7
Abreißen, umbauen oder sanieren? Diese Fra- ge stellte sich die Stadt Vevey als Eigentüme- rin der “Tours de Gilamont”, zweier 14-stöcki- ger Hochhäuser, die zwischen 1967 und 1969 im Norden der Stadt im Viertel Gilamont ent- standen waren. Die 40 m hohen Wohnhäuser zeigten starke Alterungsspuren, die Fassaden verfielen und die Außenanlagen waren be- schädigt. Im Jahr 2000 begann die Stadtver- waltung von Vevey auf Beschwerden von Ein- wohnern des Viertels Gilamont zu reagieren, die eine Vernachlässigung und damit auch eine soziale Ausgrenzung beklagten. Die Behörden entschieden sich für eine Sanierung und die Anpassung an neue Bau- und Wohnstandards. Die auch heute noch vor allem an Famili- en mit niedrigem Einkommen vermieteten 140 Ein- bis Vierzimmerwohnungen wurden in Hin- blick auf eine soziale Mischung vergrößert und die Küchen zum Wohnbereich hin geöffnet. Darüber hinaus wurden Gemeinschaftsräume geschaffen und die Außenanlagen aufgewer- tet. Aufgrund des Umfangs der Arbeiten muss- ten alle Bewohner ihre Wohnungen für den Zeitraum der Innensanierung verlassen. Die Realisierung der je 70 Wohneinheiten erfolg- te in Etappen mit je 14 übereinanderliegenden Wohnungen. Insgesamt wurden so für das ge- samte Projekt fünf Etappen à vier Monate ver- anschlagt. Eine deutliche Reduktion des Energiever- brauchs wurde mit der Fassadensanierung er- reicht. Zur Vermeidung von Wärmebrücken war eine durchgehende Ummantelung der Fas- sade mit Glaswolle der Firma ISOVER erfor- derlich: Mauern, Dach und Fenster wurden in das System miteinbezogen und gedämmt. Kondensatbildung und Wärmeverluste werden durch ein kontrolliertes Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung verhindert, das für ei- 122 Baufokus ENERGETISCHE SANIERUNG ISOVER Multiconfort-Haus Saint-Gobain ISOVER AG www.isover.ch nen ständigen Luftaustausch im Gebäude sorgt. Da für die zusätzlichen Lüftungsrohre im Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- den war, wurden sie außerhalb des Gebäu- des in der Fassadenebene verlegt. Damit dies ohne Wärmeverluste möglich ist, haben der Architekt Patrick Chiché und der Glaswolleher- steller Saint-Gobain ISOVER AG für die “Tours de Gilamont” eine Lösung entwickelt, die Ka- näle in die Isolationsschicht der hinterlüfteten Fassade zu integrieren. Die Dämmwolle von Saint-Gobain ISOVER wurde hierzu auf die Größe der Rohre zugeschnitten, um eine op- timale Wärmedämmung zu erreichen. Die “Tours de Gilamont” werden nach der Sanie- rung als erste renovierte Wohnhochhäuser der Schweiz eine dem Minergie-Label entspre- chende Energiebilanz aufweisen. Das Architekturprojekt beschränkt sich je- doch nicht nur auf die grundlegende Sanie- rung der Gebäude. Die Fassadengestaltung soll der kulturell gemischten Bevölkerung und dem Viertel eine starke visuelle Identität ver- leihen. So entstand die Idee eines Dialoges aus einer schwarzen und einer weißen Eternit- fassade. In Erinnerung an Charlie Chaplin, der die letzten 20 Jahre seines Lebens in Vevey verbrachte, zieren große Wandgemälde die beiden Wohnhochhäuser, die an einer Haupt- verkehrsachse der Stadt liegen, über die man Vevey von der Autobahn her erreicht. Diese Lage verleiht den Hochhäusern dadurch eine herausragende Bedeutung für die Wahrneh- mung der Stadt, die sich auch “Ville de images” nennt. Vevey – Tours de Gilamont

Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

Abreißen, umbauen oder sanieren? Diese Fra-ge stellte sich die Stadt Vevey als Eigentüme-rin der “Tours de Gilamont”, zweier 14-stöcki-ger Hochhäuser, die zwischen 1967 und 1969im Norden der Stadt im Viertel Gilamont ent-standen waren. Die 40 m hohen Wohnhäuserzeigten starke Alterungsspuren, die Fassadenverfielen und die Außenanlagen waren be-schädigt. Im Jahr 2000 begann die Stadtver-waltung von Vevey auf Beschwerden von Ein-wohnern des Viertels Gilamont zu reagieren,die eine Vernachlässigung und damit auch einesoziale Ausgrenzung beklagten. Die Behördenentschieden sich für eine Sanierung und dieAnpassung an neue Bau- und Wohnstandards.

Die auch heute noch vor allem an Famili-en mit niedrigem Einkommen vermieteten 140Ein- bis Vierzimmerwohnungen wurden in Hin-blick auf eine soziale Mischung vergrößert unddie Küchen zum Wohnbereich hin geöffnet.Darüber hinaus wurden Gemeinschaftsräumegeschaffen und die Außenanlagen aufgewer-tet. Aufgrund des Umfangs der Arbeiten muss-ten alle Bewohner ihre Wohnungen für denZeitraum der Innensanierung verlassen. DieRealisierung der je 70 Wohneinheiten erfolg-te in Etappen mit je 14 übereinanderliegendenWohnungen. Insgesamt wurden so für das ge-samte Projekt fünf Etappen à vier Monate ver-anschlagt.

