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1 1 PAGE 15 DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Junkerblues und IT-Circus Putbus erwacht Ein Feature von Elke Suhr Erzählerin: Anke Zillich Sprecherin: Renate Fuhrmann Sprecher 1(Fürst zu Putbus): Josef Tratnik Sprecher 2: Gregor Höppner Sprecher 3: Volker Risch Produktion 29.11. – 2.12. /M 2 vormittags und 21. März 2011 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. DeutschlandRadio Sendung: 1. April 2011/20.10 Uhr Länge: 49`46 Musik/Pommernlied, Frau Knapp

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DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr

Junkerblues und IT-Circus

Putbus erwacht

Ein Feature von Elke Suhr

Erzählerin: Anke Zillich

Sprecherin: Renate Fuhrmann

Sprecher 1(Fürst zu Putbus): Josef Tratnik

Sprecher 2: Gregor Höppner

Sprecher 3: Volker Risch

Produktion 29.11. – 2.12. /M 2 vormittags und 21. März 2011

URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. DeutschlandRadio Sendung: 1. April 2011/20.10 Uhr

Länge: 49`46 Musik/Pommernlied, Frau Knapp

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Junkerblues und IT-Circus

Putbus erwacht

Ein Feature von Elke Suhr

01a O-Ton Fürst (SWR, 31“)

„Ich hab ´n Haus auf’m Grundstück gebaut, das mal Ihnen gehört hat. Was wird denn

jetzt aus meinem Haus?!“ Die Frage hab’ ich so beantwortet, dass die Leute keine

Sorge haben brauchten. Aber verstanden habe ich die Frage vom Grundsatz her

überhaupt nicht. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass man so was macht, das ist für

mich undenkbar. Es waren genügend Flächen da, die dem Staat, der Treuhandanstalt

gehörten. Da braucht man sich nicht um so was zu streiten.

Erzählerin: Franz Malte zu Putbus, kurz: der Fürst

01 OT Frau Knapp

Ich kannte ihn auch persönlich, bin bei ihm gewesen, hab mich gern mit ihm

unterhalten//

Erzählerin: Frau Knapp, Putbuserin aus Leidenschaft

und hab’ ihn auch erlebt bei der ersten Wahlversammlung hier nach der Wende, wie er

da war und sich hinstellte und eigentlich nach Putbus zurück kommen wollte, um

eigentlich für Rügen was Gutes zu tun und auch für Putbus. Und ganz offen bekannte:

Er will nichts zurück fordern. Er möchte hier ein Stück Heimat haben, //’n Häuschen oder

was,’ne Wohnung und vielleicht auch ein Stück Land. Mehr hat er nicht gefordert, nicht.

Da hör ich ihn heute noch. Und was ist daraus alles geworden.

02 OT

Herr Meinke

Im Kino war das.

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Erzählerin : Die Stammtischler

Herr Ellerbrock

Hier im Kino war eine Veranstaltung der CDU, da hat er der CDU Unterstützung

zugesichert,

und da hat er u.a. auch festgestellt, dass er keine Ansprüche auf ehemaligen Besitz des

Putbuser Fürstenhauses stellen würde, aber er möchte eine Existenz aufbauen hier.

Und das war ein Hof mit (Was war das? Achthundert Hektar?) in Pastitz, den er wohl

gern hätte.

O-Ton Fürst

Ich finde eines der traurigsten Dinge im heutigen L eben ist, dass viele Menschen

die keine Heimat haben oder haben können, mit der s ie sich wirklich identifizieren

können. Und gerade darum, wenn man sie hat, dann so ll man fröhlich

draufzugreifen.

auf Musik/Pommernlied

(Zwischentitelsprecher)

1. Das will er alles wieder haben

Erzählerin

Die Stammtischler sitzen mit mir in der Gaststube d es „Koos“ zusammen. Der

frühere „Berliner Hof“ ist das letzte klassizistis che Hotel in dem einst so

mondänen ersten Badeort auf Rügen. Heute fragen sich die altgewordenen

Spielgefährten der sieben Kinder des letzten Fürste n zu Putbus selber, wie es

nach dem Mauerfall zu der Kampagne gegen Franz zu P utbus kommen konnte.

10 OT Stammtischchor

Meines Erachtens war das’ ne ganz falsche Propaganda! Das waren die Medien, das

sind die Medien…usw.

Das waren die Medien…!

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Das sind die Medien!//

Man hat sich hier selbst gewundert, einer über den andern.// Da hat keiner Angst hier

gehabt. Jeder wusste: Wer was hat, der ist im Grundbuch drin. Und das haben sie nicht

angetastet.

11 OT Herr Meinke

Ich war im Dezember bevor er starb noch mal bei ihm eingeladen, hochherrschaftlich:

„Kommen Sie zur Teezeit!“.

Da hat er mir erzählt, wie er dazu gekommen ist. Wir hatten auf Rügen den Plattes –

das war eine der Segnungen, der nachwendischen Segnungen aus dem Westen, seines

Zeichens Steuerberater.... Kennen Sie die Story? Und der Plates hat uns noch mit

einem großen Geschenk gesegnet. Nach der Wende. Er schenkte uns eine Zeitung. So,

in dieser Zeitung, auf der Titelseite, ich hab sie noch, dort hat er veröffentlicht unter der

Überschrift „Das alles will er wiederhaben“ …

1. Sprecher

An das Landratsamt des Kreises Rügen….

Sehr geehrte Damen und Herren,

bei meinem Besuch Anfang August hatten Sie mir empf ohlen, den ehemaligen

Putbuser Besitzstand anzumelden. Ich tue dies nur z ögernd, denn die anliegende

Aufstellung könnte Ängste auf Rügen auslösen…Die Au fstellung ist eine

Auflistung aus dem Jahre 1945….

2. Sprecher

Listen der Ansprüche von Franz zu Putbus. 29. Augus t 1990.

Villa Lottum, Kursaal, Rosencafé, Putbuser Park (75 ha), Krimvitz (390,6 ha),

Lauterbach (25 ha), Wreechen (22 ha)….

Jagdschloss Granitz, Schloss Spyker, Orangerie, Sch auspielhaus, Fasanenhaus,

Friedrich Wilhelm-Bad (Lauterbach), Marstall…

12 OT Herr Meinke

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“Das alles will er wieder haben!“ Und dann waren die Rüganer natürlich: „Kiek mal

an!“… nich. Und der Plates war fein raus – er war der „Enthüller“!

13 O-Ton Fürst (SWR, 22“)

Ich hab’ damals eigentlich nur diese Listen eingesandt, weil ich damals hoffte, ich

brauchte überhaupt keine Rückführungsansprüche zu stellen; sondern ich könnte das

eine oder andre so zurückbekommen, aber nachdem das also nicht der Fall war, da hab’

ich eben gesagt: „Da muss ich mein Recht eben verteidigen, nicht.“

2. Sprecher

„Wer uns von den Feldern vertreiben will, muss scho n mit der Polizei kommen“,

wettert Landwirt Mühlenberg. Vier wehrhafte Landwir te, drei Nachfolger früherer

Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (L PG) fürchten um ihre

lebensfähige Größenordnung. (Focus 10. Mai 1993.)

