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Christa Wolf Kassandra Suhrkamp

Christa Wolf Kassandra - media.libri.demedia.libri.de/shop/coverscans/135/13560584_lprob.pdf · In Kassandra greift Christa Wolf auf einen Mythos des abend ländischen Patriarchats

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Christa WolfKassandra

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ebook suhrkamp

In Kassandra greift Christa Wolf auf einen Mythos des abend­ländischen Patriarchats zurück, den Trojanischen Krieg. Während Kassandra, die Seherin, auf dem Beutewagen des Agamemnon sitzt, überdenkt sie noch einmal ihr Leben. Mit ihrem Ringen um Autonomie legt sie Zeugnis ab von weib­licher Erfahrung in der Geschichte.

Christa Wolfs Darstellung einer mythologischen Figur, die uns als faszinierende Zeitgenossin begegnet, wurde kurz nach ihrem Erscheinen zum Welterfolg und hat längst den Status eines Klassikers. Vom Entstehen ihrer wohl berühmtesten Erzählung berichtet Christa Wolf in ihren Frankfurter Poe­tik­Vorlesungen Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra (st 4053).

Christa Wolf, geboren 1929 in Landsberg/Warthe (Gorzów Wielkopolski), lebt in Berlin und Mecklenburg­Vorpommern. Ihr Werk, das im Suhrkamp Verlag erscheint, wurde mit zahl­reichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Georg­Büchner­Preis und dem Deutschen Bücherpreis für ihr Gesamtwerk. Zuletzt veröffentlichte sie den Erzählungsband Mit anderem Blick (st 3827) und Der Worte Adernetz. Essays und Reden (es 2475).

Christa WolfKassandra

Erzählung

Suhrkamp

Die Erstausgabe von Kassandraerschien 1983 im Luchterhand Verlag, Darmstadt und

Neuwied.

Der Text, der dem 2000 erschienenen Band 7 der von Sonja Hilzinger herausgegebenen

Werke in zwölf Bänden folgt,wurde für diese Ausgabe neu durchgesehen

und korrigiert.

Umschlagfoto: Roger Melis

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski­3­518­74221­1eISBN 978

www.suhrkamp.de

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

Kassandra

Schon wieder sch�ttelt mich der gliederlçsende Eros,bitters�ß, unbez�hmbar, ein dunkles Tier.

Sappho

Hier war es. Da stand sie. Diese steinernen Lçwen, jetztkopflos, haben sie angeblickt. Diese Festung, einst un-einnehmbar, ein Steinhaufen jetzt, war das letzte, wassie sah. Ein lange vergessener Feind und die Jahrhun-derte, Sonne, Regen,Wind haben sie geschleift. Unver-�ndert der Himmel, ein tiefblauer Block, hoch, weit.Nah die zyklopisch gef�gtenMauern, heute wie gestern,die dem Weg die Richtung geben: zum Tor hin, unterdem kein Blut hervorquillt. Ins Finstere. Ins Schlacht-haus. Und allein.

Mit der Erz�hlung geh ich in den Tod.Hier ende ich, ohnm�chtig, und nichts, nichts was

ich h�tte tun oder lassen, wollen oder denken kçnnen,h�tte mich an ein andres Ziel gef�hrt. Tiefer als von je-der andren Regung, tiefer selbst als von meiner Angst,bin ich durchtr�nkt, ge�tzt, vergiftet von der Gleichg�l-tigkeit der Außerirdischen gegen�ber uns Irdischen. Ge-scheitert das Wagnis, ihrer Eisesk�lte unsre kleine W�r-me entgegenzusetzen. Vergeblich versuchen wir, unsihren Gewalttaten zu entziehn, ich weiß es seit langem.Doch neulich nachts, auf der �berfahrt, als aus jederHimmelsrichtung die Wetter unser Schiff zu zerschmet-tern drohten; niemand sich hielt, der nicht festgezurrtwar; als ich Marpessa betraf, wie sie heimlich die Kno-ten lçste, die sie und die Zwillinge aneinander und an

