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KLI NIS CHE WOCHENS CH RIFT II. JAHRGANG Nr. 22 28. MAI I932 UBERSICHTEN. DAS PROBLEM DER DEMENZ. Von HANS W. GRUHLE, Heidelberg. Der Leser einer ~rztlichen Wochenschrift interessiert sich begreiflicherweise vor allem ftir die Frage, inwieweit eine Demenz Ergebnis eines Krankheitsprozesses ist. Der Sprachgebrauch der Psychiatrie faBt den Begri/] der Demenz eng als erworbene, danernde geistige Schw/~che und grenzt ihn so einerseits ab gegen die angeborene geistige Schw/~che und andererseits gegen die vorfibergehenden St6rungen des Geistes. Priift man aber die Herkunft und die Bedingungen der angeborenen Geistesschw/iche (leichter Grad = De- bilit/~t, mittlerer Grad = Imbezillit/~t, h6chster Grad = Idio- tie), So zeigt sich alsbald, dab jene erste obige Abgrenzung falsch ist: auch die sog. angeborenen Defektzust/~nde sind zum gr6Bten Teil erworben. Umstritten bleibt die Frage, ob es Erkrankungen des Gehirns der Frucht im Mutterleibe mit dem Ergebnis einer Geistesschw/~che gibt; sicher ist aber, dab das Geburtstrauma so schwere Sch/~digungen der Hirn- blutversorgung setzen kann, dab dieser Schaden nicht wieder gut zu machen ist. Ebenso wie das Geburtstrauma heute als Ursache der sog. genuinen (idiopathischen, essentiellen) Epilepsie viel h6her bewertet wird als frfiher [TH. SCHWARTZ, Mschr. Kinderheilk. 34, 511 (I926)], so wird es auch in der Reihe der intelligenzsch/~digenden Faktoren heute als sehr bedeutsam angesehen. Dazu kommen die Infektionskrank- heiten der friihen Kindermonate, sofern sie Gehirn oder Hirnhaut mit ergreifen, also die verschiedenen, heute noch schwer zu differenzierenden Formen der Encephalitis (Heine- Medin, Polioencephalomyelitis und Strfimpell-Leichtenstern- sche Form) und Meningitis. ALFRED STRAUSS sch~ttzt den Anteil alter exogenen Sch~tdigungen des Gehirns an den er- heblicheren Graden des kindlichen Schwachsinns nach eigenen neuesten Studien mit 60--75 % ein. Aueh die Lues, deren Beteiligung an den Ursachen der Idiotie in den Idioten- anstalten heute, trotzdem uns die Wassermann-Reaktion sichereren Anhaltspunkt gibt als friiher, immer noch sehr verschieden bewertet wird (nach RODIN 1928 unter Hilfs- schulkindern 2o,8%, im fibrigen schwanken die Angaben zwischen 3,5 und 21%, ja nach BALLUF und IBLUMENTAL bis zu 50 %), ist ja ein erworbener Faktor. Und so wird der Um- kreis des wirklich angeborenen Schwachsinns enger und enger. Einerseits bleiben die Stoifwechselst6rungen fibrig (wie der Kretinismus), die die Gehirnfunktion schwer sch~tdigen oder an der normalen Entwicklung hindern, andererseits gibt es nattirlich angeborene Aplasien nnd Dysplasien des Gehirns, die einen normalen Ausbau des Gehirns und also normale Funktion unm6glich machen. Endlich kann aber nicht geleugnet werden, dab bei AuBerlich normalem Hirn- bau, ohne Gehirntrauma, ohne Hirnerkrankungen, Schwach- sinnsformen mittleren bis leichten Grades vorkommen, fiir die man keine bestimmte Ursache aufzeigen kann. Manche Autoren helfen sich dabei mit der Annahme eines Konstruk- tionsfehlers im Gehirn, anatomisch nicht zu linden, andere glauben, dab doch ein Gebnrtstrauma oder eine Infektion wirksam geworden sei. Hypothesen! Wenn man also trotz der Erkenntnis, dab die wirklich angeborenen Schwachsinnsf~tlle relativ selten, uncl dab die Mehrzahl der kindlichen Defektzust~tnde Irfih erworben seien, dennoch an der Unterscheidung der angeborenen Geistes- schw~che yon der erworbenen Demenz festh~lt, so l~Bt man sich dabei yon dem verst~tndigen Gesichtspunkt leiten, dab jene Kleinkinder ja ihr Leben mit ihrem Defekt beginnen, ,,gleich als ob" er angeboren w~re. Sie grtinden ihre weitere Entwicklung auf einen Defektstatus, aber sie unterliegen Klinische Wochenschrift, ii. Jahrg. nicht den Einwirkungen