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Die Differenfialdiagnose zwischen Tumor im Bereiche des Riickenmarks, Meningitis serosa circumscripta spinalis und Caries der Wirbels~ule. Von Siegmund Auerbaeh (Frankfurt a. M.)~). (Eingegangen am 15. Juni 1920.) Seitdem im Anfange dieses Jahrhunderts yon Oppenheim und Krause die Meningitis serosa bzw. serofibrosa circumscripta spinalis als selbsti~ndige Affektion bioptisch festgestellt war, haben sich ver- schiedene Autoren mit der ])ifferentialdiagnose dieses Krankheitsbildes gegenfiber den Tumoren im Bereiche des Rfickenmarks besch~ftigt. Besonders eingehend hat Horsley 2) diese Frage erSrtert. Er hebt folgende differentialdiagnostischen Merkmale hervor : 1. W~hrend beim Tumor die initialen Schmerzen fast immer nur im Gebiete einer ~qervenwurzel bestehen, sollen sic sich bei der M. s. c. fiber ein gr61~eres Gebiet erstrecken, z. B. fiber ein ganzes Bein. I-Iier ist gleich einzuwenden, dab dies wohl ffir die endovertebralen Geschwfilste zutrifft, nicht abet ffir die so h~ufigen vertebralen, ffir welche gerade die gr6Bere Ausbreitung der Wurzelsymptome charak- teristisch ist. Auch treten nicht selten sogar bei intraduralen Tumoren heftige sensible Reizerscheinungen fern yore Locus affectionis auf, so bei einem yon mir beobachteten Halsmarktumor in den unteren Inter- costalr~umen. 2. Ws beim Tumor die objektiv festzustellende hyper- ~sthetische Zone, wenn sie vorhanden ist, nur 1 oder 2 Wurzel- gebiete entsprechend dem obersten Pol der Geschwulst betrifft, und zwar direkt fiber der oberen Grenze des an~sthetischen Gebietes, k6nne man bei der M. s. c. fast immer eine groBe Ausdehnung dieses Feldes nachweisen. ])ies sei beim Tumor nie zu beobachten. ])as letztere ist sicher zutreffend. Es ist aber die Frage, ob so ausgedehnte hyper- ~sthetische Gebiete bei der M. s. c. sich so regelm~Big finden, wie Hors- ley meint. Bei 2 durch die operative Autopsie sichergestellten und ge- x) Vortrag, gehalten auf der 45. Wanderversammlung der siidwestdeutschen Neurologen und Psyehiater am 13. Juni 1920. 3) A clinical lecture on chronic spinal Meningitis. Brit. reed. journ. 1909, 27. Februar. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. LX. 1

Die differentialdiagnose zwischen tumor im bereiche des rückenmarks, meningitis serosa circumscripta spinalis und caries der wirbelsäule

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Die Differenfialdiagnose zwischen Tumor im Bereiche des Riickenmarks, Meningitis serosa circumscripta spinalis und

Caries der Wirbels~ule.

Von Siegmund Auerbaeh (Frankfurt a. M.)~).

(Eingegangen am 15. Juni 1920.)

Seitdem im Anfange dieses Jahrhunderts yon O p p e n h e i m und K r a u s e die Meningitis serosa bzw. serofibrosa circumscripta spinalis als selbsti~ndige Affektion bioptisch festgestellt war, haben sich ver- schiedene Autoren mit der ])ifferentialdiagnose dieses Krankheitsbildes gegenfiber den Tumoren im Bereiche des Rfickenmarks besch~ftigt. Besonders eingehend hat H o r s l e y 2) diese Frage erSrtert. Er hebt folgende differentialdiagnostischen Merkmale hervor :

1. W~hrend beim Tumor die i n i t i a l e n S c h m e r z e n fast immer nur im Gebiete einer ~qervenwurzel bestehen, sollen sic sich bei der M. s. c. fiber ein gr61~eres Gebiet erstrecken, z. B. fiber ein ganzes Bein. I-Iier ist gleich einzuwenden, dab dies wohl ffir die endovertebralen Geschwfilste zutrifft, nicht abet ffir die so h~ufigen vertebralen, ffir welche gerade die gr6Bere Ausbreitung der Wurzelsymptome charak- teristisch ist. Auch treten nicht selten sogar bei intraduralen Tumoren heftige sensible Reizerscheinungen fern yore Locus affectionis auf, so bei einem yon mir beobachteten Halsmarktumor in den unteren Inter- costalr~umen.