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den Mastbaum fesselten; als ich, an l�ngerer Leine h�n-gend als die anderen Verschleppten, bedenkenlos, ge-dankenlos mich auf sie warf; sie also hinderte, ihr undmeiner Kinder Leben den gleichg�ltigen Elementen zulassen,und sie statt dessenwahnwitzigenMenschen �ber-antwortete; als ich, vor ihrem Blick zur�ckweichend,wieder auf meinem Platz neben demwimmernden, spei-enden Agamemnon hockte – da mußte ich mich fragen,aus was f�r dauerhaftem Stoff die Stricke sind, die unsans Leben binden. Marpessa, sah ich, die, wie einmalschon, mit mir nicht sprechen wollte, war besser vorbe-reitet, auf was wir nun erfahren, als ich, die Seherin;denn ich zog Lust aus allem, was ich sah – Lust; Hoff-nung nicht! – und lebte weiter, um zu sehn.

Merkw�rdig, wie eines jeden Menschen Waffen –Marpessas Schweigen, Agamemnons Toben – stets diegleichen bleiben m�ssen. Ich freilich hab allm�hlichmeine Waffen abgelegt, das wars, was an Ver�nderungmir mçglich war.Warum wollte ich die Sehergabe unbedingt?Mit meiner Stimme sprechen: das �ußerste. Mehr,

andres hab ich nicht gewollt. Zur Not kçnnt ich es be-weisen, doch wem? Dem fremden Volk, das, frech undscheu zugleich, den Wagen umsteht? Ein Grund zu la-chen, g�be es den noch: Mein Hang, mich zu rechtferti-gen, sollte sich, so kurz vor mir selbst, erledigt haben.

Marpessa schweigt. Die Kinder will ich nicht mehrsehn. Sie h�lt sie unter dem Tuch vor mir versteckt.

Der gleiche Himmel �ber Mykenae wie �ber Troia,nur leer. Emailleschimmernd, unzug�nglich, blankge-fegt. Etwas in mir entspricht der Himmelsleere �berdem feindlichen Land. Noch alles,was mir widerfahren

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ist, hat in mir seine Entsprechung gefunden. Es ist dasGeheimnis, das mich umklammert und zusammenh�lt,mit keinem Menschen habe ich dar�ber reden kçnnen.Hier erst, am �ußersten Rand meines Lebens, kann iches bei mir selber benennen: Da von jedem etwas in mirist, habe ich zu keinem ganz gehçrt, und noch ihrenHaß auf mich hab ich verstanden. Einmal, »fr�her«,ja, das ist das Zauberwort, hab ich in Andeutungenund halben S�tzen mit Myrine dar�ber sprechen wol-len – nicht, um mir Erleichterung zu verschaffen, diegab es nicht. Sondern weil ich es ihr schuldig zu seinglaubte. Troias Ende war abzusehen, wir waren verlo-ren. Aineias mit seinen Leuten hatte sich abgesetzt. My-rine verachtete ihn. Und ich versuchte ihr zu sagen, daßich Aineias – nein, nicht nur verstand: erkannte. Als seiich er. Als kauerte ich in ihm, speiste mit meinen Ge-danken seine verr�terischen Entschl�sse. »Verr�terisch«sagte Myrine, die zornig mit der Axt auf das kleine Ge-b�sch im Graben um die Zitadelle einschlug, mir nichtzuhçrte, mich vielleicht gar nicht verstand, denn seitich im Korb gefangen gesessen, sprech ich leise. DieStimme ist es nicht, wie alle meinten, die hatte nicht ge-litten. Es ist der Ton. Der Ton der Verk�ndigung ist da-hin. Gl�cklicherweise dahin.

