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Schneller zur tPA Helsinki-Protokoll reduziert Zeit bis zur Lyse fast um die Hälfte Die Finnen machen es vor: Steht das Schlaganfallteam schon bereit, wenn der Krankenwagen eintrifft, müssen die Patienten 20 Minuten weniger auf die Lyse warten. Die Bemühungen, Patienten schneller zu behandeln, werden häufig auf einen ra- scheren Transport der Patienten in die Stroke Unit fokussiert. Doch auch eine gute Organisation innerhalb der Klinik kann Verzögerungen vermeiden. So lässt sich das Intervall von der Anlieferung der Betrof- fenen bis zur Lyse (Tür-bis-Nadel-Zeit, TNZ) maßgeblich verkürzen – und zwar fast um die Hälfte. Diese Erfahrung haben nun auch australische Ärzte um Bruce Campbell, Universität Melbourne, gemacht. Die Not- fallmediziner holten sich den Finnen Atte Meretoja in ihr Team, um die Prozesse in ihrer Klinik zu überprüfen und die TNZ weiter zu verkürzen. Als Vorlage diente das Helsinki-Modell: Durch eine Reihe von Maßnahmen war es Ärzten um Meretoja gelungen, die TNZ an der Uniklinik in Hel- sinki im Schnitt auf nur 20 Minuten zu verkürzen. Von keiner Klinik der Welt wur- den bisher kürzere TNZ veröffentlicht, be- richtet Campbell in seiner aktuellen Publi- kation. Zum Vergleich: In einem Bericht der Berliner Ärztekammer wird es als Erfolg gewertet, dass es in der Hauptstadt immer- hin 60 % der Patienten innerhalb einer Stunde von der Tür zur Lysenadel schaffen, in Helsinki sind es 94 %. Nicht viel besser sah es auch in Melbourne aus, bevor Meretoja dort eine adaptierte Version des Helsinki-Modells implemen- tierte: Die TNZ lag hier im Schnitt bei etwa einer Stunde – es dauerte hier also dreimal so lange wie in Helsinki, bis die Patienten lysiert wurden. Das Team um Campbell und Meretoja schaute sich nun an, welche Maßnahmen sie auf das australische System übertragen konnten. Dann verglichen sie die TNZ von 85 lysierten Schlaganfallpati- enten vor der Implementierung des neuen Modells mit der TNZ von 48 Patienten da- nach. Das neue Protokoll galt zudem nur während der üblichen Geschäftszeiten (8 bis 17 Uhr), die Patienten, die in der übrigen Zeit eintrafen, wurden nach dem alten System behandelt und dienten ebenfalls als Kontrollgruppe. Zu den zeitsparendsten Änderungen zählte eine Alarmierung des Schlaganfall- Teams direkt vom Krankenwagen aus: Ein Notarzt alarmiert das Team in der Klinik, sobald er den Anruf eines Krankenwagens mit einem Schlaganfallpatienten erhält. Dadurch steht das Team beim Eintreffen des Patienten schon bereit, was etwa fünf bis zehn Minuten Zeit spart. Bevor der Rettungswagen eintrifft, versucht das Stroke-Team schon mal über die Einsatz- zentrale so viele Informationen wie möglich zu dem Patienten zu bekommen. Falls möglich, wird auch der Hausarzt angerufen und um Angaben zur medizinischen Vor- geschichte gebeten. Dadurch lässt sich die TNZ um weitere fünf Minuten verkürzen. Die Finnen haben hierbei gegenüber den Australiern allerdings einen großen Vorteil: Mühsame Recherchen entfallen oft, da die Ärzte dort Zugriff auf nationale Bildarchive und andere medizinische Datenbanken haben, in denen ein Großteil der Leiden und Behandlungen sämtlicher Finnen ge- speichert wird. Mit der Rettungswagen-Liege ins CT: Als weitere Zeitfalle erwies sich das Umbetten von der Transportliege. Dieses entfiel nach dem neuen Protokoll, die Ärzte schieben ihre Patienten nun mit der mobilen Bahre des Rettungswagens direkt zum CT, was die TNZ um weitere zehn Minuten verkürzt. Im CT-Raum liegt auch schon das i.v.-Set für die tPA-Lyse bereit. Mit der Lyse kann im Anschluss an die Bildgebung sofort im CT-Raum begonnen werden, was etwa drei Minuten Zeitersparnis bringt. Insgesamt verkürzte sich die TNZ von 61 Minuten unmittelbar vor dem neuen Lyse- protokoll auf 46 Minuten in den vier Mona- ten danach. Die Zeitersparnis fand praktisch ausschließlich während der Geschäftszeiten statt, in denen das Helsinki-Protokoll galt. Hier halbierte sich die TNZ fast von 43 auf 25 Minuten und erreichte ähnliche Werte wie in Helsinki, dagegen blieb die TNZ in den übrigen Zeiten mit dem alten System im Wesentlichen konstant (Rückgang von 67 auf 62 Minuten). Das Helsinki-Modell, so Campbell und Mitarbeiter, lässt sich folglich auch auf Kli- niken in anderen Ländern übertragen, wobei ähnliche TNZ erreicht werden. Der Notfallmediziner weist auch darauf hin, dass mit dem neuen Protokoll weder hö- here Kosten noch ein erhöhter Personal- aufwand entstanden sind. Thomas Müller springermedizin.de Das Helsinki-Protokoll Mit folgenden Maßnahmen konnten finnische Ärzte bei Schlaganfall-Patienten die durchschnittliche Zeit von der Klinikaufnahme bis zur tPA-Lyse auf nur 20 Minuten verkürzen: Notarzt im Krankenwagen alarmiert direkt einen Assistenten des Stroke-Teams. Dieser bestätigt die Aufnahme des Patienten in der Klinik, stellt das Ärzte-Team zu- sammen und recherchiert die medizinische Historie des Patienten. Beim Eintreffen des Krankenwagens steht das Stroke-Team bereit und weiß genau, wer da kommt. Nationale medizinische Datenbanken erleichtern die Recherche des Stroke-Teams ebenso wie eine Personenkennnummer. Die Kennnummer erhalten alle Finnen bei der Geburt, sie ermöglicht auch eine klare Zuordnung medizinischer Befunde in den Datenbanken. Ein Anruf beim Hausarzt ist daher nicht nötig. Der Patient kann schon vor dem Eintreffen für alle anstehenden Untersuchungen registriert werden. Alle wichtigen Blutuntersuchungen werden vorbereitet, INR- (als Point-of-Care- Test) und Glukosewerte liegen vor, wenn die Lyse-Entscheidung ansteht. Im Krankenwagen erhält der Patienten bereits einen i.v.-Zugang. Patienten werden auf der Krankenwagenliege in den CT-Raum gerollt und zuvor nicht umgebettet. tPA-Utensilien liegen im CT-Raum bereit. Dort kann sofort nach der Bildgebung mit der Lyse begonnen werden. 18 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10) PflegeKolleg Schlaganfall

