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IIl. Aus der II. medizinischen Universitiitsklinik der Charit5 in Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. F. Kraus). Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve. Zugleich ein Beitrag zur Erkl~irung des Wirkungsmechanismus des autonomen und sympathischen Nervensystems. Von l)r. gurt Deesel, Assistenten der Klinik. (Mit 19 Kurven im Text.) Vor einiger Zeit habe ich bestimmte Typcn von Kurven verSffent- lieht, wie sic entstehcn 7 wenn man dan im vegetativen Nervensystem verschieden stigmatisicrten mensehlichen Individuen 1 ccm der k~uflichen SuprareninlSsung HSchst subkutan injiziert und die anschliessend daran in bestimmten Zeitabsehnitten festgeste|lten Blutdruckwerte aufzeiehnet (1). Dass die injektion yon Nebennieronextrakt eine Blutdrueksteigerung zur Folge hat, ist schon seit langem bekannt. Als erster haben Oliver und Schaefer (2--4) diese Tatsache beschrieben. Gleichzeitig fanden si% dass der Effekt der Blutdrucksteigerung ein crheblich gr~isserer ist, wenn vorhcr beide Vagi durehschnitten wcrden. Die Ursache fiir den Einfluss dieser Nerven wurde schon yon ihnen als zentrale Vagusreizung angesehen~ die sich aueh dadurch kundgab, dass im Tierexperimcnt dic VorhSfe fiir einige Zeit zum Stillstand kamen und die Ventrikel, aller- dings in einem langsameren~ Rhythmus weiterschlugen. W/ihrend Biedl und Reiner (5) dieser Auffassung zustimmten, glaubte Verworn (6) naehweisen zu kSnnen, dass die nach Adrenalin beobachteten Vaguspulse nieht durch eine Erregung des Vaguszentrums hervorgorufcn werden, sondern durch eine periphere Herzwirkung des Adrenalins. Er land n~mlich, dass auch nach Vagusdurchschneidun~ /ihnliehe Pulse am Herzen zu beobachten sind. Kahn (7) wies aber mit Recht darauf hin, dass Verworn zu dieser Auffassung durch Anwendung abnorm hoher Adrenalindosen gekommen ist, die ausserhalb jeder physio- logisohen Wirkung liegen, und dass aus den Verworn'sehen Versuchen demnach nut folgt~ dass aueh eine direkte Herzwirkung des Adrenalins nach grossen Dosen auftreten kann, dass jedoch die zentrale Vagus- erregung ausscr allem Zweifel steht. Inwiefern uns diese zentrale Vaguswirkung einen gewissen Einblick in den Mechanismus des gesamten vegetativen Nervensystems gew/ihrt, soll sp/i.ter erSrtert werden. Die Steigerung des Blutdrucks nach der

Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve

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Page 1: Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve

IIl.

Aus der II. medizinischen Universitiitsklinik der Charit5 in Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. F. Kraus).

Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve.

Zugleich ein Beitrag zur Erkl~irung des Wirkungsmechanismus des autonomen und sympathischen Nervensystems.

Von

l)r. gurt Deesel, Assistenten der Klinik.

(Mit 19 Kurven im Text.)

Vor einiger Zeit habe ich bestimmte Typcn von Kurven verSffent- lieht, wie sic entstehcn 7 wenn man dan im vegetativen Nervensystem verschieden stigmatisicrten mensehlichen Individuen 1 ccm der k~uflichen SuprareninlSsung HSchst subkutan injiziert und die anschliessend daran in bestimmten Zeitabsehnitten festgeste|lten Blutdruckwerte aufzeiehnet (1).

Dass die injektion yon Nebennieronextrakt eine Blutdrueksteigerung zur Folge hat, ist schon seit langem bekannt. Als erster haben Oliver und Schae fe r (2--4) diese Tatsache beschrieben. Gleichzeitig fanden si% dass der Effekt der Blutdrucksteigerung ein crheblich gr~isserer ist, wenn vorhcr beide Vagi durehschnitten wcrden. Die Ursache fiir den Einfluss dieser Nerven wurde schon yon ihnen als zentrale Vagusreizung angesehen~ die sich aueh dadurch kundgab, dass im Tierexperimcnt dic VorhSfe fiir einige Zeit zum Stillstand kamen und die Ventrikel, aller- dings in einem langsameren~ Rhythmus weiterschlugen.

W/ihrend Biedl und Reiner (5) dieser Auffassung zustimmten, glaubte Verworn (6) naehweisen zu kSnnen, dass die nach Adrenalin beobachteten Vaguspulse nieht durch eine Erregung des Vaguszentrums hervorgorufcn werden, sondern durch eine periphere Herzwirkung des Adrenalins. Er land n~mlich, dass auch nach Vagusdurchschneidun~ /ihnliehe Pulse am Herzen zu beobachten sind. Kahn (7) wies aber mit Recht darauf hin, dass Verworn zu dieser Auffassung durch Anwendung abnorm hoher Adrenalindosen gekommen ist, die ausserhalb jeder physio- logisohen Wirkung liegen, und dass aus den Verworn'sehen Versuchen demnach nut folgt~ dass aueh eine direkte Herzwirkung des Adrenalins nach grossen Dosen auftreten kann, dass jedoch die zentrale Vagus- erregung ausscr allem Zweifel steht.

Inwiefern uns diese zentrale Vaguswirkung einen gewissen Einblick in den Mechanismus des gesamten vegetativen Nervensystems gew/ihrt, soll sp/i.ter erSrtert werden. Die Steigerung des Blutdrucks nach der

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Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve. 35

Adrenalininjektion ist nur ein Tell der Wirkung des Nebennierenextraktes. L a n g l e y ( 8 ) hatte gefunden, dass diese iiberhaupt sehr auff/illig mit dem Effckt der elektrischen Reizung der sympathischen Fasern iiberein- stimmt, und die Erfo]gsorgane niemals wie bet parasympathiseher Reizung reagiercn. Ausgedehnte Untersuehungen zahlreicher Autoren, yon denen insbesondere L a n g l e y , E l l io t , Brodic und Dixon sowie Biedl hcrvor- zuheben sind, bestiitigten diese Ansehauung, u n d es gelang fcstzustcllen, dass in der Tat das Adrenalin ein Gift ist, dessen Auftreten im S/ifte- strom des R6rpers ether sympathischen Reizung gleiehkommt. Diese Reizung hat ihren Angriffspunkt aussehliesslich peripher, greift abet weder die sympatbische Nervenendigung noch (las Erfolgsorgan selbst an, sondern ein hypothetisehes Bindeglied zwisehen den beiden~ die sogenannte Myo- neuraljunktion. Das Adrenalin wirkt ganz allgemein und gleichm/tssig iiberall dort, we eine sympathische lnnervation zu linden ist, und zwar erregend dor h we dureh sympathiscbo Reize eine Erregung entsteht, und hemmend, we aueh (tie sympathische l~eizung eine Hemmung verursacht. Auf dis Ausnahme, (tie hierbei die Schweissdriisen bilden, braueht an dieser Stelle nicbt eingegangen zu werden.

Bedenken wir nun noeh, dass es sieh bet dem Adrenalin um einen k6rpereignen Bestandteil handelt, dor dauernd yon den Nebennieren sezer- niert wird, und durch die Nebennierenvenen in den Blutkreislauf gelangt, so nimmt es nieht Wunder, dass man bald naeh der Erkenntnis dieser Tatsache versucht hat, das Adrenalin zur lqmktionspriifung des vegetativen Nervensystems zu verwenden.

Loewi (9) benutzte hierzu die bet iibererregbarem sympathisehem Nervensystcm auftretende Mydriasis naeh Eintriiufelung einer Adrenalin- liSsung in den Konjunktivalsack. Vielfach wurde die Stiirke der nach subkutaner Adrenalininjektion auftretenden Allgemeinerscheinungen wie Herzklopfen, Angstgeffihl, Tremor in den Extremit/iten, allgemeine Un- ruhe usw. zur Beurteilung der Anspreehbarkeit des sympathisehen Nerven- systems verwertet. Wetter hat man zum gleiehen Zweeke die Zuekeraus- seheidung naeh Adrenalininjektion, die yon Blum (10) entdeckt worden war, zu benutzen versueht, ist abet erklgrlieherweise niemals zu ein- deutigen Resultaten gekommen, da die subjektiven Symptome in erheb- liehem Masse yon der Psyche der einzelnen Patienten abh'angen und die Zuekerausscheidung im Harne yon verschiedenen, nieht dcm Einfluss des vegetativen Nervensystems unterworfenen Faktoren mitbestimmt wird. Aueh die besonders yon D z i e m b o r o w s k i ( l l ) propagierte Veriinderung des Blutbildes kann uns nioht fiber den Zustand des vegetativen Nerven- systems orientieren, da das Adrenalin die Zellen aus der Milz aus- schwemmt, die gerade deft vorhanden sind, worauf besonders F rey (12) hingewiesen hat.

