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Epilepsie im Erwachsenenalter Was gibt es Neues? Medikamentöse Erstbehandlung (Monotherapie) Aus der Gruppe der sog. neueren Antiepileptika stehen zur Monotherapie bzw. Erstbehandlung inzwischen Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin und Topiramat zur Verfügung (). Lamotrigin und Topiramat können auch zur Behandlung generalisierter Epilepsien empfohlen werden (). Die neueren Antiepileptika sind zur Behandlung fokaler Epilepsien mindestens gleich wirksam wie die klassischen Wirkstoffe Carbamazepin, Valproinsäure, Phenytoin und Phenobarbital bei vermutlich besserer Verträglichkeit und damit besserer Effektivität (), jedoch geringerer Erfahrung und Arzneimittelsicherheit. Daher sollten nach individueller Abwägung bezüglich Epilepsiesyndrom und spezifischem Nebenwirkungsprofil bei manchen Patienten zur Ersteinstellung durchaus neuere Antiepileptika eingesetzt werden. Behandlung pharmakoresistenter Epilepsien Als neuestes Antiepileptikum wurde Pregabalin zur Kombinationstherapie fokaler Epilepsien zugelassen (). Bei therapierefraktären Epilepsien kann mit dem Ziel einer geringen Anfallsfrequenz eine alternative Monotherapie statt einer (weiteren) Polytherapie erwogen werden (). Bei therapierefraktären fokalen Epilepsien bleibt die Epilepsiechirurgie nach sorgfältiger Indikationsstellung die Therapie der Wahl für die hierzu geeigneten Patienten (). Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick Bei der Ersteinstellung einer Epilepsie ist der antiepileptische Wirkstoff aus den Gruppen der klassischen oder neueren Antiepileptika individuell nach zu erwartender Wirksamkeit, speziellem Nebenwirkungsprofil sowie zu erwartenden – erwünschten oder unerwünschten – Interaktionen mit Begleitmedikamenten und Gesundheitsrisiken (z. B. Osteoporose) auszuwählen. Für fokale Epilepsien kommen Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Topiramat und Valproinsäure in Frage, für generalisierte Epilepsien insbesondere Valproinsäure, aber auch Lamotrigin, Phenobarbital und Topiramat sowie Ethosuximid zur Behandlung von Absenzen (A). Bei erfolgloser Erstbehandlung kann eine alternative Monotherapie oder – wahrscheinlich gleichwertig – eine Kombinationstherapie angestrebt werden. Die Wirkstoffauswahl erfolgt wiederum individuell unter zusätzlicher Berücksichtigung der mutmaßlichen Interaktionen zwischen den Wirkstoffen. Zur Kombinationstherapie sind zusätzlich zu den o.g. Wirkstoffen zu erwägen: Levetiracetam, Pregabalin, Tiagabin, in fernerer Wahl Benzodiazepine (B). Bei fokalen Epilepsien mit nachgewiesener Pharmakoresistenz (mindestens zwei konsequente, aber nicht erfolgreiche medikamentöse Therapien) sollte eine prächirurgische Abklärung mit der Frage einer operativen Therapieoption möglichst frühzeitig erfolgen, da der epilepsiechirurgische Eingriff bei gegebener Indikation die Therapie der Wahl darstellt (A). Definition Epilepsie ist ein chronischer Zustand des Gehirns, der charakterisiert ist durch eine abnorm erhöhte Neigung, epileptische Anfälle hervorzubringen. Die Diagnose einer Epilepsie erfordert das Auftreten mindestens eines epileptischen Anfalls, bei unzureichenden Hinweisen auf das Vorliegen des chronisch zu Anfällen disponierenden Zustandes ist das Auftreten mehrerer Anfälle zur Diagnosestellung erforderlich (Fisher et al. 2005). Epileptische Anfälle sind plötzlich auftretende Verhaltens- und/oder Befindensstörungen mit dem zerebralen elektrophysiologischen Korrelat abnormer exzessiver oder synchroner Entladungen ausreichend großer Neuronengruppen. Diese elektrophysiologischen Veränderungen sind bei den meisten Anfällen auch im Oberflächen-EEG nachweisbar. Da Anfälle aber nur sehr selten und meist zufällig während EEG-Untersuchungen auftreten, wird die Diagnose epileptischer Anfälle in der Regel hauptsächlich auf der Grundlage der Anfallsanamnese gestellt.

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Epilepsie im Erwachsenenalter

Was gibt es Neues?

Medikamentöse Erstbehandlung (Monotherapie) Aus der Gruppe der sog. neueren Antiepileptika stehen zur Monotherapie bzw. Erstbehandlung inzwischen Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin und Topiramat zur Verfügung (⇑⇑). Lamotrigin und Topiramat können auch zur Behandlung generalisierter Epilepsien empfohlen werden (⇑). Die neueren Antiepileptika sind zur Behandlung fokaler Epilepsien mindestens gleich wirksam wie die klassischen Wirkstoffe Carbamazepin, Valproinsäure, Phenytoin und Phenobarbital bei vermutlich besserer Verträglichkeit und damit besserer Effektivität (⇑), jedoch geringerer Erfahrung und Arzneimittelsicherheit. Daher sollten nach individueller Abwägung bezüglich Epilepsiesyndrom und spezifischem Nebenwirkungsprofil bei manchen Patienten zur Ersteinstellung durchaus neuere Antiepileptika eingesetzt werden.

Behandlung pharmakoresistenter Epilepsien Als neuestes Antiepileptikum wurde Pregabalin zur Kombinationstherapie fokaler Epilepsien zugelassen (⇑). Bei therapierefraktären Epilepsien kann mit dem Ziel einer geringen Anfallsfrequenz eine alternative Monotherapie statt einer (weiteren) Polytherapie erwogen werden (⇑). Bei therapierefraktären fokalen Epilepsien bleibt die Epilepsiechirurgie nach sorgfältiger Indikationsstellung die Therapie der Wahl für die hierzu geeigneten Patienten (⇑).

Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick Bei der Ersteinstellung einer Epilepsie ist der antiepileptische Wirkstoff aus den Gruppen der klassischen oder neueren Antiepileptika individuell nach zu erwartender Wirksamkeit, speziellem Nebenwirkungsprofil sowie zu erwartenden – erwünschten oder unerwünschten – Interaktionen mit Begleitmedikamenten und Gesundheitsrisiken (z. B. Osteoporose) auszuwählen. Für fokale Epilepsien kommen Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Topiramat und Valproinsäure in Frage, für generalisierte Epilepsien insbesondere Valproinsäure, aber auch Lamotrigin, Phenobarbital und Topiramat sowie Ethosuximid zur Behandlung von Absenzen (A). Bei erfolgloser Erstbehandlung kann eine alternative Monotherapie oder – wahrscheinlich gleichwertig – eine Kombinationstherapie angestrebt werden. Die Wirkstoffauswahl erfolgt wiederum individuell unter zusätzlicher Berücksichtigung der mutmaßlichen Interaktionen zwischen den Wirkstoffen. Zur Kombinationstherapie sind zusätzlich zu den o.g. Wirkstoffen zu erwägen: Levetiracetam, Pregabalin, Tiagabin, in fernerer Wahl Benzodiazepine (B). Bei fokalen Epilepsien mit nachgewiesener Pharmakoresistenz (mindestens zwei konsequente, aber nicht erfolgreiche medikamentöse Therapien) sollte eine prächirurgische Abklärung mit der Frage einer operativen Therapieoption möglichst frühzeitig erfolgen, da der epilepsiechirurgische Eingriff bei gegebener Indikation die Therapie der Wahl darstellt (A).