Eine deutliche Reduktion des Energiever-brauchs wurde mit der Fassadensanierung er-reicht. Zur Vermeidung von Wärmebrückenwar eine durchgehende Ummantelung der Fas-sade mit Glaswolle der Firma ISOVER erfor-derlich: Mauern, Dach und Fenster wurden indas System miteinbezogen und gedämmt.Kondensatbildung und Wärmeverluste werdendurch ein kontrolliertes Lüftungssystem mitWärmerückgewinnung verhindert, das für ei-

122

Baufokus

ENERGETISCHE SANIERUNG

ISOVER Multiconfort-HausSaint-Gobain ISOVER AGwww.isover.ch

nen ständigen Luftaustausch im Gebäudesorgt. Da für die zusätzlichen Lüftungsrohre imInnern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan-den war, wurden sie außerhalb des Gebäu-des in der Fassadenebene verlegt. Damit diesohne Wärmeverluste möglich ist, haben derArchitekt Patrick Chiché und der Glaswolleher-steller Saint-Gobain ISOVER AG für die “Toursde Gilamont” eine Lösung entwickelt, die Ka-näle in die Isolationsschicht der hinterlüftetenFassade zu integrieren. Die Dämmwolle vonSaint-Gobain ISOVER wurde hierzu auf dieGröße der Rohre zugeschnitten, um eine op-timale Wärmedämmung zu erreichen. Die“Tours de Gilamont” werden nach der Sanie-rung als erste renovierte Wohnhochhäuser derSchweiz eine dem Minergie-Label entspre-chende Energiebilanz aufweisen.

Das Architekturprojekt beschränkt sich je-doch nicht nur auf die grundlegende Sanie-rung der Gebäude. Die Fassadengestaltungsoll der kulturell gemischten Bevölkerung unddem Viertel eine starke visuelle Identität ver-leihen. So entstand die Idee eines Dialogesaus einer schwarzen und einer weißen Eternit-fassade. In Erinnerung an Charlie Chaplin, derdie letzten 20 Jahre seines Lebens in Veveyverbrachte, zieren große Wandgemälde diebeiden Wohnhochhäuser, die an einer Haupt-verkehrsachse der Stadt liegen, über die manVevey von der Autobahn her erreicht. DieseLage verleiht den Hochhäusern dadurch eineherausragende Bedeutung für die Wahrneh-mung der Stadt, die sich auch “Ville de images”nennt.

Vevey – Tours de Gilamont

203_Baufokus_Kopie_final_mc_Arch+ 20.06.11 23:37 Seite 122

Page 2: Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

In Freiburg wurde in den letzen anderthalb Jah-ren das weltweit erste Hochhaus im Passivhaus-standard saniert. Es handelt sich um einen 16-Geschosser aus dem Jahr 1968. Kein andererGebäudetyp bietet bessere Voraussetzungenzur energetischen Sanierung als das Wohn-hochhaus der Nachkriegszeit. Seine dichteWohnungspackung sorgt für ein günstigesOberfläche-zu-Volumen-Verhältnis, die großeHöhe bringt hohe Solareinträge. Die Sanierungist Teil des Forschungsprojekts “Weingarten2020”, das die Planung, Umsetzung und mess-technische Analyse der energetischen Gebäu-desanierung und der Energieversorgung desStadtteils umfasst. Das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme war für diePlanung der bauphysikalischen Veränderungenzuständig. Zum 30 ha großen Sanierungsge-biet für 5800 Menschen gehören neben dreiweiteren Hochhäusern auch acht- und vierge-schossige Mehrfamilienhäuser sowie Nicht-wohngebäude.

Wie in vielen Siedlungen der 60er Jahreleben auch in Freiburg-Weingarten größten-teils Mieter mit geringem Einkommen. Da stei-gende Energiepreise die Warmmieten in dieHöhe treiben, soll die energetische Sanierungauch dafür sorgen, dass es im Stadtteil langfri-stig ausreichend bezahlbaren Wohnraum gibt.Damit die anspruchsvolle Sanierung zum Pas-sivhaus sich mit sozial verträglichen Mieten ver-einen lässt, wurden zusätzliche Wohnungen ge-schaffen. Die üppigen Wohnungsgrößen desHochhauses entsprachen nicht mehr heutigenMarktbedingungen. Die Grundrisse waren ver-altet, die Flächen zu groß, und die langenschmalen Balkone nicht mehr zeitgemäß. ProGeschoss gibt es jetzt neun Wohnungen stattsechs; die 3-Zimmer-Wohnungen haben eineWohnfläche von 70 qm statt 86 qm, bei den 2-Zimmer-Wohnungen sind es 50 qm statt 64 qm.

Auf diese Weise entsteht Platz für 49 zusätzli-che Wohneinheiten.

Der Primärenergiebedarf des gesamtenStadtteils soll bis 2020 um 50 % gesenkt wer-den. Der Heizwärmebedarf des Gebäudes hatsich um 80 % reduziert. Wesentliches Elementder Ertüchtigung war die Sanierung der Ge-bäudehülle. Dazu gehörte die Minimierung vonWärmebrücken, etwa die thermische Trennungder Balkone. Die bislang vor der Schottenfas-sade durchlaufenden Freisitze wurden zum Teilabgeschnitten, die restlichen eingehaust. Fassa-den und Kellerdecken wurden mit 20 cm, dasDach mit 40 cm Dämmung eingepackt, die Roll-ladenkästen gedämmt. Sämtliche Fenster sindnun mit Dreifachverglasung ausgestattet, derenUw-Wert zwischen 0,8 und 0,9 W/m²K liegt.Zur Realisierung der notwendigen Luftdichtheitnach Passivhausstandard dichtete der Fenster-bauer Kneer-Südfenster die 86 mm tiefenMehrkammerprofile mit der Fensterfolie illbruckME500 TwinAktiv von Tremco illbruck ab. Die-se eignet sich aufgrund ihrer Flexibilität beson-ders für Fensterfugenabdichtungen an Umbau-ten. Es gibt sie in vielen verschiedenen Varian-ten, so mit Bewegungsfalte für besonders un-regelmäßige Fugen und zu erwartende Bewe-gungen, mit mehreren Klebebefestigungen fürdie unterschiedlichsten Anschlüsse, mit Kederzum Einklinken in Kunststofffensterprofile undzum Einputzen in die Fensterlaibung. Im ab-schließenden Test auf Luftdichtigkeit, dem Blo-wer-Door-Test, erreichte das Freiburger Hoch-haus einen Wert von 0,25 – deutlich unter demGrenzwert für Passivhäuser von 0,5.

