entwicklungsabteilungen wer den ihren Arbeitsstil der neuen Tech-nologie anpassen müssen. Entwicklungs-zeitpläne schrumpfen von Monaten auf Tage. Kreative Ideen können in kurzen Zy-klen umgesetzt werden. Software als un-terstützendes Werkzeug in Entwicklung und Fertigung sowie als Teil des Produkts gewinnt noch mehr an Bedeutung. Füh-rende deutsche Fertigungsunternehmen schauen sich daher an, wie Software- giganten ihr Vorgehen bei der Entwicklung kreativ und agil steuern und Komplexität der Prozesse verringern: empirisch, in- krementell, iterativ ("Scrum").
Neue Entwicklungen sind denkbar: komplexe Großstrukturen (Flugzeugflügel), Materialkombinationen (Metall/Kunst-stoff) oder die Kombination von Additive Manufacturing mit spanenden Maschinen (Drehen, Fräsen, Bohren). In der Produkti-on bedeutet dies den nächsten Schritt der digitalen Transformation. Doch als in-dustrialisierte Nischentechnologie wird Additive Manufacturing traditionelle Ver-fahren nicht verdrängen.
LEICHTER, SCHNELLER, GÜNSTIGER
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AUFBRUCHOST
China will zu einem globalen Hightech-Lieferanten aufsteigen. Dafür treiben Regierung und Unternehmen die Umsetzung von Industrie-4.0-Konzepten voran. Ein ehrgeiziger Plan. Das Land
muss noch entscheidende Hürden meistern.
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der eigens einen Plan für intelligente Pro-duktion beinhaltete. Der Begriff Industrie 4.0 taucht darin zwar nicht explizit auf und zur ursprünglichen Definition von intelli-genter Produktion gehörte auch nicht die Kombination von Produktion und Internet. Doch die entwickelten Konzepte und Maß-nahmen zur intelligenten Produktion stim-men inzwischen weitgehend mit Ansätzen der Industrie 4.0 überein.
Nach dem Regierungsplan 2012 soll der Industrieumsatz Chinas mit durch-schnittlichen jährlichen Wachstumsraten von mehr als 25% steigen – was bedeutet, dass 2015 erstmals die Umsatz grenze 1 Billion Yuan erreicht werden soll. Für das Jahr 2020 wird dann ein Volumen von über 3 Billionen Yuan erwartet. Der Bereich der intelligenten Produktion soll dabei einer der Wachstumstreiber sein.
Bei realistischer Analyse des chine si-schen Industriestandorts zeigt sich gleich-wohl, dass Anspruch und Wirklichkeit noch auseinanderliegen. Aus makroökonomi-scher Perspektive sticht hervor, dass die verarbeitende Industrie trotz aller politi-schen und unternehmerischen An stren-gun gen der vergangenen Jahre beim Auf-bau und der Umsetzung techno logi schen Know-hows den Wettbewerbern in den westlichen Industriestaaten deutlich hin-terherhinkt.
Die meisten Hersteller in China konkur-rieren nach wie vor nur bei Produkten mit geringer Wert schöpfung, die niedrige Ge-winne abwerfen. So liegt beispielsweise der chinesische Marktanteil von High- End- und Spezialsensoren, intelligenten Instru-menten, automatischen sowie digitalen Regelungssystemen und Produkten der Robotik unter 5%. Die meisten Unterneh-men sind davon entfernt, sich als System-löser auf dem globalen Markt zu be -haupten. Die Innovationsfähigkeit ist im Ver gleich zur westlichen Konkurrenz allen-falls mäßig ausgeprägt.
Aus mikroökonomischer Sicht be-finden sich die meisten Unternehmen in China noch in einer Übergangsphase zwi-schen Industrie 2.0 (Fertigung ohne jede
Die Hannover Messe 2011 setzte ein Aufbruchsignal. Mit großem Interesse nahmen chinesische Unternehmen, Regierungsvertre-
ter und Industrieverbände neue Ansätze intelligenter Produktion in Augenschein: von führenden deutschen Unternehmen entwickelte Prototypen der Industrie 4.0.
Aus der Neugier wurde schnell eine Vision. Chinesische Branchenexperten berichten, dass Industrie 4.0 seitdem als Chance begriffen wird, die heimische Industrie in der Breite auf ein neues techni-sches Niveau zu heben – hin zu digitalen, intelligenten, internetbasierten Geschäfts-modellen und Produktionsverfahren.
DER MENSCH TRITT IN DEN HINTERGRUND
Dafür muss das Land allerdings einen großen technischen Sprung nach vorne machen. Für die heimischen Experten übersetzt sich die Zeitenwende so: Die Produktion werde sich vom bewährten Modell "Der Mensch analysiert und ent-scheidet – die Maschine fertigt" zum Orga-nisationsprinzip "Die Maschine analysiert, entscheidet – und fertigt" verschieben.
Der Mensch, so das chinesische Kal-kül, tritt bei der intelligenten Pro duk tion sehr deutlich in den Hintergrund. Damit folgt das Land einer eigenen Inter preta-tion von Industrie 4.0. In Europa gehen Experten hingegen davon aus, dass auch in der neuen Welt digitaler und vernetzter Produktion Facharbeiter unerlässlich sein werden. Entsprechend hat auf dem alten Kontinent bereits eine Debatte über Bildungs- und Qualifizierungsnot wendig-keiten für Industrie-4.0-Unternehmen begonnen. Es wird sich zeigen, wer die Ent wicklungen besser antizipiert.
