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Die Bundeswehr im Golfkonflikt 1990/91 Das MG-Bataillon 10 an der Ostfront Operation »Das Land Moses« 1964/65 Frieden in Kolumbien? ISSN 0940-4163 Militärgeschichte im Bild: Verlassener irakischer Panzer und brennende Ölquellen am Ende des Golfkrieges, März 1991. ZMS Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Bw Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Heft 4/2020

ISSN 0940-4163

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Page 1: ISSN 0940-4163

Die Bundeswehr im Golfkonflikt 1990/91

Das MG-Bataillon 10 an der Ostfront

Operation »Das Land Moses« 1964/65

Frieden in Kolumbien?

ISS

N 0

940-

4163

Militärgeschichte im Bild: Verlassener irakischer Panzer und brennende Ölquellen am Ende des Golfkrieges, März 1991.

ZMSZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Bw

MilitärgeschichteZeitschrift für historische Bildung

Militärgeschichtliches Forschungsamt MGFA

Hef

t 4/

2020

Page 2: ISSN 0940-4163

Impressum

ServiceDas historische Stichwort:Die Operationen »Desert Shield« und »Desert Storm« 1990/91 22

Neue Medien 24

Lesetipps 26

Die historische Quelle 28

Geschichte kompakt 29

Ausstellungen 30

Inhalt

Leutnant María Camila Otálora Parra, Comando Conjunto Estratégico de Transición

(CCOET) der Streitkräfte Kolumbiens und Sozialanthropologin an der

Pontificia Universidad Javeriana

18Frieden in Kolumbien?Die Sicht der kolumbianischen Streitkräfte auf den Friedensprozess mit der FARC

Leutnant Wilmer Yesid Piña Peña, CCOET, Psychopädagoge an der Universidad

Pedagógica y Tecnológica de Colombia

Leutnant Germán Andrés Mc Allister Andrade, CCOET, Anthropologe an der

Universidad de los Andes

Operation »Das Land Moses«Israelische Soldaten an der Panzertruppenschule Munster 1964/65

14

Dr. Dirk Wendtorf, Kapitän zur See d.R., geb. 1969 in Hamburg, Professor of Humanities,

Florida State College at Jacksonville, USA

10

Dr. jur. Stefan Sauer, geb. 1966 in Plochingen, Rechtsanwalt

Aus der Pfalz in den KriegDas Maschinengewehr-Bataillon 10 an der Ostfront 1941‑1945

Die Bundeswehr im Golfkonflikt 1990/91

Fregattenkapitän Dr. Christian Jentzsch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im

Forschungsbereich Einsatz am ZMSBw, Potsdam

4

MilitärgeschichteZeitschrift für historische Bildung

Herausgegebenvom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehrdurch Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann undOberst Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.)

Verantwortliche Redakteure der aktuellen Ausgabe:Fregattenkapitän Dr. Christian JentzschOberstleutnant Dr. Klaus Storkmann

Redaktion: Cornelia Grosse M.A. (cg)Major Chris Helmecke M.A. (ch)Fregattenkapitän Dr. Christian Jentzsch (cj)Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann (ks)Henning de Vries M.A.

Bildredaktion: Esther GeigerLektorat: Dr. Aleksandar-S. VuletićKarten: Dipl.-Ing. Bernd NogliLayout: Carola Klinke

Anschrift der Redaktion:Redaktion »Militärgeschichte«Zentrum für Militärgeschichte undSozialwissenschaften der BundeswehrPostfach 60 11 22, 14411 PotsdamE-Mail: [email protected]: www.zmsbw.de

Manuskripte für die Militärgeschichte werden an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt ein-gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der He-rausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung er-folgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak-tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen Medien, auch auszugsweise, anderweitige Ver-vielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten Webseiten und deren Unterseiten.

Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis von 15,00 Euro inklusive Versandkosten (inner-halb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kün-digungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie bitte an: Druckhaus Plagge GmbH An der Feuerwache 7, 49716 Meppen, E-Mail: [email protected]

© 2020 für alle Beiträge beimZentrum für Militärgeschichte undSozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw)

Druck:Druckhaus Plagge GmbH, Meppen

ISSN 0940-4163

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

am 16. Januar 1991 begann die US-geführte Operation »Desert Storm« zur Befreiung Kuwaits und damit der Zweite Golfkrieg. Der Zweite Golfkrieg? In der US-amerikanischen Presse wird er zumeist als First Gulf War oder Gulf War I bezeichnet. Als Zweiter Golfkrieg gilt dort die im März 2003 begonnene Operation »Iraqi Freedom« zur Besetzung des Irak und zum Sturz Saddam Husseins. Dass es zu einer Verwirrung in der Numme-rierung der Golfkriege kommen konnte, zeigt allein schon die Häufigkeit kriegerischer Konflikte in der Region.

Der Erste Golfkrieg war der zwischen Irak und Iran von 1980 bis 1988. Er ist heute in der medialen und historischen Erinnerung kaum noch präsent. Dabei war er einer der verlustreichsten militärischen Konflikte in der zwei-ten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Angaben über die Zahl der Opfer schwanken zwischen 300 000 und 500 000 getöteten Menschen auf jeder Seite.

Jeder der drei Golfkriege hat seine eigenen Ursachen und Anlässe. Die Kriege 1980 und 1990/91 begannen mit einem Angriff des Irak auf seine Nachbarn Iran und Kuwait. Der Krieg 2003 wurde dagegen von einer US-geführten Allianz mit der Begründung begonnen, den Irak an der weiteren Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu hindern und deren Be-stand zu zerstören. Am 5. Februar 2003 führte US-Außenminister Colin Powell bei der entscheidenden Sitzung des UN-Sicherheitsrats angebliche Beweise für biologische und chemische Waffen des Irak vor, die sich später als falsch herausstellten. Powell gab später zu, von den eigenen Geheim-diensten getäuscht worden zu sein, und bezeichnete seinen UN-Auftritt als Tiefpunkt seines politischen Lebens.

Solche Zweifel an der Begründung für den Krieg gab es 1991 nicht. Die Besetzung Kuwaits durch irakische Truppen war ja nicht zu leugnen. Den-noch gab es auch im Januar 1991 große Antikriegsproteste in Deutschland. Die Verfasser dieses Editorials erinnern sich, wie an ihren Schulen damals kontrovers diskutiert und zu Demonstrationen aufgerufen wurde. Unter dem Motto »Kein Blut für Öl« zogen in Deutschland Tausende, vor allem Schülerinnen und Schüler, auf die Straßen.

Auch unter Soldaten aller Dienstgrade der Bundeswehr gab es 1991 Pro-test gegen die beginnenden Einsätze – und Kriegsdienstverweigerungsan-träge. Man habe sich unter gänzlich anderen Voraussetzungen als Zeit- oder Berufssoldat verpflichtet und lehne daher einen Auslandseinsatz ab, hieß es von einigen.

Diese Frage stellt sich schon lange nicht mehr. Das Bundesverfassungs-gericht entschied am 12. Juli 1994, sogenannte Out-of-Area-Einsätze seien verfassungskonform. Wer sich nach 1991, spätestens aber nach der Karls-ruher Entscheidung 1994 für den Dienst als Zeit- oder Berufssoldat ver-pflichtet hat, der weiß, dass sie oder er damit auch in Auslandseinsätze entsendet werden kann.

Christian Jentzsch und Klaus Storkmann

Editorial

J

Militärgeschichte im BildFanale des Untergangs 31

Ein irakischer Panzer sowjetischer Bauart steht verlassen in der Wüste. Im Hintergrund brennen Ölquellen, die vermutlich von sich zurückzie-henden irakischen Truppen in Brand gesetzt worden sind, März 1991.

Fotos wie dieses prägen bis heute das Bild des Zweiten Golfkrieges, der schwere Auswirkungen auf die politische Stabilität der gesamten Region hatte. Foto: picture alliance/Photoshot

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Auf der Website der Bundeswehr wird derzeit als erster Auslandseinsatz die UNSCOM-Mission von 1991 bis 1996 aufgeführt. Deren Auftrag und Ziel war die Überwachung der Zerstörung aller chemi-schen und biologischen Waffen des Irak. Doch handelte es sich dabei um den kleins-ten Teil der deutschen Bundeswehrbeteili-gung an Operationen im Rahmen des Golf-krieges von 1991. Neben UNSCOM waren 1990/91 noch mehrere Tausend weitere Sol-daten im Rahmen von Bündnisverteidi-gung, humanitärer Hilfe und logistischer Unterstützung im Einsatz.

Seit 1955 hatte sich die Bundeswehr intensiv auf den Ernstfall im Kal-ten Krieg vorbereitet. »Kämpfen

können, um nicht kämpfen zu müs-sen!«, so lautete die Devise zur Motiva-tion der Soldaten und zugleich zur Ab-schreckung des Warschauer Pakts. Doch 1990 schien dieser Anspruch überholt. Im Sommer des Jahres berei-tete die internationale Diplomatie nach der »Friedlichen Revolution« 1989 in der DDR die deutsche Wiedervereini-

5�Die Minenjagdboote der Lindau-Klasse liegen im Päckchen an der Pier im Hafen. Die Operation verlief in zwei Phasen, zunächst im Mittelmeer und später im nördlichen Persischen Golf.

gung vor. Die Zwei-plus-Vier-Verhand-lungen zwischen beiden deutschen Staaten, den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion tru-gen wesentlich dazu bei. Am 2. August 1990 unterzeichneten beide deutsche Staaten in Ost-Berlin den Vertrag zur Vorbereitung erster gesamtdeutscher Bundestagswahlen. Tausende Kilome-ter entfernt besetzten am Persischen Golf am selben Tag etwa 10 000 iraki-sche Soldaten das Emirat Kuwait und beeinflussten damit auch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Ereignisse belasteten fortan auch den Einigungsprozess und damit auch die Außenpolitik von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Außenminis-ter Hans-Dietrich Genscher (FDP). Schließlich hing die deutsche Einigung von der Zustimmung der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ab. Es stand die Frage im Raum, wie sich die Sowjetu-nion in dieser Krise verhalten würde, denn sie hatte bisher gute Beziehungen zum Irak gepflegt. Ein Großteil des mo-dernen irakischen Militärgeräts war

sowjetischer Herkunft. Im Sinne der Carter-Doktrin von 1980 unterstützten auf der anderen Seite die USA unter Präsident George H.W. Bush Saudi- Arabien. Seit Präsident James E. (»Jimmy«) Carters Rede vor dem US-Kongress vom Januar 1980 in Reaktion auf die islamische Revolution im Iran, galt der Persische Golf für die USA als eine Region vitalen Interesses, in der sie ihre Vormachtstellung mit allen Mitteln verteidigen würden. Ziel der deutschen Diplomatie war es, während der Golf-krise eine mögliche Entfremdung zwi-schen den USA und der Sowjetunion zu verhindern. Der deutsche Einigungs-prozess durfte durch die Krise nicht ge-fährdet werden.

Die Krise verschärft sich

Noch am 2. August 1990 befasste sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Über-fall des Irak auf Kuwait und verurteilte den Bruch des Weltfriedens. Er forderte mit der Resolution 660 den unverzügli-chen Abzug der irakischen Truppen

Die Bundeswehr im Golfkonflikt Die Bundeswehr im Golfkonflikt 1990/911990/91

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Die Bundeswehr im Golfkonflikt

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Bündnisgebietes verfassungsrechtlich nicht möglich sei. Es ging im Kern be-reits um die Frage über die Rechtmä-ßigkeit von »Out-of-Area-Einsätzen« der Bundeswehr. Bereits 1982 und 1987 hatte es dazu Debatten gegeben, in de-nen die Positionen auch innerhalb der Parteien nicht eindeutig waren. Diese Diskussion wurde auch 1990/91 innen-politisch kontrovers ausgetragen und letztlich erst mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 geregelt.

Der »Minenabwehrverband Südflanke«

Am 10. August 1990 entschied die Bun-desregierung, einen Minenabwehrver-band ins Mittelmeer zu verlegen. Nach weniger als einer Woche liefen am 16. August fünf Minenkampfboote so-wie ein Tender und ein Trossschiff als Versorger aus Wilhelmshaven aus. Da-mit hatte die erste Phase der Bundes-wehreinsätze im Zusammenhang mit der Irakkrise begonnen. Zu diesem Zeitpunkt stand die Konfliktpräven-tion im Vordergrund der internationa-len Anstrengungen. Die 6. US-Flotte war bereits auf dem Weg in den Persi-schen Golf und ihr folgten noch wei-tere NATO-Schiffe. Aufgabe des deut-schen Verbandes war die Entlastung der alliierten Seestreitkräfte im Mittel-meer. Damit bot die Bundesrepublik der Allianz eine Kompensation, weil gegen eine Teilnahme an Kampfhand-lungen außerhalb des NATO-Gebietes auf deutscher Seite erhebliche innen-politische Vorbehalte bestanden.

Allein die Ausrüstung und Herstel-lung der Einsatzbereitschaft innerhalb von sieben Tagen während der Ferien-zeit und ohne mobile Telefonie war be-merkenswert. Ihr vorläufiges Ziel, den NATO-Hafen Souda Bay auf Kreta, er-reichten die Boote am 3. September 1990. Die offizielle Bezeichnung lautete »Minenabwehrverband Südflanke«. Damit verwies die Marineführung be-wusst auf einen Einsatz in europäi-schen Gewässern und eben nicht im Persischen Golf. Die Marineführung entschied sich zu einem Besatzungs-wechsel nach drei Monaten, weil un-klar war, wie lange der Verband benö-tigt werden würde. Diesen und große Teile der Materialversorgung über-nahm die Luftwaffe. Das Lufttrans-portgeschwader 63 aus Hohn spielte dabei die entscheidende Rolle. Bis zum 6. März 1991 betrieb der Verband in

und die Wiederherstellung der staatli-chen Souveränität Kuwaits. Die deut-sche Außenpolitik saß in einer Zwick-mühle zwischen Loyalität gegenüber ihrem Bündnispartner USA und einer Rücksichtnahme auf die Sowjetunion, weil noch immer sowjetische Truppen auf dem Gebiet der DDR stationiert wa-ren. Schon am 3. August richtete das Auswärtige Amt zunächst einen »Kri-senstab Golf« ein, denn es befanden sich noch Hunderte deutsche Staatsan-gehörige in Kuwait. Die Krise war für die deutsche Diplomatie nur ein »Stör-fall«, aber die USA und die anderen NATO-Alliierten erwarteten auch eine militärische Unterstützung von der Bundesrepublik, nachdem sich abge-zeichnet hatte, dass Bush erfolgreich eine Koalition gegen den Irak ge-schmiedet hatte.

Ein erstes diplomatisches Signal war die Erlaubnis zur uneingeschränkten Nutzung von US-Stützpunkten in Deutschland für den gigantischen Truppenaufmarsch am Persischen Golf. Am 7. August 1990 begann die Operation »Desert Shield«. Ungefähr eine Million Soldaten und umfangrei-ches militärisches Gerät von 34 Natio-nen wurden in die Golfregion verlegt.

Es wurde einer der größten Truppen-aufmärsche des 20. Jahrhunderts und auch die Bundeswehr erhielt handfeste Aufgaben.

Während der Golfkrise und des fol-genden Krieges kam die Bundeswehr nach Entscheidung der Regierung in mehreren Missionen zum Einsatz. Da-bei konnten 1990/91 drei Phasen beob-achtet werden: erstens der Versuch der Eindämmung der Krise als Teil der Konfliktprävention, zweitens die Kampf handlungen gegen den Irak und drittens eine Phase der Stabilisierung des Friedens und der Beseitigung der direkten und indirekten Kriegsfolgen. Viele der folgenden Auslandseinsätze der Bundeswehr entsprechen diesem Schema, wobei nicht immer eine Betei-ligung an allen Phasen einer Krise oder eines Konfliktes erfolgte. Deshalb fan-den zumeist mehrere Operationen oder Missionen während einer Krise statt.

In der Bundesrepublik begann paral-lel zur Zuspitzung der Golfkrise eine intensive Diskussion über das Für und Wider eines militärischen Engage-ments Deutschlands.

Die Bundesregierung einigte sich am 20. August 1990 darauf, dass ein militä-rischer Einsatz außerhalb des NATO-

ErhacAMF Air

Januar bis März 1991

Manamah, Bahrain»Minenabwehrverband Südflanke«

April 1991 bis Juli 1991

Bagdad und BahrainUNSCOM-Anteil1991 bis 1996

Souda Bay»Minenabwehrverband Südflanke«

September 1990 bis April 1991

KonyaOperation »Anchor Guard« August 1990 bis März 1991

DiyarbakirOperation »Southern Guard«

Februar bis März 1991

Östliches MittelmeerOperation »Southern Guard«

Januar bis März 1991

Batman (Osttürkei) und Baktaran (Nordiran)»Operation Kurdenhilfe«

April bis Juni 1991

ZMSBw08393-03©

Die Bundeswehreinsätze im Rahmendes Golfkonflikts von 1990 –1996

5Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

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Souda Bay in erster Linie Ausbildung für einen möglichen Ernstfall.

Parallel zum Marineeinsatz erfolgte seit dem 8. August 1990 die NATO- Operation »Anchor Guard«.

Operation »Anchor Guard«

Dabei handelte es sich um die AWACS-E-3A-Luft raumüberwachungsflüge über der Türkei und die Seeraumüber-wachung über dem östlichen Mittel-meer. Auch deutsche Besatzungsmit-glieder waren an diesen multinational besetzten Flügen beteiligt. Der Auftrag lautete: Überwachung strikt innerhalb des NATO-Luftraumes. Über die tür-kisch-irakische Grenze hinweg konn-ten die Radargeräte aber auch weit in den irakischen Luftraum Aufklärung betreiben. Angesichts der realen Be-drohung durch irakische Chemiewaf-fen führten die Besatzungen an Bord auch ihre ABC-Schutzausrüstung mit sich. 1129 Missionen wurden bis zum 16. März 1991 geflogen. Hauptstütz-punkt im Einsatz war das türkische Konya. Ihre Daten übermittelten die AWACS-Flugzeuge dem NATO-Ge-fechtsstand im türkischen Diyarbakir. Während des Golfkrieges kam noch die Frühwarnung vor möglichen iraki-schen Angriffen auf türkisches Territo-rium hinzu. Operation »Anchor Guard« beflügelte auch innerhalb der NATO die Diskussion um die Frage nach der Rechtmäßigkeit von »Out-of-Area-Einsätzen« des Bündnis-ses.

