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Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie. Eine 1Jbersicht 1) yon Hans W. Gruhle, Heidelberg. (Eingegangen am 22. M~irz 1913.) WGnn man sich bemiiht, bei der gro•en Anzahl spezieller Unter- suehungen, die die gegenw~rtige Zeit verSffentlicht, in jedem einzelnen Falle zu erkennen, auf welche allgemeinen Grundgedanken sich die Themen dieser Untersuehungen zuriickfiihren lassen, so stellen sigh -- wig wohl zu allen Zeiten -- 2 Gruppen heraus: einmal diejenigen Forscher, die anseheinend Bew~ihrtes vervollstandigen, die als Epigonen den fiihrenden Ideen friiherer Riehtungen naeh- gehen und das Geb~ude jener Vorg~nger in Einzelheiten noch aus- bauen; sodann jene Untersucher, die neuen oder erneuten Ge- dankeng~ingen fo]gend, sich nicht an die Tradition oder doch nicht an die letzte Lehrmeinung gebunden erachten. In der Psyehiatrie treten unter diesen neuen Richtungen zurzeit zwei deutlich hervor: Die einen, die ihr Augenmerk auf die Kenntnis aller vorkommenden psychischen Erscheinungen im einzelnen richten und sieh bemiihen, die Struktur dieser Ph~inomene zu eIgriinden und aus der mannigfaltigen Zusammenordnung der Symptome die letztlich nicht mehr zerlegbaren, nicht mehr analysierbaren Grundformen herauszufinden. Diese Forscher interessieren sich fiir die EigGnart, den Ablauf oder die sog. Leistungen der psychischen Vorg~nge, oder sofern sic deren Genese betrachten, ist ihre Aufmerksamkeit auf die kausale oder verstandliche Verkniipfung eingestellt. Ihre Hauptzuwendung gilt der For m des seelischen Vor- gangs, und nur in der letzterwghnten Forschungsrichtung, der nach den verstandlichen Zusammenh~ingGn, beriihren sie sich mit der zweiten Hauptrichtung moderner Psyehiatrie. Diese anderen Beobaehter betrachten im wesentlichen den I n halt des Symptoms, die Anfiillung der Form. Die Struktur irgendwelcher Vorgange kiimmert siG nieht, sie fragen vielmehr ganz speziell: warum liegt hier grade dieser Inhalt, dieses besondere Symptom vor und nicht ein anderes ? Zwar forschen auch sie mit nach der kausalen Determiniert- 1) Die Gedanken diesesAufsatzes]agen der Probevorlesung des Verf. zugrunde.

Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie

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Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie.

Eine 1Jbersicht 1)

yon

Hans W. Gruhle, Heidelberg.

(Eingegangen am 22. M~irz 1913.)

WGnn man sich bemiiht, bei der gro•en Anzahl spezieller Unter- suehungen, die die gegenw~rtige Zeit verSffentlicht, in jedem einzelnen Falle zu erkennen, auf welche allgemeinen Grundgedanken sich die Themen dieser Untersuehungen zuriickfiihren lassen, so stellen sigh -- wig wohl zu allen Zeiten -- 2 Gruppen heraus: einmal diejenigen Forscher, die anseheinend Bew~ihrtes vervollstandigen, die als Epigonen den fiihrenden Ideen friiherer Riehtungen naeh- gehen und das Geb~ude jener Vorg~nger in Einzelheiten noch aus- bauen; sodann jene Untersucher, die neuen oder erneuten Ge- dankeng~ingen fo]gend, sich nicht an die Tradition oder doch nicht an die l e tz te Lehrmeinung gebunden erachten. In der Psyehiatrie treten unter diesen neuen Richtungen zurzeit zwei deutlich hervor:

Die einen, die ihr Augenmerk auf die Kenntnis aller vorkommenden psychischen Erscheinungen im einzelnen richten und sieh bemiihen, die Struktur dieser Ph~inomene zu eIgriinden und aus der mannigfaltigen Zusammenordnung der Symptome die letztlich nicht mehr zerlegbaren, nicht mehr analysierbaren Grundformen herauszufinden. Diese Forscher interessieren sich fiir die EigGnart, den Ablauf oder die sog. Leistungen der psychischen Vorg~nge, oder sofern sic deren Genese betrachten, ist ihre Aufmerksamkeit auf die kausale oder verstandliche Verkniipfung eingestellt. Ihre Hauptzuwendung gilt der For m des seelischen Vor- gangs, und nur in der letzterwghnten Forschungsrichtung, der nach den verstandlichen Zusammenh~ingGn, beriihren sie sich mit der zweiten Hauptrichtung moderner Psyehiatrie.

Diese anderen Beobaehter betrachten im wesentlichen den I n ha l t des Symptoms, die Anfiillung der Form. Die Struktur irgendwelcher Vorgange kiimmert siG nieht, sie fragen vielmehr ganz speziell: warum liegt hier grade dieser Inhalt, dieses besondere Symptom vor und nicht ein anderes ? Zwar forschen auch sie mit nach der kausalen Determiniert-

1) Die Gedanken dieses Aufsatzes ]agen der Probevorlesung des Verf. zugrunde.

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heit der Inhalte, widmen sich aber im wesentlichen der verstehbaren Genese, den sinnerffillten Zusammenh~ngen. W~hrend sic sich hierin also, wie erw~hnt, mit jener ersteren Gruppe von Untersuchern be- rfihren, sind sie doch wieder dadurch unterschieden, dal~ sie eine be- stimmte Art der verstehbaren Ableitungen psychischer Inhalte bevor- zugen, dab sie namlich das Symptom vor allem als Symbol Zu fassen trachten. Um einen Namen ffir diese beiden neueren Orientierungen zu wghlen, sei es gestattet, die Vertreter der letzteren schlechtweg naeh ihrem Urheber als F r e u d ia n e r, die ersteren als S y m p t o m a t o- l o g e n zu bezeichnen.

Inwiefern stellen sich nun die Symptomatologen als Neuerer gegen- fiber den bisher bestehenden wissenschaftlichen Tendenzen heraus?

Die deutsche Psychiatrie der letzten 15 Jahre wurde von den An- siehten K r a e p e l i n s beherrscht. Ein gro•er Tell seiner Vorg~nger hatte sieh mit dem Studium einzelner Symptome oder einiger Sym- ptomvereinigungen befal~t und dabei die Meinung gehegt, in diesen einfachen oder komplexen Zust~nden K r a n k h e i t e n vor sich zu haben. Aber sehon 1840 erw~hnt Ze l l e r (Winnenthal) ausdrfiekliehl), da[t die 4 Formen der seelischen StSrung (Schwermut, Tollheit, Ver- rficktheit, B15dsinn) nicht Krankheitsarten, sondern Stadien des psy- chisehen Krankheitsprozesses sind. Und dersetben Meinung ist Gr i e - s inger2) , der die genannten 4 Formen ausdrficklich nur als Grund- zust~nde, als Symptomenkomplexe bezeichnet, w~hrend er das ,,Wesen" der psychischen Krankheiten und also auch ihrer Einteilung in den ,,zugrunde liegenden anatomischen Ver~nderungcn des Gehirns" er- blickt. Von dem letzteren Irr tum halt sich K a h 1 b a u m frei ; er spricht schon in seinem Vortrage fiber die klinisch-diagnostischen Gesichts- punkte der Psychopathologic (in den siebziger Jahren) davon, dal~ die 4 Hauptformen des Irreseins (Melancholic, Manie, Moria oder Pertur- bation, Demenz) sich mischen und sich auch folgen kSnnen, so da[3 dcr Eindruck entsteht, jemand leide gleichzeitig oder nacheinander an zwei, ja mehr seelischen Krankheiten. Es seien dies aber gar keine Krankheiten sondern Symptomenkomplexe, vergleichbar dem Fieber, Hydrops, Ikterus usw. Die K r a n k h e i t e n mfisse man nach Umfang, Verlauf und Ausgang der StSrung beurteilen. Und zwar gebe es einmal PartialseelenstSrungen (Dysthymie, P~ranoia) oder TotalseelenstSrungen (ohne Li~hmungen: Typisches Totalirresein ~ Vesania typica; mit Li~hmungen ~ allgemeine Paralyse der Irren; mit Kr~mpfen ---- Ka- t~tonie; alle drei gehen in Terminaldemenz fiber), und nur al s Anhang seien noch die ,,pathogenetisch und biogenetisch sekund~ren" Psy- chosen, n~mlich diejenigen zu beha~deln, die aus somatischen Krank-

1) Med. Korrespondenzbl. d. wfirttemb, arztl. Vereins. Stuttgart 1840. S. 132. 2) Pathologic und Therapie der psych. Krankheiten. 2. Aufl. 1861. S. 212.

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heiten (dies seien nur reflektorische oder konsensuelle Reizungen) oder aus biologischen Prozessen (Entwicklungsvorg~ngen) hervorgingen. -- Bei K a h l b a u m findet sich der Satz: ,,Dieses eine ~tiologische Moment bedingt aber noch keine Diagnose, sondern erst der gesamte klinisehe Charakter, d. h. der allseitige Symptomenzustand und der gesamte Verlaufl)."