2. Ws beim Tumor die o b j e k t i v f e s t z u s t e l l e n d e h y p e r - ~ s t h e t i s c h e Z o n e , wenn sie vorhanden ist, nur 1 oder 2 Wurzel- gebiete entsprechend dem obersten Pol der Geschwulst betrifft, und zwar direkt fiber der oberen Grenze des an~sthetischen Gebietes, k6nne man bei der M. s. c. fast immer eine groBe Ausdehnung dieses Feldes nachweisen. ])ies sei beim Tumor nie zu beobachten. ])as letztere ist sicher zutreffend. Es ist aber die Frage, ob so ausgedehnte hyper- ~sthetische Gebiete bei der M. s. c. sich so regelm~Big finden, wie H o r s - l e y meint. Bei 2 durch die operative Autopsie sichergestellten und ge-

x) Vortrag, gehalten auf der 45. Wanderversammlung der siidwestdeutschen Neurologen und Psyehiater am 13. Juni 1920.

3) A clinical lecture on chronic spinal Meningitis. Brit. reed. journ. 1909, 27. Februar.

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heilten F~llen yon M. s. c., die ich im letzten Jahre mit den Chefi~rzten des hiesigen Biirgerhospitals, den Herren S c h o l z und G r o s s m a n n , beobachten konnte, war eine hyper~sthetische Zone tiberhaupt nicht nachzuweisen. Der eine dieser F~lle war ein sicher traumatischer, bei dem anderen war eine best immte Atiologie nicht festzustellen; mit Rticksicht auf das Vorkommen yon Tuberkulose in der Familie der Pat. ist es nicht unwahrscheinlich, dab der Prozel~ tuberkulSser •a tur war.

3. H o r s l e y sah bei seinen Kranken n i e m a l s e i n e a b s o l u t e A n ~ s t h e s i e in den caudal yon der erkrankten Stelle gelegenen KSrper- gebieten, die bei soliden Tumoren die Regel ist, sondern i m m e r n u r e i n e H y p ~ s t h e s i e . Dieser Unterschied, der sich ja aus der INatur der beiden Prozesse - - der graduell verschiedenen Sti~rke der Kompression des Marks - - leicht erkli~ren l~l~t, mag wohl hi~ufig zu konstatieren sein. Dal~ aber auch er nicht immer zu verwerten ist zeigt der zweite der erw~hnten F~lle. Bei dieser Pat., bei der die M. s. c. in der HShe des 6. Dorsalwirbels gefunden wurde, und rechts in hSherem Grade ausge- pri~gt war als links, bestand yon D s bis D12 eine gfirtelfSrmige Hyp- ~sthesie ftir alle Qualit~ten, yon L 1 bis Liv auf der rechten Seite aber absolute An~sthesie, w~hrend links nut eine geringfiigige Hypiisthesie festzustellen war.

4. Dasselbe ist zu sagen yon dem S c h w a n k e n d e r S y m p t o m e , welches yon H o r s l e y , sparer yon F. K r a u s e 1) und neuerdings wieder yon M a u s s und K r i i g e r 2) geltend gemacht wurde. Bei der einen der beiden erwi~hnterL Kranken war ein solcher Wechsel der Erscheinungen w~hrend der ganzen Krankheitsdauer best immt nicht aufgetreten, weder in den Beschwerden noch in den objektiven Symptomen. Anderer- seits ist eine derartige Verlaufsart bei Rtickenmarksgeschwfilsten, sowohl bei intra- als auch bei extramedull~ren sicher beobachteta)a). Soweit H Q r s l e y . - -

5. M a u s s und K r i i g e r (1. c.) heben als charakteristisch fiir ihre allerdings dutch Kriegsseh~digungen, meistens Schul~verletzungen, bedingten F~llen yon M. s. e. noch das ziemlich plStzliche Auftreten sehwerer vasomotoriseh-sekretorischer St6rungen in dem erkrankten Wurzelgebiete hervor, die wieder zurfiekgingen - - eine Erseheinung, dig man sich nur mit einer tempor~ren Liquorstauung erkl~ren kSnne. Hierauf dtirfte m. E. in Zukunft sorgf~ltiger zu aehten sein.