14 O-Ton Fürst (SWR, 35“)

Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich viel früher und viel schneller wenigstens im

Konsens mit den nachbarlichen LPGs und Landwirtschaftsgesellschaften eine

Flächengröße von sechs- bis siebenhundert Hektar bekommen könnte, zunächst

pachten und dann vielleicht später zurückkaufen…

Aber nachdem alles andere blockiert wurde, und das ging ja auch bis Schwerin hinein…!

Da habe ich gesagt: „Jetzt reicht `s mir!“

15 OT

Herr Meinke

So, und dann wurde ja mit einigen Schweizer und Berliner Leuten die Muttland GmbH.

gegründet. Ha’m Se davon mal was gehört?//

Er sagte mir, dass er todunglücklich mit dieser Muttland GmbH. war. Die hatten ihn

fürchterlich hinters Licht geführt. (Zwischenrufe.) Ja, ja, sie hatte ihn fürchterlich hinters

Licht geführt.

Und die sind dann umhergezogen und haben gesagt: „ Mensch, Du hast doch auf

Bodenreformland gebaut, das vorher Fürsten gehörte. Der kriegt das wieder! Hast Du

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die Zeitung schon gelesen? Das alles will er wieder haben! Wenn Du mir 20 000 Mark

gibst (damals war ja noch DM-Zeit), dann ist das gut!“.

2. Sprecher

Auf einer Bauerndemonstration auf dem Circus in Put bus mit ca. 500 Teilnehmern

verkündete die Finanzministerin von Mecklenburg-Vor pommern, Bärbel Kleedehn,

dass das Landesamt für offene Vermögensfragen die A nsprüche des Franz zu

Putbus ablehnen werde, da er nicht durch die Nazis enteignet worden sei.

(Inselpost, August 1993)

14a OT Karl Walter Böttcher (NDR-Archiv, 21“)

Diese Forderungen bezogen sich bei uns auf konkret auf 950 bis 1000 Hektar

landwirtschaftlicher Fläche, und wenn wir die durch Restitution verloren hätten, wär die

Existenz des Betriebes eben so nicht mehr möglich gewesen. Die

Rückführungsansprüche haben uns über ca. acht Jahre Investitionen blockiert.

2. Sprecher

Karl Walter Böttcher klagt: „Die Menschen in Putbus haben kein Vertrauen mehr

in den Rechtsstaat“.

Zu DDR-Zeiten war Karl Walter Böttcher LPG-Vorsitze nder, heute leitet er einen

Betrieb mit 1750 ha Nutzfläche.

Berliner Zeitung, 30. Juli 1997.

16 O-Ton Herr Ellerbrock

Andererseits hätte man Franz eins, jedenfalls ein Haus von seinen Häusern schenken

sollen, nicht dass er sich eins zurückkaufen musste. Dann hätte man etwas wieder,

etwas wieder gut gemacht.

(Zustimmung von allen Seiten.)

17 OT Herr Meinke

Dann hat er nachher aber das ehemalige Beamtenhaus des Putbuser Herrensitzes am

Circus - Circus Nummer Zehn - dann zurück gekauft.

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(auf Musik)

Erzählerin

Der „Circus“, ein von 15 Bürgerpalais und dem fürs tlichen Pädagogium - der

Nummer 16 - umsäumtes Rondell. Es liegt im Herzen von Putbus. Der Anfang des

neunzehnten Jahrhunderts nach dem Vorbild des engli schen „Bath“ erbaute

Badeort zog einst Adelige und andere VIPS aus ganz Europa an, ein

Schmuckstück des friedfertigen aufklärerischen Spät klassizismus.

Als ich im Sommer 2001 zum ersten Mal in die einstm als weiße kleine Idealstadt

kam, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ei ne graue Ruine „antifeudaler“

Kasernenarchitektur dies- und jenseits der Wende.

18 OT

Wat ist eigentlich mit dem Haus Lottum …und dem Kursaal und diesen Gebäuden, die

hier in Putbus stehen?

Stammtischchor

Haus Lottum - ist höchste Zeit, das da was gemacht wird…ja, Minsch, so seh ik dat

uk…Ich geh da oft vorbei und wenn ik dat seh’, das tutmir leid. deut mi leed…

Das glaub’ ich, gehört der Stadt…

Herr Meinke

Also, da gab’s in Hannover so eine VEB-Betriebsvernichtungmaschinerie, die nannte

sich Greuelhand, Breuelhand oder Treuhand…

Stammtischchor

…Treuhand

Herr Meinke

…und die haben das Meiste verscheuert.

19 O-Ton Herr Meinke

Das kam erst nach der Wende, dass das nicht richtig genutzt wurde.

Rosencafé hab’ ich noch vergessen….

Herr Ellerbrock

Das ist noch gar nicht zur Sprache gekommen….!

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Herr Meinke

„Wer nicht im Rosencafe war, der war noch nicht auf Rügen!“, so hieß der Slogan

damals. Rosencafé war eine Gaststätte, da waren alle Tische besetzt!

Ja, und das Rosencafé, das ist ein Haus, von einem ganz berühmten Architekten

gezeichnet, Johann Gottfried Steinmeyer, das war der Nachfolger Schinkels (Schwager

Schinkels usw….)in der preußischen Bauakademie.

Das wurde Ristorante Roma Pizzeria!

Stammtischchor

Rosencafé –Verkommt!

Musik/Pommernlied Zwischentitelsprecher:

Alles grau in grau…

20 OT

Fürstin

Der Ort sah von den Bauten natürlich – wie sie sich denken können – genauso aus,

aber natürlich war keine Farbe an den Häusern; es war alles grau in grau…grau in

grau…

Autorin

Ja, das hab ich auch noch gesehen, das war erschütternd…

Fürstin

Ja, wirklich grau in Grau, und die Fenster waren natürlich – die Umrandungen waren

nicht gemalt, das blanke Holz war zu sehen, und die Türen waren nicht gestrichen. Und

es war keine Blume, keine Pflanze vor den Häusern. Nicht wie jetzt, wie wir es jetzt alles

haben, so schön mit den Rosen.

(auf Musik)

Erzählerin

Michaela zu Putbus, die Witwe des 2004 verstorbenen Fürsten, lebt heute in

„Circus“ Nummer 10. Vom Wohnzimmerfenster im 1. Sto ck kann ich über den

Platz bis zum Schlosspark blicken, einem der schöns ten Landschaftsgärten

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Norddeutschlands. Die Kommune kann seine Pflege nic ht finanzieren. So

verwahrlost er zusehends.

Aber die meisten der heute denkmalgeschützten Häuse r am „Circus“ stehen nun

wieder schneeweiß gestrichen da, mit roten Rosen da vor, auch dank der Fürstin

und ihres Vereins zur Erhaltung des kulturellen Erb es ihres Mannes.

Sternförmig laufen Alleen auf einen Obelisken im Ze ntrum des Platzes zu. Er trägt

die Inschrift: „Gründung des Ortes Putbus 1810 von Malte Fürst zu Putbus“.

21 O-Ton Fürst (SWR, 32“)

Er hat sich da keinen Palast hingebaut und die Menschen dafür Fron leisten lassen.