Definition Epilepsie ist ein chronischer Zustand des Gehirns, der charakterisiert ist durch eine abnorm erhöhte Neigung, epileptische Anfälle hervorzubringen. Die Diagnose einer Epilepsie erfordert das Auftreten mindestens eines epileptischen Anfalls, bei unzureichenden Hinweisen auf das Vorliegen des chronisch zu Anfällen disponierenden Zustandes ist das Auftreten mehrerer Anfälle zur Diagnosestellung erforderlich (Fisher et al. 2005). Epileptische Anfälle sind plötzlich auftretende Verhaltens- und/oder Befindensstörungen mit dem zerebralen elektrophysiologischen Korrelat abnormer exzessiver oder synchroner Entladungen ausreichend großer Neuronengruppen. Diese elektrophysiologischen Veränderungen sind bei den meisten Anfällen auch im Oberflächen-EEG nachweisbar. Da Anfälle aber nur sehr selten und meist zufällig während EEG-Untersuchungen auftreten, wird die Diagnose epileptischer Anfälle in der Regel hauptsächlich auf der Grundlage der Anfallsanamnese gestellt.

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Typische iktale hirnelektrische Muster ohne begleitende klinische Symptomatik können wie der Nachweis interiktaler epilepsietypischer Potenziale allgemein die Diagnose des Epilepsiesyndroms erleichtern und speziell in Entscheidungsfindungsprozessen der prächirurgischen Epilepsiediagnostik relevant werden. Zielgröße der antikonvulsiven Behandlung sind jedoch die obligat klinischen epileptischen Anfälle (im Folgenden nur noch als „epileptische Anfälle“ bezeichnet). Die Diagnose „Epilepsie“ ergibt sich nach dem Auftreten mehrerer epileptischer Anfälle oder nach dem Auftreten eines epileptischen Anfalls bei gleichzeitigem Nachweis einer erhöhten Neigung, epileptische Anfälle hervorzubringen (s.o.). Dabei ist v.a. an Erstanfälle mit hohem Wiederholungsrisiko zu denken, beispielsweise generalisiert tonisch-klonische Anfälle mit bilateral synchronen spike-waves im EEG oder an fokale Anfälle bei entsprechender MR-tomographisch nachweisbarer kortikaler Läsion. Hier kann in Zusammenschau mit den interiktalen EEG-Befunden und der Anamnese u. U. schon nach dem ersten Anfall die Diagnose „Epilepsie“ gestellt werden. Demgegenüber erlaubt das Auftreten einzelner, auch wiederholter epileptischer Anfälle mit akuter symptomatischer Verursachung bzw. Auslösung durch identifizierbare unspezifische anfallfördernde Bedingungen, wie z. B. Schlafentzug, nicht die Diagnose einer Epilepsie. Solche sog. Gelegenheitsanfälle sind nicht Gegenstand dieser Leitlinie (siehe Leitlinie „Erstmaliger epileptischer Anfall“).

Ätiologie und Klassifikation Ätiologisch sind symptomatische (Epilepsie als Ausdruck einer identifizierbaren strukturellen Grunderkrankung), kryptogene (mutmaßlich symptomatische Epilepsie ohne Nachweis der Grunderkrankung) und idiopathische (Epilepsie aus vermuteter oder nachgewiesener genetischer Disposition) Epilepsien zu unterscheiden. Mit Verbesserung der Diagnostik durch die bildgebenden Verfahren, vor allem die Magnetresonanztomographie (MRT), werden vormals kryptogene Epilepsien zunehmend als symptomatische erkannt. Häufige Ursachen symptomatischer Epilepsien sind kortikale Entwicklungsstörungen, Tumoren, Enzephalitiden, Schädel-Hirn-Traumata, zerebrovaskuläre Prozesse, metabolische Erkrankungen, perinatale Schäden, immunologische Erkrankungen, seltener sind Vaskulitiden sowie Intoxikationen. Gängige Klassifikationen in der Epileptologie beziehen sich auf Anfallstypen oder Epilepsiesyndrome; therapeutisch relevant ist neben der Berücksichtigung der Ätiologie (idiopathisch vs. symptomatisch/kryptogen) v. a. die Anfallklassifikation nach fokalen und generalisierten Anfällen.Epilepsien mit fokal eingeleiteten, sekundär generalisierten Anfällen gehören klassifikatorisch zu den fokalen Epilepsien. In der Therapie bestimmt der Anfallstyp wesentlich die Auswahl der Antikonvulsiva, die Ätiologie der Epilepsie die Behandlungsprognose (s. u.). Fokale idiopathische Epilepsien und symptomatische generalisierte Epilepsien sind im Erwachsenenalter selten, so dass im Folgenden der Schwerpunkt bei den symptomatisch/kryptogenen fokalen Epilepsien sowie den idiopathischen Epilepsien mit generalisierten Anfällen liegen wird. Bestimmte epileptische Syndrome wie die progredienten Myoklonusepilepsien und vor allem manche Epilepsien des Kindesalters sind wegen ihrer Besonderheiten einzeln zu betrachten und können in dieser Leitlinie nicht abgehandelt werden.

Ziele und Anwendungsbereich

Definition der Ziele der Leitlinie Ziel dieser Leitlinie ist eine Optimierung der Behandlung der verschiedenen Formen der Epilepsie im Erwachsenenalter. Die Leitlinie ist evidenzbasiert und stellt eine Fortentwicklung der entsprechenden Leitlinie der DGN von 2002 dar.

Definition des Anwendungsbereiches (Zielgruppe) Diese Leitlinie wendet sich an Ärzte aller Fachrichtungen, die in unterschiedlichsten klinischen Kontexten mit der Behandlung von Patienten mit Epilepsie befasst sind.

Therapie (Zur Akutbehandlung siehe Leitlinien „Erstmaliger epileptischer Anfall“ und „Status epilepticus“.)

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Indikation zur Behandlung Ist die Diagnose einer Epilepsie gestellt, wird dem Patienten eine antikonvulsive Therapie zur Vermeidung weiterer Anfälle angeboten. Dabei sollte, sofern möglich, auch die Ursache der Epilepsie behandelt werden. Bei chronischer symptomatischer Epilepsie ist zudem die Behandlung der Grunderkrankung anzustreben. Eine Therapie wird in der Regel erst nach dem zweiten oder gar dritten epileptischen Anfall initiiert werden, wenn Hinweise auf das Vorliegen eines chronischen epileptischen Zustands fehlen. Allerdings ist eine medikamentöse Behandlung schon nach dem ersten Anfall, insbesondere bei folgenden Bedingungen, in Betracht zu ziehen:

• Hinweise auf eine idiopathische Epilepsie (EEG-Befund, genetische Belastung, Auftreten der Anfälle in den ersten zwei Stunden nach dem Aufwachen [Aufwach-Grand-mal]).