1) Chirurgie des Gehirns und Riickenmarks. ~, 742. 3) Theodor Mauss und Hugo Kriiger: Uber die unter dem Bilde tier

Meningitis serosa eircumscipta verlaufenden Kriegssehiidigungen des Riickenmarks und ihre operative Behandlung. Dtsch. Zeitsehr. f. l~ervenheilk. 62, 1.

a) S. Auerbach und Brodni tz : Neurologiseh-ehirurgische Beitr~tge. Grenz- gebiete 21, 1910.

4) S. Auerbach: Uber einen bemerkenswerten ~all yon il~tramedull~rem Rtickenmarkstumor. Journ. f. Psychol. u. Neurol. ]7, 1910.

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6. Die L u m b a l p u n k t i o n hat uns bis jetzt in der Stellung dieser Differentialdiagnose auch nieht welter gebracht. Das Nonnesehe Kompressionssyndrom kann sowohl beim Tumor als aueh bei der M. s. e. vorhanden sein, und fehlen. In dem zweiten der erwiihnten Fiille war es nachzuweisen, in dem ersten wurde die Lumbalpunktion nieht ausgeffihrt, weil man aus welter unten angeffihrten Grfinden eine Caries der Lendenwirbels~ule angenommen hatte. -- Von einer diagnostisehen Punktion im •iveau des komprimierenden Prozesses kann wegen der Gefahr von Verletzungen des Marks nur abgeraten werden.

7. Es fragt sich noch, ob vielleieht dieser Affektion eine einheitliche -~t io logie zugrunde liegt, und man bei Nachweis derselben die Diagnose mit einiger Bestimmtheit stellen kSnnte. Abet auch das ist nicht der Fall. Als urs~chhche Momente werden das Trauma, namentlich dasjenige durch indirekte Gewalt wie Heben sehwerer Lasten, die Lues und die Tuberkulose angefiihrt; H o r s l e y erw~hnt auch die GonorrhSe. Trau- mata gelten aber auch, und wahrseheinlich nieht mit Unrecht, als Agents provoeateurs von Rfiekenmarks- ebenso wie yon Gehirngeschwfilsten. Die Syphilis kann das Rfickenmark in so mannigfaltigen Formen be- fallen, dab die Entseheidung fast immer recht sehwierig sein wird, wenn auch zugegeben werden mag, dab bei der Rfickenmarkssyphilis meistens auch cerebrale Symptome nachzuweisen sind, was bei der M. e. s. nicht der Fall zu sein pflegt. DaB die Tuberkulose die letztere Affektion hervorzurufen vermag, ist nicht unwahrscheinlich; in dem mehrfach erwithnten zweiten Falle liegt diese M6glichkeit aueh vor. Und in der Tat wfirde ich, wenn sonst das Symptomenbild einigermaBen stimmt, und Tuberkulose beim Pat. selbst oder in seiner Familie zweifels- frei festzustellen ist, noch am ehesten reich der Diagnose M. s. c. zu- neigen. Dall dieser meningeale ProzeB s e k u n d i i r durch eine Wirbel- tuberkulose bedingt sein kann, daffir liefert die Kasuistik sichere Bei- spiele (F. K r a u s e I. c.). Hier ist sie aber nur als sekund~re Liquor- stauung aufzufassen, ebenso wie am oberen P o l d e r intra- und extra- medull~iren Tumoren, wo sic bekanntlich oft zu Irrtfimern in der Nivean- diagnose gefiihrt hat, wie ferner bei der Pachymeningitis externa, einer Wirbelexostose oder der akuten Osteomyelitis der Wirbel (vgl. aueh F. K r a u s e 1. c.). DaB die M. serofibrosa spinalis auch aus einer epide- misehen Cerebrospinalmeningitis sieh im Laufe langer Jahre entwickeln kann, habe ich vor einiger Zeit bei einem Landwirt festgestellt, der 9 Jahre vorher w/ihrend seiner Milit~irzeit nach langem Krankenlager yon einer Genickstarre bis auf eine Sehw~iehe im reehten Bein geheilt worden war. Bei der Operation zeigte sieh, dab sich der ProzeB wahr- scheinlich fiber den gr6Bten Teil des Dorsalmarks erstreckte und wegen seiner groflen Ausdehnung nicht mehr riiekg~ngig gemach~ werden konnte.