Als zum Jahresende 1990 eine friedli-che Lösung des Konfliktes immer un-wahrscheinlicher wurde, beantragte die Türkei die Entsendung der flexib-len Eingreifkräfte der NATO. Auf der

Tagung des NATO-Rats am 17./18. De-zember 1990 erfuhr Außenminister Ge-nscher, dass dafür die Allied Com-mand Europe Mobile Force Air (AMF Air) vorgesehen war. Es wurde ihr ers-ter »scharfer Einsatz« seit ihrer Grün-dung 1960.

Deutsche Alpha Jets für die NATO

Deutschland stellte zu diesem Zeit-punkt für die AMF 18 leichte Jagdbom-ber des Typs Alpha Jet aus der 2. Staffel des Jagdbombergeschwaders 43 aus Oldenburg. Die Flugzeuge sollten in-nerhalb des Bündnisgebietes auf türki-schem Boden zum Schutz der NA-TO-Außengrenze stationiert werden. Doch dazu war erst eine politische Ver-ständigung zwischen den Ressorts für Äußeres und Verteidigung nötig. Am Neujahrstag 1991 traf der Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amts die Entscheidung, die Alpha Jets zu verlegen. Am Folgetag stimmte auch der NATO-Verteidigungspla-nungsausschuss zu, sodass die Flug-zeuge der AMF zwischen dem 4. und 9. Januar zur Operation »Ace Guard« nach Erhac in die Türkei flogen. Dort unterstellte der Alliierte Oberbefehls-haber Europa (SACEUR) die AMF der 6. Allied Tactical Air Force (ATAF).

Der militärische Nutzen der Statio-nierung der Erdkampfunterstützungs-flugzeuge mit kurzer Reichweite 400 Kilometer von der türkisch-iraki-schen Grenze war eher gering. Wie im Fall des Minenabwehrverbands »Süd-flanke«, handelte es sich auch bei »Ace Guard« um einen Einsatz im NATO- Bündnisgebiet, der aber wegen seiner Nähe zum Irak deutlich heftigere in-

nenpolitische Diskussionen auslöste. Gerade die Oppositionsparteien be-fürchteten, dass Deutschland doch noch in den drohenden Krieg am Golf hineingezogen werden könnte. Außer-dem traten Defizite, wie fehlende ABC-Schutz- und Winterausrüstung sowie ein mangelhafter Host Nation Support durch die Türkei, offen zutage. Den-noch wurden dort im weiteren Verlauf noch zwei Bell-UH-1D Rettungshub-schrauber und zwei ABC-Spürpanzer »Fuchs« stationiert.

Ausweitung des Marine-einsatzes im Mittelmeer

Mit dem Start der Luftoffensive der Operation »Desert Storm« in der Nacht vom 16. auf den 17. Januar 1991 eska-lierte die Krise schließlich: Der Golf-krieg hatte begonnen. Damit trat auch der Bundeswehreinsatz in die zweite Phase. Nach dem Erringen der Luft-überlegenheit griffen die Luftfahr-zeuge die irakischen Truppen an und zerstörten große Teile ihres Materials. Die demoralisierte irakische Armee vermochten der alliierten Bodenoffen-sive ab dem 24. Februar kaum Wider-stand zu leisten. Schon am 28. Februar endeten die Kampfhandlungen: Der Irak war geschlagen.

Für die deutschen Soldaten stellten die Scud-Mittelstreckenraketen des Irak mit ihrer Reichweite bis ins östliche Mittelmeer die größte Gefahr dar. Außerdem verfügte der Irak über chemische Sprengköpfe, weshalb dem ABC-Schutz an Land und auf See eine besondere Bedeutung zukam. Am 20. Januar löste der SACEUR »Military Vigilance« für das gesamte Mittelmeer aus und erklärte die Region dadurch zur Krisenzone. In der Folge wurde der Minenabwehrverband »Süd-flanke« am 23. Januar dem Marine- NATO-Bereichsbefehlshaber Süd (COMNAVSOUTH) unterstellt und ab 28. Januar zusätzlich durch drei See-fern aufklärer des Typs Breguet Atlan-tic und ein Do-28-Transportflugzeug verstärkt.

Die Luftfahrzeuge der Marine waren mit einem Personalumfang von ca. 125 Soldaten auf dem Flugplatz Elmas/Sar-dinien stationiert. Auch die ständigen Marine-Einsatzverbände der NATO wurden nun ins Mittelmeer verlegt,

Deutsche Luftwaffensoldaten stehen am 23. Januar 1991 im türkischen Erhac vor ihren Alpha Jets.

picture-alliance/dpa

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Die Bundeswehr im Golfkonflikt

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wo runter sich noch einmal drei deut-sche Schiffe und ein Boot mit insge-samt 440 Marineangehörigen befan-den. Auf Bitten der NATO entsandte die Marine zusätzlich auch noch den Ausbildungsverband der Zerstörer-flottille »DESEX 1/91« ins Mittelmeer, der dem dortigen Bündnisbefehlsha-ber vom 6. Februar bis 10. März unter-stellt blieb. »Southern Guard« lautete der Name der NATO-Operation im Mittelmeer, wofür die Marine Mitte Fe-bruar 17 Schiffe und Boote, fünf Luft-fahrzeuge und 2274 Besatzungsange-hörige stellte. Dabei handelte es sich um rund sieben Prozent des Personal-umfangs der Marine.

Deutsche Flugabwehrraketen in der Türkei

Auch die Luftverteidigungskräfte der Türkei mussten nach Beginn der Kampfhandlungen im Irak im Rahmen von »Southern Guard« verstärkt wer-den. Nach einem türkischen NATO-Er-suchen vom 18. Januar entschied die Bundesregierung am 29. Januar, Flug-abwehrraketen in die Türkei zu entsen-den. Es handelte sich dabei um zwei Halbstaffeln »Hawk« des Flugabwehr-raketengeschwaders 36 mit je drei Startsystemen und acht Roland-Luftab-wehrsysteme der Flugabwehrraketen-gruppe 42 mit zwei Flugabwehrge-fechtsständen. Im Gegensatz zu den verlegeerprobten AMF(Air)-Einheiten und der Marine dauerte es mehr als zwei Wochen, bis die Verlegung von 178 Soldaten des Flugabwehrraketen-geschwaders 36 aus Bremervörde am 15. Februar nach Diyarbakir begann. Am 22. Februar wurde die Einsatzbe-reitschaft gemeldet.

Dabei offenbarte sich auch eine Achillesverse der Bundeswehr für Operationen außerhalb Deutschlands: Es mangelte an strategischen, weitrei-chenden Lufttransportkapazitäten, die im Kalten Krieg nicht benötigt worden waren. Da das eigentlich gecharterte sowjetische Großraumflugzeug auf Weisung Moskaus nicht in die Türkei fliegen durfte, musste die schon im-mens belastete US Air-Force aushelfen. Ein Teil der Einheiten samt Material wurde auch per Seetransport in die Türkei gebracht. Mit dem Einsatz der Flugabwehrraketenbatterien außer-

halb Mitteleuropas betrat die Luft-waffe Neuland. Im Gegensatz zur AMF hatten dafür weder Planungsunterla-gen noch Übungserfahrungen vor ge-legen. Die Hawk-Halbstaffeln unter-standen ebenso wie die Alpha Jets der 6. ATAF, während die Roland-Luftab-wehrsysteme in Erhac dem deutschen Luftflottenkommando unterstellt blie-ben.

Damit waren neben der AMF noch einmal 193 deutsche Luftwaffensol-daten in Erhac stationiert worden. Nach dem Ende der Kampfhandlun-gen im Irak am 28. Februar 1991 benö-tigte die NATO die Kräfte in der Türkei nicht mehr. Der NATO-Verteidigungs-planungsausschuss beendete »Ace Guard« und »Southern Guard« am 6. März 1991. Die AMF und die Luftab-wehrsysteme wurden wieder zurück-verlegt. Die Alpha Jets kehrten bereits am 11. März wieder nach Oldenburg zurück, während der Transport der Flugabwehrraketensysteme noch bis zum 6. April andauerte. Parallel dazu stationierte auch das Lufttransport-kommando vorübergehend Soldaten für den Personal- und Materialum-schlag in der Türkei.

Hilfeleistungen für die Alliierten in Deutschland

Auch in Deutschland unterstützte die Bundeswehr aktiv die Alliierten. So setzten die drei Heeresfliegerkomman-dos 101 Hubschrauber zum Transport verwundeter alliierter Soldaten inner-halb Deutschlands ein. Der Sanitäts-dienst stellte Behandlungs- und Pflege-kapazitäten von bis zu 1000 Betten in Bundeswehrkrankenhäusern und

Transportkapazitäten für bis zu 1000 Verwundete pro Tag bereit. Diese Kapazitäten wurden aber glücklicher-weise nicht in voller Höhe benötigt. Dazu kamen noch logistische Dienst-leistungen für die Lieferung von Tornado-, Artillerie- und Panzer-munition sowie sanitätsdienstliches und logistisches Material aus Bestän-den der Bundeswehr und vor allem der früheren NVA. Die Luftwaffe flog da-für 9000 Stunden. Für den Straßen-transport über 3,6 Millionen LKW-Ki-lometer kamen rund 30 000 Mann-Tage zusammen. Deutschland erbrachte fi-nanzielle Leistungen in Höhe von 16,9 Milliarden DM, wovon rund drei Milliarden DM auf militärische Leis-tungen der Bundeswehr entfielen – die Einsätze nach dem Golfkrieg nicht mit-gerechnet.

Reaktionen in Deutschland

Während des Golfkrieges kam es in Deutschland zu erheblichen öffentli-chen Diskussionen und Protesten ge-gen ein militärisches Engagement der Bundeswehr und ihrer Verbündeten. Der Bundesregierung war deshalb nicht daran gelegen, den aktiven Bei-trag der Bundeswehr zum Schutz des Bündnisgebietes in den Medien zu the-matisieren. Dieser Umstand wirkt bis heute nach, denn der Marinebeitrag für »Southern Guard« und die Unterstüt-zungsleistungen in der Bundesrepublik sind fast in Vergessenheit geraten. Weil eine Kampfbeteiligung der Streitkräfte nicht erfolgte und medial vor allem die hohen Geldzahlungen und logistischen Werte im Fokus standen, gewannen die Verbündeten den Eindruck, dass sich

Demonstration gegen einen möglichen Krieg am Golf, Frankfurt am Main, 12. Januar 1991.

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die Bundesregierung vom Krieg am Golf freikaufen wollte. Einige Medien sprachen abwertend von »Kohls Scheckbuchdiplomatie«.

Der Wehrbeauftrage des Deutschen Bundestages monierte deshalb auch 1992, dass den Soldaten die notwen-dige Rückendeckung durch ihre Politi-ker fehlte. Diese seien wohl während des Diskurses schlicht vor der Verant-wortung »weggetaucht«. Wie auch in vielen späteren Einsätzen sei es nicht die Aufgabe der Soldaten, den Sinn ei-nes Einsatzes zu erklären, sondern die des Parlamentes. Schon ein Jahr nach dem Krieg thematisierte der Wehrbe-auftragte damit ein Problem, das Bun-deswehr, Politik und Öffentlichkeit noch viele Jahre bewegte.

Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass die Bundeswehr selbst in vielen Bereichen auf mögliche Kampf-einsätze nicht vorbereitet war. So sprach die doppelt so hohe Anzahl von Anträgen auf Kriegsdienstverweige-rung in allen Statusgruppen, auch bei Berufssoldaten (!), für eine trotz aller Anstrengungen unzureichende men-tale Vorbereitung der Truppe auf einen möglichen Kampfeinsatz. Der Wehrbe-auftragte führte die ablehnenden Re-aktionen auf das sogenannte »Job-Den-ken« vieler Soldaten zurück. Die Identifikation mit den Besonderheiten

des Soldatenberufes sei bei vielen nicht stark genug ausgeprägt. Er nannte die bisherige Praxis der Nachwuchswer-bung, mit zivilberuflicher Ausbildung oder Hochschulstudium zu werben und eben nicht den Kern des Militäri-schen in den Vordergrund zu stellen, als Ursache. Das traf aber in erster Li-nie auf die in der Heimat verbliebenen Soldaten zu. Im Einsatz erfüllten die al-lermeisten Soldaten ihre Aufträge dis-zipliniert und gewissenhaft. In den ge-nannten Problemen manifestierte sich die dringend zu klärende Frage nach den zukünftigen Aufgaben und dem Selbstverständnis der Bundeswehr.

Auch hinsichtlich der logistischen Vorbereitung waren Defizite zu beob-achten gewesen. So hatte die Truppe durch den Fokus auf die Landesvertei-digung kaum Erfahrung mit Verlegun-gen im Bündnisgebiet und es mangelte an adäquater persönlicher Ausrüstung und Materials für extreme Witterungs-bedingungen, sanitätsdienstlicher Ver-sorgung und vor allem an genügend Transportkapazitäten. Ein jahrzehn-telanger Friedensbetrieb in der Bun-desrepublik hatte die Augen vor den Bedürfnissen einer ernstzunehmen -den Bündnisverteidigung außerhalb Deutsch lands verschlossen. Vieles konnte daher nur durch Improvisation der Soldaten gelöst werden und trug

erst dadurch zum Erfolg der Einsätze bei.

Mit dem Ende der Kampfhandlun-gen am 28. Februar 1991 war das Enga-gement der Bundeswehr aber noch nicht beendet. Nach dem Golfkrieg ka-men neue Aufgaben auf sie zu. Wäh-rend bisher der Schutz des Bündnisge-bietes und die Unterstützung der Alliierten im Vordergrund gestanden hatten, ging es fortan um humanitäre Hilfe. Damit begann die dritte Phase des Bundeswehreinsatzes.

Minenräumen im Persischen Golf

Mit dem Einsatzbefehl vom 9. März 1991 begann der Minenabwehrver-band »Südflanke« seine Verlegung nach Bahrain in den Persischen Golf, um sich nun an einer von der Westeu-ropäischen Union (WEU) geführten Minenräumoperation zu beteiligen. Nach den Kampfhandlungen hatten die Alliierten begonnen, die irakischen Minenfelder vor Kuwait zu räumen. Auch drei Seaking-Hubschrauber des Marinefliegergeschwader 5 waren am Einsatz beteiligt.

Bis zum Ende der Operation am 20. Juli 1991 räumte der internationale Verband 1239 Minen, wovon 101 auf die Bundesmarine entfielen. Die Ma-

5 Bundeswehrsoldaten unterstützen die kurdischen Geflüchteten.

5 Die Bundeswehroffiziere Hans-Henning Kahmann (r.) und Joachim Hornig (l.) bei der Ankunft vor dem Interhotel Potsdam. Sie sind zur Beobachtung eines Manövers im Raum Magdeburg–Brandenburg in die DDR angereist.

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Die Bundeswehr im Golfkonflikt

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nitätstruppe des II. Korps und weiteren 225 Soldaten. Die Pioniere errich teten ein Flüchtlingsdorf für 5000 Personen und das Personal des Sanitäts-lehrbataillons 851 aus Neuherberg be-trieb in Pol-e-Zohab ein Feldlazarett, das es nach 30 Tagen Betrieb am 12. Juni 1991 an die iranische Provinzialregie-rung übergab. Zusätzlich war ein be-weglicher Arzttrupp im Einsatz. Ärzteteams der Bun des wehr ver sorg-ten insgesamt etwa 23 600 Patienten und 13 Baufachhandwerker errichteten ein Krankenhaus. Insgesamt setzte die Bundeswehr nach erfolgtem Personal-tausch rund 2000 Soldaten in der »Ope-ration Kurdenhilfe« ein.

UNSCOM im Irak

Die letzte Mission im Irak war von Au-gust 1991 bis Ende September 1996 der bereits eingangs kurz erwähnte Einsatz im Rahmen der United Nations Special Commission (UNSCOM), der aus drei CH-53-Hubschraubern mit 30 Heeres-soldaten und zwei Transall der Luft-waffe bestand. Aus Bagdad flogen die Hubschrauber 3982 Stunden Trans-porthilfe für die UNSCOM-Kontrol-leure. Dabei transportierten sie 1800 Tonnen Material und 45 000 Personen.

Für diese Region existierten in der Bundeswehr keine Detailkarten für den Sichtflug im Maßstab 1:50 000 oder 1:250 000. Da der vorhandene 1:1 000 000-Maßstab nicht ausreichend war, beschafften sich die ersten Besat-zungen zwölf zivile GPS-Navigations-geräte, die auf behelfsmäßigen Gestel-len eingebaut wurden.

Auch unter militärischen Aspekten war dieser Flugbetrieb nicht ungefähr-lich, denn die Hubschrauber flogen in einem nicht kontrollierten Luftraum

rine setzte im Minenabwehrverband zwischen dem 14. August 1990 und der Rückkehr am 13. September 1991 ins-gesamt 2777 Soldaten ein. Davon be-fanden sich jeweils durchschnittlich 540 im Einsatz. Gerade das Räumen scharfer Minen an der Seite der Ver-bündeten verschaffte den Marinesol-daten Anerkennung. Außerdem über-nahm der deutsche Kommandeur mit dem Wechsel der Ratspräsidentschaft von Frankreich an Deutschland am 1. Juli 1991 auch die Führung der Ope-ration im Golf.

Die deutsche Luftwaffe leistete vom 6. April bis 15. Juni 1991 Hilfe für die notleidenden Kurden. Als Folge der Angriffe der irakischen Armee im März auf aufständische Kurden im Nordirak waren mehr als 1,5 Millionen von ihnen in die Türkei und den Iran geflohen. Zur Linderung des Elends stellte die Bundesregierung im Früh-jahr 1991 415 Mio. DM zur Verfügung. Das war die bis dahin umfangreichste Hilfsaktion der Bundesrepublik im Aus land.

Die »Operation Kurdenhilfe«

In der »Luftbrücke der Mensch-lichkeit« flogen täglich bis zu drei Tr-ansall-Maschinen der Luftwaffe in 5700 Flugstunden insgesamt 1900 Ton-nen Hilfsgüter in den Nordiran und die Türkei. Die Verteilung von Batman in der Türkei und Baktaran im Nordi-ran aus übernahmen im Rahmen der »Operation Kurdenhilfe« rund 40 Hubschrauber der Typen CH-53 und UH-1D aus mehreren Heeres flieger-regimentern. Insgesamt ver teilte die Bundeswehr 2000 Tonnen Hilfs güter.

