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Der Logosbegriff bei Heraklit und Parmenides Author(s): W. J. Verdenius Source: Phronesis, Vol. 11, No. 2 (1966), pp. 81-98 Published by: BRILL Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4181780 . Accessed: 06/10/2013 10:45 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . BRILL is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Phronesis. http://www.jstor.org This content downloaded from 129.125.19.61 on Sun, 6 Oct 2013 10:45:59 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Der Logosbegriff bei Parmenides und Heraklit

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The concept of logos in Parmenides and Heraclitus: a philological analysis.

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Der Logosbegriff bei Heraklit und ParmenidesAuthor(s): W. J. VerdeniusSource: Phronesis, Vol. 11, No. 2 (1966), pp. 81-98Published by: BRILLStable URL: http://www.jstor.org/stable/4181780 .

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Der Logosbegriff bei Heraklit und Parmenides*

W. J. VERDENI US

I.

D as Wort X6yoq in den Fragmenten 1, 2 und 50 Heraklits1 wird noch immer auf sehr verschiedene Weise erklart und iibersetzt: als Wort, Rede, Sinn, Lehre, Gesetz - entweder Weltgesetz oder

Denkgesetz -, Mass, Formel, Wahrheit, Vernunft2. Dabei versaumt man fast immer, sich die Frage vorzulegen, welche Bedeutungen von X6yoq zur Zeit Heraklits ulberhaupt moglich waren. Die Bedeutung "Vernunft" zum Beispiel findet man zuerst bei Platon3. Um in dieser Hinsicht einen festeren Boden zu gewinnen, tut man am besten, die Be- deutungsentwicklung - oder besser: die Bedeutungsentfaltung, denn in den spateren Bedeutungen bleibt die Grundbedeutung in gewissem Sinne im.mer erhalten - von dem Anfang her zu rekonstruieren.

Das Wort X6yoq bezeichnet urspriinglich die Tatigkeit des ?e6yeLv,

d.h. des Sammelns. Diese Grundbedeutung "Sammlung" verengerte

* Erweiterte Fassung eines im Februar 1965 an der Universitit GC6ttingen ge- haltenen Vortrags. 1 Im Fr. 72 scheinen mir die Worte ?,6y( ' c7 t& 6Xa O8toLwoU5vL unecht zu sein. S. unten, S. 91 Anm. 36. 2 Es gibt auch allerhand Kontaminationen dieser tVbersetzungen, z.B. B. Snell, Hermes 61 (1926), 365: "Logos ist das Wort, soweit es sinnvoll ist ... nicht nur die sinnvolle menschliche Rede, sondern auch der Sinn, der in den Dingen ruht", U. Holscher in Varia variorum (Festgabe fur Karl Reinhardt), Munster-Koin 1952, 75: "Rede als vernunftiges Denken... Diese, als Gesetz des richtigen Denkens, zeigt sich am Seienden als Gesetz des Seins", H. Frankel, Dichtung und Philosophie des fruhen GCriechentums, ' Munchen 1962, 424: "Heraklits Logos ist der Sinn und Grund der Welt... das Weltgesetz". Die von C. Ramnoux, Hdraclite, Paris 1959, 317 vorgeschlagene tYbersetzung "le9on" sieht wie eine Kontamination von "Lehre" und "Sinn" aus. W. K. C. Guthrie, A History ot Greek Philosophy I, Cambridge 1962, 428: "both human thought and the govern- ing principle of the Universe" scheint eine Kontamination von Denkgesetz und Weltgesetz zu sein. Die wichtigsten Auffassungen werden kurz besprochen in E. Zeller - R. Mondolfo, La filosofia dei Greci IV, Firenze 1961, 19ff., 150ff. 8 z.B. Staat 529d ?%6ycp [Liv xcxl 8LmvoEq ?r&, 6+?t 8'o0. S. weiter E. des Places, Platon. Lexique, Paris 1964, 313. Die meisten dieser Stellen lassen aber die ur- sprungliche Bedeutung "Argumentation" noch durchblicken. Man vgl. z.B. Staat 529d mit Ges. 638 c ot o6ycsp 't XXp6v'eq rlmr8eu),ua. In Demokrit Fr. 53 ist die tJbersetzung "Vernunft" nicht zwmgend und in Fr. 146 geh6rt X6yo; wahrscheinlich nicht zum originalen Wortlaut.

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sich zu "Zahiung", und aus dieser Bedeutung "Zahlung" lassen sich alle spezielle Verwendungsarten ableiten. Diese Bedeutungsentfaltung verlief nach zwei Linien: einerseits fiihrte "Zahlung" zu "Aufzahlung" und schlesslich zu "Erzahlung", weil die primitive Form der Erzah- lung eine Aufz.hlung von Tatsachen ist; auch die Bedeutungen " Rede" und "Ruf" (eigentlich die Rede fiber jemand) sind spezielle Formen der Aufzahlung. Die zweite Linie fiihrte von "Zah1ung" zu "Rech- nung", "Berechnung", "Abrechnung" und "Rechenschaft". Diese Rechenschaft erweiterte sich dann zu "tVberlegung", "Auseinander- setzung", "Erbrterung", "Argumentation". An die Bedeutung "Rech- nung" schlossen sich noch drei Sonderbedeutungen an: zunachst "Ruicksicht" (man denke an den Ausdruck "einer Sache Rechnung tragen") und "Wertschatzung" (eigentlich positive Riicksicht), weiter "Begrindung" und schliesslich "Beziehung"4. Im Homerischen Epos kommt )6yoq nur zweimal vor, in der Ilias in der Bedeutung "Er- zahlung" (15,393: Patroklos versucht den verwundeten Eurypylos mit ?,6yoL zu zerstreuen), in der Odyssee in der Bedeutung "Argu- mentation" (1,56: Kalypso versucht Odysseus mit schmeichlerischen ;k6yoL in ihren Bann zu bringen). Man ersieht hieraus, dass die Spal- tung der Grundbedeutung in "Erzahlung" und "Rechnung" schon fruih vollendet war5.

Was nun an der soeben skizzierten Bedeutungsentfaltung besonders in die Augen f it, sind drei Tatsachen. Zuerst ist festzustellen, dass )6yoq urspruinglich nicht das einzelne Wort bedeutet, sondern sich in einer bestim.mten Kombination von Worten aussert. Die Bedeutung "Wort" kommt wahrscheinlich zuerst bei Aristoteles vor und hat sich

' A. Debrunner hat in Kittels W6rterbuch zum Neuen Testament IV, 69-77 die Grundlinien der Bedeutungsentfaltung richtig gezeichnet. Vgl. auch H. Fournier, Les verbes "dire" engrec ancien, Paris 1946, 53ff., J. Lohmann, Lexis IV 1 (1954), 122ff., H. Boeder, Arch. f. Begriffsgesch. 4 (1959), 82ff, Ch. H. Kahn, Amer. Philos. Quart. 1 (1964), 1-2. Der Versuch von Guthrie, a.a.O., 420ff., alle Son- derbedeutungen von "anything said" abzuleiten, uberzeugt nicht, weil die an- genommene Grundbedeutung zu weit ist. Ebenso verfehlt ist die Rekonstruktion von E. Kurtz, Interpretationen zu den Logos-Fragmenten Heraklits, Diss. Tubin- gen 1959, der von der Grundbedeutung "Wort" ausgeht, daraus die Bedeutung "Verhaltnis" herauswachsen laLsst und diese beiden dann wieder in der Bedeu- tung " Rechenschaft " vereinigt sieht. 6 Lohmann, a.a.O., 133 Anm. 1 erklart den Gebrauch von ),6yo; in Ilias 15, 393 fur unmoglich und Leaf z.St. fur spit, aber dazu scheint mir kein Anlass vor- zuliegen. Unrichtig Kahn, a.a.O., 2 Anm. 11: "It is a curious literary accident that the use of logos in early epic is restricted to this general meaning of 'utter- ance'

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wohl aus der Bedeutung "Definition" entwickelt, die selbst auf die Bedeutung "Rechenschaft" zuriickgeht6.