All diese Methoden beruhen also entweder auf falsehen Voraus- setzungen oder sic sind nieht objektiv quantitatir zu verwerten. So ist es ein unm6gliches Beginnen, hieraus siehere Sehliisse auf die Er- regbarkeit des sympathisehen Systems ziehen zu wollen.

Fa l t a , N e w b u r g h und Nobel (13) haben als erste die Ver/inderung des Blutdrueks naeh subkutaner Adrenalininjektion zur Funktionsprfifung

3*

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36 Kurt Drosel,

des vegetativen Nervensystems zu verwenden gesucht. Sie haben den Blutdruck fortlaufend alle zwei Minuten gemessen und fanden in seltenen F/illen keinen Anstieg des Blutdrueks, in anderen sehr raschen Anstieg, w/ihrend dig Mehrzahl der F/ille folgendermassen reagierte. ,Es steigt hier der Blutdruck naeh der Injektion ganz allm/ihlieh an, erreieht in 8--10 Minuten eine betr/~chtliche HShe, hi/It sich dann auf dieser HShe oder steigt allmiihlieh noch weiter an und sinkt dann langsam wieder ab". Genauere zahlenm/issige Angaben, aus denen sich die Blutdruck- ver/i, nderungen erkennen liessen, sind yon ihnen nicht gemaeht worden~ wenn auch aus ihren Daten schon hervorgeht, dass ein iibererregbares sympathisehes System besonders hohe und steile Kurven des Blutdruek- anstieges naeh Adrenalininjektion aufweisen muss.

Bauer (14) hat ebenfal|s zur Funktionspriifung des vegetativen Nervensystems den Blutdruck naeh Adrenalininjektion gemessen. Seine Befunde konnten aber sehon deshalb zu keinem Resultate fiihren, weil er die Bestimmung des Blutdrucks viel zu selten und meist zu vSllig ver- sehiedenen Zeiten z.B. naeh 5 und 25 Minuten oder nach 20 und 40 Minuten oder nach 10 und 30 Minuten vorgenommen hat, was niemals das Bild einer Kurve ergeben konnte [s. Drese l (15)].

Meulengrach t (16) hat in 5 FKllen yon Asthma bronchiale nur eine ganz geringe Blutdrueksteigerung naeh Injektion yon 1/2--1 mg Adrenalin gesehen. Dagegen fanden Faber und SchSn (17), dass subkutane Adrenalininjektionen bei verschiedenen Krankheiten ungef~hr die gleiehen Blutdrucksteigerungen ergeben.

Es ist sehr auffallend, dass keiner dieser Untersucher sish ent- schlossen hat den Verlauf der Blutdruekver/i.nderung nach Adrenalininjek- tion kurvenm~ssig genau festzulegen. Ist doeh gerade der Blutdruek ei, leicht messbares, objektives, quantitativ bestimmbares Symptom, yon dem vorauszusehen war, class es Untsrsshiede bei den versehiedenen Er- krankungen des vegetativen Nervensystems zeigen wiirde. So land ich denn auch sehr bald nach Beginn diesbeziiglicher Untersuehungen ganz typischs Kurven.

Zur Teehnik ist zu bemerken, dass es sieh empfiehlt, den Blutdruck zun/ichst etwa alle 2--3 Minuten und nach 10 Minuten alle 5 Minuten zu messen. Die HShe des gefundenen Blutdrusks ist dann in ein Koordinatensystem in der Weiss einzutragen, dass die L/inge yon 10 Minuten auf der Abszisse der Blutdruckveriinderung yon 10 mm Hg auf der Ordi- nate sntspricht.

Bevor ieh einige einschliigige Krankengeschichten mitteile, mSehts ieh hier kurz die in der oben erw/ihnten Arbeit yon mir festgelsgten Kurven noch sinmal wiedergeben.

In Kurve 1 sehen wir den Typ der Blutdruekver/tnderung bei aus- geglichenem vegetativem Nervensystem nach subkutaner Injektion von 1 ccm der k/iuflichen SuprareninstammlSsung.

Der Anstieg des Blutdrucks findet allm~hlich und zwar in einer Art paraboiisehen Kurve statt. Der HShepunkt ist naeh etwa 10 Minuten erreieht, er bleibt dann einigs Minuten auf dieser HShe, um nun langsam wieder zur Norm zuriickzukehren.

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150

140

130

120

110

Der Einfluss des vegotativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurvc. 37

Ganz anders verh~tlt sich die Adrenalinblutdruckkurve bei den Vagotonischen. Der geringsie Grad der Verschiebung prggt sich, wie wir in Kurve 2 sehen, in dcr Weise aus, dass der Anstieg der Kurve

Kurve 2.

Ku~,~ I. 160

i "° :',

.o,, IF'-L .oj 12o , zo ao 4o 5o ~o 120i 10 "20 30 40 50

S-f6rmig wird. flier erhebt sioh aber die Kurve noch sofort fiber dis Abszisse, w/ihrend bei ausgesprocheneren Fgllen, wie wir in Kurve 3 sehen, der Anstieg des Blutdrucks erst naeh Verlauf einiger Minuten beginnt.

l{urve 3. 150 150

140

130

120 j 1 0 - 21

\ \

\ 1 50 50 70

Ganz schwere Fiille zeigen Kurven ~tlmlich der in Kurve 4 abgebildeten. Der Blutdruck sinkt nach der Adrenalininjektion zuni~ehst unter den Ausgangswert herab, um dann erst anzusteigen.

r ~

\ /

Kurvc 4. 1~0

• 150 /

140 /

130 I 120 I 5 0

Kurve 5.

\ N

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38 Kurt Dresel~

Hierbei ist zu bemerken, dass das prim/ire Absinken, das von mir zum erstenmal beobaehtet wurde, manehmal noeh erheblieh hghern Werte zeigen kann, als in der Kurve 4 angegeben ist, wie wit spiiter sehen werden.

Die sehnell ansteigende und abnorm hohe Adrenalinblutdruekkurve~ wie sie uns Kurve 5 veransehaulieht, findet sieh regelmgssig bei Sympathiko- tonisehen.

Im folgenden sollen einige Krankengeschiehten die Richtigkeit dieser Kurven belegen.

Pat. V., Star. 5, 36 .lahro air. Familienanamnese ohne Besonderheiten. Menses zuerst mit 16 Jahren, immer unregelmiissig. Seit dieser Zeit Magenbeschwerden~ die regelmiissig besonders im \\inter auftraten. Erampfhafte Schmerzen in der Magen- gegend, (tie beiderseits nach dem Gtirtel zu ausstrahlen und die mitunter sdn' heftig waren. ReinBrechreiz. DieSchmerzen xerschwanden, wenndiePatientin einheisses Getriink zu sieh nahm od<' cinen heissen kimschlag machte. Zu denZeiten~ indenen die Magenbesohwerden aul't.raten, stellten sich auch anfallsweise ,,ErSmpfe in der Luft- riJhre" ein. WShrend des ll.edens blieb ihl oft ,die Lug weg~q Sie muss dann tief einatmen~ hautig starkes tlerzklopfen, Appetit immer gut. Stuhlgang regelmiissig. Vor 12Wochen normale Entbindung. Bald darauflraten die oben beschriebenen Anfglle besonders heftig anf. Einmal Erbrechen. Stuhlgang bin und wieder angehalten. Bri~cklig, reich mit Sehleim iiberzogen.