Helsinki-Protokoll reduziert Zeit bis zur Lyse fast um die Hälfte

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Schneller zur tPA

Helsinki-Protokoll reduziert Zeit bis zur Lyse fast um die HälfteDie Finnen machen es vor: Steht das Schlaganfallteam schon bereit, wenn der Krankenwagen eintrifft, müssen die Patienten 20 Minuten weniger auf die Lyse warten.

Die Bemühungen, Patienten schneller zu behandeln, werden häufig auf einen ra-scheren Transport der Patienten in die Stroke Unit fokussiert. Doch auch eine gute Organisation innerhalb der Klinik kann Verzögerungen vermeiden. So lässt sich das Intervall von der Anlieferung der Betrof-fenen bis zur Lyse (Tür-bis-Nadel-Zeit, TNZ) maßgeblich verkürzen – und zwar fast um die Hälfte. Diese Erfahrung haben nun auch australische Ärzte um Bruce Campbell, Universität Melbourne, gemacht. Die Not-fallmediziner holten sich den Finnen Atte Meretoja in ihr Team, um die Prozesse in ihrer Klinik zu überprüfen und die TNZ weiter zu verkürzen. Als Vorlage diente das Helsinki-Modell: Durch eine Reihe von Maßnahmen war es Ärzten um Meretoja gelungen, die TNZ an der Uniklinik in Hel-sinki im Schnitt auf nur 20 Minuten zu verkürzen. Von keiner Klinik der Welt wur-den bisher kürzere TNZ veröffentlicht, be-richtet Campbell in seiner aktuellen Publi-

kation. Zum Vergleich: In einem Bericht der Berliner Ärztekammer wird es als Erfolg gewertet, dass es in der Hauptstadt immer-hin 60 % der Patienten innerhalb einer Stunde von der Tür zur Lysenadel schaffen, in Helsinki sind es 94 %. Nicht viel besser sah es auch in Melbourne aus, bevor Meretoja dort eine adaptierte Version des Helsinki-Modells implemen-tierte: Die TNZ lag hier im Schnitt bei etwa einer Stunde – es dauerte hier also dreimal so lange wie in Helsinki, bis die Patienten lysiert wurden. Das Team um Campbell und Meretoja schaute sich nun an, welche Maßnahmen sie auf das australische System übertragen konnten. Dann verglichen sie die TNZ von 85 lysierten Schlaganfallpati-enten vor der Implementierung des neuen Modells mit der TNZ von 48 Patienten da-nach. Das neue Protokoll galt zudem nur während der üblichen Geschäftszeiten (8 bis 17 Uhr), die Patienten, die in der übrigen Zeit eintrafen, wurden nach dem alten System behandelt und dienten ebenfalls als Kontrollgruppe.Zu den zeitsparendsten Änderungen zählte eine Alarmierung des Schlaganfall-Teams direkt vom Krankenwagen aus: Ein Notarzt alarmiert das Team in der Klinik, sobald er den Anruf eines Krankenwagens mit einem Schlaganfallpatienten erhält.