Zweitens ist fur alle Sonderbedeutungen der Begriff einer bestimm- ten Ordnung bezeichnend. Das hangt damit zusammen, dass es sich beim X6yoq nicht um ein blosses Sprechen handelt, sondern um eine Verbindung von Denken und Sprechen. Die Verbindung von Denken und Sprechen wird von den Griechen vorzugsweise unter dem Ge- sichtspunkt der richtigen Ordnung betrachtet. Wenn man im Home- rischen Epos zu erkennen geben will, dass jemand angemessen oder wahrheitsgemass gesprochen hat, so gebraucht man Ausdriicke wie xwv& CuoZpxv, "nach der richtigen Zerteilung", und xcx.'c x6c00ov, "nach der richtigen Ordnung"7. Wir sehen hier, wie das Modell des Zahlens und Rechnens nachwirkt: wie die richtige Zerteilung und die richtige Ordnung fur das Zahlen und Rechnen von grundsatzlicher Bedeutung sind, so sind sie das geblieben fur das Erzahlen und Rechenschaftgeben. Das gilt nicht nur fur die Zeit Homers: auch der Logosbegriff bei Heraklit und Parmenides ist mit dem Begriff einer bestimmten Ord- nung verbunden, und in dem Logos der Sokratischen Dialektik hat sich diese Ordnung zu einer festen Methode ausgebildet8.

Schliesslich ist zu beachten, dass Xoyo; in der Grundbedeutung "Zahlung" primar eine Tatigkeit bezeichnet. Dieser Tatigkeits- aspekt bleibt auch in den Sonderbedeutungen vorherrschend. Es gibt aber einige Bedeutungen, die man "Nebenbedeutungen" nennen kbnnte, wo der Tatigkeitsaspekt zuriicktritt. So bedeutet 6Oyoq nicht nur das Zahlen, sondern auch die Zahl, nicht nur das Erzahlen, sondern auch die erzahlte Geschichte, nicht nur das Rechnen, sonder auch die daraus resultierende Rechnung, nicht nur die Begriindung, sondern auch der Grund, nicht nur die Beziehung in dem Sinne einer subjektiven Tatigkeit, sondem auch in dem Sinne einer objektiven Proportion. Auch die Bedeutung "Definition" geh6rt wahrscheinlich hierher, denn die Definition ist ursprunglich, d.h. in der Sokratischen Praxis, das Resultat der Tatigkeit des Rechenschaftgebens. Der Qber- gang von Tatigkeit zu Resultat findet man in Platons Sophistes, wo es zuerst heisst, dass man sich iiber das Wesen einer Sache verstandi-

* S. unten, S. 83-84. An keiner der von Diels-Kranz im Wortindex unter "Wort" genannten Stellen ist diese tYbersetzung zwingend. 7 z.B. Ilias 1, 286 xca& Fotpocv ClNeu, Od. 8, 489 xXTX x6aLowv &.cEzL. Vgl. auch Ilias 19, 186 kv LOEpm y&p 7tV'raX LL[XcO xOa xs&Cq. 8 Zu dieser Entwicklung vgl. meinen Aufsatz Der Ursprung der Philologie, Stud. Generale 19 (1966), 103-114.

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gen muss 8&& X6ycv (218c), d.h. mittels Begriffsbestimmungen, die im gegenseitigen Rechenschaftgeben und Rechenschaftfordern zustande kommen. Spater, wenn die Untersuchung zu Ende gefiihrt ist, sagt Sokrates, dass wir nun den X6yoq, d.h. die objektive Definition, hin- reichend erlangt haben (221b r6v X6yov eq-iyciv)9.

Dieser VYbergang von einer subjektiven Tatigkeit zu einem objek- tiven Resultat zeigt sich nicht nur bei X6yos, sondern bei manchen grie- chischen Wortern. Man denke z.B. an PouA'i, das nicht nur die Tatig- keit des Beratens bedeutet, sondem auch das Resultat des Beratens, den Rat oder den Plan, oder an >?'Lq, das urspriinglich die Tatigkeit des Sprechens bezeichnet, aber spater auch das einzelne Wort'0. Eine besonders lehrreiche Parallele ist 64Lq, weil dort zu den beiden genann- ten Bedeutungsaspekten, Tatigkeit und Resultat, noch ein dritter hinzutritt: 6bJL ist nicht nur die Tatigkeit des Sehens und das daraus resultierende optische Bild, sondern auch das Sehvermogen. Auf ahn- liche Weise kann ),6yoq, wie wir gesehen haben, spater auch das (Yberlegungsverm6gen, die Vernunft bezeichnen. Das Wort 6+Lt ist aber noch in einer anderen Hinsicht lehrreich. Beschranken wir uns auf den resultativen Aspekt, so finden wir, dass die Bedeutung "Wahr- nehmungsbild" eine eigentiimliche Ambivalenz aufweist: 6+tq ist nicht nur der in dem sehenden Subjekt auftretende Eindruck, sondem auch die damit korrespondierende objektive Erscheinung. Diese Ambiva- lenz, dieses Schweben zwischen der subjektiven und der objektiven Sphare ist charakteristisch fur eine ganze Reihe griechischer Worter, die geistige Aktivitaten ausdriicken. Nehmen wir z.B. axoI, eigentlich die Tatigkeit des Horens, dann das Resultat des Horens, aber dieses auch in dem objektiven Sinne von "Nachricht"11; 7rltaL als Tatigkeit "das Glauben", als Resultat "der Glaube", als objektives Korrelat "die Glaubwiirdigkeit" einer Sache; &k?Oeta, eigentlich "das nicht- Verhehlen", dann das Resultat dieser Haltung, die unverhohlene Darstellung der Tatsachen, aber auch der damit korrespondierende wirkliche SachverhaltI2; np6caaLc, eigentlich "Vorzeigung", dann das

9 Vgl. auch Staat 534b j xal 8aLOxX'TLx6 xoVXet4 r6v X6yov tx&a'rou AxuCivovarM 'vc

oLCraoc; xocl T v J IXovTCX, xaO' &rov &v 9Xn ),6yov au-C Te xml &Xp So5vaL, xr&.

roa0oi5,ov vo3v 7rcp1 rorouTO ) ?paact IXeLv;

10 Zur Erklarung des tJberganges von Tatigkeit zu Resultat vgl. B. Snell, Die Entdeckung desGeistes', Hamburg 1955, 32-33, K. von Fritz, Classical Philology 38 (1943), 83. 11 z.B. Od. 2,308 4 IHMov ftmO&v >tvr' &yMooi 7cxrp6; &xouiv. Is Zur Bedeutung "das nicht-Verhehlen" s. H. Boeder, Arch. f. Begriffsgesch. 4 (1959), 91ff., zur Bedeutung "wirklicher Sachverhalt" Verdenius, Mnemos. IV 15 (1962), 237.

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vorgezeigte Motiv, aber auch der objektive Grund; v6oq, das Er- kennen und als dessen Resultat die Erkenntnis, aber auch das worauf die Erkenntnis sich bezieht, besonders die Bedeutung eines Wortes.

Wir haben dieselbe Erscheinung schon implizit bei X6yoq beobachtet: M6yor bedeutet "die Zahl" als Resultat des ZTIhlens, aber auch die in der Wirklichkeit vorhandene Zahl; ebenso nicht nur die Beziehung als Endpunkt der Tatigkeit des Beziehens, sondern auch die objektive Proportion; nicht nur der Grund als Ergebnis der Begruindung, sondern auch der wirkliche Grund (z.B. wenn man sagt: X6yov gye, "es hat seinen guten Grund"). Auch fur die Bedeutung "Erzahlung" und fur die Bedeutung "Auseinandersetzung" findet man solche objektive Korrelate. Wenn Herodot jemand sagen lasst: uvOkvoCot Trv 7r&VrTx

?M6yov (I 111,5), so meint er "die ganze Sache", und wenn es bei Platon heisst: tept 'Lvoq X6you &X?ey64LeOa (Prot. 314c), so bedeutet das: "wir sprachen miteinander fiber ein gewisses Problem". Aus diesem Ge- sichtspunkt erklaren sich auch die Ausdriicke oi'86 ?4yetv, "Unsinn reden", und t.?yeLv, "recht haben". Das sind keine elliptischen Aus- driicke fur "nichts (oder etwas) Bedeutungsvolles sagen"13, sondern der Kontakt mit der Wirklichkeit, der in dem XeyeLv als solchem liegt, wird hier verneint und behauptet.