Bauphysikalisch sorgt die flexible Folie fürdauerhaft trockene Fensteranschlussfugen unddamit für die Unterbindung von Wärmebrückenetwa aufgrund von Durchfeuchtung oderSchimmelbefall. Möglich wird das durch diefeuchtevariable Einstellung der Folie. Ihr Dampf-

123

Freiburg – Bugginger Straße

Berlin – Saatwinkler Damm

diffusionswiderstand passt sich den Feuchte-verhältnissen in der Fuge an. Üblicherweise ver-läuft der Weg des Dampfdrucks vom warmenInneren des Gebäudes nach außen. Dort ent-weicht der Dampf durch die Folie nach draußen.Mitunter jedoch, etwa wenn die Sonne auf dasFenster scheint, kehrt sich der Weg des Dampf-drucks um. In diesem Moment wird die Folie –anders als andere Abdichtungsprodukte, etwaSilikon – nach innen durchlässig; nicht auf Dau-er, sondern nur so lange, bis sich die Druckver-hältnisse “normalisieren” und die Feuchtigkeit wie-der nach außen entweichen kann. Die Fugebleibt so trockener, die Wärmedämmung ist be-sonders gut geschützt. Neben der ertüchtigten

Die Fassadensanierung am Saatwinkler Dammdurch Tremco illbruck wurde von zwei Institutender Hochschule Bochum begleitet. Es ging umden Vergleich von Fugendichtungsbändern undPU-Dichtstoffen in bauphysikalischer und wirt-schaftlicher Hinsicht. Der Eigentümer hatte sichaufgrund der Nähe des Gebäudekomplexeszum Flughafen Tegel und dem Autobahnzu-bringer entschieden, in die Sanierung zu inve-stieren. Die achtgeschossigen Plattenbauten ausden 70er Jahren umfassen 430 Wohnungen.

Im Lauf der Zeit hatten Platten und Fugenunter der Witterung gelitten. Die Mängel blie-ben unbemerkt, bis sich Wasserschäden in denWohnungen zeigten. Sie waren in erster Linieauf den spröden Dichtstoff aus den 80er Jah-ren in den Fugen zurückzuführen. Dieser schütz-te zwar gegen Regen, aber das Kondenswas-ser konnte nicht aus der Fuge heraus diffundie-ren. Wegen der mangelnden Elastizität riss erin vielen Fugen an den Flanken ab und durchdie defekte Außenabdichtung drang Feuchtig-keit ein. Zur vergleichenden Untersuchung wur-den in die Betonfugen verschiedene Abdich-tungsmaterialien eingebracht und durch Son-den die Feuchtigkeitsentwicklung aufgezeichnet.Fazit der Untersuchungen war, dass beim Ein-

satz von diffusionsoffenen Fugenbändern we-niger Tauwasser anfällt als bei einem Fugenver-schluss mit Dichtstoffen. Da das Tauwasser auf-grund der Diffusion schneller wieder trocknenkann, ist keine Korrosion oder Schimmelbildungzu erwarten. Die Fugen müssen für Dichtungs-bänder weniger sorgfältig ausgeräumt werden,daher ist auch der Arbeitsanfall geringer. Wäh-rend eine Fuge mit Fugendichtstoff eine regel-mäßige Wartung erfordert, stellen sich beim Ein-satz von Fugenbändern so gut wie keine Folge-kosten ein, da sie wartungsfrei sind.

Am Saatwinkler Damm wurden die Fugenzuerst mit mineralischem Dämmstoff ausgefülltund anschließend mit insgesamt 16.500 m ill-bruck TP 600 illmod 600 Fugendichtungsbandabgedichtet. Dieses ist vorkomprimiert undschlagregendicht, gleichzeitig auch dampfdif-fusionsoffen. Durch seine Langzeitbeständigkeitbleibt das Dichtungsband elastisch, somit wer-den Flankenabrisse vermieden und das Eindrin-gen von Wasser verhindert.

illbruck ME500 TwinAktivTremco illbruckwww.tremco-illbruck.com

illbruck TP 600 illmod 600Tremco illbruckwww.tremco-illbruck.com

Gebäudehülle tragen verschiedene technischeKomponenten zur Energieeffizienz bei: kontrol-lierte Wohnungslüftung mit Wärmerückgewin-nung und eine Photovoltaikanlage mit 24 kW.

Während der nächsten zwei Jahre wer-den durch Messungen von Warmwasser-,Haushaltsstrom- und Wärmeverbrauch sowieFensterkontakten die Berechnungen überprüft.Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in künfti-ge vergleichbare Planungen einfließen.

203_Baufokus_Kopie_final_mc_Arch+ 20.06.11 23:37 Seite 123

Page 3: Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

124

Baufokus Sanierung

Hamburg –Bebelallee

München – Boschetsrieder Siedlung

GipsfaserplattenFermacellwww.fermacell.de

Keim Klassik SystemKeimfarben GmbH & CoKGwww.keimfarben.de

Die Nachfrage nach Wohnraum ist im Hambur-ger Stadtteil Alsterdorf – wie auch in der ge-samten Hafenmetropole, deren Bevölkerungnach Schätzungen bis 2020 um knapp 5 %wachsen wird – kaum zu befriedigen. Vor die-sem Hintergrund entschloss man sich zu einerNachverdichtung im Quartier Bebelallee. DieBestandsbauten zeichneten sich durch sparsa-men Materialeinsatz aus und verfügen überstatische Reserven in Konstruktion und Grün-dung, die eine Aufstockung erlaubten. Diesewurde als Leichtbaukonstruktion in Holztafel-Fertigbauweise ausgeführt, die noch den Vor-teil bot, in relativ kurzer Bauzeit und mit gerin-gem Baulärm die Aufstockung über dem be-wohnten Bestand zu realisieren.

Da mit den Aufstockungen die Gebäudeautomatisch von der Brandschutzklasse 3 in dieKlasse 4 wechselten, mussten vielfältige Aufla-gen erfüllt werden. So mussten u.a. die Holz-rahmenelemente mit einer Bekleidung verse-hen werden, die im Brandfall für einen Zeit-raum von 60 Minuten (K60) die Konstruktion

Die kriegsbedingten Zerstörungen in der “Sie-mensstadt” in Berlin waren der Grund für eineVerlagerung verschiedener Siemens-Werke,der Firmensitz selbst wurde nach München ver-legt. Hier mussten für die Angestellten neueWohnungen geschaffen werden, zu der Zeiteine mindestens ebenso wichtige Aufgabe wieder Wiederaufbau der Produktionsanlagen.Der Kölner Architekt Emil Freymuth wurde da-mit beauftragt, 530 Wohnungen zu planen. DieBoschetsrieder Siedlung knüpft an die Traditi-on der “Siemensstadt” in Berlin an.