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Aus den erw~ihnten diagnostischen Schwierigkeiten erkl~rt es sich, dab meines Wissens die Diagnose M. s. c. vor der Biopsie oder Ob- duktion noch nieht gestellt wurde. Wie i~hnlich das Krankheitsbild dem der Rfickenmarksgeschwulst sein kann, geht auch aus einem Briefe hervor, den seinerzeit der so erfahrene L. B r u n s an reich richtete und in welehem er betonte, dab ein -- spi~ter von ibm in der Berliner Klin. Wochenschrift 1908 publizierter - - Fall yon M. s. c. ganz und gar einem von mir 1) kurz vorher mitgeteilten Falle yon Halsmarktumor geglichen hi~tte, so dab er natiirlich auch diese Diagnose gestellt hi~tte. Trotzdem kann einmal die Konstellation des ganzen Symptomenbildes so gtinstig sein, dab man zur Diagnose M. s. e. gedr~ngt wird. So beobachte ich jetzt einen 50ji~hrigen Herrn, bei dem die unter 1--4 gegentiber dem Tumor hervorgehobenen Merkmale si~mtlich nachzuweisen sind, der auBerdem vor vielen Jahren eine Lungenspitzentuberkulose durch- gemacht hat. Zur Operation konnte ich reich bis jetzt nicht ent- sehliei~en, da die Nive~udiagnose noch nicht mit hinreichender Sicher- heit mSglieh war.

Gltieklicherweise werden die Kranken yon der Schwierigkeit der Differentialdiagnose in unserer Zeit nur i~uBerst selten Schaden davon tragen, da man ja bei diesen Symptomenkomplexen, m6gen sie nun mehr ftir einen soliden Tumor oder fth" eine M. s. e. sprechen, s t e t s zur La- minektomie schreiten wird.

Die U n t e r s e h e i d u n g de r im B e r e i c h e d e r M e d u l l a s p i n a l i s l i e g e n d e n G e s c h w i i l s t e v o n d e r Ca r i e s d e r W i r b e l s ~ u l e , die bekanntlich die h~ufigste Ursache einer Riickenmarkskompression ist, ist naeh meiner Erfahrung in manchen Fi~llen schwieriger und kommt 6fters in Betraeht, als es nach den ErSrterungen in der Literatur scheinen kSnnte. Ieh habe bereits in einer frfiheren Arbeit (s. unter 6) auf diese Frage hingewiesen und muB auch jetzt noeh auf Grund mehrerer, in den letzten Jahren gemachter Beobachtungen erkli~ren, dab dieselbe zweifeilos untersch~tzt wird. In neuester Zeit hat mir O. M a r b u r g ~) hierin recht gegeben.

Es wird sich empfehlen, zun~chst die Unterscheidungsmerkmale zwischen der S p o nd y l i t i s und den v e r t e b r . a l e n, und dann diejenigen zwischen ihr und den e n d o v e r t e b r a l e n T u m o r e n zu bespreehen. Tuberkulose anderer Organe, namentlieh der Lungen, Driisen, Knochen und Gelenke, herediti~re Belastung, best~ndige Fieberbewegungen werden in beiden F~llen mehr fiir das Malum Pottii sprechen; ebenso

1) S. Auerbach und Brodnitz: Uber einen groBen intraduralen Tumor des Cervicalmarks, der mit Erfolg exstirpiert wurde. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. ivied. u. Chir. 15, 1905.