Die Objektivierung des M6yo; kann so weit gehen, dass der Ausgangs- punkt in der subjektiven Tatigkeit ganz vergessen wird. Schon Hero- dot verwendet den Ausdruck &XO6 X46yc in dem Sinne von "in Wirk- lichkeit": Kyros benahm sich als Knabe in einem Spiel genau so wie oL &XOcktO M6yc aatX&e (I 120,2). Noch interessanter, besonders fuir die Interpretation des Heraklitischen Logos, ist der Ausdruck 6pO x6ycP: der Sophist Antiphon sagt, dass das Schmerzliche opOc ye X6ycp die Natur nicht mehr f6rdert als das Lustvolle (Fr. 44 A4). Diels-Kranz iibersetzen diesen Ausdruck mit "wenigstens nach der richtigen Auf- fassung"'4. Natiirlich ist 406p X4yo; urspriinglich die Tatigkeit des OpOk XkyeLv, aber Antiphon beruft sich hier nicht auf eine bestimmte Auffassung oder Theorie fiber das Schmerzliche und das Lustvolle, sondem auf die tatsachliche Wirkung dieser Gefiihle. Ahnlich sagt Herodot (II 17,1): wir wissen nicht, dass es OpOap 4ycp zwischen Asien und Libyen eine Grenze gibt ausser Agypten. Auch er beruft sich nicht auf eine Theorie, sondern auf die Tatsachen. Dass der Grieche in solchen Fallen trotzdem das Wort M6yo; gebrauchen konnte, hangt mit seiner Neigung zusamnmen, nicht zuerst die Tatsachen auf sich ein- 13 Wie Debrunner, a.a.O., 72 glaubt. 14 Ahnlich M. Untersteiner, Sofisti IV, Firenze 1962, 84-85.

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wirken zu lassen, sondern immer mit einer Theorie an die Tatsachen heranzugehen. Auch dort, wo nichts zu theoretisieren war, ging er von der unbewussten tYberzeugung aus, dass zu jedem Tatsachenkomplex eine Theorie gehort und dass die Tatsachen eigentlich nur da sind, umr die Theorie zum Ausdruck zu bringen 5.

Wir sind nun geniugend vorbereitet um uns wieder dem Herakliti- schen Logos zuzuwenden. Die tYbersetzungen "Sinn", "Lehre", "Ge- setz" und "Wahrheit" finden in unserem Schema der Bedeutungs- entfaltung jedenfalls keine Stfitze16. Die Bedeutung "Rede" im Sinne eines Vortrags kommt zuerst bei Thukydides vor'7. Auch die Bedeu- tungen "Vernunft" und "Wort" scheiden aus, weil sie, wie wir ge- sehen haben, sich noch spater entwickelt haben.

Allerdings konnte man sich fuir die Bedeutung "Wort" auf Heraklit selbst berufen, wenn er sagt, dass ein Stumpfsinniger bei jedem X6yog zu & ro'au pflegt (Fr. 87). Dieses Verbum pflegt man mit "er- schrecken" zu iibersetzen, aber das Erschrecken scheint mir keine charakteristische Eigenschaft des Stumpfsinnigen zu sein"8. Nun kann &rroYauL auch von einem Menschen gesagt werden, der seinen Kopf nicht bei der Sache hat (vgl. Hes. Erga 447, Eur. Ba. 1268). Welcher ?6yo6 is est, bei dem die Aufmerksamkeit des Stumpfsinnigen nach- lasst? Natuirlich nicht das einzelne Wort, sondern eine Auseinander-

15 Vgl. Verdenius, Science grecque et science moderne, Revue Philosophique 87 (1962), 319ff. 16 H. Kleinknecht konstruiert in Kittels Worterb. z. N.T. IV, 77 folgende Ent- wicklung: " Rechnung - Rechnungsergebnis - das Gesetz, das man nachrechnen kann oder im Nachrechnen findet". Aber die von LSJ (III 2d und 3) fur die Bedeutung "rule, principle, law" angefuhrten Belege sind nicht uberzeugend. Guthrie, a.a.O., 422-3 bestreitet mit Recht die Beweiskraft einiger dieser Stellen, akzeptiert aber fur 6p066 X6yoq in Arist. E.N. 1144b23ff. die ubliche tUbersetzung "general principle or rule". Dass es sich aber nicht um ein Prinzip, sondern um eine Tatigkeit (nl. eine Argumentation) handelt, geht aus 1144b27 hervor: 6p%q 8k M6yo;... i qP6v7jaEq la-Lv (vgl. auch 1103b33 't &arLv 6 6pO66

)M6yo? xd 7r&q EXcL 7rp6q t ) &XXaq &pvriq). Guthrie glaubt weiter, dass Leukippos Fr. 2 ou8kv xpfi[ua ,&T-qv y[veroct, &Dam n&'vr'a kx 6you -re xmc UW' &v&yx- "comes very near to saying that everything is governed by general laws". Aber man kann das adverbielle &x M6you (vgl. Ex rMocq, &x 86Xou, kt taou) mit "systematisch" uibersetzen, eine Bedeutung, die sich dem Heraklitischen Gebrauch von M6yoq, wie wir sehen werden, anschliesst. 17 Vgl. I 22,1 und Steup z.St. Guthrie, 420 sagt: "Hdt. VIII, 100,1 comes very near it", aber Mardonios tragt eine Argumentation vor (n.b. XoyLa&I?evoo). ' Kurtz, a.a.O., 48-49 sagt zuerst: "Die Grundbedeutung von &knoiaOat ist ein erschrecktes Auffahren", aber ubersetzt dann: "lasst sich verbluffen".

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setzung, eine Argumentation, eine Theoriel9. Diese Bedeutung wird man auch in Fr. 108 annehmen miissen, wo Heraklit sagt, dass keiner derjenigen, deren ),6yoL er vernommen hat, zur richtigen Einsicht ge- langt ist. Damit weist er natiirlich nicht auf blosse Worte hin, sondern auf (}berlegungen und Theorien anderer Denker20.

Auch bei Parmenides gibt es kein eindeutiges Beispiel der Bedeutung "Wort". Wenn die Sonnenmadchen die Gottin Dike rnit sanften X6yoL zu iiberreden versuchen (Fr. 1,15), so handelt es sich, genau so wie bei Kalypso gegenuiber Odysseus, um Argumentationen21.

Die Bedeutung "Beziehung", "Proportion", "Mass" kommt jeden- falls in dem Fr. 31 vor, wo Heraklit sagt, dass die Riickverwandlung der Erde in Wasser nach demselben X6yoc geschieht, wie der urspriing- liche X6yo4 zwischen Wasser und Erde war22. Die Bedeutung "Propor- tion" finden wird auch im Fr. 115, wo es von der Seele heisst, dass ihr ein X6yo4 eigen ist, der sich selbst mehrt. Das soil wahrscheinlich so verstanden werden, dass das Seelenfeuer ein Vbergewicht fiber die anderen Elemente gewinnen kann, ohne dass diese anderen Elemente an Umfang einbiissen, wie das z.B. bei der Verwandlung von Erde in Wasser der Fall ist. Das kom.mt daher, weil das Feuer des Erkenntnis- vermogens sich nicht aus dem gewohnlichen, irdischen Feuer nahrt, sondern direkt aus dem Urfeuer, so dass seine Vermehrung nicht auf Kosten der anderen Elemente geht23.