• Erster Anfall bei identifizierter, mutmaßlich epileptogener zerebraler Läsion (Zustand nach SHT, Zustand nach Enzephalitis, Hirntumor, Gefäßmalformation).

• Anfall bei fokalen epilepsietypischen Potenzialen im interiktalen EEG und Behandlungswunsch seitens des Patienten, u. a. wegen erheblicher sozialer Konsequenzen bei weiteren Anfällen (private Kraftfahreignung, besondere Arbeitsplatzsituation, öffentliche Tätigkeiten etc.).

• Erster Anfall im höheren Lebensalter (ab 65–70 Jahren) wegen allgemein höherer Systemvulnerabilität (z. B. Knochenfragilität bei Stürzen), hoher Rezidivquoten und der Problematik postiktaler Verwirrtheit bei oft alleine lebenden Patienten.

Eine Behandlung kann hingegen auch dann nicht zwingend indiziert sein, wenn sehr selten Anfälle auftreten (seltener als ein- bis zweimal pro Jahr = Oligoepilepsie), oder wenn die Anfälle wenig belastend sind (einfach-fokale Anfälle, ausschließlich nächtliche Anfälle), oder wenn eine Behandlung wenig Compliance erwarten lässt oder vom Patienten nicht gewünscht wird.

Therapieziele Anfallfreiheit ist das primäre Therapieziel. Es ist bei etwa der Hälfte aller Patienten mit Epilepsien medikamentös erreichbar. Kann dieses Ziel nicht erreicht werden, muss eine tolerabel niedrige Anfallfrequenz angestrebt werden. Nach konsequenter, jedoch erfolgloser Behandlung mit 2 adäquaten Antikonvulsiva ist eine Prüfung der Operabilität der Epilepsie indiziert (s. u.). Zweites Therapieziel ist die Vermeidung von beeinträchtigenden Nebenwirkungen. Dazu gehören vor allem kognitive Nebenwirkungen, aber auch Gewichtszunahme, andere kosmetische Probleme wie Hirsutismus oder Gingivahyperplasie. Auch gilt es, das Auftreten der durch permanente hepatische Enzyminduktion oder -inhibition mit bedingten metabolisch-hormonellen Folgezuständen (z. B. Osteoporose, sexuelle Störungen) zu vermeiden.

Hinweise zur Lebensführung • Anpassen der Lebensführung: regelmäßiger Schlafrhythmus mit Variation der Einschlaf- und

Aufwachzeiten um möglichst nicht mehr als je 2 Stunden bei Epilepsiesyndromen mit entsprechendem Anfallsrisiko (insbesondere idiopathische Epilepsien); Meiden potenziell gefährdender Situationen (Baden, Rauchen im Bett); Meiden beruflicher Gefährdungssituationen mit über das Alltagsrisiko hinausgehenden Gefährdungen; Meiden anamnestisch identifizierter oder individuell anfallauslösender Situationen und Reize (Reflexepilepsien); regelmäßige Einnahme der Antikonvulsiva.

• Dennoch weitgehend „normale Lebensführung“ ohne sozialen Rückzug (die u. U. seltenen Anfälle dürfen nicht zum Lebensmittelpunkt werden). Vermeidung zu starken sekundären Krankheitsgewinns mit konsekutiver „Angst vor Anfallfreiheit“.

Therapie der symptomatischen und kryptogenen fokalen Epilepsien

Zusammenfassung der Empfehlungen Die Erstbehandlung der Epilepsie erfolgt mit einer Monotherapie, für die in Abhängigkeit vom Epilepsiesyndrom, von spezifischen Nebenwirkungsprofilen, möglichen Langzeiteffekten und individuellen Aspekten des betreffenden Patienten auszuwählen ist zwischen (alphabetisch)

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Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Topiramat und Valproinsäure (A). Bei Versagen der Ersttherapie kann – ebenfalls nach individuellen Gesichtspunkten – auf eine alternative Monotherapie mit einer anderen der o.g. Substanzen oder zu einer Kombinationstherapie gewechselt werden. Als Kombinationsmedikamente stehen dann zusätzlich zu den o.g. in erster Linie Levetiracetam, Pregabalin und Tiagabin zur Verfügung (A). Nach Versagen der Zweittherapie ist eine alternative Monotherapie, eine alternative Zweifachtherapie oder auch eine Polytherapie aus drei und – in Ausnahmefällen – mehr Wirkstoffen möglich. Zusätzlich ist zu diesem Zeitpunkt in einer Spezialklinik die Diagnose des Epilepsiesyndroms und ggf. die Indikation zu einem operativen Vorgehen zu überprüfen. Bei sorgfältiger Indikationsstellung ist ab diesem Zeitpunkt des Krankheitsverlaufs die oft kurative Operation als Therapie der Wahl anzusehen (A). Bei medikamentös-therapierefraktären, inoperablen Epilepsien stellt die Implantation eines Vagusnervstimulators eine sinnvolle Behandlungsalternative dar, insbesondere bei Patienten, die unter Medikamentennebenwirkungen leiden (B).

Medikamentöse Epilepsietherapie

Medikamentöse Ersttherapie

Für die medikamentöse Epilepsietherapie steht eine zunehmende Zahl von Medikamenten zur Verfügung, die in die sog. klassischen und neuen Medikamente unterteilt werden. Zu den klassischen Medikamenten gehören (alphabetisch) Carbamazepin (CBZ), Phenobarbital (PB), Phenytoin (PHT), Primidon (PRM) und Valproinsäure (VPA). Zu den neuen Medikamenten gehören Gabapentin (GBP), Lamotrigin (LTG), Levetiracetam (LEV), Oxcarbazepin (OXC), Pregabalin (PGB), Tiagabin (TGB) und Topiramat (TPM). Aus dieser Gruppe sind LEV, PGB und TGB nicht zur Monotherapie zugelassen. Weiterhin werden Benzodiazepine in der Therapie der chronischen Epilepsie eingesetzt, bevorzugt wird hier das Clobazam (CLB). Auch Sultiam (ST) wird eingesetzt. Für nur noch selten einzusetzende Antikonvulsiva der ferneren Wahl (s. u.) wie Azetazolamid, Benzodiazepine wie Diazepam und Clonazepam, Brom, Felbamat, Mesuximid, Vigabatrin bestehen enge Indikationsgrenzen, und es werden teils aufwändige Verlaufskontrollen bezüglich spezifischer Nebenwirkungen gefordert; Einzelheiten hierzu können in dieser Leitlinie nicht dargestellt werden. Bei der Entscheidung, welches Medikament in der Ersttherapie eingesetzt wird, spielen verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle. Die klassischen Antiepileptika sind alle zur Monotherapie zugelassen, von den neueren Medikamenten sind es derzeit Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin und Topiramat. Bei fokalen Epilepsien lassen alle bisherigen Studien nur erkennen, dass keine deutlichen Unterschiede in der durchweg guten Wirksamkeit vorhanden sind (⇑⇑). Die Entscheidung, welches Medikament in der Ersttherapie eingesetzt wird, richtet sich nach dem Syndrom und nach den Bedürfnissen des Patienten. Zunehmend spielen auch Kostenfaktoren eine Rolle. Dies mag dazu beitragen, dass Carbamazepin für fokale Epilepsien und Valproinsäure für primär generalisierte Epilepsien weiterhin als die bevorzugten Medikamente der ersten Wahl angesehen werden. Aus ärztlicher Sicht sind aber bei der Wahl des Wirkstoffs auch die z. T. erheblichen unerwünschten Nebenwirkungen und Langzeitfolgen (z. B. Osteoporose) und die u. U. ungünstige Pharmakokinetik von VPA und CBZ zu berücksichtigen. Die Wahl des Erstmedikaments sollte daher all diese Aspekte berücksichtigen und vor allem individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten sein; eine dogmatische Festlegung auf eine Ersttherapie mit CBZ bzw. VPA ist nicht sinnvoll. Die Dosierungen der Antikonvulsiva (Tabelle 1) sind bezüglich Eindosierungstempo und Enddosis sehr individuell zu gestalten, ein Dosierungsrahmen ist jeweils den Produktinformationen zu entnehmen. Gemäß einer gängigen Regel sollte jedes Antikonvulsivum bis zur Nebenwirkungsgrenze eindosiert werden; allerdings muss damit gerechnet werden, dass die letzten Aufdosierungsschritte von mittleren zu individuell höchstmöglichen Dosen nur noch eine geringe Zunahme der Wirksamkeit zeigen. Die Nebenwirkungsgrenze kann bei Kombinationstherapien deutlich niedriger liegen als bei Monotherapien. Die Dosisanpassung sollte primär anhand der individuellen Wirksamkeit und der klinischen Verträglichkeit, nicht anhand von Serumspiegeln erfolgen. Laborchemisch überhöht erscheinende Serumspiegel begründen bei guter Verträglichkeit und Anfallkontrolle keine Dosisreduktion.