So oder so: Chinesische Industrieun-ternehmen können sich breitester staat-licher Unterstützung sicher sein. Bereits 2012 veröffentlichte das chinesische Mi-nisterium für Industrie und Informations-technologie den "12. Fünfjahresplan für das High-End Equipment Manufacturing",
Nut zung digitaler Technologie) und Indus-trie 3.0 (Fertigung mit digitalen Basis-tech no logien). Deutlich wird der Kompe-tenzrückstand auch an der mangelnden internen Informationstransparenz oder der unvollständigen Konzeption von Infor-mationssystemen. Substanzielle Refor-men des Geschäftsprozessmanagements sind immer noch lückenhaft. Dazu ge-hören die fehlende Übereinstimmung zwi-schen Standards und tatsächlichen Pro-zessen sowie die starke Abhängigkeit einiger industrieller Abläufe von indivi-duellen Ver haltensweisen. Selbst in Un-terneh men, die den Übergang zu Infor-mations technologien mit umfassender Ver netzung vollständig abgeschlossen haben, ist das Datenmanagement noch wenig befriedigend. Etliche chinesische Unternehmen versäumen es bisher, bei-spielsweise Data Mining als Hebel für eine intelligente Produktion einzusetzen.
EINE 4.0-BASIS IN DREI SCHRITTEN
Um in den Unternehmen rasch eine solide Basis für den Ausbau in Richtung Indus trie 4.0 zu schaffen, empfiehlt Roland Berger Strategy Consultants eine Roadmap mit drei Schritten:
Die erste Aufgabe besteht darin, die industrielle Basis und die Kapazitäten in Forschung und Entwicklung zu optimie-ren, Qualitätskontrollen auszubauen und die Mitarbeiterfortbildung zu forcieren. Gleichzeitig müssen die Glaubwürdigkeit und das Markenbewusstsein für die eigenen Produkte erhöht werden. Wenn die Unternehmen den technologischen Abstand zu westlichen Konkurrenten ver-ringern wollen, müssen sie eine neue Agi-lität entwickeln – mit dem Ziel, durch Produkt- und Prozessinnovationen über-proportional zu wachsen.
Zweitens müssen führende Hersteller ermutigt werden, die Entwicklung von Industrie 4.0 vor allem in Sektoren zu prü-fen, in denen sie international wettbe-werbsfähig sind – etwa bei Komponenten
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und Anlagen zur Energieerzeugung, -über-tragung und -verteilung. Die Marktaus-sichten sind auch im Bergbau oder bei landwirtschaftlichen Maschinen vielver-sprechend.
Herzstück der Industrie 4.0 ist und bleibt jedoch die verarbeitende Industrie. Sie treibt die Entwicklung zu einer umfas-senden Digitalisierung der Produktion. Weltweit führende Unternehmen nutzen das Konzept Industrie 4.0 bereits für Fern-diagnosen, vorausschauende Instand-haltung und andere intelligente Prozesse, Produkte und Dienstleistungen, die auf dem chinesischen Markt an Boden gewin-nen. Dies sollte ein Orientierungsmaßstab für die heimischen Firmen sein.
Chinesische Unternehmen, die kon-sequent und mutig auf Industrie 4.0 setzen, feiern erste Erfolge. Dazu gehört die auf digitale Überwachungstechnik spezialisierte Daquan Group, die mit fern gesteuerten Transformatoren von sich reden macht. Oder die Shengyang Machine Tool Group, die 2014 die Mas-senproduktion einer neuen Generation intelligenter und Cloud-basierter Werk-zeugmaschinen gestartet hat.
Drittens sollten Regierungen, Ver-bände, Hochschulen, Forschungseinrich-tungen und andere Stakeholder mehr marktorientierte Grundsätze befolgen. Dazu könnte gehören:
Die chinesische Regierung treibt die Entwicklung von Industriestandards voran. Flankierend setzt sie zum Beispiel steuerliche Anreize zur Modernisierung der Industrie, ohne dabei den Wettbe-werb zu verzerren.
Industrieverbände unterstützen Un- ternehmen durch Fortbildungen und för-dern den Austausch über die Umset zung von Industrie 4.0 zwischen den Branchen.
Hochschulen und Forschungseinrich-tungen arbeiten enger als bisher zusam-men, um zu neuen, intelligenten Indust-rie-4.0-Lösungen zu kommen.
Gefragt ist nichts weniger als ein kul-tureller Wandel der gesamten Industrie. China steht vor einem Kraftakt.
China beginnt, sich auf Industrie 4.0 einzustellen, Industrieländer in Europa sind oft schon weiter. Der Roland Berger "Industrie 4.0 Readiness Index" (auf der vertikalen Achse) zeigt ein differenziertes Bild. Einerseits haben wir den Entwicklungsgrad der Produktionspro-zesse und der Automation, den Ausbildungsstand der Mitarbeiter und die Innovationsintensität als "industrielle Exzellenz" gebündelt. Ande-rerseits wurden Wertschöpfung, Offenheit der Industrie, Innovations-netzwerke und Internetreife zusammengefasst. Aus der kombinierten Bewertung der einzelnen Punkte bestimmt sich die Position eines Landes im "RB 4.0 Readiness Index": von den Zögerlichen über die Traditionalisten und Leistungsbereiten bis zu den Spitzenreitern.
EUROPA IM 4.0-VERGLEICH
MITTEN IM KRAFTAKTVier Länder liegen vorne – China hält (noch) nicht mit.
Industrieanteil (% des BIP)
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3
4
5
2 3 4 5
RB Industry 4.0 Readiness Index
Germany
Belgium
Netherlands
UK
France
Denmark Ireland
Czech Republic
SlovakiaSlovenia
Hungary
Lithuania
China
Italy
Spain
Estonia
PortugalPoland
Croatia
Bulgaria
Austria
Sweden
Finland
LEISTUNGSBEREITE
ZÖGERLICHE
SPITZENREITER
TRADITIONALISTEN
40 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
NETZ-
KRIMINALITÄT
Die unsicht-
bareGefahr
41THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
Spätestens seitdem im Jahr 2010 der Stuxnet-Wurm ein Produk-tionsautomatisierungssystem in einer iranischen Nukleareinrich-
tung angriff, haben klassische Wert schöp-fungsketten ihre "Cyberunschuld" verlo ren – unsere Thesen dazu.