Dieselbe direkte Verbindung mit dem Urfeuer wird wahrscheinlich auch im Fr. 45 ausgedruickt, wo gesagt wird, dass die Seele einen so tiefen ?6yo4 hat, dass man ihre Grenzen nicht erreichen kann. Das Ver- h31tnis der Seele zu den iibrigen Dingen wird hier nicht, wie man er-

19 W. Nestle, Arch. Gesch. Philos. 25 (1912), 285 kommt mit seiner tVbersetzung "vernunftige Rede" dieser Auffassung ziemlich nahe, klammert sich aber zu sehr an die Bedeutung "Vernunft". Vgl. Die Vorsokratiker2, Jena 1922, 116: "bei jeder Ausserung der Stimme der Vernunft", und Vom Miythos zum Logos," Stuttgart 1942, 95: "ein auf vernunftige Einsicht begruindetes Urteil". 20 Richtig Nestle, Vorsokratiker, 119: "Theorien". G. S. Kirk, Heraclitus. The Cosmic Fragments, Cambridge 1954, 398 richtig "accounts", aber 39: "whose accounts (or perhaps 'whose words') I have heard". 2L Unrichtig Guthrie, 421: "simply 'words"'. 11 Vgl. Hdt. I 186,2 xaock 'rv ou' 69v 6yov 'C re[Xet und G. Vlastos, A. J. P. 76

(1955), 359-60. 2" Auf die Ernahrung der Seele aus dem Urfeuer geht auch der Vergleich A 16, 130 ot M0pacxeq TrkXaL'axov'eq 'rjp tupt xaM'' &)?)okoWV &&7UpOL y(EVOWVa. Zum Verhiltnis von Seele und Feuer vgl. 0. Gigon, Der Ursprung der griechischen Philosophie, Basel 1945, 216-7, 229ff., Zeller-Mondolfo, 88-90, Guthrie, 432-3, 462-3, 466, 480-1.

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warten wiirde, "uiberwiegend" genannt, sondern "tief", wahrschein- lich, weil Heraklit zugleich auf Ausdriicke wie PaOicppwv, aOu,ou Po4, PaOup.-q anspielt24.

Mit der Bedeutung "Proportion" oder "Mass" kann man aber in den Fragmenten, wo Xoyoq sich auf die Gesamtlehre bezieht, wenig anfangen. Zwar hat Kirk die Ubersetzung "formula of things" vorge- schlagen, mit der Begriindung, dass in einer solchen Formel der Mass- begriff impliziert ist25. Aber der Ausdruck "Formel" klingt in bedenk- licher Weise an "Definition" an, eine Bedeutung, die wir fur die Zeit Heraklits schon haben abweisen miissen. Ausserdem leuchtet der Zu- sammenhang von Formel und Mass nicht ohne weiteres ein. Kirk hat richtig erkannt, dass Heraklit so etwas wie die Struktur des Welt- prozesses meinen muss ("the organized way in which all things work"). Diese Struktur k6nnte auf eine Formel gebracht werden, aber eine Formel miisste, falls sie etwas mit dem Massbegriff zu tun hatte, sich jedenfalls auf eine Mehrzahl von Proportionen beziehen und konnte schwerlich selbst Proportion oder Mass in der Einzahl genannt werden. Kirk hat spater versucht, den Ubergang von "Mass" zu "Formel" zu begriinden durch die Annahme, dass die Formel "eine proportionale Methode der Ordnung der Dinge" enthalt, was weiter expliziert wird als "die Ordnung nach einem gemeinsamen Plan oder Mass"26. Hierbei bleibt aber die Schwierigkeit bestehen, denn "Mass" ist nicht das- selbe wie "Plan", so dass man auch nicht von der Bedeutung "Mass" zur Bedeutung "Ordnung" gelangen kann.

Ahnliche Bedenken erheben sich gegen die von E. Kurtz versuchte Rekonstruktion. Er geht von der Annahme aus, dass "die Gesetz- massigkeit im Kosmos fur Heraklit auf Proportionen beruht"27, glaubt

24 Der Ausdruck 3oc%v )o6yov SXSL kann nicht einfach "ist ausgedehnt" bedeuten. So z.B. G. S. Kirk - J. E. Raven, The Presocratic Philosophers, Cambridge 1957, 206. Guthrie, 477 Anm. 1 kritisiert mit Recht diese Auffassung, aber gibt selbst keine deutliche Erklarung. Auch die Diskussion in Zeller- Mondolfo, 272-4 hilft nicht viel weiter. Die von H. Boeder, Grund und Gegenzwart als Frageziel der friih-griechischen Philosophie, Den Haag 1962, 96 vorgeschlagene Inter- pretation: "die Auslegung, die sie [die Seele] geben kann, wird immer umfassen- der", scheint mir sprachlich nicht haltbar zu sein. Zu x0Ucppcov usw. vgl. B. Snell, Hermes 61 (1926), 363, Gnom. 7 (1931), 81-82, Entdechung des Geistes, 36-37, F. Zucker, Semantica, Rhetorica, Ethica, Berlin 1963, 27. 25 a.a.O., 39, 396. Ahnlich schon Gigon, Ursprung, 201: "Dieser Logos ist die Formel, nach der alles Dasein sich vollzieht". 26 Kirk- Raven, Presocratic Philosophers, 188. 27 a.a.O., 29. Die Verabsolutierung dieses Gesichtspunkts fuihrt ihn dazu, den Proportionsgedanken auch dort zu suchen, wo er gar keine Rolle spielt, z.B.

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aber dann, dass )6yo; "sowohl die proportionale Struktur des Seienden wie Struktur als Wort" bezeichnen kdnne28. Eine proportionale Struk- tur ist aber nicht dasselbe wie eine Proportion, und fur X6yoq im Sinne einer "Summe von Beziehungen" oder in der Bedeutung von "Pro- portionalitdat"29 gibt es keine Belege.

Schon in 1939 hat F. L. Minar gezeigt, dass die iiblichen Qberset- zungen unannehmbar sind und dass man nur mit der Bedeutung "Rechenschaft" weiterkommen kann30. Er nimmt eine Entwicklung an von "account" zu "true account", aber eine solche pragnante Bedeutung "wahre Erklarung" ist nicht ohne weiteres verstandlich. Ich mochte darum lieber von der Bedeutung "Argumentation" aus- gehen, die eine besondere Form der Rechenschaftsablage ist. Heraklit unterscheidet sich von der grossen Menge dadurch, dass er die Dinge nicht einfach hinnimmt, sondern sich von ihrem Zusammenhang Rechenschaft gibt. Diese Rechenschaftsablage besteht darin, dass er, wie er selbst sagt, jedes Ding auf sein Wesen hin analysiert (Fr. 1 xocx.t& qpulaLV &Lp&LW gxocsaov). Allerdings machen die Reste dieser Analyse mehr den Eindruck einer Reihe von Aphorismen als einer fortlaufenden Argumentation. Bei naherer Betrachtung zeigt es sich aber, dass wir nicht mit einer wilikurlichen Menge von Gedanken- splittem zu tun haben, sondern mit einem wohldurchdachten und durch feste Gesichtspunkte bestimnmten System. Wenn es heisst: "Des Bogens Name ist Leben, sein Werk aber Tod" (Fr. 48), so ist das eine implizite Argumentation. Explizit lautet die Argumentation etwa: "Wenn der Name eines Dinges mit seinem Werk im Widerspruch steht, so ist das ein Zeichen dafur, dass diese Erscheinung nicht das wahre Wesen des Dinges ausdriuckt, denn im wahren Wesen fallen Name und Werk zusamnmen". Diese Argumentation bildet mit den in den anderen Ausspriichen enthaltenen Argumentationen die Gesamtargu- mentation, den Logos.

in Fr. 9 und 13: "Der Rangstufe, auf der ein Lebewesen steht, entspricht genau der Wert dessen, woran es sich freut" (103), und in Fr. 61: "ein Gegenstand kann zugleich Entgegengesetztes sein, je nachdem, wozu es in Beziehung tritt" (115). '0 a.a.O., 92. 29 a.a.O., 173: "Der X6yoq selbst ist als die Bezeichnung fur Wort und Ver- haltnis schlechthin eine Summe von Beziehungen"; 171: "Weil ein Verhaitnis zwischen allen Dingen und Ereignissen besteht, vereinigt die Proportion alles zu einem einzigen Gefuge". 30 The Logos of Heraclitus, C. P. 34 (1939), 323-41. Vgl. auch Verdenius, Mnemos. III 13 (1947), 275ff.