Weil Österreich den deutschen Mili-tärmaschinen den Überflug verwehrte, flogen sie über die damalige Tschechos-lowakei, Jugoslawien, Ungarn, Ru-mänien und Bulgarien. Vier Wochen nach Auflösung des Warschauer Pakts war allein das schon für viele Beteiligte ein besonderes Erlebnis. Der Flugbe-trieb vor Ort im osttürkischen Gebirge gestaltete sich ebenfalls als schwieriges Unterfangen. Für den Transport in die Flüchtlingslager gerieten die CH-53 in den Hochgebirgstälern an ihre Reich-weitengrenzen.

Logistische Hilfe vor Ort kam auch von 119 Soldaten des Pionierkomman-dos 2 aus Ulm, von 140 Soldaten der Sa-

zwischen irakischer Luftabwehr und der US-Luftraumüberwachung zur Durchsetzung der Flugverbotszonen. Hauptsächlich flogen sie dort drei Mis-sionen: erstens den Transport von Kon-trolleuren der UN, zweitens als »Medi-cal-Rescue-Team« für Mitarbeiter der UN und ziviler Hilfsorganisationen und drittens als »Aerial Inspection«- Luftaufklärung mit Spezialisten und Fotografen im Hubschrauber. Zusätz-lich flogen noch zwei Transall-Maschi-nen von Manamah in Bahrain für die UN-Mission.

Rückblickend kann festgestellt wer-den, dass die Golfkrise und der an-schließende Golfkrieg eine größere Zahl von Bundeswehreinsätzen zur Folge hatten, als auf den ersten Blick sichtbar wird. In der historischen For-schung liegt der Fokus zumeist auf den Phasen der Konfliktvermeidung und der Konfliktlösung, während die oft langen Phasen der Krisennachsorge in den Hintergrund rücken, so auch in diesem Fall. Während der »Minenab-wehrverband Südflanke« und die Ope-ration »Ace Guard« schon im Fokus der Forschung standen, gerieten die Operationen »Southern Guard« und »Kurdenhilfe« fast in Vergessenheit. Die Bundeswehr selbst verlieh auch nur den Soldaten der UNSCOM-Mis-sion die Einsatzmedaille der Bundes-wehr. Aber auch Tausende andere Sol-daten der Bundeswehr erfüllten im Umfeld der Golfkrise und des zweiten Golfkriegs im In- und Ausland einen wichtigen Beitrag für die deutsche Au-ßen- und Sicherheitspolitik wie auch für die NATO.

Christian Jentzsch

Transporthubschrauber CH-53 in der Bemalung der UN-Mission UNSCOM.

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September 1941: »Es geht mir im-mer glänzend. Gestern erhielt ich die erste Feuertaufe, das ist eigent-

lich gar nicht so schlimm, wie ich mir das vorstellte.« Diese Zeilen stammen aus einem Feldpostbrief des knapp 20-jährigen Walter Godel, den dieser kurz nach seiner Ankunft an der Ost-front nach Hause schrieb.

Walter Godel hatte seinen Einsatz ungeduldig erwartet. »Du glaubst nicht, wie ich mich darauf freue, bis ich auch fort bin«, schrieb er im Mai 1941 an seine Mutter Katharina. Bereits im März berichtete er aus Ulm von tägli-chen Abgängen an die Front und rech-nete selbst mit einer raschen Verset-zung. Die Wehrmacht stand kurz davor, Jugoslawien und Griechenland anzugreifen.

Walter Godel kam aus Weilimdorf, einem kleinen Dorf bei Stuttgart. Er wurde nach seiner Grundausbildung in Ulm Ende August 1941 zur zweiten Kompanie des Maschinengewehr-Ba-taillons 10 (»M10«) versetzt, einer 1937 in Pirmasens aufgestellten, motorisier-ten Einheit. Die Versetzung an die Front hatte sich für ihn abgezeichnet,

nachdem das Deutsche Reich am Mor-gen des 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfallen hatte.

Seine Fahrt an die Front beschrieb Walter Godel als sein bis dahin »schönstes Erlebnis«, eine Formulie-rung, die eher den Eindruck vermittelt, dass jemand von einer Reise ins Aus-land berichtet und nicht von einem Mi-litärtransport an die Front. Walter Go-del war hier kein Einzelfall. Auch nach 1945 erzählten viele ehemalige Solda-ten, sie seien froh gewesen, im Krieg gewesen zu sein, denn nur wenige hät-ten in Friedenszeiten die Möglichkeit gehabt, Länder wie Frankreich, Grie-chenland, Norwegen oder gar Russ-land zu bereisen.

Ziel des Transports war das estnische Narva, wo die Soldaten ihren neuen Truppenteilen zugewiesen wurden. Die Stadt liegt am gleichnamigen Fluss, der bis 1940 die »alte Grenze« Estlands zur Sowjetunion gebildet hatte. Die Fahrt dauerte gut zwei Wo-chen und führte Walter Godel durch Ostpreußen und das Baltikum in die nordwestliche Sowjetunion. Sie schien bei ihm, der bis dahin kaum sein Hei-

matdorf verlassen hatte, großen Ein-druck zu hinterlassen. »Ich habe jeden-falls in den letzten Tagen vieles gesehen, wo ich so nie im Leben gese-hen hätte«, berichtete er trotz Schreib-verbots nach Weilimdorf. Den Brief gab er dem Schaffner eines Lazarett-zugs nach Deutschland mit. Sein »Abenteuer« hatte begonnen.

Leningrad

Als Schwabe zählte Walter Godel in dem zu dieser Zeit überwiegend aus Pfälzern bestehenden Bataillon zu den sprachlichen Außenseitern und sein Schwäbisch gab anfänglich Anlass für manche Frotzelei. »Die Stimmung bei uns ist einfach großartig und beson-ders viel zu lachen gibt es, weil ich Schwäbchen bin«, schrieb er nach Hause. »Ich strenge mich natürlich be-sonders an a richtiga Schwobasproch vorzubringen.«

Die Bereitstellung des »M10« zum Angriff auf sowjetisches Gebiet er-folgte Mitte Juni im Raum Truschellen (Trušeliai im heutigen Litauen). Der Ort liegt im Memelgebiet, einem nach

5 Das »M10« auf dem Vormarsch 1941 durch Estland.

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Aus der Pfalz in den KriegAus der Pfalz in den KriegDas Maschinengewehr-Bataillon 10 Das Maschinengewehr-Bataillon 10

an der Ostfront 1941an der Ostfront 1941‑‑1945 1945

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dem Ersten Weltkrieg von Ostpreußen abgetrennten Gebiet, nördlich der Me-mel.

Bei Walter Godels Ankunft stand das »M10« bereits vor Leningrad und war an den Kämpfen um den Brückenkopf Oranienbaum und die ehemalige Za-renresidenz Peterhof beteiligt. Es war nach Einsätzen während des »Sitzkrie-ges« 1939 in der Saarpfalz und des Westfeldzuges in Belgien und Frank-reich nach längerer Verwendung als Besatzungstruppe Mitte April 1941 von Paris nach Ostpreußen verlegt und im Verband der 18. Armee der Heeres-gruppe Nord zum Einmarsch in die Sowjetunion unterstellt worden.

Ziel war die sowjetische Metropole Leningrad, die als bedeutender Indus-trie- und Marinestandort nicht nur von strategischer Bedeutung war. Der Ein-nahme der Stadt kam als Ausgangs-punkt der Russischen Revolution 1917 und wegen ihres Namensgebers auch politisch ein hoher symbolischer Wert zu.

Nicht zuletzt war das Gebiet um Le-ningrad, das sogenannte Ingerman-land, Teil der im Rahmen des »Gene-ralplans Ost« neu zu erschließenden deutschen Siedlungsgebiete. Ziel die-ses perfiden, von der nationalsozialisti-schen Rassenideologie geprägten Plans war die Vernichtung oder Vertreibung großer Teile der slawischen Bevölke-rung im Osten.

Das »M10« war an den verschiedens-ten Brennpunkten entlang der Front eingesetzt. Als Heerestruppe war das

Bataillon nicht fest einer Division zu-geordnet, sondern wurde auf Korps- oder Armee-Ebene frei eingesetzt. Be-gegnungen mit der verbliebenen Bevölkerung und den aus dem Um-land von Leningrad herausströmenden Flüchtlingen waren an der Tagesord-nung. Gefangene berichteten von der großen Not in der belagerten Stadt, die dann im November 1941 ihren Höhe-punkt erreichen sollte.

Walter Godel erlebte ganz unmittel-bar, welches Leid der Krieg in das vom Vernichtungskrieg verwüstete Land brachte. Als Sohn eines Landwirts ahnte er wohl, dass der Region im an-stehenden Winter eine Hungersnot drohte. Der Winter wurde mit bis zu 45 Grad minus dann auch zu einem der kältesten des 20. Jahrhunderts. »Das einzige was ich fürchte, ist der Winter«, schrieb er nach Hause. »Hier hat es schon 2 Tage Schnee u. dazu ist es eisig kalt [...] Die Zivilisten, die Kühe u. Pferde haben, können das Vieh [...] ab-schlachten [...] Kein Heu kein Stroh u. überhaupt nichts haben die Leute, denn in ihrer Erntezeit mussten sie ja fort. 75 % davon ist auch ihr Hab u. Gut abgebrannt.«

Nach Beginn der sowjetischen Ge-genoffensive Anfang Dezember 1941 bezog das »M10« unterhalb von Schlüsselburg an der Newa Stellung und verstärkte den Belagerungsring um Leningrad. Die 1. Infanteriedivi-sion (1. ID), die es bei der Verteidigung der Winterstellungen unterstützen sollte, war aufgrund der Verluste der

letzten Wochen gezwungen gewesen, ihre Einheiten umzugliedern.

In den Tagen vor Weihnachten häuf-ten sich die sowjetischen Angriffe. Aus-gangspunkt waren die dichten Wälder am gegenüberliegenden Newa-Ufer. Der Fluss war zugefroren, sodass Vor-stöße problemlos möglich waren. Kurze Weihnachtsgrüße ausgenom-men, blieb Walter Godel kaum Zeit zum Schreiben. Erst Anfang Januar 1942 gab es wieder einen Bericht von ihm nach Weilimdorf. »Nun lieber Va-ter, Ihr werdet wohl denken ich sei zu faul zum Schreiben, ich glaube, Du wirst ja ungefähr wissen, wie es zugeht im Stellungskrieg. Wir liegen rechts von Leningrad an der Newa [...] Du glaubst nicht wie stur die Russen hier sind. Zu hunderten liegen Sie auf dem Eis u. trotzdem greifen sie täglich an. Sie wollen halt heraus. Aber es kommt keiner durch.« Dass er hierbei nicht übertrieb, belegt der Eintrag im Kriegs-tagebuch der 1. ID vom 22. Dezember 1941: »Bei M.G.Batl.10 wurden mehr als 500 tote Russen aus den gestrigen und heutigen Kämpfen gezählt.«

Mitte Januar 1942 wurde das »M10« aus seinen Stellungen herausgelöst. Die Belagerung Leningrads durch die Wehrmacht und mit ihr verbündeter Truppen dauerte noch zwei weitere Jahre an. An der Einnahme der Stadt bestand jedoch schon spätestens seit September 1941 kein Interesse mehr. Hitler und die Heeresführung wollten die Stadt aushungern. Die Leningrader Blockade ging dann auch aufgrund der

5 Angehörige der Landespolizei-Abteilung Mainz im Sommer 1935. Die nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 aufgestellten MG-Bataillone rekrutierten sich aus Truppenteilen des Heeres und aus Einheiten kasernierter Landespolizei.

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MG-Bataillon 10

großen Zahl an zivilen Opfern als eines der grausamsten Kapitel des Zweiten Weltkrieges in die Geschichte ein und gilt als eines der schwersten Kriegsver-brechen der deutschen Wehrmacht im deutsch-sowjetischen Krieg. Wie viele Menschen in Folge von Hunger und Mangelerkrankungen tatsächlich zu Tode kamen, ist bis heute nicht ganz geklärt. Die Schätzungen liegen zwi-schen 600 000 und 1,1 Millionen Toten.

Die Blockade war auch Gegenstand des zwölften der Nürnberger Nachfol-geprozesse, dem sogenannten High Command Case. Generalfeldmarschall Wilhelm von Leeb, dem Oberbefehls-haber der Heeresgruppe Nord, wurde vorgeworfen, den Befehl gegeben zu haben, auf aus Leningrad fliehende Zi-vilisten zu schießen. Leeb wurde in diesem Anklagepunkt freigesprochen, da in den 1940er Jahren keine völker-rechtlich verbindliche Vorschrift exis-tierte, die Hunger als taktisches Mittel der Kriegführung verbot. Das Militär-tribunal sah für sich hier keinen Hand-lungsspielraum und merkte hierzu an: »We might wish the law were other-wise but we must administer it was we find it. Consequently, we hold no cri-minality attached on the charge.«

Cholm

Nachdem der Befehl zur Herauslösung des Bataillons bekannt geworden war, machte das Gerücht von der Auffri-schung in Südfrankreich die Runde. Daraus wurde jedoch nichts. Das »M10« gehörte zu den Verbänden, die um Cholm zusammengezogen wur-den. Der kleine, operativ aber wichtige Verkehrsknotenpunkt am Zusammen-fluss von Lowat und Kunja war Mitte Januar 1942 von der Roten Armee und Partisanenverbänden eingeschlossen worden und sollte nun wieder befreit werden.

Die Situation vor Cholm beschreibt Walter Godel in einem Brief aus dem Lazarett, in das er wegen Erfrierungen Ende Februar eingeliefert worden war:

»Wir wurden am 15. Januar aus der Front um Leningrad herausgezogen u. freuten uns alle auf die große Fahrt nach Südfrankreich, aber oh Schreck! Wir bekamen gerade 1 Tag Zeit, um uns zu waschen und uns die Läuse

vom Balg zu schaffen, denn 6 Wochen in Stellung ohne Waschen, da sammelt sich allerhand an.

Noch in der Nacht bei minus 42 Grad hieß es auf die Fahrzeuge u. 150 Kilo-meter herunterkurbeln u. so ging es 4 Nächte. Die Hälfte von uns blieb auf der Strecke liegen. Wir fuhren durch, es ging Richtung Kholm, dort waren Ka-meraden eingeschlossen u. die Russen wollten auf die Rollbahn, wenn es ih-nen gelingt ist die ganze Leningrader Front gefährdet. Also hieß es angreifen.

Wir rannten sechs Mal an u. kamen nicht durch. Beim 7. Mal gelang es un-ter schweren Kämpfen u. leider schwe-ren Verlusten, darunter waren auch Teile von unserem Bataillon, so in Kompaniestärke, aber die Russen machten wieder zu u. schlossen auch uns, die nicht durchkamen, ein. Munition u. Essen brachte die brave JU 52 mit Fallschirmen. So ging es tage-lang, bis uns Panzer wieder freikämpf-ten. Jetzt fahren Geleitzüge von Panzer hin u. her u. nehmen Verwundete u. Kranke zurück, so kam auch ich heraus u. bin sehr froh darüber, aber lass es nur Frühling werden, dann bekommen sie wieder den Wirsing verhauen.«

Die Vorstöße Richtung Cholm erfolg-ten bei Eiseskälte durch hohen Schnee. Witterungsbedingt gestaltete sich die Versorgung der Soldaten an der Ost-front äußerst problematisch. Die Be-richte an die höheren Kommandobe-hörden waren besorgniserregend. Weil die Feldküchen oft nicht mit vorgezo-gen werden konnten, fehlte es fast völ-lig an warmem Essen. Überhaupt er-

reichte der Nachschub die Soldaten nur unregelmäßig und das, was von den Essensträgern nach vorne gebracht werden konnte, war meistens gefroren. Durchfall und tödliche Kreislaufzu-sammenbrüche durch Austrocknung waren keine Seltenheit. Die Sanitäter schafften es kaum, die Verwundeten so rechtzeitig zurückzuschaffen, dass ih-nen noch geholfen werden konnte. Mangels Alternativen wurden große 1,5 Meter lange Säcke aus verstärktem Papier ausgegeben, in welche die Ver-wundeten während des Transports zum Schutz gegen die Kälte einge-wickelt werden konnten.

»Lerne ihn lieber tanzen«

Der Entsatz von Cholm gelang Anfang Mai 1942. Die Verluste dabei waren er-heblich. Allein beim »M10« wurden 383 Tote und Verwundete gezählt, etwa ein Drittel des Bataillons. Von den sowjetischen Verlusten und der Zerstörung von Cholm berichtete Ernst Fengel, Feldwebel in der dritten Kompanie des »M10«, nach Hause: »Nur an den Ruinen und Trümmern sieht man, dass hier einmal eine Stadt gewesen ist. Vor unseren Linien liegen zu Tausenden die toten Russen, und bei wärmerem Wetter, in Tagen und Nächten, ist die Luft von furchtbarem Gestank erfüllt.«

Lange klangen Walter Godels Briefe zuversichtlich. Nach etwas über einem Jahr Fronterfahrung machte sich in sei-nen Briefen allerdings eine andere Überzeugung bemerkbar. Ende 1942

Die dritte Kompanie des »M10« konn-te sich am 27. Januar 1942 zu den ein-geschlossenen Einheiten in Cholm durchschlagen.

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Die Wende an der Ostfront war zu Beginn des Jahres 1943 mit der Kapitu-lation der 6. Armee in Stalingrad offen-sichtlich geworden. Anfang November 1943 schrieb Walter Godel an seine Schwester Maria: »Meine liebe Schwes-ter Maria! In einem kleinen Loch schreibe ich Dir diese Zeilen u. weiß nicht einmal, ob sie Dich erreichen. Wir sind hier in einer kritischen Lage u. was noch aus uns wird, müssen wir der Zukunft überlassen. Ich jedenfalls bin noch gesund und hoffe trotz alle-dem auf ein Widersehn! Sollte nun lange Zeit von mir keine Post mehr ein-treffen, so bitte ich Dich liebe Maria, Vater u. Mutter zu beruhigen, denn es wird doch nicht alles schiefgehen.«

Walter Godel fiel am 27. Februar 1944 bei Ssutoki nordwestlich von Newel. Er hatte bei Rückzugsgefechten durch Granatsplitter schwere Verwundun-gen an Bauch, Brust und Oberschen-keln erlitten, denen er im Lazarett in Aschkowo am selben Abend erlag. Bei-gesetzt wurde er auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Idriza. Seiner Fa-milie blieb ein kleines Bild der Grab-stätte, das ihr einige Monate später überlassen wurde.