B e fun d : Mittelgrosse Fra~t mit kriiftiger Musliulatur und blassen Schleimh~iuten. Zunge leicht belegt. Beim Sprechen oft eine Art lmftschnappen. Thorax ohne Be- sonderheiten. Tiefe Inspiration ist nicht zu erzielen, auch kein Anhalten der Luft nach Inspiration. Lungcn o.B. tterzgrenzen regelrecht, schmale Aorta, TiJne leise, Puls regolm~issig. 85 in tier Minute. Blutdruck 100 : 75 Riva-l¢occi. Leib weich, in der Magengegend etwas druckempfindlich. Mageninhalt nach Probefriihst{ick: freie Salz- sgure 107 Gesamtaziditiit 17. Die iibrigen Organe und animales Nervensystem o. B. Urin fl'ei yon Eiweiss und Zucker. Stuhlgang regelmiissig, vereinzelte Schleim- beimengungen, t{i~ntgenuntersuchung yon tterz: bungen und l~lagen ohne krank- haften Befund, bis auf Drucksehmerzhaftigkoit am Magenfundus. Kein okkultes Blut im Stuhl.

Nachdem einige der oben gesohilderten Anfiille aufgctreten waren, wird die Untersuchung des vegetativen Nervensystems vorgenommen. Bei Druck auf beide Bulbi (Asohner) geht die Frequenz yon 85 auf60 zuriick. Die Schlagfolge ist sehr unregelmS.ssig. Zun~ichst setzt der l'uls ftir drei Sekunden aus und ist in der Polge klein und welch. Den ltiSrper {iberfliegt eine tlitzowelle. In den Achseln verst~irkte Schweissekretion. DiePr~fung der respiratorischen Arrhythmie ist wegen der sehlechten Inspiration unmSglieh. Die InjelCtion yon Adrenalin verursacht kein FrSsteln und kein tlerzklopfen usw. Im Gegenteil ~iussert die Patientin spontan eino Viertelstunde naeh der Injoktion~ dass ihr diese Spritze ein Gefiihl der Erleichterung verschafft hiitte. Desgleichen wirkt Atropin ausgezeichnet auf die Beschwerden der Patientin. Nach der lnjektion yon l ing Atropin. sulf. verschwinden die Schmerzen prompt und aueh die Luftbeschwerden sind wie weggeblasen. Die Patientin gibt in geradezu fiber- sohwenglicher Weise. ihrem Wohlbefinden Ausdruek.

Es war uns nach diesem Verhalten auf die vegetativen Gike ldar~ dass es sich um Erscheinungen handelt, die in die Gruppe der vagotonisehen Beschwerden ge- hSren. Dementsprechond zeigte die Adrenalinblutdruckkurve dieser Patientin einen Verlauf, wio wir ihn in Ifurvo 6 sehen:

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72O

7 1 0

go

l)er Eintluss (los vcgetativon Nervensystems auf (tie Adrenalinblutdru@kurve.

Kurve 6. T a b e l l e 1.

~ ttgigEal,4 LIIII-B gI.,'rOti b'," K.- KURVE zeit

AL /

V 5 4 0

Vor der Injektion . . . . 3 Min. naeh der lnjekt.

% N ~ l 0 ,. ,, ,, , 15 . . . . 20 ,. ,. ,, 30 . . . .

3!~

Blutdruek

100 mm Hg 90 . . . .

100 . . . . 110 . . . . 115 ,, ,, 110 ,, . 100 ,, .

l/agotonie daj'e~'eio~ Vosgt. 5ta .v

den hSehsten Wert yon l l S m m Hg zu erreiehen und innerhalb yon 30 Minuten naeh der In jekt ion wieder zur Norm herabzusinken.

Pat. W., Stat. 5~ 47 aahre. Pamilienanamnese ohne Besonderheit. Menses bis vor a/4 Jahren immer regelmgssig. Seit dieser Zeit Menopause. Friihere Krankheiten kommen fiir uns nieht it/ Betraeht. Seit etwa 21/2 Jahren leidet die Patientin an krampfartigen Schmerzen, di% im Epigastrium beginnend~ beiderseits dem Ilippen- bogen entlang nach der Wirbelsgule und dem ttalse zu ausstrahlen. Die Anfiille treten fast t~iglioh auf: mitunter sogar mehrmals t~iglieh. Sie werden dutch plStzliehen Temperaturweehsel und geringe Anstrengungen ausgelSst, dauern etwa z/2 Stunde und sind.von Brechroiz begleitet. Mitunter sehleimiges Erbrechen. Stuhlgang etwa jeden dritten Tag. Appetit in letzter Zeit sehlecht. Sonst keine wesentlichen Be- sehwerden.

Befund : Grosse krS~ftige Frau in gutem Ernr~hrungszustand. ttaut troeken. Zunge feucht, leieht belegt. Raohenreflex sehwaeh auslSsbar. Thorax und bungen _~hne Besonderheiten. Das Herz zeigt im gSntgenbilde die spitze Form des linken Ventrikols, wie sie yon IV. Kraus als typiseh ffir das vagotonisehe Herz besehrieben worden ist. Aorta sehmal. TSne rein~ Puls regelmgssig~ 60 in der Minute. Blut- ~ruek I15:75. Leib weieh, im Epigastrium an umschriebener Stelle leieht druek- empfindlieh. Rgntgenologisoh fand sieh in der Mitre des Magens eine Raffung, die wghrend der Untersuehung unverRndert bestehen bliob. In den tibrigen Organen kein '~rankhafter Befund. Urin frei yon giweiss und Zueker. Im Stuhl kein okkultes Blur. Wassermann negativ.

Naebdem mehrere der oben erwShnten Sohmerzanfglle aufgetreten waren, wurde eine Funktionspriifung des vegetativen Norvensystems vorgenommen. Bei Beginn der Jntersuehung Puls in Ruhe 85. Auf der ltShe tier Inspiration 60 in der Minute. Beim ?ze rmak ' sehen Vagusdruek 72in der Minute. Asehnor : Bei stiirkerem Druckauf beide Bulbi setzt die Herztgtigkeit vSllig aus, bei mittlerem Druek 24 sehr unregel- miissige Sehl~ige in der Minute. Naeh tiiglieh vorgenommener Injektion yon Atropin eersehwinden die Besohwerden der Patientin fast vSllig. Bisweilen etwa 7--8 Stunden .aach der Iejektion ein leiehtes Druekgefiihl. Bei Aussetzen der htropinbehandlung ~euerdings A uftreten yon Sehmerzen. RSntgenologiseh zeigt sich, dass naeh Atropin- njektion die oben erwiihnte fixe Raffung des Magens versehwunden ist.

All dies deute t darauI bin, dass es sieh aueh bei dieser Pa t ien t in ,m eine Ueberregbarkc i t im parasympath i sehen System handelt .

l )er g lu td ruck ffillt also bei dieser Pa t ien t in sofort nach der Adrenal in injekt ion yon 100 auf 90 mm t tg herab, um dann all-

miihlich s te igend in 15 Minuten

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40 K u r t D r e s e l ,

Dementsprechend verlief die massen (siehe Kurve 7, Tab. H):

T a b e l l e II.

Zeit Blutdruok

Vor der Injektion . . . . . 3 Min. nach der Injektion

10 , ,. , . 15 , 20 . . . . . . . 25 . . . . . ..

Adrenalinblutdruckkurve folgender-

Kurvo 7.

n'~ A OR£.qAI.IN'81.UT#R VCK o HVRV£.

105 mm Hg /2'49 j ~ 105 , ,, , 105 108 ,. ~00 110 . . . . 5 10 2 0 2~Min n . d . 1o~ ,, Va g Ond'e lt tio a lo5 . . . . otonie

Westphal 51ai'. V

Wir sehen hier also eine S-f0rmig vorlaufende sehr flache Adrenalin- blutdruckkurve.

Pat. L W., Poliklinik. Diagnose: Asthma bronchiale. Das Asthma bronchiale ist eino typiseho Vagusneurose, und dom entspraeh aueh dor Vorlauf der Adrenalin- blutdruckkurve (siehe Kurve 8, Tab. III):

T a b e i l e III.

Zeit Blutdruck ~

OJO Vor tier Injektion

5Min. naoh der Inj. 10 . . . . . . . . 15 , . . . . , 20 . . . . . 30 . . . . . 45 . . . . . 60 . . . . . . .

100 mg Hg loo , ,, I ~ # 95 ,, ..