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Es ist wahr, dass das Prinzip der Heraklitischen Lehre, die Einheit der Gegensatze, nicht zu beweisen, sondern nur intuitiv zu erfassen ist. Heraklit selbst sagt, dass "das wahre Wesen der Dinge sich zu ver- bergen liebt" (Fr. 123) und dass es sich in der Erscheinungswelt nur andeutet (Fr. 93)31. Aber daraus folgt nicht, dass es bei diesem Philo- sophen kein Beweisverfahren gibt. Man hat in diesem Zusammen- hang auf das Fr. 18 hingewiesen: "Wenn man das Unerwartete nicht erwartet, wird man es nicht finden, da es unaufspiirbar ist und un- zuganglich". Das bedeutet aber keineswegs, dass das wahre Wesen "sich unverhofft einstellt"32, sondern nur, dass man es auf dem Wege der rein empirischen Erkenntnis nicht erreichen kann: es ist &47opov, d.h. man kann nicht einfach hingehen, und es ist OvW?peuv1rov, d.h. man kann es nicht einfach ans Licht bringen. Versucht man es doch auf empirischem Wege zu finden und es sozusagen mit Handen zu greifen, so erfasst man es nie ganz, sondern nur vereinzelt zwischen den Dingen, wie die Goldgraber viel Erde aufwiihlen, um hier und dort etwas Gold zu finden (Fr. 22). Wenn man dagegen systematisch iiber die Erscheinungswelt nachdenkt, kommt man dem Ganzen der wahren Wirklichkeit, oder wie Heraklit sagt, dem Gemeinsamen naher. Die Erfassung dieses Gemeinsamen ist zwar nicht das unmittelbare Er- gebnis einer logischen Deduktion, aber wird doch durch eine syste- matische Analyse der Erscheinungen vorbereitet. Heraklit konnte also mit dem vollsten Recht seine Lehre einen ?o6yoq, eine systematische Er6rterung nennen, genau so wie das auch Parrmenides (Fr. 8,50), Melissos (Fr. 7,7; 8,1) und Empedokles (Fr. 131,4) getan haben.

Die Schwierigkeit ist nun aber, dass Heraklit diesen Logos "ewig" (Fr. 1) und "gemeinsam" (Fr. 2) nennt33. Die letzte Bezeichnung be- deutet zwar nicht, dass er ein Gemeinbesitz aller Menschen ist, sondern doch wohl, dass jeder Mensch zu ihm von sich aus Zugang

Si Holscher, a.a.O., 75-76 fuhrt richtig aus, dass das Gleichnis in Fr. 93 nicht auf den Stil Heraklits, sondern auf den gottlichen Logos geht. "I Holscher, 74. H. Frankel hat in H. Turck, Pandora und Eva, Weimar 1931, 6 das &vOt7narov richtig erklart als dasjenige, was uber die Erwartungen der gewohnlichen Menschen hinausgeht. Vgl. Wege und Formen /ruhgriechischen Denkens2, Munchen 1960, 257, 262-3, Dichtung u. Philos., 437. 33 Dass &.d in Fr. 1 jedenfalls zu &6Mvro gehort, habe ich Mnemos. III 13 (1947), 279 zu zeigen versucht. Vgl. auch K. Deichgraber, Rhythmische Elemente im Logos des Heraklit (Akad. d. Wiss. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Ki. 1962: 9), 59: "16vKo; &et erinnert an die 0Ool axEv govTc des Epos".

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hat34. Heraklit sagt sogar, dass man nicht auf ihn, sondern auf den Logos horen soil (Fr. 50). Aber in welchem Sinne konnte eine Argu- mentation ewig sein und wo ware sie zu h6ren? Die Paradoxie steigert sich noch dadurch, dass Heraklit zugleich mit der Bestimmung "ewig" von "diesem" Logos spricht: es ist also eine Argumentation, die er jetzt den Menschen vorlegt und die trotzdem schon immer da war. Eine Handhabe zur Lbsung dieser Schwierigkeiten liegt in dem Fr. 89, wo der x6ajiog, das Weltgefuige35, "gemeinsam" genannt wird. Logos und Kosmos sind also in gewissem Sinne aquivalent, so dass der Logos irgendwie in der objektiven Wirklichkeit anwesend sein muss. Erist nicht nur die subjektive Argumentation, sondern auch deren objektives Korrelat, nicht nur die Erorterung der Zusammenhange in der Welt, sondern auch der Weltzusammnenhang, die Weltordnung selbst36. Diese Ambivalenz schliesst sich ohne Miihe den schon be- handelten ambivalenten Bedeutungen von ?,6yoq an: Zahlung-Zahl, Erzahlung-Gegenstand, Begruindung-Grund, Beziehung-Proportion, Argumentation-Weltordnung.

Diese Ambivalenz ist m6glich, weil im Bewusstsein Heraklits keine scharfe Grenze bestand zwischen seinem Denken und dessen Gegen- stand. Die Weltordnung, die er in seiner Argumentation konstruierte, war ihm identisch mit der vorhandenen Weltordnung, und zwar nicht in dem Sinne, dass er diese Identitat als solche behauptete, sondern vielmehr so, dass er sie als etwas Selbstverstandliches unbewusst voraussetzte. Er war sich also auch nicht dessen bewusst, dass er etwas

34 Vgl. Kirk, Heraclitus, 55-56, dessen Zweifel an der Echtheit von Fr. 113 uv6v &a't 7miat -6 qpovelv ich aber nicht teile. W. Jaeger, Paideia I, Berlin 1934,

244 deutet das tuv6v als "soziale Gemeinsamkeit". Ebensowenig uberzeugend ist die von K. von Fritz, Classical Philology 38 (1943), 233 gegebene Deutung: "there is only one way in which one can 9povctv". 86 Zur Bedeutung von x6al.os vgl. G. Vlastos, A.J.P. 76 (1955), 344-6, J. Ker- schensteiner, Kosmos, Munchen 1962, 97ff. 36 Guthrie, 434 geht bestimmt zu weit, wenn er den Logos mit dem Einen (Fr. 50) identifiziert: der Logos ist eine Ordnung, nicht deren Prinzip. Aus diesem Grund scheint mir der Ausdruck X6yp trj w'& 6)xO 8LOLXOUvTL in Fr. 72 nicht echt zu sein (anders Guthrie, 425 Anm. 3). Platon sagt von der Weltseele, dass sie die Welt 8toLxc (Phdr. 246c, Ges. 896e), aber die Weltordnung selbst kann schwer- lich die Welt "verwalten". Das konnte nur einer sagen, der den Logos im sto- ischen Sinne als die gottliche und ordnende Vernunft auffasste (vgl. Marc. Aur. VI 1 i 'Cv 6Xcov ovxatx... 6 gi rw6rqv &owCov X6yoq). - Da die Weltordnung auf bestimmten Massprinzipien beruht (vgl. Fr. 30 und 94), kann man sagen, dass in der Verwendung von ),6yoq zur Bezeichnung der Weltordnung die Bedeutung "Proportion" anklingt (Kahn, a.a.O., 4-5).

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konstruierte, sondern glaubte einfach "dem Gemeinsamen zu folgen" (Fr. 2). Dieses Folgen ist aber kein passives Verhalten, sondern beruht auf einer bestimmten Betatigung des Erkenntnisvermogens. Man soil sich, so heisst es in Fr. 114, in seinem Reden uiber die Welt erkennend (0Uv v6cp) verhalten, urn sich auf diese Weise mit dem Gemeinsamen (-rji iuvv) zu starken37. In diesem Wortspiel kommt die Identifizierung der subjektiven Argumentation mit der objektiven Weltordnung auf indirekte Weise zum Ausdruck. Wer sich in seinem Reden fiber die Welt erkennend verhalt, stellt nicht nur die Weltordnung in seinen Worten dar, sondern kommt mit dieser Weltordnung in einen leben- digen Kontakt, weil seine mit Erkenntnis (0iv vo6) verbundene Darsteilung zugleich ein Stuck Euv6v ist, ein Stuck realer Weltordnung. Die objektive Welt und Heraklits Gedankenwelt sind zwei Aspekte einer und derselben Sache.