ANGRIFF AUF DIE UNTER- NEHMENSSICHERHEIT
Drei Entwicklungen haben die aktuelle De batte um Datensicherheit ausgelöst.
Erstens durchdringt die klassische IT immer stärker alle Geschäftsprozesse.
Treiber dieser Entwicklung sind die zuneh-mende Virtualisierung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen, die elektroni-sche Interaktion in Netzwerken mit Liefe-ranten und Kunden sowie die Consume ri-za tion der IT, also die Orientierung an Nut zungsgewohnheiten aus der privaten Smartphone- und Tablet-Welt.
Zweitens ist das öffentliche Bewusst-sein für Schwachstellen gewachsen. In einer Studie von Roland Berger und SAP über Erfolgsfaktoren für Cloud-Dienste in Europa aus dem Jahr 2010 haben wir sol-che Probleme analysiert. Nach und nach werden sich Manager auch außerhalb der
IT-Community dieser Gefahren bewusst: durch die Enthüllungen von Edward Snowden, durch die Debatte um gestoh-lenes geistiges Eigentum im Rahmen von Industriespionage oder durch die Rolle des Internets in der Geopolitik, etwa wäh-rend der Ukraine-Krise oder im "Arabi-schen Frühling". So unterschiedlich diese Beispiele auch sind – rund um den Glo-bus haben Entscheider das Thema Da-tensicherheit auf ihre Agenda gesetzt.
Drittens haben sich zahlreiche inter-netbasierte digitale Geschäftsmodelle etabliert, etwa um das vernetzte Fahrzeug, E-Commerce, E-Health, E-Energy oder In-
Spektakuläre
Sicherheitslücken lassen
die tägliche Bedro-
hung aus dem Cyberspace
als neue Normalität
erscheinen. Die meisten
Fälle bleiben im Dunkeln.
Unternehmen können
sich schützen.
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42 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
dustrie 4.0. Während klassisches Sicher-heitsmanagement für kommerzielle IT als ausgereifte Disziplin gilt, werfen diese di gi-talen Geschäftsmodelle neue Fragen auf: Ist die Entwicklung eines vernetzten Fahr-zeugs hinreichend darauf ausgerichtet, dass unbefugter elektronischer Zugriff aus-geschlossen werden kann? Sorgen Her-steller von Flugzeugen, Kraftwerken oder Fertigungsstraßen ausreichend dafür, dass auch die Embedded-Software-Komponen-ten von Drittfirmen unbedenklich sind? Ist das wichtigste geistige Unternehmens-eigen tum sicher?
TOPMANAGEMENT MUSS REAGIEREN
Für neue digitale Geschäftsfelder fehlen oft noch klare Sicherheitsrichtlinien, Organi-sationsprinzipien und Managementtools.
Um ein hohes Maß an Sicherheit in der Or ga nisation zu institutionalisieren, müs-sen Unternehmen drei Schritte gehen. Zunächst müssen sie Transparenz über Be drohungen und Schwachstellen in der Wertschöpfungskette schaffen. Wir emp-fehlen, die Risiken aus zwei Perspektiven zu erfassen: zum einen entlang einer end- to-end-Prozessperspektive, zum anderen mit Blick auf alle wichtigen Aktiva des Unternehmens, darunter geistiges Eigen-tum, proprietäres Prozesswissen, physi-sche und digitale Produkte sowie deren wesentliche Komponenten.
Außerdem müssen Unternehmen auf Basis der Transparenzanalyse Handlungs-felder priorisieren. Hierbei geht es vor al-lem darum, schnelle erste Lösungen für dringliche "weiße Flecken" zu entwickeln. Dazu müssen Sicherheitssysteme definiert oder angepasst werden. Drittens müssen
umfassende und dauerhaft tragfähige Systeme, Prozesse und Verantwortlichkei-ten bestimmt werden. Dabei sind Manage-mentsysteme zur Datensicherheit für die noch nicht geschützten Bereiche und Akti-va aufzubauen oder anzupassen.
WENIGER STÖRFÄLLE, MEHR RENDITE
Ein Business Case für Sicherheit ist kom-plex. Einige der Bedrohungen sind zwar ver gleichsweise einfach zu quantifizieren, etwa wenn es um Produktionsausfälle geht. Bei anderen ist das deutlich schwie-riger, darunter – an oberster Stelle – der Verlust von Menschenleben, etwa durch Produktfehler. Aber auch Schäden an der Reputation oder dem Markenwert sind schwer zu fassen. Es gibt viele gesetzli-che und regulatorische Compliance-Anfor-derungen vor allem für Unternehmens-führer und Verwaltungsorgane. Deshalb ist eine gute Balance zwischen robuster quantitativer Analyse und qualitativem Managementurteil über Risiken und de-ren Auswirkungen notwendig. Ein Busi-ness Case für Investitionen in Datensich-erheit ist schwer zu berechnen, aber er zahlt sich aus. Die wahre Rendite ent-steht durch die Minimierung von relevan-ten Störfällen.