Die genannten Autoren hatten sich mit ihrem Interesse daffir, was ein Symptomenkomplex, was eine Krankheitseinheit sei, nieht durehzu- setzen vermocht; erst der Energie K r a e p e l i n s gelang es, die K a h l - b a u mschen Gedanken konsequent durchzudenken und sie anfangs nur im speziellen, sp~ter auch mehr im allgemeinen zur Geltung zu bringen. Freilich fiel die oben angedeutete Einteilung K a h l b a u m s ill Partial- und TotalseelenstSrungen und mancher andere seiner Gesiehtspunkte wieder aus der Linie der Entwicklung heraus; diese nahm vielmehr ihren weiteren Weg fiber die These: die Einheit eines Krankheitsbildes wird bestimmt dureh einheitliche Ursache, einheitliehes Zustandsbild, einheitlichen Verlauf, einheitlichen Ausgang (und oft einheitlichen anatomisehen Befund). ]ndem K r a e p e l i n seine Aufmerksamkeit yon dem zeithch eng begrenzten Zustandsbild abwandte und den gesamten Verlauf der Krankheit , das ganze Leben des Erkrankten zu fiberblicken versuchte, wurde er mit Befriedigung inne, dal~ es ihm hier- durch wohl gegliiekt sei, aus dem noeh yon Ze l l e r 2) als ,,wahrhaft babylonische Sprachenverwirrung" bezeichneten Chaos der unendlich vielen kleinen angeblichen Krankheiten herauszukommen und -- wenn aueh etwas gewaltsam --gro~zfigige Einteilungsgesichtspunkte auf- zustellen. K r a e p e l i n s Verfahren war einreil~end und aufbauend zu- gleieh: er vernichtete gleichsam die liebevolle Kleinarbeit seiner Vor- g~nger, die sich mit dem einzelnen Zustand, dem einzelnen Symptom, ja sogar mit dem einzelnen Gedankeninhalt ihrer Kranken abgegeben hatten; 'er wischte diese Arbeit als unwesentlich aus und wandte sich dem Wesentliehen -- d. h. dem, was i h m wesentlich erschien -- zu, der F o l g e der Zust~nde, dem V e r l a u f , dem A u s g a n g . Insofern baute er auf, als er gr6I~ere Geb~ude yon Krankheitseinheiten schuf, in denen nun sehr Verschiedenartiges untergebracht werden mul]te. Die Psy- ehiatrie schien plStzlieh einfach geworden zu sein: in die verwirrende Mannigfaltigkeit war Ordnung gebracht, es gab nut eine kleine Anzahl wirklicher Krankheiten, und auf das einzelne Symptom kam es nieht mehr an, oder es blieben doch nur gewisse Symptome fibrig, die als ,,wichtig", als ,,aussehlaggebend", als ,,wesentlich" bezeiehnet und allein noch eingehender untersueht wurden. Es ist nicht zu bezweifeln, dal~ diese Lehrmeinung zu einel: gewissen Einseitigkeit und Oberfl~ch-

1) Vo]kmanns Summlung klinischer Vortr~gc Nr. 126. 1878. S. 1145. 2) Med. Korrespondenzbl. d. wiirtt. ~rztl. Vereins 10, 132. 1840.

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lichkeit verleiten konnte. Wurden im einzelnen Falle die ,,entschei- denden" Symptome gefunden, so blieben die iibrigen Ph~nomene a u I~ e rh al b genauerer Untersuchung ; sie galten als unwesentlich oder bestenfalls als ,,die individuelle F~rbung" eines Krankheitsverlaufs. Man verkannte zwar nieht, da~ gewisse ,,wichtige" Symptome zwar bei v e r s c h l e d e n e n Verl~ufen in sehr h h n l i c h e r Form vorkommen kSnnten (z. B. Beziehungsideen bei einer Melancholie und Sp~tkatatonie ; ideenfliichtiges Reden bei einer manischen und katatonischen Erregung ; leiehte subiektive Hemmung bei einer hebephrenischen und cyclothy- mischen Depression, vSllige Reaktionslosigkeit bei einem heilbaien und katatonischen Stupor), doch meinte man folgerichtigl), es liege nur an der Unvollkommenheit der Untersuchungsmethoden, dal~ eben diese Zust//nde, diese Symptome iihnlich oder gar gleich erschienen, w/ihrend es feststand, dal] die Zukunft mit neuen besseren Hilfsmitteln es erm6glichen werde, die ,;Khnlichen" Symptome bei verschiedenartigen Krankheiten doch als in der Tat ganz verschiedenartig zu erweisen. K r a e p eli n selbst ~ fiihrt diesen Gedankengang in der neuesten, noch nicht einmal abgeschlossenen Auflage seines grol~en Lehrbuches aueh ganz ausffihrlich au~2). ,,Die tieferen Unte~_schiede in den Kiankheits- vorg~ingen, die aus ihrer Entstehungsgeschichte hervo,gehen und in ihrer ganzen weiteren Entwicklung zum Ausdrucke kommen, mfissen 3) auch jedem einzelnen Krankheitsabschnitte ihre eigenartige F~irbung geben, wenn wir sic auch oft nicht zu fassen verm6gen. Tats/ichlich hat es sich fast iiberall gezeigt, da6 die his dahin als Einheit betrachteten Zustandsbilder, sobald wir ihre Zugeh6rigkeit zu verschiedenen Krank- heiten erkannt haben, eine Reihe yon feineren, solange unbeachteten Schattierungen darboten, in denen sich die klilrische Eigenart aus- sprach." Schlie$]ich werde auch ,,eine rein symptomatische Betrach- tungsweise" m6glich und zweckm/i6ig sein, denn das Symptom cha- rakterisiert in seiner speziellen Art das Zustandsbild, dieses in seiner speziellen ArC: kennzeichnet den Verlauf und damit die Krankheits- einheit. ,,Allerdings besteht dabei die Gefahr, daft der Versuch einer derartigen Gruppierung nicht bei denjenigen Unterschieden halt machen wfirde, die fiir die einzelnen Krankheitsvorg~nge kennzeichnend sind, sondern zu einer Zersplitterung der Erscheinungsformen nach zum Teil ganz nebens/ichlichen Gesichtspunkten fiihren mfil~tO)". -- In der

1) ,,folgerichtig" im Rahmen der bestehenden naturwissenschaftlichen Grund- sittze: gleiche Ursachen gleiche Wirkungen, verschiedenartige Ursachen verschieder,.- artige Krankheiten mit verschiedenartigen Symptomen.

z) 8. Aufl. 1, 52'2. Leipzig 1909. a) Man beaehte das ,,miissen"! 4) In dem nach AbschluB des vorliegenden Aufsatzes soeben erschienenen

3. Bande der 8. Auflage des Kraepelinsch(n Lehrbuchcs scheint sich Kraepe- lin einer anderen Meinung anzunfihern. Er bedauert hier (S. 945), dab es auf

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dogmatischen Entscheidung, was haupts~ehlich, was nebenshchlich ist, und in der Formulierung : verschiedene Prozesse verschiedene Symptome glaubt K r a e p e l i n die Wahrheit schleehthin gefunden zu haben; er verkennt, dal~ es nur die relative Wahrheit eines Ge sic h t s p u n k t e s ist.

Die unbefangene psyehiatrische Erfahrung, die sich in ihrer wissen- schaftlichen Formung durch solche Lehrmeinung nieht gebunden erachtete, erkannte allm~hlich, dab der eben angeffihrte Satz: ver- schiedene Krankheitseinheiten -- verschiedene Symptome, tatsgehlich n i c h t zutraf. Gleiche Symptome kommen zweifellos bei ganz ver- schiedenen Prozessen vor, ja aueh die fiir K r a e p e l i n ,,wiehtigen" Symptome und Symptomenkomplexe finden sich bei verlaufsm/~f3ig giinzlich verschiedenartigen Krankheitsformen. Es war nieht uninter- essant, zu sehen, wie diese im einzelnen riehtig erlebte Erkenntnis in einem methodisch schlecht geschulten Kopfe eine vSllige Verwirrung anrichten konnte: die Beobaehtung, katatonische Zustandsbilder kommen bei heilbaren Erkrankungen vor und manisch-depressive Zustandsbilder finden sich bei Verbl6dungspsychosen, fiihrte z. B. M o ri t z U r s t ei n zu der merkwiirdigen Formulierung : ,,Manisch-depres- sives und periodisehes Irresein als Erscheinungsform der Katatonie"l) , einer Formulierung, die allein sehon lehrt, da6 der Verfasser dieses Buches die zugrunde liegenden Probleme nicht verstand. - Inzwischen zeigte sich, dal~ die ~ngstliche Ratlosigkeit (und auch die ,,Amentia") bei verbl6denden wie uicht verbl0denden Kranken beobaehtet wird, daI~ die leichte Depression mit Selbstvorwiirfen ebenso bei beginnenden heilbaren Depressionen wie Hebephrenien vorkommt, dal~ die hypo- chrondrisehe Depression sich gleicherweise bei Paralysen wie Cyclo- thymien finder, dal~ der Ganse r s che D~mmerzustand in der Haft sowohl als reine (hysterisehe) Reaktion eines sonst gesunden Menschen als aueh als erstes Anzeichen einer Verbl6dungspsychose auftritt, da6 der K o r s a k o w s c h e Komplex bei Alkoholismus, im Senium und nach sehweren Traumen erscheint, usw. Es ist dies niehts anderes, wie wenn die somatische Nosologie lehrt, da[~ sich gleiehe Symptome, z. B. Eiweil~- ausscheidung, gleiche Fiebertypen (Febris remittens), gleiehe Schmer- zen usw. bei sehr verschiedenartigen Krankheiten einstellen. Wenn jemand aber glaubt, hiermit sei eine v611ige Anarchie eingerissen, man stehe nun wieder einem Chaos oder zum mindesten wieder der

dem Gebiete der psychisehen Stiirungen kein einziges Krankheitszeichen gebe, ,,das fiir ein bestimmtes Leiden grundsgtzlich kenzeichnend ware. Vielmehr kann jeder einzelne Zug des Krankheitsbildes in gleieher oder doch sehr ahnlicher Form auch einmal den Ausdruek eines wesentlich anderen Krankheitsvorgangs bilden." Anders sei es mit dem Gesamtbilde.- Und an anderer Stelle (S. 949): Man miisse sich grundsi~tzlich hiiten, ,,einer einzelnen Krankheitzerscheinung kennzeiehnende Bedeutung zuzumessen".