Dieser Doppelaspekt zeigt sich auch in der Tatsache, dass Heraklit denselben Ausdruck, womit er die h6chste menschliche Erkenntnis be- zeichnet, 'Z aoqp6v (Fr. 41), auch fuir das h6chste Weltprinzip gebraucht. Er sagt namlich: "Das einzig Weise lasst sich nicht und lasst sich doch mit dem Namen Zeus benennen" (Fr. 32). Das bedeutet, dass das hochste Weltprinzip, das ewig lebendige Feuer (Fr. 30) nicht dem traditionellen Zeus gleichgesetzt werden kann, aber wohl dem alle- gorisch, als dem Lebensgott verstandenen Zeus38. Man hat sich der Konsequenz des Textes zu entziehen versucht durch die Annahme, Heraklit bezeichne hier den hochsten Gott als das einzig Weise39. Es 37 Frankel, Wege u. Formen, 264, Dichtung u. Philos., 445 hat richtig darauf hingewiesen, dass auch Xkyovwac, dem Xpt unterstellt ist. 38 Man spiirte in dem Namen Z-v6q usw. einen Zusammenhang mit liv. Vgl. Aisch. Suppl. 584-5 yuaLt6ou... Zv64, Eur. Or. 1635, PI. Krat. 396ab und L. Ph. Rank, Etymologisering en verwante verschijnselen bij Homerus, Assen 1951, 44. Wenn es sich um die Identitat von Leben und Tod (Zeller-Mondolfo, 164, 347, Guthrie, 463) oder um die allgemeine Gegensatzlichkeit des Einen (Boeder, Grund u. Gegenwart, 99) handelte, ware das positive &0FXcE schwer zu verstehen. In Anbetracht von Heraklits Geringschatzung der traditionellen Religion kann damit kaum eine "Konzession an den uiberlieferten homerischen Volksglauben" (F. Heinimann, Nomos und Physis, Basel 1945, 55) gemeint sein, auch keine Anerkennung des (gerechten) Weltregiments des Zeus (Gigon, Ursprung, 240, Boeder, a.a.O., 100). 39 z.B. Heinimann, a.a.O., 54-55: "die Gottheit, die hier... als die denkende und wissende gesehen ist", Gigon, a.a.O., 239: "dass Heraklit derart die Gottheit gerade roq6v nennt", 240: "Das Attribut aop96v... die Pradizierung der Gottheit als coy6q", Kirk, 400: "in fr. 32 it [Tb ro96v] is an attribute of that being [das hochste Wesen]". Ebenso verfehlt ist es, -r6 ao96v als "einen reinen Geist" zu deuten (Frankel, Dichtung u. Philos., 443).

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heisst aber umgekehrt, dass das einzig Weise der hochste Gott ist. Das einzig Weise ist also das Weltprinzip selbst. Das erklart sich aus der Tatsache, dass das einzige fur Heraklit bestehende Weltprinzip das Prinzip seiner eigenen Weisheit ist. Wir haben in diesem "Weisen" also dieselbe Ambivalenz wie in dem Logos. Will man diese letzte Ambivalenz in einer Vbersetzung zum Ausdruck bringen, so konnte man am besten das Wort "System" wahlen: der Logos ist zugleich Heraklits eigenes Argumentationssystem und das objektive System der Welt40.

Die tYbersetzung "System" konnte aber in zweierlei Hinsicht irre- fiihren. Erstens legt sie den Gedanken nahe an etwas Statisches und Totes, wahrend die Heraklitische Welt in Wirklichkeit absolut dyna- mnisch und vollebendig ist4l. Dazu kommt noch etwas anderes und Wichtigeres. Wenn der Homerische Mensch sich etwas iiberlegt, so liebt er es ein Zwiegesprach mit sich selbst, oder besser: mit seinem Ou,u6q zu fiihren42. Dazu stimmt es, dass an zahlreichen Stellen im alten Epos Ausdriicke fulr "sprechen" oder "Wort" auftreten, wo wir "denken" oder "Gedanke" sagen wiirden43. Auch in der spateren Literatur tritt dieser enge Zusammenhang von Denken und Sprechen ofters hervor44. Heraklit steht fest in dieser Tradition. Man hat mit Recht von ihm gesagt, dass er "laut sprechend und laut denkend schrieb"45. Es filMt auf, dass Heraklit, obwohl er seine Lehre wohl

40 Dieses "einzig Weise" fMalt mit der gottlichen yvovi- zusammen, die alles steuert (Fr. 41; vgl. G. Vlastos, Amer. Joiurn. Philol. 76, 1955, 353). Wenn das aocp6v "von allem abgesondert" heisst (Fr. 108), so ist das sowohl von der Weis- heit wie von ihrem Objekt, der "unsichtbaren Harmonie" (Fr. 54) und dem uber die menschliche Welt hinausgehenden gottlichen Gesetz (Fr. 114 ntpLyEv'ror) gemeint. Es ist also unrichtig, den Logos "the possessor of perfect wisdom" zu nennen (Kirk, 394). Zur Diskussion uber die subjektive oder objektive Bedeutung von coy6v vgl. Zeller-Mondolfo, 16-19. Bei Lukrez weist "ratio" eine ahnliche Ambivalenz auf: I 498 vera ratio naturaque rerum, V 335 natura haec rerum ratioque. Diese Ambivalenz greift sogar auf "natura" ilber: III 15 naturam rerum divina mente coortam (s. J. H. Waszink, Mnemos. IV 2, 1949, 68-69). 41 Wie der Logos "gemeinsam" ist, so heisst auch der Krieg "gemeinsam" (Fr. 80). Vgl. Guthrie, 446 ff. 42 z.B. Ilias 11, 403. 43 z.B. Ilias 1, 543-6. Vgl. R. B. Onians, The Origins of European Thought, Cambridge 1951, 13-14, 67-68, K. Lanig, Der handelnde Mensch in der Ilias, Diss. Erlangen 1953, 55 ff. 44 z.B. Solon 19, 13 voi3v xal yl&acav, Pindar Pyth. 5, 109 xpkaaovx ,ukv &XCdLxEM v6ov epAp,3c?a yX&aa& vre. Vgl. Heinimann, Nomos u. Physis, 43 ff. 4" Deichgraber, a.a.O., 6.

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niemals offentlich vorgetragen hat, sein Publikum immer als m6gliche Zuhorer und nicht als Leser betrachtet. Im ersten Fragmient heisst es, dass die Menschen fur den Logos kein Verstandnis zeigen, "weder bevor noch nachdem sie ihn gehort haben". Im Fr. 19 werden die Menschen Leute genannt, "die weder zu horen noch zu reden ver- stehen"46. Der Logos war also ein miindlicher Logos, eine miindlich gedachte Argumentation. Diese Miindlichkeit kommt in der tYber- setzung "System" nicht geniigend zum Ausdruck.