2006 wurde das Architekturbüro Koch +Partner beauftragt, die Siedlung in enger Ab-stimmung mit der Denkmalpflege zu sanierenund die Anmutung der 50er Jahre wieder her-zustellen. Die Rekonstruktion war nur anhandvon Originalfotos, Originalplänen und Be-standsuntersuchungen möglich, da die Sied-lung in den 80er Jahren schon einmal saniertworden war. Durch das Wärmedämmver-bundsystem, die eingebauten Kunststofffenstersowie den neuen Dachstuhl blieb von dem ur-sprünglichen Erscheinungsbild der Gebäudewenig übrig. Die Sanierung verfolgte das ehr-geizige Ziel, den EnEV 2007 Standard um 30-50 % zu unterbieten. Dazu wurde ein minera-lisches Wärmedämmverbundsystem, das KEIMKlassik System aufgebracht und Fenster mit 3-fach Verglasung eingebaut. Tiefe Fensterlaibun-gen infolge der neuen Wärmedämmung hät-

vor Entzündung kapselt. Ausgeführt wurde die-se Bekleidung der Holzkonstruktion mit Ferma-cell Gipsfaser-Platten. Die Platten gewährleis-ten je nach Konstruktion Brandschutz bis zurFeuerschutzklasse F 120 und sind A 2 klassifi-ziert. Sie wurden sowohl für die Innen- als auchfür die Außenwandkonstruktion eingesetzt. DieWände sind beidseitig mit einer doppeltenLage aus 15 mm dicken Fermacell Platten be-plankt und mit einer Dämmung aus SteinwolleWLG 035 im Hohlraum versehen. Sie wurdenin Standardbreite und der erforderlichen Höheim Werk vormontiert. Die Befestigung der Plat-ten erfolgte auf einer Unterkonstruktion aus

ten das Erscheinungsbild gestört. Daher wur-den die neuen Fenster in die neue Dämmebe-ne gesetzt. Ebenso wichtig für die Rekonstruk-tion war es, die für die 50er Jahre typischeschmale Dachkante wiederherzustellen. Dasvorhandene Dach wurde komplett rückgebaut,die Dachsparren aus den 80er Jahren zu einerneuen Dachkonstruktion umgebaut und mitentsprechenden Dämmmaßnahmen wieder aufdie vorhandene Betondecke gesetzt. Aufgrundder zusätzlichen Wärmedämmung verschmä-lerte sich der Dachüberstand. Um dies auszu-gleichen und das Originalmaß von 50 cm wie-der herzustellen, wurde der Dachüberstandverlängert und zusätzlich eckige Regenrinneneingeplant, die die Dachkante noch schmalerwirken lassen.

Die Putzoberflächen aus KEIM-Brilliantputzund die KEIM-Farben (Soldalit/Kieselsolsilikat),die das Wärmedämmverbundsystem kaschie-ren, wurden vor Ort bemustert und zusammenmit der Denkmalpflege festgelegt. Erst nachvollendeter Sanierung wurde den Projektbetei-ligten wirklich klar, welche Gestaltqualität indiesen Gebäuden aus den 50er Jahren ver-borgen gewesen war.

Vollholz mit verzinkten Stahlklammern. Sämtli-che Innen- und Außenwände sowie das Dachwurden komplett ausgestattet per Tieflader zurBaustelle geliefert und montiert.

Insgesamt konnte mit dem realisierten Ent-wurf von blauraum Architekten die Wohnflächeder Häuser an der Bebelallee nahezu verdop-pelt werden. Einer Fläche von 9600 qm im Be-stand steht eine durch Aufstockung gewonne-ne Fläche von 8600 qm gegenüber. Der Ersatzdes alten Sattelkaltdaches durch zwei Stock-werke mit bekiestem Flachdach hat zudem dasOberfläche-zu-Volumen-Verhältnis der Gebäu-de positiv verändert. Während die Wohnungen

Entgegen den ursprünglichen Vorstellungen des Bau-herrn konnte durch die Aufstockung der sechs zwei-und dreigeschossigen Baublöcke von 1959 der offeneCharakter des Quartiers erhalten bleiben.

Die Fotos zeigen die Siedlung im wiederhergestellten“Glanz” der 50erJahre; links unten: Die thermografi-

sche Aufnahmen dokumentieren den beeindrucken-den energetischen Erfolg der Sanierung.

der Altbauten mit ein bis drei Zimmern undGrößen zwischen 40 und 70 qm typisch fürSiedlungen der 50er und 60er Jahre sind, wur-den die Grundrisse der Aufstockungen groß-zügiger konzipiert. Entsprechend der anvisier-ten Zielgruppe sind insgesamt 47 hochwertigausgestattete Drei- bis Vier-Zimmer-Wohnun-gen (vorwiegend Maisonetten) für Familien inGrößen zwischen 70 und 150 qm entstanden.

203_Baufokus_Kopie_final_mc_Arch+ 20.06.11 23:37 Seite 124

Page 4: Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

Innovationen im Bereich der Innendämmungenerlauben es mittlerweile, das leidige Problemder Feuchtigkeitsbildung zu umgehen. Bei derSanierung des Rathauses in Saarlouis 2010wurde als Innendämmung das robuste und ein-fach zu verarbeitende System TecTem Insula-tion Board Indoor von Knauf Perlite eingesetzt.Es hat gute thermische Kennwerte (λ = 0,045W/mK) und soll sich positiv auf das Raumklimaauswirken: Mit dem pH-Wert 10 und der Fä-higkeit, die Luftfeuchtigkeit zu regulieren, ist diemineralische Platte zur Dämmung und gleich-zeitiger Vermeidung von Schimmelpilz geeig-net. Sie nimmt Kondensat auf und gibt es zeit-verzögert wieder ab (der Wasseraufnahmeko-effizient AW beträgt ca. 1,98 kg/m2s0,5, derWasserdampfdiffusionswiderstand μ = 5-6).Feuchtespitzen in der Raumluft werden abge-puffert und die Oberflächentemperatur derWand erhöht.

