Die Ärztliche Anamnese

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    DIE ARZTLICHE ANAMNESE*. Von

    Prof. Dr. LUDWIG BRAUN, Wien.

    Anamnese heiBt in deutscher Sprache Rfickerinnerung, in der Sprache der Heilkunde besonders die Aufdeckung und 13eri~ck- sichtigung frfiherer ZustAnde eines Kranken, die man kennen will und kennen muB, well sie fiir seinen gegenw~irtigen Zustand auf- kl~irend, mit diesem im Zusammenhang und daher bedeutungsvoll sind.

    Eine der ersten klassischen Anwendungen dfirfte der Ausdruck ,,Anamnesis" im Menon des PLATON gefunden haben, wo wit den SOKRATES sagen h6ren: ,,Das Suchen und das Lernen ist ganz und gar ,Anamnesis', d. h. E r innerung. . . Es gibt nichts, was die Sede nicht gelernt hat; daher ist es kein Wunder, dab sie sowohl in bezug auf die Tugend als auf anderes sich an das zu erinnern vermag, was sie schon frfiher wuBte."

    Ein gelehrter Erklarer dieser Stelle faBt dieselbe als pythago- reische Weisheit und Lehre vonder Seelenwanderung auf, wr i the die Pythagoreer vielleicht aus dem Orient f ibernommen haben.

    Die I{larstellung der Anamnese eines IZranken ist ein wesent- licher 13estandteil der arztlichen Handlung. Man kann yon ihr sagen, was ROGER BACON yon der Naturwissenschaft f iberhaupt sagte: ,,Sine experientia nihil sufficienter sciri potest." Its geh6rt unter Umst~nden vim t~rfahrung nnd viel Xrztliches XNissen znr Aufnahme einer genfigenden Anamnese. Und diese Erkenntnis, dab manche Anamnese auf grolae Schwierigkeiten st613t, reicht bis in die Zeit des Altertums zurfick. Schon I-III'I'OKRATES hat die Tiefe und den Umfang dieses Problems erfal~t, denn er erkannte und besprach es ganz deutlich, dab die Anamnese psychologisches Verstgndnis voraussetzt and ein sorgsames Eingehen in die psy- chischen F~igenheiten des Kranken, wofern nicht Irrtf imer dutch mil3verstgndliche Auffassungen yon beiden Seiten, d. h. des Igranken und des Arztes, entstehen sotlen.

    HIPPOKRATES selbst sagt dazul: ,,Am meisten scheint es mir wichtig, wenn man fiber diese IZunst (scil. Medizin) sprichf, den Laien verstgndlich zu sprechen. Denn es schickt sich nicht, fiber irgend etwas anderes zu forschen oder zu reden als fiber die Leiden, an denen sie selbst kranken und leiden. DaB sie selbst nun ihre eigenen Leiden verstehen, wie sie werden und aufh6ren, nnd aus welchen Anl~ssen sie wachsen und sehwinden, ist ffir sie als Laien nicht leicht. Von einem anderen abet Gefundenes und Dargelegtes ist verstgndlich. Denn es ist nichts anderes, als dal3 sieh jeder erinnert (gval.,l~wia~emt), wenn er das ihm ZustoBende h6rt ."

    HIPPOKRATES hat also klar erkannt, dab es schwer, ja zuweilen f iberhaupt nicht m6glich ist, k6rperliches und seelisches Leiden durch Einsichtnahme in das eigene Selbst, dadurch dab man gleich- sam in sich selbst hineinhorcht, his zum lZrsprnnge znrfiekzuver- folgen, well der Blick getrfibt ist, die Voraussetzungen fraglich und die SchluBfolgerungen daher unrichtig sind. Jedenfalls ist es flberaus bemerkenswert, wieviel E r fahrung, grztliche nnd rein

    * Vortrag im Akademischen Verein far medizinische Psychologie in Wien am x2. Dezem- her x929.

    menschliche, ferner Menschenkenntnis und Seelenknnde in diesem Zitate enthalten ist. -- \u werden Gelegenheit haben, ~hnlichen 13eobachtungen und ~uBerungen bei viel spiiteren Autoren zu be- gegnen, denn die Kasuistik vergrOBert sich im Laufe der Jabr- hunderte um ein Vielfaches, aber die 131icktiefe unseres Mtesten Lehrmeisters ist fast niemals mehr flbertroffen worden.

    In ganz merkwfirdiger Weise lehnt sich z. 73. an diese wertvolle historische Reminiszenz der Ausspruch yon NIETZSCHE an, dab jeder sich selbst der Fernste ist. 13elm kranken Menschen ist die Distanz vom ,, Ich" vielleicht kleiner, abet auch die Macht des ,, Ich innerhalb seiner Machtsph~tre", wie TI~. LIPPS dies nennt, well die Durchsichtigkeit der pers6nlichen Atmosphere, wenn man so sagen dart, vim geringer ist, d .h . der kranke Mensch kennt, erkennt und durchschaut sieh gew6hnlich noch weniger als der gesunde. Denn auch bier gilt der Satz: Was ich yon den Dingen unmittelbar weiB, sind nur meine Empfindungen.

    So weft kann man abet natfirlich in einem Vortrage nicht aus- holen. Wir wollen uns vielmehr darauf beschr~nken, die psycho- logische 13edeutung, den psychologischen W'err und den psycho- logischen GehMt der Ananmese etwas mehr zu betonen, als dies gew6hnlich geschieht, also gas etwas starker hervorheben, was in der Anamnese und um die Anamnese an psychologischem Material enthalten sein kan.n und wohl auch enthalten sein mul3.

    Das Krankheitsbi ld wird vom Kranken framer anders gesehen als yore Arzte. Jede Krankengesehichte ist gleichsam eine Urkunde yon der gemeinsamen Subjektivitgt zweier Menschen, des Kranken und des Arztes, die in gemeinsamer Arbeit einem objektiven Ziel, der Gesundheit, zustrehen (WEIZS/KCKER~). OOLDSCHEIDER nennt das Krankheitsbild, wie es sich dem Kranken darstellt, ein auto- plastisches B$1d, das natfirlich den ganzen Vorstel lungskomplex des Leidens umfal~t, wie der Kranke es ffihlt nnd sein Kranksein erlebt. Demgegenflber steht dann der Vorstellungskomplex, den sich der A'rzt vom Tatbestande der Krankheit bildet und der zur richtigen Auffassung der Situation dienen soil.

    Es wird gewil3 auch darauf ankommen, in welcher ~irztlichen Eigenschaft man denl zn Untersuchenden gegenfibersteht, ob etwa als behandelnder Arzt oder als der Vertrauensarzt einer Versicherungs- gesdlschaft, bei welcher der 13etreffende sein Leben versichern lassen will. Der um Hilfe kommende IKranke hat das lebhafte und begreifiiche Interesse, den Arzt anamnestisch restlos aufzuklgren. Wenn er aber sein Leben versichern lassen will, also gewissermalaen einen guten Kaufpreis daffir anstrebt, dann erscheint es ihm ge- legentlich begreiflicherweise geboten, das eine oder das andere Merkmal aus seiner Vergangenheit zu verschweigen und ein Ge- brechen eher zn verhfillen, als es zu offenbaren. I)erselbe Mensch, der seinen ~irztlichen 1Ratgeber welt in sein Vertrauen zieht, steht dem Versicherungsarzte abweisend gegenfiber, schiebt gleichsam einen Vorhang vor, so dal3 der Arzt sich manche Antwort eigentlich gegen den Willen des IKranken u~ld oft auf Umwegen beschaffen muB.