Sondern er hat mit der Absicht, seinem Ort sein Gepräge zu geben und überhaupt die

Insel aus dem tiefen Mittelalter heraus zu holen, hat er diesen Kurort, Badeort (damals

Putbus mit Lauterbach, diese Residenz) geschaffen. Und sie ist in diesem Stil die letzte

klassizistische Residenz, die in solcher Vollkommenheit in Norddeutschland gebaut

wurde.

Erzählerin

Auf seinen Reisen durch Europa sammelte Malte zu Pu tbus Ideen für eine „ideale

Residenzstadt“ mit Badehaus, Schlosspark, Kurhalle und Theater - und

Arbeitsmöglichkeiten für die kleinen Leute: eine ze itgemäße Synthese zwischen

kultureller Tradition und wirtschaftlichem Fortschr itt. Er baute ein Alleennetz auf,

belebte den Badetourismus, siedelte Handwerker an u nd vergab zu menschlichen

Bedingungen Pachtland an ehemalige Leibeigene auf R ügen.

22 O-Ton Fürst (SWR, 20“)

Er ist, glaub ich, ein sehr engagierter, sozial engagierter Mann gewesen, was für seine

Zeit sehr viel bedeutet. Denn wenn Sie seine Tagebücher lesen, dann werden sie

sehen, dass seine Reisen durch England, Schottland in außerordentlich kritischen

Berichten über die sozialen Verhältnisse dort münden.

2. Sprecher

Ostsee-Insel Rügen ohne Fürsten und Grafen

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In den 15 Jahren seit der demokratischen Bodenrefor m auf dem Gebiet der DDR

hat sich das Gesicht der Insel Rügen, der „grünen I nsel“ Deutschlands, von einer

einstigen Hochburg des deutschen Junkertums zur wah ren Heimstatt freier und

glücklicher Bauern entwickelt.

Die über 67.000 ha fruchtbarer Acker und Weidelände reien werden seit dem

Frühjahr 1960 ausschließlich von volkseigenen Güter n und landwirtschaftlichen

Produktionsgenossenschaften auf sozialistische Art bearbeitet und bieten rund

10.000 Landarbeitern und Bauern eine gesicherte Exi stenz.

Ostseezeitung, 8. Mai 1960

(auf Musik/Pommernlied)

Zwischentitelsprecher Junkerland in Bauernhand!

23 O-Ton Bäuerin (NDR-Archiv, 14“)

Was des Volkes Hände schaffen, soll des Volkes eigen sein. Und das ist mein

Standpunkt. Und nie wieder dürfte Bauernland in Junkerhand sein. Nie wieder!

24 OT

Atmo: Schritte im hohlen Flur etc. „Vorsicht Stufe! “

Richter Corsmeyer

Ja, das ist der Schwurgerichtssaal. In diesem Saal hat die Verhandlung stattgefunden,

zwei Verhandlungstage. Einen Tag in dem die Entscheidung dann verkündet worden

ist…

Der Saal war natürlich, wie Sie sich vorstellen können, brechend voll, bis auf den letzten

Platz gefüllt.

Richterin Hirtschulz

Die Problematik war bei der ganzen Geschichte natürlich so, dass durch den

vermögensrechtlichen Antrag so eine Verfügungssperre ausgelöst wurde nach dem

einschlägigen Gesetz. Und das bedeutete, das jemand, der auf einem Grund// – seit

Jahrzehnten eventuell als Eigentümer schon eingetragen war und das vielleicht

bewohnte, der konnte das auf einmal nicht mehr verkaufen …!

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Erzählerin

Meike Hirtschulz war Vorsitzende Richterin, Eckhard Corsmeyer Pressesprecher,

als im Sommer 1997 das größte Rückenteignungsverfah ren der Nachwendezeit

vor dem Verwaltungsgericht Greifswald über die Bühn e ging.

Als Klägerin trat die „Muttland Aufbaugesellschaft mbH & Co“ auf, der Fürst hatte

sich aus dem Verfahren zurückgezogen. Der Paragraph 1 Absatz 6 des Gesetzes

zur „Regelung offener Vermögensfragen“ schien ihm o hnehin Recht zu geben. Er

spricht jenen Rückenteignung zu, „die in der Zeit v om 30. Januar 1933 bis zum 8.

Mai 1945 aus rassischen, politischen oder weltansch aulichen Gründen verfolgt

wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsv erkäufen, Enteignungen

oder auf andere Weise verloren haben.“

25 OT Bäuerinnen (NDR-Archiv 18“)

Er kann doch nicht plötzlich wieder ein Sechstel der Insel bekommen. Was würde das

für ein Unrecht, einen Frust ergeben bei den Menschen, die hier wohnen, die hier Jahre

(Zwischenruf: gearbeitet haben.), sich was geschaffen haben. Und jetzt wird alles wieder

den Großjunkern in’n Rachen geschmissen.

26 OT

Richter Corsmeyer

Es waren mindestens noch mal achtzig bis hundert Personen schätzungsweise draußen

vor dem Saal. Die wohl zum großen Teil von der Insel Rügen kamen// und zum Teil

teilweise von der damaligen Landtagsabgeordneten Frau Peters hier teilweise mit

Bussen hergeschafft worden waren.

1. Sprecherin

Bei einem positiven Urteil für die Klägerin gäbe es sicher noch manch anderen

Alteigentümer, der Begehrlichkeiten ohne aktenkundi ges Beweismaterial auf

diese Weise durchsetzen wolle und neues Unrecht sch affen könnte.

Angelika Peters (SPD) Mitglied des Landtages.

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27 OT Richter Corsmeyer

Was immer vergessen worden ist in dieser Diskussion ist der Umstand, dass dieser

Verzicht auf die Rückgabe dieser zwischen 45 und 49 getätigten Enteignungen auch

eine politische Vorgabe der Wiedervereinigung von Seiten der DDR-Regierung war. Und

zwar von Seiten der frei gewählten DDR-Regierung.//

Stellen Sie sich vor, wenn 1990 jemand an die Öffentlichkeit getreten wären: „Wir

werden die Bodenreform rückgängig machen…!“ – Was dann passiert wäre….!

Autorin

Es wäre für mich auch ein historischer Anachronismus gewesen!

Richter Corsmeyer

Das sind politische Ansichten; man kann natürlich auch mit demselben Recht die

gegenteilige politische Ansicht vertreten und sagen: „Das sollte zurück gegeben werden,

unter bestimmten Voraussetzungen!“ Diese politische Ansicht hat sich aber nicht

durchgesetzt.

Erzählerin

Die Greifswalder Richter haben es sich nicht leicht gemacht, davon zeugen viele

Meter Akten in den Katakomben des wilhelminischen G erichtsgebäudes. Dass ich

sie überhaupt einsehen durfte, war nicht selbstvers tändlich. Ich fand einen

beeindruckenden Fundus von Zeugenberichten vor. Die frühesten stammen aus

den Nachkriegsjahren, als Mira zu Putbus, die Witwe des Anfang 1945 im KZ

Sachsenhausen ermordeten Fürsten Malte, vergeblich die Anerkennung als

„Verfolgte des Naziregimes“ und damit das Wohnrecht auf Rügen beantragte.

Andere finden sich im umfänglichen Ablehnungsbesche id des Landesamtes für

offene Vermögensfragen von 1993.