EINFACHE REGELN HELFEN
Es gibt einfache Regeln und Ratschläge für Unternehmen und ihre Mitarbeiter, die einen großen Unterschied in der Da ten sicherheit des Unternehmens be-deuten: Übersteuern Sie Ihre Regeln und Verfahren nicht. Lassen Sie eine ausgewogene Flexibilität zwischen den Bedürfnissen des operativen Geschäfts und Anforderungen an Datensicherheit zu. Schließlich muss Ihr Unternehmen auch bei möglichen Bedrohungen noch schnell und flexibel in seinen Märkten agieren können. Mehr Sicherheit darf nicht weniger Agilität bedeuten.
1Analysieren Sie, wo und wie sehr Sie
GEFAHREN ausgesetzt sind.
2Schaffen Sie ein BEWUSSTSEIN
für Sicherheit.
3Bauen Sie Sicherheitssysteme und Prozesse mit
klaren VERANT WORTLICHKEITEN auf.
4Überprüfen Sie die COMPLIANCE Ihres Unter-
nehmens, sowohl intern als auch in der Zusammenarbeit mit Ihren Lieferanten.
5Verändern Sie die DENKWEISE Ihrer Organi-
sation hin zu einer Philosophie, die Sicherheit schon ins Produktdesign integriert.
6Führen Sie durch VORBILD.
NETZ-
KRIMINALITÄT
CHECKLISTE DATENSICHERHEIT
43THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
Monsieur Botti, Industrie 4.0 bedeutet immer mehr Schnittstellen nach außen. Das bringt Gefahren für die Sicherheit. Wie geht die Airbus Group damit um? Sicher heit ist ein über aus wichtiger, kri ti-scher Faktor, der für uns an erster Stelle steht. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir einge stehen, dass es die totale Sicher-heit nie geben wird. Weder unsere Produk-tion noch die unserer Wettbewerber wer-
den jemals zu 100% sicher sein. Jeder muss sich selbst überlegen, welchen Preis er da für zahlen will. Unsere Strategie be-steht darin, die Kron juwelen zu identifizie-ren und Priori täten zu setzen. So haben wir die Si tu ation bereits erheblich verbessert und das Risiko begrenzt. Wie gelingt es Ihnen, sich auf die Be dro-hungen einzustellen? Innerhalb des Un-ter nehmens führen harmonisierte Verfah-
INTERVIEW
JEAN BOTTI
"Die Angriffs-
flächeist
größer geworden"
ren, Methoden und Tools zu mehr Effizienz und Sicherheit in der Flugzeugentwicklung und -produktion. Aber auch der Daten aus-tausch mit unseren Dienstleistern im "Extended Enterprise" muss höchsten Sicher heits anforderungen genügen. Das heißt? Die ersten Fragen lauten: Wie wer den Daten ausgetauscht? Wie werden sie geschützt? Um diese Fragen zu be ant-worten, hat sich die Airbus Group 2008
JEAN BOTTI,
Technologievorstand
(CTO) der Airbus Group,
wappnet sich gegen
Sicherheitsbedrohungen
auch mit Hilfe der
Hackerszene.
FOTO
: AIR
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UP
44 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
"Wir arbeiten
mit ethischen Hackern
zusammen. Das ist äußerst
hilfreich."
zum Schulterschluss mit anderen füh r-enden Konzernen entschlossen, nament-lich Thales, Dassault und Saf ran. Getauft wur de das Gemeinschaftsprojekt auf den Namen "Boost AeroSpace". Worum ging es bei diesem Projekt? Haupt ziel war die Einrichtung eines siche-ren digitalen Knotenpunkts, an dem Da ten über Beschaffung und Engineering aus-getauscht werden können. Das be schleu-nigt die Einführung elektronischer Pro- zes se und Tools, vom OEM bis hin zu un -seren Zulieferern, bei denen es sich größ-tenteils um KMUs handelt. Auch wei tere Unternehmen wie Liebherr Aviation haben sich diesem Knotenpunkt ange schlos sen.Einer aktuellen Studie zufolge gibt es jede Woche über 120 erfolgreiche Cyber- angriffe auf Unternehmen. Wie hoch ist die Zahl bei der Airbus Group? Dazu äußern wir uns nicht. Aber kein gro ßes Un ternehmen wird ernsthaft behaup ten,
dass es von derartigen Bedrohungen bis-lang verschont geblieben ist – außer, sie wurden nicht erkannt. Und wie schützen Sie sich davor? Vor einem Jahr haben wir einen Ausschuss für Computer- und Netzsicherheit einge rich-tet. Er soll unter meiner Leitung unsere In teressen – d.h. unsere Informationen und Produkte – so gut wie möglich schüt-zen. In diesem Gremium sind alle wichti-gen Stakeholder vertreten. Daneben gibt es die Beauftragten für Datensicherheit bei "Airbus Defense and Space". Bislang war das ein reines IT-Thema. Inzwischen geht es aber weit darüber hinaus und zählt zu den acht wichtigsten Zielen unseres Unternehmens für 2014. Wir haben ein klar definiertes Budget für den Be reich Sicherheit eingestellt.Wie viel geben Sie jedes Jahr für Sicher-heit aus? Glauben Sie mir, es ist ein statt licher Betrag. Und er ist absolut not-wendig. Die Airbus Group ist ein europäisches Unternehmen mit vielen Stakeholdern. Wie gehen Sie das Sicherheitsproblem auf internationaler Ebene an? Offen ge-sagt, ist es kaum möglich, es jedem recht zu machen. In den USA braucht man sich nur mit einer Regierung auseinander-zusetzen. In Europa ist die Sache etwas komplizierter: Da gibt es Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Und jede Regierung hat ihre eigene Agen-da. Folglich fehlt eine einheitliche Struktur für den Schutz unserer Daten. Wir müs-sen ständig auf unterschiedliche Anfor de-r ungen verschiedener Länder reagieren. Glauben Sie, dass Datensicherheit eher durch Regulierung oder durch konkrete Bedrohungen gefördert wird? Beide Faktoren treiben sie voran. Wir können na-türlich die Wünsche unserer Regierungen nicht ignorieren. Behörden formulieren ganz spezielle Anforderungen – insbeson-dere Frankreich beim Thema Verteidigung. Wir müssen sensible Antworten auf ihre Fragen finden. Gleichzeitig müssen wir tag-ein, tagaus mit konkreten Bedrohungen fertig werden. Die Regulierung macht das