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    Im Grunde genommen ist daher so manche genaue Anamnese eine Art yon Psychoanalyse, l lamentl ich wenil es sich darum haildelt, Dinge zu ergrfinden~ die der Kranke aus diesem oder jenem Anlasse zunXchst verschweigen m6chte oder zun~tchst einfach nicht weiB. BINSWANGER spr icht da yon einer histor ischen und psychologisch- hermeneut ischen Zerlegung, entsprechend der Aufgabe, gle ichsam nach verschiedenen R ichtungen Stolleil tier in das Seelenleben hin- einzutreibeil, und zwar oft in unbekal lntes Gebiet, in ein dem Arzie u~d auch dem Kranken vielfach zun~chst unbekanntes Land, das aber, wie n lan nicht oft genug betonell kann, immer etwas Erl lstes, ja Ehr furchtgebietendes in sich trXgt.

    Ich werde es aber unter lassen ulld kann es mir auch n icht an- mal3ell, fiber die Al lamnese im Sinne yon Psychoanalyse zu sprechen, wenngleich die Grenzen zuweilen verschwimmende sind. Doch mug heutzutage wohl jeder Intern is t mit Nachdruck, Bewunderu i lg und Dal lkbarkeit darauf verweisen, wie sehr ulls, und zwar in s te igendem MaSe, we immer wir derart ige Fragen bedenken, die f iberragende t3edeutung der Freudschen SeeIenforschung vor Augen tr i tt . Was wir an psyehologischem Material bet dem Vater des mediz in ischen Wissens, HIPPOKRATES, und bet vielen unserer groBell Vorg~nger nut angedeutet l inden, sehen wir nu~mehr yon allen Seiten beleuchtet, yon Grand auf erfaBt und in so mancher H ins icht formuliert. Die Bez iehung yon Krankhe i t und Pers6nl ichkeit hat einen sinngemal3en Ausdruck erhalten. Beim gesunden und be im' krankel l Menschen sind es immer gerade die zwischen Bewugtse in und Unbewut3tsein schwankenden psychischen Vorg~ilge, die in erster Linie das Seetenleben beherrsehen nnd daher die Kral lken- aussage lenken. Um diesen Punkt d reht sich seit jeher die Zuver- lXssigkeit einer Anamnese und natf ir l ich auch, wenn man die Frage wetter fal3t, jedwede psychologische Erkei lntnis. Mit Recht betont KREtIL, dab das E int reten der PersOnlichkeit in die For- schung immer die Aufnahme des I r rat ionalen bedeutet , weil Leben and Pers6nl ichkeit i rrat ional sind, d .h . -- wie man hinzuff igen mul3 -- mi t den Kategor ien des Denkens nicht erfaBt werden k6nnen.

    Aueh bet der Aufnahme ether Anamnese muB immer rnit ir- ratioi lalen Gr6Ben gereehnet werden. Der Kranke macht opt ima fide unr icht ige Ailgaben. Wenn er z .B . ein Herzleiden auf ein best immtes Ereignis in seinem Leben zurackf i ihrt und sich im guten Gtauben meint, we bereits eine ganz oberflachliche Anamnese einen ganz anderen Zusammenhang feststellt. , ,Unvermerkt " - - sagt KANT -- ,machen wit vermeii l te Entdeckungei l yon dem, was wir selbst in uils h ine ingetragen haben *" Andererseits dart man aber nicht tibersehen, dal3 der Einflul3 der Psyche auf die Orgal l funkt ionen sehr grofl ist, so dab z. 13. setbst die Lehre veto Tode durch ,,das gebrochene Herz" nach unseren Erfahrul lgen fiber Vel l tr ikelf l immern schon lange nicht mehr ins Reich der Fabel gehOrt.

    Anamnese und Diagnose reichen einander frfiher oder sparer l laturgem~g die Hand; sie grei%n vielfach i l leinander fiber. Man kann sogar behaupten, dab in vielen F~lleil eine gute Anamnese die halbe Diagnose ist ulld al ldererseits der vveg zur Diagnose auch anamnesf i sche Anha l tspunkte liefert.

    HIPPOKRATES erkannte, als er den Puls des Perdikkas ffihlte, dessert Liebe zu Phi la. Diese Beobachtung geht zwar fiber den Rahmen dessen, was wit heute Anamnese nennen, hinaus, geh6rt aber doch auch zum guten Teile in das Kapite l , ,Al lamnese", weil der kluge Arzt an der Pulsbeschleul l igung den anamnest i schen Ur- sprung des Leidens, n~mlich die Verl iebtheit seines Kl ienten, er- kannt hat. GALEN** erzi~hlt an ether Stelle seiner Werke, wie er darauf kam, dab Kyri l los, des F lavius t3oethos Sohn, heiml ich Speisen zu sich nahm. Es he igt in dem recht weitschweif igen and groSsprecherischen Berichte an ether Stelle w6rtl ich: ,,Der Puls metdete es mir nicht, sondern d~ ich seine Verwirruug (za~a~ti) sah, erkannte ich es, wie bet einer vert ieMen Frau nnd einem ~ureh samen Sklaven die Verwirrung auf Grund des psychischen Affektes zu merken ist ."

    Auch diese Beobachtung geh6rt, s t renggenommen, Il icht in das Kapite l , ,Anamnese" , aber man muB sich vor Augen hal ten,

    * Ein ALBRECHT HALLER gelangte bet seinem lange geftihrten Diarium seines Seelenzustandes dahin, einen Theologen zu befragen, ob er ihm nicht einen "Frost fiir seine be~ingstigte Seele versehaffen kOnne. ** Ausgabe Kuhn I~, 365ff- Die historischen Hinweise verdanke ich dem Phile!ogen Prof KAPPELMACHER.

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    dal3 die Anamnesen der .~rzte des A l ter tums f iberbaupt dfirft ig waren und anders zu deuten sind als die jetzigen Anamnesen . Vor al lem sind sie nicht wie die jetzigen Krankengesch ichten ein Pro- dukt der Klinik~. Das Zurt icktreten der Anamnese bet HIPPOKI~AT~S kann nut nach dem damal igen Stand der Medizin beurtei l t werden. Die Anamnese s tand damals in Koord inat ion zur Pregnose, und vieIes, was ~namnest ischen Charakter trXgt, geht, wie die beiden :Beispiele gelehrt baben, ein in das Symlptom. ,,Mall dart aber durchaus nicht glauben, der griechische Arzt habe seinen Pat ienten n icht be/ragt. Er hat wahrscheinl ich noch mehr gefragt als der jetzige und war auch in h6herem Grade darauf angewiesen, aber die t3efragung war auf anderes gerichtet, under muBte daher vieles yon dem, was wit heute erfragen, selbst erkennen."

    Auch im Mittelalter bestand Iloch kein richtiges Verhfdtnis zwischen dem empir ischen Material and seiner wissenschaft l ichen Verwertung (T~K~N). Speziell der Unterr icht am Krankenbet t lag auBerhalb des Lehrp lans der Univers i t~t 4. Erst vJeI sphter, unte~ HEUOmUS (zit. nach TEMKIN), beginl lt die Kl inik, K ranken- geschichten zu verOffentl ichen, und werden auch die Anamnesen umfangreicher , wie ja auch n icht mehr der Ted das Ende der Krankengesch ichte bedeutet, sondern das Sektionsprotokol l . In den Krankengesch ichten yon BOERHAAVEa ist die Anamnese weir und ausff ihrl ich gehalten, and bet BURDACH heiBt es schon: ,,Die Anamnes is erkennt die Vergangenheit , um daraus die Gegenwart zu erl~Luterll."