Damals gaben prominente Mithäftlinge aus dem Kreis des 20. Juli wie Carl Hans

von Hardenberg und Paul Yorck von Wartenburg, eides stattliche Erklärungen

zugunsten des Fürsten ab. Sie waren zu Prozessbegi nn 1997 bereits verstorben.

2. Sprecher

Chancen für den Fürsten stehen gut.

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Vor dem Verwaltungsgericht Greifswald sagten versch iedene Zeugen

übereinstimmend aus, dass der fürstliche Besitz ber eits vor der Bodenreform in

den Jahren 1945 bis 1949 enteignet wurde und unter Zwangsverwaltung stand.

Franz zu Putbus und der aus Amerika angereiste Zeug e Heinz Bongardt

(bestätigten), dass der Gauleiter von Pommern (Schw ede-Coburg) im Herbst 1944

im Wehrertüchtigungslager Deutschkrone zu dem junge n Franz zu Putbus gesagt

habe, der Besitz von Fürst Malte zu Putbus sei ente ignet.

„Der Rüganer – die Zeitung für die Insel“, 2.7.1997 .

28 OT

Richter Tank

Damals’ne maßgebliche Rolle hat ja der Gutsverwalter des Fürsten gespielt, ein Herr

von Platen…

Richter Corsmeyer

…der Sohn des Gutsverwalters! Der war als Zeuge hier im Prozess!

3. Sprecher

Alles was ich weiß, stammt aus den damaligen Berich ten und schriftlichen

Aufzeichnungen. Mein Vater erzählte, dass Malte zu Putbus auf dem Marktplatz

...eine Rede gehalten habe. Aufgrund dieser Rede se ien Herrn Malte zu Putbus

sämtliche Vollmachten über seinen Besitz entzogen u nd auf meinen Vater, Gustav

von Platen, übertragen worden. Die Rede auf dem Mar ktplatz hat sich auf die

damalige Juden- und Kirchenpolitik der Partei bezog en.

1. Sprecherin

Pressemitteilung

Die 2. Kammer konnte nicht die Überzeugung gewinnen , dass Malte zu Putbus

einen Vermögensverlust durch den NS-Staat im Sinne des Vermögensgesetzes

erlitten hat. So sei es beispielsweise nicht bewies en, dass gegen Malte zu Putbus

beim Volksgerichtshof in Berlin ein Verfahren anhän gig war bzw. dass es im

Ergebnis eines solchen Verfahrens zu einer Vermögen sentziehung durch Urteil

des Volksgerichtshofs kam.

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Erzählerin

Kurz, eine Enteignung in der NS-Zeit war nicht akte nkundig und damit auch nicht

justiziabel. Nun war Malte zu Putbus nach seiner Ve rhaftung am 21. Juli 1944 in

die Hände von Johannes Paulick geraten, seines Zeic hens Vorsitzender des

Sondergerichts Stettin und kommissarischer Richter des Volksgerichtshofs. Er

galt als juristischer Vollstrecker des später als K riegsverbrecher verurteilten

Pommerschen Gauleiters Franz Schwede-Coburg, eines erklärten Intimfeindes

des Malte zu Putbus.

Johannes Paulick hat alle Gerichtsakten kurz vor Kr iegsende vernichtet.

Das Urteil ließe sich in dem Satz zusammenfassen: S ie konnten es nicht

beweisen, meint Richter Corsmeyer. Die Rüganer habe es überrascht.

29 OT

Richter Corsmeyer

Man vermutete immer, dass hier quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein

abgekartetes Spiel stattfinden würde, zu Lasten der Bevölkerung der Insel Rügen ….

Und man war dann – ja, grotesker Weise muss man sagen - geradezu enttäuscht, als

man dann am Tage der Verkündung der Entscheidung feststellte, dass die Klage

abgewiesen worden war. Das passte gar nicht so richtig ins Weltbild der Menschen.

1. Sprecherin

… vor 1939 ist eine irgendwie politisch motivierte oder gerichtete Verfolgung

durch den nationalsozialistischen Staat nicht erken nbar. Es kann davon

ausgegangen werden, dass mit der Inhaftierung des M alte zu Putbus die Schwelle

der Verfolgung überschritten wurde. Es fragt sich a ber, ob von einer politischen

Gerichtetheit gesprochen werden kann und ob er etwa – wofür Anhaltspunkte

bestehen – wegen einer regional beschränkten Verfol gung dieser durch

Aufsuchen einer Fluchtalternative hätte begegnen kö nnen.

Die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Greifswald, 5.August 1997

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3. Sprecher

Ich begrüße das Urteil. Die Geltendmachung dieser A nsprüche war ein

erhebliches Investitionshemmnis für die Insel Rügen . Diese Ansprüche existieren

gar nicht. Das hat der Richterspruch bewiesen.

Bernt Seite (CDU), Ministerpräsident.

2. Sprecher

Dass die Rückübertragungsansprüche des Fürsten Fran z zu Putbus auf ein

Sechstel der Fläche jetzt letztinstanzlich vom Bund esverwaltungsgericht

verworfen wurden, lässt die Christdemokraten aufatm en. Die PDS machte bereits

Front gegen die CDU. (Die Welt, 2. Juni 1998)

3. Sprecher

Presseerklärung

Der Kreisvorstand der PDS Rügen und Hiddensee hat m it Genugtuung das Urteil

aufgenommen. Malte zu Putbus war nicht Verfolgter d es Faschismus, er war

Handlanger und Helfer der Nazis.

(auf Musik/Pommernlied)

Zwischentitelsprecher:

Meinen Glauben lass ich mir nicht nehmen!

Zusatz OT Fürst

Er hat Anfang der 30er Jahre, 1933,34, hat er geglaubt, dass das für Deutschland das

Richtige war. Dass es das nicht war, das hat sich später herausgestellt, dann ist er

allerdings ein starker Gegner geworden der Nationalsozialisten.

30 OT

Herr Ellerbrock,

Da hat man hier vorne am Tor’n großes Schild hingehangen: „Hier wohnt der

Judenfreund, drum hat er sich mit Holz und Eisen eingezäunt!“ Das stand hier am

Markt…

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Stammtischchor

Lichtspieltheater Putbus war so’n Kasten: „Seht dieser Judenfreund hat sich selber

eingezäunt!“ Usw.

31 OT Herr Ellerbrock

Da ham’se die Leute alle zusammengetrommelt, sie sollten nun alle auf der Straße

Spalier stehen und ihn anspucken, weil er sich so schlecht geäußert hatte, über unsern

„Führer“ damals, nicht.

Erzählerin

Der „Zitation“, am Gründonnerstag auf dem Marktplat z zu erscheinen und sich vor

versammelter SA degradieren zu lassen, folgte Malte zu Putbus laut

Memorabilienbuch der Kirchengemeinde Putbus für das Jahr 1938 nicht, musste

aber für einige Tage ins Stralsunder Gefängnis. Pas tor Daerr ließ am

Ostersonntag im Namen von „Wahrheit und Gerechtigke it“ für den Patron beten.

Die „Parteinahme“ trug ihm eine Rüge des Kreisleite rs Martens ein.

Der hatte zahllose Plakate im Ort anbringen lassen , auf denen der Fürst als

„Landesverräter“ gebrandmarkt wurde.