Myrine schrie. Seltsam, daß ich, selbst noch nicht alt,von beinahe jedem, den ich gekannt, in der Vergangen-heitsform reden muß. Nicht von Aineias, nein. Aineiaslebt. Aber muß ein Mann, der lebt, wenn alle M�nnersterben, ein Feigling sein? War es mehr als Politik, daßer, anstatt die Letzten in den Tod zu f�hren, sich mit ih-nen auf den Berg Ida, in heimatliches Gel�nde, zur�ck-zog? Ein paar m�ssen doch �brigbleiben – Myrine be-

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stritt es –: warum nicht zuallererst Aineias und seineLeute.Warum nicht ich, mit ihm? Die Frage stellte sich

nicht. Er, der sie mir stellen wollte, hat sie zuletzt zu-r�ckgenommen. Wie ich, leider, unterdr�cken mußte,was ich ihm jetzt erst h�tte sagen kçnnen. Wof�r ich,um eswenigstens zu denken, amLeben blieb. AmLebenbleibe, die wenigen Stunden. Nicht nach dem Dolch ver-lange, den, wie ich weiß, Marpessa bei sich f�hrt. Densie mir vorhin, als wir die Frau, die Kçnigin gesehen hat-ten, nur mit den Augen angeboten hat. Den ich, nur mitden Augen, abgelehnt. Wer kennt mich besser als Mar-pessa? Niemand mehr. Die Sonne hat den Mittag �ber-schritten. Was ich begreifen werde, bis es Abend wird,das geht mit mir zugrund. Geht es zugrund? Lebt derGedanke, einmal in der Welt, in einem andern fort? Inunserm wackern Wagenlenker, dem wir l�stig sind?

Sie lacht, hçr ich die Weiber sagen, die nicht wissen,daß ich ihre Sprache sprech. Schaudernd ziehn sie sichvon mir zur�ck, �berall das gleiche. Myrine, die michl�cheln sah, als ich von Aineias sprach, schrie: Unbe-lehrbar, das sei ich. Ich legte meine Hand in ihren Nak-ken, bis sie schwieg und wir beide, von der Mauer ne-ben dem Sk�ischen Tor, die Sonne ins Meer tauchensahn. So standen wir zum letzten Mal beisammen, wirwußten es.

Ich mache die Schmerzprobe. Wie der Arzt, um zupr�fen, ob es abgestorben ist, ein Glied ansticht, so stechich mein Ged�chtnis an. Vielleicht daß der Schmerzstirbt, eh wir sterben. Das,w�r es so, m�ßte man weiter-sagen, doch wem? Hier spricht keiner meine Sprache,der nicht mit mir stirbt. Ich mache die Schmerzprobe

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und denk an die Abschiede, jeder war anders. Am Endeerkannten wir uns daran, ob wir wußten, daß es anden Abschied ging. Manchmal hoben wir nur leichtdie Hand. Manchmal umarmten wir uns. Aineias undich,wir haben uns nicht mehr ber�hrt. Unendlich lange,scheint mir, waren seine Augen �ber mir, deren Farbeich nicht ergr�nden konnte. Manchmal sprachen wirnoch, wie ich mit Myrine sprach, damit der Name end-lich genannt wurde, den wir so lange beschwiegen hat-ten: Penthesilea.Wie ich sie, Myrine, vor drei, vier Jahren an der Sei-

te der Penthesilea mit ihrer geharnischten Schar durchdieses Tor hatte einziehn sehn.Wie der Ansturm unver-einbarer Empfindungen – Erstaunen, R�hrung, Bewun-derung, Entsetzen,Verlegenheit und, ja, eben auch eineinfame Erheiterung – sich in einem Lachkrampf Luftmachte, der mich selbst peinigte und den mir Penthesi-lea, empfindlich wie sie war, niemals verzeihen konnte,Myrine best�tigte es mir. Sie war verletzt. Dies undnichts andres sei die Ursache f�r die K�lte gewesen,die sie mir zeigte. Und ich gestand Myrine, meine Ver-sçhnungsangebote waren halbherzig; obwohl ich dochwußte, Penthesilea w�rde fallen.Woher! fragte Myrinemich mit einem Anflug ihrer fr�heren Heftigkeit, aberich war nicht mehr eifers�chtig auf Penthesilea. Totesind nicht eifers�chtig aufeinander. Sie fiel, weil siefallen wollte. Oder weshalb glaubst du, kam sie nachTroia? Und ich hatte Grund, sie genau zu beobachten,da sah ich es. Myrine schwieg. Mehr als alles an ihrhatte mich immer ihr Haß auf meine Voraussagen ent-z�ckt, die ich ja niemals aussprach, wenn sie dabei war,doch eilfertig hat man sie immer unterrichtet, auch