Medikamentöse Zweittherapie

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In der Regel sollte der ersten Monotherapie eine zweite Monotherapie oder eine Kombinationstherapie zweier Wirkstoffe folgen (⇑⇑). Eine zweite Monotherapie ist vor allem dann erfolgreich, wenn die erste Monotherapie nebenwirkungsbedingt nicht hochdosiert erfolgen konnte. Die Umsetzung von der ersten auf die zweite Monotherapie kann bei manchen Medikamenten infolge der Interaktionen zwischen den Medikamenten durch Nebenwirkungen oder Anfallzunahme kompliziert werden. Generell sind Antikonvulsiva leichter zu kombinieren, wenn es nicht zu störenden medikamentösen Wechselwirkungen kommt. So ist z. B. eine Umstellung von Carbamazepin auf Phenytoin schwieriger zu handhaben als eine Umstellung von Lamotrigin auf Oxcarbazepin. Ähnlich schwierig kann die Umsetzung von Valproinsäure auf Lamotrigin sein, da es zu nebenwirkungsreichen Interaktionen kommen kann. Es empfiehlt sich, von vornherein die Behandlungsstrategie schriftlich zu fixieren, damit bei den folgenden Besuchen die grundsätzliche Strategie nicht aus den Augen verloren wird. Dabei gilt, dass läsionelle Epilepsien in der Regel schwerer therapierbar sind. Hier ist eine Kombinationstherapie von vornherein zu erwarten, so dass Medikamente, die sich gut kombinieren lassen (d. h. moderne Medikamente ohne Enzyminduktion und ohne Interaktionspotenzial), frühzeitig eingesetzt werden. Bevorzugt in der Kombination werden Medikamente wie Gabapentin, Lamotrigin, Levetiracetam, Pregabalin und Topiramat. Eine sinnvolle Kombinationstherapie setzt die detaillierte Kenntnis der Pharmakokinetik und der Pharmakodynamik voraus. Die für die Wahl des Ersttherapeutikums wichtigen Charakteristika der einzelnen Medikamente sind stichwortartig im Anschluss dargestellt. Detaillierte Informationen müssen dem Beipackzettel und der Produktinformation entnommen werden.

Vorgehen bei Versagen der Zweittherapie

Ist eine Therapie auch mit dem zweiten Medikament oder gar der ersten Kombination nicht erfolgreich, sind eine Diagnoseüberprüfung und eine intensive Prüfung der therapeutischen Alternativen dringend angezeigt. Zur Diagnoseüberprüfung gehört der Ausschluss zusätzlicher oder ausschließlich auftretender dissoziativer (psychogener) Anfälle oder der anderen oben aufgeführten Differenzialdiagnosen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte eine Zuweisung zu einer Spezialklinik erfolgen, die mit Methoden der modernen Diagnostik (Video-EEG-Doppelbildaufzeichnung u. a.) die Frage der Operabilität der Epilepsie prüft und Differenzialdiagnosen ausschließt.

Antikonvulsiva zur Erst- bzw. Mono- und Kombinationstherapie im Erwachsenenalter (⇑⇑)

• Carbamazepin: pro: breite Erfahrungsgrundlage, gute Verträglichkeit, contra: wegen Enzyminduktion teils ungünstige Interaktionen in Kombinationen sowie mit exogen zugeführten oder körpereigenen Hormonen, mögliche kognitive Beeinträchtigungen (im Alter zunehmend), allergische Exantheme bei 5–8%, selten Leukopenie.

• Valproinsäure: pro: breite Erfahrungsgrundlage, keine Sedierung, auch bei eventuell nicht erkannter idiopathischer generalisierter Epilepsie hochwirksam, auch i.v. Gabe möglich, contra: selten inakzeptable NW vor allem bei Frauen (PCOS, Gewichtszunahme, Haarausfall), sehr selten Leberversagen (meist im Kleinkindesalter), Enzephalopathie, Interaktionen durch Verdrängung aus der Eiweißbindung, Enzyminhibition.

• Lamotrigin: pro: gut verträglich, positiv psychotrop, contra: selten gravierende allergische Reaktionen, niedriges Eindosierungstempo, teils problematische Interaktionen durch Enzyminduktion (cave: Anfallsrezidive unter oraler Antikonzeption und Nachlassen der kontrazeptiven Wirkung).

• Gabapentin: pro: sehr gut verträglich auch im Senium, praktisch keine Interaktionen, keine hepatische Metabolisierung, hohes Eindosierungstempo, contra: gelegentlich sedativ, dreimal täglich Gabe erforderlich; bei niedriger glomerulärer Filtrationsrate verringerte Dosis verordnen.

• Oxcarbazepin: pro: gute Verträglichkeit, Erfahrungen von Carbamazepin wahrscheinlich z. T. übertragbar, contra: selten ausgeprägte Hyponatriämien, kognitive Nebenwirkungen im Alter zunehmend.

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• Phenytoin: pro: breite Erfahrungsgrundlage, nicht sedierend, unproblematische Umstellung auf i.v. Gabe, contra: geringe therapeutische Breite, teils problematische Interaktionen, teils intolerable NW (Gingivahyperplasie, Hirsutismus), allergische Exantheme, zerebellare Schäden bei Intoxikation oder dauerhafter hochdosierter Therapie, kardial arrhythmogen, eventuell problematisch bei psychiatrischer Komorbidität, Enzyminduktion.