115 . . . . 120 ,, , ~/1# 110 . . . . 105 ,, , 100 . . . . 1 0 ~

gO Aueh hier sehen

wir also ein anf/ing- liches Absinken des Blutdruckes nach der Injektion yon Adre- nalin.

Kurve 8.

A#RENdM#-BI T R -]f VR Y£

Y \ / \ r

4 !

"1o 20 30 ~-o 50 Go Min.~.d Vaq,otott i e Jnje~tz'on

Y i ld¢ ~o l i~ l .

Pat. F.~ Stat. 5, 26 Jahre~ Fuhrherr. Familienanamnese ohne Besonderheit. Friiher immer gesund bis auf Grippe im Jahre 1918. Soit Juli 1919 leiohter Druck in der Magengogond und Schluokbesehwerdon. Vor jeder Mahlzeit hppotit sohr gut. Naohdom or etwas gegossen hatto~ schwand dor Appetit bald. Stuhlgang moist an- gehalten, zeitweise Durchfiille.

B o f u n d : Blass aussehender Patient in m~ssigem Ern~hrungszustand. lnnore Organo o .B. Puls 56. Blutdruok 115: 70. Naoh Probofriihstfick: Gesamtaziditiit 21, freie Salzs:~iaro 13. Animales Nervonsystem o.B. Im Stuhl koin okkultos Blur. RSntgon- durchleuchtung des Magens ergibt vSllig normalon Bofund. Der Magon ist stiorhorn- f6rmig und zoigt lebhafte Peristaltik. Untersuchung dos vogotativen Norvonsystems. Puls in Ruhe 56. Bei A s ¢ h n e r 'schom Bulbusdruck 44. Im gleichzoitig aufgonommonen

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Oer Einfluss dos vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve. 41

Elektrokardiogramm fallen einzelne Ventrikelkontraktionen vSllig aus. Die Vorhofs- zaoken sind regelm~ssig vorhandon. Deutlicho rospiratoriseho Arrhythmio. Naeh Atropin verschwinden die Beschworden gii.nzlich und Patient ffihlt sioh danach sehr wohl. Die Adrenalininjektion hat nur oine sehr geringo Allgemeinreaktion zur Folge.

Die Adrenalinblutdruckkurve hat folgenden Verlauf (s. Kurve 9, Tab. IV):

Kurve 9.

~ m ADREN/~L/~BLUTORUCK= K U /~ UE

126 / ~ Vor ~e~ m iektion ..... V ~ 3 Min. naeh der lnjekfion

]:/0 ~o . . . . . 15 . . . . . . . ~0 . . . . . . 30 . . . . . . .

T a b e l l e IV.

Zeit Blutdruek

115 mm Hg II0 , 115 , 125 , ., 125 ,, , 120 ,, ,, 115 , ,.

;q'6

130

¢20

410

400

9o

Jo

\

\ \

20 ~0

l ragoloni¢ Tat v. Poli~l.

dnjetaa'on

T a b e I l e V.

Zeit Blutdruck

Vet der Injektion . . . . . 2 Min. nach der Injektion

10 . . . . . . . . 15 . . . . 20 ,. . . . . . 25 . . . . 30 ,. ,. 35 .. ,, ,. 40 . . . . . . .

115 mm Hg 105 ,, , 80 , ,,

130 . . . . 150 ,, , 150 , , , ,

145 , , 140 , , 135 , , 130 , ,

Wir sehon eine typ isch¢ vago-

ton ische A d r e n a l i n b l u t d r u c k k u r v c .

Der Abfa l l des B l u t d r u c k s yon 115 au f 80 m m Hg is t der st '~rkste, den ich bisher nach e iner h d r e n a l i n i n j e k - t ion zu beobach ten Ge lcgenhe i t hat te .

Kurve 10, Tab. V):

Kurve 10.

~ T ~ R E ~A~ I~ SZ UWR UC~ tf Ys~ VE.

5 Io 20 30Mia. Ya~oton ie n'd" 3nf .

Pat. E 5tat. V

Die Kurve s ink t in den ers ten drei Minuten um 5 m m Hg ab, um d a n n ers t allm~ihlich anzus te igen und nach 30 Minuten ihren Ausgangs -

wer t wieder zu erreichen.

Pat. V., Poliklinik. Die Patientin sueht wogen ausgesprochoner vagotonischor Erschoinungen die Poliklinik auf. Sio klagt fiber anfallsweises huftroten yon Salivation und Triinontriiufeln. Sio schwitzt immer sohr stark, hat daboi abet kalte Hiindo und Ffisse. Der h s c h n o r ' s c h o Bulbusdru¢k hat eine starko Vorlangsamung dos Pulses zur Folge, rospiratorisehe hrrhythmie. Hyperaziditiit 68:42. Nach Pilokarpiniujoktion sehr starker Schweissausbruch and vermehrtor Spoieholfluss. Nach htropin zeitwoises Versehwinden dot Boschwerden.

Die A d r e n a l i n b l u t d r u c k k u r v e dieser Pa t i en t in verl ief wie folgt (siehe

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42 l{urt Dresel,

Zur Illustration des Kurvenverlaufs bei Sympathikotonischen eignet sich vorziiglich ein Fail, den Herr R e t z l a f f aus unserer Rlinik be- sehrieben hat (18).

Es handelte sich um einen 46 3ahre alten Patienten mit Hirseh- sprung'seher Krankheit~ dessen vegetatives Nervensystem untersueht wurde, um eventuell hieraus S&liisse auf die Aetiologie dieses Leidens ziehen zu k6nnen.

lrgendwelehe Erscheinungen yon St/3rungen des vegetativen Nerven- systems an Augen: l taut usw. waren nieht zu erkennen. Aschner, Czermak, Erben v611ig negativ. Keine respiratorisehe Arrhythmie. Die Injektion yon Physostigmin hatte keinerlei Einwirkung auf das Befinden, Speieheltluss trat nieht auf. Blutdruek und Puls blieben fast vOllig un- veriindert. :2 rag! Atrop. sulf. waren ebenMls ohne jegliehen Einfluss auf Befinden, Blutdruek und Puls.

Die Injektion yon 1 mg Suprarenin dagegen hatte eine ausserordent- lieh starke Wirkung. Das Gesieht wurde blass, es traten Sehmerzen in Kopf und Brust auf. Tremor des ganzenI{6rpers, besehleunigte Atmung, stark besehleunigter arrhythmischer Puls.

Die Adrenalinblutdruekkurve hatte folgenden Verlauf (siehe Kurve 11, Tab. VI):

Tabelle Vl. Kurve 11.

Zeit Blutdruek

Vet der Injektion . . . . . . . . . 5 Minuten naeh dcr In.iekt, ion

10 ,. ,,

~0 , ,. , $5 3O

110 mm Itg 210 . . . . 195 .. ,. 170 . . . . 150 ,. 135 .. 130 ,. ,.

In diesem Falle, der bei der phy- sikalisehen wie bei der pharmakologisehen Priifung keinerlei Zeiehen einer erh/3hten Vagusemptindliehkeit aufwies, zeigte die Adrenalinblutdruekkurve einen kolossal bteilen hohen Anstieg yon 110 auf 9.10 mm Hg innerhalb von 5 Minuten. l)ann [iel der Blutdrucl¢ zuerst sehnell, dann langsam wieder ab.

Die t{urve ist so typisd~, dass es sidl eriibrigt, bier mehrere mit dem gleiehen 13efunde wiederzugeben. Man sieht iihnlidm Kurven, insbesondero in den F ' " 1 auei yon Basedow, die bei nieht rage-

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tonisehen, sondern mehr sympathikotonischen lndividuen entstanden sind. N~iher auf diesen Punkt einzugehen ist iiberfliissig, da Herr G r u n e n - berg aus unseror Ktinik hieriiber ausfiihrlieh beridlten wird.

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l)er Eintluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruokkurv(.. 4~~

Schon in meiner ersten Ver6ffentliehung fiber die Adrenalinblutdruek- ~urve habe ich far das versehiedene Verhalten derselben eine Erklt~rung gegeben, die ieh noeh heute aufreeht erhalte. Bei konsequenter Ver- folgung dieser Theorie kommt man abet zu noeh vial weitgehenderen Sehliissen iiber den Wirkungsmeehanismus des vegetativen Nervensystems. Diese Ueberlegungen sollen im folgenden auseinandergesetzt werden.