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von meiner beil�ufig einmal erw�hnten Gewißheit, ichw�rde getçtet werden, die sie mir, anders als die ande-ren, nicht durchgehn ließ. Woher ich mir das Rechtauf solche Spr�che n�hme. Ich antwortete nicht, schloßdie Augen, vor Gl�ck. Endlich nach so langer Zeit wie-der mein Kçrper.Wieder der heiße Stich durch mein In-neres. Wieder die Schw�che f�r einen Menschen, ganz.Wie sie mich anging. Sie habe mir nicht gelegen, Pen-thesilea, die m�nnermordende K�mpferin, wie? Ob ichdenn glaubte, sie, Myrine, habe weniger M�nner umge-bracht als ihre Heerf�hrerin? Nicht eher mehr, nachPenthesileas Tod, um sie zu r�chen?

Ja mein Pferdchen, aber das war etwas andres.Das war dein geballter Trotz und deine flammende

Trauer um Penthesilea, die ich,was denkst du denn, ver-stand. Da war ihre tief verkrochene Scheu, ihre Furchtvor Ber�hrung, die ich niemals verletzte, bis ich ihreblonde M�hne um meine Hand wickeln durfte und soerfuhr, wie m�chtig die Lust gewesen war, die ich langeschon darauf gehabt. Dein L�cheln in der Minute mei-nes Todes, dacht ich, und hatte, da ich mich keiner Z�rt-lichkeit mehr enthielt, f�r lange den Schrecken hintermir. Jetzt kommt er dunkel wieder auf mich zu.

Myrine ist mir ins Blut gegangen, im gleichen Augen-blick, da ich sie sah, hell und k�hn und in Leidenschaftbrennend neben der dunklen sich selbst verzehrendenPenthesilea. Ob sie mir Freude oder Leid brachte, loslas-sen konnte ich sie nicht, aber sie jetzt neben mir zu ha-ben, w�nsch ich nicht. Freudig sah ich sie, ein Weib,als einzige sich bewaffnen, als dieM�nner von Troia ge-gen meinen Einspruch das Pferd der Griechen in dieStadt holten; best�rkte sie in ihrem Entschluß, bei dem

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Untier zu wachen, ich mit ihr, unbewaffnet. Freudig,wieder in diesem verkehrten Sinn, sah ich sie sich aufden ersten Griechen st�rzen, der dem hçlzernen Roß ge-gen Mitternacht entstieg; freudig, ja: freudig! sie fallenund sterben unter einem einzigen Streich. Mich, da ichlachte, schonte man, wie man den Wahnsinn schont.

Ich hatte noch nicht genug gesehn.Ich will nicht mehr sprechen. Alle Eitelkeiten und

Gewohnheiten sind ausgebrannt, verçdet die Stellen inmeinemGem�t, von wo sie nachwachsen kçnnten.Mit-leid mit mir hab ich nicht mehr als mit anderen. Bewei-sen will ich nichts mehr. Das Lachen dieser Kçnigin, alsAgamemnon auf den roten Teppich trat, ging �ber je-den Beweis.Wer wird, und wann, die Sprache wiederfinden.Einer, dem ein Schmerz den Sch�del spaltet, wird es

sein. Und bis dahin, bis zu ihm hin, nur das Gebr�llund der Befehl und dasGewinsel und das Jawohl der Ge-horchenden. Die Ohnmacht der Sieger, die stumm, ein-ander meinen Namen weitersagend, das Gef�hrt um-streichen. Greise, Frauen, Kinder. �ber die Gr�ßlichkeitdes Sieges. �ber seine Folgen,die ich schon jetzt in ihrenblinden Augen seh. Mit Blindheit geschlagen, ja. Alles,was sie wissen m�ssen, wird sich vor ihren Augen ab-spielen, und sie werden nichts sehen. So ist es eben.