Malte zu Putbus, von Hause aus ein Landjunker, Fron tsoldat und Rittmeister im

ersten Weltkrieg, seit 1932 Mitglied der NSDAP. Er hatte 1934 das Erbe seiner

kinderlosen Tante Asta zu Putbus angetreten. Ein so rgsam geführtes,

unverschuldetes Fürstentum, ein Sechstel von Rügen. Als Gutsverwalter setzte er

einen alten Freund und Parteigenossen ein: Carl Gus tav von Platen.

2. Sprecherin

Eidesstattliche Erklärung

1940 trat ich die Stelle als Kassiererin in der für stlichen Verwaltung zu Putbus an.

Als ich in den Betrieb eintrat, war bereits Herr Dr . Carl Gustav von Platen

Betriebsführer. Er hat das land- und forstwirtschaf tliche Unternehmen selbständig

geführt und auch grundsätzliche Entscheidungen selb st getroffen, auch ohne

dass Malte zu Putbus befragt wurde. Fürst Malte zu Putbus hatte keine

Möglichkeit, aus dem Betrieb Geld für eigene Zwecke abzuziehen. Er sowie seine

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Frau Marie erhielten je tausend Reichsmark monatlic h auf ihr Privatkonto

überwiesen.

Die Erbschaft, die am 1. Januar 1935 an Fürst Malte zufiel, löste eine

Erbschaftssteuer in der Höhe von 1,9 Millionen Reic hsmark aus. Von diesem

Betrag wurden 1,1 Millionen aus den Grundstücksverk äufen des Küstenstreifens

Prora bezahlt.

Rosemarie Malue, 4. Oktober 1993

32 O-Ton Fürst (SWR, 25“)

Dann tauchte Hermannn Göring auf, der wurde eingeschaltet. Der Herr Reichsmarschall

und Reichsjägermeister in Anführungsstrichen, der kam, also extra, um sich das

anzusehen. Aber, der fragte als erstes nur, wo die starken Hirsche stehn, die er

schießen könnte. Und als er ins Schloss kam, entdeckte er zwei wunderschöne

Japanvasen und meinte, dass wäre also viel zu schade, dass die im Schloss ständen…!

Erzählerin

Malte zu Putbus, „der alte Kämpfer“, ein passionie rter Jäger und Reiter, geriet

schon bald mit nationalsozialistischen Parvenüs ane inander. Sie stritten um

Ländereien, Jagdrechte und tradierte Privilegien de r Fürstenfamilie.

33 OT

Herr Ellerbrock

Und dann ist er damals von seinem eigenen Genossen – den hat er hier im Park gehabt

als Parkwächter - zu dem hat er gesagt: „Wenn Adolf spricht, das hört sich an, als wenn

der Elefant im Porzellanladen trampelt. Und dann hat der ihn angeschissen….

Stammtischchor

Stimmt zu.

Herr Ellerbrock

Und dann wurde er abgeholt.

Herr Meinke

Jahn hat ja 45 oder nach 45 die Rolle weiter gespielt, des Denunzianten, nicht….

(Allgemeine Zustimmung.)

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(auf Atmo)

2. Sprecher

Der Oberstaatsanwalt beim Sondergericht, Stettin, 7 . Juni 1939.

Am 14. März 1939 traf Malte zu Putbus mit seinem Wi ldwärter Jahn zusammen.

Der Beschuldigte hatte sich früher einmal bereit er klärt, Pate des jetzt anderthalb

Jahre alten Jungen des Zeugen zu werden.

1. Sprecher

Wie geht’s, was macht die Familie, ist der Junge sc hon getauft?

2. Sprecher

Als der Zeuge Jahn antwortete, er wolle sein Kind n icht taufen lassen, sagte der

Beschuldigte mit erregter Stimme:

1. Sprecher

Sie sind genau so verrückt wie der Kreisleiter und die ganze Partei!

2. Sprecher

Als der Zeuge ihm nun sagte, er sei wohl gottgläubi g, könne aber nicht mit

seinem Gewissen vereinbaren, die politisierende Kir che anzuerkennen, die

eventuell auch Juden als gleichwertige Christen und Deutsche anerkenne, sagte

der Beschuldigte:

1. Sprecher

Die deutsche Geschichte ist tausendjährig, und Jude n haben immer existiert.

Gott (wird) Deutschland strafen durch die Juden. Es (ist) ungerecht, sie aus

Deutschland auszuweisen.

2. Sprecher

Als der Zeuge sagte, das gesamte deutsche Volk lehn e die Juden ab, erwiderte

der Beschuldigte:

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1. Sprecher

Das deutsche Volk ist das dümmste Volk auf der Erde !

Die Führung treibt heute eine Politik, geradezu als ob der Elefant im

Porzellanladen trampelt.

2. Sprecher

Im Übrigen hat der Angeschuldigte in Zusammenhang m it der Kirchenfrage

berechtigte Maßnahmen der Hoheitsträger öffentlich kritisiert und den Vorwurf

des Bolschewismus erhoben.

1. Sprecher

In Bayern sagt man „Grüß Gott!“.

Wir werden auch die Zeit bekommen, da wir uns mit G ott helf! begrüßen werden.

Im Falle eines Krieges steht Deutschland in Europa allein da.

2. Sprecher

Besonders regte er sich darüber auf, dass Leute // ihre kirchlichen Ämter

niederlegten.

1. Sprecher

Von mir verlangen Sie auch dauernd einen Austritt, das lasse ich mir aber nicht

gefallen, meinen Glauben lass ich mir nicht nehmen!

2. Sprecher

Sein Ortsgruppenleiter, Parteigenosse Schröder, der zugleich Bürgermeister ist,

hat ihn als Parteigenosse aufgefordert, an regelmäß igen Beflaggungstagen nur

die Hakenkreuzfahne (und nicht die Reichsfahne) zu setzen. Dieses Schreiben

beantwortete er, indem er sich an den Bürgermeister (nicht Ortsgruppenleiter)

wandte, und von einer „Maßnahme“ sprach, die einer „Vergewaltigung“ ähnle.

1. Sprecher

Stralsund, Gerichtsgefängnis, 15. Februar 1944

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Teile hierdurch mit, dass ich seit dem 29. vorigen Monats hier in Schutzhaft sitze.

Und keiner hilft mir, da ich durch die GESTAPO fest genommen wurde! Mir geht es

gesundheitlich schlecht. –Blasenkatarrh und erhalte keine Selbstverpflegung. Und

dazu die vielen Sorgen.

Dringendste Angelegenheiten sind zu besprechen, bes onders über Putbus, da

Platen jetzt selbständiger Diktator von Putbus ist.

3. Sprecher

Lange vor dem 20. Juli 1944 waren häufig führende Generäle des damaligen

Heeres in Putbus zu Gast. Bei dieser Gelegenheit wu rden meist politische

Gespräche geführt, die sich um die Frage der Beseit igung Hitlers drehten. General

Hammerstein und Generaloberst Fromm waren am häufig sten entweder auf dem

Jagdschloss Granitz oder in Putbus zu Gast.

Fritz Kröning, Stadtrat. Stralsund, 23. Februar 194 8.

2. Sprecher

In meiner Bergener Bahnhofsgaststätte waren wiederh olt Gäste des Hauses

Putbus, wenn sie auf den Anschlusszug warteten. Zu diesen Gästen gehörten der

Generaloberst von Hammerstein, Generaloberst Fromm, und ich bin mir sicher,

auch Generaloberst Beck.