3) Zur differentiellen Diagnostik lokalisierter spinaler Prozesse. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 31, 53.

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der positive Ausfall der P i rque t schen Reaktion, wenn sich sonst im KSrper kein tuberkulSser Herd finder. Von der diagnostischen Tuber- kulinreaktion wfirde ich raten, abzustehen, da ich bereits mehrere Male nach deren Ausftihrung von anderer Seite rasehe Progredienz der Rtickenmarkskompression gesehen habe. Gegeniiber den Geschwillsten der Wirbelsi~ule kann man geltend machen, daI3 jene Krankheit vor- zugsweise in der Kindheit und Jugend auftritt, w~hrend die Neoplasmen der Wirbel im hSheren Alter entsehieden iiberwiegen. Aber die Spondy- litis ist im hSheren Alter keineswegs selten: ich habe in den letzten Jahren mehrere solcher F~lle gesehen, darunter den 64ji~hrigen Ver- wandten eines Kollegen, bei dem sonst absolut nichts von Tuberkulose naehzuweisen war, und der doch, wie ich annahm, und wie auch sp~ter die Obduktion besti~tigte, an einer schweren Spondylitis der unteren Dorsal- und des obersten Lendenwirbels litt. Die frfiher yon Gowers angegebenen Unterschiede im Verhalten der Wurzel- und Marksym- ptome bei den beiden Krankheiten kSnnen zu Trugschlfissen ftihren. Im allgemeinen sind ja die Wurzelsehmerzen beim Wirbelcarcinom intensiver und andauernder; ich habe aber mehrere Kranke mit Caries der WirbelbSgen beobachtet, die ganz furchtbar unter diesen l~euralgien litten; darunter noch im vergangenen Jahre eine 46j~hrige Patientin, bei weleher ich mehr zur Diagnose: extra- oder intraduraler Tumor neigte, bei der aber die Operation eine Wirbeltuberkulose ergab. Auch Muskelatrophien kommen bei beiden Affektionen vor. B r u n s 1) hebt aber mit Recht hervor, dab sich beim Wirbeltumor die Schmerzen und Atrophien wegen des Ergriffenseins einer grSBeren Anzahl von Wirbeln oft fiber were Gebiete erstrecken und sich auch oft oberhalb einer Difformiti~t der Wirbelsi~ule linden, was bei der Caries wohl kaum vor- kommt. Desgleichen scheint Herpes zoster, der beim Krebs des Wirbel- knochens zuweilen beobaehtet wird bei der Tuberkulose noeh nicht kon- statiert zu sein. B r o w n - S 6 q u a r d s c h e Symptome kommen nach O p p e n h e i m bei der Caries kaum in 5% der Fi~lle vor, sind aber auch beim Wirbeltumor recht selten. P15tzliehe Para- oder Diplegie durch Zusammenknicken der Wirbelsaule habe ich relativ oft bei der Spondy- litis gesehen; sie mag wohl etwas hiiufiger bei der ZerstSrung des Knochen durch Geschwtilste sein. Von den Wirbelsi~ulendeformit~ten ist der Gibbus charakteristisch flit die Caries, beim Carcinom handelt es sich meistens um eine Kyphose, auch sieht man bei ihm 5fters eine seitliehe Verschiebung der Processus spinosi. Tumorartige, knochenharte, lang dauernde Anschwellungen der Wirbels~ule, namentlich in der Hals- und oberen Dorsalwirbels~ule habe ich relativ oft gesehen; man kann sie zur Unterscheidung der beiden Krankheitsformen nieht benntzen; nur

1) Geschwill.~te des Nervensystems. 2. Auflage, S. 325.