Eine Todesanzeige erschien am 22. März 1944 in der »Württemberger

Zeitung«. Es war nur eine unter vielen. Die Reste des »M10« gingen nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 in Kurland in sowjetische Kriegs-gefangenschaft.

Walter Godels sterbliche Überreste wurden am 30. Mai 2005 geborgen und anhand seiner Erkennungsmarke iden-tifiziert. Er wurde auf die vom Volks-bund Deutsche Kriegsgräberfürsor- ge e.V. errichtete Kriegsgräberstätte Sebesh umgebettet, rund 150 Kilo-meter südlich von Pskow nahe der Grenze zu Lettland. Dort werden Ge-fallene aus dem Gebiet um Pskow, We-likije Luki, Opotschka und Newel be-stattet. Der Volksbund vermutet dort rund 40 000 Tote aus der Zeit des Vor-marsches 1941 und des Rückzuges 1944.

Stefan Sauer

LiteraturtippsJörg Ganzenmüller, Das belagerte Leningrad 1941‑1944. Paderborn 2007. Johannes Hürter, Die Wehrmacht vor Leningrad. Krieg und Besatzungspolitik der 18. Armee im Herbst und Winter 1941/42. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3/2001, S. 377‑440.

war klar, dass er nicht mehr wollte. Das Wort vom »Schwindel« fiel.

Er bediente sich dabei einem der er-folgreichsten deutschen Durchhalte-schlager: »Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, nach all diesem Schwin-del, sehn wir uns in Weil!«, schrieb er nach Hause. »Walter, wir hoffen [...] dass dieser Schwindel auch einmal wieder zu Ende geht«, hatte ihm sein älterer Bruder Ernst einige Wochen vorher auf dem Weg zu seiner Einheit vor Stalingrad geschrieben. Seiner Schwester Maria riet er jedenfalls für ihren kleinen Sohn Georg: »Wenn er aber mal anfängt Soldat zu spielen, dann dresche ihm ordentlich den Arsch voll u. lerne ihn lieber tanzen.«

Welche konkreten Umstände bei Walter Godel letztlich dazu geführt ha-ben, die Sinnfrage zu stellen, konnte nicht abschließend geklärt werden. Si-cher hatten aber auch die Nachrichten, die ihn von zuhause erreichten, ihren Anteil daran. Zwölf Klassenkamera-den waren schon gefallen. Auch um die Familie sorgte er sich. Immer öfter wurde Stuttgart mit seiner kriegswich-tigen Industrie zum Ziel alliierter Bom-berverbände. Ab Oktober 1943 eva-kuierte die Stadt Kinder in weniger gefährdete Gebiete.

5 Ab Mai 1943 wurde das »M10« – hier auf dem Bahnhof Ostrow – zu einem Granatwerfer-Bataillon umgegliedert und mit so-wjetischen Granatwerfern aus Beutebeständen sowie dem Raupenschlepper Ost (RSO) ausgerüstet. Das Kettenfahrzeug war extra für die schwierigen Straßenverhältnisse in Russland entwickelt worden.

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Im Jahr 2020 feiern die deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen ihren 55. Jah-restag. Die erstmalige Entsendung von sechs israelischen F 16-Kampfflugzeugen nach Deutschland, um an den Übungen »BlueWings2020« und »MAGDAYs« so-wie an Gedenkveranstaltungen teilzuneh-men, zeugt von dem engen Verhältnisses zwischen den beiden Ländern. Vieles über den Beginn dieser ungewöhnlichen und vom Massenmord der Nationalsozialisten überschatteten Beziehungen liegt jedoch noch immer im Dunkeln.

So befand sich im Herbst 1964, ein Jahr bevor die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomati-

sche Beziehungen aufnahmen, eine Gruppe von 13 Offizieren der Israel Defense Forces (IDF) auf dem Weg zur Kampftruppenschule II in Munster. Die dortige Ausbildung der Angehöri-gen des 52. israelischen Panzerregi-

ments von November 1964 bis Januar 1965 ging unter dem Operationsnamen »Das Land Moses« in die israelische Militärgeschichtsschreibung ein.

Anfang der 1960er Jahre unterzeich-nete Israel auf Anregung der USA mit der Bundesregierung einen geheimen Vertrag über die Lieferung von 150 Panzern der Baureihe M48A2 aus US- amerikanischer Produktion, von denen letztlich aber nur 40 geliefert wurden. Mit dieser materiellen Zuwendung er-hielt Israel auch die erste Ausbildungs-hilfe, die Nachkriegsdeutschland für den jüdischen Staat leistete.

Kollektives Holocaust Trauma der Israelis

Es ist unmöglich, die nationale Psyche Israels oder die Erinnerungskultur der Israelis zu verstehen, wenn man sie nicht im Kontext des Holocausts be-

trachtet. Dieses gilt gerade auch für die IDF. Sie sind für Israel nicht nur eine Institution, die nationale Identität und Einheit stiftet. Vielmehr leiten sie auch einen wesentlichen Teil ihrer Legitima-tion als Armee aus den Erfahrungen der Hilflosigkeit der Opfer während des Holocausts her.

Von den Anfangsjahren des jüdi-schen Staates bis etwa zum Eich-mann-Prozess Anfang der 1960er Jahre stand das Bild des hilflosen und ver-folgten jüdischen Opfers im starken Kontrast zu dem entstehenden natio-nalen Mythos des starken und heroi-schen neuen israelischen Juden. Zu vergegenwärtigen ist sowohl das Maß, in dem die israelischen Soldaten selbst oder ihre Familien vom Holocaust, der weniger als 20 Jahre zurücklag, betrof-fen waren. Der Eichmann-Prozess im Jahre 1961 hatte das schmerz lich in Er-innerung gerufen. Zu vergegenwärti-

5�Feldlager »Naten«, Hauptquartier des 79. israelischen Panzerregiments in der Nähe von Be'er Sheva. Der israelische Premiermi-nister Levi Eshkol (Mitte) inspiziert mit Generalstabschef Jitzchak Rabin (späterer Ministerpräsident Israels, hier hinter Eshkol, mit Sonnenbrille) und dem Kommandeur des israelischen Panzerkorps, Israel »Talik« Tal (dritter von rechts), die »Neuanschaf-fung« aus Deutschland. Vorne im Bild Ya'akov »Jacky« Even, Kommandeur des 79. ISR PzRgt, Foto, 1965/66.

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Panzertruppenschule Munster 1964/65Panzertruppenschule Munster 1964/65

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gen ist zudem, dass es sich bei den Ausbildern auf deutscher Seite um frü-here Soldaten der Wehrmacht han-delte, die in Afrika oder Russland ge-kämpft hatten.

Die militärische Führung der Bun-deswehr hatte zunächst vergeblich ver-sucht, die wahre Identität der »Besu-chergruppe aus dem Nahen Osten« vor den eigenen Soldaten geheim zu halten. Die Israelis aber stellen ihre Nationalität selbstbewusst zur Schau. Damit stellt sich die Frage, wie die Sol-daten der Bundeswehr auf die israeli-schen Soldaten reagierten.

Frühere Wehrmachtsoldaten als Ausbilder

Obwohl leider keine Augenzeugenbe-richte von deutscher Seite überliefert sind, kann man vermuten, dass es für die deutschen Ausbilder in der Bun-deswehr, die in der Wehrmacht ge-dient hatten, eine unangenehme Be-gegnung war, die sicherlich auch zu Berührungsängsten führte.

Es stellt sich aber insbesondere die Frage, wie gerade die israelischen Sol-daten mit dieser von der Politik er-zwungenen Begegnung umgingen, wie sie diese gestalteten und wie sie durch diese Erfahrung geprägt wur-den. Die Israelis mussten ja nicht nur ins verhasste Deutschland reisen, son-dern sich auch in der traditionellen Ka-derschmiede der deutschen Panzer-waffe von ehemaligen Offizieren und erfahrenen Portepeeunteroffizieren der Wehrmacht, die jetzt in der Bun-deswehr Dienst taten, ausbilden las-sen. Die Auswahl der israelischen Sol-daten traf der Leiter der Delegation, der 30-jährige Oberstleutnant Jackie Evan, Kommandeur des 52. Panzerre-giments, der sich der moralischen und politischen Implikationen seines Auf-trages bewusst war. Die ausgewählten israelischen Offiziere, die alle freiwillig an der Ausbildung teilnahmen, zeich-neten sich nicht nur durch überra-gende militärische Fähigkeiten, son-dern auch durch einen besonderen Patriotismus und Idealismus aus. Es galt für die Lehrgangsteilnehmer, nach Dienst in Munster die Grundlage für die israelischen technischen Dienstvor-

schriften und Ausbildungsanleitungen für den M48A2 zu erstellen. Doch es ging noch um mehr.

Anfang der 1960er Jahre steckte die israelische Gesellschaft in einer Sinn-krise. Der 1956 für die Israelis schmäh-liche Abzug der IDF aus dem Sinai hatte ihr einmal mehr verdeutlicht, dass die Souveränität und Sicherheit und damit die Zukunft ihres Staates nicht garantiert waren. Es galt, das Bild eines wehrhaften Judentums zu propagieren und den Deutschen und ihren Soldaten Respekt vor der Wehr-haftigkeit der IDF einzuflößen, wie Evan es später ausdrückte. Dazu bot dieses Ausbildungsvorhaben die erste Chance.

Von Anfang an traten die Israelis in Deutschland bei jeder Gelegenheit selbstbewusst als Juden und Israelis auf, wie etwa, als sie im Offiziersheim der Panzertruppenschule im Dezem-ber 1964 eine Hanukkah-Feier abhiel-ten.

Ein Verhaltenskodex, den Evan für seine Offiziere entwickelte, verbot den Israelis die Fraternisierung mit Deut-schen. Kontakte mit den deutschen Soldaten und zivilen Beschäftigten der Panzertruppenschule waren auf ein Minimum zu beschränken. Zu der übrigen deutschen Zivilbevölkerung, mit der die israelischen Soldaten im Rahmen von durch die Bundeswehr organisierten Wochenendausflügen in Berührung kamen, bestand durchge-hendes Kontaktverbot. Evan erwartete von seinen Offizieren ein jederzeit ein-

wandfreies und korrektes Verhalten gegenüber den Deutschen. Auch traten die Israelis an der Panzertruppen-schule stets geschlossen auf, auch um das Gemeinschaftsgefühl zu verstär-ken und Einigkeit zu demonstrieren.

Als selbstbewusste Israelis und Juden in Deutschland

Doch ging es den israelischen Lehr-gangsteilnehmern nicht nur darum, sich den Deutschen gegenüber selbst-bewusst als Israelis und Juden zu prä-sentieren oder jegliche Fraternisierung zu unterbinden. Noch wichtiger er-schien es ihnen, den Soldaten der Bun-deswehr zu verdeutlichen, dass sie, als Israelis und Juden, den Deutschen mi-litärisch, intellektuell, aber auch mora-lisch überlegen waren. Im Gegensatz zu den deutschen Gastgebern, die über keinerlei Kenntnisse hinsichtlich der heterogenen kulturellen Identität der israelischen Delegation verfügten, konnten die Israelis auf Erfahrungen aus erster Hand mit der deutschen Kultur in Israel durch Begegnungen mit den nach Palästina eingewander-ten deutschsprachigen Juden und ih-ren Nachfahren zurückgreifen. Das mitunter wenig respektvolle Verhalten der israelischen Soldaten gegenüber ihren deutschen Ausbildern sendete ohne Zweifel auch implizite Botschaf-ten.

So lässt sich als Beispiel dieser Strate-gie der kulturellen Selbstbehauptung die Anweisung von Evan verstehen,

�M48A1-Panzer aus deutscher Lieferung in der Wüste Negev. Diese Panzer wur-den während des Sechstagekrieges auf dem nördlichen Sinai eingesetzt, Foto, 1965/66.

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Operation »Das Land Moses«

die es den IDF-Angehörigen in Munster untersagte, deutschen Solda-ten die militärische Ehrenbezeugung zu erweisen, sondern diese nur höflich zu grüßen. Dieses war zum einen eine Absage der Israelis an deutschen For-malismus und das Zurschaustellen der eigenen Tradition der IDF, die von An-fang an auf militärische Formalitäten keinen großen Wert legte. Zum ande-ren kommunizierten die Israelis durch dieses Verhalten auch deutlich, dass aus ihrer Sicht den Deutschen keinerlei Ehrenbezeugung zustand.

Obwohl die israelische Delegation an der Schule den Status von Lehrgangs-teilnehmern hatte und somit formell der Schulleitung unterstand, verstand sie es ebenfalls, das Unterstellungsver-hältnis nicht nur zu ignorieren, son-dern umzukehren.

Bereits zu Beginn des Lehrgangs teilte Evan dem damaligen deutschen Verbindungsoffizier, Hauptmann von Heimendahl, unmissverständlich mit, dass dessen Aufgabe nur darin be-stünde, dem Schulkommandeur seine Entscheidungen zu übermitteln und ihn über aktuelle Entwicklungen, so-weit sie Relevanz für die israelische Delegation hätten, zu unterrichten. Als Heimendahl Evan über eine Gedenk-veranstaltung im nahegelegenen ehe-maligen Konzentrationslager Ber-

gen-Belsen im Winter 1964 informierte und der Schulkommandeur, der dama-lige Brigadegeneral Ernst Philipp, eine Teilnahme der Delegation ablehnte, suchte Evan den Eklat. Er wurde per-sönlich beim Schulkommandeur vor-stellig und erklärte ihm, dass die israe-lischen Soldaten ungeachtet seiner Entscheidung an der Feier teilnehmen würden. Doch Evan ließ es allein bei diesem Ungehorsam nicht bewenden, sondern flog sofort nach Bonn. Dort sollte Oberst Avidgor Tal, erster Reprä-sentant der IDF, geheime Rüstungs- und Ausbildungsvorhaben in Deutsch-land koordinieren. Evan drohte ihm mit dem sofortigen Abbruch der Aus-bildung und dem Abflug der Delega-tion, wenn eine Teilnahme in Ber-gen-Belsen weiterhin verweigert würde.

Dieser Versuch der Israelis, vorgege-bene Hierarchien zu durchbrechen und ein Schüler-Lehrer-Verhältnis um-zukehren, zeigte sich auch während der Ausbildung. Die Israelis forderten von ihren deutschen Ausbildern kon-tinuierlich und intensiv mehr und mehr Ausbildungseinheiten und kon-frontierten sie mit sehr detaillierten Fragen über alle denkbaren techni-schen Details der M48A1-Panzer, die den Kenntnisstand der Ausbilder bei weitem übertreffen mussten. Die Deut-

schen zeigten sich von der Motivation, Auffassungsgabe und dem Interesse der israelischen Lehrgangsteilnehmer sehr beeindruckt. Das führte sogar so-weit, dass sich einer der deutschen Un-teroffiziere gegenüber den Israelis zu der Äußerung hinreißen ließ, dass ihn die israelische Delegation in ihrem Können an die Soldaten der ehemali-gen Wehrmacht erinnerte. So sehr die-ser als Kompliment gemeinte Kom-mentar deplatziert war, belegt er doch den Erfolg der israelischen Seite, den Deutschen zu zeigen, dass sie militä-risch ihren Ausbildern der Bundes-wehr überlegen waren.

Große emotionale Herausforderung

Diese Kombination von zur Schau ge-tragener Wissensgier sowie die in der Bundeswehr vollkommen fremde Ein-stellung der Israelis, Befehlen eines Vorgesetzten zu widersprechen, wenn es für die Erfüllung des Auftrags erfor-derlich war, versetzte die Israelis in die Lage, der deutschen Seite ihre fachli-che Überlegenheit zu demonstrieren. Mit dem Argument, den M48A1 »aus-testen« und an seine Leistungsgrenze führen zu müssen, schöpften die israe-lischen Panzerbesatzungen trotz mas-sivster Proteste der Ausbilder die ma-

5 Israelische Lehrgangsteilnehmer beim Schach während Hanukkah an der Panzertruppenschule in Munster, Dezember 1964.

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fiziers und Ritterkreuzträgers, an den israelischen Staatspräsidenten Zalman Shazar in Jerusalem am 19. August 1965 in Jerusalem durften die ehemali-gen Lehrgangsteilnehmer die Ehren-formation stellen. Ihnen fiel die un-dankbare Aufgabe zu, den deutschen Botschafter vor der wütenden Menge, welche die israelischen Soldaten wie die deutsche Delegation mit Kartoffeln und Eiern bewarf, zu schützen.

Aber auch anderswo hinterließ der Deutschlandaufenthalt bei seinen Teil-nehmern deutliche Spuren. So fing der Leiter der damaligen Delegation, Jacky Evan, nach seiner Rückkehr nach Israel plötzlich an, routinemäßig die israeli-schen Panzer nach Gebrauch mit Was-ser abzuspritzen und zu reinigen – ein Vorgang, der in Israel, einem Land mit chronischer Wasserknappheit, uner-hört war und über den sich das israeli-sche Team in Deutschland noch belus-tigt hatte.

Der Ausbildung der israelischen Pan-zersoldaten in Deutschland 1964 war noch nicht der Beginn der deutsch-is-raelischen Freundschaft, aber ein An-fang der Kommunikation zwischen deutschen und israelischen Militärs, die auf dem gegenseitigen Respekt vor der Professionalität der jeweils ande-ren Seite beruhte. Über die nächsten Jahrzehnte sollten diese Erfahrungen den Grundstein für eine militärische Zusammenarbeit legen, die in gegen-seitige Austauschprogramme für Offi-zieranwärter und auch persönliche Freundschaften zwischen den Angehö-rigen beider Streitkräfte mündete.

Dirk C. Wendtorf

LiteraturtippOtfried Nassauer, Besondere Beziehungen. Die deutsch-israelische Rüstungskooperation, Berlin 2010.

ximale Leistung der Motoren aus, jagten die Panzer durch den Schlamm und führten das Material stets an seine Belastungsgrenze.

Angesichts der großen historischen Belastung und der daher bei den Israe-lis zu findenden emotionalen Heraus-forderungen stellt sich die Frage, wel-che Eindrücke die israelischen Soldaten aus Deutschland mitnahmen, und wel-che Folgen diese Begegnung hatte.

