72
Nächstenliebe, Solidarität und Zivilcourage Jahresbericht 2005/06 Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V.

Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

Nächstenliebe, Solidarität und Zivilcourage

Jahresbericht 2005/06Caritasverband der

Erzdiözese München

und Freising e.V.

Page 2: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

3

Inhalt

Ab sofort finden Sie unseren aktuellen Jahresbericht 2005/06 auch im Internet zum Nachlesen

und Downloaden: www.caritasmuenchen.de

Vorwort des Vorstands Seite 3

Nächstenliebe, Solidarität und

Zivilcourage

Dr. theol. Elke Hümmeler Seite 4

Dritte Vorstandsposition wieder

besetzt und „Weil es mir

um den Menschen geht...“

Msgr. Hans Lindenberger Seite 8

Eine Ermutigung, eine Quelle

der Motivation

Dr. Thomas Steinforth Seite 11

Gerechtigkeit oder Liebe?

Dr. Hildegard Kronawitter Seite 14

Helfen macht reich

Wolfgang Obermair Seite 16

Christliche Verantwortung unter-

scheidet die Caritas von anderen

Zahlen - Daten - Fakten 2005 Seite 19

Wettbewerbsvorteile sichern

durch kontinuierliche Anpassung

von Strukturen und Standorten

Joachim Unterländer Seite 24

Die Aufgaben der Caritas im

Veränderungsprozess unserer

Gesellschaft sind vielschichtig

Viktor Münster Seite 26

Weil Liebe stets konkret sein muss...

Rosemarie Wechsler / Seite 28

Michaela Westermair

Amselgesang

Florian Preißer Seite 32

Christ sein in der Altenpflege

Susanne Pütz Seite 36

Im Mittelpunkt steht das sehende Herz

Barbara Nottebrock Seite 39

„Ich hole die Welt zu mir“

Monika Huber Seite 43

„Das Lächeln, das Du aussendest,

kehrt tausendfach zu Dir zurück“

Mechtild Noske / Gerhard Jäger Seite 46

Anfangs klingelt man überall...

Arme Schulschwestern Seite 48

Schwester Luitborg / Schwester Ancilla

„Herr, wir gehen für Dich und Du

musst schauen, dass es etwas wird“

Michael Tauchert Seite 50

Auf geht‘s

Astrid Benda Seite 52

„Wir wollen junge Familien

unterstützen!“

Renate Knüpffer Seite 54

„Im Prinzip ist meine

Arbeit ein Enzym“

Helmut Hopmann Seite 56

„Du musst teamfähig sein“

Jasmin Malina Seite 59

„Ich bin sicher, dass diese Arbeit

auf mich gewartet hat“

Walter Huber Seite 61

Sehen, was alles im

Verborgenen passiert

Alexa von Blumröder Seite 64

„Mut macht mir, dass ich mit

meiner Arbeit nie allein bin“

Josef Eixenberger Seite 66

Stimme für die am Rand

Stehenden sein

Monika Mayer Seite 68

„Weil ich nicht nur in der Kirche

Christin sein will“

Page 3: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

3

Hans Lindenberger Wolfgang Obermair

Vorstand des Diözesan-Caritasverbands

Hans Lindenberger

Wolfgang Obermair

Vorwort des Vorstands

Nächstenliebe, Solidarität und Zivilcourage

Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer zunehmenden Entfremdung. Gleichzeitig verschieben sich auf-

grund des demografischen Wandels die Verhältnisse zwischen den Generationen. Zusätzlich erschwert der

deutliche Rückgang öffentlicher finanzieller Mittel die Lage. In dieser Situation kommt dem Stichwort Bürger-

engagement eine hervorragende Bedeutung zu. Wer heute darüber besorgt ist, ob sich auch für die abseh-

bare Zukunft eine menschenwürdige Gesellschaft bewahren lässt, muss mutig-beherzt, zuversichtlich und

offensiv daran mitwirken.