Bei dem Rathaus wurden 60 mm dickeDämmplatten und das ergänzende TecTem-Zu-behör verarbeitet. Laibungsplatten, Klebe-spachtel, Füllmörtel, Grundierung, Gewebe undFlächenspachtel sind aufeinander abgestimmtund gewährleisten die Kapillaraktivität des Ge-samtsystems. TecTem Platten sind härter als an-dere Platten zur Innendämmung, die Ecken undKanten können sehr stabil und sauber auf Maßzugeschnitten werden. Auf eine Dampfsperrekann bei TecTem Insulation Board verzichtetwerden, da das natürliche mineralische Mate-rial kapillaraktiv ist und große Mengen an

Im stark zerstörten Darmstadt fanden in den50er Jahren die “Darmstädter Gespräche” statt,die sich mit der architektonischen Neuorientie-rung nach dem Zweiten Weltkrieg auseinan-dersetzten. Auf dem Kongress “Mensch undRaum” wurde 1951 darüber diskutiert, wie derMensch als wichtigster Maßstab architektoni-schen Handelns in Zukunft wohnen und lebensollte. Elf sogenannte Meister-Architekten wur-den mit der Planung verschiedener Gebäudebeauftragt, fünf davon wurden realisiert. Einerder Meister-Architekten war Ernst Neufert. Erkonzipierte in der Nachbarschaft der Künstler-kolonie Mathildenhöhe ein Wohnheim für Al-leinstehende.

Die Architekten Karle und Buxbaum wur-den 2000 damit beauftragt, den denkmalge-schützten Komplex grundlegend umzubauen.Weder die technische Ausstattung noch die mi-nimierten Wohnungsgrößen entsprachen denaktuell geltenden Standards und genügten denAnforderungen des Wohnungsmarktes. Unab-hängig von gestalterischen Lösungen musstendie Architekten vor allem gravierende bauphy-sikalische und bautechnische Mängel lösen. Dievorhandene Bausubstanz bot wenig Schall-dämmung und Wärmeschutz, zudem ließ dieStatik keine große Erhöhung der Lastannah-men zu. Zur schalltechnischen Ertüchtigung der11,5 cm dicken Wohnungstrennwände wurdenbeidseitig biegeweiche Knauf VorsatzschalenW626 angebracht. Die abschließende Prüfungder Luftschalldämmung zeigte, dass die Woh-

125

Darmstadt Mathildenhöhe –Neufert Meisterbau

Saarlouis - Rathaus

Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgebenkann. Damit ist eine wesentliche Gefahrenquel-le für Mängel bei der Innendämmung ausge-schlossen. Bei herkömmlichen Dämmsystemenmit Dampfsperre muss diese absolut luftdichtausgeführt werden, um den Tauwasserausfall inder Dämmebene zu vermeiden. Schon wenigeundichte Stellen (Steckdosen, Kabeldurchlässeetc.) machen eine Dampfsperre wirkungslos.Kapillaraktive Systeme sind hier im Vorteil. Tec-Tem Insulation Board besteht aus dem natürli-chen Rohstoff Perlit und mineralischen Bindemit-teln. Die Platte ist absolut faserfrei und ohneGesundheitsrisiken einzusetzen

Die Herstellung von Knauf Perlite machtsich die physikalischen Eigenschaften des vul-kanischen Perlit-Gesteins zunutze. Das glasar-tige Rohgestein wird mechanisch zerkleinertund anschließend abrupt auf über 1000° C er-hitzt. Dadurch wird es zähflüssig, währendgleichzeitig das eingeschlossene Wasser ver-dampft und dabei das Korn auf das 15-20fa-che Volumen auftreibt. Es bildet sich ein weißesGranulat mit Korngrößen von 0-6 mm. So ent-steht Blähperlit, ein leichtes, durch die innereAufporung wärmedämmendes Granulat. Per-lit ist ein unerschöpflicher Rohstoff, Vulkanakti-vitäten sorgen für dauernden Nachschub.

TecTem Insulation BoardKnauf Perlite GmbHwww.knauf-perlite.de

Vorsatzschale W626Knauf Gips KGwww.knauf.de

nungstrennwände ein Bau-Schalldämm-MaßR´w,R von 56 bis 59 dB erreichten und damitunter den Mindestanforderungen lagen.

Was den Wärmeschutz betraf, so betrugder U-Wert der Außenwand in großen Teilen1,8 W/m2K. Es mussten also Maßnahmen zurReduzierung des Heizenergiebedarfs ergriffenwerden. Da die Fassade unter Denkmalschutzsteht, kam nur eine Innendämmung in Frage.Dabei nahmen gestalterische und bauphysika-lische Anforderungen Einfluss auf die Bemes-sung der Dämmstärke. Auch hier konnte dieSanierung durch die Installation einer Vorsatz-schale realisiert werden. Zur Ausführung kameine Bekleidung mit Knauf Verbundplatten MWder Baustoffklasse A2 mit integrierter Dampf-sperre. Bei einer Gesamtdicke von 42 mm undeinem Wärmedurchlasswiderstand von 0,81m2K/W konnte eine Oberflächentemperaturan der Innenseite der Außenwand erreicht wer-den, die eine Kondensatbildung bei üblicherRaumnutzung im Winter vermeidet. Der U-Wertder Außenwand konnte dadurch auf 0,622W/m2K verbessert werden. Zur Vermeidungvon Schimmelbildung an der Decke im Bereichder auskragenden Balkonplatte wurden eben-falls Verbundplatten MW als 50 cm breiterStreifen eingebaut.

Das zwischen 1951 und 1954 errichtete Rathaus ori-entiert sich am historischen Grundriss der 1680 ge-gründeten Vaubanschen Festungsstadt. Der Stahlbe-tonskelettbau wurde mit Ziegelsteinen ausgefacht.

Großflächige Jurakalk-Platten sind an der Schauseitezum Großen Markt angebracht. Die Seitenflügel sindals Putzfassaden mit Natursteinumfassungen ausge-führt. Eine Außendämmung schied von vornherein aus.