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wenn sie w~hrend der Beobaehtung zurtiekgehen oder weicher werden, wird eine Caries wahrscheinlicher. Sicher fiir Caries sprechen Senkungs- abscesse oder der Ausgang in Heilung, auch l~ngere Stillst~nde; fast sicher ffir Wirbeltumoren der Nachweis einer prim~ren Geschwulst oder auch die Feststellung, dab vor l~ngerer Zeit ein Carcinom (Uterus-, Mamma-, Magen- oder Darm-, seltener Prostatacarcinom) exstirpiert worden ist. DaB man aber auch dann noch Irrttimern unterworfen sein kann, zeigen 2 von H. Sch les inger mitgeteilte F~tlle:

1. Bei einer mit einem Mammacarcinom behafteten W~rterin land man statt des erwarteten Wirbelcarcinoms einen tuberkul6sen Wirbel- prozef und einen ganz kleinen, zentralen tuberkulSsen Herd in einer Lungenspitze, den man bei der internen Untersuchung nicht findeu konnte, und Verki~sung der Mediastinaldriisen. 2. Trotz einer vor- gesehrittenen Phthise erwies sich ein Tumor in der Gegend der Lenden- wirbels~ule nieh~ als eine Caries; vielmehr war er auf die Metastase eines vor 4 Jahren entfernten Uterusearcinoms zurtickzuftihren, was Schle- s inge r aueh angenommen hatte.

Es gibt also eine kleine Zahl yon FMlen, in denen es auch dem Er- fahrenen nicht gelingt, eine einigermafen zweifelsfreie Entscheidung zu treffen.

Nieht viel besser ist es zuweilen mit der Differentialdiagnose zwisehen S p o n d y l i t i s und i n t r a v e r t e b r a l e m T u m o r bestellt. Es handelt sich hier besonders um die F~lle, in denen Wirbelsiiulensymptome gar nicht oder nur in geringfiigigem, auch bei den Geschwtilsten zu beobachtenden Grade vorliegen, und auch sonst nichts yon Tuber- kulose im KSrper nachzuweisen ist; ein ausgesprochener Gibbus, der ja bei der Spondylitis anterior meistens nicht allzulange auf sieh warten li~l~t, spricht nattirlich gegen Tumor. An der Halswirbelsi~ule ist auch die Untersuehung der WirbelkSrper im Pharynx nicht zu versi~umen. Besonders schwierig kann die Unterseheidung bei der yon den Wirbel- b6gen ausgehenden Caries, der S p o n d y l i t i s pos t e r io r (dem Mal. vert6bral post6rieur L a n n e l o n g u e s ) sein, wo halbseitige Wurzel- neuralgien bzw. -neuritiden li~ngere Zeit das einzige Symptom der Krank- heir darstellen k6nnen, ebenso wie bei den Tumoren der Haute; freilich ]ahrelang, wie bei den letzteren, dauert dieses Stadium bei der Tuber- kulose nieht. Sobald einmal deutliche Zeiehen der Markkompression festzustellen sind, dann verl~tuft das Malum Pottii meistens viel schneller ad exitum, obwohl es bei ihm auch dann noch oft genug zu Heilung oder Stillstand kommen kann.

Selbstverst~ndlich ist in diesen F~llen aueh immer eine R5 n tgen- u n t e r s u c h u n g vorzunehmen. Daf diese oft genug im Stiche l~flt, ist ja bekannt. Allerdings scheint es wohl mSglich, daft diese dia- gnostische Methode bessere Resultate liefern wird, wenn man die Vor-

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sehrift von M. S g a l i t z e r 1) befolgt, der fordert, dab die RSntgen- untersuchung der Wirbels~ule unter allen Umst~nden neben der ventro- dorsalen auch in s e i t l i e h e r Aufnahmerichtung zu erfolgen hat, da uns hochgradige ZerstSrungsprozesse an den WirbelkSrpern bei der Dar- stellung in nur einer, speziell nur der ventro-dorsMen Projektions- richtung entgehen kSnnen. S. behauptet, dab die ersten Anf~nge des Einsinkens eines tuberkul(is erkrankten Wirbels schon lange vor der Ausbildung eines Gibbus aus dem s e i t l i c h e n RSntgenogramm le i ch t zu erkennen sind. Aueh die Symptome einer beginnenden Wirbelcaries wie kleine lokalisierte Konsumptionsherde, Verschmi~lerungen der Inter- vertebralspalten ki~men h~ufiger im s e i t l i c h e n als im ventro-dorsalen Bilde zum Ausdruck. - - Ferner mSchte ieh auf eine neuerdings yon A. Si mo ns 2) gemaehte Bemerkung hinweisen. Er betont, dal~ man nur dann, wenn man auch o h n e den Verst~rkungssehirm in beiden Rich- tungen ktare Knochen sieht, irgendeine wesentliehe Caries sieher ans- schlieBen kann; - - sonst k6nnten doch gelegentlieh gesunde Wirbel vorgeti~uscht werden. Es ist wohl mit grSBter Wahrscheinliehkeit zu erwarten, dab die Fortschritte der RSntgentechnik uns in absehbarer Zeit in den Stand setzen werden, die Spondylitis in ihren ersten Anfi~ngen zu erkennen, und damit ware nattirlich ihre Unterscheidung vom endo- vertebralen Tumor gesiehert.