Bürgerschaftliches Engagement, wie es heute heißt, kennen wir in der Kirche seit jeher als Ehrenamt. Schon

immer hat es Menschen gegeben, die es sich neben oder nach ihrer beruflichen Tätigkeit oder Familienarbeit

zur Aufgabe gemacht haben, für andere Menschen da zu sein, wenn diese Hilfe brauchen. Immer schon

auch waren die Ehrenamtlichen in der sozialen Arbeit die Basis, ohne die all die vielfältigen Angebote und

Hilfeleistungen praktisch kaum zu realisieren wären. Erst das gute Zusammenspiel zwischen ehrenamtlichen

und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern macht aus einem Verband wie die Caritas das, was

er ist: ein Anwalt der Armen und Schwachen, eine Lobby für die Benachteiligten, ein Sprachrohr derer, die

ihre Stimme nicht selber erheben können.

Doch Caritas ist mehr: Als Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche hat die Caritas ihre Wurzeln im Chris-

tentum, und ihre Aufgabe ist die tätige Nächstenliebe. Unsere professionelle soziale Arbeit würde nicht

greifen, wäre sie nicht gepaart mit dem ganz konkreten, unmittelbaren da-sein, dem-Anderen-nahe-sein

im eigentlichen christlichen Sinne. Das ist die Grundlage, auf der das Handeln jedes einzelnen Mitarbeiters

beruht – sei er nun hauptamtlich oder ehrenamtlich bzw. bürgerschaftlich-freiwillig engagiert. Selbstver-

ständliches Engagement für den anderen gehört originär zum Christentum dazu, auch wenn nicht jedes

soziale Engagement unbedingt eine christliche Motivation haben muss.

Das Woher und Warum, das sich Bekennen zu den eigenen Wurzeln spielt diesmal die Hauptrolle in unserem

Jahresbericht 2005/06. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der unterschiedlichsten Richtungen haben den

Mut bewiesen, sich in ganz individueller, persönlicher Weise zu den Motiven und den Formen ihres Engage-

ments zu äußern. Sie legen damit ein lebendiges und beredtes Zeugnis davon ab, was Menschen antreibt,

füreinander da und umeinander besorgt zu sein. Und auch zwei Politiker haben sich nicht gescheut, einen

Perspektivenwechsel vorzunehmen und damit deutlich Position zu beziehen.

Vor dem Morgen unserer Gesellschaft muss uns nicht bange sein, solange es Menschen gibt, für die Begriffe

wie Zivilcourage, Solidarität, Gerechtigkeit und Nächstenliebe nicht befremdende Worte, sondern Maßstab

und Motiv sind. Wir sind stolz darauf, Ihnen mit diesem ungewöhnlichen Jahresbericht eine bunte Vielfalt

spannender Bekenntnisse und beispielgebender Zeugnisse vorstellen zu können und wünschen dem – trotz

des Umfangs – viele interessierte Leser.

Page 4: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

4 5

Dr. theol. Elke Hümmeler

Dr. theol. Elke Hümmeler

Ordinariatsrätin

und Vorsitzende

des Caritasrats

Dritte Vorstandsposition wieder besetzt:

Klaus Weißbach übernimmt das Wirtschaftsressort

Klaus Weißbach

künftiger Vorstand

Ressort III

Mit Wirkung vom 1. Juli 2006 ist die eineinhalbjährige Vakanz im Vorstand des Diözesan-Caritasverbands

beendet: Friedrich Kardinal Wetter hat den 49jährigen stellvertretenden Finanzdirektor der Erzbischöflichen

Finanzkammer, Klaus Weißbach, Ende 2005 zum neuen dritten Vorstand berufen. Anfang Juli hat der ver-

sierte Finanz- und Verwaltungsfachmann sein Amt als Verantwortlicher für das Ressort Wirtschaft angetre-

ten. Seine offizielle Amtseinführung fand am 6. Juli statt. Die Berufung Weißbachs erfolgte knapp ein Jahr

nach dem Ausscheiden der beiden früheren Vorstandsmitglieder Dr. Albert Hauser und Joachim Wiedemann.

Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er

ein Studium der Agrarwissenschaften an der Technischen Universität München-Weihenstephan auf, das er

im Oktober 1980 als Diplom-Agraringenieur abschloss. Von 1981 bis 1985 absolvierte er die Ausbildung

zum Verbandsprüfer des Genossenschaftsverbandes Bayern mit Schwerpunkten u.a. in Betriebswirt-

schaft, Betrieblichem Rechnungswesen, Bürgerlichem Recht, Wirtschafts- und Steuerrecht. Danach er-

warb er die Geschäftsleiterqualifikation Kreditinstitute gemäß Kreditwesengesetz.

Seit 1981 Angestellter des Genossenschaftsverbandes Bayern in München, war Weißbach zunächst für die

Prüfung und Beratung von Banken-, Großhandels- und Produktionsbetrieben in der lebensmittelverarbei-

tenden Industrie zuständig. Ab 1986 übernahm er beim Genossenschaftsverband Bayern die Position eines

eigenverantwortlichen Bezirksleiters, die neben der Beratung von Produktions- und Dienstleistungsunter-

nehmen Aufgaben wie Bilanzerstellung und Prüfung, Organisation von Mitgliederversammlungen, gutach-

terliche Stellungnahmen zu betrieblichen Investitionen, Erstellung von Sanierungsgutachten und Konzern-

prüfungen einschloss.

Seit 1993 ist Klaus Weißbach Mitarbeiter der Erzdiözese München und Freising, zunächst als Leiter des Fach-

bereichs Revision von Kirchenstiftungen, ab 1997 als Leiter der Abteilung Diözesanhaushalt und seit Mai

2000 als stellvertretender Finanzdirektor und Leiter des Gesamtbereichs Haushalt der Erzdiözese mit Ver-

antwortung für die Abteilungen Diözesanhaushalt, Kirchenstiftungshaushalt sowie Personalabrechnung.

Zu seinen Aufgaben gehörte die Gesamtverantwortung für den Jahresabschluss der Erzdiözese, die Leitung

des Einkaufs, Verantwortung für das Versicherungswesen, die Gesamtsteuerung der Mittelbewegungen

sowie Controlling und Gehälterabrechnung für die insgesamt 16.000 Mitarbeiter einschließlich Kirchen-

stiftungen und Kindertagesstätten der Erzdiözese. Daneben war Weißbach als Mitglied bzw. Leiter ver-

schiedener Ausschüsse, Kommissionen und anderer Gremien tätig.

Weißbach war nach einem intensiven Auswahlverfahren vom Caritasrat Kardinal Wetter vorgeschlagen

worden. Mit dem Votum für den erfahrenen Finanzexperten zum dritten Vorstand beweisen die Gremien

des Caritasverbands der Erzdiözese vorausschauende Weitsicht und wirtschaftliches Verantwortungsbe-

wusstsein. Denn in einer Zeit erkennbarer konjunktureller Veränderungen und Risiken, die auch die Diens-

te und Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände beeinflussen, wird es entscheidend darauf ankommen, wie

die finanzpolitischen Weichen gestellt werden, um ein großes Non-Profit-Unternehmen wie die Caritas in

eine sichere Zukunft zu steuern.

Page 5: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

4 5

IN VIA Kath. Mädchensozialarbeit e.V.Diözesanverband München u. Freising Goethestraße 33, 80336 MünchenTelefon: (089) 28 28 24 Telefax: (089) 28 84 [email protected]

Katholische Jugendfürsorge der Erzdiözese München u. Freising e.V. Adlzreiterstraße 22, 80337 MünchenTelefon: (089) 74 64 7-0 Telefax: (089) 74 64 [email protected]

Katholischer Männerfürsorgeverein München e.V.