Das 8-geschossige Hochhaus wurde um ein Geschossaufgestockt, die zwei unterschiedlich langen, je nachVerlauf des stark abfallenden Geländes 3- bis 4-ge-schossigen Riegel verlängert. 137 vorwiegend 1-Zim-mer Appartments wurden zu 89 Atriumwohnungen,

Maisonettewohnungen und großzügigen 2- und 3-Zimmer-Wohnungen zusammengelegt. 19 Apparte-ments wurden in ihren ursprünglichen Abmessungenerhalten. Die denkmalgeschützte Klinkerfassade mitihren Betonbalkonen blieb unverändert.

203_Baufokus_Kopie_final_mc_Arch+ 20.06.11 23:37 Seite 125

Page 5: Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

126

Baufokus Material

Wenig andere Werkstoffe bieten so vieleMöglichkeiten der Bearbeitung und Verwen-dung wie die Mineralwerkstoffe. Die im Engli-schen auch als Solid Surface-Material bekann-te Werkstoffgruppe wurde in den 60er Jahrenfür Krankenhäuser und Labore entwickelt.Dank der vielfältigen Eigenschaften haben sichSolid Surface-Materialien auch im Design undder Architektur durchgesetzt. Sie erlauben auf-grund ihrer flexiblen Verformbarkeit ein rechtfreies Gestalten, aufgrund ihrer physikalischenEigenschaften können sie in ganz verschiede-nen Bereichen eingesetzt werden: In Küchenund Bädern, im Fassadenbau, im Innenausbau,im Möbeldesign. Bevorzugte Anwendungengibt es in öffentlichen Gebäuden und im Ge-sundheitswesen.

Die in Genf ansässige LG Hausys Europehat mit HI-MACS ein neues Solid Surface-Material entwickelt. Es ist ein Komposit aus Me-tall und Stein. Der Hauptbestandteil besteht zu70 % aus dem natürlichen Mineral Aluminium-hydroxid (ATH), das aus Bauxit (Aluminiumerz)gewonnen wird. Bauxit fällt als Co-Produkt beider Aluminiumerzeugung an. 25 % Acrylharz(Polymethylmethacrylat bzw. PMMA) und 5 %

Millionen kleinster Luftporen sind für die zahl-reichen Baustoffeigenschaften von Ytong ver-antwortlich, die sonst nur durch die Kombina-tion verschiedener Materialien zu erreichensind. Trotz seines geringen Gewichts verfügtder Stein über eine sehr hohe Druckfestigkeit.Die vergleichsweise niedrige Rohdichte für mas-sive Baustoffe sorgt für eine sehr niedrige Wär-meleitfähigkeit. Auch hinsichtlich der Schalldäm-mung wirken sich die Poren günstig aus.

Mit Ytong Multipor wurden die wärme-dämmenden und raumklimatischen Eigenschaf-ten des Porenbetons erhöht. Die Mineraldämm-steine in Plattenstärke weisen lediglich einenMaterialanteil von 5 % auf, sind diffusionsoffenund kapillaraktiv. Tauwasser wird von den Zell-wänden der eingeschlossenen und wärmedäm-menden Luftporen aufgenommen und durchdas natürliche Austrocknungsverhalten des mi-neralischen Materials wieder der Raumluft zu-geführt. Gleichzeitig bleibt der Wärmedämm-wert (Wärmeleitfähigkeit λ = 0,045 W/mK)erhalten. Ytong Multipor ist als mineralischesMaterial nicht brennbar und kann flexibel ein-gesetzt werden.

Die Herstellung des Porenbetons erinnertan Kuchenbacken. Die wesentlichen Zutatensind Sand, Kalk, Zement und Wasser, die einenGroßteil der Erdkruste bilden und praktisch un-erschöpflich sind. Der Sand stammt aus Sand-gruben in unmittelbarer Umgebung der Poren-betonwerke, weshalb die Rezeptur von Werk zuWerk unterschiedlich ist. Der gemahleneQuarzsand wird mit Kalk, Zement und zerklei-nertem Porenbeton-Recyclingmaterial unter Zu-gabe von Wasser und Aluminiumpulver (Recyc-lingprodukt) in einem Mischer zu einer wässri-gen Suspension verrührt und anschließend in

natürliche Pigmente sind die weiteren Bestand-teile von HI-MACS . Dem durch Erhitzung zäh-flüssigen Acryl werden die gemahlenen Mine-ralien und Pigmente zugesetzt; unter Wärmeund Druck entstehen durch Tempern auf einemStahlfließband massive, homogene Platten in 3,6, 9 und 12 mm Stärke oder auch beliebigeFormteile. Im Unterschied zu anderen Mineral-werkstoffen durchläuft HI-MACS bei hohenTemperaturen ein zweites thermisches Verfah-ren, wodurch eine feste Verbindung entsteht, inder etwaige Strukturdefekte ausgeglichen wer-den können. Sowohl die Vorder- als auch dieRückseiten der Platten werden geschliffen, wasin der Weiterverarbeitung speziell für beidsei-tige Anwendungen eine erhebliche Zeiterspar-nis bedeutet. HI-MACS wird Cheongju (Ko-rea) und Atlanta (USA) gefertigt.

Eine der wichtigsten Eigenschaften der Mi-neralwerkstoffe ist ihre einfache Bearbeitbar-keit. Grundsätzlich lassen sie sich ebenso wieHolz bearbeiten. Mit gewöhnlichen Tischler-maschinen und Werkzeugen – viele Verar-beitungsbetriebe kommen ursprünglich ausdem Tischlerhandwerk – können bereits indi-viduelle 2D-Objekte wie Küchenarbeitsplatten