Ausgesprochener ,,Stauchungsschmerz" spricht fiir Caries. Er fehlt abet auch stets bei der Spondylitis posterior. Permanente steife Kopf- haltung bei cerviealem Sitz kann man bei beiden Affektionen beobaehten, ist aber wohl bei der Tuberkulose h~ufiger. Steifigkeit der Riicken- oder Lendenwirbels~ule spricht entschieden mehr ftir letztere; ebenso Er- schwerung und Schmerzhaftigkeit bei Bewegungen dieser Partien, die im Zweifelsfalle naeh allen Riehtungen hin durchgepriift werden miissen. DaB diese Symptome abet aueh sogar bei einem intramedull~ren Tumor zur Beobachtung gelangen kSnnen, und zwar sehr ausgeprEgt, geht aus einer Mitteilung von B r u n~) hervor. Druek- und Klopfempfindliehkeit der Dornfortsi~tze und der WirbelbSgen li~Bt, wenn sie sehr ausgesprochen und konstant sind, die Entscheidung mehr nach der Seite der Caries hinneigen. Allerdings ist zu bedenken, dab man dieses Zeiehen auch reeht hi~ufig bei den vertebralen und extradurMen Geschwiilsten findet, und dal~ es sogar 5fters bei den intraduralen und intramedull~ren nicht vermiSt wird.

1) Zur RSntgendiagnostik der Wirbeltuberkulose vor der Ausbildung eines nachweisbaren Gibbus. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 31, 1919.

3) Hodgkins Krankheit als Tumor der Dura mater spinalis verlaufend. Dtsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. 59.

~) H. Brun: Uber einen zweiten Fall operativer Entfernung eines subpial gelegenen Riickenmarktumors. Dtsch. Zeitschr. f. Chir. ! 10, 487.

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Die E x t e n s i o n s b e h a n d l u n g bringt bei der Spondylitis in der Regel Nutzen, gar nicht selten sogar erheblichen, beim Tumor ver- schlimmel~ sie den Zustand fast regelmi~Big schon nach kurzer Zeit.

Ob, wie franzSsische Autoren 1) behaupten, die Untersuchung des Lumbalpunktats zur Differentialdiagnose beitragen kann, mtissen weitere Untersuchungen zeigen. Sic a r d - F o i x - S al i n (zitiert nach 0 p pe n- h e l m , Lehrbuch 1913, S. 362) spreehen yon einer ,,S~ro-diagnostie rhaehidien Pott ique", da sie einige Besonde~heiten der F~rbung und der ehemischen Beschaffenheit gefunden haben wollen. Das Punkta t der obenerwi~hnten, im vorigen Jahre von mir beobachteten Patientin, verhielt sieh geradeso wie bei einem Tumor: geringe Gelbfi~rbung, keine Lymphoeytose, N o n ne - A p e l f sche Reaktion ebenso wie die P a n d ysche positiv, Wassermann negativ.