Lindwurmstraße 75 (Rgb.), 80337 MünchenTelefon: (089) 5 14 18-0 Telefax: (089) 5 14 [email protected]

��

��

Angeschlossene Fachverbände

Katholisches Jugendsozialwerk München e.V.

Forstenrieder Allee 10781476 MünchenTelefon: (089) 74 51 53-0 Telefax: (089) 74 51 [email protected]

Kreuzbund e.V.

Dachauer Straße 5/IV80335 MünchenTelefon: (089) 59 08 37 [email protected]

Malteser Hilfsdienst e.V.

Streitfeldstraße 181673 MünchenTelefon: (089) 4 36 08-0 Telefax: (089) 43 68 02 [email protected]

Sozialdienst katholischer Frauen e.V., München

Marsstraße 580335 MünchenTelefon: (089) 5 59 81-0 Telefax: (089) 5 59 [email protected]

St.-Elisabethenverein (KdöR)

Delpstraße 1381679 MünchenTelefon: (089) 98 26 91 Telefax: (089) 98 10 53 [email protected]

St.-Vinzentinus-Zentralverein (KdöR)

Oettingenstraße 1680538 MünchenTelefon: (089) 21 66 6-0 Telefax: (089) 21 66 6-55 [email protected]

Organigramm / angeschlossene Fachverbände

Page 6: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

6 7

Denke ich nach über die spezielle Motivation als

Christin zu sozialem Engagement, so fällt mir als

erstes auf, wie wenig solche Fragen in der Vergan-

genheit ein Thema waren – und wie stark sich dies

gerade in letzter Zeit geändert hat. Der christliche

Glaube gerät wieder ins öffentliche Blickfeld. Und

auch innerhalb der Caritas halte ich die stete Refle-

xion über den Glauben für absolut notwendig. Für

mich selbst steht im Zentrum meines Glaubens

ganz eindeutig der Mensch, menschliche Begeg-

nungen, der göttliche Auftrag, anderen Menschen

zum Leben zu verhelfen. Das klingt so konkret –

und dabei ist meine Tätigkeit doch oft überaus ab-

strakt. Deshalb versuche ich immer, hinter all den

Vorlagen, Akten, Papieren das konkrete Leben, die

unmittelbaren Auswirkungen auf die Wirklichkeit

zu erkennen. Das ist, Tag für Tag, eine große Her-

ausforderung.

Als Mitglied in zurzeit 28 Gremien organisiere und

entscheide ich laufend. Voraussetzung dafür sind

gute Gespräche, ein genauer Blick – und ausrei-

chend Zeit und Ruhe, um über die Dinge angemes-

sen nachdenken zu können. Aus dem Bewusstsein,

dass gerade die Entscheidungen, die „da oben“

getroffen werden, weit reichende Konsequenzen

für viele Menschen haben, halte ich nicht viel von

Ad-hoc-Entscheidungen. Kommunikation und kon-

struktiver Austausch, verschiedene Meinungen an-

hören und die Wahrheit suchen, auf die es an-

kommt: all das braucht seine Zeit. Ich vertraue

durchaus auf die Kraft des Heiligen Geistes, aber

man muss ihm auch Gelegenheit bieten, wirksam

werden zu können.

Wobei ich weiß:

„Organisieren, Probleme lösen, Dinge entscheiden – das sind genau meine Stärken. Das ist die Ebene, auf der ich den Menschen dienen kann. „

„Weil es mir um den Menschen geht...“Caritas als Kristallisationspunkt für ein besseres Miteinander,

eine bessere Gesellschaft

Was macht die soziale Arbeit der Caritas so einzigartig? Natürlich unsere hohe Professionalität, die flächen-

deckende Organisation und unser differenziertes Leistungsspektrum. Aber darüber hinaus auch ganz be-

sonders unsere Haltung, unser spezifisch christliches Menschenbild, unser Glaube. Für mich ist der Glaube

die Basis meiner Arbeit, er durchzieht jeden Tag. Er ist einfach da und wirkt – er beeinflusst mein Denken

und Handeln. Und gibt beidem Sinn. „Ora et labora“ ist dafür seit rund 1500 Jahren die einfache Formel.