Karl Holz, Januar 1950

Zusatz OT Fürst:

Und dann haben sie ihn am 21. Juli verhaftet und mitgenommen. Wieweit er am 20. Juli

selbst beteiligt war, da bin ich nicht sicher, darüber wurde auch nicht gesprochen. Und

sie brachten ihn nach Stettin, in die Haftanstalt dort...

2. Sprecherin

Bei meinem ersten Besuch bei meinem Vater im Gefäng nis in Stettin fand ich

meinen Vater verzweifelt vor. Ich brachte ihm ein H ähnchen mit, welches er sofort

auspackte und vor meinen Augen hungrig auffraß, “wi e ein verhungerter Hund“.

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Während des Gespräches in Anwesenheit der SS-Offizi ere sagte mein Vater zu

mir: Meine Verwaltung haben sie weggenommen, und si e haben mich enteignet.“

1. Sprecher

Stettin, 21. 1.1945

Mein lieber (Franz)!

Vor mir liegt Dein lieber Brief vom 12. des Monats. ...

Ich hoffe, morgen kommt Mutti, weil wir fortkomme n. Wir kommen nach einem

Konzentrationslager und zwar nach Sachsenhausen bei Oranienburg bei Berlin.

Ich bin verzweifelt darüber, weil ich so auf die En tlassung gehofft hatte. Gründe

wurden uns für diesen Wechsel nicht angegeben. Der Kriminalrat Schlüter meinte

nur, die Entscheidung läge in Berlin. Nun habe ich am 30. einen Prozess in

Greifswald und hatte wenigstens gehofft, dort hin z u kommen, um mit Mutti ihren

Geburtstag zu begehen. - Nun ist auch das wieder ni chts, und wie lange werden

wir dort sitzen? Anscheinend tragen wir auch dort e inen Einheitsanzug, genannt

Sträflingsanzug. Das wäre noch nieder ziehender…

O-Ton Fürst:

Es sind mit ihm ja verschiedene andere zusammengewesen, zum Beispiel Hardenberg

aus Neu-Hardenberg, der uns ja auch nach dem Krieg ein bisschen berichtet hat, dann

war ein Herr von Körber aus Binz da, die saßen alle mit ihm in einer Baracke, und der

Herr von Körber sagte mir, die haben ihn umgebracht.

3. Sprecher

Wegen meines langjährigen Kampfes gegen den Nationa lsozialismus als

politischer Häftling in das Konzentrationslager Sac hsenhausen verschleppt, traf

ich dort gleichfalls als politischen Häftling Herrn Malte zu Putbus. Ich hatte ihn

bereits vor Kriegsausbruch und danach wiederholt ge sprochen und dabei

festgestellt, dass er die tatsächlichen Ziele der N SDAP durchschaut hatte und

gegen sie eingestellt war. Im Konzentrationslager z eigte er sich als guter Kamerad

und konsequenter Antifaschist.

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Durch die ihm zuteil gewordene lange Haft und Behan dlung gesundheitlich

schwerstgeschädigt, verstarb er im Februar 1945 in meiner und anderer Zeugen

Gegenwart im Krankenbau 7.

Victor von Körber, 18. Juni 1946

2. Sprecher

Im Jahr 1948 traf ich Herrn von Körber, der selbst aus Rügen stammte. Er selbst

war zurückgekehrt, wo er die Witwe unter trostlosen Umständen, schwer erkrankt,

wieder fand. Jedwede Bezüge seien der Familie des F ürsten vorenthalten worden.

Paul Yorck von Wartenburg

(auf Musik/Pommernlied)

Zwischentitelsprecher:

Karnickelwirtschaft und Radaukommunisten

34a O-Ton Herr Ellerbrock

Erst haben die hier sogar in der Alleestraße gewohnt,

Kaninchen gezüchtet…!

Stammtischchor

Wie wir alle (von allen Seiten, mehrstimmig)!

Herr Roloff

Und wenn sie dann hier in ihren Park gehen wollten, in ihren eigenen Park, um

Karnickelkraut zu suchen, dann wurden sie rausgejagt, von den damaligen, den oberen

Radaukommunisten.

Erzählerin

Der siebzehnjährige Franz zu Putbus kehrte Ende 194 5 aus sowjetischer

Kriegsgefangenschaft heim und schlug sich als Melke r durch. Das Schloss hatte

er von Einwohnern geplündert und ausgeschlachtet vo rgefunden. Er durfte es nie

mehr betreten. Mutter und Schwester waren notdürft ig bei Bekannten

untergekommen. Putbuser Bürger verhinderten eine Ab schiebung der

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Fürstenfamilie ins Flüchtlingslager. Mira zu Putbus stellte einen Antrag auf

Anerkennung als NS-Opfer, um ein Bleiberecht auf Rü gen zu erhalten. Anfang

1948 wurden sie und ihr Sohn von der Insel vertrieb en.

In Gutshäuser und andere Gebäude zogen Flüchtlinge ein, oder sie bauten ein

Haus auf dem „Junkerland“.

Wie Christiane Knapp und ihr Mann.

35 OT Frau Knapp

Wenn wir bei mir zusammensitzen, dann kommt so manches wieder hoch. Dann denken

wir immer zurück an diese ersten Jahre. Dann gehen wir so durch Putbus. Dann haben

wir mal aufgeschrieben.

Da war ein Handwerker an dem andern hier in Putbus. Ich weiß nicht, ich glaub fünf

Bäcker war ’n in Putbus. Fünf Bäcker, dann war’n Fleischer, zwei, dann gab es so

kleine Geschäfte, so Kolonialwarengeschäfte, vier sogar. Dann gab es Schneider,

Schuster..... Also es war dann irgendwie, nachdem die Kriegswirren sich irgendwie

beruhigt hatten, eigentlich ’n sehr beschauliches Leben. Und es war Leben hier in

Putbus.

36 OT

(Uhr) Ich komm aus Pommern, bin eigentlich in Stettin, Hinterpommern geboren… und

bin heute glücklich, in Pommern geblieben zu sein, muss ich dazu sagen. Das ist so ’n

spinniger Lokalpatriotismus vielleicht. Aber ich bin halt glücklich darüber, muss ich

sagen. Und dieses Pommernlied, das gehört irgendwie zu mir.

Frau Knapp singt.

..... Aus der Ferne wendet

Sich zu Dir mein Sinn.

Aus der Ferne send ich

Trauten Gruß dir hin (singt weiter und zitiert weiter) //

...Send ich meine Lieder Dir, oh Heimat, zu….

Autorin

Und sie haben von der Heimat hier was wieder gefunden?

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Frau Knapp

Ich bin hier wieder tief verwurzelt. Das muss ich Ihnen sagen. Mich kriegt auch keiner

hier mehr weg. Und ich bin immer wieder glücklich, wenn ich irgendwo her oder auf

Reise war und zurück gekommen bin und wenn ich den Rügendamm hatte, und über

den Rügendamm fuhr und auf der Insel war, dann war ich immer wieder glücklich.

2. Sprecher

Im Park in Putbus auf Rügen steht ein halbverfallen es unschönes Gemäuer, das

ehemalige Schloss von Putbus. Zehn Millionen wären für die Restaurierung

erforderlich, für die man doch lieber Wohnungen bau en will.