eines Prozesses. Ganz richtig ist diese Formulierung freilich nicht, doch mag sie bier an dieser Stelle geniigen, wo die Aufmerksamkeit der erworbenen geistigen Schw/~che, der Demenz, im engeren Sinne gelten soll. Bei allen seelischen St6rungen taucht die grUnds/~tzliche Frage auf, ob ihre Genese psychisch oder organisch ist, man sollte besser sagen psychogen oder somatcgen. DaB alles Psychische letztlich an das I(6rperliche gebunden ist, und dab eine solche Gegentiberstellung also nicht korrekt sei, ist ein Gemeinplatz. Es kommt darauf an, dab es im Falle einer psychogenen Herkunft ein seelisches Erlebnis ist, welches die St6rung setzt, w/~hrend im somatogenen Falle ein k6rperliches, yon allem Seelischen unabh/~ngiges Moment als Causa an- gesehen wird. DaB es natfirlich Mischf/~lle gibt, ist selbst- verst/indlich; daraus aber ableiten zu wollen, dab sich heute der prinzipielle Unterschied yon organisch und funktionell, yon somatogen und psychogen nicht aufrechterhalten lasse, ist eine sachlich falsche These einer pseudophilosophischen Mode. Gibt es eine psychogene Demenz? Wenn es jene ,,Wilden" g~be, yon denen die Literatur hier nnd da berichtet, d. h. frfihzeitig ausgesetzte oder entlaufene Kinder, die, jahrelang im Walde mit den Tieren lebend, eines Tages als bl6de Er- wachsene irgendwo wieder auftauchen, dann w~re das eine psychogene B16dheit, denn das Fehlen seelischer Momente h~tte hier die Demenz erzeugt. Aber bei der Priifung stellt sich -- abgesehen vonder Diirftigkeit oder der romanhaften F/~rbung der Quellen - immer heraus, dab es sich um einen ausgesetzten oder entlaufenen Idioten handelte. -- Man spricht in der p/idagogischen Literatur oft yon den dummgepr/igelten t(indern. Sicherlich werden unter den ungiinstigen Ein- flfissen eines rohen Elternpaares (besonders im Trinkermilieu) Xinder oft so eingeschfichtert, so stark an geistiger Ent- wicklung gehindert, so verstockt und unzug/~nglich gemacht, dab sie in der Schule nicht mitkommen und einen wirklich bl6den Eindruck hervorrufen. Gelingt es aber, sie aus ihrer h/tuslichen Umgebung zu 16sen, in ein gutes Heim unter verst/~ndige, liebevolle Pflege zu bringen, so gliickt es meistens, sie langsam aufzuschliegen, zug/~nglich zu machen und weiterer geordneter geistiger Entwicklung zuzuftihren. Ihre Demenz ist also doch eine Pseudodemenz. Und das gleiche gilt nattirlich erst recht yon jenen Verhafteten, die im Ge- f/~ngnis plStzlich nicht mehr ihren Namen wissen und nicht mehr bis drei z/ihlen k6nnen; auch dies ist nur ein schein- barer B16dsinn. So gewaltig also der Einflul3 der Umgebung auf die Entwicklung des Verstandes ist: eine erworbene psychogene Demenz gibt es nicht. So besteht also die These zu Recht: jede erworbene geistige Schw~tche ist Ausdruck eines organischen (k6rper- lichen) Leidens. Die Schwierigkeit ffir den Arzt liegt darin, zu erkennen, wann eine see]ische und im besonderen geistige St6rung nur eine St6rung oder eine ZerstSrung ist. Bei der subtilen Struktur des Gehirns liegt der Gedanke nahe, jede ernste Erkrankung des Gehirns mtisse irreparable geistige St6rungen setzen. Aber das trifft nicht zu. Es gibt ernste geistige St6rungen, z. ]3. das manisch-depressive Irresein, die symptomatischen Psychosen, Vergiftungen, welche ohne dauernde Sch~tdigung vortibergehen. Andererseits konnte man im Kriege erstaunlich schwere Defekte der Gehirnsub- stanz durch Schul3 kennenlernen, die anatomisch sicher irreparabel waren und dennoch den Geist sehr wenig sch~tdig- ten. Am fiberraschendsten sind aber die Erfahrungen mit der Heilung oder ]3esserung der Paralyse durch die modernen Fiebertherapien. Jeder /iltere Psychiater h/~tte friiher ge- schworen, dab die St6rungen, die der paralytische ProzeB oim Gehirn setzt, unheilbar seien. Heute muB man sich vom 64