1) Berlin-Wien 1912.

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Ze l le r schen Einheitspsychose gegeniiber, so irrt er durchaus. Auch hier liegen im Bereiche der Seelenst6rungen keine anderen Verhaltnisse vor als z. B. in der inneren Medizin. Wie dort etwa die Scarlatina meist das gew6hnliche Exanthem erzeugt, zuweilen aber auch sine exanthe- mate verlauft, -- wie der akute Gichtanfall einen gewissen Typus in der Mehrzahl der Falle zeigt, wahrend freilich aueh Anf~lle von ganz anderen Formen bekannt sind, -- wie endtich bei einem schwer ver- bl6deten Epileptiker typische Anfalle, aber oh ne Pupillenstarre auf- treten usw., so finden sich die einzelnen Symptome in der Mehrzahl der Psychosen in dieser und jener wohlbekannten, vielleicht in drei Viertel der Falle vorhandenen Zusammenordnung, wahrend es nun au•erdem noch ein Viertel der Falle gibt, bei denen einige ~ewohnte Symptome fehlen oder neue ungewohnte hinzukommen. Man hat es nicht versaumt, sich diesen ,,atypischen Fallen" mit grol~er Aufmerk- samkeit zuzuwenden. Die Schwierigkeiten der Diagnose sind dabei natfirlich sehr gro6, sind im Prinzip jedoch nicht an@re als jene, denen der somatische Mediziner bei atypischen Fallen gegeniibersteht.

Die oben erwahnte Erkenntnis, dag unserer Diagnostik keine pa- thognostischen, keine unfehlbaren Symptome beschieden sindt), da6 man vielmehr gleiche Zustgnde bei verschiedenen Krankheiten und verschiedene Zustande bei gleichen (auch gleichphasigen) Krankheiten erwarten mul~, kann nur jene grundsatzlichen s y m p t o m a t o l o g i s c h e n Ansichten K r a e p e l i n s erschfittern, keineswegs abet sein von Ze l l e r - K a h l b a u m angeregtes E i n t e i l u n g s p r i n z i p irgendwie ins Wanken bringen. Jene Forderung K r a e p e l i n s , die Fiille der Formen naeh Ursache, Zustand, Verlauf und Ausgang zu Einheiten zu gruppieren, wird durchaus nicht dureh die Tatsache berfihrt, dal~ es u ngew6hnliche Symptomenkuppelungen, u ngew0hnliche Verl~ufe gibt ; d e r Wissen- schaft erwiichst nur die Forderung, gerade diesen atypischen F~llen nun ein besonders eindringendes Studium zu widmen.

Hiergegen ist jedoch Widerspruch laut geworden. H o c h e hat erst. im vergangenen Jahre auf der Jahresversammlung des deutschen Vereins ffir Psychiatric fiber die Bedeutung der Symptomenkomplexe ein Referat gehalten2), welches sich gegen die Aufstellung von Krank- heitseinheiten innerhalb der ,,funktionellen" Psychosen wendet und dieses Bestreben als ,,die aussichtslose Jagd nach einem Phantom" bezeichnet. In heftigen Worten bekennt sich H o c h e zu einem Stand- punkt, den er selbst als den einer Glaubensfrage, als eine dogmatische Angelegenheit bezeichnet, und dem -- "wie er ebenfalls selbst zugibt -- bei ihm eine pessimistische Stimmung eignet. In der Tat sind seine Bedenken auch keineswegs gegen die Gedankengange K r a e p e l i n s

~) Im Gegensatz zu Bleuler. Dementia praecox, 1911. "-) Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. IK 540. 1912.

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derart gerichtet, dal~ sie logische Fehler an ihnen aufzeigten, vielmehr ist es der ausbleibende Erfolg des yon K r a e p e l i n eingeschlagenen Verfahrens, der H o c h e an diesem Verfahren irregemacht hat ; es ist die ,,dUrchschnittlich verzweiflungsvolle Hilflosigkeit der Prognose", die ihn auf dem beschrittenen Wege als einem ,,Holzwege" einhalten l~ftt. H o c h e verzichtet darauf, neue Einw~nde, neue Beweismittel gegen K r a e p e l i n vorzubringen. Denn wenn er sich z. B. gegen das Bestreben mancher Autoren wendet (Spech t , S t 0 c k e r ) , die nach dem Grundsatz verfahren: weft ich das Symptom a bei dera manisch- depressiven Irresein finde, deshalb ,,gehSren" alle StSrungen mit dem Symptom a z u m manisch-depressiven Irresein, so hat H o c h e allein aus logisch-methodischen Griinden recht, bringt damit aber natiirlich kein Moment gegen die Krankheitseinheitsgesichtspunkte K a hl b a u m s- K r a e p e l i n s vor. Das Positive, das sich in H o c h e s Referat findet, ist der Vorschlag, sich dem Studium gewisser Symptomenkomplexe zuzuwenden. Es gebe ,,vielleicht bei allen psychischen StSrungen Symptomenverkuppelungen", ,,die schon gewissermal~en parat liegen" und als ,,Einheiten zweiter Ordnung" zu bezeichnen seien, ihnen solle die wissenschaftliche Arbeit der Zukunft gewidmet sein. Man sieht ]eichtlich, dal~ H o c h e also etwa wieder auf dem oben kurz angedeuteten Standpunkte Ze l l e r s yore Jahre 1840 steht.

Wenn aber nun eingangs yon einer der neueren Bewegungen in der wissenschaftlichen Psychiatrie als der symptomatologischen Richtung gesprochen wurde, so war damit keineswegs diese Hochesche Riick- kehr zum Symptomenkomplex gemeint. Vielmehr handelt es sich bei ihr um eine besondere Einstellung des wissenschaftlichen Interesses auf das einzelne S y m p ro m. Freilich hatte gerade die Ftille der Sym- ptome schon die vorkraepelinsche Psyehiatrie lebhaft besch~ftigt, eine Periode, aus der etwa Schi i l e und P e l m a n kennen zu lernen unserer Zeit noch vergSnnt war. Jene ,,alten" Psychiater 1) beachteten aber im wesentlichen den I n h a l t der einzelnen geistigen StSrungen, den Inhalt der Funktionen. Man hatte etwa die einzelnen ,,Manien" (im Sinne E s q u i r o l s ) , Erotomanie, Dipsomanie, Pyromanie, Mord- monomanie, Kleptomanie usw. untersucht, oder man hatte sich den einzelnen sexuellen Perversit~ten ( K r a f f t - E b ing) zugewendet, man hat te die Beziehungen bestimmter Wahninhalte zu Gemiitsschwankungen untersucht usw. Die neuere Symptomatologie ist anders orientiert. Sie beachtet, wie erw/i, hnt, nicht so sehr die Inhalte als die Funktion der einzelnen StSrung, doch verfKllt sie dabei keineswegs in die Meinung

1) Kra f f t - Ebing und Schiile gehSren allerdings schon dem t~bergang zu einer neueren Richtung an: beide hatten - - freilieh aus anderen Gesichtspunkten heraus als Krae pe lin - - ihre Aufmerks~mkeit auch sehon der Frage der Krank- heitseinheiten gesehenkt (vgl. Schiiles Handbueh S. 362ff. Leipzig 1878).

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der alten Psychiatrie, in diesen einzelnen abnormen Funktionen nun Krankheitseinheiten vor sich zu haben. Sic verhiilt sich iihnlich dem Arzt, der sich speziell den Problemen der Pathophysiologie, etwa der Untersuchung des Fiebers und seiner Stoffwechselst6rungen zuwendet, ohne dab es ihm einfiele, das Fieber wieder als eine Krankheit an sieh zu betrachten. Niemand wiirde es verstehen, wenn jemand den Glauben h~Ltte, die Zuwendung moderner Kliniker zu den Problemen der Bio- chemic beweise eine Abwendung yon der Anerkennung der gewohnten Krankheitseinheiten: in der Psychiatric hingegen ist diese Behauptung wiederholt zu Unrecht erhoben worden. Es muB mit Nachdruck betont werden, dab die K a h l b a u m - K r a e pe l i nschen Gesichtspunkte noch heute zu vollem Recht bestehenl), sie vermittelten eine Erkenntnis, die sich heu te keineswegs als entbehrlich erwiesen hat -- doch blieben sie eben Gesiehtspunkte zur Ordnung des unendlich vielgestaltigen Stoffes, sie befriedigten denjenigen nicht vollstEndig, der tiefer in den Stoff selbst einzu~lringen wfinscht. Und dieses tiefere Eindringen in das abnorme psychische Geschehen ist das Streben der oben als Sym- ptomatologie 2) bezeichneten jfingeren Richtung psychiatrischer For- schungsts Zu ;diesem Zweck bedient man sich verschiedener, im wesentlichen dreier Wege.

Einmal wendet man sich der einzelnen Funktion zu, indem man ihre L e i s t u n g e n priift. Man nimmt die allm~hlich mehr und mehr verfeinerten Methoden der experimentellen Psychologie auf, soweit sie fiir pathologische Untersuchungsobjekte verwendbar sind, und unter- sucht also hier unter wechselnden Bedingungen streng naeh den Forderungen des naturwissenschaftlichen Experiments die Ergebnisse, die Wirkungen der gesetzten Ursachen. Den Methoden der experi- mentellen Forschung sind freilich nur jene psychischen Vorg~nge zu- gs die ziihl- oder mel3bare Ergebnisse liefern, oder an die sich genau registrierbare Begleiterscheinungen anschliel~en. Nicht wenige Funktionen bleiben dabei ganz aul~er Betracht und bei den anderen, untersuchbaren erfs man fiber das Wesen der Vorg~nge selbst nut etwas, sofena man die S e l b s t b e o b a e h t u n g der Versuchsperson zu Hilfe nimmt, ein Verfahren, welches begreiflicherweise bei abnormen Versuchspersonen schwer durchffihrbar ist.