    Bis zu dieser Zeit aber war die Yermischung anamnest i scher and objekt iver Daten n icht zuf~llig, sondern beruhte darauI , dab die 13egriffe , ,Anamnese" and Status sich nut durch die Ullter- scheidullg, was war frflher, was ist jetzt, trenllen, n icht dutch den Ul lterschied subjekt iver und objekt iver Daten. Der h ippokrat ische Gedanke, der die A l lamnese aus den ,,Signa a i lamnest ica" ableitete, hat te bis in diese Zeit hii lein gewirkt.

    Eine strenge Gtiederung der Krankengesch ichten in unserem Sinne l inden wir erst bet SCHONLEIN und bet WUNDERLICH. ' Zu dieser Zeit war die physiologische R ichtung in der Medizin schon yon maBgebender ]3edeutung geworden.

    Wie die Geschichte der Therapie ~lter isf als die Geschichte der Diagnose 6, weil in der Geschichte lebender ~Tesen die Hand lung trainer Xlter ist als die Erkenntn is , so ist auch die Xrztliche Anamnese als ein gleichsam ordnendes Pr inzip die F rucht verh~tltnism~gig spXter Zeiten, denn sie setzt vet al lem die klare Erkenntn is eines Zusammenhanges yell Ursache und Wi rkung vorans. Daher war auch die h ippokrat ische Diagnost ik zun~chst blofie Kasu is t ik and Symptomat ik . Erst allmXhlich wendet sich die Betracht i lng yon den ~tulAeren Bed ingungen zu tier Er forschung yon Lebensgewohn- heiten, um sehlieBlich auf die pers6nlichell :I3eziehungen, Alter, Ge- schlecht, Kol lst i tut ion /]berzugehen and dami t der Ananmese Rich- tung and Ziel zu geben.

    Je mehr wir, dem Entwick lungsgange unserer Wissenschaf t ent- sprechend, tiber die Bedingul lgen der Krankhe i ten er fahren haben, desto umfassender , aber auch desto e ingehender und zureichender konnten die Anamnesen werden. So kam es, dab schon FEUCHTEES- LEBEN darauf bestehen konnte, man mt~sse in jedem Falle das Phys ische und das Psychische des Menschen berficksichtigeil.

    ])er Arzt muB -- so heiBt es d~ -- dem Kranken seine Pershnl ich- keit geben. Dailn erst hat er auch eill Recht darauf , die elltspIe- chende E inste l lung des Krankel l zu erwarten. -- Vergesseil wir nicht, dab der Kranke sich vor dem Arzte immer in einer gewissen, erwartungsvol len Er regung befindet, die auf sein Er innerungs- verm6gen unter Umst~nden hemmel ld einwirken kann.

    Sehr wicht ig ist die Vermeidung yon Suggest ivfragen, sollst kommt man zu leicht auf eine Ialsche F~hrte. Es w~re also z. B. ein Fehler, einen Iqeurotiker mi t IVlagenbeschwerden und l )belkei ten zu fragen: Haben Sic n icht vet einiger Zeit eiilmal ein unangeneh- rues, widerl iches Ertebnis gehabt? So etwas muB man v ie lmehr vorsicht ig and oft auf einem Umwege aus dem Kranken heraus- helen, denn es wird kaum einen Neurot iker geben, der auf eine solche Frage nicht alsbald eine zust immel lde Antwort zur Verffigullg hat , und zwar in e inem Zusammenhange, der ~hm einleuchtet und ihn welligsteils restlos befriedigt.

    Mit groBer Geduld, oft mit wahrer Engelsgeduld, mug es der Ar2t zuwege br ingen und verstehen, sich nach dem Bi ldungsgrade und auch nach der Ausdrucksweise des Kranken 2u r lchten, ulld zwar um so mehr, ~e wen~ger er sich an~angs rnit ibm verst~ndl ich

  • 896 machen kann. Was wir als arztliche Einf~hlung bezeichnen, muB sich demnach schon im ersten Stadium der Begegnung zeigen und znr Geltung kommen. Die Art der Fragestellung nnd selbst der Wortverwendung wird je nach Landessitte und Sprachgebranch

    - - oft sogar schon in ganz nahe beieinander gelegenen Teilen eines Landes -- verschieden sein. Damit soll abet keineswegs behauptet sein, dab man etwa so wie der sprachforschende Professor tliggins in I3~RN~ARI) SI~AWS ,,Pygmalion" imstande sein muB, schon nach den ersten Worten des Kranken zu sagen, in welcher StraBe er wohnt, 0bwohl dies in mancher groBen Stadt ohne weiteres, wenig- stens ann~hernd, z. 13. nach Bezirken, m6glich ist.

    Die Ausdruckslehre yon KI.AGES n immt bekanntlich die gesamte Motorik -- ~on der Spannung der einfachen K6rperhaltung fiber die stetige Willensbewegung bis zur heftigsten Affektentladung -- ganz einheitlich als den Ausdruck bestimmter Gesetzm~gigkeiten an. Jedenfalls ist die Eigenart eines jeden Individuums in Be- wegung, Sprache und Mimik ganz unverkennbar und fibertr~gt sich in unverkennbarer Weise yon Generation auf Generation. Es gibt FMle, in denen sich ganz einfache, aber charakteristische Ansdrucks- weisen, ja selbst Handbewegungen und Haltungen, in durehans gleicher Weise bei Vater und Sohn zeigen, trotzdem beide aus- einanderkameI1, als der Sohn noch ganz Mein war, und einander dann :jahrzehntelang nicht gesehen haben. Zu diesen individuellen Eigenheiten kommen nationale Eigentfimlichkeiten, die bei der Anamnese berficksichtigt werden mfissen. Jeder erzXhlt die Ge- schichte seines Lebens und seiner Leiden schlieBlich in der unver- f~ilschten Sprache seiner Individualitftt, seiner Gesellschaft und seines Idioms. Man k6nnte davon manche erg6tzliche Gescliichte erz~hlen. Es ist zweifellos auch Tradition, in welcher Weise die inneren Vorg~nge des kranken Menschen seine Geb~rden und sein Mienenspiel aktivieren.

    In allererster Linie ist die Sprache jedoch irnmer Ausdruck der Verfassung des Sprechenden, seiner K*tndgabe (K. BOIaL~R). Ohne gegenseitiges gutes SprachverstXndnis ist also eine auch nur einiger- maBen als seelisch zu bezeichnende Verst~ndigung schleehterdings nicht m6glich.

    Bei intelligenten Personen mag ab und zu einmal eine schrift- liche Selbstschilderung des Kranken, die er mit Zeit und MuBe anfertigt, nicht unzweckmXBig sein. Manche Kranken bringen ja gleich Notizen yon solcher L~nge wie die Rezepte des Doktor 13artolo in die Sprechstunde mit. Aber selbst bei den intelligentesten Menschen geht schliel31ich nichts fiber die mfindliche Aussprache, bei der in Wechselrede uud durch die Erfahrung des Arztes das Gespr~ch die richtigen Wendungen erhMt und der Kranke auf wichtige Momente in seiner Anamnese aufmerksam wird, die ibm entgangen sind oder unwichtig und nicht mitteilenswert erschienen. Wir haben ja gehSrt, dab jeder Mensch gerade sich selbst fern ist, und das gilt nicht zum mindesten selbst yon dem erkrankten Arzte, der in bezug auf seine eigene Anamnese oft ganz merkwt'lrdig weit- schweifig und unverl~Blich ist.