• Topiramat: pro: wenig Interaktionen, Gewichtsreduktion als eventuell gewünschter Nebeneffekt, contra: relativ niedriges Eindosierungstempo, teils zu ausgeprägter Gewichtsverlust, kognitive Beeinträchtigungen, selten Nephrolithiasis.

• Phenobarbital/Primidon: pro: breite Erfahrungsgrundlage, auch bei eventuell nicht erkannter idiopathischer generalisierter Epilepsie hochwirksam, unproblematische Umstellung auf i. v. Gabe, contra: Sedierung, kognitive Beeinträchtigung, teils problematische Interaktionen, eventuell ungünstig bei psychiatrischer Komorbidität, Dupuytren-Kontraktur.

Antikonvulsiva zur Kombinationstherapie (⇑⇑)

• Levetiracetam: pro: gute Verträglichkeit, schnelle Eindosierung, wenig Interaktionen, contra: noch wenig klinische Erfahrungen, psychische Nebenwirkungen v.a. bei Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen, eventuell Toleranzentwicklung.

• Tiagabin: pro: gute Verträglichkeit, contra: selten nonkonvulsive Status provozierend.

• Clobazam: pro: wenig Interaktionen, gute Verträglichkeit, contra: oft Wirkverlust, Sedierung und/oder kognitive Beeinträchtigung bei höheren Dosen.

• Pregabalin: pro: gute Verträglichkeit, wenig Interaktionen, contra: noch wenig klinische Erfahrungen, Nebenwirkung Gewichtszunahme.

Antikonvulsiva der ferneren Wahl (Auswahl) • Vigabatrin zur add-on-Therapie bei ansonsten therapieresistenten fokalen Epilepsien, ferner bei

West-Syndrom; Nebenwirkungen: irreversible konzentrische GF-Störungen in über 40% der Fälle, psychiatrische Neuerkrankungen unter Vigabatrin, siehe aktuelle Fach- und Gebrauchsinformationen.

• Felbamat beim Lennox-Gastaut-Syndrom; NW: aplastische Anämie, Leberversagen!; siehe aktuelle Fach- und Gebrauchsinformationen.

• Bromid bei therapieresistenten Epilepsien mit generalisiert tonisch-klonischen Anfällen; NW: Sedation, Bromakne.

• Benzodiazepine Clonazepam, Diazepam, Lorazepam bei therapieresistenten fokalen und generalisierten Anfällen; NW: Sedation, Wirkverlust, Abhängigkeit.

• Sultiam bei therapieresistenten fokalen Epilepsien; NW: Hyperventilation, Parästhesien, dosisabhängig Gewichtsabnahme.

• Azetazolamid bei therapieresistenten Absenzen und fokalen Anfällen sowie progressiver Myoklonusepilepsie; NW: Verwirrtheit, kardiale Arrhythmien.

Epilepsiechirurgie (⇑)Eine Indikation zur Diagnostik bezüglich epilepsiechirurgischer Behandlungsmöglichkeiten besteht prinzipiell bei jedem Patienten mit pharmakoresistenter fokaler Epilepsie. Dabei ist „Therapieresistenz“ definiert als das Nichterreichen der o.g. Therapieziele trotz konsequenter Medikation. Konkret: bei hochdosierter, hinreichend langer Therapie (bei relativ niedriger Anfallfrequenz: mindestens 5Faches des gegebenen Durchschnittsintervalls zwischen zwei Anfällen) mit nacheinander mindestens zwei Antikonvulsiva erster Wahl oder einem Antikonvulsivum erster Wahl und einer

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Kombinationstherapie erster Wahl dennoch intolerable Anfallfrequenz und/oder intolerable Nebenwirkungen und/oder intolerable Einschränkungen der Lebensqualität. Aus dieser Gruppe (ca. 20–30% aller Epilepsiepatienten) sind etwa 10–20%, also 2–3% aller Epilepsiepatienten, epilepsiechirurgische Kandidaten. Das moderne epilepsiechirurgische Konzept befürwortet, dass die Epilepsiechirurgie weit früher eingesetzt werden sollte als dies bisher geschehen ist. Dies bedeutet nicht, dass sie eine Alternative zur medikamentösen Therapie ist, aber in Abhängigkeit von den voraussichtlichen Erfolgschancen und dem mutmaßlichen Komplikationsrisiko der operativen Therapie wesentlich früher in das therapeutische Konzept eingebunden werden sollte. So ist zum Beispiel ein Patient mit einer mesialen Temporallappenepilepsie mit MR-tomographischen Zeichen einer Hippocampussklerose ein epilepsiechirurgischer Kandidat mit exzellenten Erfolgsaussichten, der hingegen meist nicht entscheidend von einer antikonvulsiven medikamentösen Behandlung profitiert. Die antikonvulsive Therapie muss zumindest in den ersten Jahren nach der Operation weitergeführt werden. Bei einem Patienten ohne MR-tomographisch identifizierbare epileptogene Läsion ist die Wahrscheinlichkeit der postoperativen Anfallfreiheit maximal bei etwa 50% anzusetzen. Hier sollte eine ausführlichere Therapieresistenzprüfung erfolgen. Jeder Therapeut ist angehalten, die epilepsiechirurgische Behandlungsmöglichkeit mit in sein Therapiekonzept zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzubeziehen und dem Patienten zu erläutern. Hierzu ist es entscheidend, den Patienten mit Hilfe der diagnostischen Vorbefunde zunächst in einem Kontinuum einzuordnen, welches von Kandidaten mit exzellenten Erfolgsaussichten bis zu Patienten mit geringen Aussichten auf postoperative Anfallfreiheit reicht. Diese Zuordnung wie auch die Indikation zum epilepsiechirurgischen Eingriff kann nur in speziellen Zentren mit großer Erfahrung in der Epilepsiechirurgie gestellt werden, daher sollte die Zuführung des Patienten in solche Einrichtungen bei Versagen der medikamentösen Therapie rechtzeitig geplant werden. Details der sog. prächirurgischen Diagnostik, die jedem epilepsiechirurgischen Eingriff vorauslaufen sollte und die aus einer ausführlichen MRT-, EEG- und neuropsychologischen Diagnostik sowie ggf. weiteren bildgebenden Untersuchungen besteht, sind den entsprechenden Lehrbüchern zu entnehmen, ebenso die Einzelheiten zu den individuell zu wählenden operativen Eingriffen (Engel u. Pedley 1997). Im nichtspezialisierten Krankenhaus und beim niedergelassenen Neurologen sollte ein qualitativ hochwertiges MRT als erster Schritt für die Konzeptbildung durchgeführt werden. Weitere Untersuchungen, wie die Durchführung eines PETs oder SPECTs, sollten Spezialkliniken vorbehalten werden, da für sie spezielle Indikationen bestehen. Patienten mit multifokalen Epilepsien sind in der Regel keine geeigneten Kandidaten für epilepsiechirurgische Eingriffe. Lediglich Patienten, bei denen Sturzanfälle oder schwere Grand-mal-Anfallserien das Bild dominieren, können als Kandidaten für eine palliative Callosotomie in Betracht gezogen werden.