Ganze noch komplizierter. Aber wir haben eine klare Strategie. Die Verknüpfung zwi-schen IT und Prozesssicherheit einerseits und Produktsicherheit andererseits ist für uns von entscheidender Bedeutung. Verändert das die Rolle Ihrer Zulieferer? Wir setzen auf enge Beziehungen. Alle Zu-lieferer von Software für Verkehrsflugzeuge verwenden inzwischen eine digitale Signa-tur und sind Teil unseres "Aircraft Security Management System", ganz gleich ob sie nur eine winzige Softwarekomponente oder ein anderes Bauteil für die Ausstat-tung unserer Flugzeuge liefern. Gibt es Unterschiede bei Ihren Liefer-anten in Sachen Sicherheitsbewusst-sein? Nicht alle Zulieferer sind wie Safran oder Rolls-Royce. Manchen fehlt das Geld, um eine lückenlose Sicherheit ihrer eigenen Systeme zu garantieren. Deshalb helfen wir KMU, sich selbst zu schützen, da dies letztlich in unserem eigenen In-ter esse liegt. Hacker suchen immer nach Schwachstellen. "BoostAeroSpace" bie-tet KMUs ein Maß an Sicherheit, das für uns im 4.0-Kontext unerlässlich ist.Ist die Bedrohung in den letzten Jahren gefährlicher oder einfach nur komplex-er geworden? Sie ist sowohl komplexer als auch bedrohlicher geworden, da die Hacker immer intelligenter, raffinierter und fort schrittlicher werden. Die Angriffs-fläche ist größer geworden und erfordert einen anderen Ansatz als früher.Wer bedroht Sie denn am meisten? Sie lesen doch auch Zeitung. Manche Unter-nehmen werden leichter Opfer von Pro-dukt piraterie und Cyberangriffen als an-dere. Bislang gab es immer wieder recht simple Angriffe von geringem Umfang. In zwischen sind die Bedrohungen von riesigem Ausmaß. Wir sprechen hier von einer fortgeschrittenen, andauernden Bedrohung von außen. Oft sind die An-griffe koordiniert, versteckt und kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Daher kann ich das nur schwer präzisieren. Es muss für Sie ein Schock gewesen sein, als der deutsche Sicherheits be-rater Hugo Teso demonstriert hat, wie
INTERVIEW
JEAN BOTTI
45THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
EIN CTO IM STRESSTEST
DER
SICHERHEITS-
ARCHITEKTJEAN BOTTI, geboren 1957, Master und
PhD in Maschinenbau, Toulouse/Paris, MBA in Michigan; Chief Technical Officer
der Airbus Group und Mitglied des Executive Committee seit 2006. Botti
arbeitete zuvor bei Renault, General Motors und dem Autozulieferer
Delphi in den USA und Frankreich.
DAS
NETZWERKDIE AIRBUS GROUP ist an mehr
als 170 Standorten weltweit aktiv, mit rund 140.000 Mitarbeitern und
Knotenpunkten für die Maschinenwartung auf fünf Kontinenten.
Airbus beschäftigt 35.000 Zulieferer allein auf seinen Heimatmärkten;
das Volumen externer Lieferab kommen von fast 40 Milliarden Euro ent
spricht zwei Dritteln der AirbusErlöse.
INTERVIEW
JEAN BOTTI
leicht man sich in das Kommunikations-system eines Flugzeugs hacken kann. Alles, was er dazu benötigte, waren ein Funksender und eine Software, die er bei Ebay erstanden hatte. Das war kein Schock. Was er gesagt hat, ist falsch. Aus mehreren Gründen. Er war zu keinem Zeit-punkt in der Lage, ein Flugzeug vollstän-dig unter seine Kontrolle zu bringen. Aber allein aufgrund der Tatsache, dass er ein intelligenter Hacker und ausgebildeter Pilot ist, war sein Szenario extrem glaub-würdig. Daher mussten wir reagieren.Und wie? Wir arbeiten seit mehr als zehn Jahren mit "ethischen Hackern" zusam-men. Das ist äußerst hilfreich. Das bei Airbus für die Sicherheit von Flugzeugen zuständige Team ist stets offen für Diskus-sionen über eventuelle Schwachstellen. Wir haben den Flugsicherheitsbehörden überzeugend bewiesen, dass alles in Ord-nung ist. Ich habe allen Grund, auf unsere Arbeit und unsere kompetenten Experten zu ver trauen. Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Die Bedrohungen verändern sich stän-dig. Wie erfahren Sie von neuen Sicher-heitslücken? Dazu nur ein Beispiel: Wir arbeiten mit technisch versierten jungen Menschen zusammen, die uns helfen, künftige Bedrohungen zu erkennen und vorwegzunehmen, statt einfach nur da-