    Wie wichtig es ist, die Fragen in einer dem Kranken ad~quaten Form zu stellen, mag ein Beispiel aus KR~TSCI~I~S ,,K6rperbau und Charakter" lehren.

    Fragen wit eine einfache Banersfrau : ,,War Ihr 13ruder ~ngstlich, friedliebend, energisch" usw., so werden wir 6fters nnr eine ver- waschene oder unsichere Antwort bekommen. Fragen wir dagegen : ,,Was machte er als Kind, wenn er allein auI den finsteren Heuboden gehen muBte?", oder: ,,Wie benahm er sich sp~tter, wenn es im Wirtshaus am Sonntagabend eine Prfigelei gab?", dann gibt uns dieselbe Frau eine drastische, ganz eindeutige Antwort, die schon durch das begleitende, verstehende Lachen den Stempel der Zu- verl~ssigkeit an sich tr~gL

    Man muB eben mit dem Leben des einfachen Menschen, des Arbeiters, des I3auern, des D6rflers und seinem Milieu reehnen und versuchen, sich hineinzuversetzen. Nur dann erh~lt man fiber das farblose Leben dieser Durchschnittsmenschen eine genfigend klare und ausreichende Auskunft.

    Manche Menschen besitzen fiberhaupt nicht die F~higkeit, sieh richtig anszudrficken. Da heigt es dann oft, gleichsam zwischen den Zeilen lesen, erraten, und zwar richtig erraten. Allerdings ergeben sich h~ufig genug Anhaltspunkte, welche uns auf den richtigen Weg weisen.

    Ffir den Kranken liegt die Saehe oft viel schwieriger. Vor allem sind es durchaus nicht immer die St6rungen der Organfunktion,

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    die im Vordergrunde stehen. ]3edenken Sie z. B., wie verschieden die Bilder sein kOnnen, nnter denen eine Nierenkrankheit in das Leben des Kranken eintritt. Das eine Mal schwellen zuerst die Augenlider an, ein anderes Mal ist es ein quMender Kopfschmerz, der die Szene er6ffnet, ein drittes Mal eine pl6tzliche Sehst6rung, Wieder ein anderes Mal starkes Herzklopfen, ein ffinftes Mal ein heftiger Kreuzschmerz, das sechste Mal ein heftiges Nasenbluten. Der Kranke kann aber immer nur das Symptom schildern und nicht die Ursache seines Leidens. Ffir den Arzt, der gewohnt ist, auf alles zn achten, ergibt sich alsbald die richtige Spur.

    Wie oft erh~lt man in Wien die Auskunft: ,,Ich war gel~ihmt." Wfirde man da jedesmal glauben, es babe in Wirklichkeit eine IZfemiplegie oder eine Monoplegie bestanden, so w~re man wahr- scheinlich in neun yon zehn F~llen auf dem ttolzwege. Oft hat die Antwort geheiBen: ,,Ieh war ,wie gel~hmt", was ihr eine ganz andere F~rbung gibt. Aber aueh: ,,Ich war geliihmt", bedeutet in Wien oft niehts anderes als eine gewisse Schwliche, manches Mal selbst einen groBen Schmerz, der die ]3eweglichkeit st6rt, also etwas ganz anderes, als der Arzt unter einer L~hmung versteht. Es ist eben ein Sprachgebrauch, den man kennen und richtig ein- sch~tzen muB, sonst wfirde man mit Unrecht yon einer Entstellnng oder einer ~bertreibung des Kranken sprechen, zumal ja viele Kranke, wenn sie ihre Leiden schildern, tats~chlich in Superlativen reden.

    Der Kranke kalm immer nur fiber subjektive Eindrficke und Symptome Auskunft geben, fiber Empfindungen, die in seinem l~ewuBtsein erschienen sind und sich dort zugetragen haben (ovlt~[szzstv heiBt: sich ereignen, zutragen). Sie sind das Wissen des Kranken yon seiner Krankheit. Die Aufnahme einer Anamnese ist so oft eine trfibe Erkenntnisquelle, weil die Krankheit jedesmal aueh einen geistigen Inhalt hat, und es daranf ankommt, wie der Kranke denselben versteht.

    Jedes Spezialfach hat natfirlich seine besondere Art yon An- amnese, so wie jedes Organ seine eigene Sprache hat, und braucht daher einen best immten Modus yon Fragestellung.

    Nehmen wir z. B. den Tall der Anamnese eines Herzkranken. Die banale und gel~ufige Erscheinung, dab der tlerznenrotiker

    immer yon Herzklopfen, Herzzittern, Iterzflattern erz~hlt, also immer an sein Herz denkt, immer sein Herz im Munde ffihrt, w~h- rend in der Anamnese des organisch Herzkranken eher die Dyspnoe, die anwachsende Atemnot als das Symptom erscheint, wollen wir n icht welter besprechen. Es sei vielmehr ganz kurz auf die so charakteristische Anamnese der Angina pectoris verwiesen, die sich yon der Vorgesehichte der sog. nervSsen Angina, wenn man richtig zuh6rt, so wesentlich unterseheidet. Ich sage ,,sogenannte nerv6se" Angina, weil es nur eine Angina, die Heberdensche Coro- narangina, gibt. Alle nerv6sen Herzbeschwerden, wenn sie auch mehr oder weniger angina~ihnlich sind, geh6ren in ein anderes Kapitel. Zur Unterscheidung kann gerade in diesen F~llen schon die Anamnese sehr viel beitragen. Wenn der Kranke Symptome beschreibt, die seiner Meinung nach yon dem kranken Herzen aus- gehen, so liegt zumeist schon in der Art der l~eschreibung ein gutes Stfiek Diagnose. Die Herzempfindung der echten Angina ist ja eine ganz charakteristische, specifische Empf indnng, fiber die ich an dieser Stelle bereits einmal ausffihrlich gesprochen habe. Es ist die Angstempfindung in ihren leichten und in ihren ganz schweren Formen, yon der der Kranke spricht. Was er schildert, ist in den leichteren F~llen -- sit venia verbo ,,leichter", denn die Angina hat immer einen ernsten I-Iintergrund -- eine leise, st6rende, unmittel- bare I-Ierzempfindung mit charakteristisehem Gefiihlskol0rit, in den schweren Fiillen die nnheimliche, gliederl6sende, vernichtende Angst, die Empfindung, dab es ans Leben geht, die unverkennbare Todesangst. Und ebenso ist der Sehmerz im Anginaanfalle in seiner Ungeheuerlichkeit so ganz eigenartig, dab der Kranke daffir ganz charakteristische "GTendungen finder: ,,Es ist so" -- erz~hlt er --, ,,als ob reich die Kralle des Teufels gepackt h~t te . . . " , oder: ,,Wenn ich auf der Fahrbahn so einen Anfall bekomme, nnd es rasen Auto- mobile daher und auf mich los, ich kann doch nicht weiter . . . " , auch: ,,Der Schmerz bannt mich lest, wie den K~fer die Schreck- starre. Ich stehe, nicht nur weil ich will und weil ich h0ffe, dab der Schmerz dann aufh6ren wird, sondern weil ich mug."