Es bleibt nun noch eine Frage iibrig, namlich die Bedeutung des Fr. 50: "Man soil nicht auf mich, sondern auf den Logos horen". Wenn die Argumentation eine miindliche Tatigkeit ist, in welchem Sinne hat sie dann ein objektives Korrelat in der Weltordnung? Der Logos ist etwas Ewiges, d.h. wenn Heraklit denkt und spricht, ist das keine individuelle tJberlegung, sondern in ihm und durch ihn spricht der Logos, die Argumentation an sich. Dieser Begriff der Argumenta- tion an sich und noch mehr der Begriff der sprechenden Argumenta- tion an sich scheint uns vielleicht etwas fremdartig, aber er passt tatsachlich in das Heraklitische Weltbild hinein. Man muss nur aufpas- sen, keine fremden Gedanken in dieses Weltbild hineinzutragen. Das tat z.B. Hermann Diels, als er schrieb: (Heraklit) "denkt sich die allwissende Inteiligenz (T6 aop6v) die Welt gestaltend durch sein allmachtiges Wort wie der Gott der Genesis"47. Es ist wahr, dass der Heraklitische Logos einen gbttlichen Charakter hat48. Heraklit fiihlt sich aber nicht wie ein Prophet, wenigstens nicht im religiosen Sinne, denn der g6tt- liche Logos kommt nicht aus einem g6ttlichen Mund und er wird dem Menschen nicht durch eine gottliche Offenbarung zuteil. Man kann

"6Fr. lOla 640a?q.lol yxp 'r&v rc4ov &xpt3katD?pOL t.&pTupc steht zu diesem Vorrang des Horens nicht im Widerspruch: es druckt keine prinzipielle Hoherbewertung des Sehens aus, sondern nur den Vorzug der Autopsie vor dem Horensagen (n.b. tL&p'rupeq). So schon E. Zeller, Die Philosophie der Griechen I6, Leipzig 1920, 901 Anm. 2. Ahnlich Guthrie, 429. Das Fragment gehort also wahrscheinlich zur Kritik der Nachrederei (Fr. 57 und 104). Anders von Fritz, Classical Philology 38 (1943), 234: "the truth can be understood only by him who 'sees it' - of course, with his v6o; but through his eyes". Aber diese Implikation des v60o ist im Text nicht angedeutet. '7 Neue Jbb. 13 (1910), 3. Zum Verhaltnis des Johanneischen zum Herakliti- schen Logos vgl. H. Kleinknecht in Kittels Worterb. z. N.T. IV, 78-79, R.Bult- mann, Glauben und Verstehen I, Tubingen 1933, 276ff., W. Kranz, Rhein. Mus. 93 (1950), 88ff. 48 Fr. 32, 92, 114.

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den Philosophen nicht einmal ein "Mundstiick des Logos" nennen49, denn der Logos spricht nicht nur aus seinem Munde. Er spricht vor allem aus der Weltordnung, mit der er zusammenfailt. Die Welt- ordnung muss also eine sprechende Ordnung sein: sie war dem Hera- klit im buchstablichen Sinne so "ansprechend", dass er sie als die Argumentation an sich auffassen konnte.

Um das zu verstehen, miissen wir zweierlei bedenken, erstens, dass die 31testen Griechen das Wort als einen unmittelbaren Ausdruck der Wirklichkeit betrachteten56, und zweitens, dass nach dieser Auf- fassung die W6rter nicht nur etwas "besagen" oder ausdriicken, sondern selbst tatsachlich sprechen5l. Wenn wir diese beiden Voraus- setzungen kombinieren, haben wir den Begriff einer sprechenden Wirklichkeit. Heraklit hat sich dieser Vorstellung einer sprechenden Wirklichkeit angeschlossen, sie aber zur Vorstellung einer kosmischen Argumentation systematisiert.

Diese Systematisierung besteht darin, dass er die zwischen den ver- schiedenen Wortbedeutungen bestehenden Spannungen als Aspekte der einen die ganze Weltordnung bestimmenden Grundspannung deutete62. Das Wort PwQ bedeutet sowohl "Leben" (p3os) wie "Bo- gen" (PL6q), das Instrument des Todes (Fr. 48). Im Tode ([L6pos) ver- liert man alles, aber zugleich erlangt man zur Belohnung seinen Teil (uo-Lp) im Jenseits (Fr. 25). Der Name des Affen (xacX[ac) steht mit dessen Hasslichkeit im Widerspruch (Fr. 82). Das Schamglied (acolov) ist zugleich das Schamloseste (Fr. 15). Der Dionysoskult ist schamlos

49 Holscher, a.a.O., 76, der sich auf Fr. 92 beruft. Es ist aber nicht wahrschein- lich, dass Heraklit sich selbst mit der rasenden Sibylle verglichen hat. Eine bessere Erkldrung gibt G. Vlastos, Philos. Quart. 2 (1952), 99 Anm. 9; "'raving' (mainesthai) is the antithesis of Heraclitean logos, sophie, and is used in his denunciation of mystic rites at B 15". 60 Man denke z.B. an ihren Namenglauben, ihre Neigung zur Etymologisierung und ihre Vorliebe fuir Wortspiele. Vgl. E. Norden, Antike Kunstprosa I, 23ff., W. B. Stanford, Ambiguity in Greek Literature, Oxford 1939, 34ff., Heinimann, Nomos u. Physis, 46ff., Rank, Etymologisering, 17ff., J. D. Denniston, Greek Prose Style, Oxford 1952, 136ff., R. Harder, Kleine Schriften, Miinchen 1960, 3ff., Verdenius, Maia 15 (1963), 125 (= StudiPerrotta, 1965, 123). 61 Das gilt auch vom geschriebenen Wort, weil man laut zu lesen pflegte. Vgl. Eur. Fr. 369,5 8Ukcv r'&vmnrr;aaoLt,t yipuv, und J. Balogh, Philol. 82(1927), 48ff., 202ff., G. L. Hendrickson, Class. Journ. 25 (1929), 182ff., E. S. Mc Cartney, Classical Philology 43 (1948), 184ff., G. Rohde, Studien und Interpre- tationen, Berlin 1963, 290 ff. ' Zum Begriff der Spannung bei Heraklit s. Guthrie, 439 Anm. 1.

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(OcVaL&v ), aber zugleich dezent, insofern Dionysos mit Hades ('A(87s) identischist (Fr. 15)63.

In den Fragmenten Heraklits sind wahrscheinlich mehr solche Wort- spiele verborgen als man bisher erkannt hat. Die Menschen verkehren bestandig mit dem Logos (&)vEX&)q o4ULouaL), aber zugleich entzweien sie sich von ihm (8LO&CppoVTML) (Fr. 72). Das ist verstandlich, weil in dem Adverb 8ivzxCO der Aorist 8&vCyxOV anklingt: das Bestandige ist also zugleich unbestandig. Die Menschen in ihrer Unwissenheit (ou'x ?l86rec) lassen sich von den Volkssangern (8YI,Uwv 'oL8o0) leiten (Fr. 104). Die Sanger gelten den Menschen als die Wissenden (vgl. Fr. 57 ToUTOV [Hesiod] ntsa'v'owa netarm et8evox), in Wirklichkeit sind sie aber Unwissende (&-oL&oQ. Der Mensch zuindet sich in der Nacht (&v ucpp6v-) ein Licht an (Fr. 26). Das bedeutet, wie schon Zeller richtig

gesehen hat, dass der Mensch im Schlaf auf seine eigene Welt, die subjektive Welt seiner Traume beschrankt wird, im Gegensatz zur gemeinsamen Weltordnung der Wachenden (Fr. 89)64. Heraklit scheint mir statt des gewohnlichen Wortes vb' das Wort eucppo6v gewahlt zu haben, um damit eine Gegensatzlichkeit anzudeuten: die "verniinftige Zeit" (6-yp64v) ist in Wirklichkeit die Zeit der Unvernunft, des Traumes55.