Das Problem der Demenz

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KLI NIS CHE W O C H E N S CH RIFT I I . J A H R G A N G Nr . 22 28. M A I I 9 3 2

UBERSICHTEN. DAS P R O B L E M D E R DEMENZ .

Von HANS W. GRUHLE, H e i d e l b e r g .

Der Leser einer ~rzt l ichen Wochenschr i f t in teress ier t sich begreif l icherweise vor a l lem ftir die Frage, inwiewei t eine Demenz Ergebnis eines Krankhei tsprozesses ist. Der Sprachgebrauch der Psychia t r ie faBt den Begri/] der Demenz eng als erworbene, danernde geistige Schw/~che und grenzt ihn so einerseits ab gegen die angeborene geistige Schw/~che und anderersei ts gegen die vor f ibergehenden St6rungen des Geistes. Pri i f t m a n aber die He rkun f t und die Bedingungen der angeborenen Geistesschw/iche (leichter Grad = De- bilit/~t, mi t t l e re r Grad = Imbezillit/~t, h6chster Grad = Idio- tie), So zeigt sich alsbald, dab jene erste obige Abgrenzung falsch ist : auch die sog. angeborenen Defektzust/~nde sind zum gr6Bten T e i l erworben. U m s t r i t t e n ble ibt die Frage, ob es E r k r a n k u n g e n des Gehirns der F r u c h t im Mut ter le ibe mi t dem Ergebnis einer Geistesschw/~che gibt ; sicher ist aber, dab das Gebu r t s t r auma so schwere Sch/~digungen der Hi rn- b lu tversorgung setzen kann, dab dieser Schaden nicht wieder gut zu machen ist. Ebenso wie das Gebu r t s t r auma heu te als Ursache der sog. genuinen (idiopathischen, essentiellen) Epi lepsie viel h6her bewer te t wird als frfiher [TH. SCHWARTZ, Mschr. Kinderhei lk . 34, 511 (I926)], so wird es auch in der Reihe der intell igenzsch/~digenden Fak to ren heu te als sehr bedeu t sam angesehen. Dazu k o m m e n die In fek t ionskrank- he i ten der fr i ihen Kindermona te , sofern sie Gehirn oder H i r n h a u t mi t ergreifen, also die verschiedenen, heu te noch schwer zu di f ferenzierenden F o r m e n der Encephal i t i s (Heine- Medin, Pol ioencephalomyel i t i s und St r f impel l -Leichtens tern- sche Form) und Meningitis . ALFRED STRAUSS sch~ttzt den Ante i l alter exogenen Sch~tdigungen des Gehirns an den er- hebl icheren Graden des kindl ichen Schwachsinns nach e igenen neues ten Studien mi t 60- -75 % ein. Aueh die Lues, deren Bete i l igung an den Ursachen der Idiot ie in den Id io ten- ans ta l t en heute, t r o t z d e m uns die W a s s e r m a n n - R e a k t i o n s ichereren Anha l t spunk t gibt als friiher, i m m e r noch sehr verschieden bewer t e t wird (nach RODIN 1928 un te r Hilfs- schulkindern 2o,8%, im fibrigen schwanken die Angaben zwischen 3,5 und 21%, ja nach BALLUF und IBLUMENTAL bis zu 50 %), ist ja ein erworbener Fak tor . Und so wird der U m - kreis des wirkl ich angeborenen Schwachsinns enger und enger. Einersei ts b le iben die Stoi fwechsels t6rungen fibrig (wie der Kret inismus) , die die Gehi rnfunkt ion schwer sch~tdigen oder an der no rma len En twick lung hindern, anderersei ts g ib t es natt ir l ich angeborene Aplas ien nnd Dysplas ien des Gehirns, die e inen normalen Ausbau des Gehirns und also normale F u n k t i o n unm6gl ich machen. Endl ich kann aber n ich t geleugnet werden, dab bei AuBerlich n o r m a l e m Hi rn- bau, ohne Geh i rn t rauma, ohne Hi rnerkrankungen , Schwach- s innsformen mi t t l e ren bis le ichten Grades vo rkommen , fiir die m a n keine b e s t i m m t e Ursache aufzeigen kann. Manche Auto ren helfen sich dabei m i t der A n n a h m e eines Kons t ruk- t ionsfehlers im Gehirn, ana tomisch nicht zu l inden, andere glauben, dab doch ein Gebn r t s t r auma oder eine In fek t ion wi rksam geworden sei. Hypo thesen !

Wenn m a n also t ro tz der Erkenntn is , dab die wirkl ich angeborenen Schwachsinnsf~tlle re la t iv selten, uncl dab die Mehrzahl der k indl ichen Defektzust~tnde Irfih e rworben seien, dennoch an der Unte r sche idung der angeborenen Geistes- schw~che yon der e rworbenen D e m e n z festh~lt , so l~Bt m a n sich dabei yon dem verst~tndigen Ges ich tspunkt leiten, dab jene Kle inkinder ja ihr Leben mi t ih rem Defek t beginnen, , ,gleich als ob" er angeboren w~re. Sie grt inden ihre wei tere En twick lung auf e inen Defekts ta tus , aber sie unter l iegen

Klinische Wochenschrift, ii. Jahrg.

n icht den E inwi rkungen eines Prozesses. Ganz r icht ig ist diese Formul i e rung freilich nicht , doch m a g sie bier an dieser Stelle geniigen, wo die A u f m e r k s a m k e i t der erworbenen geist igen Schw/~che, der Demenz , im engeren Sinne gel ten soll.

Bei allen seelischen S t6rungen t a u c h t die grUnds/~tzliche Frage auf, ob ihre Genese psychisch oder organisch ist, m a n sollte besser sagen psychogen oder somatcgen . DaB alles Psychische letzt l ich an das I(6rperl iche gebunden ist, und dab eine solche Gegent ibers te l lung also nicht kor rek t sei, is t ein Gemeinpla tz . Es k o m m t darauf an, dab es im Fal le einer psychogenen Herkun f t ein seelisches Er lebnis ist, welches die St6rung setzt, w/~hrend im somatogenen Fal le ein k6rperliches, yon a l lem Seelischen unabh/~ngiges M o m e n t als Causa an- gesehen wird. DaB es natf ir l ich Mischf/~lle gibt, ist selbst- verst / indl ich; daraus aber able i ten zu wollen, dab sich heu te der prinzipiel le Unterschied yon organisch und funkt ionel l , yon somatogen und psychogen nicht auf rech te rha l t en lasse, ist eine sachlich falsche These einer pseudophi losophischen Mode.

Gibt es eine psychogene Demenz? W e n n es jene , ,Wi lden" g~be, yon denen die L i t e r a tu r hier nnd da ber ichte t , d. h. frfihzeitig ausgesetz te oder en t laufene Kinder, die, j ahre lang im Walde mi t den Tieren lebend, eines Tages als bl6de Er - wachsene i rgendwo wieder auf tauchen, dann w~re das eine psychogene B16dheit, denn das Fehlen seelischer Momen te h~ t te hier die D e m e n z erzeugt . Aber bei der Pr i i fung stel l t sich - - abgesehen v o n d e r Di i r f t igkei t oder der r o m a n h a f t e n F/~rbung der Quellen - i m m e r heraus, dab es sich u m einen ausgesetz ten oder en t laufenen Id io ten handel te . -- Man spr icht in der p/ idagogischen L i t e ra tu r oft yon den dummgepr / ige l t en t ( indern. Sicherlich werden un te r den ungi ins t igen E in- flfissen eines rohen E l t e rnpaares (besonders im Trinkermil ieu) Xinder of t so eingeschfichtert , so s ta rk an geistiger E n t - wick lung gehindert , so ve r s tock t und unzug/~nglich gemacht , dab sie in der Schule n icht m i t k o m m e n und einen wirk l ich bl6den E ind ruck hervorrufen . Gel ingt es aber, sie aus ihrer h/tuslichen U m g e b u n g zu 16sen, in ein gutes H e i m un te r verst/~ndige, l iebevolle Pflege zu br ingen, so gli ickt es meis tens , sie l angsam aufzuschliegen, zug/~nglich zu machen und wei terer geordneter geist iger E n t w i c k l u n g zuzuftihren. Ih re D e m e n z ist also doch eine Pseudodemenz. Und das gleiche gil t nat t ir l ich erst recht yon jenen Verhaf te ten , die im Ge- f/~ngnis plStzl ich nicht mehr ihren N a m e n wissen und n ich t m e h r bis drei z/ihlen k6nnen; auch dies ist nur ein schein- barer B16dsinn. So gewal t ig also der Einflul3 der U m g e b u n g auf die En twick lung des Vers tandes is t : eine erworbene psychogene Demenz gibt es nicht.