    Ob der Sehmerz oder die Angs t das Prim~re ist, kanu man nicht entscheiden. Es gibt FMIe, die nur Schlnerz seheinen, andere nur Angst. Im Schmerze des Anfalles ist aber in irgendeiner Form

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    immer auch das Vernichtungsgef~hl der Angst enthalten. Es ist jedesmal ein eigenartiger Schmerz, wahrscheinl ich auch durch die Verbindungen, welche er infolge seiner Intensit / i t eingeht. Schmerz und Angst in ihren verschiedenen Graden sind f iberhaupt nicht nur quant i ta t iv verschieden. Wir k6nnen -- sagt BERGSON -- einen Schmerz von zunehmender Intens i t~t nicht mit einem lauter wer- denden ~[one vergleichen, sondern eher mi t einer Symph~nie, in der immer mehr Ins t rumente sich h6ren lassen. Und dasselbe gilt

    KL IN ISCHE Vv 'OCHENSCHRIFT . 9. JAHRGANG. Nr , 19 897

    mit den einfachen \Vorten: , ,Diesmal hat aber nieht viel gefehlt ." Auch hier grit also der Satz: ,S imp lex sigi l lum veri"! die ~;ahrhe i t bedarf eben nicht vieler Vv'orte. --

    Nut der Kranke, der zum Arzte unbedingtes Ver t rauen hat , erschliel3t sich dem Arzte vollstXndig. Der Kontakt ergibt sich oft schon nach den ersten Worten. Schon das War tez immer ist gewissermal3en die E in le i tung zu dem 1Romane, der sich sp~iter unter Umst~tnden zwischen dem Arzte und dem Kranken abspielt ~.

    auch yon der Angstempf indung. Beinl Anginaanfal ie hOchster In- Die E in le i tnng ist aber immer sehr wichtig ffir den weiteren Gang tensitXt ist das Festgebanntsein, g le ichsam die , ,Schreckstarre", an die Angst gebunden, im physiologischen Sinne sogar mi t ihr identisch.

    Von den Sensat ionen der Extrasystole, der paroxysmalen Tachy- kardie und den At tacken yon Vorhof f l immern ist hier nicht viel zu sagen. Es sei darauf verwiesen, dab jede dieser Symptomengruppen, die flbrigens objekt iv zumeist ohne weiteres kennt l ich ist, eine ziem- lich charakter ist ische Anamnese hat. Von der Ext rasysto le z. B. sagen die Kranken, wie WENCI~EBACI~ SO treffend berichtet, das t-Ierz f lattert, ,,als ob man einen ~ngst l ichen Vogel in der Hand hielte", oder ,,es macht Mander ln" , oder ,,es ist, als ob aufsteigende Blasen bersten, Warme Tropfen herabfal len wfirden", oder ,,als ob das Herz herausfal len und wieder e inschnappen wiirde" usw. Den meisten dieser F~ille ist der plbtzliche Beginn eigentfimlich. Man mul3 sich abek vor Augen halten, dab eine specifische F~rbung tier Psyche auch jeder einzelnen yon diesen Anamnesen eine specio t ische Farbe gibt. So wird der Neurot iker das Erlebnis einer (be- wugten) Ext rasysto le jedenfalls viel dramat iseher schi ldern als etwa ein ruhiges und ausgegl ichenes Ind iv iduum, denn beim Neurastheni~ ker leidet ja immer die Synergie, die Ganzheits funkt ion, mehr als helm Nichtneurastheniker , bei welchem aul3erdem auch die Teil- funkt ionen zureichender funkt ionieren.

    Um zur Ang ina pectoris znri ickzukehren, so kann man ganz im al lgemeinen sagen, dab ein Igranker, der einen solchen schweren Anfal l erlebt hat, denselben schl icht und einfach, wenn auch fief ergriIfen and erschfittert, i iberzeugend und fiberzeugt schildert, wie einer, dem etwas Furchtbares begegnet ist. Er weiB es ganz genau, dab sein Leben damals an einem di innen Faden gehangen hat. Andererseits geht aus seiner Sehi lderung auch hervor, dab das Verh~ngnis wie mi t einem Schlage yon ihm gewichen ist, und dar- fiber ber ichtet er eben in einfachen, ernsten Worten, in einer Sprache, in der jedes einzelne VVort den Stempel der bit teren ~Tahr- heir tr~gt.

    Anders der Neurot iker und Hyster iker. Ffir diese Differential- d iagnose hat schon EDMUND NEUSSER treffende Worte gefunden, indem er sagte: , ,W~hrend die typische Coronarangina in der Mehr- zahl der FXlle eine schl ichte E infachheit des Symptomenkomplexes zeigt, sehen wir in den anderen F~tllen eine f lberschwengliche IVIulti- pl izit~t yon Symptomen und ein MiBverh~iltnis zwischen subjekt iver Empf indung und den objekt iven Zeichen. W~thrend der von typ ischer Coronarangina Befal!ene Xngstlich jedes W'ort und jede Bewegung meidet, l inden wir bei der hyster ischen Angina den Kranken oft j ammernd und l~rmend : ,,Es ist mehr Ldrm als Ge/ahr." Und dieser kardinale Untersehied kehr t eben aueh bei der naeh- herigen Schi lderung wieder. Man hat immer die Empf indung, dab dieser Kranke eigentlich auBer Gefecht gewesen ist, mehr oder weniger bloger Zuschauer, dab seine ~tngstlichen Vorstel lungen erst nachtrXgl ich oder sekundXr ents tanden sind. Sein , ,Er lebnis" er- hielt zum Teile erst spftter die F~trbung der nerv6sen Grundst im- mung, w~hrend der Ang inakranke vom ersten Augenb!ick an tier dr innen war im Anfal le und yon der haarschar fen Grenze ber iehtet zwischen der Zeit des Anfalles und dessen Sistieren. Man k6nnte vielleicht noch dazu sagen: ,,Der Ang inakranke ff irchtet einen neuen Anfal l wie den Tod selbst, denn er weiB genau, wie gefiihrlich so ein Anfall ist. Der Ncurot iker h ingegen mbchte sozusagen am l iebsten vor dem Arzte einen neuen Anfal l produzieren, dami t sich der Arzt selbst yon dem ,,schrecklichen Schreeken" i iberzeugen k6nne, dem er .(der Kranke) ausgesetzt gewesen ist.

    Ich erinnere mich an einen alten IKollegen, der im Anfal le puls- los dasaB, aussah wie eine Leiche, den TodesschweiB auf der Stirne, und der von seiner Frau mit einer Trane im Ange, die ihm offenbar der uns~gliche Schmerz herausgeprei3t hatte, mi t ganz einfachen Worten Abschied nahm, denn die l~IajestXt des Todes vertr~igt kein Pathos. Doch der Anfal l ging gli icklicherweise vorfiber, nnd eine Stunde sparer empf ing mich der ,, 'vViedererstandene" ruh ig lXchelnd

    Klinische V~rochenschrift, 9. Jahrg.

    der Geschichte, well sie sehr h~ufig fesselt und die Neugierde er- weckt, wie sich die Sache welter gestalten wird.

    Der Arzt soil es erlernen, sagt GEORG KN_~UER, in der Seele des Kranken zu lesen, den Gedanken und Geffihlen desselben IRech- nung zu tragen.

    Was bedeutet, mnl3 er sich fragen, die IZrankheit auch ffir das Schicksal dieses Menschen? Diese Frage kann besonders bei chro- nischen I

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    es unterlieB, sie nach der Menstruation zu fragen. Sie war dem Matronenalter sehon bedenklich nahe und wollte auf diese, ffir sie ira doppelten Sinne galanteFrage, nicht verzichten. Es ist eben eine begreifliche Schw~che der Menschen, angenehme Dinge gern zu h6ren, sogar dann, wenn er weiB, dab der Fragende es damit gar nicht so ernst meint, wie er sich den Ansehein gibt.