58 S. weiter B. Snell, Hermes 61 (1926), 367ff., Heinimann, a.a.O., 53ff., Kirk, 67-68, 117-120, Zeller-Mondolfo, 341 ff. Zu Fr. 15 und 82-83 vgl. Verdenius, Mnemos. IV 12 (1959), 297. - Kahn, a.a.O., 4 bemerkt richtig, dass "word-play for Heraclitus becomes not so much a literary mannerism as a revelation in language of the hidden unity of the universe, a hint of the orderly structure which his logos evokes", nimmt aber mit Unrecht in Fr. 2 eine Anspielung auf die Bedeutung "Sammlung" an: bei Herodot bedeutet XOLV0 X6yo4 nicht "a gather- ing of men who are counted together" (4 Anm. 11), sondern "gemeinschaftliche tlberlegung" (vgl. z.B. II 30,3 PoAtua&[IevoL xact xoLv(o ),6yc xpa&[LvoL mit V 63,3 xoLvj yv6[L-n xpe6X.cvoL). *' Zeller, Philos. d. Gr. I., 886. Die Echtheit von Fr. 89 hat Vlastos, a.a.O., 344-7 gegen Kirk, 63-64 gut verteidigt. Vgl. auch Zeller-Mondolfo, 279-81, Guthrie, 430-1. *6 Klemens hat den Hinweis auf das 9povetv gesehen, die eUcpp6v1) aber unrichtig als eine Konzentration von Einsicht aufgefasst. So auch Holscher, a.a.O., 77. Wahrscheinlich hat ?c0pp6vn auch in Fr. 67 einen tieferen Sinn: sie steht zur hAx,up- im Gegensatz, obwohl sie als "die Freundliche" mit jener, "der Sanften", eins ist. S. DeichgrAber, a.a.O., 17, und Parmenides' Auflahrt zur Gdttin des Rechts (Akad. d. Wiss. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Kl. 1958: 11), 60 Anm. 1. Der Sinn von Fr. 99 ist weniger klar (s. Kirk, 162-5, Zeller-Mondolfo, 208-9, Guthrie, 484). Vielleicht hat Heraklit in dem Wort IL0o einen Anklang an *X64 und i(Lto4 gehort: wenn es keine "Torheit" gabe, gabe es nur "Vernunftig- keit".

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Wir verstehen nun auch besser, warum Heraklit im ersten Frag- ment sagt, dass seine Methode in der Erbrterung von Worten und Werken (Er&ev xoel gpywv) besteht. Viele haben diesen Ausdruck als eine Bezeichnung der Gesamtheit menschlicher Betatigung auffassen wollen, eine Bedeutung, die schon im alten Epos vorkomnmt6. Aber Heraklit hat seine Er6rterung nicht auf den Bereich der menschlichen Welt beschrankt. Andere haben in dem Ausdruck eine Beziehung der Erkenntnis auf die Lebensfiihrung sehen wollen57. Aber wenn die gpya menschliche Handlungen waren, wiirde man statt t7reSc ein Wort fur "Tatsachen" oder "Natur" erwarten58. Es scheint mir nahezu- liegen, die gpy. in Fr. 1 rrmit dem 'pyov in Fr. 48 zu vergleichen: der Name des Bogens steht im Widerspruch zu seinem Werk. So ist es auch in den anderen Fallen: der Name der Nacht ist Vernunft (cu- pp6vw), ihr Werk aber Unvernunft; der Name des Sangers ist "der Unwissende" (a-oL86q), sein vermeintliches Werk ist aber Wissen zu vermitteln, usw.

Diesen Gegensatz von Name und Werk findet man zuerst bei Solon (Fr. 8, 7-8) und nach ihm in der bekannten Formel ou (uo6vov) 6oycp, a&X)O (xcxl) gpyc59. Heraklit schliesst sich dem Solonischen Ausdruck an, modifiziert ihn aber in zweierlei Hinsicht: erstens erweitert er den Bereich der gpyo von den menschlichen Handlungen zur ganzen Wirk- lichkeit (was bei seiner dynamischen Auffassung der Welt kein grosser Schritt war), und zweitens lasst er die Hoherbewertung des gpyov als des eigentlich Wirklichen fallen: der Name sagt nicht das Gegenteil von dem aus, was das Wesentliche ist, denn "am Phanomen des Bogens war ihm der 'Tod' nicht wesentlicher als das 'Leben'; als ein Ganzes, 'Werk' und 'Name' zusammen, offenbarte es ihm die wesent- liche Einheit von Leben und Tod"60. Wenn Heraklit sein Verfahren eine "Er6rterung von Worten und Werken" nennt, so bedeutet das eine gegenseitige Konfrontierung. Dabei ist die nahere Bestimmung xaoc 9uaLv 8LmLpeCAV gxoa'cov so aufzufassen, dass das Einzelding in Wort und Werk auseinandergelegt wird, wobei das Wesen (yp6at) in

'6 z.B. Ilias 1, 395 M M7eL ti xal lpyx, 15, 234 Ipy6v Te t S T re. Vgl. Heinimann, a.a.O., 43. 57 Jaeger, Paideia I, 243, Snell, Hermes 61 (1926), 380, Kirk, 61. 68 Kirk, 41 nimmt *.reox als Mittel der Erorterung: "the words are the means of explanation, the deeds or events are the things which are explained". Aber in der Formel Inea xal Epya konnte schwerlich das erste Glied inneres und das zweite ausseres Objekt sein. 59 Vgl. Heinimann, 44ff. 'I Holscher, a.a.O., 81 Anm. 21. S. auch Heinimann, 55, Kirk, 118-9, Zeller- Mondolfo, 346-7.

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Page 19: Der Logosbegriff bei Parmenides und Heraklit

der Konfrontierung sichtbar wird. Die W6rter offenbaren in ihrem Doppelsinn den relativen Wirklichkeitsgrad der durch sie bezeichneten Werke, und die Werke offenbaren ihrerseits den relativen Wirklich- keitsgrad der W6rter. In dieser gegenseitigen Relativierung offenbart sich indirekt die Spannung im Weltgefiige.

Zu einer solchen Relativierung geniigt aber nicht die blosse Kon- frontierung, sondern sie kommt erst zustande, wenn man durch die oberflachliche Bedeutung der Worter und der Dinge hindurchzusehen vermag. Dieses Durchdringen bis auf eine tiefere Schicht der Wirk- lichkeit ist das Voetv61. Darum sagt Herakilt, dass man iuv v6w sprechen soil (Fr. 114): der Sprecher soil sich nicht auf das blosse Aussprechen der Worter beschranken, sondern er soll die tiefere Bedeutung der Worter zum Ausdruck bringen. Auf ahnliche Weise soll der Zuhbrer diese tiefere Bedeutung zu erfassen versuchen: "die Ohren sind schlech- te Zeugen, wenn man eine Barbarenseele hat" (Fr. 107), d.h. wenn man die Sprache der Worter nicht versteht62.

Die Erfassung der tieferen Bedeutung der Worter und das Durch- dringen bis zum Hintergrund der Dinge gelingt aber nicht, wenn man beim Einzelwort und beim Einzelding stehen bleibt. Eine Haufung von Einzelerkenntnissen ergibt noch keine wesentliche Erkenntnis (Fr. 40 wto?Bu OLvn 6ov MX?LV oC~u LC)63. Dazu bedarf es einer syste- matischen Erorterung, eines ?,6yoq. Die Worter fangen erst in ihrem Zusammenhang, in ihrer richtigen Aufeinanderfolge zu sprechen an. In diesem Logos setzen die Worter sozusagen selbst das System der Weltordnung auseinander, indem sie sich nicht mehr primar auf die Erscheinungswelt beziehen, sondern in ihrer gegenseitigen Relativie- rung auf eine tiefere Schicht der Wirklichkeit hinweisen. In dieser gegenseitigen Relativierung heben sie sich iiber die menschliche Welt hinaus und bekommen einen kosmischen Charakter. Sie bilden die kosmische Argumentation. Auf diesen Logos gilt es hinzuh6ren und nicht hinzuschauen, weil der gegenseitige Anklang der Worter sich im H6ren starker bemerkbar macht als beim Lesen64.

Universitdt Utrecht. (Schluss /olgt) 61 Vgl. von Fritz, Classical Philology 38 (1943), 226, 232, Guthrie, 426 Anm. 1. 62 Vgl. Deichgraber, Rhythmische Elemente, 7-9. 63 Dazu Verdenius, Mnemos. III 13 (1947), 280-4. 64 Der Anklang Pioq-p6q scheint beim Lesen deutlicher zu sein als beim Horen, aber in griechischen Wortspielen ist der Akzent von untergeordneter Bedeutung. Man denke z.B. an ALcx - 8L& (vgl. Rank, a.a.O., 44) und an Eur. Ba. 287-92

tL-p6c-tdpo;(dazu Verdenius, Mnemos. IV 15, 1962, 344). Vgl. auch Kirk, 120 Anm. 2.

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