Dadurch steht das Team beim Eintreffen des Patienten schon bereit, was etwa fünf bis zehn Minuten Zeit spart. Bevor der Rettungswagen eintrifft, versucht das Stroke-Team schon mal über die Einsatz-zentrale so viele Informationen wie möglich zu dem Patienten zu bekommen. Falls möglich, wird auch der Hausarzt angerufen und um Angaben zur medizinischen Vor-geschichte gebeten. Dadurch lässt sich die TNZ um weitere fünf Minuten verkürzen.Die Finnen haben hierbei gegenüber den Australiern allerdings einen großen Vorteil: Mühsame Recherchen entfallen oft, da die Ärzte dort Zugriff auf nationale Bildarchive und andere medizinische Datenbanken haben, in denen ein Großteil der Leiden und Behandlungen sämtlicher Finnen ge-speichert wird.Mit der Rettungswagen-Liege ins CT: Als weitere Zeitfalle erwies sich das Umbetten von der Transportliege. Dieses entfiel nach dem neuen Protokoll, die Ärzte schieben ihre Patienten nun mit der mobilen Bahre des Rettungswagens direkt zum CT, was die TNZ um weitere zehn Minuten verkürzt. Im CT-Raum liegt auch schon das i.v.-Set für die tPA-Lyse bereit. Mit der Lyse kann im Anschluss an die Bildgebung sofort im CT-Raum begonnen werden, was etwa drei Minuten Zeitersparnis bringt.Insgesamt verkürzte sich die TNZ von 61 Minuten unmittelbar vor dem neuen Lyse-protokoll auf 46 Minuten in den vier Mona-ten danach. Die Zeitersparnis fand praktisch ausschließlich während der Geschäftszeiten statt, in denen das Helsinki-Protokoll galt. Hier halbierte sich die TNZ fast von 43 auf 25 Minuten und erreichte ähnliche Werte wie in Helsinki, dagegen blieb die TNZ in den übrigen Zeiten mit dem alten System im Wesentlichen konstant (Rückgang von 67 auf 62 Minuten).Das Helsinki-Modell, so Campbell und Mitarbeiter, lässt sich folglich auch auf Kli-niken in anderen Ländern übertragen, wobei ähnliche TNZ erreicht werden. Der Notfallmediziner weist auch darauf hin, dass mit dem neuen Protokoll weder hö-here Kosten noch ein erhöhter Personal-aufwand entstanden sind. Thomas Müller

springermedizin.de

Das Helsinki-Protokoll

Mit folgenden Maßnahmen konnten finnische Ärzte bei Schlaganfall-Patienten die durchschnittliche Zeit von der Klinikaufnahme bis zur tPA-Lyse auf nur 20 Minuten verkürzen:

▶Notarzt im Krankenwagen alarmiert direkt einen Assistenten des Stroke-Teams. Dieser bestätigt die Aufnahme des Patienten in der Klinik, stellt das Ärzte-Team zu-sammen und recherchiert die medizinische Historie des Patienten. Beim Eintreffen des Krankenwagens steht das Stroke-Team bereit und weiß genau, wer da kommt.

▶Nationale medizinische Datenbanken erleichtern die Recherche des Stroke-Teams ebenso wie eine Personenkennnummer. Die Kennnummer erhalten alle Finnen bei der Geburt, sie ermöglicht auch eine klare Zuordnung medizinischer Befunde in den Datenbanken. Ein Anruf beim Hausarzt ist daher nicht nötig. Der Patient kann schon vor dem Eintreffen für alle anstehenden Untersuchungen registriert werden.

▶Alle wichtigen Blutuntersuchungen werden vorbereitet, INR- (als Point-of-Care-Test) und Glukosewerte liegen vor, wenn die Lyse-Entscheidung ansteht.

▶ Im Krankenwagen erhält der Patienten bereits einen i.v.-Zugang.

▶Patienten werden auf der Krankenwagenliege in den CT-Raum gerollt und zuvor nicht umgebettet.

▶ tPA-Utensilien liegen im CT-Raum bereit. Dort kann sofort nach der Bildgebung mit der Lyse begonnen werden.

18 Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (10)

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