    Der Arzt hat die Aufgabe, bei der Anfnahme der Anamnese das Gespr~ch zu lenken. Dem jungen Arzt kann es allerdings wider- fahren, dab der Kranke ihn gleichsam ft'lhren will und ihn examiniert, absichtlich etwas verschweigt und darauf lauert, ob er auch alles finden und zu diesem Zwecke nach allem ~Vichtigeren und ibm (dem Kranken) n0twendig Scheinenden fragen wird.

    Fast jeder Kranke setzt vom Arzte voraus, dab gerade sein Fall ffir den Arzt der wichtigste ist und ihn vollstAndig ausfi~llt. Und wenn es begreiflicherweise auch nicht so sein kann, so soll es im gegebenen Zeitpunkte wenigstens so scheinen. Das beruht zur Zeit des Aufnehmens der Anamnese auf einer Kunst, die vielleicht nur zum Teile erlernt werden kann, n~mlich der Kunst des" Zuh6rens.

    \Ver gelernt hat, der sich 6ffnenden Natur zuzuh6ren, sagt KARL HAEBERLIN 9, der wird auch die groBe und bedeutsame Kunst erlernen, den Menschen zuzuh6ren.

    Oft ist es ein bis damn sorgffiltig gehfltetes Geheimnis, das uns der Kranke offenbart, und so etwas will eben mit Aufmerksamkeit, Geduld und Interesse angeh6rt werden.

    Es ist ferner zweifellos eine Kunst, die man abet im Laufe des Lebens erlernen kann und lernen muB, zu wissen, wann man den erz~hlenden, oft sehr weitschweifigen Kranken unterbrechen darf, ohne ihn zu krXnken, und wie man dies zu tun hat. Wir haben ja geh6rt, jeder Kranke meint, sein Fall sei der wichtigste und aller- interessanteste. Es w~re jedenfalls ein Fehler, jemanden zu unter- brechen, der ein Ungltick erz~thlt, das ihm widerfahren ist. Auf so etwas kann man ja durch Fragen nicht leicht kommen und kann es auch nicht erraten. Einen solchen Erzahler mul3 man wohl ruhig zu Ende reden lassen. Abet auch in solchen F~tllen werden sieh Fragen nnd Zwischenfragen ergeben, auf die der Kranke allein nieht kommt, weil sie nut vom Xrztlichen Wissen und der ~rztlichen Er fahrung diktiert werden k6nnen. In vielen anderen F~llen macht man die Erfahrung, dab der Kranke, selbst wenn man ihn die lXngste Zeit erzXhlen lXBt, gerade das Wichtigste vergigt. Und auch dies gilt merkwtirdigerweise nicht blol3 vom Laien, sondern sogar von erkrankten ~rzten, deren Werturteil im Falle einer Krankheit oft ganz unglaublich verschoben und verschroben sein kann. Es ist dann gar nicht leicht, aus dem Wuste des Gesagten das Richtige herauszuh6ren. Eine richtige Zwischenfrage erreicht da oft zweierlei, n~mlieh den Redeschwall des Krankell einzudXmmen ur, d seinen Worten die erwflnschte Richtung zu geben.

    Um eine gute Anamnese anzufertigen, muB man also viel Menschenkenntnis und ~rZtliche Erfahrung erworben, viel Natur- sinn und Scharfblick auf den Lebensweg mitbekommen haben.

    Ich erinnere mich gern an die sch6nen Anamnesen, die wir seinerzeit an den Kliniken yon NOTHNAGF~L und BILLROTH gehSrt haben. So lebhafte Eindrticke haften und halten. Unsere groBen Lehrer sind vonder Anamnese unmittelbar zur Krankheitsschilde- rung und zu ihren lehrreichen Gedankeng'~ngen flbergegangen und haben die Beziehung der Vergangenheit des Kranken zur Gegen- wart yore Anfange an fest im Auge behalteil und ebenso die Ent- wicklung des Krankseins in seiner epischen und dramatischen Ge- staltung.

    Das war lehrhaft und lehrend und yon eindrucksvoller, bleibender Wirkung.

    Vier Jahrzehnte sind seither vergangen, und noch immer h6re ich, wie NOTHNAGEL Schritt ftir Schritt das Gem~lde der Krankheit entwirft, wie NEUSS~R darauf aufmerskam macht, dab die kon- genitale Mitralstenose keine charakteristische Anamnese besitzt, und ich erinnere mich, dab ich yon BILLROTH zum ersten Male den charakteristischen Fleichwiderwillen in der Ananmese des Magen- carcinoms erwi~hnen h6rte. Mit Fug nnd lRecht nennt AL:~XANI)t~R FRAtgNKEL 10 eine gute Anamnese einen wahren Prflfstein ffir die Fiihigkeiten und Kenntnisse ihres Verfassers.

    Dazu geh6rt immer eine Art Pers6nlichkeitsanalyse, eine Er- fassung der betreffenden Pers6nlichkeit. Erst diese schafft so- zusagen das Bezugsystem, yon dem aus Anamnese und Therapie ihren vollen Sinn und Wert erlangen. Tr~gt man diesen Beziehungen

    R IFT . 9- JAHRGANG. Nr . 19 xo. MAI 193o

    schon bei der Anamnese Rechnung, so wirkt es sich beim spfiteren Umgange mit dem Kranken erfolgreieh und vorteilhaft aus. --

    Es hat eine Zeit gegeben, in der in keinem guten Hause der Hausarzt gefehlt hat, das ehrenwerte Inventarsti~ck tier guten, alten Zeit, der Onkel Doktor, der treue Begleiter eines jeden Familien- mitgliedes durch ein sehSnes Stflck seines Lebens. Nun existiert er nieh'c mehr, vor allem nicht mehr in der GroBstadt, in der das Spezialistentum vorherrscht, wie wir aber am Beispiele der Ne- phritis gesehen haben, nicht gerade zum Vorteile der Kranken, die durchaus nicht immer den wahren Sitz ihrer Krankheit erkennen.

    Mit dem Hausarzte ist ohne Zweifel ein wertvolles Stflck Ver- gangenheit abhallden gekommen, wertvoll u .a . als Tr~ger und sozusagen Ms leibhaftiger, lebender Inbegriff der Anamnesen aller seiner Schfltzlinge, als Historiker seiner lebenden Inventarstfmke. Der Kranke versteht ja, wie wir sahen, die Sprache seiner Organe nicht, und da der Mensch zudem -- glflcklicherweise -- die un- angenehmen Ereignisse seines Lebens schneller vergiBt als die an- genehmen, so war es kaum verwunderlich, dab der erfahrene und aufmerksame ~rztliche Beobachter schlieBlich vim mehr und Siche- reres yon der Vergangenheit seiner Kranken in den Fragen yon Gesund- und Krankgewesensein wu3te, als derjenige, der es am eigenen Leibe erlebt hatte.

    F.s kommt auch darauf an, in welchem Erlebniszusammenhange die Krankheit zum ersten Male im Bewuf3tsein des Kranken auf- getaucht ist. Erleben heiBt ja, alles im BewuBtsein Gegebene und das am Zentrum der Pers6nlichkeit Angreifende in sein zentrales Bewul3tsein aufnehlnen. Von bier aus werden die Erlebnisse auf das intellektuelle und affektive Gebiet flbertragen. Ftir das Erleben sind die inneren Faktoren yon grSBerer Bedeutung als die ~uBeren. Und dazu kommt noch die psychisehe Konst itut ion des Kranken als leitendes Prinzip.