So sucht man diese Leistungsforschung zweitens zu ergs durch eine U n t e r s u c h u n g d e r F u n k t i o n e n s e l b s t : man treibt, wenn man

1) Und zwar als Gesichtspunkte fiir das Finden yon Krankheitseinheiten, im scheinbaren Gegensatz zu der Meinung Jaspers ' (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 14, 171. 1913), tier sich an der angefiihrten Stelle nur gegen die Krank- heitseinheit als RealitY, t, nicht als gegeben dutch einen Gesichtspunkt wendet (naeh persSnlieher Mitteilung).

2) Man k6nnte etwa auch den Namen Pathopsychologie hieffiir aufnchmen.

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sieh des in der Psyehologie des Normalen heute fiblich werdenden Aus- drueks bedienen will : P h ~ n o m e n o 1 o gi e. Hierbei sueht man nieht wie bei der Psychophysik um die seelisehen Ph~nomene herumzukommen, man bemiiht sich z. B. nicht, Begleitbewegungen irgendweleher Art (Plethysmographie, psychogalvanisehes Reflexph~omen, Schriftunter- suehungen usw.) zu messen, um dadurch gleichsam die zugrunde lie- genden seelischeD Regungen implicite mit zu treffen, sondern man geht auf diese Regungen selbst ein, indem man aus ihrer groBen Mannig- faltigkeit die qualitativ einheitlichen herausgreift und dureh genaueste Beschreibung derart festlegt, wie der Arch~ologe sieh bemfiht, die iiber- lieferten Reste einer vergangenen Kulturepoche zu besehreiben, wie der Botaniker die Arten der Pflanzen schildert, die die Flora eines Land- striehes zusammensetzen. Genau so wie jener areh~ologischen Besehrei- bung keineswegs Theorien der Herstellungstechniken jener Fragmente, Erw~gungen fiber die Motive ihrer Erzeugung, Konstruktionen fiber ihren einstigen Zweck usw. vorausgehen oder ihr beigemiseht werden dfirfen, sondern wie jene Wissenschaft fordert, dab zuerst die reine Deskription zu walten hat, ehe sieh die weiteren Behandlungs- oder Untersuchungsweisen anschliel3en, -- genau so hat die Ph~nomenologie sich frei zu halten von allen Theorien psychologiseher oder gar hirn- physiologischer Art: sie verharrt bei der reinen Be, sehreibung der BewuBtseinsvorg~nge, d. h. dessen, was wirklich im Bewul3tsein vor- handen ist. Diese fast selbstverst~ndlich erscheinende Forderung ist bei der rasehen und zuweilen etwas sprunghaft und unbesonnen fort- sehreitenden Entwicklung der Psychiatrie ernstlich vernachl~ssigt worden. Man bediente sich h~ufig theoretisch gef~rbter Begriffe wie Negativismus, Sperrung usw., hinter denen sich ph~nomenologisch ~iuBerst versehiedenartige Zust~nde verbargen, oder man verwandte schillernde und h6chst unbestimmte Ausdriieke, wie Sinnest~usehungen, hinter denen eine Fiille g~nzlich differenter und sehr wohl analysierbarer Ph~nomene stecken. Diese Wissenschaft der pathologischen Ph~nomene finder ein noeh kaum bebautes weites Gebiet vor sich.

Aber man hat endlieh versucht, noch auf einem dritten Wege Psycho- pathologie zu treiben. Sehon lange bestand das ,,Geheimnis" einflulL reieher Seeleni~rzte und ihrer Behandlung darin, dal3 sie ihre Kranken ,,verstanden", dab sie sieh in den seelischen Zusammenhang der Er- krankten ,,einzufiihlen" versuchten. Schon Zeller schreibt im Jahre 1848: ,,Der Vorwurf der Geheimlehre, welcher der Psyehiatrie noch immer von manchen Seiten gemaeht wird, kann sich deshalb auch nur darauf beziehen, daI3, um in das Geheimnis einer kranken Seele einzu- dringen und eine leitende vernfinftige Gewalt fiber sie zu bekommen, das schleehthin abstrakte wissenschaftliche Interesse nicht ausreieht und eine Hingabe der eigenen Pers6nlichkeit erfordert wird, wie sie nur aus dem

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tiefsten Mitleiden mit diesen Ungliicklichen hervorgehen kann." (Z e I le r, Med. Korrespondenzbl. d. wfirtt. ~rztl. Vereins 18, 11. 1848.)

Und es linden sich schon hier und da Andeutungen, dab die Ent- scheidung, ob eine seelische Beziehung, ein psychischer Zusammenhang ,,verstehbar" sei oder nicht, zum Kriterium der E i n t e i 1 u n g abnormer Zust~nde gemacht werden kSnne. .Was freilich mit diesem ,,Verstehen" eigentlich gemeint ist, was man da eigentlich rut, wenn man es fiir ,,verstKndlich" erkl~rt, da$ ein zurfickgewiesener Liebhaber seine Geliebte erschieBt, dariiber ist sieh die bisherige Psychiatrie wohl noch niemals recht klar geworden, und wie in manchen anderen Fallen mul~te auch in diesem die Anregung v o n d e r Philosophic und Soziologie kommen, um den Naturwissensehaftler zu einer Selbstbesinnung fiber das in praxi hundertf~ltig angewandte Verfahren zu veranlassen. Wenn ein Gutachter z. B. aufgefordert ist, darfiber auszusagen, ob jemand infolge von Geisteskrankheit seine Angelege~heiten nicht zu besorgen vermag, so mu$ er die bisherige Besorgung dieser Angelegenheiten bzw. deren Motive prfifen, und wenn er den Anteil erw~gen will, welchen die normalen und die pathologischen Seelenvorg~nge an den Entschlfissen und Taten des zu Entmfindigenden gehabt haben, so treibt er verste- hende Psychologie. -- Ein k]uger Arzt, der seine Aufgabe nicht allein in der ,,Therapie" erblickt, wird sich bemfihen, zusammen mit dem Kranken zu erw'~gen, wie die Rfieksicht auf das Leiden dem Leidenden doch nicht alle MSglichkeiten der Lebensfreude rauben und wena mSglieh ihn auch seiner ffir die Gesellschaft niitzlichen Arbeit nicht ganz entziehen soll. Dies wird, wenn es sieh um einen psychiatrisehen Fall handelt, der Arzt nur vermOgen, wenn er seinen Kranken ,,versteht", wenn er auf ihn in jeder ~insicht einzu~ehen, in seine PersSnlichkeit sieh einzuffihlen vermag und seine Wertungen kennt. -- Zweifellos ist also diese verstehende, v o n d e r experimentellen Richtung und der kausalen Betraehtung grunds/s v o n d e r phKnomenologisehen Forschung (als ihrer Voraussetzung) praktiseh zu trennende Psychologic fiir die Erfassung und Behandlung des einzelnen Falles von grOl~ter Bedeutung; inwieweit sie die psychiatrische W i s s e n s e h a f t zu fSrdern geeignet ist, ist ein heute noeh viel umstrittenes und keineswegs end- gfiltig gekl~rtes Themal).

Von dieser dreigeteilten Symptomatologie recht verschieden, und doeh wiederum in mannigfachen, methodisch schwer zu entwirrenden Beziehungen zu ihr stehend, stellt sich die zweite eingangs als modern bezeichnete Riehtung in der Psychiatric dar. In sich selbst vielfaeh zerspalten und besonders in den letzten Folgerungen auseinandergehend knfipft sic doch in allem Wesentliche,~ an den Namen S i g m u n d F r e u d s an. Aus dem komplizierten Gewebe seiner Theorien sei hier

1) Hieriiber an anderem Orte.

Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie. 475

nur die Lehre yon der Determiniertheit des Symptoms herausgegriffen. Ganz abgesehen v o n d e r Zusammenordnung der Symptome zu einem Symptomenkomplex, v o n d e r zeitlichen Ordnung der Komplexe zu einer Krankheitseinheit, pflegt der n a t u r wi s s e n s c h a f t 1 i e h e Forscher jedes einzelne Symptom als ein Anzeichen ffir einen vorhergegangenen oder gleichzeitigen Vorgang aufzufassen. Wie der Donner des Gewitters den vorau~gegangenen vielleicht vom Beobachter nieht bemerkten Blitz anzeigt, wie das Welken einer sonst gesunden Pflanze den Wasser- mangel im N~hrboden der Pflanze offenbart, verr~t, ankiindigt, so teilt uns der Husten des Kranken die Tatsache irgend einer Reizung des Atmungsweges oder der Atmungsorgane, die Gelbsueht die Verlegung oder Beeintr~chtigung der Gallenwege oder des Gallenstoffwechsels mit. Der Naturforscher kennt nur diese kausale Auffassung des Sym- ptoms, und wenn er sich im Sprachgebrauch des tSglichen Lebens etwa einmal des Wortes ,,bedeuten" bedient, so meint er damit nur dieses Offenbaren, Anzeigen, Kundtun. ,,Fieber bedeutet eine Infektion": damit ist nur gemeint, dal3 das Fieber die Infektion anzeige. Ja, der Naturwissenschaftler wird sich vielleicht im ersten Augenblick der Uberlegung fragen, was denn ,,Bedeuten" fiberhaupt noch anderes besagen wolle, als eben dieses ,,Anzeigen". Die F r e udsehe Forschungs- richtung faBt die Symptome tines Krankheitsvorganges aber noch in anderer Weise auf. Wenn die Fahne auf dem Residenzschlol3 die An- wesenheit des Staatsoberhauptes verkfindet, anzeigt, so kann sie doch auBerdem noch eine, wie man zu sagen gewohnt ist, ,,tiefere" Bedeutung haben: die Fahne auf dem Sehlo~ kann ffir jemand zum Symbol der Herrschergewalt, sie kann zum anschaulichen Ausdruck eirer un- ansehaulichen Idee werden. Und diese Auffassung des Symptoms als eines Symbols, die Frage, was denn ein Symptom be de u re , a u sd r f i e k e n wolle, was ffir ein S i n n sich unter dieser Veranschaulichung berge, das ist die Hauptfrage derjenigen psychopathologischen Ansehauungsweisen, die an den Namen F r e u d s gekniipft sind. F r e u d ist sich fiber diesen eingreifenden Unterschied beider Auffassungen klar, er trifft z .B. aus- drficklieh in dem folgenden Vergleieh das Symbblische an den Symptomen, wenn er sagtl): ,,Auch die Denkm~ler und Monumente, mit denen wir unsere groBen St~,dte zieren, sind solehe Erinnerungssymbole." Aus diesem Vergleich, so wie ihn F r e u d offenbar meint, l ~ t sieh logiseh etwas ableiten: es erhellt ohne weiteres, dal~ nieht ei n Denkmal sehlecht- weg (die Abstraktion ,,Denkmal") ein Symbol sein kann, sondern nur dieses bestimmte Denkmal kann jenes Bestimmte symbolisieren, z. B. eine auf ruhendem Stier gelagerte Frau das stille und ein felsblock- sehleudernder Centaur das bewegte Meer. So interessiert sich F r e u d ~nd seine Sehule fiir die symbolische Bedeutung eines b e s t i m rote