Epp inge r und Hess (19) haben in ihrer grundlegenden Arbeit fiber die Vagotonie das Verhalten des vegetativen Nervensystems dutch ein Gleiehnis zu erl'autern versueht. Die antagonistisehe Wirkung versehiedener Pharmaka wie Pilokarpin, Atropin und Adrenalin in der Weise, dass autonome Reizung und Sympathikusliihmung einerseits, Sympalhikusreizung und autonome L/ihmung andererseits symptomatiseh iibereinstimmen, ver- gliehen sic mit einem Wagebalken, der, im Gleiehgewieht befindlieh, den ~quilibrierten Tonus der beiden Systeme darstelten soil, dessen Gleieh- gewieht abet dutch Aufsetzen eines Gewiehts auf der einen Seite in der- selben Weise gestiirt wird, wie wenn man auf der and~'ren ein Gewieht abnimmt.

Dieses Gleiehnis setzt voraus, dass bei lleizung in einem System sich das andere vSllig passiv verhiilt. Dem ist abet nieht so. leh habe weiter oben bei der I~espree.hung der experimentellen Tierversuehe fiber die Blutdruekwirktmg des Ad~'enalins gezeigt, dass der Naehweis gelungen ist, dass mit de,' sympathisehen Erregung dutch das Adrenalin eine zentrale Vaguserregung einhergeht. So kommt es, dass tin restloses Auswirken des Adrenali~s verhindert wird.

Diese Einriehtung ist iiusserst zweekm/issig. So wird erreieht, dass das vegetative Nervensystem immer bestrebt ist, eine gewisse Gleieh- gewiehtslage wiederherzustellen. Sympathikus und Vagus sind im Effekt antagonistiseh; um abet die Funktionen, die yon ihnen beherrseht werden, nieht yon einem Extrem in das andere fallen zu lessen, mfissen sie in ihrer Wirkungsweise Synergisten sein. Tritt in dem einen System eine Erregung auf, so muss das andere ebenfalls in Funktion treten, um wenn irgend mSglieh des Gleiehgewieht wiederherzustellen.

Das Wagebalkengleiehnis Eppinger und Hess ' wird dem nieht ge- reeht. Hier sehen wit nur den Antagonismus; wird auf die eine Wag- sehale ein Gewieht gelegt, so erMlt sic des Uebergewieht, ohne dass auf der anderen Seite dem in irgend einer Weise entgegengearbeitet wird. Den wirklichen Verhiiltnissen entprieht ein anderes Gleiehnis. Vergegen- w'artigen wit uns den Vorgang beim Spiel des Tauziehens. Auf jeder Seite eines Taues steht eine Partei yon K/impfern. Zun/iehst ist das Tau nur so beansprueht, dass es nieht auf den Boden herabMngt. Gleiehe KrMte wirken auf beiden Seiten. Wird das Zeiehen zum Kampf gegeben, und beginnt auf der einen Seite die Partei ihre Kriitte zu vervielfaehen, um das Tau zu sieh heriiberzuziehen, so wehrt sieh sofort die andere Partei und sueht den Angriff abzuwehren. Es kommt zu einem Hin und Her, a ber wenn die St'arke beider Parteien gleieh ist, so gelingt es immer, das urspriingliehe Gleiehgewieht wieder zu erreiehen.

So miissen wit uns aueh den Kampf zwisehen Vagus und Sympathikus vorstellen. Aueh sic ziehen naeh versehiedenen Seiten an demselben

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44 Kurt Dresel,

Strang, auch sie reagieren auf jede Kraftanstrengung der anderen Seite, die einer stKrkeren Erregung entspricht. Beide vervielfachen aber nur ihre Bemiihungen, sobald ein Angriff des einen sie dazu zwingt. Liisst der Angriff naeb, so kann auch die Verteidigung sich Ruhe g~nnen.

Anders liegen die Verhaltnisse, wenn die Kr~fte auf beiden Seiten versehieden verteilt sind. Aueh dann besteht zwar in der Ruhelage ein Gleichgewicht, greift aber die st/irkere Partei an, so gelingt es ihr bald, trotz aller Gegenwehr der anderen den Sieg davonzutragen. Auch die schw/i.ehere Partei kann den Kampf beginnen. Sobald sic aber den An- griff dutch ein vermehrtes Ziehen am Tau kundgibt, liist sis eine Ver- teidigung der st/~rkeren Seite aus, die nun ihrerseits bald die Initiative ergreift und wiederum den Kampf zu ihren Gunsten entscheidet.

Uebertragen wit dies Gleichnis auf den speziellen Fall, wie wir ihn im Verhalten des vegetativen Nervensystems nach der Injektion yon Adrenalin, dem ausgesproehenen Erreger des Sympathikus, auf Grund der Blutdruekkurve oben geschildert haben.

Normalerweise finden wir die parabolisch ansteigende Kurve, die all- m~hlieh wieder zur Norm abfifllt (siehe Kurve 1). Wir m(issen annehmen, dass das normale vegetative Nervensystem auf beiden Seiten mit gleichen Krifften arbeitet. Dutch die Injektion des Adrenalins wird die Kraft auf der einen Seite abnorm gesteigert und der Blutdruck steigt an. Wiirde das sympathisehe System allein hemmungslos seinen Einfiuss geltend maehen, so miisste der Blutdruck, wit wit es auch beim sogenannten Sympathikotonisehen zu sehen gewohnt sind (siehe Kurve 5), sofort steil in die H(ihe schnellen bis die Kraft des Adrenalins verbraueht ist. Ist aber das vegetative Nervensystem in ordnungsm/issigem Zustand, so iiberlasst der antagonistisehe, also Blutdruek herabsetzende Vagus nieht ohne Kampf dem Sympathikus seinen Sieg. Mit roller Kraft setzt sofort seine Verteidigung ein und nur ganz allm/ihlich muss er sieh dem Ueber- gewieht des durch Adrenalin in seiner Kraft gesteigerten Sympathikus beugen.

Anders liegen aber die Verhtiltnisse bei der sogenannten Vagotonie. Hier ist der Vagus yon vornherein in einem Zustand der Ueberlegenheit gegeniiber dem Sympathikus. Wird dieser nun durch die Adrenalininjek- tion gereizt, so entsprieht dies zunachst einem Angriff der schwiieheren Partei. In den ersten Minuten, in denen das Adrenalin noeh nichf voll zur Wirkung gekommen ist, kann der den Angriff parierende Vagus je nach der Menge der vorhandenen iibersehiissigen Kraft entweder den Anstieg des Blutdrucks im Beginn der Kurve verhindern, oder gar seine selbst dem miissig gereizten Sympathikus gegeniiber noeh gr0ssere Kraft erlaubt es ihm, eine Blutdrueksenkung hervorzurufen. (Siehe die oben mit- geteitten Kurven yon Vagotonischen.) Trotzdem wird aber nach einigen Minuten der Blutdruck wieder ansteigen, denn erstens wird mit jedem Augenbliek die Kraft des Sympathikus durch die sieh steigernde Adrenalin- wirkung waehsen~ zweitens aber wird allm/ihlieh der Gegenzug des Vagus dadurch vereitelt, dass das Adrenalin zur vollen Wirkung gelangt ist. Biedl hat niimlieh gezeigt, dass auf dem H(ihepunkt der Adrenalinwirkung bei Reizung des Vagus keine Hemmung des tterzens, bei Reizung des

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Dor Einfluss des vogotativon Norvonsystoms auf die Adrenalinblutdruckkurvo. 45

N. depressor keine Blutdrueksenkung zustande kommt, dass also das autonome System vSllig ausgeschaltet ist. So kommt es, dass auoh beim Vagotonisehen der Blutdruck allmiihlioh wieder ansteigt, nicht abet oine grSssere HShe erreicht und dann zur Norm zurfickkehrt, wenn die Kraft des Adrenalins nachl/isst.

Um die Entstehung der verschiedenen Formen der Adrenalinblut- druckkurven aus dem geschilderten Kampf yon Sympathikus und Vagus

noch besser zu veranschau- Kurve 12.