    Sehr h~ufig mi~ssen wir uns mit einer Andeutung des Krallken, mit einem bezeichnenden Blicke, einem leichten ErrSten zufrieden geben, letzteres, wo eine begreifliche Schamhaftigkeit vorI~ufig ein weiteres Vordringen verbietet.

    Der tfichtige Arzt -- sagte schon HIPPOKRAT~S -- ist voraus- schauend und hinzudenkend, was der Kranke ibm nicht gleich an- vertrauen wilh

    Welch geschicktes, taktvolles und findiges Vorgehen verlangt z. ]3. hXufig die Frage nach einer ehemaligen luetischen Affektion, wenn etwa bei der ersten ]3esprechung -- in der Sprechstunde die Gattin oder ein Kind des Erkrankten zugegen ist, denn der Nachweis der f lberstandenen Iniektion durch ein Residuum muB ja nicht jedesmal gelingell. L,'brigens kann bekanntlich prim~res und sekund~res Stadium auch yore Kranken unbemerkt abgelaufen sein. Bei offenbar ganz unrichtigen Angaben des Kranken ist es oft zweckm~LBig, seine Zweifel zunXchst nicht zu zeigen. Man rechnet da mit einer menschlichen Sehw~ehe, die man verstehend verzeiht und immer noch zur Zeit korrigieren kann. Man kann es ja verstehen, dab der Ehegatte seine sog. Jugendsfinde nicht vor seiner Gattin oder seinell Kindern besprochen haben will. Es gibt aber zum Glflek auch Ausnahmen. Sehr viele Franen sind Mug genug, zu begreifen, dab hier eine Krankheit vorliegt wie eine andere, dab es in ihrem eigenen, dringenden Interesse ist, die Sache auf- zukl~ren nnd eine Heilung anzustreben, nnd dab es sieh gliicklicher- weise in so und so vielen F~llen nm eine heilbare Krankheit handelt.

    Allderenfalls hellt oft ein Blickaustausch die Situation auI, oder der Klient weiB dell Weg zum Arzte, der ihn vor Verlegenheit be- wahrt hat, rasch zu linden, um ihn dann dankbar und restlos ins Vertrauen zu ziehen. ]~s gibt ja mannigfache W'ege, urn die den Kranken beunruhigende und ihn nach seiner Meinung bloBstellende Krankheitsbezeichnung zu verhfil len, ohne das geringste yon dem preiszugeben, was die ~rztliche l~ in bezug auf Prophy- laxe und Therapie yon uns voraussetzt. --

    Unsere Wissenschaft ist durch die Vermehrung der diagnosti- schell Hilfsmittel in lllancher Hand mehr Laboratoriumswissenschaft als praktische nnd-angewalldte Biologie geworden. Das fortschrei- tende Mechanisieren, Titrieren, Filtrieren, Kolorieren, Parzellieren l~Bt den jungen Arzt zuweilen beinahe den krallken Menschen ver- gessen. Dieses Urteil STRt~MPELLS ist hart, aber wahr, denll oft lehrt uns ein get'lbter Blick auf den Kranken mehr Ms die elegan- teste Laborator iumstechnik.

    Zumal die Ananmese wird gar nicht so seltell als zeitraubend und minder Wichtig betrachtet und fi~llt "daher li~ckenhaft und

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    unvollstandig aus. Man fbersieht eben, wie ja ausfiihrlich dargelegt wurde, dab viel Erfahrung, rein menschliche nnd grztliche, und Menschenkenntnis dazu geh0rt, durch das Dickicht der Angaben manches Kranken auf den richtigen, wichtigen Punkt hinzufinden, der fflr die Behandlung entscheidend ist. In richtiger Weise voll- ffihrt, ist die Anamnese aber jedenfalls zu der verfeinerten Methodik zu rechnen, wie dies v. BERGMANN erst vor kurzem dargelegt hat ~1.

    Wit haben gesehen, wie mannigfach die Fehlerquellen sind, welche die Aufnahme der Anamnese stOren und behindern kOnnen. Manche Autoren, darunter CRZELLITZER 1~, verlangen daher die Anlage eines Gesund, heitsbuehs, das beim Kranken zu verbleiben hfitte und in usulll des Arztes, bei manchen Kranken muB man wohl sagen, der 2&rzte, immer weiterzufahren w~tre. In diesem Buche wkren auch alle !~onstitutiollellen Feststellungen und alle wesent- lichen Erkrankungen sorgf~iltig einzutragen.

    Der Autor, der es zweifellos gut meint, iibersieht aber, dab eill solches Gesundheitsbuch -- der Name hat noch dazu in unseren Landen einen h~tglichen Beigeschmack -- u. a. dazu beitragen kann, Hypochonder zu zfichten, und daB, was llicht minder wichtig oder vielleicht noch wichtiger ist, auf diese ~;eise leicht intime Tat- sachen preisgegeben werden k6nnen, was zu unangenehmen Folgen f~r den Kranken und natfr l ich auch f~r seinen arztlichen Regi- strator fflhren mfBte.

    FRIEDRICH jAMIN verlangt eine Befundsalllnllung an Schulen, Anstalten und Fiirsorgestellen behufs Erleichterung der Anamnesen. Das wiirde aber hOchstwahrscheinlich ein Sehema~i,s.ieren zur t7olge haben, das der Sache selbst keinesfalls fOrderlich w~tre. --

    Zur Aufnahme einer guten Ananlnese geh6rt auBer den Voraus- setzungen, von denen wir gesprochen haben, auch viel Ubuny. Die jungen Arzte sollten sich daher nicht die Miihe verdriegen lassen, sich auch hierin Ileil3ig zu iibell. Was wir erfahren, ist schlieBlich Menschenglflck und Menschenleid, Hoffen und Streben, Werzichfen und Erleben, also Schilderullgen des Lebens, das illteressallt ist, ,,WO immer ihr's packt". So ~ihnlich die anamnestischen Angaben der Menschen auch klingen m6gen, so ist doch jeder Mensch ein bestimmtes einmaliges Gebilde, und der erfahrene Beobachter lernt

    R IFT . 9. JAHRGANG. Nr . 19 899

    immer feillere und feinere Unterschiede erkellnen, denn auch dar- auf l~tl3t sich der sChOne Satz GOETI~Es aus der , ,Metamorphose der Pflanzen" anwenden : ,,Alle Gestalten sind ghlllich, und doch gleicht keine der andern."

    In einem Vortrage, den SIGMUND FREIJD vor vielen Jahren fiber Psychoanalyse gehalten hat, verwendet er einen seiner beri~hmten Vergleiche. Er sagt: ,,Zwischen der suggestiven Technik und der analytischen besteht der Gegensatz, den LEONARDO DA VINCI in die Formel ,Per via di porre' und ,Per via di levare' gekleidet hat. Die Malerei, sagt LEO~,,ARDO, arbeitet per via di porte; sie setzt Farbenhfmfchen bin. Die Skulptur geht per via di levare vor; sie nimult vom Stein so viel weg, als die Oberflgche der in ihm noch enthaltenen Statue bedeckt.'