Hierbei ist die Heterogenität der Delegation zu berücksichtigen. Nur ei-ner der israelischen Teilnehmer, Amos Katz, hatte Vorfahren, die aus Deutsch-land kamen. Der Rest der Gruppe be-stand entweder aus Sabres, d.h. Israe-lis, die in Israel geboren waren, oder aus Einwanderern, die aus nichteuro-päischen Ländern nach Israel gekom-men waren. Somit bedeutete gerade der erwähnte Besuch in Bergen-Belsen für viele der israelischen Teilnehmer, die bis dahin in Israel nur Yad Vashem und andere Gedenkstätten, insbeson-dere Lohanei Haghetaot, das Kibbutz der Ghettokämpfer im Norden Israels, besichtigt hatten, die erste direkte Kon-frontation mit den Massengräbern ei-nes ehemaligen Konzentrationslagers und dem Holocaust.

Diese bedrückende Erfahrung stellte die Mitglieder der Delegation vor eine große emotionale Herausforderung. Sie mussten lernen, mental eindeutig zwischen dem zu trennen, was in Ber-gen-Belsen in der Zeit des Nationalso-zialismus geschehen war, und dem, was sie jetzt während ihrer Ausbildung in Deutschland wenige Kilometer ent-fernt erlebten. So mussten sich die is-raelischen Lehrgangsteilnehmer auch kontinuierlich die Frage stellen, inwie-weit gerade ihre Ausbilder an Kriegs-verbrechen und Aktionen des Holo-causts beteiligt gewesen waren.

Thematisiert wurde diese Frage je-doch von keiner der beiden Seiten. Al-lerdings waren die deutschen Ausbil-der bei der Vermittlung des Bildes eines neuen (West-)Deutschlands ge-genüber ihren Gästen auch wenig hilf-reich. Abgesehen von dem bereits er-wähnten Vergleich zwischen den Soldaten der IDF mit den ehemaligen

Angehörigen der Wehrmacht identifi-zierte ein deutscher Offizier fälschli-cherweise einen hellhäutigen Israeli, der mit seinem dunkelhäutigen Kame-raden unter einem Panzer arbeitete, als Bundeswehrangehörigen und erklärte diesem, dass er seinem Kameraden zwar Details erklären, aber nicht mit ihm arbeiten müsse.

Auftrag erfüllt

Der israelische Oberst Shmuel »Goro-dish« Gonen zog jedoch ein positives Fazit dieser Begegnung. Im Rahmen ei-ner für die israelische Delegation und die deutschen Ausbilder in Munster veranstalteten Abschiedsfeier betonte er zwar, wie schwer diese Reise für die Teilnehmer als Israelis und als Juden war. Doch sei die israelische Delega-tion sehr dankbar, dass sie diesen Schritt gewagt habe, da die Ausbil-dung – und dieser Beurteilung schlos-sen sich die Mitglieder der israelischen Delegation an – der Deutschen ausge-zeichnet und der Umgang miteinander sehr professionell gewesen sei.

Den Israelis war die Gratwanderung gelungen. Sie hatten ihren für den Staat Israel lebensnotwendigen Auftrag er-füllt und zugleich der deutschen Seite einen Eindruck israelischer Professio-nalität und Identität vermittelt, ohne moralische Kompromisse eingehen zu müssen. Allerdings sollte die Deutsch-landreise die israelische Delegation noch jahrelang verfolgen. Nach ihrer Rückkehr bildeten die israelischen Of-fiziere den Kern des neuen 79. Panzer-regiments, das im israelischen Heer den Beinamen »das deutsche Regi-ment« erhielt. Bei der Überreichung des Akkreditierungsschreibens des ersten deutschen Botschafters, Rolf Pauls, eines ehemaligen Wehrmachtof-

�Feldlager »Naten«, Hauptquartier des 79. ISR PzRgt in der Nähe von Be'er Sheva. Yom Tov Tamir (rechts) und Avigdor Qahalani (Mitte), Lehrgangs-teilnehmer in Munster, bringen ihre Erfahrungen aus Deutschland in die Ausbildung ein, Foto, 1965/66.

Yum-Tov Tamir, Yad Lashiryon Archiv

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18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

Das ZMSBw arbeitet sowohl mit nationa-len als auch internationalen Partnern zu-sammen. Der folgende Beitrag ist von drei jungen kolumbianischen Offizieren verfasst worden und spiegelt deren Perspektive und die der kolumbianischen Streitkräfte auf den Konflikt mit der FARC (Abkürzung für Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und den Friedensprozess.

Seit Kolumbien 1819 seine Unab-hängigkeit von Spanien erkämpft hatte, gab es immer wieder be-

waffnete Auseinandersetzungen we-gen territorialer Konflikte mit den Nachbarländern, aber auch wegen in-nerer politischer und sozialer Kon-flikte, die in mehrere Bürgerkriege mündeten.

Der Anfang des bis in die heutige Zeit reichenden Bürgerkrieges ist nicht ge-nau zu datieren. Die Forschung geht von Mitte des 20. Jahrhunderts aus. 1948‑1953 hatte ein landesweiter Bür-gerkrieg zwischen Anhängern der Kon-servativen und der Liberalen getobt.

1964 entstanden die FARC als größte, sowie weitere Guerillagruppen. Der daraus entstehende interne bewaffnete Konflikt, die »Zeit der Gewalt«, dau-

erte etwa fünfzig Jahre und war ge-kennzeichnet durch einen bewaffneten Aufstand verschiedener Guerillagrup-pen, Terrorismus, Drogenhandel und illegale Unabhängigkeitskämpfer. Jede dieser Gruppen forderte das staatliche Gewaltmonopol heraus und machte sich dabei den Reichtum der Regionen an Rohstoffen und die Geografie Kolumbiens zunutze. Denn weite Teile des Landes sind gekennzeichnet durch schwer zugängliche Berge oder Ur-wald. Die FARC sowie andere parami-litärische Einheiten und bewaffnete Gruppen finanzierten sich mit Drogen-handel und Entführungen (und tun dies teilweise auch weiterhin). Die Eu-ropäische Union führte die FARC bis 2017 in ihrer Liste der Terrororganisa-tionen.

Kurz vor dem Kollaps

Der bewaffnete Konflikt hat bislang mehr als 220 000 Menschenleben ge-kostet, die meisten davon Zivilisten. Bis heute prägt die politische Gewalt des »schmutzigen Krieges« das Land.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre durchlitt der kolumbianische Staat eine tiefe strukturelle Krise, de-

ren Wurzeln weit zurück in die Ge-schichte reichten. Der Bildung irregu-lärer Kräfte leisteten die für die territoriale Kontrolle des großen Lan-des zu schwachen staatlichen Instituti-onen Vorschub. Das wirkte sich letzt-lich auf das Wohlergehen der Zivilbevölkerung, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und den Schutz seiner natürlichen Ressourcen negativ aus.

Den Nährboden für das Aufkommen bewaffneter Konflikte bildeten die Geografie des Landes, der fehlende Zugang zu Möglichkeiten politischer Partizipation für weite Teile der verarm-ten ländlichen Bevölkerung, die feh-lende staatliche Kontrolle über natürli-che Ressourcen sowie einige weitere Faktoren.

Die illegalen bewaffneten Gruppie-rungen nutzten die Verhältnisse im Land als Vorwand für ihre Argumenta-tion, der einzige Weg für die Unter-privilegierten, sich an der Politik betei-ligen zu können, sei die Anwendung von Waffengewalt. Zudem wurde die Krise durch die destabilisierende Wir-kung des Guerillakrieges befördert. Da es den bewaffneten Gruppen gelang, die gesamte Produktionskette von Ko-

5�Kolumbianische Polizeikräfte an den Wracks von sieben ausgebrannten LKW im Cauca-Tal, März 2009. Vorausgegangen war ein Überfall der FARC-Guerilla auf die Fahrzeuge.

Frieden in Kolumbien?Frieden in Kolumbien?Die Sicht der kolumbianischen Streitkräfte Die Sicht der kolumbianischen Streitkräfte

auf den Friedensprozess mit der FARC auf den Friedensprozess mit der FARC

Frieden in Kolumbien?

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19Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

kain unter ihre Kontrolle zu bringen, verfügten sie über beträchtliche Ein-nah men, die sie für den Ausbau ihrer bewaffneten Strukturen und ihres Ein-flusses über regionale Grenzen hinaus nutzten. Auf diese Weise dehnten sie ihre Kontrolle auf weitere Gebiete des Landes aus und schufen ein Netz von überregionaler (nationaler) Reich-weite. Die starke Präsenz der FARC in den Waldregionen im Süden des Lan-des mit dem Piedemonte Llanero, wel-che die Hochebene von Sumapaz und die Hauptstadt Bogotá verbindet, ver-schaffte ihnen einen wesentlichen Vor-teil. So waren sie sogar in der Lage, die Hauptstadt des Landes einzukreisen. Armee und Polizei erwiesen sich als weitgehend machtlos.

Angesichts dieser Lage beschloss die Regierung, Friedensverhandlungen mit den Guerillagruppen aufzuneh-men. Sie richtete 1998 um die Haupt-stadt herum eine »Entspannungszone« (Zona de Distensión) ein, aus der sie vor-übergehend die Armee abzog, um so den Friedensverhandlungen den Weg zu ebnen. Doch der erste Friedenspro-zess führte 2002 nicht zum Erfolg. Sein Scheitern war darauf zurückzuführen, dass die Guerillagruppen den Abzug des Militärs dazu nutzten, sich stärker aufzustellen. Sie intensivierten sogar die Angriffe auf Einrichtungen des kolumbianischen Militärs und der Po-lizei in anderen Regionen des Landes. Dadurch gelang es ihnen, einen Groß-

teil der Bevölkerung davon zu über-zeugen, sie seien in der Lage, die Macht im ganzen Land mit Waffengewalt an sich zu reißen. In diesem nun vollends auflodernden Konflikt ohne klare Frontlinien mischten auch Milizen und paramilitärischen Formationen mit, die die Regierung unterstützten.

Die Streitkräfte in der Offensive

Wesentliches Merkmal eines bewaffne-ten Konflikts mit irregulären Kräften ist die besondere Komplexität der Lage, die den Sicherheitskräften stän-dige Anpassungen abverlangt. In ei-nem solchen Konflikt gilt für Guerillas: Solange sie nicht verlieren, siegen sie. Für den Staat gilt dagegen: Wenn er nicht siegt, verliert er.

Destabilisierende Aktionen von ille-galen bewaffneten Gruppen Ende der 1990er Jahre und zu Beginn der 2000er

Jahre rissen den kolumbianischen Staat in eine ernste Regierungskrise. Das kolumbianische Militär trug dabei zur Überwindung dieser Krise bei. Es ge-wann die territoriale Kontrolle zurück und erweiterte seine Fähigkeiten so, dass es in der Lage war, die bewaffne-ten Gruppen zurückzudrängen. In den letzten Jahren des Konflikts gelang es den staatlichen Sicherheitskräften, al-len irregulären Gruppen schwere Ver-luste zuzufügen. Das Einflussgebiet der Guerilla wurde verkleinert, ihre Strukturen geschwächt, auch durch ge-zielte Angriffe auf ihre Anführer. Bei der »Operación Berlín« (benannt nach der deutschen Hauptstadt) wurde im Jahr 2000 ein Guerillaverband, der sich auf dem Weg in den Nordosten des Landes befand, zerschlagen. 2003 folgte die »Operación Libertad 1«, bei der der von der FARC um die Haupt-stadt eingerichtete Belagerungsring durchbrochen wurde. Mit der geziel-ten Tötung des Anführers der »Frente 16« während der »Operación Sol Naciente« 2007 gelang ein schwerer Schlag gegen die Führungsstrukturen und Finanzkraft der FARC. Und 2010 wurde einer der gewalttätigsten und brutalsten Guerillaführers Kolum-biens, Victor Julio Suárez, besser be-kannt als »Jojoy«, aufgespürt und im Gefecht getötet. Er war für die Entfüh-rung, brutale Folter und Ermordung von Senatoren, Gouverneuren, Solda-ten und Polizisten in den von ihm be-

�Die kolumbianische Anti-Drogen-Polizei zerstört ein Kokainlabor in Tolima, Juni 2007.

�Präsident Juan Manuel Santos bei sei-ner Amtseinführung am 7. August 2010 in Bogotá. Santos war der Motor der Friedensverhandlungen mit der FARC und erhielt dafür 2016 den Frie-densnobelpreis.

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Frieden in Kolumbien?

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triebenen Lagern im Innern des kolum-bianischen Regenwalds verantwortlich.

Im Rahmen der »Operación Odiseo« im Jahr 2011 wurde ein weiterer wich-tigter Guerillaführer der FARC, Guil-lermo León Sáenz Vargas alias »Al-fonso Cano«, getötet. »Cano« hatte die Ermordung von Politikern und Vertre-tern der staatlichen Sicherheitskräfte befohlen. Zudem war er in den Dro-genhandel eingebunden wie auch an verschiedenen Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt gewe-sen.

Seit 2011 erkennt ein Gesetz Angehö-rige der kolumbianischen Streitkräfte als Opfer des bewaffneten Konflikts und schwerer Menschenrechtsverlet-zungen seitens der irregulären Akteure an. Dazu gehören beispielsweise all jene, die entführt wurden und in Ge-fangenschaft starben, oder die Fami-lien von Polizisten und Soldaten, die unbewaffnet außerhalb des Dienstes ermordet wurden. Die verschiedenen Guerillagruppen setzten Kopfgelder für die Tötung von Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte aus. Eine Folge dessen war die Ermordung und Entführung vieler Offiziere, Unteroffi-ziere und Mannschaftssoldaten, wäh-rend diese sich im Urlaub oder zu Be-such bei ihren Familien befanden.

Vor dem Hintergrund der kom-plexen Zusammenhänge bemühten sich Politiker, Lösungsstrategien jen-seits der bewaffneten Konfrontation zu entwickeln. Dazu gehörten die bereits oben erwähnten Friedensverhandlun-gen mit den Guerillagruppen wie auch der Plan, aufgrund eines Friedens-abkommens anschließend alle irregu-lären Kräfte zu demobilisieren. So

implementierte das Verteidigungsmi-nisterium die »Gruppe für humanitäre Betreuung für demobilisierte Kämp-fer«. Ziel war es, die Mitglieder der ille-galen Gruppen dazu zu bewegen, ihre Waffen niederzulegen. Durch ein An-gebot von Bildungsprogrammen und psychosozialer Betreuungsmaßnah-men sollten den ehemaligen Kämpfern Chancen für eine schnelle Wieder-eingliederung in die Zivilgesellschaft geboten werden.

Ein neuer Anlauf zum Frieden

Die schweren Verluste, die die Streit-kräfte und die nationale Polizei den ille galen bewaffneten Einheiten zufüg-ten, ließ die Zahl der demobilisierungs-willigen Kämpfer beträchtlich anstei-gen. Zwischen 2006 und 2012 konnten rund 35 000 Guerillakämpfer entwaff-net werden. Zugleich leistete die kolumbianische Armee mit ihren logis-tischen und personellen Ressourcen ei-nen wichtigen Beitrag zu den Entwick-lungshilfen für stark gefährdete und bisher benachteiligte Regionen des Landes. Der Wohlstand und die Sicherheit der Bürger wurden durch Investitionen in Infrastruktur, Gesund-heitseinrichtungen und Grundversor-gung verbessert.

Nachdem die Regierung aus den vor-herigen und gescheiterten Friedens-prozessen Lehren gezogen hatte, suchte sie nach neuen Wegen, die Ver-handlungen zum Erfolg zu führen. 2012 begann der zweite Friedenspro-zess zwischen der Regierung und der FARC. Die Besonderheit daran war, dass nun das kolumbianische Militär unmittelbar an diesem Prozess betei-

ligt wurde. Zuvor war die Armee zwar für die Sicherheit, Implementierung der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung der ehemali-gen Kämpfer der Guerillagruppen in die Gesellschaft zuständig gewesen, doch kein einziges Mal waren die Streitkräfte an den Verhandlungen ak-tiv beteiligt gewesen. Das hatte den Eindruck vermittelt, die Regierung wolle sie bei der Befriedung des Lan-des außen vor lassen.

1988, in der Regierungszeit von Präsi-dent Virgilio Barco, war es auch zu ei-ner ersten Annäherung an die FARC und die Guerillagruppe »Bewegung 19. April« (»M-19«) gekommen. Mit der M-19 konnte denn auch die Unterzeich-nung eines Friedensabkommens er-reicht werden, in dem sich die Guerilla-kämpfer zur Übergabe ihrer Waffen und ihrer Demobilisierung ver pflich-teten. Zeitgleich wurden auch die Grundlagen für die Einberufung einer Verfassungsgebenden Nationalver-sammlung im Jahr 1991 geschaffen, die eine Reform der alten Verfassung von 1886 erarbeitete und verabschiedete.

Auch spätere Regierungen suchten weiterhin Kontakte zu den Guerilla-gruppen, um einen Ausweg aus dem Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu erreichen – allerdings ohne großen Er-folg. Denn die bewaffneten irregulären Truppen zeigten kein großes Interesse an einer Umsetzung des ersten Frie-densabkommens (von 1991). Stattdes-sen gingen sie in die Offensive und brachten das Land an den Rand des Kollaps.

2010, zwei Jahre vor der Einleitung des zweiten Friedensprozesses mit der FARC, begannen die Streitkräfte die

5�Soldaten der kolumbianischen Streitkräfte auf Patroullie in der Region Cauca, Juli 2012.

picture alliance/dpa/Christian Escobar Mora picture alliance/dpa/Christian Escobar Mora

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bisherigen Erfolge und Misserfolge vorangegangener Verhandlungen mit den Guerillagruppen zu analysieren. Dies führte zur Ausarbeitung eines Vorschlags für ein mögliches Verhand-lungsszenario, den der neue Präsident Juan Manuel Santos Calderón nach sei-nem Amtsantritt 2012 aufgriff. Als San-tos den Friedensprozess einleitete, ent-schied das Verteidigungsministerium über das strategische Vorgehen, sodass die Streitkräfte dazu beitragen konn-ten, den Weg für eine Unterzeichnung des Abkommens zu ebnen. Das ge-meinsame und koordinierte Vorgehen von kolumbianischen Streitkräften und Polizei gegen die irregulären Gruppierungen schwächte letztere und schaffte die Voraussetzungen zur Beendigung eines der ältesten Gueril-lakriege Lateinamerikas. 2016 unter-zeichneten schließlich der Präsident und die Guerilla das »Endgültige Ab-kommen zur Beendigung des Kon-flikts«.