Rügensche Zeitung, 12. Oktober 1958.

37 OT

Herr Meinke

Abgesegnet hat das zuletzt unser Kulturminister Abusch…

Autorin

War der so radikal, war der so voll Hass gegen das kulturelle Erbe//?

Herr Ellerbrock

Ja muss er ja, sonst würde er ja nicht das Schloss abreißen.

Herr Roloff

Er hat’s unterschrieben, als Letzter.

(auf Musik)

3. Sprecher

An den

Stellvertreter des Vorsitzenden des Bezirks Rostock

Herrn Kotzian

Auf Grund Ihrer heutigen Darlegungen über den Bauzu stand des Schlosses

Putbus und über die präzise Rechenlegung eines evtl . Neubaues stimme ich

Ihrem Vorschlag auf Abbruch des Schlosses Putbus zu .

Gez. Abusch

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9.4.1957

3. Sprecher

Kotzian argumentierte demagogisch, was leider von A lexander Abusch

aufgegriffen wurde. Kotzian hat nämlich erklärt, da ss das Schloss abgerissen

werden muss, da das Mauerwerk von Mauerkrebs befall en ist. Einen derartigen

Sachschaden kennt kein Sachverständiger…

Genosse Pritzbuer

Baugruppenleiter

38 OT

Stammtischchor

Es gibt ein Protokoll, dass eine Versammlung in Putbus gewesen sei, wo ganz

„demokratisch“ – in Anführungsstrichen – mit der Suggestivfrage gefragt wurde: Wollt

Ihr, dass wir das Schloss abreißen, oder wollt Ihr das wir Euch Wohnungen bauen, für

das Geld, das wir für die Unterhaltung brauchen.

Tatsache ist ja, dass schon fast eine Million ausgegeben worden war für die

Sanierung…

(Ja!!!) wir hätten Fenster zunageln müssen, die Türen zunageln und dann warten auf

bessere Zeiten!

Erstmal müssen alle ihren Hintern in’n richtiges Bett legen können und ’n Herd haben,

wo se kochen können und bisschen vernünftig wohnen.

Aber das ganz Ding war mit der Maßgabe des Zurückbauens auf den (man sagte)

Schinkelschen Stil oder auf den klassizistischen Stil.

(Zwischenrufe.)

Jedenfalls sollten diese graden Linien, die das Schloss vor dem Brand 1865 hatte, die

sollten wieder hergestellt werden.

Und das hat man ja gemacht.

39 OT

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Herr Meinke

Und die Zeit war gefährlich…! Das Stadtschloss von Berlin war gesprengt worden, 53,

und dann das Stadtschloss von Potsdam…

Und das ist natürlich gefährlich. Wenn die grade mal beim Abräumen sind und sagen:

„die Hinterlassenschaft der Junker und Ausbeuter, das brauchen wir nicht im Arbeiter-

und Bauernstaat!“, dann ist das eine gefährliche Zeit.

40 OT

Stammtischchor

Die erste Sprengung kann ich mich noch erinnern. Ich hab dabei gestanden. Und dann

haben die unten im Keller ’n Persilkarton reingebracht, und dann hat’s da geballert,

dann kam ’ne Rauchwolke

- und das Schloss stand!

Das Schloss stand!

Da war bloß eine Mauer, die so halbstark vorgeblendet war zum Markt hin, die war

runter gefallen. Die hätt’ man in der Karre wegfahren können. Und dann ha’m se

nachher – ich weiß nicht, wie lange se da gebohrt haben…

41 O-Ton Fürst (SWR 1`11)

Ich hatte mal ’n Aufruf gemacht, weil ich eigentlich in der Villa Lottum einen Ersatz fürs

Schloss machen wollte, als Museum. Denn Putbus als Ort mit Park und Wildpark und

allem was dazu gehört, das braucht ’n Museum, es braucht irgendwo ’nen Bezugspunkt

zum ehemaligen Schloss. Und Schloss bauen halte ich für’n Wahnsinn, aber ich dachte,

man würde mit den paar Resten, die da sind, mal ’n Museum einrichten. Und ich hatte

denen vorgeschlagen, macht ’ne Stiftung aus der Villa Lottum. //

Und da hatte ich mal ’n Aufruf gemacht: „Also Kinners, //Porzellan und so weiter, wenn

Ihr was habt, gebt vereinzelt Stücke, das wir das in’n Museum tun können. Da hat sich

aber keiner gemeldet.

Erzählerin

Mehr oder weniger allein habe er jahrelang gegen de n Verfall seiner Heimatstadt

gekämpft, klagte Franz zu Putbus, als ich ihn kurz vor seinem Tod am 8. April

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2004 einmal besuchte. Er fühlte sich zu schwach, um ins Mikrofon zu sprechen.

Vielleicht war er auch misstrauisch gegen die Medie n, die ihn selten hatten zu

Worte kommen lassen. Das letzte längere Interview g ab er 1992 dem SWR. Er sei

über die Maßen enttäuscht über die Tatenlosigkeit d er Politik, vor allem über seine

eigene Partei CDU, sagte mir Franz zu Putbus. Für s ie hatte er sich schon als

junger Chemiekaufmann in der Adenauerära engagiert; für sie hatte er sich nach

der Wende auf Rügen stark machen wollen, und Angela Merkel war für ihn so

etwas wie eine politische Ziehtochter. Mit der Zeit fühlte er sich nur noch im Stich

gelassen.

(auf Musik/Pommernlied)

Zwischentitelsprecher

Hier muss was passieren!

03b Fürstin

Und mein Mann ist eben so gewesen, dem hing eben wahnsinnig viel, dass der Ort

irgendwie Aufschwung kriegt. Und er fand eben Dr. Wendland so was von wunderbar,

hat ihn immer unterstützt, wo er nur konnte und hatte versucht, Gelder ranzuholen und

so weiter, damit dieses IT-College was wird und so.

Erzählerin

Neue Hoffnung für die dahinsiechende Stadt hat er g eschöpft, als Reinhard

Wendlandt ihm seinen Traum vom IT-College erzählte. Franz zu Putbus konnte

das Mammutprojekt dank seiner guten Verbindungen zu r Chemie- und

Elektroindustrie unterstützen.

04a OT Herr Wendlandt

Für uns war dat College schon damals eigentlich (oder das Pädagogium) fünf Nummern

oder zehn Nummern zu groß, ne. Ich hab da öfter mal aufm Hof gestanden//: „Bist du

denn verrückt, was machst Du hier eigentlich?“ Ehrlich.

Erzählerin

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Das IT-College. „Circus“ Nummer 16. Das fürstliche Pädagogium, das einstige

Eton von Norddeutschland, nach der Wende ein Trümm erhaufen sozialistischer

und hernach kapitalistischer „Kulturpolitik“ welche r Partei auch immer.