1) ~ber Psychoanalyse 1910, 10. Z. f. d. g. Neut. u. Psych. O. XVL 31

476 H .W. Gruhle:

Symptoms, d. h. des speziellen I n h a l t s eines Symptoms. Er forscht, wie schon angedeutet wurde, nicht nach der Bedeutsamkeit z. B. von L~hmungen, sondern nach dem verborgenen aber aufzufindenden Sinn einer b e s t i m m t e n L~hmung. Ein Symptom, so lautete schon 1893 seine Lehre, sei ,,dureh die Vera,flassung in vSllig klarer Weise determi- niert". Er hatte mit B r e u e r zusammen ,,gefunden", dab die ver- schiedensten oft jahrelang dauernden StSrungen der Neurotiker und Hysteriker -- um diese handelt es sich hier in erster Linie -- z. B. Contraeturen, L~hmungen, Anf~lle, Erbrechen, Nahrungsverweigerung, SehstSrungen -- auf die veranlassenden Ursachen derart zurfiekzuffihreu seien, dab diese Ursachen den I n h a l t des Symptoms bestimmten.

Was heiBt aber nun ,,bestimmen, determinieren"? Es wurde sehon angedeutet, dab es sich keineswegs n u r u m eine symbolische Ausdeutung des Symptoms handle. Vielmehr steht F r e u d den fiblichen Ansichten des Naturwissenschaftlers noch recht nahe, wenn er lehrt: sind mehrere Erlebnisfragmente rein zeitlich (oder kausal) oder 5rtlich aneinander gebunden (assoziiert) gewesen, so kann das Wissen yon dieser seiner- zeitigen Vereinheitlichung in ei ne m Erlebnis, kann eben diese Einheits- beziehung dem Ged~chtnis verloren gehen, und nur einige von diesen Assoziationen bleiben miteinander dauernd verknfipft. Z. B. leide eine Frau an einem Tic, einer Art Zungen~chnalzen. Es ste]lt sich bei geeigneter Nachforsehung heraus, dab die Kranke einst ihr sehwer krankes Kind pflegte; es war glfieklieh eingesehlafen, und die Mutter war ~ngstlich darauf bedacht, sich ruhig zu verhalten, um das Kind nicht zu wecken. Trotz dieses Vorsatzes ( F r e u d - B r e u e r 1893 sagen ,,infolge") machte sic ein schnalzendes Ger~useh mit der Zunge, und dies wiederholte sich sparer noehmals bei ~hnlieher Gelegenheit. Die Folge war, dab dieses Schnalzen als ein Tic dureh viele Jahre jede Auf- regung begleitete. - - Man sieht also leieht, dab sich die Freudianer nieht mit der Frage beseh~ftigen, warum diese Kranke immer bei Aufregungen einen Tie bekommt, auch nieht mit der anderu, warum sie wohl bei einem Vorsatz gerade das Gegenteil rut, sondern sic inter- essieren sich fiir die spezielle Anfifllung, F~rbung, den besonderen Inhal t dieses Symptoms. Ja man mfiBte eigentlich noch eine weitere Forschung danach erwarten, warum jene Frau in dem Bestreben ruhig zu sein grade mit der Zunge geschnalzt und nieht etwa mit der Faust auf den Tiseh gesehlagen habe. - - Die Beispiele lieBen sich zu tausenden h~ufen, das hier herausgegriffene ist ein besonders einfaeh gelagerter Tall. Er ist deshalb einfaeh, weil das Zungenschnalzen mit dem Affekt der schweren Erkrankung des Kindes einfach zeitlieh assoziiert war, und nur die Assoziationen der Erkrankung des Kindes in dieser Verkettung dem Ged~chtnis entschwanden, w~hrend die Verbindung Zungen- schnalzen-Aufregung erhalten blieb. Auf der Behauptung einer solehen

Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie. 477

assoziativen Verbindung zwischen Symptom und erzeugendem Trauma beruht die ganze Freudsche Anschauungsweise. Abet es braucht keineswegs eine solche direkte assoziative Beziehung zwischen 2 Gliedern eines zeitlich einheitlichen Erlebnisses vorzuliegen. F r e u d sagt selbst:

,,Die Assoziationskette besteht immer aus mehr als 2 Gliedern, die traumatischen Szenen bilden nicht etwa einfache, perlschnurartige Rei- hen, sondern verzweigte, stammbaumartige Zusammenhs indem bei einem neuen Erlebnis zwei und mehr frtihere als Erinnerungen zur Wirkung kommen; kurz, die Aufl6sung eines einzelnen Symptoms mitteilen, fiillt eigentlich zusammen mit der Aufgabe, eine Kranken- geschichte vollsts darzustellen"l). Und an anderer Stelle2):

,,Wenn man yon einem Falle ausgeht, der mehrere Symptome bietet, so gelangt man mittels der Analyse von jedem Symptom aus zu einer Reihe yon Erlebnissen, deren Erinnerungen in der Assoziation mit- einander verkettet sind. Die einzelnen Erinnerungsketten verlaufen zuns distinkt voneinander nach riickws sind aber, wie bereits erw~ihnt, verzweigt; yon einer Szene aus sind gleichzeitig zwei oder mehr Erinnerungen erreicht, yon denen nun Seitenketten ausgehen, deren einzelne Glieder wieder mit Gliedern der Hauptkette assoziativ verkniipft sein mSgen."

Die Art dieser assoziativen Verkniipfung ist aber ~ul~erst ver- schieden. Da kommen einmal alle die sog. zufiilligen Beziehungen in Betracht: gleieher Ort, gleiche Zeit, Sukzession; ferner jene Verbin- dungen, die damals vielleicht nut als sukzessive erlebt, sps als kausale aufgefal~t wurden; endlich alle jene so s komplizierten sinnhaften Bindungen. Man mfiBte alle Beziehungen aufz~ihlen, die fiberhaupt denkbar sind, wenn man dem Reichtum assoziativer Verkntipfung gerecht werden wollte, der sich in den von F r e u d ,,gefundenen" Asso- ziationsreihen offenbart.

Diese VorsteUungsketten kSnnen nun individuell sehr verschieden sein. F r e u d meint ausdriicklich, er sei darauf gefal~t, dab derselbe Inhalt ,,bei verschiedenen Personen und in verschiedenem Zusammen- hang aueh einen anderen Sinn verbergen mag"a). Es gebe aber t y - pische Abls und deren Kenntnis erleichtere dann sehr die Auf- findung der ganzen Kette und des schlieBlichen Zusammenhangs. SchloB sich z. B. an ein unlustbetontes Erlebnis seel ischer Schmerz an, so kann dieser in k S r p e r l i c h e n iiberfiihrt werden, bestand mora l i sche Abscheu, so verwandelt sie sich in kS rpe r l i chen Ekel mit Erbrechen l l S V ~ r .

1) Zur J~tiologie der Hysterie 1896. Sammlung zur Neurosenlehre. '2. Aufl. 1911. S. 153.

3) Ebend~ 154. a) Die Traumdeutung 2. Aufl. 74. Wien 1909. a) Ebenda 170.

31"

478 H.W. Oruhle:

Bei dieser hi~ufig vorkommenden Determinierung ist also eine bedeutungsmgBige und gleichzeitig bedeutungsvolle Beziehtmg wirksam geworden. Eine U~bersetzung, 13bertragung, Symbolisierung hat ein- gesetzt. Der Inhalt des Symptoms ist nicht so, wie er vorliegt, ursprring- lich an das verderbliehe seelische Trauma geknfipft gewesen (wie in dem obigen Beispiel vom Zungenschnalzen), sondern man muB dieses Sym- ptom erst gleichsam in die richtige Sprache ribersetzen; erst dann stSBt man ~uf den ursprringlich aktuellen Inhalt. Man mul~ gleichsam ein Vokabulaire, ein Lexikon der mSglichen und der hgufigen Bedeutungs- beziehungen zu Hilfe nehmen. Dies herzustellen, ist wirklich yon Freu- dianern schon erwogen worden. Es gibt niimlich eine grol~e Anzahl yon Symptomen, die keine frir das Individuum spez ie l le Bedeutung haben, sondern nach der a l l g e m e i n e n Erfahrung i m m e r wieder dasselbe zu symbolisieren pflegen. F r e u d glaubtl):

,,DAB wit bei der Analyse der Tr~ume gefunden haben, das Unbe- wuf3te bediene sich, insbesondere fiir die Darstellung sexueller Kom- plexe, einer gewissen Symbolik, die zum Tell individuell variabel, zum anderen Tell abet typisch festgelegt ist, und die sich mit der Symbolik zu deckeR scheint, die wir hinter unseren Mythen und Mi~rchen ver- muteR."