So bes teh t also die These zu R e c h t : jede erworbene geistige Schw~tche ist Ausdruck eines organischen (k6rper- lichen) Leidens. Die Schwier igkei t ffir den Arz t l iegt darin, zu erkennen, wann eine see]ische und im besonderen geistige St6rung nur eine St6rung oder eine Zers tSrung ist. Bei der subt i len S t ruk tu r des Gehirns l iegt der Gedanke nahe, jede ernste E r k r a n k u n g des Gehirns mtisse i r reparable geistige St6rungen setzen. Aber das t r i f f t n ich t zu. Es gibt ernste geistige St6rungen, z. ]3. das manisch-depress ive Irresein, die symp toma t i s chen Psychosen, Vergif tungen, welche ohne dauernde Sch~tdigung vor t ibergehen. Anderersei ts konn te m a n im Kriege ers taunl ich schwere Defek te der Gehirnsub- s tanz durch Schul3 kennenlernen , die ana tomisch sicher i r reparabel waren und dennoch den Geist sehr wenig sch~tdig- ten. A m f iberraschendsten sind aber die E r fah rungen m i t der Hei lung oder ]3esserung der Para lyse durch die modernen Fieber therapien . Jeder /iltere Psych ia t e r h/~tte fr i iher ge- schworen, dab die St6rungen, die der para ly t i sche ProzeB oim Gehirn setzt , unhei lbar seien. Heu te muB man sich v o m

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Gegentei l f iberzeugen. Verbl6dete Pa ra ly t ike r ve rm6gen nach der Malar iakur ihren ]3eruf wieder auszufiben. Zwar sind solche F~lle leider noch nicht allzu hXufig, und aueh ihre In te l l igenz h a t meis tens geli t ten, aber sie haben sich doch oft in ers taunl icher Weise gebessert . D u t c h diese F.rfahrungen wird der Begriff der Demenz s ta rk re la t iv ier t . Man weiB nicht ohne weiteres, ob die Sch~tdigungen d e s geist igen Ab- laufes, die m a n bet e inem Psyehot iker feststel len kann, nur S t6rungen vorf ibergehender Ar t oder Dauerde fek te sind. Wenn m a n also jene anfangs erw~hnte Def in i t ion be ibeha l ten will : die Demenz ist eine erworbene i r reparable geistige Schw~che, so muB mal l prakt i sch hinzuffigen, dab m a n reeht sel ten m i t B e s t i m m t h e i t im einzelnen Fal le weiB, ob eine Demenz vorl iegt . Der Gedanke l iegt nahe, die S t6rungen und Zers t6rungen der In te l l igenz in e inem b e s t i m m t e n Hirn te i l zu suchen. Aber alle die Hypothesen , die m a n sich in dieser Hins ich t gebi ldet hat , haben sich bet kr i t iseher Naehprf i fung i m m e r wieder als allzu na iv herausgestel l t . Aus phylogene t i schen Grfinden neigte m a n frfiher dazu, der Hirnrinde die H a u p t m i t w i r k u n g be im ProzeB des Denkens zuzuschreiben. Heu te sind manche Forscher fast yon der opposi t ionel len Meinung wie yon einer Mode ergriffen, die Rinde zuguns ten des S t ammes zurfickzusetzen. Manche H i r n k e n n e r m6ch ten dem Stirnhirn eine besondere Bedeu tung be im In te l l igenzprozeg zuerkennen, doch haben gerade manche sehwere SchuBdefekte des St i rnhirns eine nur geringe Besehr/~nkung der formalen Denkprozesse ergeben. F.s kann also heu te yon ether i rgendwie zu beweisenden Zuordnung der Denkvorg~nge an einen b e s t i m m t e n Hirn te i l oder gar Herd noch keine Rede sein. H ie rmi t h~ngt auch die F.rfahrung zusammen, dab die Sekt ion bet Epilepsie gelegent l ich e inmal den Befund eines groBen, beide Hi rnh~l f ten durchwuchernden Glioms, fas t ether Gl iomatose ergab und dennoch erschien psychologisch dieser F.pileptiker n ieht schwerer ver~tndert als ein anderer , bet dem die Sekt ion ein makroskopisch nor- males Gehirn liefert. Aber selbst a l lgemeine K6rpe rk rankhe i t en wie z. B. die soB. id iopathisehe Hyper ton ie und die Schrumpf- n ierenhyper tonie , gehen im einen Fal le -- bet ungef~hr gleich hohem D r u c k - - mi t deut l ichen psychisehen Sch/~di- gungen einher, im anderen nicht . Schon NISSL h a t h/~ufig darauf hingewiesen, dab er t)ei der mikroskopischen Un te r - suehung seniler Gehirne solche mi t schwers ten Ver6dungen land, die noch kurz vor dem Tode geist ig reeht rfistig er- schienen und andere mi t nur sehr ger ingen Nervenzel laus- f/~llen, die schon sei t 15.ngerer Zeit a l tersbl6dsinnig waren. Die Beziehungen zwischen t3au und Funk t ion des Gehirns und In te l l igenz und ihren Sch~digungen sind also noch in t iefes Dunke l gehfillt. Viel leicht k o m m t unsere F.rkenntnis besser voran, wenn gewisse psychologische Unte rsche idungen yon den H i r n a n a t o m e n und Psych ia te rn gelernt werden. Die ganze Lokal isa t ionslehre s teck t wohl deshalb noch so sehr im Dunkeln , weil ihre Bearbe i te r so gu t wie nichts yon Psycho- logie vers tanden . Man kann nicht Paral le len zwischen zwei NIomenten machen, yon denen das eine ganz verworren und unklar bleibt . So ging es m i t dem ]3egriff der Demenz .