Medikamentöse Therapie bei epilepsiechirurgischen Patienten

Präoperativ bei kurativen Eingriffen möglichst Einstellung auf antikonvulsive Monotherapie. Bei palliativen Eingriffen präoperativ individuell möglichst optimale Medikation (meist Kombinationstherapie). Nach einem erfolgreichen epilepsiechirurgischen Eingriff kann die antiepileptische Medikation frühestens nach einem Jahr allmählich ausgeschlichen werden. Angesichts nennenswerter Rückfallquoten von etwa 30% im Langzeitverlauf nach epilepsiechirurgischen Eingriffen ist auch eine postoperative medikamentöse Langzeitbehandlung zumindest bei solchen Patienten zu erwägen, deren Krankheitsgeschichte mutmaßliche Prädiktoren eines erhöhten Rückfallrisikos erkennen lässt (z. B. fehlender histologischer Nachweis einer epileptogenen Läsion, präoperative Epilepsiedauer > 20 Jahre; siehe im Einzelnen McIntosh et al. 2004, Yoon et al. 2003, Schmidt et al. 2004b). Änderungen der medikamentösen Behandlung sollten nur in Rücksprache mit dem Patienten und dem behandelnden Zentrum erfolgen. Anfallrezidive nach Absetzen der Antikonvulsiva können meist durch die vorherige medikamentöse Behandlung kupiert werden.

Vagusnervstimulator (⇑)

Der Vagusnervstimulator ist ein im Brustbereich implantiertes Stimulationsgerät von der Größe eines Herzschrittmachers, das über eine Reizelektrode in der Regel mit dem linken N. vagus verknüpft ist. Er stimuliert im Regelfall alle fünf Minuten für dreißig Sekunden. Nach bisher vorliegenden Daten und Patientenerfahrungen (ca. 20000 Patienten) liegt die Wirksamkeit des Vagusnervstimulators in der Größenordnung der Wirksamkeit eines neuen Antiepileptikums, ohne aber dessen Nebenwirkungen zu haben. Nebenwirkungen der Vagusnervstimulation sind Heiserkeit, u. U. Kribbelparästhesien im

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Halsbereich, die entweder nach kurzer Zeit vom Patienten toleriert oder aber nach einer gewissen Zeit nicht mehr bemerkt werden. Hauptproblem der Vagusnervstimulation ist, dass sich die Wirksamkeit erst im Laufe der Zeit, meist erst nach 6 Monaten, entwickelt. Oft kann die Wirksamkeit erst ein Jahr nach Implantation beurteilt werden. Nach jetzigem Kenntnisstand sind gute oder weniger geeignete Kandidaten bisher nicht zu differenzieren, so dass lediglich der Erfolg retrospektiv den Einsatz dieser Therapiemethode rechtfertigt. Kosten-Nutzen-Studien in Schweden und Belgien zeigen, dass nach 3–4 Jahren ein eindeutiger „Kostenvorteil“ besteht. Die Indikation zur Implantation eines Vagusnervstimulators zur palliativen Therapie ist bei Patienten gegeben, deren Anfälle pharmakoresistent sind und die nicht einer resektiven epilepsiechirurgischen Behandlung zugeführt werden können. Die streckenweise auftretenden positiv psychotropen Effekte der Vagusnervstimulation werden von vielen Patienten dankbar wahrgenommen. Prinzipiell sollte bei erfolgreicher Vagusnervstimulation auch eine Vereinfachung des meist polytherapeutischen medikamentösen Regimes überlegt werden (Schmidt et al. 1999). Die Implantation und die aufwändige Nachbetreuung sollten nur in spezialisierten Epilepsiezentren vorgenommen werden.

Vorgehen Nach Indikationsstellung und Ausschluss seltener Kontraindikationen (ausgeprägte Lungenfunktionsstörung, Z.n. Vagotomie) chirurgische Implantation des Stimulators, postoperativ ambulante Nachsorge mit Einstellung der Reizparameter (Stromstärke, Reizdauer, Intervall zwischen Stimulationen), individuell angepasste medikamentöse antikonvulsive Therapie.

Therapie der idiopathischen Epilepsien

Zusammenfassung der Empfehlungen Valproinsäure bleibt Medikament der ersten Wahl zur Behandlung idiopathischer Epilepsien mit generalisierten Anfällen (A); gegen isolierte Absenzen bleibt auch Ethosuximid Medikament der ersten Wahl. Nach individueller Abschätzung der speziellen Nebenwirkungsprofile kann bei manchen Syndromen auch die initiale Gabe von Lamotrigin oder Topiramat erwogen werden (B). Als Reservepräparate bei Therapieresistenz stehen Phenobarbital und Benzodiazepine sowie in Zukunft möglicherweise auch Levetiracetam (noch keine diesbezügliche Zulassung!) zur Verfügung (B). Fokale idiopathische Epilepsien des Erwachsenenalters wie die autosomal-dominant vererbte nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) oder die familiäre Temporallappenepilepsie (FTLE; s. u.) können wie andere fokale Epilepsien behandelt werden (B).

Therapie der idiopathischen Epilepsien mit fokalen Anfällen (⇑)ADNFLE (autosomal-dominant vererbte Frontallappenepilepsie) und FTLE (familiäre Temporallappenepilepsie): Carbamazepin-Monotherapie, bei Therapieversagen weiter wie unter „medikamentöser Epilepsietherapie“ beschrieben.

Therapie der idiopathischen Epilepsien mit (auch) generalisierten Anfällen

Ersttherapie (⇑⇑)

• Monotherapie mit Valproinsäure, bei Absenzen als einziger Anfallart alternativ Monotherapie mit Ethosuximid.

• Alternativ: Monotherapie mit Lamotrigin oder Topiramat.

Bei Versagen der Ersttherapie (⇑)

• Persistenz von Absenzen: Valproinsäure plus Ethosuximid/Mesuximid oder Valproinsäure plus Lamotrigin oder Valproinsäure plus Clobazam.

• Persistenz von generalisiert tonisch-klonischen Anfällen: Valproinsäure plus Lamotrigin oder Valproinsäure plus Phenobarbital/Primidon oder Monotherapie Lamotrigin oder Komedikation Topiramat oder Levetiracetam oder Clobazam.

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• Persistenz von myoklonisch-impulsiven Anfällen: Komedikation mit Phenobarbital/Primidon oder Clobazam, Topiramat, Levetiracetam.

• Ein Wechsel auf eine Valproinsäure-Monotherapie ist bei idiopathischen Epilepsien vorzunehmen, wenn die Ersttherapie mit einem anderen Wirkstoff erfolgt war.

Bei Versagen der Zweittherapie (⇔)

Andere klinisch und rational sinnvolle Zweifach- oder Mehrfach-Kombinationen der o. g. Wirkstoffe. Überprüfung der Diagnose (s. o.).

Bei Versagen sämtlicher medikamentöser Therapien

• Möglichst Vereinfachung einer Polytherapie zur Zweifach- oder Monotherapie. • Gegebenenfalls Vagusstimulator.