Um nur weniges als Beispiel zu nennen: ,,viele fremde Leute" oder ,,die ganze Familie" bedeuten immer ,,GeheiiRnis"2), ,,Kaiser und Kaiserin" sind die Eltern des Trgumers, ein ,,Prinz" der Tri~umer selbst; Dosen, Schachteln, K~sten, Schrgnke, 0fen entsprechen dem weiblichen KOrpera); ,,Zimmer" sind zumeist Frauenzimmer; WageR, von denen jeder mit einem anderen Gemiise gefiillt ist, bedeuten ,,Kraut und Riiben", also Unordnung usw.

Mit den neurotisch-hysterischen Symptomen verhi~lt es sich nun durchaus nicht anders, als mit den manifesten Trauminhalten. Der Mechanismus ist auBerordentlich ghnlich, ]a in maRcheR Teller gleich. Wie ,,jeder Traum ein sinnvolles, psyehisches Gebilde ''a) ist, wie er sich abet aus zahllosen einzelnen Stricken zusammensetzt, die ganz en detail 5) gedeutet werden mrissen, so gilt das gleiche vom neurotischen Symptom. Die Technik der Analyse der Triiume ,,fi~llt zusammen" mit der Technik der Psychoanalyse, d. h. der Aufdeckung des Sinnes und der Beseitigung der hysterischen SymptomeO). Daher studieren wir gleiehzeitig diese, wenn wir hinter den Mechanismus der Trgume kommen.

1) ~ber Psycho~nalyse 37. 1910. 3) Die Traumdeutung 2. Aufl. 173. Wien 1909. a) Ebenda 200. 4) Ebenda 1. 5) Ebenda 73. 6) ~ber Psychoanalyse 35. 1910.

Die Bedoutung des Symptoms in der Psychiatrie. 479

So sinnlos der Traum, wie ihn jeder von sich selbst zu erinnern vermag, oft ist, so sinnvoll wird er dutch Verwandlung des manifesten Trauminhalts in den latenten, in die Traumgedanken : ,,Traumgedanken und Trauminhalt liegen vor uns wie 2 Darstellungen desselben/_nhalts in 2 verschiedenen Spraehen, oder besser gesagt, der Trauminhalt er- scheint uns als eine Ubertragung der Traumgedanken in eine andere Ausdrucksweise, deren Zeichen und Fiigungsgesetze wir durch die Vergleichung yon Original und Ubersetzung kennen lernen sol len. . . Der Trauminhalt ist gleichsam in einer Bildersehrift gegeben, deren Zeiehen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu iibertragen s ind . . . Ein solches Bilderr~tsel ist nun der Traum, und unsere Vorg~nger ~uf dem Gebiete der Traumdeutung haben den Fehler beg~ngen, den Rebus als zeichnerische Komposition zu beurteflen. Als solehe erschien er ihnen unsinnig und wertlos"l). Nur um die Schwierigkeit der Deutung des einzelnen Trauminhalts, des einzelnen hysterisehen Symptoms zu beriihren, set hicr erw~hnt, dab es in jedem einzelnen Fall fraglich ist, ob es

,,a) im positiven oder negativen Sinne genommen werden sell (Gegen- satzrelation) ;

b) historisch zu deuten ist (als Reminiszenz); c) symbolisch, oder ob d) seine Verwertung veto Wortlaute ausgehen sell2) ''.

SchlieBlich aber gelingt es dem kundigen Analytiker, die Reihe auf- zuzeigen, die yon dem Symptom zu dem Traum~ fiihrt, und da stellt sich heraus, daB das Trauma meist oder immer in die Ki ndhe i t f~llt, dab es sieh um sexue l l e Szenen handelt, und dab bet seiner sp~teren Auswirkung W u n s e h e r f i i l l u n g e n ausschlaggebend beteiligt sind. Die Theorie aller psychoneurotischen Symptome gipfelt in dem einen Satze, daB sie als Wunscherfiillungen des UnbewuBten aufgefaBt werden miissen; doch ist das Symptom nicht bloB der Ausdruck eines in ihm reahsierten unbewuBten Wunsches: es muB noch ein Wunsch aus dem VorbewuBten dazukommen, der sich durch das n~mhche Symptom erfiillt, so dab dieses mindestens zweifach determiniert wird, je einmal yon einem der im Konflikt befindlichen Systeme hera).

Es sollen hier nicht die psychologischen Theorien F reuds , seine Meinung veto Wesen des Traumas, yon der kindliehen Sexualiti~t usw. untersucht werden, hier entsteht nut die allgemeine Frage: was ver- s t e h t F r e u d u n t e r e inem Symbo l? Wie v e r h a l t e n sich logisch S y m p t o m und S y m b o l z u e i n a n d e r ? Aus der Hauptfrage des

1) Aus Fre ud, Nachweis der Stelle verloren gegangen. 2) Die Traumdeutung 2. Aufl. 245. Auf clio Technik der Psyohoan~lyse ist

hier als aul3erhalb des Themas nieht einzugehen. a) Dieser Satz ist fast wSrtlich Fre udsTraumdeutung 350 und351 entnommen.

480 tI. W. Gruhle:

vorliegenden methodologischen Themas: welche Stellung nehmen die Symptome bei der wissensehaftliehen Bearbeitung ein, in weleher Weise geht diese Bearbeitung mit ihnen um? - - ergibt sieh die spezielle Frage : welche Rolle spielen die Symptome in der Bearbeitung F r e u d s ?

Man hat wiederholt eingewendet, dab es zuviel verlangt sei, wenn man von F r e u d s intuitiver Deutungskunst wissenschaftliche Klarheit fordere, man diirfe an ein kiinstlerisehes Verfahren keine wissenschaft- lichen Ma~st~be legenl), doch ist es sehr fraglich, ob F r e u d selbst dieser Auffassung zust immen wiirde ; er betont wenigstens vielfaeh die Wissen- schaftlichkeit seines Systems. Und solange er nicht selbst ausdriieklich erkl~rt, dal3 seine Theorien eine Geheimlehre seien, nur dem Eingeweihten versthndlich2), zwingt er die iibrige Wissenschaft, ihre allgemein giiltigen Begriffe und Methoden der Ordnung aueh auf seine Lehren anzuwenden.

Sind also F r e u d s Symptome i m m e r Symbole oder nur zuweilen, und was versteht er unter Symbolen ? Die Frage ist aus verschiedenen Griinden sehwierig zu beantworten. Abgesehen v o n d e r Entwicklung, die seine Lehre in den 20 Jahren ihres Bestehens genommen hat, findet sieh auch in den neuesten Schriften nirgends eine klare l~bersicht, ein sorgf~ltiger GrundriB, nirgends auch die Behandlung einer sorgsam aus dem iibrigen herausgesch~lten Spezialfrage. Man ist vielmehr ge- zwungen, aus vielfach weehselnden empirisch beladenen S~tzen All- gemeineres zu abstrahieren. Man bleibt dabei oft ungewi~, ob man wohl F r e u d dabei recht verstehe, doch wird er mSgliche Mil3verst~ndnisse niemandem veriibeln diirfen, da er sieh selbst der Aufgabe einer syste- matisehen Darlegung seiner Theorie bisher 20 Jahre lang entzog.

Das Symptom ist fiir F r e ud , wie fiir jeden Untersucher, ein Zeichen, dab bei dem Kranken eben etwas krank ist, dal3 d a etwas Abnormes vorgeht usw. Doch ist es fiir F r e u d m e h r , es ist n~mlich durch seinen besonderen Inhal t ein Hinweis auf eine besondere Entstehungsweise.

1) Lewandowsky (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. Ref. 6, 833. 1913) irrt freilich, wenn er fordert, die Freudsche Theorie ,,an der Hand konkreter Beispiele" naehzupriifen. Die Beispiele, d. h. das empirische Material, sind das erste, Gegebene. Die Bearbeitung dieses Materials ergibt die Theorie, und die Kritik dieser Theorie kann zwar naeh versehiedenen iibergeordneten Gesichts- punkten orientiert sein, mul~ aber s te ts untersuehen, inwieweit die Theorie den allgemeinen Forderungen der Klarheit, Folgeriehtigkeit usw. genfigt.

2) Ble uler wirft Kronfe ld nieht mit Reeht vor (Archiv f. d. ges. Psychol. ~3. 488. 1912), er habe sieh die Fre udschen Ansiehten nieht ,,klar gemaeht". Liegt es nieht vie]leich$ an der Dar legung dieser Ansiehten, daI~ sie einem ,,Uneinge- weihten" verworren erscheinen miissen nnd sich fiir eine Klarlegung sehr sehwer zug~nglich erweisen ? Lieg~ es nieht vielleieht aueh an Bleulers Fo rmul i e rung , wenn er sieh beklagt, er kSnne nur ausnahmsweise etwas yon dem untersehreiben, was als seine Ansieht hingestellt werde. Wenn Ble uler endlieh sich dagegen wehrt, dab man sieh hinter seinen Worten ,,etwas Beliebiges" vorstelle, - - liegt nicht aueh diese MSgliehkeit an der F a s s u n g seiner Gedanken ?

Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie. 481

Auch hierin unterscheidet er sieh kaum von anderen Forsehern. Denn ebenso wie die StOrung des Stoffwechsels eines Organs durch das Vor- handensein eines bestimmten Stoffes auf eine bestimmte Ursache bezogen werden kann, geradeso kann auch ein inhaltlich bestimmtes psychisches Symptom auf eine spezielle Ursache hinweisen. Die Par- allele mit den Verfahrungsweisen der somatischen Medizin hSrt aber auf dureh die Feststellung, dal~ ja die moisten psychisehen Symptome i n d i v i d u e l l v e r s c h i e d e n ausgedeutet werden miissen. Und zwar sind sie versehieden zu beurteilen nicht etwa in ihrer Beziehung zu den andern Symptomen innerhalb eines Komplexes - - etwa nach dem Sche- ma, wenn ~ neben b vorkommt, bedeutet es etwas anderes, als wenn a neben e vorkommt 1) - - , sondern sie sind an s ieh trotz ihres gleieh- artigen Inhalts doch versehieden durch die Ursache und den Weg ihrer Determinierung. Was das Symptom also anzeigt, karm ich ihm auch als Kundiger nicht (odor nur in den wenigen F~Ilen t y p i s c h e r Symbolisierung) ansehen: ieh erfahre das erst auf einem Wege, den ieh ausw~hle aus den von dem Kranken vorgeschlagenen mSglichen Wegen. Aus der Zusammenarbeit yon Kxankem und Arzt entsteht die Kette, die Symptom und Wunsch bzw. Trauma verbindet~).

Was ist dies aber fiir eine Ket te ? Sicherlich keine Kaus~lkette. Denn wenn eine Person der Aufgabe, frei weiter zu assoziieren, geniigt, und Assoziation an Assoziation reiht, dann kSnnte man hierbei allenfalls yon einer Kausalkette redena). Wenn aber der Analysierende nun w~h- lend und formend, dr~ngend und hindernd in diesen psychischen Ablauf eingreift4), w e n n e r dabei assozi~tive Zusammenh~nge vorzieht, die bedeutungsm~l~ig sind, w e n n e r in fremde Sprachen iibersetzt, klang- lieh weiterleitet, Wortwitze verwertet, Zahlen umstellt usw. usw. - - in welcher ,,Beziehung" steht dann noch Anfang und Endglied ? Wofiir ist ihm das Symptom inhaltlich dalm noch ein Anzeichen ?

F r e u d seheint Symptom und Symbol 5fter weehselweise zu ge- brauchen. Wenn man daraus sehliel~en darf, dal3 j ed e s Symptom ein Symbol seiS), so ergibt sieh die weitere Frage, was v e r s t e h t F r e u d u n t e r e i n e m S y m b o l ? Da keine allgemein anerkannte Vereinbarung

1) Selbst hierfiir lie~en sich noch Analoga in der Naturwissenschaft linden. 2) Es ist an dieser Stelle der Ausfiihrungen gleichgiiltig, dutch welche rich-

tunggebende Momente die Mitarbeit des analysierenden Arztes bestimmt ist. 3) Dutch Ubernahme des Wortes Kausalit~t auf dus intrapsychische Aus-

einanderhervorgehen; freilich wird dabei jede sinnhafte, bedeutungsm~l~ige Be- ziehung absichtlich iibersehen.

4) ,,Gleichsam das Erz, dem der Psychoanalytiker mit Hilfe von einfachen Deutungskiinsten seinen Gehalt an wertvollem Met~ll entzieht." (Fro ud, ~ber Psychoanalyse 1910. 31.)

~) Obwohl nach den oben (S. 7) wiedergegebenen 4 DeutungsmSgliohkeiten die symbolische Deutung nur eine unter den 4 ist.

482 H.W. Gruhle:

dariiber besteht, wofiir denn das Wort ,,Symbol" verwendet werden soll, so steht es jedem naturgemiil~ frei, das Wort in der ihm passend erseheinenden Weise zu benutzen. Es handelt sieh hier also keineswegs darum, zu priifen, ob F r e u d s Symbolbegriff mit dem Begriff anderer Autoren iibereinstimmt, sondern es soll lediglieh der Versuch gemacht werden, F r euds Symbolbegriff zu begreifen.

1. Man gewinnt aus der Lektfire seiner Schriften zuweilen den Eindruek, dab F r e u d den Begriff im weitesten Sinne derart verwendet, dal~ Symbol jedes Anzeiehen genamlt wird, gleichgiiltig ob es einen ,,zuf~lligen", kausalen, einfiihlbaren oder bedeutungsm~il~igen Zusammen- hang verr~t. In diesem Falle bediirfte die Fre udsche Symbolbedeutung keiner weiteren ErSrterung, denn es l~ge darm eben keine bestimmte Symbolbedeutung (im iiblichen Sprachgebrauch), sondern nur eine allerallgemeinste Beziehungsankiindigung vor.

2. Oder Freud faint ,,Symbol" als Anzeichen eines s i n n h a f t e n , bedeutungsm~l~igen Zusammenhangs, d. h. jedes Symptom w~re daml das Anzeiehen eines solehen. In der Tat kann das kaum der Fall sein, derm die Voraussetzung w~re dann eben das V o r h a n d e n s e i n einer solchen Beziehung b e i m K r a n k e n. Es karm doeh kein Sym- ptom auf ein Erlebnis sinnhaft bezogen werden, wenn der Kranke erkl~rt, er habe diesen Sinn nie vollzogen, er lehne ihn ab. Wenn man das Verstehen eines Sinnes (bei einem anderen) als ,,Ein- fiihlung" bezeichnet, so bedeutet dies doeh eben Einfiihlung, d. h. das Hineinversetzen in einen Zusammenhang, der vorhanden ist, auch wenn er vorher nicht bemerkt, nicht beachtet zu sein braucht. Wenn bei einem Kranken zwei psychische Vorg~nge auseinander folgen, oder an eine seelisehe Regung sich eine Handlung anschliel~t, so werde ich diesen Zusammenhang doch nur dann ,,verstehen" kSnnen, wenn ihn der Kranke se lbs t versteht. Erkl~rt ihn ein Kranker selbst fiir unversthndlich, d. h. versichert er, es sei ihm selber vSllig unbegreiflieh, wie er zu jener Handlung komme, er stiinde dem Geschehenen ratlos gegeniiber, so werden wir diese Handlung vielleicht kausal auf irgend etwas zuriickfiihren kSnnen, wit werden auch etwa auf Grund unserer allgemeinen Erfahrung sagen kSnnen: solche motivlosen Handlungen kommen bei dieser und jener Krankheit vor - - wit werden die Tat aber eben niemals , , v e r s t e h e n " kSmmn. Vor allem miil~te diese Erw~gtmg aber auf den Fall einer Neurose oder Hysteric zutreffen, wo ja die eigene Einfiihlungsf~higkeit des Kranken - - werm dieser Ausdruck gestatter ist - - keineswegs Not gelitten hat. - - In anderen Worten: Wenn ich zwischen Symptom und Trauma (Wunsch) einen Zusammenhang derart ,,finde", dal~ das Symptom ein Symbol fiir den Wunsch darstellt durch eine Vertretung, in die ieh mich einfiihlen kann, so mul~ sich der Kranke in diese vorgeschlagene Vertretung, diese Sym-

Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie. 483

bolisierung doch ebenfalls einfiihlen k6nnen, er mul~ diese besondere Beziehungsetzung, sobald er darauf aufmerksam gemacht wird, mit- und naeherleben kSnnen, selbst wenn er sie anfangs gar nicht gekannt, will sagen nicht beachtet hat. Was also dem Arzt in diesem Sinne ein Symbol ist, muI~ es fiir den Kranken auch sein. Aber gerade dies trifft bei F r e u d nieht zu: ,,Der Tr~umer erkennt darm den Sinn seiner Tr~ume ebensowenig wie der Hysterisehe die Beziehung und Bedeutung seiner Symptome"l). Ja selbst wenn ihm F r e u d diesen Sinn aufzeigt, ist der Kranke oft keineswegs einverstanden, sondern straubt sieh da- gegen (,,Widerstand").

Die Folgerung erscheint also geboten: F r e u d kann ,,Symbol" vielleieht gelegentlich einmal im Sinne eines ,,Anzeichens fiir einen einfiihlbaren Zusammenhang" meinen, keineswegs deeken sieh abet beide Begriffe bei ihm.

So bleibt noch iibrig, da$ F r e u d aus der Sphare der sinnhaften Beziehungen die logische, die bedeutungsm~l~ige Beziehung als Kenn- zeiehen seines Symbolbegriffs herausgreift, dab er sich also derjenigen Symbolbedeutung anschlieSt, die als die meistiibliche bezeichnet werden k0nnte. - - Fiir irgendwelche Einheiten des Erlebens, seien es 5rtlieh, zeitlich oder irgendwie dutch Bedeutung oder Stimmung einheitliehe Erlebnisse (Komplexe), pflegt man im Lauf des Lebens Zeiehen an- zusammeh% die diese Erlebnisse ,,bedeuten". Jeder hat eine groSe Zahl soleher individuellen Symbole, und werm etwa zwei Menschen ein Erlebnis miteinander geteilt haben und nach langer Zwisehenzeit wieder zusammenkommen und der eine erinnert den anderen: ,,Denkst du noch an die Trauben in Malcesine", so beriihrt er mit dieser Einzel- heit des Erlebnisses dessen Totalit~t, die Einzelheit wird zum Symbol des Ganzen, im einzelnen ist das Ganze ,,gemeint", das einzelne be- deutet das Ganze. Solehe ,,Erinnerungssymbole" kann alas Individuum fiir sieh, kann eine Gruppe, kann die Masse der Mensehen fiir alle auf- stellen (Denkm~ler). Aber es lassen sich noeh viele andere Arten be- deutungsmKl~iger Symbole aufzeigen. Von der Spraehe und den Schrift- zeiehen ganz abgesehen haben ungez~hlte Gruppen yon Mensehen fiir ihren Bedarf sieh solehe Symbole gesehaffen, die auf Grund sehr ver- schiedenartiger Genesen und oft aus reinem Ubereinkommen heraus dies und jenes bedeuten. Hierher gehSrt vor allem die Menge der Sym- bole, die an Geltungen erinnern und Vorsehriften kundtun~). Und an- dererseits lassen sich nach anderem Gesiehtspunkte jene Symbole, die auf Grund der allgemein verbreiteten Kenntnisse (Assoziationsreihen)

1) Freud, Ubor Psyohoanalyse 35. 1910. 3) Um nur wenige zu nennen: das Bild des Hemmschuhs an der steilen StraBe

fiir den Fuhrmann, das Bild des Blitzes an den Masten der Starkstromleitungen, die gelbe Tafel mit den 3 sehwarzen Kreisen fiir den Automobi]isten.