Schon in Vorbereitung der Friedens-verhandlungen mit der FARC und im Vorgriff auf künftige Verhandlungen mit anderen organisierten bewaffneten Gruppen erarbeiteten die kolumbiani-schen Streitkräfte Analysen zu mögli-chen Verhandlungsoptionen. Zudem etablierten sie ein »Gemeinsames Stra-tegisches Kommando für die Über-gangszeit« (Comando Conjunto Est-ratégico de Transición, CCOET). Dessen Aufgabe war und ist es, den Präsidenten, den Oberbefehlshaber, das Verteidigungsministerium und die Regierung bei Themen aus dem Vertei-digungsbereich, die in Zusammen-hang mit der Beendigung von Konflik-ten und der Herbeiführung eines Friedens stehen, zu beraten.

Das CCOET setzt sich aus Angehöri-gen der Streitkräfte (Armee, Marine, Luftwaffe) zusammen, die zur Schaf-fung der Rahmenbedingungen für Friedensverhandlungen mit der FARC beitrugen und bis heute an der Umset-zung des Friedens mitarbeiten.

Aufgrund der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen bestanden auf Seiten der staatlichen Institutionen zu Beginn des Prozesses Zweifel und Mis-strauen hinsichtlich der Zukunft der Verhandlungen und deren Aussichten auf Erfolg. Einer der entscheidenden Faktoren bei den Verhandlungen war der Wille einiger Anführer der FARC-

Guerilla, ihre Waffen niederzulegen und auf alte Maximalforderungen zu verzichten. Daher konnte man darauf vertrauen, dass die Guerilla bis zum Schluss an den Verhandlungen teilneh-men würde. In Anbetracht ihrer techni-schen Fähigkeiten, ihrer geografischen Expertise sowie ihrer traditionell en-gen Verbindungen zur Zivilbevölke-rung erwies sich das Mitwirken der kolumbianischen Streitkräfte an den Friedensverhandlungen als ein Schlüs-sel zum Erfolg.

Neue Kämpfe

Neben anderen weiterkämpfenden Guerillagruppen wie der ELN (Ejército de Liberación Nacional, Nationale Befrei-ungsarmee) wandten sich Teile der FARC schon vor Unterzeichnung des Friedensvertrags vom Prozess ab und machten die Demobilisierung gar nicht erst mit. Etwa 1000 Kämpfer legten die Waffen nicht nieder. Deren Zahl ver-doppelte sich bis 2019, da diese Grup-pen weiterhin Kämpfer rekrutieren, darunter auch Minderjährige, und neue Gruppen hinzutraten. Ein weiterer ra-dikaler Flügel der ehemaligen FARC-Guerilla erklärte Ende August 2019 die »Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes«. Diese als »FARC-Dissiden-ten« bezeichneten Restgruppen der Guerilla sowie andere neue bewaffnete Gruppierungen begehen nach wie vor Verbrechen und sind vor allem im Dro-genhandel aktiv. Sie stellen die kolum-bianische Polizei und die Streitkräfte weiterhin vor erhebliche Herausforde-rungen. Obwohl das Friedensabkom-

men die Auflösung der wichtigsten be-waffneten Gruppen ermöglichte, ist die Sicherheitslage immer noch insta-bil.

»Ein Teil der FARC hat damals die Waffen abgegeben, ein anderer Teil [...] hat das nicht getan. Unser Kampf geht weiter«, zitierte das Nachrichtenmaga-zin »Der Spiegel« im September 2019 einen Kommandeur der »FARC-Dissi-denten«: »Es hat sich nichts geändert: Wir sind Revolutionäre, Guerilleros, die zur Waffe gegriffen haben, und wir wollen den gesellschaftlichen Umsturz. Die Welt soll verstehen, dass wir wie-der da sind.« Viele der Guerillaführer, die ihre Waffen im Rahmen des Frie-densabkommens übergeben haben, ha-ben den Kampf wieder aufgenommen und führen mit Unterstützung einiger ausländischer Regierungen in der Re-gion immer noch illegale Aktivitäten durch.

Es war und ist richtig, dass ein Frie-densabkommen mit der Mehrheit der größten Guerillagruppe in der Ge-schichte Kolumbiens unterzeichnet wurde und so die Zahl der Gewaltta-ten zurückging. Aber die FARC-Dissi-denten und andere weiterhin aktive bewaffnete Gruppen stellen den kolumbianischen Staat noch immer vor große Herausforderungen. Nach mehr als 50 Jahren Krieg ist es endlich Zeit für Kolumbien und seine Bevölke-rung, in einem stabilen und dauerhaf-ten Frieden zu leben.

María Camila Otálora Parra Germán Andrés Mc Allister Andrade

Wilmer Yesid Piña Peña

�Guerrillakämpfer der FARC-Rebellen im Januar 2016.

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22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

Service Das historische Stichwort

Während die deutsche Öffent-lichkeit im Sommer 1990 ganz auf den laufenden

Wiedervereinigungsprozess fokussiert war, platzte mit dem Einmarsch der irakischen Streitkräfte in Kuwait am 2. August 1990 eine sicherheitspoli-tische Bombe. Ungefähr 10 000 iraki-sche Soldaten besetzten, für die Welt-öffentlichkeit überraschend, das kleine Emirat. Am 8. August erklärte der irakische Präsident Saddam Hussein Kuwait einseitig zur 19. irakischen Provinz. Der Irak hatte in einem Hand-streich die reichen Ölfelder und lan-gen Küstenlinien Kuwaits seinem Staatsgebiet einverleibt. Die Regie-rungschefs der großen Mächte waren zwar durch die deutsche Frage abge-lenkt, dennoch folgte die internatio-nale Reaktion prompt. Noch am 2. Au-gust verurteilte der UN-Sicherheitsrat den Einmarsch und forderte den kom-pletten Rückzug der irakischen Trup-pen. Einen Tag später versuchte die Arabische Liga, den Konflikt zwischen ihren beiden Mitgliedern zu lösen. Saddam Hussein gab aber nicht nach. Deshalb verhängten die UN am 6. Au-gust schließlich Wirtschaftssanktionen und am 25. August eine Seeblockade gegen den Irak. Auch die weiteren Verhandlungen scheiterten, weshalb der Sicherheitsrat am 29. November

1990 ein Ultimatum zum Rückzug bis zum 15. Januar 1991 stellte. Bei Nicht-befolgung gestattete er auch militäri-sche Gewalt zur Umsetzung der Re-solution.

»Desert Shield« beginnt

Am 10. August 1990 hatte die Arabi-sche Liga schon die Aufstellung einer Schutztruppe für die Golfanrainerstaa-ten beschlossen. US-Präsident George H.W. Bush entsandte zudem im Sep-tember seinen Außenminister James Baker, um eine Anti-Irak-Koalition zu bilden. 34 Staaten schlossen sich zu die-sem Zweck zusammen, darunter mit Polen, der Tschechoslowakei und Un-garn auch drei Staaten des zu dieser Zeit noch bestehenden Warschauer Pakts. Deutschland und Japan beteilig-ten sich mit Hinweis auf Verfassungs-vorbehalte nicht an den Kampfhand-lungen, unterstützten die Zweckallianz aber mit Milliardensummen. Neben den militärischen Unterstützungsleis-tungen der Bundeswehr lieferte Deutschland zudem immense Mengen logistischer Güter aus NVA- und Bun-deswehrbeständen.

Am Persischen Golf begann bereits ab dem 8. August 1990 ein gewaltiger Truppenaufmarsch, nachdem die USA verkündet hatten, Saudi-Arabien vor

einer möglichen weiteren Aggression Iraks schützen zu wollen: die Opera-tion »Desert Shield«. Am selben Tag trafen zwei US-Flugzeugträgerkampf-gruppen im Golf ein und sicherten mit ihrer Präsenz die Verlegung weiterer Truppen in die Region. Allein die USA entsandten etwa 600 000 Soldaten. Ins-gesamt stand am Ende eine Koalitions-streitmacht mit fast einer Million Sol-daten für den Kampf bereit. Ein großer Teil der US-Truppen wurde aus Deutschland nach Saudi-Arabien ver-legt, das zur Hauptbasis für den Auf-marsch wurde.

Die irakische Armee war zu diesem Zeitpunkt die viertgrößte der Welt und verfügte nach dem Irak-Iran-Krieg (1980‑1988) über umfangreiche Kampf erfahrung und modernes sowje-tisches Kriegsgerät. Es handelte sich also durchaus um einen ernstzuneh-menden Gegner. Zudem war Saddam Hussein im Besitz der chemischen Kampfstoffe Senfgas und Sarin und Mittelstreckenraketen als Trägersys-teme. Letztere verfügten über eine Reichweite bis ins östliche Mittelmeer. Als letztes Mittel versuchte Hussein ei-nen »Heiligen Krieg« auszurufen, doch er traf damit innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft kaum auf Reso-nanz. Die NATO nahm diese Gefahr trotzdem ernst und verstärkte ihre Mi-

Service

5�F-15- und F-16- Kampfflugzeuge der U.S. Air Force fliegen während der Operation »Desert Storm« über brennende Ölquellen, 1991.

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Die Operationen »Desert Shield« Die Operationen »Desert Shield« und »Desert Storm« 1990/91und »Desert Storm« 1990/91

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denoperationen und erstaunlich gerin-gem Widerstand war Kuwait befreit. Ab dem 26. Februar begann der fluchtartige irakische Rückzug.

Während des Krieges begingen die irakischen Truppen Kriegsverbrechen wie Plünderungen, Zerstörungen, Ent-führungen und Hinrichtungen. Doch auch den Verbündeten wurden Kriegs-verbrechen vorgeworfen. Auf dem »Highway of Death« wurden viele Sol-daten und Zivilisten durch massive al-liierte Luftangriffe getötet. Eine spätere Untersuchung unter Führung des Ju-risten und demokratischen Politikers Ramsey Clarks bewertete dies als Kriegsverbrechen der US-Amerikaner und ihrer Verbündeten. Am 28. Fe-bruar verkündete US-Präsident Bush schließlich die Waffenruhe; die Opera-tion »Desert Storm« war beendet.

Die Kriegsfolgen

Nach der UN-Resolution 686, welche die Regeln für einen dauerhaften Waf-fenstillstand festlegte, begannen am 3. März die entsprechenden Verhand-lungen. Am 5. März annullierte der Irak die Annexion Kuwaits und am 12. April trat der Waffenstillstand offi-ziell in Kraft. Bereits am 10. März hat-ten die Koalitionstruppen ihren Rück- und Abzug aus dem Irak und dem Persischen Golf begonnen. Fast 800 Öl-quellen waren durch irakische Truppen in Kuwait in Brand gesetzt, unzählige Minen waren an Land und auf See ge-legt worden, die später auch mit deut-scher Hilfe beseitigt wurden. Insgesamt kamen während beider Operationen knapp 380 Soldaten der US-geführten Koalition ums Leben und fast 3000 wurden verwundet. Dem standen bis zu 75 000 getötete irakische Soldaten und 35 000 Zivilisten gegenüber. In den USA litten und leiden noch viele Tau-send Soldaten am »Golfkriegs-syndrom«. Die Umweltschäden, zum Beispiel durch die von Irakern ange-steckten Ölquellen, waren enorm und auch die irakische Bevölkerung litt noch lange unter der zerstörten Infra-struktur und den UN-Sanktionen. Gleichzeitig kann dieser Konflikt durch die nahezu in Echtzeit erfolgende Über-tragung im Fernsehen, insbesondere durch den Nachrichtensender CNN, und durch dadurch vermittelte Live- Erleben an den Fernsehbildschirmen erstmals als ein »Medienkrieg« be-zeichnet werden.

�Christian Jentzsch

litärpräsenz im östlichen Mittelmeer. Aus diesem Grund entsandte auch die Bundesregierung am 16. August einen deutschen Minenabwehrverband nach Kreta. Im Januar 1991 folgten weitere deutsche Schiffe und die Entsendung der Allied Mobile Force Air (AMF) in die Türkei. 18 deutsche Alpha Jets wa-ren daran beteiligt, was zu heftigen De-batten über den Out-of-Area-Einsatz der Bundeswehr führte.

Operation »Desert Storm«

Nachdem bereits die Operation »De-sert Shield« zu einer massiven Präsenz modernster westlicher Waffensysteme am Golf geführt hatte, stimmte am 12. Januar 1991 der US-Senat darüber hinaus dafür, militärische Gewalt an-zuwenden. Zwei Tage später folgte der irakische Kommandorat mit einem ähnlichen Votum. Damit waren am Vorabend des am 15. Januar ablaufen-den Ultimatums die Weichen auf Krieg gestellt. Die Welt schaute gebannt auf den Golf.

Am 17. Januar um 3:00 Uhr Ortszeit begannen die Luftangriffe der Koali-tion und damit die Operation »Desert Storm«. Von sechs Flugzeugträger-kampfgruppen und Saudi-Arabien aus fanden die Luftangriffe mit Marsch-flugkörpern und Luftfahrzeugen statt. Allein am ersten Tag erfolgten ca. 1300 von am Ende des Krieges mehr als 100 000 Luftangriffen. Als erstes wur-den die irakische Luftwaffe und Luftabwehr bekämpft. Dabei erwies sich letztere als unerwartet ineffizient. Trotz der modernen Waffensysteme des Irak gelang lediglich der Abschuss von 43 gegnerischen Luftfahrzeugen. Am 27. Januar entzogen sich 144 iraki-sche Flugzeuge der Zerstörung, indem

sie beim ehemaligen Feind Iran Zu-flucht suchten.

In der zweiten Phase des Luftkriegs waren die Führungs- und Kommuni-kationszentren der irakischen Armee das Ziel der Angriffe. Nachdem die Luftherrschaft etabliert war, wurden fast ungehindert Bodentruppen und kritische Infrastruktur des Irak bom-bardiert. Eine besondere Rol le spielte dabei die Jagd auf mobile »Scud«-Mit-telstreckenraketenstellungen sowje-tischer Bauart, die Saddam Hussein auf Israel und Saudi-Arabien sowie Bahrain und Katar abfeuern ließ. Im Hinblick auf Israel war es sein Ziel, den jüdischen Staat zu einem Gegenschlag zu verleiten. Antiisraelische Ressenti-ments sollten in der Folge islamische Staaten aus der US-geführten Koali tion brechen. Die USA mussten mehr fach diplomatisch intervenieren, um das zu verhindern. Zugleich verlegten sie zusammen mit den Niederlanden » Patr i ot«-Luft ab wehrraketenbatterien nach Israel.

Die erste irakische Bodenoffensive ging, wenn auch erfolglos, am 29. Ja-nuar 1991 vom Irak aus in Richtung Chafdschi in Saudi-Arabien. Sie wurde mit starker Luftunterstützung bis zum 1. Februar zurückgeschlagen. Nach kleineren Aufklärungs- und Kom-mandooperationen begann die alliierte Bodenoffensive am 24. Februar mit dem Ablauf eines Angebots zum unge-hinderten Abzug aus Kuwait. Der An-griff zu Lande beinhaltete drei opera-tive Elemente: erstens die Befreiung Kuwaits, zweitens die Invasion in den Irak vom Süden aus, um einen Haupt-angriff vorzutäuschen und drittens den eigentlichen Hauptstoß über die linke Flanke tief in irakisches Gebiet. Nach nur einhundert Stunden Bo-

5�Britische Challenger-Panzer bei einer Übung in der saudi-arabischen Wüste wäh-rend der Operation »Desert Shield«, 1990.

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Neue Medien

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

nen die Fans Bescheid zu wissen. Aber was stimmt da überhaupt? Wie histo-risch korrekt haben der Autor René Goscinny, der Zeichner Albert Uderzo und ihre Nachfolger die fiktiven Aben-teuer um das rebellische Dorf in der Bretagne geschrieben?

Der Latinist und Autor Bernard- Pierre Molin hat sich durch das Asteri-x-Universum gewühlt und einen Faktencheck gemacht. Politik und Ge-sellschaftsordnung, gallische und rö-mische Bräuche – und natürlich auch das Verspeisen von Wildschweinen – nimmt er unter die Lupe und klärt auf, was in den Comics richtig erzählt wurde und wo die Autoren geschum-melt haben. Die Form der Erzählung ist knapp und mit einem Augenzwin-kern gewählt, was das Lesevergnügen kurzweilig macht. Hier und da wäre ein ausführlicher Blick sicherlich hilf-reich, jedoch gelingt es in der dichten Form, ein großes Themenspektrum aufzuzeigen, das für Interessierte zum Einstieg in die ausführlichere Beschäf-tigung mit der antiken Geschichte ein-laden kann. Die Verwendung von Ori-ginalzeichnungen von Uderzo und etlichen Insiderwitzen machen das Buch für eingefleischte Fans zum Ver-gnügen.

Friederike Höhn

Die tägliche Dosis Politik

Auch in Zeiten von Schul- und Unischließungen, Aussetzen von

Seminaren und Fortbildungsveranstal-tungen muss die politische Weiterbil-dung nicht stillstehen. Ein innovatives und interaktives Angebot liefert seit März 2020 die Bundeszentrale für poli-tische Bildung (bpb). Regelmäßig streamt die bpb live eine Politikstunde zu aktuellen politischen, wirtschaftli-chen und gesellschaftlichen Themen wie »Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution«, »Was verbindet Extremis-ten« oder »Verschwörungstheorien«. Manchmal werden die Zuschauer auch mit auf eine Klassenfahrt genommen. In Zeiten von Reisebeschränkungen

geht es nach Prag, Kreisau, Tiflis oder Berlin.