rauf zu rea gieren. Aufgrund der langen Lebensdauer von Flugzeugen ist das be-sonders wichtig.Wie stellen Sie sicher, dass Sie immer ei nen Schritt voraus sind? Unsere Leute sind stark vernetzt, absolute Spezialisten und sie kennen die Hackerszene. Es ist ein kleines Universum. Viele Experten ar-beiten für uns. Die Hälfte ihrer Zeit arbei-ten sie an einem Produkt oder für eine Abteilung unseres Unternehmens. Die andere Hälfte verbringen sie mit dem Be-such wichtiger Veranstaltungen in den USA, Frankreich, Deutschland, Großbri-tannien und manchmal sogar in China. Das war eine wichtige Bedingung bei der Anwerbung. In der Regel suchen wir er-fahrene Spezialisten, nicht aber im Be-reich Daten sicherheit. Dort suchen wir nach jungen Menschen, da hier vor allem Kreativität gefragt ist.Stimmen Sie sich gegen kriminelle At-tac ken mit Wettbewerbern ab? Das ist nicht leicht. Wir ha ben versucht, einheit-liche Sicherheitsstandards zu vereinba-ren. Wir pflegen einen in ten si ven Aus-tausch mit unseren Wettbewerbern, vor allem im Bereich Flug zeug si cher heit. Airbus veranstaltet jedes Jahr ein "Air-craft Security User Panel", auf dem ver-schiedene Mitglieder der Branche zusam-menkommen. Auf diesem Forum werden künftige Bedrohungen, gängige Stan-dards, Erfahrungswerte, übliche Lö sun-gen diskutiert ... ganz ohne gegen die Konkurrenz zu mauern. Ferner nehmen wir an der US-Initiative "Aviation Informa-tion Sharing Working Group" teil, die den Ideen austausch zwischen Industrie und Regierungen zum Thema Datensicherheit fördern soll.Mit welchem Ergebnis? Wenn es ins Detail geht, halten sich viele Unternehmen bedeckt. Wir versuchen deshalb vorerst, unsere Probleme intern zu lösen. Mit Blick auf die Zukunft halte ich es für dringend erforderlich, dass wir alle noch enger zu-sammenarbeiten und uns gegenseitig zu unterstützen. Das müssen wir noch in un-serer Unternehmenskultur verankern.
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46 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
UNTERNEHMENSBEWERTUNG NACH DEM ROLAND BERGER REIFEMODELL ZUR INDUSTRIE 4.0 (generisches Schema)
INFRASTRUKTUR
PROZESSE
DATEN
ARBEITSMODELLE
Sensortechnologie
Flexibilität der Produktionsanlagen
Einsatz von Präzisionstechnologie
Produktionsdesign
Planung und Kontrolle
Logistik
Instandhaltung
Interne Datenintegration
Externe Schnittstellen
Flexible Belegschaft
Führungsmodelle
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EBENE 1Industrie 3.0, rudimentär digital
EBENE 2Anlagen- und Systemreife ohne Prinzipien der Industrie 4.0
EBENE 3Industrie 4.0 implementiert
INDIKATORBAUSTEINE
Was müssen Unternehmen tun, um Indus trie 4.0 anwenden zu können, damit sie Effizienz, Qualität und Geschwindigkeit stei gern? Wie können Manager das Potenzial ihres Unternehmens abrufen? Nach dem volkswirtschaftlichen Reife - in dex (Seite 39) bereitet Roland Berger Strategy Consultants nun eine Ana lyse für
Manager und Unternehmer vor. Die vier wichtigsten Bausteine sind Infrastruktur, Prozesse, Datenverkehr und Arbeits-modelle. Daraus leiten wir einen unter-nehmensindividuellen Reifeindex ab, der unterstreicht, dass alle Abteilungen des Unternehmens mitarbeiten müssen. Unsere Studie erscheint Anfang 2015.
| ROLAND BERGER INDEX |
IST IHR UNTERNEHMEN
REIF FÜR INDUSTRIE 4.0?
WERKSTATTCOO
47THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
Engineering- und Umsatz-Footprint westeuropäischer
Unternehmen
Mastering 2020: Wie Light Footprint Management auf die Welt der Ungewissheit vorbereitet.
Mit der steigenden Präsenz westeuropäi-scher Unternehmen in aller Welt wird die Frage drängender, wie lokale Kunden be-dürfnisse optimal erfasst werden. Typische Fehler beim Markteintritt sind: 1. Produktentwicklung für Schwellen-länder ist zu komplex angelegt2. Tauglichkeit der Produkte für den Mas senmarkt wird zu wenig beachtet
| ENGINEERING |
Mehr Effizienz, bitte!
Unternehmen müssen heute komplexe
stra tegische Entscheidungen unter
bei spiel los unsicheren Vorzeichen
treffen. Dazu gehören beispielsweise
der Trend zur Digitalisierung, wach
sende Unsicherheit über politische
Regu lierung, die Steuerung der
Schwellenmärkte oder die Notwen
digkeit organisatorischer Agilität.
Charles Edouard Bouée, CEO von
Roland Berger Strategy Consultants,
empfiehlt eine Strategie, die sich
im Militär bewährt hat: Light Footprint
Management. Sie betont Beweglich
keit, Schnelligkeit, Reaktionsfähig
keit und die Effizienz der eingesetz ten
Mittel. Wer Veränderungen ignoriert,
dem droht das KodakSyndrom
ver passter Transformation. Die Studie
"Mastering 2020" zeigt die sieben
Prinzipien der Adaption anhand
von Champions wie Netflix (Inno
vation), Haier (Reorganisation) oder
P&G (Zusammenarbeit). www. rbsc.eu/mastering2020
| STRATEGIE |
LERNEN VON NETFLIX
Wer sich nicht wandelt, geht unter. HP spaltet sein Geschäft, Ebay trennt sich von Paypal, Facebook von seinem Messenger: Das Technolo giemagazin "Wired" leitet daraus den Impera tiv ab, eine Sache gut zu tun – und die richtig. Zwischen 1973 und 1983 fielen 350 Unternehmen aus den "Fortune 1000". Zwischen 2003 und 2013 waren es 712. Die Halbwertzeit von Un ternehmen sinkt. Ob groß oder klein: Investoren honorieren Agilität, das Gebot der Stunde. Industrie 4.0 schafft die Voraussetzungen.
| UNTERNEHMENSSTERBEN |
ENDE DER GIGANTEN?