Die grSBten diagnostischen Schwierigkeiten gegentiber dem intra- vertebralen Tumor maeht zweifellos die S p o n d y l i t i s p o s t e r i o r . Ieh habe den bestimmten Eindruck, dab jetzt diese Form der Wirbel- tuberkulose entspreehend der Zunahme der Tuberkulose fiberhaupt hi~ufiger zur Beobachtung kommt als frtiher. Und dab die Bogenaffektion ffir das Rfickenmark besonders gef~hrlich ist, hat schon I. Wie ting~) betont. W/~hrend die WirbelkSrper yon einem so straffen Gebilde wie dem Ligamentum longitudinale posterius fiberzogen sind, ist die Vorder- fli~ehe der BSgen nur dureh eine straffe Periostsehicht bedeckt. Der tuberkulSse ProzeB kann daher sehr leieht in den Wirbelkanal eintreten und auf die Dura sieh ausbreiten. Daher ist die Beteiligung des Riieken- marks bei der Spondylitis posterior relativ haufig. W i e t i n g fand sic unter 8 Fi~llen 4 mal, und zwar 3 real in der Form der Peripachymenin- gitis; sie kann nach diesem Autor sicher ganz isoliert auftreten, wenn sie auch h~ufiger bei der multiplen Knochentuberkulose vorkommen mag. W. betont aueh, dab man sie so frtih wie m6glieh operativ in Angriff nehmen mtisse.

Endlieh ist, wenn sic aueh strenggenommen nicht hierhergeh5rt, noeh die i s o l i e r t e T u b e r k u l o s e d e r D u r a m a t e r s p i n a l i s in diagnostiseher Beziehung zu erwi~hnen. DaB diese Diagnose vor der operativen Freilegung nicht gestellt werden kann, hat vor kurzem noch E. B a u m a n n 3) hervorgehoben. Aueh das Lumbalpunktat war bei seiner Beobachtung typisch fiir Tumor. Selbst bei der Operation sah sein Fall in allem einem epiduralen sekund~ren tuberkulSsen Granula-

1) Zitiert~ nach 0ppenhe ims Lehrbuch (1913, S. 362; Raymond - Sicard (Ref. Centralbl. f. d. Grenzgeb. 1906), ferner Sicard- Foi x- Salin (Presse m~t. 1910).

3) Uber die Tuberkulose der Wirbels/iule, besonders ihrer hintcrcn Abschnitte, und iiber die Untersuchung retropharyngealer Abscessc. Arch. f. klin. Chit. 71,479.

3) Isolierte Tuberkulose der Dura mater spinalis rait totaler Querschnitts- lghmung. Dtsch. Zeitschr. f. Chir. 143, 245.

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tionstumor gleich, wie er als Folge einer tuberkul6sen Wirbelerkrankung aufzutreten pflegt. Aus der Sektion ergab sich erst das v611ige Fehlen jeder anderen tuberkulSsen Erkrankung des KSrpers. B a u m a n n irrt fibrigens mit der Annahme, dab sein Fall der erste seiner Art sei. H. S c hle s ing e r (1. c. S. 48) beriehtet bereits von einigen dieser allerdings auBerordentlich seltenen Beobachtungen.

A u e h die M e n i n g i t i s s e r o f i b r o s a c i r c u m s e r i p t a s p i n a l i s kann, wie die beiden obenerw~hnten im hiesigen Btirgerhospital beob- achteten Fi~lle zeigen, mit der W i r b e l c a r i e s verwechselt werden. Bei dem einen mit traumatiseher J~tiologie bestand ein so deutlicher Gibbus des ersten Lendenwirbels, dab man ohne weiteres eine Spondy- litis diagnostizierte. AuBerdem war die P i r q uetsche Reaktion positiv. Bei der anderen Patientin, in deren Familie mehrfaeh Tuberkulose vor- gekommen war, bestand eine deutliche Prominenz, ausgepr~gte Druck- und Klopfempfindlichkeit des Proc. spinosus des 6. Dorsalwirbels und starke Sehmerzen in der Mitre des Rtickens bei Lagewechsel -- alles Symptome, die gleichfalls diese Diagnose nahelegten. Auch diese Diffe- rentialdiagnose wird erheblich erleichtert werden, wenn es gelingt, mit der radioskopisehen Untersuchung dis Anfi~nge der Wirbeltuberkulose aufzudecken.