Zu jeder Sendung lädt Moderator Daniel Kraft ein bis zwei Experten ein. Die Zuschauer und Zuschauerinnen können sich über die Kommentarfunk-tion unter dem Stream einbringen und Fragen stellen. Nach 45 Minuten klin-gelt die Pausenglocke, doch alle Aus-gaben gibt es auch noch einmal zum Nachschauen auf der bpb-Website oder auf Youtube. Die bpb stellt darü-ber hinaus zu den einzelnen Stunden weiterführendes und vertiefendes Ma-terial zur Verfügung.

eg

Asterix

Seit den 1960er Jahren lernen eu-ropaweit, vielleicht sogar in der

ganzen Welt, junge und alte Menschen Erstaunliches über die römische An-tike. Und zwar durch Comics: Mit As-terix und Obelix wurden sicherlich Millionen Leserinnen und Leser an die (Militär-)Geschichte herangeführt. Die Schildkrötenformation, der Aufbau rö-mischer Heerlager – die natürlich Na-men wie »Aquarium« tragen – und die Ausstattung der Legionäre sind vielen dadurch geläufig. Auch über die galli-sche Kultur, über Hinkelsteine und Druiden, Bartmoden und Barden mei-

Bernard-Pierre Molin/René Goscinny/Albert Uderzo, Asterix – Tempus Fugit. Wahre Mythen und falsche Fakten. Ehapa Comic Collection 2020. ISBN 978-3-7704-4096-2; 130 S., 15,00 Euro

Politikstunde: Stream der Bundeszentrale für politi-sche Bildung https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/306590/die-politikstunde https://youtu.be/wnX4gzh9UXY

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medien 25Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

neueGroße Seeschlachten

Explodierende Kreuzer, sinkende Ga-leonen und herabstürzende Flug-

zeuge: Hier geht es um Krieg, um die Schlacht, Schiff gegen Schiff, Ruhm und Ehre. So zumindest suggerieren es die Cover der Reihe »Die großen See-schlachten«, die mit reißerischen Bil-dern die Aufmerksamkeit militärhisto-risch interessierter Comicleserinnen und comicaffiner Militärhistoriker auf sich ziehen möchte.

Doch das, was diese im Inneren der Graphic Novels erwartet, ist eine freu-dige Überraschung: Statt eines martia-lischen Schlachtkultes wird mit Hilfe fiktiver wie real existierender Protago-nisten in die politischen wie soziokul-turellen Gegebenheiten der jeweiligen Zeit eingeführt. Entscheidungen auf politischer Ebene wechseln sich hierbei mit individualisierten Biografien ab, die auf der menschlichen Ebene die Schrecken des Krieges und in vielen

Sprechblasenplatzierung kann hier und da für Verwirrung sorgen, jedoch leben die Bände von großen Tableaus und Bildgewalt.

Anders, als in popkulturellen Kon-texten oft üblich, konzentriert sich die Reihe nicht allein auf die Neuere und Neueste Geschichte des Westens, son-dern nimmt ihr Anliegen, die größten Seeschlachten der Weltgeschichte ernst, indem sie epochenübergreifend angelegt ist und in Ansätzen auch über den europäischen Tellerrand hinaus-blickt. So gibt es auch einen Band über die Seeschlacht von Noryang von 1598 während der japanischen Invasion der koreanischen Halbinsel (Imjin-Krieg), bei der knapp 150 Schiffe der korea-nisch-chinesischen Allianz auf 500 ja-panische Schiffe trafen. Auch die anti-ken Schlachten von Actium (31 v.Chr.) und Salamis (480 v.Chr.) wurden auf-genommen, sind jedoch noch nicht auf Deutsch erschienen. Insgesamt sind 18 Bände in der Reihe geplant, auf Deutsch liegen bislang zehn davon vor, zuletzt zum Schlachtschiff »Bis-marck« 1941.

Friederike Höhn

Fällen deren Tod offen zeigen. Die zu-gängliche Form führt auch in weniger geläufige Umstände ein – wie etwa jene Verwicklungen, die 1571 zur Schlacht von Lepanto geführt haben. Hier wird die Leserin, der Leser mit Galeerensklaven und italienischen Söldnern bekannt gemacht, die an der Schlacht teilgenommen haben könnten und ihr Leben gelassen haben könnten. Abgerundet wird jeder Band durch ei-nen sachlichen Anhang, der insbeson-dere in die marinetechnischen wie -taktischen Zeitläufe einführt und his-torisches Bildmaterial bereithält, das den Comics als Vorlage diente.

Die Idee zur Reihe stammt von Jean-Yves Delitte, einem belgischen Comic-Künstler und Marineexperten. Er ist, so heißt es in den Bänden, offizi-eller Marinemaler der französischen Marine. Die meisten Bände wurden auch von ihm gezeichnet. Sein franzö-sisch-belgischer Stil zeigt sich detailge-nau in den Gesichtern der Protagonis-tinnen und Protagonisten wie in der Wiedergabe der Kriegstechnik, ohne jedoch in Fotorealismus umzuschla-gen. Die teilweise unordentliche

Reihe Die großen Seeschlachten, Finix Comics 2018 ff, 15,80 Euro. Bisher erschienen: Bände zu Trafalgar, Skagerrak, Lepanto, Chesapeake, Midway, Texel, Hampton Roads, Tsushima, Noryang, Die Bismarck.

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Eine deutsche Dynastie

Am 19. November 2019 verübte ein mutmaßlich psychisch kranker Mann einen Anschlag auf den Internisten Fritz von Weizsäcker, dem jüngsten Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Das Verbre-chen rückte in tragischer Weise eine Familie in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit, die das »wahrscheinlich bedeutsamste deutsche Geschlecht der vergangenen zwei Jahrhunderte« dar-stellt, so der Autor dieses Buches, Hans-Joachim Noack. In 16 chronolo-gisch aufgebauten Kapiteln widmet er sich dieser Ausnahmedynastie und zeichnet ein fein akzentuiertes Porträt.

Die Leser erfahren zum Beispiel et-was zu den Anfängen dieses Ge-schlechts von ursprünglichen Müllern, bekommen die hohe Anpassungsfähig-keit der jeweiligen Generationen in ih-rem Lebensumfeld verdeutlicht – sei es im Wilhelminischen Kaiserreich, wäh-rend der NS-Diktatur oder in der soge-nannten Bonner Republik – und lernen einmal mehr, dass hinter jedem Mann, der erfolgreich ist, eine Frau steht, die ihn stützt. Nicht umsonst wurde etwa Marianne von Weizsäcker respekt-voll-bewundernd als »General« be-zeichnet.

Die Verwendung des Begriffs Dynas-tie ist im Buch klug gewählt, verhielten sich doch die Weizsäckers getreu ih-rem Selbstverständnis als eine Elite, die durch Bildung, Fleiß, eine ge-schickte Heiratspolitik, das Knüpfen von Freundschaften und Beziehungs-geflechten sowie eine gesunde Portion innerfamiliärer Konkurrenz ihren so-zialen, ökonomischen und politischen Status erreicht hatte und erfolgreich bis heute verwaltet. Ob die Dynastie je-doch weiterhin ihre Strahlkraft behält und einen signifikanten politischen Einfluss ausüben wird, bleibt abzu-warten.

Victor Marnetté

Der Große Kurfürst

Krank war er, der kampferprobte schwedische General Carl Gustav Wrangel. So kommandierte am 18. Juni 1675 sein Stiefbruder Waldemar das Heer bei Fehrbellin. Er verlor gegen die brandenburgisch-preußischen Truppen von Friedrich Wilhelm (1644‑1688), ge-nannt der Große Kurfürst. Bei dessen überhasteter Kavallerieattacke mussten zwar die Schweden weichen, konnten sich bald wieder sammeln. Des Kur-fürsten Gedenkmünze aber trug eine lateinische Umschrift, die auf Deutsch lautet: »Das ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder vor unseren Au-gen« (Psalm 118, 23).

Später wurde aus dem Gefecht bei Fehrbellin eine entscheidende Schlacht und aus dem taktischen Teilerfolg ein glanzvoller Sieg. Aus dem Kampf ge-gen einen militärischen Neuling wurde die Überwindung eines erfahrenen Ge-nerals durch den auf Gott und sein Heer vertrauenden Großen Kurfürs-ten: »Wrangel bleibt Wrangel«.

Jürgen Luhs Verdienst ist es, hier sehr quellengesättigt und -kritisch hin-ter die Kulissen vergangener Jahrhun-derte geblickt und den Friedrich Wil-helm des 17. Jahrhunderts freigelegt zu haben. Denn sehr wenige Geschichten um und aus seinem Leben haben tat-sächlich Bestand: die Aufstellung des stehenden Heeres 1644, die bewusste Grundsteinlegung Preußens als Groß- und sogar See- und Kolonialmacht, das Toleranzedikt von 1685 und die Sou-veränität des Herzogtums Preußen. Herausgekommen ist dabei die lesens-werte Geschichte eines letztlich höchst unsicheren frommen Calvinisten, der zwischen den führenden Mächten la-vierte und selbst Großmachtambitio-nen hegte. Er wusste oft nicht weiter, sein Motto lautete daher: »Herr, zeig mir den Weg, den ich gehen soll; denn mich verlangt nach dir« (Psalm 143,8).

hp

Ein deutscher »Lawrence von Arabien«

Manche Geschichten sind einfach zu verrückt, um nicht wahr zu sein. So auch die von Edgar Stern: Der jüdische Leutnant schmuggelt während des Ersten Weltkrieges eine als Wanderzir-kus verkleidete Gruppe von muslimi-schen Kriegsgefangenen über den Bal-kan nach Konstantinopel, um dort den Dschihad auszulösen und so den Krieg für das Deutsche Reich zu gewinnen. Oh ja! Das hat sich wirklich ereignet. Im Herbst 1914 wurde Stern mit 14 französischen Kriegsgefangenen aus der Levante in das Osmanische Reich geschickt. Im Ersten Weltkrieg war Ed-gar Stern im Nahen Osten und an der Westfront eingesetzt, diente anschlie-ßend als Adjutant von Hauptmann Fritz Klein, dem deutschen »Lawrence von Arabien«.

Der Schriftsteller Jakob Hein wurde auf einer Reise in den Nahen Osten auf Leutnant Sterns Biografie aufmerksam gemacht und hat daraus einen Roman-stoff gestrickt. Herausgekommen ist ein unterhaltsamer Abenteuerroman vor gefestigter historischer Kulisse. Man folgt Stern, wie er vom einfallsrei-chen Journalisten zum hoffnungsbela-denen Offizier wird, der für noch jede absurde Situation eine Lösung zu fin-den vermag. Die Perspektivwechsel, insbesondere auf den Kriegsgefange-nen Tassaout vom Stamm der Ait Attik aus Marokko, erweitern den Blick, der sich neben der Haupthandlung auf das Zusammenspiel der Völker, Religionen und Kulturen richtet. Vieles wird frei-lich nur angerissen, gestreift oder aus der Kutsche heraus beobachtet. Doch das lässt sich anderswo nachlesen und studieren – was unbedingt lohnens-wert ist. Hier steht der große Lesespaß im Vordergrund, der heiter und kei-neswegs trivial in die Geschichte ein-tauchen lässt.

Friederike Höhn

Hans-Joachim Noack, Die Weizsäckers. Eine deutsche Familie, München 2019. ISBN 978-3-827-50079-3; 432 S., 28,00 Euro

Jakob Hein, Die Orient-Mission des Leutnant Stern, Köln 2019. ISBN 978-3-462-05338-8; 256 S., 11,00 Euro

Jürgen Luh, Der Grosse Kurfürst. Sein Leben neu betrachtet, München 2020. ISBN 978-3-8275-0096-0; 336 S., 25,00 Euro

Lesetipps

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Eine Familie in Deutschland

Was für Menschen waren das? Was hätte ich selbst gemacht? Hätte ich mit-gemacht? Hätte ich Widerstand geleis-tet? Das sind Fragen, die sich manch ei-ner stellt bei der Vorstellung, in der NS-Zeit gelebt zu haben. Ebensolche Fragen stellte sich auch Peter Prange, der Autor mehrerer historischer Er-folgsromane. Der vorliegende Roman »Eine Familie in Deutschland« taucht eben in diese Zeit ein und zeichnet an Hand der Geschichte einer Familie un-terschiedlichste Lebenssituationen während des Nationalsozialismus nach.

Der Zuckerbaron Herman Ising ist Familienoberhaupt und hofft, dass sein ältester Sohn Georg zurückkehrt, um den Familienbetrieb zu übernehmen. Dieser denkt nicht daran. Viel zu sehr gefällt ihm das Leben als attraktiver Junggeselle und als Automobilingeni-eur bei Josef Ganz in Frankfurt am Main. Sein Bruder Horst hingegen ist jung verheiratet, erwartet sein erstes Kind und fühlt sich zu Unrecht zu-rückgesetzt von seinem Vater bei der Besetzung der Betriebsnachfolge. Schon frühzeitig tritt er in die NSDAP ein und zeigt offen seine Verachtung gegenüber den Juden. Da kollidiert er häufig auch mit seiner Schwester Charly, der Medizinstudentin, die ohne das Wissen der Familie ihren jü-dischen Verlobten und große Liebe ih-res Lebens heiratet, in dem Glauben, ihn damit vor den Nazis schützen zu können. Edda hingegen – die vierte der Geschwister – hegt eine Filmleiden-schaft und begleitet bei Kriegsbeginn mit einem Filmteam die Wehrmacht beim Überfall auf Polen.

Die Veränderungen, die die NS-Herr-schaft mit sich bringt, führen früher oder später jeden der Protagonisten an den Punkt, an dem er sich bekennen muss.

hh

Spionage

Der Roman »Die Spionin« ist einer Heldin des Zweiten Weltkrieges, na-mens Nancy Wake, gewidmet – einer Frau, die in der Résistance als britische Agentin und als Fluchthelferin und Kurierin gegen die deutsche Besatzung Frankreichs diente. 1943 im britischen Special Operations Execute (SOE) zur Agentin ausgebildet, befehligte sie 1944 bis zu 7000 Partisanen und führte mit ihnen zahlreiche Sabotageakte und Angriffe gegen die Deutschen in Frankreich durch.

Hinter dem Pseudonym Imogen Kea-ley, unter dem der Roman erschienen ist, verbergen sich mehrere Autoren. Auf 449 Seiten widmen sich diese der literarischen Würdigung Nancy Wakes, der höchstrangigsten briti-schen Agentin. Die Autoren beschrei-ben in drei Teilen im Zeitraum 1943 bis 1944 den Weg Nancy Wakes, einer fi-nanziell gut gestellten, routinierten Schmugglerin und Fluchthelferin, die nach der Verhaftung ihres Ehemannes nach England flieht und von der briti-schen SOE angeworben wird. Die harte Ausbildung zur Agentin und ihr an-schließender Kampf um die Akzeptanz als weiblicher Kommandant bei den ihr unterstellten französischen Partisa-nen in der Auvergne nehmen die Auto-ren im 2. Teil in den Blick. Im 3. Teil geht es schließlich um die zahlreichen Sabotageakte der Partisanen unter Wakes Kommando vor der alliierten Landung in der Normandie sowie um die vielen Gesichter des Krieges.

Die Lektüre weckt die Neugier des Lesers auf die mutige und außerge-wöhnliche Frau von Anfang an. Der al-les und jeden durchdringende Zweite Weltkrieg wird von den Autoren litera-risch an vielen Stellen gekonnt in Szene gesetzt.

Emilie Terre

Lügen wie gedruckt

Wer kennt ihn nicht, den legendären Ritt des Freiherrn von Münchhausen während des Russisch-Osmanischen Krieges (1768‑1774) auf einer Kano-nenkugel? Um eine türkische Festung auszuspionieren, fliegt Münchhausen kurzentschlossen auf einer Kanonen-kugel in feindliches Gebiet, überlegt es sich doch anders und springt mitten im Flug auf eine gegnerische Kugel, die ihn sicher wieder in russische Stellun-gen bringt. Die Erzählungen rund um den Lügenbaron sind Kulturgut, amü-sant und kurzweilig zu lesen, auch wenn manches, wie etwa das vermit-telte Frauenbild, heute befremdlich wirken. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen und der durchaus eitle Held zieht sich gern selbst an den Haa-ren aus dem Sumpf.

Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720‑1797), Offi-zier im Dienste der russischen Zarin, hat die fabelhaften Geschichten rund um die literarische Figur Münchhausen erfunden und nach seiner Rückkehr aus dem Krieg auf seinem Gut bei Bo-denwerder im illustren Kreis zum Bes-ten gegeben. Anlässlich seines 300. Ge-burtstags hat der Verlag Faber & Faber eine illustrierte Neuausgabe der Ge-schichten herausgegeben, die Gottfried A. Bürger, einer der bekanntesten Münchhausen-Autoren, veröffentlicht hat. Witzig und spritzig sind die comi-chaften Illustrationen von Thomas M. Müller, die die Lügengeschichten als Theaterspiel erzählen. Mit einer guten Portion Ironie hat Müller eine ganz neue Münchhausen-Figur mit Dauer-grinsen im Gesicht und begleitet von bizarren Figuren und allerhand lusti-gen Requisiten erschaffen, die durch-aus einen Platz im 21. Jahrhundert hat. Ein Lese-, Seh- und Theatervergnügen für alle Fans von Lügengeschichten mit Hang zur Skurrilität.

eg

Peter Prange, Eine Familie in Deutschland. Zeit zu hoffen, Zeit zu leben, Frankfurt a.M. 2020. ISBN 978-3651025561; 672 S., 22,00 Euro

Imogen, Kealey, Die Spionin. Aus dem Eng-lischen übersetzt von Gabriele Weber-Jarić, 2. Aufl., Berlin 2020. ISBN 978-3352009464; 457 S., 18,00 Euro

Gottfried August Bürger, Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande. Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen. Mit 30 farbigen Illustrati-onen von Thomas M. Müller, Leipzig 2020. ISBN 978-3-86730-179-4; 160 S., 36,00 Euro

27Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

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28 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

Die historische Quelle

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Kartenspiele

»Verlorenes Land«: Revisionismus in deutschen Kinderstuben

Der Versailler Vertrag führte zur Neuordnung Eu-ropas und zu einer Verschiebung der geopoliti-schen Kräfteverhältnisse. Deutschland tat sich

schwer damit. Der Vertrag wurde hier wegen seiner territorialen und wirtschaftlichen Folgen sowie der Zuweisung der alleinigen Kriegsschuld als de-mütigendes Diktat empfunden. Schon kurz nach der Unterzeichnung wurde die von einem breiten parteipolitischen Konsens getragene Forderung nach einer Revision des Vertragswerks laut.

Im Jahre 1933 er-schien das Kar-tenspiel »Verlo-renes Land«. Das Quartett, gespielt nach den Regeln von »Schwarzer Peter«, zeigt auf 16 in alphabeti-scher Folge gekennzeich-neten Kartenpaaren (A bis R, J und Q fehlen) Gebietsteile und Kolonien, die das Deutsche Reich nach dem Versailler Vertrag abtreten musste.