W e n n m a n sie als i r reparable geistige SchwXche kenn- zeichnet , so ist das ein vager und wenig b rauchbare r Begriff. Diese D e m e n z erscheint heu te al lzusehr gemessen an den Ges ich tspunkten der Leistungspsychologie. Wer diese oder jene Aufgabe (Test) n icht mehr 16sen kann, ist bl6d. Aber m a n vergaI3, dab das gleiche F.rgebnis anf sehr verschiedene Ums t~nde zurfickgeffihrt werden kann. E in wicht iger Unte r - schied ist der zwischen der formalen Inte l l igenz und jener Ins tanz , die sich ihrer bedient . Man denke sich die erstere als ein berei t l iegendes Werkzeug. Der gleiche F.indruck der B16digkeit mug ents tehen, wenn dieses Werkzeug Schaden ge- l i t ten hat , und die das Werkzeug verwendende Ins tanz normal ist, oder wenn das Werkzeug normal ist, aber sein ]3eherrscher e rkrankte . Dies ist gewiB eine allzu grobe Vere infachung des Problems, aber sein Kern is t r icht ig gesehen. F.s gibt Menschen, die e inen ve rb l6de ten F.indruck machen, weil in ihnen gar nichts m e h r vorgeht , ihre In i t i a t ive ist erloschen. Gel ingt es aber, sie aus ihrer Apa th ie herauszureiBen, so er- weist sich ihre formale In te l l igenz als normal . I n an-

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deren Worten: Wenn man das Wort Demenz, wie es sich empfiehlt, ffir die Sch~digung der eigentliehen Intelligenz vorbeh/ilt, so sind jene Initiativlosen eben nicht bl6d. In diesem Zusammenhange erinnere man sich auch daran, dab in vergangenen Jahrhunderten der Taubstumme prin- zipiell als bl6d galt, nnd dab heute noch manehmal in einer Hilfsschule ein Kind vorgefunden wird, das h6rstumm ist nnd unter Schwachsinnigen also nichts zu tun hat. Also nicht nur der Late, sondern selbst mancher Psychiater h/ilt einen seeliseh Kranken zuweilen ffir dement, bet dem die St6rnng auf ganz anderem Gebiete liegt. Ja selbst F.MIL I~RAIgPELIN und seinen franz6sischen Vorg/ingern MOREL, MAGNAN, GAUTHIER, CHARPENTIER kann der Vorwurf n ich t erspar t bleiben, m i t ihren Benennungen D6mence pr6coce, Demen t i a praecox ein ungeschicktes W o r t gew~hlt zu haben, denn diese D e m e n z ist keine Demenz.

Forsch t m a n klinisch nach den Formen der Demenz und ihrem u so erweisen sieh die geist igen Prozesse (ira engeren Sinne) in sehr versehiedener Weise gest6rt . Bet den Hirnherden (multiple Sklerose, Tumoren, Apoplex ien usw.) l~Bt sich kein e inhei t l icher Ges ich tspunkt heraus- a rbe i ten : die Befunde sind ungemein verschieden. Nach schweren In/ektlonskrankheiten k o m m e n langdauernde geistige Schw~ehezust~nde vor, bet denen freilich eine schlieBliche Wiederhers te l lung das Leiden absehlieBt. Diese post infek- t i6sen Al te ra t ionen bes tehen vor a l lem in e inem Verlust oder einer Sehadigung der Konzent ra t ion , der geist igen Ausdauer , abe t auch die Spon tane i t a t h a t No t geli t ten. Die rein formale Inte l l igenz is t dabei k a u m betei l igt . -- Vergi/tungen (z. B. mi t CO, Drosselungen, F.rhangungsversuche) lassen niell t sel ten ahnl iche Sch/~digungen zurfick, doch ist bier ffir langere Zeit auch die formale Inte l l igenz betei l igt . ]3esonders die schwere chronisehe Vergi f tung m i t Alkohol ffihrt gelegentl ich zu dem sog. Korsakowsehen Syndrom. Dessen H a u p t s y m p t o m ist die Merkschw/~ehe. Die Kranken k6nnen sich neues Mater ia l selbst ffir kurze Zeit n icht mehr einverleiben, und so erscheinen sie auch desorientiert . Vielfach konfabul ieren sie ins Blaue hinein. In schweren F/~llen ist der Defek t i r reparabel (auch nach Weglassen des Alkohols) und insofern eine ecbte, und zwar mnest ische Demenz. - - Das SchOdeltrauma kann Jkhnliches bewirken. Doch sind die F~lle ziemlich selten, in denen eine t r auma t i s che Gehirnsch~digung ohne F.pilepsie eine erhebl iche D e m e n z im engeren Sinne, z. ]3. un ter d e m Bilde des Korsakow, ergibt. Meist sind die F.olgen schwerer SchAdelunf~lle da ran noch lange spfirbar, dab der Kranke keine In i t ia t ive , keinen Unternehmungsgeis t , keine F.nergie m e h r besitzt . Das alles sind also keine Sch~digungen der Inte l l igenz im formalen Sinne. I n den Lehrbf ichern ist of t erw~hnt, dab auch manche senile St6rung unte r dem Bi lde des Korsakowschen Syndroms verl~uft . Dies ist die sog. Presbyophrenie . Aber einige Unterseh iede sind schon deut - lich. Der Korsakow des H i rn t r auma t ike r s ist meis t der Defek tzus tand eines finsteren, mfirrischen, in i t ia t ive losen Mannes. Der jenige des Senilen ist heiter , unbekf immer t , ge- schw~tzig. Der jenige des sehweren Trinkers s t eh t in dieser Affekt lage in der Mitte, mehr dem T r a u m a t i k e r angen~hert . Doch k o m m e n A u s n a h m e n vor. Die h~ufigste Demenz des Senilen -- abgesehen v o n d e r Presbyophren ie -- bes teh t im einfachen langsamen F.rl6schen der Denkvorg~nge. Zuers t en tschwinden die Namen, dann die Haup twor te , F.igensehafts- wor te ffir Anschauliches, dann f i i r Unanschaul iches , Zeit- worte, PrXpositionen, Kon junk t ionen usw. SchlieBlich gibt es senil Verbl6dete, die fas t nur noch Guten Tag und wie geht ' s und auf Wiedersehen sagen k6nnen. Neben diesen spraehl ichen Inha l t en sind in so schweren F~llen natt ir l ich gleichzeit ig die verschiedenen Denkfunk t ionen erloschen.