    ,,Die Suggestivtechnik" -- meint nun FREUD -- ,,wirkt ,via di porre'. Sie kt~mmert sich nicht Ulll die Bedeutung der Krankheit , sondern legt etwas allf, namlich die Suggestion, yon der sie erwartet, dab sie stark genug sein wird, die pathogene Idee an der Auf3erung zu hindern. Die analytische Therapie ffihrt nicht Neues ein, sie will wegnehmen, herausschaffen. Deshalb bekt~mmert sie sich um die Genese der Krankhei tssymptome und den psychischen Zu- sammenhang der pathogenen Idee, deren Wegschaffung ihr Ziel istY

    Man kann nun behaupten, dab ,,la via di levare", der V~Teg des Herausholens, auch der YVeg der Anamnese ist, denn der Arzt, der sorgf~iltig eine Anamnese aufnimmt, ist dem I(finsfler gleich, der schlummerndes Material emporhebt und zum Leben erweckt. Er gleicht aber auch dell1 guten Historiker, der unter scheinbar gleichwertigen Ereignissen jene herausfindet, welche ffir die weitere Entwicklung bestimmend waren.

    Literatur: ~ HIPPOKRATES?, Uber die alte Medizin, Rap. I1. -- ~ Zitiert nael~ OWSEI TEMKIN, Studien zum ,,Sinn"-Begriff in der Medizin. Leipzig: Georg Thieme 1929 . _ a OWSEI TEMKIN, 1. e. -- ~ TIt. PUSCHMANN, Gesehiehte des medizinisehen Unterriehts. Leipzig 1889. -- ~ Zitiert naeh TEMK1N. -- ~ RICHARD KOCH, Die ~irztliehe Diagnose, 2. AufI. Wiesbaden 1926. -- ~ GEOR G KNAUER, "~u liir den firztlichen Weg. Sehweiz. reed. Wsehr. 1928. -- s Psyehologisehe Grundlagen der Ananlnese. Miineh. reed. Wsehr. 1929, 49--5 o. -- ~ Briefe an den jungen Arzt. Sehweiz. med. Wsehr. 1929. -- 10 Pers6nliehe Erinnerungen an Billroth. Dtsch. med. Wschr. 1~29. -- *~ v. BERGMANN, Das Gastritisproblem. Dtseh. reed. Wschr. 1929, 42. -- ~ Z. Schulgesdh.pfl. u. soz. Hyg. 4.

    REFERATENTEIL. EINZELREFERATE LIND BI JCHBESPRECHUNGEN.

    PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE. Die Meeresheilkunde. Von C. H~,BERLIN. Strahlenther. 3I, 264 ( 1929),

    Der Sauerstoffverbrauch an der See steigt, der Eiweil3stoff- wechsel wird durch Seebader deutlich beeinfluBt. Kl ima und See- bgder wirken unmittelbar auf die Haut eill, die Muskelkraft steigt, der Blutdruck sinkt, die Herzleistung steigt, Blutfarbstoff ulld Blut- k6rperchen nehmen zu, die Atmullg wircl lallgsamer und tiefer. Die Ursachen fur diese \Virkungen sind auBerordelltlich kompliziert. Verschiedene Strahlullgen, Luftbewegung, Fenchtigkeitsgehalt, relative Reinheit, Konstanz der Temperatur, Luftelektrizitgt. Indikationen: 1(atarrhbereitschaft, extrapulmonale Tuberkulose, Zur~ckbleiben der Entwicklung, exsudative und lymphatische Diathesell, Hypertonie, nerv6se Herzfehler, chronische Obstipatio- nen, nerv6se Ermfidungs- und ErschOpfullgszustande, Dyspepsie, Schlaflosigkeit, Rekonvaleszenz. I-IALBE~STAEI~I~.

    5O Jahre Erfahrungen am Meeresstrande. Von R. HERTZ. Strahlen- ther. 3I, 277 (1929).

    Bericht fiber die Erfolge des Ktistenspitals Refsnaes in D~.ne- mark. u Anwendung der 13~der ist dringend notwendig, Abwechslung yon leichteren Duschen, Halbb/idern und Schwimm- b~dern, Kombination mit Sonllenbestrahlung erlaubt eine an- gemessene Dosierung der Reize. Gute Erfolge insbesondere bei chirurgischer TuberkuIose. I-IALBERSTAED TER, Uber den EinfluB der Kohlens~iuregasb/ider auf den Menschen. Von R. COBET und T. v. HAEBLER. Z; klin. Med. I I2, 134 (1929).

    hn k~hlen Coe-Gasbade kommt es zu einer verstXrkten Durch- bh]tung der Haut, die offenbar auf einer chemischen ~Tirkung resorbierter Kohlens~ure beruht. Die Menge der durch die trockene t laut aufgenommenen Kohlensaure ist verhXltnismal3ig gering. Iul warmen COe-Bade ist die Hyperamie der Haut noch ausgespro- chener, zugleich wird ill auffallender Weise die Schweif3sekretion angeregt. Die K6rper innentemperatur kann dabei absinken oder

    steigt erst nach l~tngerer Dauer des Bades um wenige Zehntelgrade. Der Umsatz, gemessen am O2-u ist nut wenig erh6ht, gelegentlich sogar gegenflber der Norm herabgesetzt. Von der schwitzenden Haut wird erheblich mehr IZohlensXure resorbiert a ls yon der trockenen. Von der gesamten K6rperoberfl~che wird im warmen Gasbade sch~tzungsweise ioo--15o ccm Kohlens~ure pro Minute aufgenommen. Dutch die resorbierte Kohlens~ure wird das Atemzentrum erregt, das Zeitvolumen der Atmung steigt daher im warmen CO2-Bade auch bei Vermeidung der Einafmullg der Kohlellsiiure betr~chtlich an. ~OENIGSFELD. Untersuchungen fiber den Einflug einiger gas- und dampffSrmiger Mittel auf den menschlichen Organismus. Von K. RUDSIT . Wien. klin. Wschr. 192 9 II, 149 7.

    An 67Kranken wurden insgesamt I35Versuche angestellt. In bezug auf Hypertonie und Cirrhosis lXl3t sich ersehen: Nach Reizung des Magens durch gasfSrmige Mittel (Formol) wurde eine Vermehrung der Eosinophilen beobachtet. Nach Reizung des Dickdarms erfolgte Verminderung der Eosinophilen. Durch Reizung des Magens mit gasfOrmigen Mitteln zeigte sich ein parachylischer Verlauf der Sekretion. Nach intramuskul~trer In~ektion yon Ad- renalin erfolgte Herabsetzung des Blutdrucks. Nach Injektion yon Chlorcalcium zeigte sich Leukopenie. Hypertonie und Cirrhosis hepatis machen vielleicht eine allgemeine Umst in lmung des ganzen Organismus. Die leukoeytiiren Phanomene nach Magen- und Dick- darmreizung kOnnen als Symptonle einer im physikalisch-chemischen Sinne ver~inderten I~onstitution des gesamten Orgallismus angesehell werden. S CH fs Ein Beitrag zur Pharmakologie einiger Paraoxybenzoes/iureester: das Schicksal im Organismus und die Toxizit/it. Von K. SCHI~BEL und J. MANGER. Naunyn-Sehmiedebergs Arch. 146, 208 (1929).

    Der Methyl-, ~thyl - und Propylester der Faraoxybenzoes~ure, Verbindungen, die als Solbrol M, A und P bezeichnet werdell, erleiden im Organismus eine VerseiIung. Dabei bildell sich die ent- slSrechenden Alkohole nehen p-Oxybenzoes~ture, die teils frei, tells

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