Spezielle Syndrome (Beispiele stichwortartig)

Progressive Myoklonusepilepsie (⇑)• Hochdosiert Piracetam oral (bis 40 g/Tag), ggf. nach einleitend intravenöser Therapie, • Valproinsäure, • bei Versagen Monotherapiewechsel auf oder Kombination mit Clobazam, Lamotrigin, eventuell als

Komedikation, • bei Versagen Levetiracetam, • bei Versagen Versuch mit Zonisamid (in Deutschland nicht zugelassen), Azetazolamid.

Reflexepilepsien (⇔)• 1. Wahl Valproinsäure-Monotherapie, • 2. Wahl Clobazam oder Lamotrigin.

Unklassifizierbare Anfälle bzw. Syndrome (⇔)• 1. Wahl Valproinsäure, • 2. Wahl Carbamazepin oder Lamotrigin oder Clobazam, ggf. in Zweierkombinationen.

Schwer zu behandelnde Epilepsien Trotz des Einsatzes aller Behandlungen medikamentöser und chirurgischer Art verbleibt eine Gruppe von Patienten, deren Erkrankung chirurgisch nicht angehbar ist und die auch mit einer Polytherapie mit oder ohne Vagusnervstimulator unbefriedigend eingestellt sind. Gerade bei dieser Patientengruppe muss überlegt werden, ob es nicht noch Therapiealternativen gibt. Dazu gehört beispielsweise die Hormontherapie bei katamenialen Anfällen. Ein weiteres Therapieziel diesseits der Anfallfreiheit kann sein, eine relativ nebenwirkungsarme Therapie anzustreben. Die Reduktion auf eine Mono- oder Zweiertherapie wird häufig vom Patienten positiv aufgenommen. Hier sollten vor allem Medikamente zum Einsatz kommen, die positiv psychotrop sind (Lamotrigin), und die Reduktion auf rein nächtliche Anfälle kann auch eine wesentliche Therapieerleichterung für den Patienten darstellen. Verbindliche Regeln für die Behandlung dieser Patienten gibt es nicht. Hier muss immer wieder versucht werden, die Behandlungssituation im Sinne des Patienten zu optimieren und auch neu zugelassene Medikamente einzusetzen.

Beendigung der Behandlung • Allgemein: Sehr individuell unter Berücksichtigung von Anfallsituation, Nebenwirkungen und

sozialer Situation des Patienten zu entscheiden. Rezidivrisiko durchschnittlich nicht unter 30%, in Abhängigkeit von Prädiktoren persistierender Epileptogenität individuell auch sehr viel höher (z. B. bei MR-tomographisch nachweisbarer typischerweise epileptogener Läsion oder bei Diagnose bestimmter idiopathischer Epilepsien wie der juvenilen myoklonischen Epilepsie mit einem Rückfallrisiko bis zu 90%).

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• Voraussetzung: Anfallfreiheit (Ausnahme: Patientenwunsch nach Absetzen bei intolerablen Nebenwirkungen trotz Wirkstoffwechsel bei Epilepsie mit ohnehin nur relativer Behandlungsindikation, z. B. Oligoepilepsie).

• Anfallfreies Intervall bei chronischer Epilepsie vor Absetzversuch: Minimum 24 Monate, abhängig von individueller Konstellation diverser Prädiktoren. Nachgewiesene oder vermutete Prädiktoren eines geringen Rezidivrisikos: normaler neurologischer Befund, zuletzt normales EEG (nur bei idiopathischen Epilepsien), Anfallfreiheit unter Ersttherapie, Erkrankungsbeginn in der Jugend, nur ein Anfalltyp, länger dauernde Anfallfreiheit vor Absetzversuch, kein Vorliegen einer juvenilen myoklonischen Epilepsie, keine fortbestehende ZNS-Erkrankung (z. B. inoperabler Resttumor), keine sekundär generalisiert tonisch-klonischen Anfälle. Bei Häufung negativer Prädiktoren kann auch eine langjährige Fortsetzung einer Monotherapie trotz Anfallfreiheit sinnvoll sein, insbesondere bei idiopathischen Epilepsien.

• Tempo der Abdosierung des letzten in wirksamer Dosierung eingesetzten Monotherapeutikums: Ausschleichen über ca. 6 Monate bis zum vollständigen Absetzen, nach individueller Abwägung auch schnellere Abdosierung, z. B. um jeweils 25% der Tagesdosis je 2 Wochen, also über insgesamt 8 Wochen. Minderung des Rezidivrisikos durch langsamere Abdosierung nicht sicher belegt. Cave: Entzugserscheinungen, z. B. bei Benzodiazepin-Abdosierung, ggf. gegen Ende der Abdosierungsphase niedrigeres Reduktionstempo.

• Bei Anfallrezidiv: Wiedereinsetzen der zuletzt gegebenen Monotherapie ist in etwa der Hälfte der Fälle sofort wirksam, es kann aber in Einzelfällen Jahre dauern, bis wieder Anfallfreiheit erreicht wird. Etwa 10–20% der Patienten sind auch nach mehrjähriger Behandlung nicht anfallfrei (Schmidt u. Löscher 2005).

Ergänzende Kommentare zur aktuellen Evidenz Erstbehandlung mit „klassischen“ vs. „neueren“ Antiepileptika: Bei Patienten mit fokalen Anfällen sind die zur Erstbehandlung zugelassenen neueren Antiepileptika (GBP, LTG, OXC, TPM) nach doppeltblinden kontrollierten Vergleichstudien ähnlich wirksam wie klassische Wirkstoffe (CBZ, VPA, PHT) bei in manchen Studien besserer Verträglichkeit (Übersichten bei Kwan u. Brodie 2003, Vazquez 2004, French et al. 2004 a, b, Schmidt et al. 2005). Bei idiopathischen Epilepsien mit generalisierten Anfällen sind Topiramat (Biton et al. 1999) und Lamotrigin (zumindest bei Kindern mit Absenzen; siehe Frank et al. 1999) zwar in placebokontrollierten Studien wirksam, kontrollierte Studien zum Vergleich mit VPA in der Ersttherapie liegen aber nicht vor. Eine neuere retrospektive Studie legt eine Überlegenheit von VPA gegenüber LTG in der Erstbehandlung nahe (Nicolson et al. 2004). Die Evidenz reicht nicht aus, um zur Wirksamkeit neuerer vs. klassischer Antiepileptika bei verschiedenen Syndromen von idiopathischen Epilepsien mit generalisierten Anfällen verbindlich Stellung zu nehmen. So kranken viele Studien zu generalisiert tonisch-klonischen Anfällen an einer mangelnden Differenzierung von idiopathischen und nichtidiopathischen Ätiologien (Übersicht in Faught 2003); dies mag erklären, warum zwar VPA und LTG, aber u. U. auch CBZ und PHT als gut wirksam für diese Anfälle befunden werden. Mono- vs. Kombinationstherapie mit (u. a.) neueren Antiepileptika nach gescheiterter Ersttherapie: Es bleibt angesichts des weitgehenden Fehlens randomisierter Studien umstritten, ob eine Kombinationstherapie einer alternativen Monotherapie als Zweitbehandlung überlegen ist (Übersicht in Beghi et al. 2003). Eine neuere randomisierte, prospektive, aber offene Studie ergab keine wesentliche Differenz zwischen diesen beiden Regimes (Beghi et al. 2003). Aktuell muss diese Therapieentscheidung weiterhin nach individuellen patientenbezogenen Gesichtspunkten gefällt werden. GBP, LEV, LTG, OXC, TGB und TPM sind als add-on-Medikamente bei therapierefraktären fokalen Epilepsien wirksam, LEV, LTG und OXC auch als Monotherapeutika (Übersicht in French et al. 2004b). Für therapierefraktäre generalisierte Epilepsien bei Erwachsenen kann bei der derzeitigen, naturgemäß schwachen Evidenzlage allenfalls TPM, mit Abstrichen auch LTG empfohlen werden (French et al. 2004b). Vagusnervstimulation: Die meisten vorliegenden Studien sind retrospektiv angelegt und vergleichen allenfalls Gruppen mit hohen vs. niedrigen (mutmaßlich subtherapeutischen) Reizstärken, da „placebokontrollierte“ Untersuchungen bei diesem Verfahren prinzipiell nicht möglich sind. Die Überlegenheit der Therapie mit höheren Reizstärken ist gesichert. Insgesamt erreichen 30% oder mehr