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150 1

//0., :~ 2~ ,'~ 30 ~7 h~iy, n.d. '~

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70 Vag u s Entstehung der normalen ADI~ENALIN-BLUT- DRUCK-KUP~VE. Die mittlere Kurve ist die Resultante aus der oberen und unteren Kurve, welche den Einfluss des Adrenalins auf den

Sympathikus und Vagus darstellen.

lichen, mSgen die folgenden Kurven dienen.

In Kurve 12 sehen wir zuniiehst die stei[ nach oben gerichtete sympathikoto- nische Kurve, die entsteht, wenn vom Vagus aus keiner- leiWiderstand geleistet wird. Tritt dieser jedoch, wie as normalerweise geschieht, in Erscheinung~ so sucht erden Anstieg des Blutdrucks so gut es geht zu verhindern. Dem mSge die nach unten gerichtete Kurve Ausdruok geben. Wie wir oben aus- einandergesetzt haben, ist die Vaguswirkung nieht so lange anzunehmen wie die Sympathikuswirkung. Auch dem ist in der Zeichnung Rechnung getragen. Er- rechnen wir nun aus der Sympathikuskurve und der antagonistischen Kraft des Vagus die in jedem Augen- blick vorhandene Wirkung auf den Blutdruek, so ent- steht die mittlere allm/ih- lich ansteigende und all- miihlich wieder abfallende Kurve, wie sie beim nor- malen vegetativen System zu finden ist.

Aehnlich stellen die Kurven 13 und 14 die Entstehung der S-fSrmigen und negativen vagotonischen Blutdruckkurve aus der normalen dar. Die mittleren Kurven sind errechnet aus der normalen Kurve, wie sie in Kurve 12 gefunden wurdo, und der abwiirts gerichteten Kurve, die in beiden Abbildungen die mehr oder minder starke Uebererregbarkeit des autonomen Systems wiedergibt.

Page 13: Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve

4 6 l ( u r t Drese l~

Einen Beweis fiir die Riehtigkeit meiner Auffassung fiber die Theorie der Adrenalinblutdruekkurve wic fiber ihre klinische Bedeutung sehe ieh zuniichst in der Tatsaehe 7 dass es gelingt~ eine vagotonische Adrenalin- blutdruckkurve durch vorherige reiohliohe Atropinmedikation~ also durch Ausschaltung des Vagus in eine typisch sympathikotonisehe zu ver- wandeln.

Der Versueh wurde in der Weise angestellt, dass zuerst wie gew6hn- lioh die Adrenalinblutdruekkurve ermittelt wurde. Daraufhin erhielt der Patient 3 Tage lang 3real t/tglieh je a/2 mg Atropin. sulf. in Pillenform. Hie> durch wurden gleiehzeitig die vagotonisehen gesehwerden in den beiden

Kurve 13. H~'

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120 l /O, f i J

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Kurve 14.

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Entstehung der S-fSrmigen vagotonischen ADILENAL 1 N-BLU TDRUCK-]~iU RVE.

Die mittlere Kurvc ist die Resultante aus der oberon normalcn Kurve und der unteren, die der Ueberorregbarkeif: Ausdruck gibt,

(tie im Vagus vorhanden ist.

Entstchung der negativen vagotonischen A DR E NAL 1N-B LUT I)RU C K- KU]{ VE.

Die mitt, lore Kurvc ist die lLcsull, ante aus tier oberen normalen Kurve und der unteren, die die sehr starkc Ucbercrregbarkoit inl

Vagus darstellt.

sp/iter zu schildernden Fiillen prompe zum Sehwinden gebracht. Am 4. Tage wurde zuniichst der Blutdruek gemessen. Eine lnjektion yon 1 mg Atropin. sulf. subkutan verabfolg L (]ann 1 Stunde gewartet~ um die Wirkung auf den Blutdruck abklingen zu lessen, nun neuerdings der Biutdruck gemessen, um sicher zu gehen, dass er seine vet der Injektion festgestellte Hbhe wieder erreicht hat~ was regehniissig der Fall war. Im Anschluss hieran wurde nun wiederum die Adrenalinblutdruokkurvc aufgenommen.

Ieh gebe hier zwei derartige Untersuchungen wieder, die so gleich- artig ausgefallen sind, dass sic gemeinsam besproehen werden kSnnen. (Siehe die Kurven 15 und 16 sowie Tab. VII und V[II.)

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l )er t: ,ini ' luss d e s v e g e t a t i v e n N e r v e n s y s t e m s a u f d ie A d r e n a l i n b l u t d r u d i k u r v e . -{7

K u r v e 15. l ( u r v e 1 (;. ',,'

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Botcher.2. Slat. UZ. T a b e l l e V i i ( P a t . D e l l m a n n ) .

B l u t d r u c k Ze i t

V. d. l n j e k t i o n yon Adrer~al in

2 Min.n d lnj .

lO . . . . . . . . 15 ,. ,. ,. ,, 20 . . . . ,, , 30 . . . . . . .

vor Af~ropin n a c h A t r o p i n

102 m m H g 115 him l ig 100 . . . . 122 . . . . 1{)5 . . . . 170 . . . . 109 .. ,, 178 ,, 114 ,. ,. 168 . . . . 120 ,. ,, 1 6 0 ,. ,. 115 155 ,, 108 .. ,, 130 . . . .

T a b e l l e V i i i ( P a t . B o r e h e r t ) .

B h i t d r u c k Zei t

vor A~:ropin n a c h A t r o p i n

V. d. [ n j e k t i o n v,m A d r e n a l i n

2 Min .n .d . In j .

10 ,. ,. . . . . 15 . . . . . . . 20 . . . . . . . 3 0 . . . . . . . ,

118 m m H g 120 ,, 124 ,, 127 . . . . 130 135 ,. 1',)9 ,. 12J~ ~ ,,

120 m m l tg 160 ,, 175 168 164 .. 160 . . . . 155 . . . . 135 .. ,.

in beiden F/~llen sehen wir vor der Atropinmedikation eme typisd, vagotonisehe Kurve. Im Falle Dellmann mit dem paradoxen negativen Beginn, im Falle Borehert mit dem langsam {r/igen Anstieg. Naehdem nun dutch ktropin der Vagus gel'ahn~t war, entsteht bei beiden Patienten die typisehe steil- und hoehansteigende sympathikotonisehe Kurve.

Aus Tiervorsuehen ist l'angst die \rerst/irkung der Adrenalinwirkung dureh Atropin bekannt. Obige Kurven sollen nur zoigen~ dass wirklieh der Verlanf der Adrenalinblutdruekkurve beim Mensehen bedingt ist dureh den mehr oder minder starken ginttuss des Vagusl).

1) A n m e r k u n g b e i d o t K o r r e k t u r : N a e h d e n y o n S c h i f f u n d B g l i n t im

. J ah rb . f. K i n d e r h e i l k . ~ B d . 94~ S. 1~ k i i r z l i c h m i t g e t e i l t e n B e o b a e h t u n g e n s o h e i n e n d ie

Verhii, l t n i s s e boi K i n d e r n e t w a s a n d ~ r s z u l i e g e n .

Page 15: Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve

48 Kurt Drosel,

Aueh die Befunde~ die Herr Grunenberg in unserer Klinik an Basedowkranken vor und naeh der Operation erhoben hat, und die dem- niiehst mitgeteilt werden sollen, lassen sich zur Begriindung meiner Auf- fassung verwerten. Ieh hatte bei der Untersuchung verschiedener F/ille yon Basedow festgestellt, dass sich manchmal eine sympathikotonische, manehmal eine vagotonisehe Adrenalinblutdruckkurve findet. Es fiel mir jedoeh bald auf~ dass niemals bei derartigen Patienten eine Kurve mit negativem Beginn auftrat. Die Ursache hierfiir ist darin zu suchen~ dass~ wie wir l/~ngst wissen, die Hyperfunktion der Schilddriise eine Aktivie- rung der Sympathikuswirkung entstehen l/isst. Dementspreehend konnte aueh G r u n e n b e r g feststellen, class nach der Operation regelm~issig ein Niedrigerwerden der Adrenalinblutdruckkurve zu beobachten ist, und zwar auch der schon vorher als vagotonisch zu bezeichnenden. Diese Ver/inderung seheint mir ebenfalls meine Ansicht zu stiitzen, dass die Adrenalinblutdruekkurve ein gutes Bild gibt, wie in jedem einzelnen Falle die Zusammenarbeit yon Vagus und Sympathikus beschaffen ist.