77%ENGINEERING
41%UMSATZ
712
350
COO
WERKSTATT
1973–1983
3. Zwischen Umsatz in den Hei mat märk-ten (41%) und dem personellen Auf wand für die Entwicklung dort (77%) besteht ein MissverhältnisUnsere Studie "Engineering Efficiency 2014" skizziert eine Roadmap zu markt-näheren Technologien und kundenge-rechteren Produkten (erscheint Ende 2014).
2003–2013
48 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
| KOSTENREDUKTION |
Unerwartete Hürden Was sind die typischen Schritte eines Kos tensenkungsprojekts? Was sind die Hürden? Was die Erfolgsfaktoren? Einsparungen von bis zu 30% sind möglich – mithilfe von Standardisie-rungen, Änderungen am Design, Nachverhandlungen bei den Zuliefe-rern oder schlankerer Produktion. Unser "Operations Efficiency Radar" ist anwendbar in allen Produkt- phasen inklusive der Se rien fer tigung. Die wichtigsten Hebel sind:
PRODUKTFUNKTIONSOPTIMIERUNG• Produktportfolio• FunktionsumfangSTANDARDISIERUNG• Vereinfachung des Designs• Standardisierung von Teilen• Angemessene Qualitätsanforderungen
EINKAUFROHSTOFFE• Kompetenzstärkung im Rohstoffeinkauf• DoppelquellenbeschaffungPREISVERHANDLUNGEN• Benchmarking von Produktkosten für Vertragsverhandlungen
PROZESSEMONTAGE• Prozessvereinfachung auf Basis eines Produkt-Redesigns
• Änderung der ProzesstechnologieFERTIGUNG• Änderung des Fertigungsprozesses• Materialumstellung• Prozessoptimierung
LIEFERKETTELOGISTIKOPTIMIERUNG• Vereinfachung von Logistik und Transport• Bestandsoptimierung beim Lieferanten und im eigenen Unternehmen
• Lokalisierung von Produktionsstandorten• Synergien zwischen verschiedenen Entwicklungs-/Produktionsstandorten
www.rbsc.eu/opsradar
Eine neue Studie von Roland Berger Frankreich bewertet im Auftrag von Google die ökonomischen und sozialen Potenziale der digitalen Transformation. Die Publikation entstand gemeinsam
mit Cap Digital, einem Branchenverband der Digitalwirtschaft. Sie basiert auf einer Umfrage unter mehr als 500 französischen
Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern. www.rbsc.eu/digitransformation
| DIGITALE TRANSFORMATION |
NEUE CHANCEN FÜR FRANKREICH
57% der Unternehmen zählen die digitale Transformation mittelfristig zu ihren strate- gischen Prioritäten, doch nur 36% verfügen über eine formalisierte digitale Strategie.
Paradoxerweise ist die digitale Reife bei den Verbrauchern größer als bei den Unter- nehmen: 59% der Franzosen kaufen online ein, wäh rend nur 11% der französischen Unterneh men online verkaufen.
Brachliegendes Wachstumspotenzial: Durch die Beschleunigung ihrer digitalen Transfor- mation könnten französische Unternehmen ihr Umsatzwachstum verdoppeln.
Die digital fortschrittlichsten Unternehmen wachsen sechsmal stärker als die Unter- nehmen mit der geringsten digitalen Reife.
Mitarbeiter in den digital fortschrittlichsten Unternehmen sind um 50% zufriedener mit ihrem Berufsleben als ihre Kollegen in den am schwächsten digitalisierten Unternehmen.
36%vs.
57%
59% vs.
11%
x2
x6
50%
49THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
Online-Lerntechnologien verhelfen Unternehmen zu mehr Agilität sowie Lern- und Anpassungs fähig -
keit. Ihre wichtigsten Anwendungsfelder liegen aber nicht in der kostenlosen Vermassung von Lern an-
ge boten ("MOOCs"), sondern in der Personali sierung und Individualisierung von Bildung für das lebens-
lange Lernen. Auch in der Wert schöpfungskette von Corporate Learning verändern sich die Spielregeln:
Das Denken in Abteilungs-, Business-Unit- oder Unternehmensgrenzen wird überwunden.
www.rbsc.eu/corporatelearning
| WEITERBILDUNG |
CORPORATE LEARNING
IM UMBRUCH
Wenn selbst komplexe Produkte und
Dienst leistungen zu "Commodities"
degenerieren, steckt ein Unternehmen
in der "Commodity Falle". Dann sind
die Möglichkeiten zur Dif fer en zierung
eingeschränkt und der Wettbewerb
erfolgt primär über den Preis. Inno va
tion, Qua lität und das Geschäftsmodell:
Dies sind die we sentlichen Hebel, um
sich aus der Com mo dityFalle zu be
freien. Die größte Dis kre panz zwischen
der Effektivität und der Anwendung
eines Hebels besteht bei der Neu
aus richtung des Geschäftsmodells
und bei Target Costing/DesigntoCost.