Jetzt kann ich brauchen, was ich lebenslang ge�bt:meine Gef�hle durch Denken besiegen. Die Liebe fr�-her, jetzt die Angst. Die sprang mich an, als der Wa-gen, den die m�den Pferde langsam den Berg heraufge-schleppt hatten, zwischen den d�steren Mauern zumHalten kam. Vor diesem letzten Tor. Als der Himmelaufriß und Sonne auf die steinernen Lçwen fiel, die �ber

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mich und alles hinwegsahn und immer hinwegsehn wer-den. Angst kenn ich ja, doch dies ist etwas andres. Viel-leicht kommt es in mir zum erstenmal vor, nur umgleich wieder erschlagen zuwerden. Jetzt wird der Kerngeschliffen.

Jetzt ist meine Neugier, auch auf mich gerichtet,g�nzlich frei. Als ich dies erkannte, schrie ich laut, aufder �berfahrt, ich, wie alle, elend, vom Seegang durch-gewalkt, naß bis auf die Haut vom �berspritzendenGischt, bel�stigt vom Geheul und den Ausd�nstungender anderen Troerinnen, mir nicht wohlgesonnen, dennimmer wußten alle, wer ich bin. Nie war es mir ver-gçnnt, in ihrer Menge unterzutauchen, zu sp�t hab iches mir gew�nscht, zu viel hab ich, in meinem fr�herenLeben, dazu getan, gekannt zu sein. Auch Selbstvor-w�rfe hindern die wichtigen Fragen, sich zu sammeln.Jetzt wuchs die Frage, wie die Frucht in der Schale, undals sie sich ablçste und vor mir stand, schrie ich laut,vor Schmerz oder Wonne:Warum wollte ich die Sehergabe unbedingt?Es traf sich, daß der Kçnig Agamemnon, der »sehr

Entschlossene« (Gçtter!), mich in jener Sturmnacht ausdem Kn�uel der andern Leiber riß, mein Schrei damitzusammenfiel, andere Deutung nicht brauchte. Ich, ichsei es gewesen, schrie er mich an, besinnungslos vorAngst, die Poseidon gegen ihn aufgehetzt habe. Habeer dem Gott nicht drei seiner besten Pferde vor der�berfahrt geopfert? Und Athene? sagte ich kalt. Washast du ihr geopfert? Ich sah ihn blaß werden. AlleM�nner sind ichbezogene Kinder.

(Aineias?Unsinn.Aineias ist ein erwachsenerMensch.)Spott? In den Augen einer Frau? Das ertragen sie nicht.

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Der Siegerkçnig h�tte mich erschlagen – und das wares, was ich wollte –, h�tte er nicht auch vor mir nochAngst gehabt. Immer hat dieser Mensch mich f�r eineZauberin gehalten. Ich sollte Poseidon beschwichtigen!Er stieß mich an den Bug, riß mir die Arme hoch zu derGeb�rde, die er f�r passend hielt. Ich bewegte die Lip-pen. Du armer Wicht, was scherts dich, ob du hier er-trinkst oder zu Hause erschlagen wirst?Wenn Klytaimnestra war, wie ich sie mir vorstellte,

konnte sie mit diesem Nichts den Thron nicht teilen. –Sie ist, wie ich sie mir vorstellte. Dazu noch haßerf�llt.Als er sie noch beherrschte, mag es der Schw�chling,wie sie es alle tun, w�st genug mit ihr getrieben haben.Da ich nicht nur die M�nner, sondern, was schwierigerist, auch die Frauen kenne, weiß ich, mich kann die Kç-nigin nicht schonen. Mit Blicken hat sie es mir vorhingesagt.