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der Patienten eine Reduktion der Anfallfrequenz um mehr als 50%, der Anteil der anfallfreien Patienten liegt deutlich unter 10%. Ein Therapieeffekt stellt sich bei manchen Patienten erst im zweiten Behandlungsjahr ein (Binnie 2000, Privitera et al. 2002, Amar et al. 2004, Vonck et al. 2004, Scherrmann et al. 2001, Spanaki et al. 2004). Epilepsiechirurgie: Weltweit wird aus epilepsiechirurgischen Zentren übereinstimmend berichtet, dass Eingriffe nach sorgfältiger Indikationsstellung bei etwa zwei Dritteln der Patienten zu dauerhafter Anfallfreiheit führen (Engel u. Pedley 1997, Cascino 2004, Schmidt et al. 2004 a, b). Dennoch liegt, vor allem aufgrund nahe liegender medizinethischer Fallstricke, bislang nur eine randomisierte Studie vor, die klinisch-epileptologisch vergleichbare, schon therapierefraktäre Patienten hinsichtlich des Therapieerfolgs chirurgischer vs. medikamentöser Behandlung untersuchte – mit dem erwarteten Ergebnis, dass das operative Vorgehen hochsignifikant erfolgreicher war (Wiebe et al. 2001). Diese Studie betraf ausschließlich Temporallappenepilepsien, für andere fokale Epilepsien kann weiterhin „nur“ der absolute Therapieerfolg ohne Vergleich mit adäquaten Kontrollgruppen herangezogen werden (Tonini et al. 2004). Der Temporallappenchirurgie vergleichbare Erfolgsquoten können zumindest bei läsionellen extratemporalen Epilepsien erzielt werden (Übersicht in Grunwald et al. 2000). Zum Langzeitverlauf nach Epilepsiechirurgie liegen nur wenige Studien vor, sämtlich retrospektiv und die Temporallappenchirurgie betreffend. Der Anteil anfallfreier Patienten liegt nach zehn Jahren immer noch zwischen 40 und 60% (Salanova et al. 1999, McIntosh et al. 2004) oder gar bei 75% (Eliashiv et al. 1997). Das späte postoperative Absetzen erhöht die Rückfallrate (Schiller et al. 2000, Schmidt et al. 2004 a, b); dieser Effekt kann verschwinden, wenn die Antiepileptika bevorzugt bei vermeintlichen „Niedrig-Risiko-Patienten“ abgesetzt werden (McIntosh et al. 2004).

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Tabelle 1 Dosierungen und Serumkonzentrationen der wichtigsten Antikonvulsiva

Substanz (Abkürzung)

Eindosierungstempo (orientierend)

Zieldosis (mg) (orientierend)

Anzahl der Tagesdosen

Therapeutische Serumkonzentrationen (µg/ml) (orientierend) = irrelevant

Wirkungen auf Serumkonzentrationen ande- rer Antikonvulsiva = irrelevant

Carbamazepin (CBZ)

200 mg alle 3 Tage 400-2.000 2 (retard) 3 (nicht-retard)

3-12 LTG (⇓) VPA (⇓)

Clobazam (CLB)

5 mg pro Tag 10-40 2 * *

Gabapentin (GBP)

300 mg alle 1-3 Tage

1.200-3.600 3 * *

Lamotrigin (LTG)**

Monotherapie: 25 mg für 2 Wo., dann 50 mg für 2 Wo., dann 50 mg pro Woche

100-600 2 2-15 *

Levetiracetam (LEV)

250-500 mg alle 1-3Tage

1.000-3.000 2 * *

Oxcarbazepin (OXC)

300 mg alle 1-5 Tage

900-2.400 2-3 7,5-30 (vor allem bei hoher OXC Dosis LTG ⇓)

Phenobarbital (PB)

25-50 mg alle 3-5 Tage

50-200 1-2 10-40 CBZ (⇓) LTG (⇓) VPA (⇓)

Pregabalin (PGB)

75-150 mg pro Woche

300-600 2 * *

Phenytoin (PHT)

50-100 mg alle 3-5 Tage, gegen Ende in 25-mg-Schritten

200-500 2-3 5-25 CBZ (⇓) LTG (⇓) OXC (⇓)

Primidon (PRM)

62,5-250 mg alle 7 Tage

500-1.000 3 5-15 wie PB

Tiagabin (TGB)

5 mg alle 5-7 Tage 30-50 1 * *

Topiramat (TPM)

25 mg pro 1-2 Woche(n), ab 100 mg: 50 mg pro Woche

50-400 2 7-20 *

Valproinsäure (VPA)

300-600 mg alle 3-5Tage

600-3.000 1-2 (retard) 2-3 (nicht retard)

40-120 CBZ-Epoxid (⇑) LTG (⇑) PB (⇑) PHT (frei) (⇑)

**bei Kombination mit enzyminduzierenden bzw. -hemmenden Antikonvulsiva u. U. deutlich zu modifizierende Enddosen und/oder Eindosierungstempi

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Verfahren zur Konsensbildung Überarbeitet von der Expertengruppe unter Berücksichtigung der Rückmeldungen zur vorherigen, publizierten Version von 2002. Korrigiert durch die Kommission Leitlinien der DGN. Endgültig verabschiedet durch die Expertengruppe am 1. 11. 2004.

Kooperationspartner und Sponsoren Diese Leitlinie entstand ohne Einflussnahme oder Unterstützung durch die Industrie.

Expertengruppe Prof. Dr. J. Bauer, Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn

Prof. Dr. R. W. C. Janzen, Neurologische Klinik, Krankenhaus Nordwest, Frankfurt a. M.

Prof. Dr. M. Kurthen, Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn

PD Dr. H. Lerche, Klinik für Neurologie, Universität Ulm

Prof. Dr. D. Schmidt, Arbeitsgruppe Epilepsieforschung, Berlin

Prof. Dr. H. Stefan, Neurologische Klinik mit Poliklinik, Zentrum Epilepsie Erlangen, Universität Erlangen-Nürnberg

Federführend: Prof. Dr. C. E. Elger, Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn

e-mail: [email protected]

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