04b OT Herr Wendlandt

Angefangen hat’s 1995. Ich bin im Putbuser Stammtisch mit drin, das werden Ihnen die

Kollegen vielleicht erzählt haben. Die sind ja auch im Stammtisch, die da waren,

gestern Abend. Und das war im Februar, kalte Winternacht, da war der Stammtisch am

Circus oben.// So, da standen wir alle davor und haben da hoch geguckt, und da haben

wir gesagt: “Hier muss was passieren!“ Und dann haben se gesagt, damals: „// Wenn

einer dat schafft, Reinhard, dann bist du dat!“

Erzählerin

Das IT-College. Heute ein schickes Schulgebäude mit 360 hochmotivierten IT-

Studenten. Die meisten aus der Region, emsig Lernen de in klassizistischen

Gemäuern mit Mensa und begrüntem Innenhof. So was muss erst mal einer auf

die Beine stellen.

06 OT

Herr Wendlandt

Ja, also ich bin in Putbus geboren. Ja, dann bin ich zur Schule gegangen, dann Abitur//,

dann Physik studiert, Leipzig und Berlin. Dann war ich // Messtechniker auf der

Volkswerft, drei Jahre. So, und dann bin ich ins Rechenzentrum nach Prora gegangen,

hab’ das aufgebaut und geleitet, bis zur Wende. Und danach hab’ ich mich selbständig

gemacht. Weil: Meine Frau ist auch alte Putbuserin, wir sind schon zusammen im

Kindergarten zusammen gegangen und zur Schule und so weiter und konnten uns

eigentlich das gar nicht vorstellen, hier weg zu gehen. Das war für uns unvorstellbar,

und da haben wir eben gesagt: „Versuchen wir es selbst!“

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Erzählerin

In einem leerstehenden Büro der LPG Garz , über ein em Getränkemarkt, begann

Reinhard Wendlandt, maßgeschneiderte Software für r egionale

Wirtschaftsunternehmen zu entwickeln, eine Marktlüc ke in den Jahren nach dem

Ende der DDR. Reinhard Wendlandt, ein wortkarger No rddeutscher, redet nicht

gern über sich selber und legt anscheinend auch kei nen Wert auf repräsentative

Äußerlichkeiten. Er wollte mit neuen Arbeitsplätzen junge Nachwuchskräfte an die

Region binden. Die Büroeinrichtung hat er von seine m Steuerberater „geerbt“.

In spartanisch möblierten Computerräumen sitzen vie r, fünf, sechs oder mehr

Leute beisammen und frickeln fröhlich an ihren Rech nern. Gedankenaustausch,

gegenseitige Hilfe und ein familiäres Betriebsklima seien die Grundlage seines

Erfolges, meint Reinhard Wendlandt.

07 OT Herr Wendlandt

So, im Jahr 2000, oder 99, ha’m wir dann – na ich sag mal: so ’ne Erfindung gemacht,

so ’ne Software entwickelt, mit der man Daten ohne Schnittstellen in andere Sachen

reinkriegt.

Erzählerin

„Windows Utiliy Write“, auf Deutsch: Ein Programm, das alles schreiben kann. Es

ermöglicht, umfangreiche Daten ohne Verluste in ein neues EDV-System zu

übertragen. Ab dann ging es im Eiltempo bergauf mit dem Betrieb. Und Reinhard

Wendlandt wollte aus eigener Kraft die Restaurierun g des einsturzgefährdeten

Pädagogiums in Angriff nehmen.

Herr Wendlandt

Also ich hab die Erfindung gemacht. Darüber haben wir unsern großen Partner

kennengelernt, die CSB System AG , das ist der größte Hersteller für Software in der

Nahrungsmittelwirtschaft. Sitzen in Geilenkirchen bei Aachen.

Erzählerin

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Und diese System AG brachte dem schönen Putbus schl echte Nachrichten. Im

September 2010 stand nämlich die Staatsanwaltschaft Köln vor der Tür.

Ermittelnd gegen „Dritte“, wohl gegen die mitfinanz ierende Firma aus

Geilenkirchen. Keiner rückt so richtig mit den Name n raus.

Wie Elefanten im Porzellanladen hätten die Justizbe amten sich angestellt, heißt

es.

Die Ostseezeitung und andere Medien brachten den Kö lner Auftritt groß heraus.

Woraufhin öffentliche Fördergelder prompt gesperrt wurden und Partnerfirmen

sich zurückzogen. Reinhard Wendlandt musste Insolve nz anmelden, nachdem er

das College jahrelang aus eigener Schatulle finanzi ert hatte.

08 OT Herr Wendlandt

(Tassenklirren) Ja, das hat die Firma bezahlt, eigentlich die ganzen ersten Jahre.

Denn wir hatten damals dann auch schon’n Antrag gestellt auf Förderung. 2001, glaub

ich. Solange wie ein Förderverfahren läuft, gibt es keine Förderung. Und den

Bewilligungsbescheid haben wir am 3. April 2008 gekriegt.

Autorin

Oh je…! Und so lange haben Sie das selber, also hat Ihre Firma das gestemmt?

Herr Wendlandt

Also ich sag’ mal so, bis zum Jahr 2006 etwa, dann fing das College an, sich selbst zu

tragen, und das läuft jetzt wirklich gut….

09 O-Ton Fürstin

Ich bewundere ihn, wie der das macht. Ich meine, das ist ein Mann aus der DDR, das

muss man auch mal sehen, nich`!

Erzählerin

Den Beginn der Restaurierungsarbeiten am Circus dur fte Franz zu Putbus noch

miterleben.

Vor der Nummer 16 herrscht wieder munteres Treiben . An die 360 künftige IT-

Spezialisten aus der Region beleben die Stadt, das wunderschön restaurierte

einstige Hotel du Nord ist jetzt Internat.

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Die Schweriner Landesregierung, die Sparkasse (die selber die Nummer 15 am

Platz bezogen hat) und größere Firmen wie Siemens w aren die Retter.

Die jetzigen Betreiber des Colleges haben bei Reinh ard Wendlandt gelernt. Sie

wollen, dass bald junge Existenzgründer in die noch leeren klassizistischen

Gebäude am Circus einziehen.

42 OTon Stammtisch

Elf ist so gut wie fertig. nicht

Autorin

Ja? Und was kommt da rein?

Stammtischchor

…hier vom College, IT!

Herr Meinke

Da gibt’s in jeder Familie Freude drüber! Denn das ist das einzige, was Putbus noch

hoch hält.

Arbeitsplätze! Sonst wär’ alles zu Ende hier!

Herr Ellerbrock

Bald vierhundert Stundenten sind hier!

Herr Meinke

Das sind die einzigen, die unsere Souvenirläden und was weiß ich noch was in der

Alleestraße’n bisschen hoch halten.

(Allgemeine Zustimmung.)

.....

Frau Knapp (and. Atmo, fakultativ)

Jetzt ist wieder `n bisschen Leben durch das College.

Absage:

Junkerblues und IT-Circus

Putbus erwacht

Sie hörten ein Feature von Elke Suhr

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Es sprachen: Anke Zillich, Renate Fuhrmann, Josef Tratnik, Gregor Höppner und

Volker Risch

Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Angelika B rochhaus Regie: Anna

Panknin

Redaktion: Ulrike Bajohr

Eine Produktion des Deutschlandfunks 2011

O-Ton Quellen:

3`54 aus: Zurück in die verlorene Heimat. Doris Dem ant im Gespräch mit Franz zu

Putbus, SWR, 1992

1` aus: NDR-Archiv (Pachtkampf zu Putbus, 25“/ Putb us 3. 8. bis 9.8. 1997, 7“/ Das

Thema: Putbus-Prozess, 28“)