Dass eine st/irkere Erregung im Vagus die Form der Adrenalin- blutdruckkurve i~ndert, konnte ict~ auch im Tierversuch nachweisen.

Kurvc 17,

Adrenalin (0,2 cem) intravenOs.

Rechtsseitige Vagusreizung Kurve 1S.

Adrenalin (0,2 ecm) iatrav. Sehluss der Vagusreizung.

1)oppelseitige Vagusreizung Kurve It,).

Adrenalin (0,2 ccm) intraven(Is. Sehluss der Vagusreizung.

Beim Kaninchen wurde die Karotis und der Vagus am Halse frei- gelegt~ eine Kaniile in die Karotis hineingebunden und durch Verbindung mit einem Schreibhebel d6r Blutdruck fortlaufend auf einer rotierenden Trommel aufgezeiohnet.

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Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve. 49

Wurde dem Kaninehen intravenSs 0,2 ecru der Suprareninl6sung 1:1000 injiziert, so stieg wenige Augenblicke spiiter der Blutdruck ziemlich steil an, um bald ein Plateau zu erreichen und sehr langsam wieder zur Norm abzufallen. (Den hnstieg des Blutdrueks siehe Kurve 17.)

Nun wurde der Vagus zun/ichst rechtsseitig, sp/tter doppelseitig elektrisch gereizt und gewartet, bis der abgesunkene Blutdruck wieder zur Norm zuriickgekehrt war. Wurde dann unter fortdauernder Vagusreizung die gleiche Menge Adrenalin injiziert, so entstand wie beim Vagotoniker ein S-fSrmiger tr/iger Anstieg des Blutdrucks (siehe die Kin'yen 18 und 19).

Sowohl die Kurven der Vagotonischen wie auch die experimentellen Untersuchungen zeigen uns deutlich den schon oben erw/ihnten Synergis- musder beiden in ihrer Wirkung antagonistischen Svsteme des vegetativen Nervensystems.

Zur Weiterfiihrung dieses Gedankens ist es notwendig, auf die Streit- frage einzugehen, ob wir es beim Vagotonisehen wirklich mit einem er- hShten Tonus im erweiterten Vagus, wie Eppinger und Hess annahmen, zu tun haben. Meiner Ansicht nach ist auf diesen Punkt wenigstens bei der Beurteilung der klinischen Ergebnisse Epp inger und Hess ' allgemein ein zu grosses Gewicht gelegt worden. Nattirlich ist es yon grossem theoretischem Interesse, wie ein derartiger Symptomenkomplex zustande kommt, praktisch aber handelt es sich vielmehr um die Frage, ob das yon Eppinger und Hess beschriebene Krankheitsbild fiberhaupt existiert. Daran ist meiner Meinung nach nieht mehr zu zweifeln (siehe auch Drese l , ,Die Neurosen des vegetativen Nervensystems", in dem dem- niichst erseheinenden zweiten Band yon Brugsch 's Ergebnissen der ge- samten Medizin). E p p i n g e r und Hess wareu sich wohl bewusst, class Tonus und Reizbarkeit nieht identisehe Begriffe sind. Aus ihren Aus- einandersetzungen (1. c. S. 11 und 12) geht her,-or, dass sic unter er- hShtem Tonus nichts anderes verstehen wollen, als eine leichtere An- spreehbarkeit auf Reize irgendweleher Art. So f¢ihren sic als Beispiel fiir ein tonisierendes nicht direkt erregend wirkendes Pharmakon das Stryehnin an, yon dem wir wissen, dass es eme grSssere Ansprechbarkeit f~ir Reize hervorruft. Was wit in den F/tllen yon Vagotonie vor uns haben, ist aber auch nichts anderes als eine gesteigerte Ansprechbarkeit im Gebiete des Vagus, eine Uebererregbarkeit, oder Herabsetzung der Reizschwelle. Vielleicht w/ize es riehtiger gewesen, start Vagotonie ,Vago- labilitat" zu sagen, nachdem aber alas yon Epp inge r und Hess einge- fiihrte Wort so allgemein bekannt geworden ist, w/ire es unzweckm'assig, ein neues dafiir zu setzen. Notwendig ist nur, dass man sich fiber das, was es besagen will, vSllig im klaren ist.

Anders liegen die Dinge mit der Behauptung Epp inge r und Hess ' , dass, ,ein hoher Tonus" in einem System eine erhShte Erregbarkeit im anderen ,~fast ausschliesst ~ (I. c. S. 13). Das ,fast ~ schrieben sie schon deshalb, well sie in Gemeinschaft mit Pl6tzl (20) bei manchen Nerven- krankheiten und Psyehosen zu klinischen und pharmakologischen Resul- taten gekommen waren, die dem von ihnen theoretisch geforderten und praktisch vielfftltig gefundenen Antagonismus zwischen Pilokarpin- und Adrenalinwirkung entgegen standen. Sie batten geglaubt, dass Menschen,

Z~its(~hrift f. ~xp. Pathologio u. Th~rapie. 22. Bd. 1. n. 4

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50 l{urt Dvesel,

die auf Adrenalin stark empf/inglich sind, dem Pilokarpinreiz wenigcr zuganglich sein mtissen und umgekehrt. Somit glaubten sie also, das Vm'kommen einer Uebererregbarkeit im gesamten vegetativen Nerven- system zuerst ganz, sparer fast ganz ausschliessen zu kSnnen.

Demgegeniiber wurdc yon zahlreichcn Autoren wie Pe t rdn und Thor l i ng (21), F a l t a u n d Kahn (22), Fa l t a , Newburgh und Nobel (13), Bauer (14) und vielen anderen gezeigt, dass dieser Antagonismus dcr Adrenalin- und Pilokarpinwirkung in einer grossen Zahl yon Fallen nioht vorhanden ist. Dies wurdc auf das Vorhandenscin einer allgemeinen Uebererregbarkcit zuriiekgetiihrt.

W'ahrend also E p p i n g e r und Hess unter dem Banne des pharma- kologischen Antagonismus, des Tonusbegriffes und des Wagebalkcnglcich- nisses sich eine gleichzeitigc starke Reaktion auf Adrenalin und Pilo- karpin theoretisoh night vorstellen konnten, wurde yon anderen Autoren das VGrkommen einer allgemeinen Uebererregbarkeit festgestellt, aber eine befriedigende Erkliirung hiet`fiir nieht gegeben.

In dieser Beziehung kSnnen wit" weiterkommen, wenn wit uns die Ergebnisse der Adrenalinblutdt`uckkurve, wie ich sic oben gesehildert habe, zu Nutze machen. Wit' haben fcstgestellt, dass insbesondcre die negative Kurve, das Abfallen des BlutdruGks kurz naeh derAdrenalininjektion nur zu erklii.ren ist dureh einen Synergismus yon Sympathikus und Vagus in dem Sinne, dass bei Rcizung des Sympathikus der Vagus ebenfalls gcreizt wird und so die Sympathikuswit`kung teilweise odor ganz paralysiert wird.

Stellen wir uns nun vet, dass sowohl autonomes wit sympathisehes System iibererregbar sind. In unserem Gleichnis wiirde das einer Stiirkung bolder Parteien an den Enden des Taues entsprechen. Leicht k6nnen wir aus diesem Gleiohnis ablescn, dass untcr diescn VerMltnissen eine Aenderung in der Funktion dos vegetativen Systems nieht eintreten kiSnnte. Wiirden wir bei cinem so bcsehaffenen System die Adrenalin- blutdruckkurvc aufnehmen, so miisste sich eine norraale Kurve ergeben. Aber dies ist nur ein Bcispiel. Auch die Pilokarpinreizung wie die Atropin- mcdikatiGn k6nnten nurWirkungcn haben, wie sic auch dot" Normale aufweist.