Dass es nicht immer so einfach ist, ihr gerecht zu werden, macht sie nur umso wertvoller.

Und auch hier gibt es eine spirituelle Qualität. Das

ist mir recht überraschend deutlich geworden, als

ich vor einiger Zeit alte Caritas-Vorstandsprotokolle

aus den Dreißiger Jahren in die Finger bekam. Ver-

fasst von Pater Rupert Mayer. Dieser große Mensch

hat sich mit absoluter Akribie auch den kleinen

Dingen, alltäglichen Verwaltungs- oder Finanzfra-

gen gewidmet. Weil er ihre Bedeutung für das Le-

ben vieler Menschen erkannte. Sein Beispiel be-

deutet mir viel.

In einer Führungsposition erhält man nicht oft di-

rektes Feedback auf die Arbeit. Aber die Ergebnisse

meiner Planungen oder Entscheidungen bekomme

ich ja doch oft zu hören, zu lesen oder zu sehen.

Dr. theol. Elke Hümmeler

Dr. theol. Elke Hümmeler

Ordinariatsrätin

und Vorsitzende

des Caritasrats

Page 7: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

6 7

Und im Erfolgsfall gibt mir das durchaus auch Kraft.

Dennoch könnte ich in meiner Position auf Dauer

nicht durchhalten, wenn ich nicht in einer Gebets-

struktur leben würde, die mich durch den Tag

führt. Beten führt mich zu Gott und damit mitten

ins Leben. Glaube ist integraler Teil meines ganzen

Lebens, ich kann nicht sagen: Hier arbeite ich und

bin professionell, und hier bin ich jetzt gläubige

Christin. Glaube darf sich gerade in der Abstrakti-

on meiner leitenden Arbeit nicht verflüchtigen. So

konkret, wie ich die Wirklichkeit immer zu fassen

kriegen will, so konkret muss sich in meiner Tätig-

keit mein Glaube niederschlagen.

Im Kontext der Caritas wird auch deutlich, dass

gläubiges Handeln, weit über das Persönliche,

Private hinaus, schnell sozialethische Dimensionen

annimmt.

„Christi Auftrag zur tätigen Liebe – zur „Caritas“ - übersteigt in der Arbeit, die von den vielen

Tausend Mitarbeitern unseres Caritasverbands geleistet wird, den Charakter von Barmherzigkeit bei weitem. Hier geht es ganz klar auch um Gerechtigkeit, um Teilhabe, um Menschenwürde.„Das ist eine enorme Leistung unserer Mitarbeiter,

der aber auch auf der geistigen Ebene direkte An-

erkennung verheißen ist: „[wenn du] dem Hungri-

gen dein Brot darreichst und die gebeugte Seele

sättigst, dann wird dein Licht aufgehen in der Fins-

ternis, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag“,

heißt es in Jesaja 58,10. Wobei viele, die Liebe ge-

ben, auch lernen müssen, selbst Liebe zu empfan-

gen. Nicht zuletzt darauf hat Papst Benedikt XVI.

in seiner Enzyklika „Deus caritas est“ eindrücklich

hingewiesen. Dann bleibt „Caritas“ keine Ein-

bahnstraße, sondern wird zum Austausch der

Menschen untereinander und mit Gott. Und somit

Kristallisationspunkt für ein besseres Miteinan-

der, eine bessere Gesellschaft.