Ytong und Multipor: Luftige Steine

HI-MACS : In jeder Richtung verformbar

große Formen gegossen. Ähnlich wie Backpul-ver im Kuchenteig ist das Aluminiumpulver dasTreibmittel für das Rohstoffgemisch: Als Was-serstoffgas bläht es die Porenbeton-Masse mitkleinen, gleichmäßigen verteilten Bläschen auf.Die Poren besitzen einen Durchmesser von ca.0,5-1,5 mm. Aus 1 cbm Rohstoff entwickeln sichca. 5 cbm Porenbeton. In etwa zwei Stundenentstehen halbfeste ca. acht Meter lange Roh-blöcke, aus denen maschinell mit Hilfe straffgespannter Stahldrähte senkrecht und waage-recht die Porenbetonbauteile sowie Profilierun-gen und Grifftaschen geschnitten werden. An-schließend erfolgt die Härtung des Materials inAutoklaven bei 190° C und einem Dampfdruckvon 12 bar. Hier bilden sich aus den eingesetz-ten Stoffen Calcium-Silikathydrate, die dem inder Natur vorkommenden Mineral Tobermoritentsprechen. Die Reaktion des Materials ist mitder Entnahme aus dem Autoklav abgeschlos-sen. Sie nimmt also im Vergleich zur Betonhär-tung nur wenige Stunden in Anspruch. Der ge-samte Prozess ist nach etwa 10-12 Stunden ab-geschlossen. Nach dem Austrocknen ist in denPoren nur noch wärmedämmende Luft. DerDampf wird nach Abschluss des Härtungspro-zesses für weitere Autoklavzyklen verwandt.Das anfallende Kondensat wird als Prozesswas-ser genutzt. Auf diese Weise wird Energie ein-gespart und eine Belastung der Umwelt mit hei-ßem Abdampf und Abwasser vermieden. Po-renbeton-Bausteine werden anschließend pa-lettenweise gestapelt und eingeschweißt.

Ytong MultiporYtong Silka / Xella Deutschland GmbH www.xella.de

Beim Thermoforming (auch als Warmformen, Tiefzie-hen oder Vakuumtiefziehen bekannt) kann HI-MACSunter Erwärmung in sehr kleinen Radien geformt wer-den. Die Platte wird gleichmäßig auf eine Temperaturvon 160-180° C aufgeheizt und in eine negative Form

gelegt. Die erwärmte Platte wird mit Hilfe von Druckund Vakuum an die Positivform gedrückt oder auf ei-nem Vakuum-Tisch durch eine Membran in die Formgezogen. Nach dem Abkühlen können Schleif- undEndbearbeitung des geformten Werkstücks erfolgen.

Ytong Plansteine und Ytong Multipor Dämmsteinedurchlaufen dieselben Produktionslinien. Lediglich inder Zusammensetzung der Grundstoffe unterscheidensie sich, so dass mit Multipor ein sehr viel poröseresDämmmaterial entsteht. Wasserstoffgas bläht die Po-

renbeton-Masse in den Wannen auf. Nach dem Ab-binden werden die halbfesten Rohblöcke zugeschnit-ten und unter Wasserdampf in Autoklaven gehärtet.Danach werden sie in recyclebare Folie eingeschweißtund auf Europaletten für den Transport abgesetzt.

203_Baufokus_Kopie_final_mc_Arch+ 20.06.11 23:37 Seite 126

Page 6: Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

127

oder Waschtischplatten hergestellt werden.Stark erhitzt kann Mineralwerkstoff in prak-tisch jede Form gebogen und wieder abge-kühlt werden. Dieses Thermoforming erfolgtohne Verlust an Leistungsfähigkeit. Der wesent-lichste Aspekt dabei ist jedoch, dass das Ther-moforming nahtlose Verbindungen ermöglicht.Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass Ge-brauchsspuren wie Kratzer, hartnäckige Fle-cken usw. entfernt und beschädigte Teile ohnesichtbare Spuren ersetzt werden können.

HI-MACS hat keine Poren, wodurch eineoptimale Hygiene gewährleistet ist. Es ist be-ständig gegen die meisten Chemikalien, weisteine hohe UV-Beständigkeit sowie Farbechtheitauf und ist resistent gegen Wasser, Schmutzund Feuchtigkeit. Das Material ist in Oberflä-che und Haptik einem Stein sehr ähnlich, wes-halb LG bei seinem Produkt auch von einemAcrylstein spricht. HI-MACS ist in mehr als100 Farben erhältlich und kann marmoriert,gesprenkelt oder homogen durchgefärbt wer-den. Durch Hinterfräsung bzw. die Verwen-dung transluzenter Farben wird das Materiallichtdurchlässig, was die Gestaltungsmöglichkei-ten noch einmal erweitert. LG Hausys hat mit derSerie Eden eine neue Oberfläche auf denMarkt gebracht, die gegenüber anderen Mi-neralwerkstoffen eine ökologische Alternativedarstellt. Die Serie besteht zu 40 % aus zerti-fiziertem, recyceltem Material und ist in 13 ver-schiedenen Farben erhältlich, die sich an Töneder Natur anlehnen. Mit Eden realisierte Pro-jekte erhöhen die Chancen, im Rahmen desGreen Building Rating Systems LEED (Leader-ship in Energy and Environmental Design) zer-tifiziert zu werden.

HI-MACS findet neben den Einzelpro-dukten zunehmend mehr Verwendung im In-nenausbau. Ein herausragendes Beipiel ist dasneue Opera House von Zaha Hadid in dersüdchinesischen Stadt Guangzhou (der dritt-größten Stadt Chinas), das auf einer Insel imPearl River Delta gelegen ist, und von Hadidmit ihrem Londoner Büro realisiert wurde. Mankönnte sagen, dass HI-MACS sich dank sei-ner thermoplastischen Verformbarkeit beson-ders für Hadids expressive Formensprache eig-net. Das Opera House ist als zweiteilige Struk-tur konzipiert. Es besteht aus dem GrandTheatre mit 1800 Sitzplätzen und der angren-zenden Mehrzweckhalle mit 400 Sitzplätzen.Es soll ein neues kulturelles Wahrzeichen aufder Insel “Haixinsha Tourist Park Island” werden.

Rund 5000 qm HI-MACS wurden fürden Innenausbau des Opernhauses verwen-

HI-MACSLG Hausys www.himacs.eu

Opera House in Guangzhou von Zaha Hadid: Für den Innenausbau wurden HI-MACS in großem Umfang bei der Gestaltung der Probenräume und der Verkleidung derKonstruktion eingesetzt.

det. Er erwies sich mit den gefalteten Decken-strukturen als äußerst kompliziert, aber die Ar-chitektin hatte mit dem Werkstoff bereits guteErfahrungen beim Ausbau des Hotel PuertaAmérica in Madrid gesammelt. Das Materialwurde in den Proberäumen für Ballet undOper sowie für die Übungsräume der Musik-bands, für einen Wandschrank im VIP-Bereichund im öffentlichen Speiseraum eingesetzt. DieMöglichkeit der fugenlosen Verarbeitung ohnesichtbare Verbindungen wurde intensiv ge-nutzt, zum Beispiel mit dem organischen Über-gang von Wand und Decke in einem der Pro-beräume. Auch für die Verkleidung und Aus-fachungen der Konstruktionen wurden größereMengen HI-MACS eingesetzt.