Diesc sogenannte Uebererregbarkeit im vegetativen Nervensystem, worunter allgemein die leiehtc Ansprechbarkeit sowohl auf autonome wic ant sympathische Gifte verstanden wird, muss also auf einer ganz anderen Grundlage beruhen. Mit Absicht habe ieh oben mit besonderem Naehdruck den Synergismus von Vagus und Sympathikus betont. Dieser Synergismus ist kS, der eine sold~e Reaktion aueh bei noch so starker aber gleichm/issiger Steigerung der Erregbarkeit im vegetativen Nerven- system unm6glich macht. Wir mtissen also annehmen, dass bei starker Reaktion au[ alle vegetativen Gifte dieser Synergismus ausgeschaltet ist. Er entspricht in unserem Gleichnis dem Bestrcben beider Parteien, der anderen dan Sieg nicht zu {iberlassen. WiG dort dureh den Willen der Kampfer das Hin- und Herwogen des Taues bewirkt wird, miissen wir auch beim vegetativen Nervensystem ein zentrales Geschehen annehmen, das genau die T'atigkeit der beiden Systeme iiberwacht und rechtzeitig seine Impulse dorthin sender, we ein Unterliegen zu drohen scheint. Ich nehme also night etwa an, dass das Adrenalin selbst neben der erregenden Wirkung

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Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckkurve. 51

auf den Sympathikus aueh einen Reiz auf das Vaguszentrum aus~bt, sondern dass bei jeder sympathischen Erregung zentral eine Vagusreizung erfolgt, um so gewissermassen eine geordnete Bewegung zustande kommen zu lassen.

ieh m6chte darauf hinweisen, wie iihnlieh die Vcrh~Itnisse beim animalen Nervensystem liegen. Wie Herr F. H. Lewy aus unserer Klinik kiirzlich berichtet hat (23), entsteht bei der Beugung eincs Fingers schon Bruchteilc yon Sekunden nach dem Auftreten eines elektrischen St~romes im Beuger auch ein Strom im Strecker. Die Niitzlichkeit: dieses Ver- haltens leuehtet ohne weiteres ein. Sowoh] bei Innervierungcn im vege- tativen Nervensystem wie im animalen ist dafiir gesorgt, dass keine aus- fahrenden Bewegungen eintreten, dass die Funktionen nicht yon einem Extrem in das andere fallen.

Ist dagegen dieser Meehanismus ausgesehallet, so bedarf es garnieht einer Steigerung der Erregbarkeit, nieht einer Herabsetzung der Reiz- sehwelle um stiirkere als normale Reaktionen auf alle vegetativen Gifte in Erseheinung treten zu lassen. NatiMieh werden die Aussehliige noeh st/~rker sein, wenn ausserdem eine Uebererregbarkeit vorhanden ist. Aueh die MSgliehkeit ist gegeben, dass nur in einem der beiden Systeme die Reizsehwelle herabgesetzt ist. Dahn wird~ wenn aueh beide Systeme leieht anspreehen, in dem einen ein lYeberwiegen festzustellen sein.

All diese Verh/iltnisse k6nnen wit" wiederum an unserem Gleiehnis er6rtern. Die Aussehaltung des Synergismus dokumentiert sieh dadureh, dass das Gehirn beider Parteien nieht mitarbeitet, mit anderen Worten, dass auf beiden Seiten des Taus 31asehinen ziehen. Sola~ge gleiehe Kraft eingesehaltet ist, befindet sieh das Tau in Ruhelage. Wird auf einer Seite die Kraft der Masehine vermehrt, so zieht sie die andere zu sieh heriiber und umgekehrt. Arbeitet auf einer Seite eine Masehine mit einer H6ehstleistung von z.B. 50 Pferdekriiften, auf der anderen eine solehe yon 40, so wird, sobald in beiden eine kleine gleiehe Kraft z. B. 20 Pferdekr~fte eingesehaltet ist, ein Gleiehgewieht bestehen, aueh jetzlc wird, wenn relic Kraft in tier kleinen Maschine gegeben wird, alas Tau naeh ihrer Seite gerissen werden. Mit viel griJsserer Gesehwindig- keit wird dies aber gesehehen, wenn die gr6ssere Masehine auf voile Kraft gestellt wird. She r r ing ton hat gezeigt, dass bei .ieder reflekto- risehen Reizung sowohl dem Protagonisten wie dem Antagonisten Reize zustreben, die aber naeh dem Gesetz der gemeinsamen Endstrecke zu n/iehst nur den Protagonisten erreiehen k5nnen und erst dann zum Antagonisten gelangen, wenn die Bewegung im Protagonisten aufgehSrt hat. Diesen Vorgang nennt Sher r ing ton sukzessive Induktion. F .H. Lewy hat diese Bezeiehnung auf den oben gesehilderten Vorgang bei der Beugung des Fingers iibertragen [Vortrag auf dem Neurologenkongress Leipzig 1920 (21)]. Die sukzessive lnduktion gilt demnach nieht nut fiir Reflex-, sondern aueh fiir Willkiirbewegungen.

Die gleiehe Funktion, die zur sukzessiven Induktion im animalen Nervenapparat fiihrt, k5nnen wit, wie ieh glaube, naeh meinen Darlegungen mit gewisser Bereehtigung auch fiir das vegetative Nervensystem vor- handen ansehen. Aueh hier entsteht normalerweise immer sowohl im

4*

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52 Kurt Dresel~

Protagonisten wie im Antagonisten eine Erregung. Wird der Sympathikus auf irgend eine Weiss in erhOhte Funktion gesetzt, so springt der Reiz auf den zentralen Parasympathikus iiber und lituft yon hier aus zum Erfolgsorgan und umgekehrt, wenn der Reiz zuerst~ im Parasympathikus entsteht. Da Sympathikus und Vagus jedosh keine gemeinsame End- streeke haben, wie wir es im animalen System finden, so muss die gleiehzeitige Errsgung aueh gleiehzeitig sish auswirken k6nnsn. Dass die Annahme siner dsrartigsn Reiziibertragung aueh mit unseren anatomi- sehen Kenntnissen sshr gut vsreinbar ist, geht daraus hsrvor, dass in dem dorsalcn Vaguskern in der 31edulla oblongata Ursprungszsllen sowohl ffir den Parasympathikus wis fiir den Sympathikus enthalten sind. So nimmt von bier aus, wie Brugseh , Drese l und Lewy (25)gezeigt haben, der Reiz des in sympathisehen Bahnen verlaufenden Zuskerstiehs seinen Ausgang, ebenso bsginnen aber yon dissem ~,vegetativen Oblongata- kern" (Lewy) zahlrsiehe parasympathisebe Bahnsn ihren Weg zu den ver- sehiedenen Organen.

Die yon vielen Autoren beriehtete sogenannte Uebererregbarkeit im vegetativen Nervensystsm k6nnen wir demnach nur verstehen, wenn wir annehmen, dass dieser Rsgulationsmeehanismus fortgefallen ist, der, dew Vagus und Sympathikus iibergeordnet, normalerwsise daffir sorgt, class durch einen Synergismus beider Systems m6gliehst sehnell bsi Errsgung des einen oder andsren ein Gleiehgswicht wieder hergestellt wird.

In msiner ersten Veriiffentliehung fiber die Adrenalinblutdruckkurvs bin ieh nut auf die Verhitltnisse eingsgangsn, wie sie sish beim Vago- tonisehsn und Sympathikotonisehen finden. Bei der sogenannten Ueber- srregbarkeit im gesamten vegetativen Nervsnsystem muss natiirlieh eben- falls die Hemmung des Vagus hinsiehtlieh des Blutdruekanstieges fort- fallen und eine verh~ltnismitssig steile Kurve entstehen. Dann aber wird das Vorhandensein anderer Symptome, die auf eine leiehte Anspreehbar- keit auch des Vagus hindeuten, uns zeigen, dass es sieh nieht etwa um einen reinen Sympathikotonus handelt.

Aus dsr vagotonischen Adrenalinblutdruskkurve, wis ieh sic oben besehrieben habe, k6nnen wit jedoch ohne weiteres ablssen, class die Reizsehwells im Vagus herabgssstzt ist, dass er also auf jedsn Reiz leieht ansprieht. Ferner abet k6nnen wir daraus erkennen, dass der Synergismus zwisehen Vagus und Sympathikus, der dew Antagonismus dieser beiden Systeme als iibergeordnet anzusehen ist, tadellos funktioniert.

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Der Einfluss des vegetativen Nervensystems auf die Adrenalinblutdruckl(urvc. 53

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