Page 8: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

8 9

Eine Ermutigung, eine Quelle der MotivationDie Enzyklika „Deus caritas est“

Msgr. Hans Lindenberger

Caritasdirektor

Vorstand Ressort I

Spitzenverband und

Fachqualität

Msgr. Hans Lindenberger

Papst Benedikt XVI. hat mit der Enzyklika „Deus caritas est“ der Kirche und ihrer Caritas ein beeindruckendes

Schreiben geschenkt. Das Rundschreiben lässt einen frischen Wind spüren. Die Sprache ist klar, direkt. Der

ganze Text hat einen einladenden, wertschätzenden Grundton, ist sympathisch und menschennah geschrie-

ben. Kardinal Lehmann schreibt zur Enzyklika: Sie „ermutigt uns, gerade auch in unseren Bemühungen um

Gerechtigkeit und Liebe, nicht zuletzt angesichts der heutigen Not des Sozialstaates. Die Mitarbeiterinnen

und Mitarbeiter der vielfältigen Caritas werden dadurch ermutigt, ebenso alle politisch tätigen Frauen und

Männer ...“

Was sind konkret die Inhalte dieses päpstlichen

Rundschreibens, die uns motivieren können? Ich

will versuchen, die Enzyklika zu erschließen und

bin dabei davon geleitet, was für mich selbst als

Caritasdirektor eine Motivation für mein Handeln ist.

Natürlich kann ich nicht auf alle Inhalte eingehen.

Papst Benedikt öffnet in einem ersten grundsätz-

lichen Teil Augen und Herz für Gott, der selbst liebt.

Benedikt zeigt die Liebesgeschichte Gottes mit

dem Volk Israel auf. Eine leidenschaftliche Liebe,

die in Jesus Christus ein Gesicht bekommt, Hände

und Füße. In der Hingabe Jesu bis zum Kreuz kann

diese Wahrheit geschaut werden: „Gott ist Liebe“

(1 Joh 4,8). Von dieser Gotteserfahrung her „findet

der Christ den Weg seines Lebens und Liebens“ (12).

Bei diesem so positiven Ansatz wird uns die Grund-

melodie, der Takt unseres Glaubens gezeigt: Ich bin,

wir sind geliebt. Das als erstes zu hören, tut gut,

richtet spirituell auf, schenkt Glaubens- und Lebens-

freude, lädt ein und motiviert zum Christ sein.

Gott „hat uns zuerst geliebt und liebt uns zuerst;

deswegen können auch wir mit Liebe antworten.

... Er liebt uns, lässt uns seine Liebe sehen und

spüren, und aus diesem `Zuerst´ Gottes kann als

Antwort auch in uns die Liebe aufkeimen“ (17). Ein

ermutigender Satz. In uns kann die Liebe aufkei-

men. Sie lässt sich nicht verordnen. Da gilt kein

Muss und kein Gesetz. Hier verspüre ich Freiheit

und Zuversicht. Die Liebe kann in uns wachsen

und reifen.

Ein Ort, in dem das „Geliebtwerden und Weiterlie-

ben“ erfahrbar wird, ist die eucharistische Gemein-

schaft. „Eucharistie, die nicht praktisches Liebes-

handeln wird, ist in sich selbst fragmentiert“ (14),

ist Bruchstück, Torso. Am Ende der Messfeier wer-

den wir gesandt, die empfangene Liebe weiter zu

schenken. Papst Benedikt macht uns bewusst: Die

Feier der Eucharistie hat immer sozialen Charakter,

motiviert und sendet aus zur tätigen Liebe. Von

Papst Gregor dem Großen ist das Wort überliefert:

„Wenn ein Mensch in Rom des Hungers stirbt, ist

der Papst nicht würdig, die Messe zu feiern“.

Benedikt unterstreicht

„die unlösliche Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe.„Beide gehören so zusammen, dass die Behauptung

der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch

sich dem Nächsten verschließt oder gar ihn hasst“.