Unsere Studie zeigt, wie sich neue
Wettbewerbsvorteile gewinnen lassen.
www.rbsc.eu/commoditytrap
Innovation zur Produktdifferenzierung
Produkte mit Dienstleistungen aufwerten
Produkt- und Lieferqualität verbessern
Geschäftsmodell strategisch neu ausrichten
Target Costing/Design-to-Cost stärken
Organisation flexibel gestalten
Marketing- und Vertriebstools anwenden
Auf spezielle Marktsegmente fokussieren
Unternehmensportfolio neu ausrichten
EFFEKTIVITÄT/NUTZUNGSGRAD
HEBEL
SEHR HOCH
Effektivität Nutzungsgrad
COO
WERKSTATT
SEHR NIEDRIG
TORQUEs"tiny, open online courses but
with definite restrictions, focusing on quality and effectiveness"
(sehr kleine offene Online-Kurse mit konkreten Beschränkungen, die großen
Wert auf Qualität und Effektivität legen)
SOOCs"selective open online courses"
(selektive offene Online-Kurse, Teilnehmer werden z.B. aufgrund ihrer Vorqualifikation oder
ihres Arbeitgebers ausgewählt)
SPOCs"small, private online courses"
(kleine private Online-Kurse)
MOOCs"massive open online courses"
(offene Online-Kurse für die Masse)
| WETTBEWERBSFÄHIGKEIT |
Wege aus der CommodityFalle
50 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
LETZTE
ANTWORTEN
markt liegt darin die Chance, industrielle Wertschöpfung trotz des Fachkräfteman-gels langfristig in Europa zu halten.
INGENIEURSKUNST PLUS SOFTWARE-EXZELLENZ
In einem ausgereiften Szenario entstehen neuartige Berufsbilder und Ausbildungs-konzepte. Systemarchitekten sind die "Brains" der Industrie 4.0. Sie verbinden klassische Ingenieurskunst mit Soft-ware-Exzellenz und der Visionskraft eines Spieledesigners. Sie schaffen Rahmen-bedingungen und Regeln, in denen die Selbst organisation der Produktion stattfin-det. Kon figuratoren passen die Systeme mittels intelligenter Schnittstellen an loka-le Bedingungen an, ohne selbst die Kom-plexität der Abläufe durchdringen zu müs-sen. Sie sind die User der digitalen Fabrik, die Fehler erkennen und Parameter situa-tiv anpassen, ohne im klassischen Sinne zentrale Steuerungsmacht über den Ge-samtprozess zu besitzen. Continuity-Tech-niker verhindern Stillstände und halten Wertschöpfungsprozesse auch bei Stö-rungen am Laufen. Ihre Ad-hoc-Lösungen bauen auf vernetzte Risiken und minimie-ren die Gefahr von Kaska den effekten beim Ausfall von Produktionsstufen.
Vernetzung ist komplex, deshalb tref-fen in der Industrie 4.0 die Systeme ope-
Industrie 4.0 ist ein industrielles Öko-system, in dessen Kern intelligente Soft ware steht, die eine hocheffiziente und adaptive Produk tion mittels au to-
nom agierender cyber- physischer Systeme ermöglicht. Im Übergang zu diesem neuen Paradigma wandelt sich die Rolle des Menschen in der industriellen Wertschöp-fung. Selbst in hochautomatisierten Pro-duktionsprozessen werden heute an vielen Stellen Fachwissen, Erfahrung, menschli-che Urteilskraft und Augenmaß benötigt. In der Echtzeitlogik der hyperflexiblen Pro-duktionsstrukturen der Zukunft werden diese Fähigkeiten am "Point of Production" kaum noch Mehrwert entfalten.
Machen wir uns keine Illusionen: Wie jede Industrialisierungswelle wird auch Industrie 4.0 langfristig Arbeitsplätze ver-nichten. Es sind Erfahrungsberufe wie Facharbeiter oder Meister, die durch Ma-schinen ersetzt werden – und in aller Kon-sequenz auch das mittlere Management. Denn Expertenwissen, praktische Erfah-rung und operative Entscheidungsfähig-keit sind künftig in die Systemlogiken selbst eingebettet.
Durch Sensorik und lernende Soft-ware werden cyber-physische Systeme immer besser in der Lage sein, Situatio-nen wahr zunehmen, aus ihnen zu lernen und Prozesse selbstständig zu optimie-ren. Bei allen Risiken für den Arbeits-
Andreas Neef ist geschäftsführender Gesellschafter von "Z_punkt The Foresight Company". Der Manage-mentberater ist Autor der Studie "Connected Reality 2025 – Die nächste Welle der digitalen Transforma-tion". Download unter www.z-punkt.de
rative Entscheidungen zunehmend selbst. Bei Problemen eines Zulieferers werden Vorprodukte automatisch über eine Bran-chenplattform bei anderen Anbietern ge-or dert – und dort in Echtzeit Produk tions-prozesse in Gang gesetzt. Das wan delt industrielle Beziehungen. Wie die sozialen Netzwerke das gesellschaftliche Konzept von Freundschaft verändert haben, wer-den Beziehungen zwischen Unternehmen vielfältiger, loser und volatiler.
Gleichzeitig ist eine heute noch un-denk bare Offenheit bei der unternehmens-übergreifenden Kooperation und daten-technischen Integration der Prozesse not-wendig, um die Wertschöpfungspotenziale zu realisieren. Eine hohe räumliche Dichte und eine Vielfalt an Branchen, Kompeten-zen und Unternehmensgrößen sind günsti-ge Bedingungen für den Aufbau solch ei-nes hochflexiblen Produktionssystems.
In globaler Perspektive bilden sich neue Produktionscluster – nicht durch Branchen-homogenität, sondern durch Adaptionsfä-higkeit und komplementäre Kompetenzen in räumlicher Nähe. Europa ist gut aufge-stellt, doch in der Industrie 4.0 werden die Karten auf allen Ebenen neu gemischt.
MENSCH ODER MASCHINE – WER DIRIGIERT DIE PRODUKTION DER ZUKUNFT?
Ein Gastbeitrag von Andreas Neef
ILLU
STRA
TIO
N: B
EN K
IRCH
NER
51THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0
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Veröffentlicht im November 2014
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