l~berbl ickt m a n die bisher angeff ihr ten F.rkrankungen, so hande l t es sich i m m e r oder vorwiegend u m eine mnestische Demenz, d. h. u m ein Versagen der Denkprozesse infolge Sch~digung des Ged(~chtnisses bzw. der Merkf~higkeit . W e n n ieh be im Ausreehnen einer Rechenaufgabe im Verlaufe des Denkens den Anfang vergesse, k o m m e ich natfir l ich n ich t wei ter und nicht zustande. W e n n ich die Merkmale m e i n e s Weges vergesse, so ver laufe ich reich in der S t ad t 0der in den

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28. MAI 1932 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . II . J A H R G A N G . N r . 22 931

G ~ n g e n des Hote ls . W e n n eine a l te F r a u vergiBt , wie m a n Feue r m a c h t , so r i c h t e r sie U n h e i l an. W e n n j e m a n d e inen R o m a n lesen will u n d k a n n s ich die P e r s o n e n a n d d e n bis- he r igen Ver lauf der H a n d l u n g n i c h t m e h r merken , d a n n muB er das B u e h weglegen u n d s i t z t schl ieBlich 6de u n d beschM- t igungs los h e r u m . W e n n also -- noch e i n m a l sei es b e t o n t -- bei den h f e k t i o n s k r a n k h e i t e n , Verg i f tungen , Seh~delunf~l len , sen i len a n d a r t e r i o sk l e ro t i s chen Rf i ckb i ldungsp rozes sen i iber- h a u p t eine D e m e n z i m enge ren S inne e in t r i t t , so i s t es e ine Ged~ch tn i s - u n d Merkf~higke i t sschAdigung. Of t abe r t ~ u s c h e n B e e i n t r ~ c h t i g u n g e n de r Af fek t - u n d Wil lenssphAre eine De- m e n z n u r vo r : Morose S t i m m u n g , m a n g e l n d e In i t i a t i ve , groBe E r m i i d b a r k e i t , A b n a h m e de r I n t e r e s s e n ( = ger ingere A n s p r e c h b a r k e i t ) geh6ren nicht zur D em enz . Bei den versch ie - d e n e n H i r n h e r d e r k r a n k u n g e n s e h e n die k l in i schen Bi lder m e i s t vie l kompl i z i e r t e r aus, z u m a l w e n n i rgendwelche Sprach - s t 6 r u n g e n d a z u k o m m e n .

E i n e ganz a n d e r e F o r m der D e m e n z wird d u r c h die luisehen Erkrankungen des Gehirns, besonde r s d u r c h die Paralyse, gesetzt . A u c h h ie r le ide t das Ged~Lchtnis, die E r - i n n e r u n g u n d Merk f~h igke i t zwar Not , abe r das geseh ieh t in seh r wechse lnder Weise und g l e i chsam n u r nebenbe i . Die H a u p t s t 6 r u n g l iegt i m Geb ie t der e igen t l i chen D e n k - prozesse selbst . Der P a r a l y t i k e r z i eh t s ich au f e iner Wiese n a c k t aus, obwohl er e r k e n n t , daB es e ine Wiese ist . De r B e a m t e s t o p f t e inen A k t in den Abor t , obwoh l er weiB, d a b m a n das IIicht t u n dar t , u n d obwoh l er ke in I n t e r e s s e d a r a n ha t , d en A k t v e r s c h w i n d e n zu lassen. E i n R a d f a h r e r s te l l t se in R a d p l6 tz l i ch n e b e n seiI1 B e r t i m Z i m m e r im d r i t t e n Stock, obwoh l er es b i s h e r u n t e n i m Kel ler zu v e r w a h r e n pflegte . Es feh len n i c h t die Inha l t e , die Ideen , abe r sie w e r d e n n i c h t w i rksam. -- , , W u B t e n Sie n ich t , d a b Sie i m Cat6 n i c h t p l6 tz l ich l a u t s ingen d u r f t e n ? " , ,Doch, das wuBte ich s c h o n . " , , W a r u m t a t e n Sie es d a n n t r o t z d e m ? " , ,Ach, ich dach te , das k 6 n n t e m a n a u c h e i n m a l so m a c h e n . " E i n p a r a l y t i s c h e r Schre ine r b r i n g t a n e inem M6bels t t i ck V e r z i e rungen so an, d a b sie das Aufz i ehen der Schub lade v e r h i n d e r n . E i n M o n t e u r k o n s t r u i e r t eine W i n d m a s c h i n e , be i de r de r e rzeug te W i n d dazu v e r w e n d e t wird, die M a s c h i n e se lbs t wieder zu t r e iben . Es f eh l t also a m e igen t l i chen Denkprozel3, a m E i n s e t z e n u n d a n de r K o r r e k t h e i t de r logischen Ope ra t i onen . Pr f i f t m a n e inen d e r a r t D e m e n t e n m i t R e c h e n a u f g a b e n , so t i be r r a sch t er ba ld d u r c h k o r r e k t e A n t w o r t e n , ba ld d u t c h die b l 6 d e s t e n A n g a b e n . Wiev ie l i s t 3 " 197 ,,63" (?). , ,Da n e h m ich a n s t a t t 19 20; 3 " 2o i s t 6o u n d die f e h l e n d e n 3 s ind 63." - - Wiev ie l i s t 5 6 - 1 8 ? ,,56 weniger IO i s t 46 , u n d 8 d a v o n s ind 4 ~ (geheimnisvol l : ) wir l a ssen es r u n d sein, das s i eh t besse r aus . " - - Die wi rk l iche S t r u k t u r , der A u f b a u der Denkprozesse , ih re I n e i n a n d e r f t i g u n g i s t z e r b r o c h e n (strukturelle Demenz).