Herausgegeben wurde »Verlorenes Land« deutschlandweit durch Zei-tungsverlage, wohl unentgeltlich zu Werbezwecken, meist als Beilage zum loka-len NS-Parteiblatt. Das Set konnte indivi-dualisiert beim Her-steller, der Firma »LUX-Spiele«, bestellt werden. Die verschiedenen Aus-gaben unterscheiden sich daher in der Gestaltung der Hüllen und der Karten-rückseiten. Interessanter-weise enthält keine der bis-lang bekannten Ausgaben des Spiels ein Kartenpaar für das Saargebiet. Dies gilt auch für die Ausgaben, die nachweislich vor der Saar ab-stimmung und der Rück glie de-rung des Saargebiets 1935 erschienen sind. Die Gründe hier-für sind nicht bekannt.

Wie beim Kartenspiel »Schwar-zer Peter« geht es darum, Karten-

paare zu sammeln, die man ablegen kann. Die Karte mit dem Aufdruck 33 ersetzt dabei den »Schwarzen Peter«. Sie ist aber nicht nur Unglückskarte. Sie markiert für den Verlierer auch einen Neubeginn. Jeder sollte erkennen,

wann Hitler begonnen hat, verlorene Gebietsteile wieder einzusammeln.

Verlorenes Land diente der ideologischen Vorbe-

reitung auf das Kommende. Denn

auch wenn man sich bei der textlichen

Kommentie-rung der Kar-

tenpaare (u. a. »Oberschlesien

... kam an Polen ...; Memelland ...

untersteht Li-tau en«) konkreter re-

visionistischer Forde-rungen enthalten hat,

so ist die Botschaft doch klar: »Wir mussten Ge-

biete abgeben, in denen Deutsche wohnen und ar-

beiten. Rechtmäßig steht dieses Land daher uns zu.«

Auch mögliche politische Hand-lungsalternativen wurden im Spiel noch offengelassen. Sie konkretisier-ten sich aber in der Realität – mehr

oder weniger gewaltsam – Schritt für Schritt bis zum Beginn

des Krieges 1939. Schon lange ging es auch nicht mehr nur um die Revision von Versail-

les. Hitlers Visionen gingen bekanntlich weit

darüber hinaus.

Stefan Sauer

5�Die 33 fasst die durch den Versailler Vertrag entstandenen Verluste an Staatsgebiet, Kolonien und Einwoh-nern zusammen.

Foto: Steche

Foto: Steche

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29Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

Geschichte kompakt

Seit dem 1. Januar 2001 sind in Deutschland alle Lauf-bahnen der Bundeswehr uneingeschränkt für Frauen geöffnet. Am 2. Januar 2001 rücken zum ersten Mal in

der Geschichte der Bundeswehr 244 Rekrutinnen zum Dienst in Kampfeinheiten von Heer, Marine und Luftwaffe ein. Vorausgegangen war dem ein Urteil des Europäisches Gerichtshofs (EuGH) ein Jahr zuvor.

»Auf die Vorlagefrage ist somit zu antworten, dass die Richtlinie [76/207/EWG des Rates der Europäischen Ge-meinschaft vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Bezug auf Beschäftigung, Berufsbildung, Kar-riere und Arbeitsbedingungen] der Anwendung nationaler Bestimmungen entgegensteht, die wie die des deutschen Rechts Frauen allgemein vom Dienst mit der Waffe aus-schließen und ihnen nur den Zugang zum Sanitäts- und Mi-litärmusikdienst erlauben.«

Mit diesem Ur-teil vom 11. Ja-nuar 2000 läutete der EuGH in Lux-emburg eine neue Ära in der Ge-schichte der Bun-deswehr ein, die Frauen den voll-ständigen Zugang zu den deutschen Streitkräften er-öffnete. Vorausge-gangen war dieser Entscheidung ein m e h r j ä h r i g e r Rechtsstreit. Im Jahr 1996 hatte sich die damals 19-jährige Elektronikerin Tanja Kreil für einen freiwilligen Dienst in der Instandsetzungs truppe beworben, war aber von der Bundeswehr unter Hinweis auf das grundgesetzliche Ver-bot eines Dienstes an der Waffe für Frauen in Art. 12a, Ab-satz 4, GG abgelehnt worden. Sie wandte sich daraufhin an das Verwaltungsgericht Hannover und nahm in ihrer Kla-gebegründung Bezug auf die oben angeführte Richtlinie aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht, sodass das Ver-waltungsgericht Hannover den EuGH um eine Interpreta-tion dieser Richtlinie bat. Das Luxemburger Urteil beendete den Rechtsstreit und gab der Klägerin Recht: Die bisherige Praxis in Deutschland bedeute den Ausschluss von Frauen aus einem ganzen Berufsfeld aufgrund ihres Geschlechts, verstoße gegen europäisches Gemeinschaftsrecht und sei somit zu ändern.

Dienten im Jahr 1999 lediglich knapp 4300 Frauen als Sol-datinnen im Sanitätsdienst und in der Militärmusik der Bundeswehr, was etwa 1,3 Prozent der Zeit-und Berufssol-daten entsprach, so stieg ihre Zahl auf über 23 000 und ihr Anteil auf über zwölf Prozent im Jahr 2020. Eine weitere Steigerung ist zu erwarten.

Gerhard Kümmel

Am 23. März 1921 unterzeichnete Reichspräsident Friedrich Ebert das Wehrgesetz. Dieses stellte in § 1 fest: »Die Wehrmacht der deutschen Republik ist die

Reichswehr«. Und zwei Absätze weiter hieß es: »Die allge-meine Wehrpflicht ist im Reiche und in den Ländern abge-schafft.« Das Wehrgesetz von 1921 vollzog zwei zu diesem Zeitpunkt bereits unumstößliche historische Tatsachen nach: erstens das Ende der Monarchie und zweitens die Entwaffnung der Republik sowie die Reglementierung ih-rer Streitkräfte durch den Friedensvertrag.

Hauptteil I des Gesetzes behandelte die Befehlsverhält-nisse und die Struktur der künftigen Streitkräfte. Beides wie auch der Umfang der Reichswehr und das Verbot der allgemeinen Wehrpflicht waren bereits durch den Versailler Vertrag vorgeschrieben. Beim Oberbefehl schrieb das Ge-setz die in der Reichsverfassung von 1919 festgelegte Rege-lung fest: Oberster Befehlshaber war der Reichspräsident. Er war der höchste militärische Vorgesetzte. Unter ihm übte der Reichswehrminister die Befehlsgewalt aus; Befehle des Reichspräsidenten bedurften seiner Gegenzeichnung. An der Spitze der beiden Teilstreitkräfte (Luftstreitkräfte waren aufgrund des Versailler Vertrags verboten) stand bzw. stan-den ein Chef der Heeresleitung bzw. der Marineleitung.

Hauptteil II war mit »Landsmannschaft« betitelt. Dieser Teil regelte das Erbe des sogenannten Kontingentsheeres. Anders als die Kaiserliche Marine war das Heer bis 1918 keine Reichsangelegenheit gewesen. Vielmehr hatte es aus den Truppenkontingenten der deutschen Königreiche Preu-ßen, Bayern, Sachsen und Württemberg bestanden. Zwar hatte schon der Weltkrieg eine weitgehende Vereinheitli-chung mit sich gebracht. Aber selbst 1921 machten die neu gebildeten Länder der Republik noch Forderungen geltend – wenn es etwa um Mitspracherechte bei Stationierungsent-scheidungen, um Stellenbesetzungen oder auch nur um landsmannschaftliche Kennzeichen an der Uniform ging.

Hauptteil III regelte die Pflichten und Rechte der Angehö-rigen der Reichswehr, die sich aus den neuen Anforderun-gen der Berufsarmee ergaben. Hierzu zählte die Aufhebung des aktiven Wahlrechts für Soldaten, aber auch die Zulas-sung von Vertrauensleuten sowie die Anfänge von politi-scher Bildung und von Berufsförderungsmaßnahmen für ausscheidende Soldaten.

Markus Pöhlmann

23. März 1921 2. Januar 2001

Gründung der Reichswehr Erste Frauen in allen Verwendungen in der Bundeswehr

�Reichspräsident Friedrich Ebert, Reichskanzler Joseph Wirth und General Hans von Seeckt (Mitte) schreiten eine Eh-renkompanie der Reichswehr ab, 11. August 1922.

5�Tanja Kreil am 11.1.2000 in Luxemburg.

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• Berlin

Von Luther zu Twitter. Medien und politische ÖffentlichkeitSonderausstellung im Pei-BauDeutsches Historisches Museum Unter den Linden 2 10117 BerlinTel. 0 30 / 20 30 4-0www.dhm.deFreitag bis Mittwoch10.00 bis 18.00 Uhr Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr

Deutsches SpionagemuseumLeipziger Platz 9 10117 BerlinTel.: 0 30 / 39 82 00 45 1www.deutsches-spionage-museum.deDauerausstellungtäglich 10.00 bis 20.00 UhrEintritt: 12,00 Euroermäßigt: 8,00 Euro

Gedenkstätte Deutscher Widerstand Stauffenbergstraße 13-14 Eingang über den Ehr-enhof 10785 BerlinTel.: 0 30 / 26 99 50 00www.gdw-berlin.deMontag bis Freitag 9.00 bis 18.00 Uhr Donnerstag 9.00 bis 20.00 Uhr Sonnabend, Sonntag und Feiertage 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: frei

Dokumentationszentrum Topographie des Terrors Niederkirchnerstraße 8 10963 Berlin Tel.: 0 30 / 25 45 09 50www.topographie.detäglich 10.00 bis 20.00 Uhr

• Bonn

Unsere GeschichteDeutschland seit 1945Haus der GeschichteMuseumsmeile Willy-Brandt-Allee 14 53113 BonnTel.: 02 28 / 91 65 40 0www.hdg.deDauerausstellungDienstag bis Freitag9.00 bis 19.00 UhrSamstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 UhrEintritt: frei

• Dresden

KRIEG MACHT NATION.Wie das deutsche Kai-serreich entstand SonderausstellungMilitärhistorisches Museum der BundeswehrOlbrichtplatz 201099 DresdenTel.: 03 51 / 82 32 80 3www.mhmbw.debis 31. Januar 2021Dienstag bis Sonntag10.00 bis 18.00 UhrMontag 10.00 bis 21.00 UhrEintritt: 7,00 Euro (für alle Ausstellungen)ermäßigt: 4,00 EuroFreier Eintritt für Bundeswehrangehörige

• Kossa

Dauerausstellung zur NVA-GeschichteMilitärmuseum KossaDahlenberger Straße 104849 Kossa/Söllichau Tel.: 03 42 43 / 2 21 20 www.bunker-kossa.deDienstag bis Sonntag 9.00 bis 16.00 Uhr(Führungen jeweils 10.00 und 13.00 Uhr)Eintritt: 5,00-10,00 Euro

• Kummersdorf

Historisch-technisches Museum Versuchsstelle KummersdorfStändige Ausstellung und Geländeführungen Konsumstraße 5 15838 Am Mellensee OT Kummersdorf-Gut Tel.: 03 37 03 / 7 70 48www.museum-kummers-dorf.deSonntag 13.00 bis 17.00 UhrFührungen nur nach An-meldung

• München

Die Wiege der Gewalt – München und der Nationalsozialismus NS-Dokumentationszen-trumBrienner Straße 3480333 MünchenTel.: 0 89 / 23 36 70 00www.ns-dokuzentrum-muenchen.deDaueraustellungDienstag bis Sonntag10.00 bis 19.00 UhrEintritt: 5,00 Euroermäßigt: 2,50 Euro

• Suhl

Von der Kalaschnikow zur Wieger. Militärwaffenproduk-tion in der DDRSonderausstellungWaffenmuseum Suhl Friedrich-König-Str. 19 98527 SuhlTel.: 03 68 1/ 74 22 18www.waffenmuseumsuhl.de Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 UhrEintritt: 4,00 Euroermäßigt: 4,00 Euro

Aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie sind Besuche von Museen derzeit eingeschränkt. Bitte informie-ren Sie sich bei den einzelnen Veranstaltern, wann und in welchem Umfang die Ausstellungen geöff-net sind. Wir empfehlen Ihnen, das bereitgestellte mediale Angebot der einzelnen Museen zu nutzen.

Service

30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

Ausstellungen

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Militärgeschichte im Bild

Ein zerstörter irakischer Panzer steht einsam im Wüstensand vor einer brennenden Ölquelle – fast

schon kunstvoll in Szene gesetzt. Iko-nografisch spiegelt dieses Foto gleich mehrere Facetten des Zweiten Golf-krieges von 1991 wider. So steht das Wrack des Panzers pars pro toto für die geschlagene irakische Armee. Vor Beginn des Krieges galt die viert-größte Armee der Welt mit ihrer jahre-langen Kriegserfahrung aus dem Ers-ten Golfkrieg, dem Irak-Iran-Krieg (1980‑1988), und ihrer modernen sowjetischen Kriegstechnik als ernst-zunehmender und veritabler Gegner für die von den USA-geführte Allianz gegen Saddam Hussein. Aber wäh-rend der Kampfhandlungen zeigte sich die Überlegenheit der westlichen Militärtechnologie und ihrer operati-ven Konzepte auf für die Iraker brutale Weise. Unter dem Schutz der alliierten Luftherrschaft konnten sich die Land-streitkräfte der antiirakischen Allianz nahezu ungehindert bewegen und je-weils punktuell eine konzentrierte überlegene Feuerkraft entfalten. Übrig blieben brennende Fahrzeugwracks des Gegners. Dadurch blieben die Ver-luste der Allianz auf einem vorher so nicht erwartet niedrigen Niveau. Und so stehen die stählernen Schrotthaufen

in der Wüste für die tatsächliche Un-terlegenheit des irakischen Systems – und der östlichen Waffen.

Eine andere Folge des Krieges waren die vielen brennenden Ölquellen, de-ren hunderte Meter hohe qualmende Wolken 1991 wie ein Fanal des Unter-gangs loderten. Auf ihrem Rückzug aus Kuwait setzten die irakischen Truppen die kuwaitischen Ölfelder in Brand. Ungefähr 950 Ölquellen stan-den am Ende des Krieges in Flammen. Davon waren mehr als 700 von den Irakern angesteckt worden. Damit ver-bunden war eine gigantische Umwelt-verschmutzung, schließlich brannten viele der Quellen mehrere Monate lang. Mehr als 500 Milliarden Liter Erdöl verbrannten unkontrolliert oder flossen in den Persischen Golf. Die ru-ßigen Schwaden wurden vom Wüsten-wind über viele Kilometer transpor-tiert und behinderten den Flugverkehr. Zu Beginn der alliierten Luftoffensive flutete das irakische Militär auch die kuwaitische Küste mit Öl, um eine am-phibische Landung zu verhindern. Der dabei entstandene Ölteppich hatte eine Größe von etwa 11 000 Quadratki-lometern und kontaminierte große Teile des Persischen Golfs. Noch im-mer sind nicht alle Spuren dieser Um-weltkatastrophe beseitigt.

Während die brennende Ölquelle und der zerstörte Panzer im Bild fast kunstvoll arrangiert wirken, drückt sich in dieser Komposition noch eine weitere Facette des Golfkrieges aus: Er war ein Medienkrieg. Wie in keinem anderen Krieg zuvor nutzten das US-Militär und die Politiker die Macht des Fernsehens und der Presse, um die öf-fentliche Meinung zu beeinflussen. Kriegsberichterstatter sendeten fast in Echtzeit von der Front. Die Zuschauer in aller Welt konnten den Endanflug von Bomben und Raketen aus deren Infrarotzielsuchern oder Kameras ver-folgen. Während das dann folgende Rauschen abstrakt das physische Ende der Waffe bedeutete, verband sich da-mit eine oftmals für viele Iraker töd-liche Explosion. Die Zuschauer be-kamen aber nur die Bilder zu sehen, die eine saubere technologische Krieg-führung suggerieren sollten. Erst nach dem Ende der Kampfhandlungen zeigte sich das ganze Ausmaß der Zer-störungen und des damit verbundenen Leids im Irak. Die Macht der Bilder deutete den Beginn des Informations-zeitalters an.

Christian Jentzsch

Fanale des Untergangs

5�Während der Operation »Desert Storm« zerstörte irakische Fahrzeuge im Euphrattal, 4. März 1991.

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31Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2020

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Neue Publikationen des ZMSBw

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Matthias Rogg, Kompass Militärgeschichte. Ein historischer Überblick für Einsteiger. Hrsg. vom ZMSBw, Freiburg i.Br., Berlin, Wien: Rombach 2013, X, 384 S., 19,80 EuroISBN 978-3-7930-9732-7

Mit Unterstützung des MGFA:

Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung. Im Auftrag des ZMSBw hrsg. von Michael Epkenhans und Carmen Winkel, Freiburg i.Br., Berlin, Wien: Rombach 2013, 120 S., 10 EuroISBN 978-3-7930-9729-7

»Vom Einsatz her denken!« Bedeutung und Nutzen von Militärgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Donald Abenheim, Eberhard Birk, Bernhard Chiari, Antje Dierking, Axel F. Gablik, Winfried Heinemann, Hans-Hubertus Mack und Peter Andreas Popp. Im Auftrag des ZMSBw hrsg. von Dieter H. Kollmer, Potsdam: ZMSBw 2013, 107 S. (= Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 22), 9,80 EuroISBN 978-3-941571-26-6

Daniel NiemetzStaatsmacht am EndeDer Militär- und Sicherheits apparat der DDR in Krise und Umbruch 1985 bis 1990 Berlin: Ch. Links 2020, 264 S., 35,00 Euro, ISBN 978-3-96289-107-7

Julius HessLeviathan StaggeringA Quantitative Analysis of the State's Coercive and Intrastate Violence Berlin: Berliner Wissenschafts- Verlag 2019 (= Sozialwissenschaft-liche Studien des ZMSBw, 21), 395 S., 47,00 Euro, ISBN 978-3-8305-4228-5

Die neue Podcast-Reihe des ZMSBw finden Sie auf unserer Internetseite: www.zmsbw.de/html/aktuelles/liste

Einsatz ohne Krieg?Die Bundeswehr nach 1990 zwischen politischem Auftrag und militärischer Wirklichkeit Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020. Im Auftrag des ZMSBw hrsg. von Jochen Maurer und Martin Rink 431 S., 45,00 Euro, ISBN 978-3-525-33609-0