Mein Haß kam mir abhanden, wann? Er fehlt mirdoch, mein praller saftiger Haß. Ein Name, ich weißes, kçnnte ihn wecken, aber ich laß den Namen lieberjetzt noch ungedacht. Wenn ich das kçnnte. Wenn ichden Namen tilgen kçnnte, nicht nur aus meinem, ausdem Ged�chtnis aller Menschen, die am Leben bleiben.Wenn ich ihn ausbrennen kçnnte aus unsren Kçpfen –ich h�tte nicht umsonst gelebt. Achill.

Die Mutter h�tte mir jetzt nicht einfallen d�rfen, He-kabe, auf anderen Schiffen zu anderen Ufern mit Odys-seus unterwegs. Wer kann f�r seine Einf�lle. Ihr irresGesicht, als sie sie wegrissen. Ihr Mund. Der gr�ßlich-ste Fluch, der, seit es Menschen gibt, ausgestoßen wur-de, gilt den Griechen, und meine Mutter Hekabe hatihn �ber sie verh�ngt. Sie wird recht behalten, man muß

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nur warten kçnnen. Ihr Fluch werde sich erf�llen, riefich ihr zu. Da war mein Name, ein Triumphschrei, ihrletztes Wort. Als ich das Schiff betrat, war alles in mirstumm.

Nachts hat der Sturm sich, als ich ihn »beschworen«,bald gelegt, nicht nur dieMitgefangenen, auch die Grie-chen, selbst die rohen gierigen Ruderknechte r�cktenscheu und ehrerbietig von mir ab. Dem Agamemnonsagt ich, ich verlçre meine Kraft, wenn er mich in seinBett zw�nge. Er ließ mich. Seine Kraft war lange schondahin, dasM�dchen, das das letzte Jahr mit ihm im Zeltgewohnt, verriet es mir. F�r diesen Fall – Verrat sei-nes unsagbaren Geheimnisses – hatte er ihr angedroht,sie unter Vorwand von den Truppen steinigen zu las-sen. Da begriff ich auf einmal seine ausgesuchte Grau-samkeit im Kampf, wie ich begriff, daß er um so tieferverstummte, je n�her wir, von Nauplion her, auf derlangen staubigen Straße durch die Ebene �ber Argosschließlich seiner Zitadelle kamen: Mykenae. Zu sei-nem Weib, dem er nie Grund gegeben, mit ihm Erbar-men zu haben, falls er Schw�che zeigte. Wer weiß, auswelcher Not sie ihn, wenn sie ihn mordet, reißt.

O daß sie nicht zu leben verstehn. Daß dies das wirk-liche Ungl�ck, die eigentlich tçdliche Gefahr ist – nurganz allm�hlich hab ich es verstanden. Ich Seherin! Pria-mostochter. Wie lange blind gegen das Naheliegende:daß ich zu w�hlen hatte zwischen meiner Herkunft unddem Amt.Wie lange voll Furcht vor dem Schauder, denich, wenn ich unbedingt war, bei meinen Leuten wach-rufen mußte. Der ist mir nun �ber das Meer vorausge-eilt. Die Leute hier – naiv, wenn ich sie mit den Troernvergleiche; sie haben den Krieg nicht erlebt – zeigen

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ihre Gef�hle, betasten den Wagen; die fremden Gegen-st�nde; Beutewaffen; auch die Pferde. Mich nicht. DerWagenlenker, der sich seiner Landsleute zu sch�menscheint, hat ihnen meinen Namen genannt. Da sah ich,was ich gewçhnt bin: ihren Schauder. Die Besten, sagtder Wagenlenker, seien es allemal nicht, die zu Hau-se blieben. Die Frauen n�hern sich wieder. Ungeniertsch�tzen sie mich ab, sp�hen unter das Tuch, das ichmir �ber Kopf und Schultern gezogen habe. Sie streitensich, ob ich schçn sei; die �lteren behaupten es, die J�n-geren leugnen es ab.