484 H.W. Gruhle:

dem durchschnittlichen Menschen rational verst~ndlich, logisch simlvoll erscheinen (echte Symbole)l), yon denen unterscheiden, denen die ,,innere" Bedeutsamkeit fehlt und denen nut ein ~uBerer, unverst~nd- licher rein konventionsmEBiger Sinn anhaftet2). Alle diese Momente k6nnen hier naturgemEB nur aufs kiiizeste gestreift werden. Was aber allen diesen versehiedenartigen Symbolen fiir den sie erlebenden Menschen gemeinsam ist, ist das Bewul]tsein einer bestimmten Bedeutsamkeit, das Wissen um den rationalen Sinn. Trauben und Ahren werden fiir den Beschauer eist in dem Augenblick zum Symbol, in dem er mit ihnen , ,Fruchtbarkeit" verbindet, vorher bleiben sie weiter niehts als Trauben und Ahren. Freilich ist fiir unendlich viele Symbole die Ein- sicht in ihre G e n e s e verloren gegangen bzw. nur bei wenigen Kundigen erhalten geblieben, und auch bei dem Erinnerungssymbol eines p e r - s S n l i c h e n Erlebnisses gesehieht es nicht selten, dab die Kenntnis verschwindet, wie gerade diese Einzelheit zum Symbol fiir das Ganze wurde3). Das BewuBtsein der Bedeutung selbst ist jedoch ex definitione das Kennzeichen fiir das Symbolerlebnis, mag nun der logisehe Sinn des Zusammenhangs mit erlebt weiden oder nieht.

Ist nun dbs Symptom in diesem Sinne ein Symbol ? Fiir den Kranken zweifellos nicht, denn ibm ist jb diese Bedeutung eben nicht bewut~t, ja er str~ubt sich gegen die bufgezeigte Bedeutung. Also karat das Symptom nur dem kundigen Anblytiker ein Symbol sein, wenn ande~s es iiberhbupt ein solches in dem eben besprochenen Sinne ist. Aber es muB naturgem~B etwas Bestimmtes symbolisieren, es kbnn nicht nur a) e i n e n Wunsch bzw. die Tatsache e i n e s infantilen Sexualtrbumas, wie F r e u d meint, anzeigen. In der Tat trifft dies nun fiir eine Anzahl F~lle zu. Alle oben erw~hnten ,,typisch festgelegten" Symbole bedeuten das gleiehe; das Symptom, der Tmuminbalt ,,Wagen mit verschiedenem Gemiise" brbueht nur vorhanden zu sein, um dem Kundigen 5) ,,Un- ordnung" zu bedeuten. Und in jenem Ausbau der Freudischen Lehren, die durch die Ziiricher Richtung unternommen wurde (in den Komplex- theorien), spieten diese typischen Symbole eine groBe Rolle: B l e u l e r brachte es, wie er sbgt6), fertig, ,,bUS den Schriften und bus einem Krankheitssymptom eines bedeutenden D i c h t e r s . . . die Trennung~

1) Kultsymbole z. B. 2) Fahne des Militars z. B. = Ehre. a) Ein besonders treffendes Beispiel hierffir sind die Spitznamen, deren Genese

sich oft nieht mehr feststellen lallt. 4) Unter der Voraussetzung, dab diese Meinung richtig ware. 5) Hier ware natiirlieh noch die Frage zu erSr~ern, woher hat der ,,Kundige"

seine Kenntnis, aber diese wie zahlreiche andere tiefer fiihrende Probleme sollen in dieser ,,t)bersicht" unerSrtert bleiben.

6) Jahrbueh fiir psyehoanalytische und psychopathologisehe Forsehungen 2, 658. 1910.

Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie. 485

desselben von seiner Frau prophezeien" zu kSnnen, und zwar zu einer Zeit, als weder der betreffende, noch irgend jemand anders daran dachte, u s w . - Anders steht es mit den individuell determinierten Sym- ptomen. Hier sight auch der Kundige dem Symptom die Bedeutung nieht an, er mug sie erst suchen. In der Tat bedeutet ihm hier also das Symptom von vornherein n i c h t s Bestimmtes. Erst dureh riickl~ufige Aufdeckung der Mechanismen (,,mittels Verdichtung, Kompromifi- bildung, iiber oberfl~chliche Assoziationen, unter Deckung der Wider- sprfiehe, ev. auf dem Wege der Regression") 1) wghlt der Analytiker aus der Fiille der mSgliehen Beziehungen die ihm endgiiltig richtig und letztlich erscheinende aus. In dem hier gemeinten Sinne kSnnte also das individuelle Symptom n i e h t als Symbol bezeichnet werden, - - wenn es in seiner Figuration keinen Hinweis tr~gt, welcher zum min- desten etwas Bestimmtes a ndeutet, wenn nicht bedeutet . Das scheint nach F r e ud allerdings zuweilen der Fall zu sein. Denn an der ,,Ersatz- bildung fiir die Verdr~ngte Idee ''~-) ist ,,ein Rest von irgendwie ver- mittelter Xhnliehkeit mit der urspriinglich verdr~ngten Idee zu kon- statieren"a) ; freilich meint F r e u d an gleicher Stelle4), dab diese Ersatz- bildung entstellt und u n k e n n t l i e h gemacht ist. Im letzteren Falle liegt also k e i n e Symbolisierung vor, denn niemals hat jemand dieses Bedeutungserlebnis erlebt, sondern der Analytiker schafft, er dekretiert erst diese sog. Symbolik; er verkfindet: in diesem Symptom ist jener Wunsch gemeint. Erst nachdem er beschlossen hat, dieses Symptom solle jenes bedeuten, ,,finder" er, dal~ jenes in diesem gemeint ist, obwohl der Analysierte oft versichert, er habe es keineswegs gemeint. Dem Analysierten wird es verwiesen, sich zu str~uben: er habe es d o eh gemeint, auch wenn er nichts davon wisse. Ist jemand der Ansicht, dal] es dieses unbewui~te Bedeuten, dieses nicht intendielte ,,Meinen" nicht gibt, da~ es eine contradictio in adjekto ist, eine solche night gemeinte Meinung, nichts bedeutende Bedeutung aufzustellen, so schlggt ibm bier wieder der Symbolbegriff in den Begriff des reinen Anzeichens urn: das Symptom wird ihm hier nur zum Anzeichen irgendeines Zu- sammenhangs im Sinne des oben erSI+certen Punktes 1.

Es ergibt sich: es erscheint unmOglich, aus F r e u d s Ausfiihrungen eine klare Meinung dariiber zu gewinnen, wie er den Symbolbegriff anfiillt; bald scheint ihm ein Symptom (kausal) ein Anzeichen fiir frfi- here Gesehehnisse, fiir friihere Wiinsche zu sein, bald scheint es solche zu bedeuten; selten auch ist es wohl ein Merkmal fiir das Bestehen eines einfiihlbaren Zusammenhangs. Naeh den nGuesten Nuancen der

1) Freud, Die Traumdeutung 2. Aufl. 370. Wien 1909. 3) Freud, (~ber Psychoanalyse 1910. 25. a) Ebenda 25. 4) Ebenda 25.

486 H .W. Gruhle: Die Bedeutung des Symptoms in der Psychiatrie.

Freudischen Lehre scheint das Traum~ mitsamt dem Wunsche nicht mehr die Tatsache, sondern nur den Inhalt des Symptoms zu bestimmen, auch treten dispositionelle Momente determinierend hinzu, das eine aber unterscheidet grundsi~tzlich die Auffassung des Symptoms im Kreise der Freudianer von der in den iibrigen psychiatrischen Schulen: der spezielle Inhalt des Symptoms ist nicht zufiillig, ist auch nicht gleich- giiltig, er ist vielmebr durch vorausgegangene ~ullere und inhere Er- ]ebnisse determiniert, - - durch Erlebnisse, deren Bewul3twerden das Symptom zum Schwinden bringt. Dieser ,,Sinn" des Symptoms findet sich nioht nur unter den Krankheitszeichen der Neurotisch-Hysterischen, ,,selbst die Delirien der Verworrenen s i n d . . , sflmvoll und werden nur durch Auslassungen fiir uns unversti~ndlich"l). Es scheint als ob die Freudianer diese ihre Lehre yon der Determiniertheit der Symptome auch auf die eigentlichen schweren Psychosen weiter auszudehnen ge- neigt sind2). - - Eine Kritik der angefiihiten Anschauungen F r e u d s lag aul~erhalb des Themas dieser 13bersicht.

z) Die Traumdeutung 325. 2) Von der Dementia priieox stellt das Ble uler (Jahrbueh f. psychoanalytisehe

usw. Forsehungen ~, 660. 1910) ausdriicklieh lest, yon der ,,Paranoia" vermutet es Freud.