Uns wird gezeigt, und das empfinde ich als eine

geistliche Motivation, „dass die Nächstenliebe ein

Weg ist, auch Gott zu begegnen“. Also nicht nur

Gebet und Gottesdienst und spirituelle Versenkung

führen zu Gott. Der Weg zum Nächsten ist kein Um-

weg zu Gott. So erwähnt der Papst auch das große

Gleichnis vom letzten Gericht (vgl. Mt 25,31-46), in

dem sich Jesus mit den Notleidenden identifiziert.

„Gottes- und Nächstenliebe verschmelzen: Im Ge-

ringsten begegnen wir Jesus selbst, und in Jesus

begegnen wir Gott“ (15).

Welch ein hoher spiritueller Wert wird doch hier

dem mitmenschlichen Tun zugesprochen! Die Zu-

wendung zum Nächsten – eine Quelle der Inspira-

tion und Belebung im Glauben. Ich weiß von eh-

Page 9: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

8 9

renamtlich und beruflich Mitarbeitenden, die auf

diesem Weg (wieder) zum christlichen Glauben

fanden.

„In einem zweiten Teil der Enzyklika geht es um die praktische Caritas der Kirche, ihren diakonischen Auftrag. Gerade dieser Teil ist für alle beruflichen wie ehrenamtlichen Mitarbeitenden eine wahre Quelle der Motivation, sich aus christlichem Geist für Menschen zu engagieren.„

Die Caritas wird als Aufgabe der ganzen Kirche herausgestellt

„Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe

ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläu-

bigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die ge-

samte kirchliche Gemeinschaft, und dies auf all

ihren Ebenen“ (20). Da finden wir den Satz: „Inner-

halb der Gemeinschaft der Gläubigen darf es keine

Armut derart geben, dass jemandem die für ein men-

schenwürdiges Leben nötigen Güter versagt blei-

ben“ (20). Würde das wirklich ganz ernst genom-

men, veränderte es radikal das kirchliche Leben.

Papst Benedikt stellt die praktizierte Nächstenliebe,

die Caritas, als ein entscheidendes Kennzeichen

der christlichen Gemeinde, der Kirche, dar (24).

Caritas-Engagement ist nicht an der Peripherie der

Kirche angesiedelt, sondern „ist unverzichtbarer

Wesensausdruck ihrer selbst“ (25a). „Die karitati-

ven Organisationen der Kirche stellen ... ihr opus

proprium dar, eine ihr ureigenste Aufgabe, in der

sie nicht mitwirkend zur Seite steht, sondern als

unmittelbar verantwortliches Subjekt selbst han-

delt und das tut, was ihrem Wesen entspricht“ (29).

Das heißt:

„Caritas ist keine Nebentätigkeit, die in Krisen und Zeiten der Geldknappheit wegfallen könnte. Der Ort der Caritas ist nicht irgendwo am Rande. Und so stehen auch alle Mitarbeitenden der Caritas in der Mitte der Kirche, ob sie es realisieren oder nicht.„

Diese Verortung der Caritas durch unseren Papst

ist Ermutigung und hebt den Selbstwert, prägt das

christliche Selbstverständnis aller Mitarbeitenden.

Im Leitwort unseres Caritasverbands steht, dass

wir uns an der Katholischen Soziallehre orientieren

mit ihren Prinzipien Personalität, Subsidiarität und

Solidarität. Es ist bestätigend und gibt Rückhalt,

dass der Papst sich ausdrücklich zu dieser Traditi-

on bekennt. Er sagt: In der schwierigen Situation

unserer Zeit „ist die Soziallehre der Kirche zu einer

grundlegenden Wegweisung geworden, die weit

über die Kirche hinaus Orientierungen bietet“ (27).

„Sie will schlicht zur Reinigung der Vernunft bei-

tragen und dazu helfen, dass das, was recht ist,

jetzt und hier erkannt und dann auch durchgeführt

werden kann“ (28a).