Die V e r b l 6 d u n g des Epileptikers -- n i c h t alle E p i l e p t i k e r v e r b l 6 d e n -- s i eh t w i e d e r u m ganz a n d e r s aus. Hie r l e ide t haupts~ichl ich die A u f f a s s u n g Not . Die S inneso rgane s ind na t t i r l i ch i n t a k t , a b e t die geistige Au]]assung i s t ~uBers t er- schwer t . Alle die k le inen Kurzschl t i sse , m i t d e n e n s ich der N o r m a l e das D e n k e n l e i ch t und schnel l m a c h t , fa l len weg. Der Ep i l ep t i ke r muB sozusagen S c h r i t t ffir S e h r i t t gehen, er muB g le i chsam geis t ig b u c h s t a b i e r e n . E r v e r m a g n i c h t d e n S inn e iner S i t u a t i o n schnel l zu f iberbl icken, d e n K e r n e iner F r a g e sofor t zu erfassen, u n d so h a t t e r er a n E inze lhe i t en , a n JkuBerl ichkei ten. W e n n er se lbs t eine Sach lage schi ldern , e inen G e d a n k e n sp rach l i ch fo rmul ie ren soll, so zeigt s ich die gleiche U m s t ~ n d l i c h k e i t u n d Wei t schwei f igke i t . I n sp~ te ren S t a d i e n de r f o r t s c h r e i t e n d e n D e m e n z le ide t a u c h das G e d ~ c h t n i s : die Zug~nge zu d e n I n h a l t e n s ind e r schwer t . S u c h t m a n n a c h e i n e m St ichwor t , u m diese F o r m der V e r b l 6 d u n g zu k e n n - ze ichnen, so b i e t e t s ich a m b e s t e n de r A u s d r u c k der apper- zeptiven D e m e n z dar .

M a n c h e ech te N e u r a s t h e n i e n (d. h. ne rv6se E r schSpfungs - zus t~nde) und alle m i t groBer T r a u r i g k e i t v e r b u n d e n e n Zu- s t~nde, also be sonde r s die Melancholien des m a n i s c h - d e - p ress iven I r reseins , e rgeben H e m m u n g e n , die d e n A b l a u t de r In te l l igenzprozesse schwer bee in t r~eh t igen , so schwer, d a b die K r a n k e n of t s e lb s t die angs tvo l l e ~3berzeugung h a b e n , sie spt i r ten , wie sie ve rb l6den . A b e r dies is t e in I r r t u m .

N u r e ine zei tweise E r s c h w e r u n g , B r e m s u n g , H e m m u n g l iegt v o r ; h e r n a c h , soba ld die Depres s ion vorbe i ist, i s t alles wieder in bes t e r Ordnung .

Schon o b e n wurde e rw~hn t , d a b die D e m e n z der Dementia praecox ( = Schizophrenie) ke ine D e m e n z ist. Se lbs t be i den ganz , ,b l6de" h e r u m s i t z e n d e n s c h i z o p h r e n e n E n d z u s t ~ n d e n der Hell- u n d P f l e g e a n s t a l t e n b l e i b t die fo rma le In te l l igenz e rha l t en . WeiB m a n die K r a n k e n n u t zu n e h m e n , f r ag t m a n sie z. B. d a n n aus, w e n n sie a n e iner h o c h f i e b e r h a f t e n A n g i n a darn ieder l i egen , so h a b e n sie n i c h t n u t ih r G e d a c h t n i s zur Verf t igung, sonde rn sie b e h e r r s c h e n a u c h die O p e r a t i o n e n des Denkens . H ie r gi l t ganz besonde r s das e twas zugesp i tz te W o r t : die S c h i z o p h r e n e n h a b e n i h r e n g u t e n V e r s t a n d , sie m a c h e n Yon i h m IIur n i c h t Geb rauch . Fre i l i ch s ind sie ~hn- l ich wie de r Melancho l ike r a m g u t e n ]~unkt ion ie ren des Ver- s t andes of t schwer g e h i n d e r t : w e n n sie y o n S innes t~ tuschungen geplagt , y o n W a h n i d e e n erregt , r a t ios au f die U m g e b u n g s t a r ren . Gerade h ie r zeigt die s ch i zoph rene D e n k s t 6 r u n g deu t t i che Kennze i chen . Abe r es i s t n u r eine S t6 rung , ke ine Zers t6 rung , ke ine Demenz . A u c h diese , , V e r b l 6 d u n g " de r Sch izophren ie i s t also e igen t l i ch eine P s e u d o d e m e n z , w e n n a u c h i m ganz a n d e r e n Sinne, als sie o b e n bei de r H a f t p s y c h o s e b e s c h r i e b e n wurde. M a n h a t daher , u m gerade d iesen Sach- v e r h a l t zu beze ichnen , ge rn M e t a p h e r n gew~hl t : Orches t e r o h n e Di r igen t (KRAEPELIN), m a c h i n e sans c o m b u s t i b l e (CttASLIN), Schiff ohne S t e u e r m a n n .