Der HI-MACS Quality Club, ein Netz au-torisierter Verarbeitungsexperten, unterstütztPlaner und Architekten bei der fachmännischenAnwendung.

203_Baufokus_Kopie_final_mc_Arch+ 20.06.11 23:37 Seite 127

Page 7: Innern des Gebäudes kein Platz mehr vorhan- ENERGETISCHE

erhält es bei 190° C Einbrenntemperatur seinfarbiges Finish. Auf den Rahmen ist mit einerneuartigen, von außen nicht sichtbaren Verbin-dungstechnik eine ergonomisch geformte, ein-teilige Sitz- und Rückenmembran aus vier Mil-limeter starkem Polypropylen aufgespannt. Dieaustauschbare, durchgefärbte Kunststoffscha-le ist pflegeleicht und weitgehend unempfind-lich gegen mechanische Beanspruchungen. Dasgeringe Gesamtgewicht des Stuhls von weni-ger als fünfeinhalb Kilogramm und die guteGreifbarkeit sorgen für einfache und komfor-table Handhabung der bis zu vier Stück stapel-baren Stühle. Das Material des Gestells und diespezifische Fertigungstechnik verbinden Kom-fort und Belastbarkeit mit geringen Materialdi-mensionen und Präzision. Dass Material- undGewichtseinsparung ökologisch vorteilhaft ist,muss nicht extra betont werden, außerdemlässt sich Stahl einfach in Materialkreisläufe zu-rückführen.

Gewichts zu erzeugen, um den Benzinver-brauch und die CO2-Emissionen zu senken.Computerprogramme simulieren diesen Pro-zess präzise, wodurch es möglich wird, dieGrenzen des technisch noch Machbaren aus-zuloten. In langwierigen Recherchen und Mach-barkeitsstudien in der Automobilindustrie undbei Zulieferern wurde schließlich ein Weg ge-funden, die Space-Frame-Technologie aus demKarosseriebau auf die Produktion des Chassis-Stuhlgestells zu übertragen.

In dem Verfahren verformt und zieht dasPresswerkzeug das vorgeschnittene 1 mm dün-ne Stahlblech mit 300 Tonnen Druck in einemStück zum hochfesten Sitz- und Rückenrahmen.Geometrie, Ausschnitte, Pressdruck, Geschwin-digkeit und Dämpfung sind so abgestimmt, dassbeim Tiefziehen keine Risse entstehen. Die vor-her ausgelaserten Blechstücke werden für dieProduktion der vier Anschlussstutzen der Stuhl-beine verwendet, so dass so gut wie kein Ver-schnitt entsteht. Anschließend werden Rahmen,Anschlussstutzen und Beine mit einem Schweiß-roboter zum kompletten Stuhlgestell zusam-mengefügt. In der Pulverbeschichtungsanlage

128

Baufokus Design

Chassis

Vor sechs Jahren begann mit der Entwicklungeines stapelbaren Mehrzweckstuhls die Zusam-menarbeit von Wilkhahn und dem DesignerStefan Diez. Dieser Stuhl sollte eine Brücke zwi-schen Arbeits- und Lebenswelt schlagen, fürsich alleine, aber auch in der Gruppe wirkenund Funktionalität, industrielle Fertigungspräzi-sion und Langlebigkeit mit ökologischen Vortei-len verbinden.

Am Ausgangspunkt des Entwurfs des Uni-versalstuhls stand die Metapher eines Fahrrad-Sattels: eine technische und filigrane Tragstruk-tur aus Stahl mit dem Sitz als körpernahem Ele-ment. Wie beim Fahrradsattel war es das Ziel,das Gestell des neuen Stuhls aus Stahl fertigenzu lassen. Stahl ist ein Material, das präziseformbar ist, eine hohe Stabilität aufweist, in gro-ßer Menge verfügbar ist und sich unbegrenztrecyclen lässt.

Ein erster Prototyp aus Blechgestell wurdeWilkhahn vorgestellt. Schnell wurde deutlich,dass die Umsetzung der prägnanten Formen-sprache angesichts der geforderten Stabilitätbei gleichzeitig geringem Gewicht neue Wegein der Fertigungstechnologie erfordert. In ei-nem langwierigen Prozess entstand somit einebenso leichtes wie hochfestes Chassis, bei demes sich im Grunde – und das erklärt den Na-men – um eine Art selbsttragende Karosseriein Form eines Stuhls handelt. Ohne Auflagebringt er gerade einmal 2,6 Kilogramm auf dieWaage, ist also viel leichter als etwa ein ver-gleichbares Gestell aus Aluminiumdruckgussoder Kunststoff. Im Automobilbau sind in denletzten Jahren neue Verfahrenstechnologien beider Verformung von dünnen Stahlblechen ent-standen, mit deren Hilfe sich dreidimensionaleFormen mit engen Radien herstellen lassen. Zieldieses Verfahrens ist es, eine hohe Stabilität derAutokarosserie bei gleichzeitiger Reduktion des

Der Name “Chassis” wird von Wilkhahnund Stefan Dietz programmatisch verstanden.Neben der Parallele in der Herstellungstechniksoll der Stuhl an die Eleganz sportlicher Fahr-zeuge erinnern.

Chassis wird in den Gestellfarben Graphit-schwarz, Grauweiß und Betongrau sowie inFeuerrot und Braungrün geliefert. Den Gestell-farben sind Sitzschalen in den entsprechendenFarbabstufungen zugeordnet, wobei die pa-tentierte Verbindungstechnik es auch erlaubt,textile Materialien auf das Gestell aufzuspan-nen. Die verschiedenen Stoffe (Canvas, Hop-sack, Lama) sind wiederum in fünf verschiede-nen Farbabstufungen erhältlich.

ChassisWilkhahnWilkening + Hahne GmbH+Co.KGwww.wilkhahn.de

203_Baufokus_Kopie_final_mc_Arch+ 22.06.11 12:53 Seite 128