Schçn? Ich, die Schreckliche. Ich, die wollte, daßTroia untergeht.

Das Ger�cht, das Meere �berwindet, wird mir auchin der Zeit vorauseilen. Panthoos der Grieche wird rechtbehalten. Aber du l�gst ja, meine Liebe, sagte er mir,wenn wir am Schrein des Apollon die vorgeschriebenenHandgriffe taten, die Zeremonie vorzubereiten: Du l�gst,wenn du uns allen den Untergang prophezeist. Aus un-serm Untergang holst du dir, indem du ihn verk�ndest,deine Dauer. Die brauchst du dringlicher als das biß-chen Nestgl�ck jetzt. Dein Name wird bleiben. Unddas weißt du auch.

Zum zweitenmal konnte ich ihm nicht ins Gesichtschlagen. Panthoos war eifers�chtig, und er war bos-haft und scharfz�ngig. Hatte er auch recht? Jedenfallslehrte er mich das Unerhçrte denken: Die Welt kçnntenach unserem Untergange weitergehn. Ich zeigte ihmnicht, wie es mich ersch�tterte. Warum hatte ich nurdie Vorstellung zugelassen, mit unserm Geschlecht lç-sche die Menschheit aus? Wußte ich denn nicht,wie im-mer die Sklavinnen des besiegten Stamms die Frucht-

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barkeit der Sieger mehren mußten? Wars �berheblich-keit der Kçnigstochter, daß ich nicht anders konnteals sie alle, alle Troerinnen – die Troer sowieso – in un-seres Hauses Tod hineinzuziehn? Erst sp�t, und m�h-sam, lernte ich die Eigenschaften, die man an sich kennt,von jenen unterscheiden, die angeboren sind und fastnicht zu erkennen. Umg�nglich, bescheiden, anspruchs-los sein – das gehçrte zu dem Bild, das ich mir von mirselber machte und das sich aus jeder Katastrophe bei-nah unversehrt erhob. Mehr noch: Wenn es sich erho-ben, lag die Katastrophe hinter mir. Habe ich etwa,um mein Selbstgef�hl zu retten – denn aufrecht, stolzund wahrheitsliebend gehçrte auch zu diesem Bild vonmir –, das Selbstgef�hl der Meinen allzu stark verletzt?Habe ich ihnen, unbeugsam die Wahrheit sagend, Ver-letzungen heimgezahlt, die sie mir beigebracht? Dies,glaube ich, hat Panthoos der Grieche doch von mir ge-dacht. Er kannte sich, ertrug sich, wie ich sp�t bemerk-te, schwer und suchte sich zu helfen, indem er f�r jedeHandlung oder Unterlassung einen einzigen Grund nurzuließ: Eigenliebe. Zu tief war er von der Idee durch-drungen, die Einrichtung der Welt verbiete es, zugleichsich selbst und anderen zu n�tzen. Nie, niemals wur-de seine Einsamkeit durchbrochen. Doch hatte er keinRecht, das weiß ich heute, mich ihm �hnlich oder gleichzu finden. Am Anfang, ja, mag sein, wenn auch nur indiesem einen Punkt, den Marpessa Hochmut nannte.Das Gl�ck, ich selbst zu werden und dadurch den an-dern n�tzlicher – ich hab es noch erlebt. Ich weiß auch,daß nur wenige es bemerken,wenn man sich ver�ndert.Hekabe die Mutter hat mich fr�h erkannt und sichnicht weiter um mich gek�mmert. Dies Kind braucht

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mich nicht, hat sie gesagt. Daf�r hab ich sie bewundertund gehaßt. Priamos der Vater brauchte mich.Wenn ich mich umdreh, seh ichMarpessa, die l�chelt.