Die ech te Demenz , i m m e r soma togen , zeigt s ich also drei- fach, in der mnes f i s chen , s t ruk tu re l l en , a p p e r z e p t i v e n F o r m , na t t i r l i ch a u c h in m a n n i g f a c h e n Mischungen . B e o b a c h t e t m a n die E n t s t e h u n g de r e r s t e r en sorgifiatig, so zeigt sich, d a b e in A l t e r n d e r a n f a n g s schwer zu d e n b e t r e f f e n d e n Denk- i n h a l t e n ge langt , die er zur Ver f f igung h a b e n m6ch te , a b e t er d r i n g t noch zu i h n e n vor . I m nAchs ten S t a d i u m en t f a l l en sie i h m ftir gewisse F r i s t en , abe r p l6 tz l i ch s ind sie wieder da. J a m a n k a n n es er leben, d a b in de r F r e u d e des W i e d e r s e h e n s in i t e inem lange E n t b e h r t e n de r Greis p l6 tz l i ch allerlei weiB, was i h m zuvor fehl te . U n d a u c h in sons t i gen l e i ch t en Aus- n a h m e z u s t ~ n d e n , im Zorn, i m Fieber , i n de r T o d e s a n g s t s te l len sich ve r lo r engegangene I n h a l t e f ibe r r a schend wieder ein. Ta t s~ch l i ch w a r e n sie also n i e h t ve r lo ren . Diese Beob- a c h t u n g h a t die neue re Psycho log ie au f die H y p o t h e s e ge- b r a c h t , die D e m e n z sei kein Verlust y o n F u n k t i o n e n u n d I n h a l t e n , s o n d e r n n u r ih re Absperrung. Die Zug~nge gehen ver loren , ode r de r A b l a u t wi rd e r schwer t , i h re Z u o r d n u n g le ide t Not . M a n k 6 n n t e s ich d iesen S a c h v e r h a l t b i ld l ich so begre i f l ich m a c h e n , wie w e n n ein ce rebra l G e l ~ h m t e r zu se iner (an s ich i n t a k t e n ) m o t o r i s c h e n K o o r d i n a t i o n n i c h t m e h r h inge l ang t . Dies g~be ftir die Loka l i s a t i ons l eh re i m G e h i r n m a n c h e r l e i neue Hinweise , au f die h ie r abe r n i c h t n~her e ingegangen w e r d e n k a n n .

E i n we i t e re r G e s i c h t s p u n k t , d e n die b i sher ige Psycho- pa tho log i e n i c h t b e a c h t e t h a t , i s t die U n t e r s c h e i d u n g de r a n s e h a u l i c h e n VergegenwAr t igungen (das s ind die Vors te l - l u n g e n i m enge ren Sinne), y o n den u n a n s c h a u l i c h e n Ge- g e b e n h e i t e n u n d Vollztigen, das s ind die r e i n e n Denkvorg~nge . Bei der m n e s t i s c h e n D e m e n z schei l len m e h r die V o r s t e l l u n g e n Not zu leiden, a b e t be i ih r s che in t a u c h eine be sonde re Sch~di- gung der Sprachsymbole der V o r s t e l l u n g e n e inzuse tzen . Bei der s t r u k t u r e l l e n D e m e n z le ide t v i e l m e h r die re ine D e n k - f u n k t i o n (z. B. Ur te i l en , SchlieBen, Begr i f feb i lden) S c h a d e n ; die zen t r a l e Sp rache be te i l ig t s ich k a u m . Bei der appe r - z e p t i v e n D e m e n z s ind es m e h r die Schne l l igke i t u n d G e w a n d t - he i r der A u f m e r k s a m k e i t s p r o z e s s e sowie die A b k f i r z u n g de r Vollztige ( A u t o m a t i s m e n ) , we lche geschAdigt werden . A u c h diese G e s i c h t s p u n k t e k 6 n n t e n die H e r d f o r s c h u n g bere ichern . Die F r a g e s t e l l u n g wfirde da i in n i c h t m e h r wie in den p r imi - t i v e n Ze i t en des Ma te r i a ] i smus l a u t e n : wo i m G e h i r n s i t zen die Vors te l lungen , a u c h IIicht wo s i t z t der Vers ta i id , s o n d e r n welche H i rn t e i l e h a b e n in i h r e r F u n k t i o n zur an schau l i chen , zu r u n a n s c h a u l i c h e n VergegenwArt igung , zur r e inen D e n k - funk t ion , zur A u f m e r k s a m k e i t s b e s e t z u n g , z u m A u t o m a t i s - mus, z u m S p r a c h s c h a f f e n b e s o n d e r s n a h e Bez iehungen . Hier - n a c h ware die Frage , wo s i t z t de r V e r s t a n d , gerade so n a i v u n d p r i m i t i v wie d ie jen ige : wo s i t z t die D e m e n z ?

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