Seit es ernst wird, seh ich sie fast nur noch l�cheln. DieKinder, Marpessa,werden nicht davonkommen, es sinddie meinen. Du, denk ich, ja. – Ich weiß, sagt sie. – Siesagt nicht, ob sie davonkommen will oder nicht. DieKinder wird man ihr wegreißen m�ssen.Vielleicht wirdman ihr die Arme brechen m�ssen. Nicht, weil es mei-ne – weil es Kinder sind. – Zuerst bin ich dran, Mar-pessa. Gleich nach dem Kçnig. – Marpessa antwortetmir: Ich weiß. – Dein Hochmut, Marpessa, stellt nochden meinen in den Schatten. – Und sie, l�chelnd, erwi-dert: So muß es sein, Herrin.Wie viele Jahre hat sie mich nicht mehr mit Herrin an-

geredet. Wohin sie mich gef�hrt, bin ich nicht Herrin,nicht Priesterin gewesen. Daß ich dies erfahren durfte,macht mir das Sterben leichter. Leichter? Weiß ich, wasich sage?

Nie werde ich erfahren, ob diese Frau mich geliebthat, um derenNeigung ich mich bewarb. Zuerst aus Ge-fallsucht, mag sein, etwas in mir hat fr�her danach ver-langt zu gefallen. Sp�ter, weil ich sie kennen wollte. Dasie mir bis zur Selbstaufgabe diente, hat sie die Zur�ck-haltung wohl gebraucht.Wenn die Angst abebbt, wie eben jetzt, f�llt mir Fern-

liegendes ein. Warum haben die Gefangenen aus My-kenae ihr Lçwentor noch gewaltiger beschrieben, alses mir erscheint? Warum schilderten sie die Zyklopen-mauern ungeheurer, als sie sind, ihr Volk gewaltt�tigerund rachs�chtiger, als es ist? Gern und ausschweifendhaben sie mir von ihrer Heimat erz�hlt, wie alle Gefan-

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genen. Keiner hat mich je gefragt, warum ich so genaueErkundigungen �ber das feindliche Land einzog. Undwarum tat ich es denn, zu einer Zeit, als auch mir sicherschien, daß wir siegten? Da man den Feind schlagen,nicht aber kennen sollte? Was trieb mich, ihn zu ken-nen, da ich den Schock: Sie sind wie wir! f�r mich behal-ten mußte. Wollte ich wissen, wo ich sterben w�rde?Dacht ich ans Sterben?War ich nicht triumphgeschwol-len wie wir alle?Wie schnell und gr�ndlich man vergißt.Der Krieg formt seine Leute. So, vom Krieg gemacht

und zerschlagen,will ich sie nicht im Ged�chtnis behal-ten. Dem S�nger, der noch bis zuletzt den Ruhm desPriamos sang, hab ich eins aufs Maul gegeben,w�rdelo-ser schmeichlerischer Wicht. Nein. Vergessen will ichden zerr�tteten, verwahrlosten Vater nicht. Doch auchden Kçnig nicht, den ich als Kind �ber alle Menschenliebte. Der es nicht ganz genau nahm mit der Wirklich-keit. Der in Phantasiewelten leben konnte; nicht ganzscharf die Bedingungen ins Auge faßte, die seinen Staatzusammenhielten, auch die nicht, die ihn bedrohten.Das machte ihn nicht zum idealen Kçnig, doch war erder Mann der idealen Kçnigin, das gab ihm Sonder-rechte. Abend f�r Abend, ich seh ihn noch, ist er zurMutter gegangen, die, h�ufig schwanger, in ihrem Me-garon saß, auf ihrem hçlzernen Lehnstuhl, der einemThron sehr �hnlich sah und an den der Kçnig sich, lie-bensw�rdig l�chelnd, einen Hocker heranzog. Dies istmein fr�hestes Bild, denn ich, Liebling des Vaters undan Politik interessiert wie keines meiner zahlreichen Ge-schwister, ich durfte bei ihnen sitzen und hçren,was sieredeten, oft auf Priamos’ Schoß, die Hand in seiner

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