„Viele ehrenamtliche und berufliche Mitarbeiter der Caritas stehen an der Schnittstelle zwischen Staat und Kirche, indem sie in Politik und Gesellschaft für die Rechte von Benachteiligten eintreten.„Eine Schnittstelle, die Kraft und Einsatz abverlangt,

auch Nerven kostet. Auf diese Caritas-Aufgabe,

Anwalt für die Schwachen zu sein, geht Papst Be-

nedikt motivierend und bestärkend ein. Er zitiert

Augustinus und schreibt: „Ein Staat, der nicht durch

Gerechtigkeit definiert wäre, wäre nur eine große

Räuberbande“ (28a). Die Kirche jedoch „kann und

darf nicht sich an die Stelle des Staates setzen.

Aber sie kann und darf im Ringen um Gerechtig-

keit auch nicht abseits bleiben“ (28a). Hier wird

gerade der verbandlichen Caritas der Rücken ge-

stärkt, engagiert und mutig Anwalt zu sein.

Eine Ermutigung erhalten eigens die gläubigen

Laien in ihrer unmittelbaren Aufgabe, für eine ge-

rechte Gesellschaft zu wirken. „Als Staatsbürger

sind sie berufen, persönlich am öffentlichen Leben

teilzunehmen. Sie können daher nicht darauf ver-

zichten, sich einzuschalten“ zur Förderung des Ge-

meinwohls (29). Das gilt für überzeugte Christen

in der Politik, in Bereichen wie Wirtschaft, Soziales,

Gesetzgebung, Verwaltung, Kultur ...

Page 10: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

10 11

Die Sorge für den Notleidenden kennt keine Gren-

zen. Bei großen Katastrophen zeigt sich diese So-

lidarität gerade auch in Deutschland. Indirekt wird

die Arbeit des internationalen Caritas-Netzwerkes

gewürdigt, in dem auch wir als Caritasverband uns

besonders in Südosteuropa stark engagieren.

Eine Wertschätzung erfahren die zahlreichen „For-

men der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und

kirchlichen Instanzen“ (30b), die entstanden und

gewachsen sind und sich als fruchtbar erwiesen

haben. Es haben sich „vielfältige Organisationen mit

karitativen oder philanthropischen Zielen gebildet,

die sich dafür einsetzen, angesichts der bestehen-

den politischen und sozialen Probleme unter dem

humanitären Aspekt zufrieden stellende Lösungen

zu erreichen“ (30b). Also: keine Berührungsängs-

te, sondern Kooperation um der Menschen willen.

Papst Benedikt kommt auf das spezifische Profil

der kirchlichen Caritas zu sprechen. Er fragt, was

sind die konstitutiven Elemente der kirchlichen

Liebestätigkeit? Er spricht von drei Elementen. Ich

erlebe sie wie einen Bewertungsmaßstab für die

gelebte Caritas, ob in einem Altenheim, im Fach-

dienst eines Caritas-Zentrums, in der Gemeinde-

caritas. Maßstab und Motivation zugleich.

Ein dreifaches Profil soll also die in der Caritas Mitarbeitenden prägen

„Berufliche Kompetenz ist eine erste, grundlegende

Notwendigkeit, aber sie allein genügt nicht. Es geht

ja um Menschen, und Menschen brauchen immer

mehr als eine bloß technisch richtige Behandlung“.

„Sie brauchen die Zuwendung des Herzens“.

„Für alle, die in den karitativen Organisationen der Kirche tätig sind, muss es kennzeichnend sein, dass sie nicht bloß auf gekonnte Weise das jetzt Anstehende tun, sondern sich dem andern mit dem Herzen zuwenden, so dass dieser ihre menschliche Güte zu spüren bekommt.„

Deswegen brauchen die Helfer neben und mit der

beruflichen Bildung vor allem Herzensbildung“ (31a).

Dies berührt die Aufgabe und die Pflicht der Füh-

rung, für die MitarbeiterInnen Fort- und Weiterbildun-

gen zu ermöglichen. Herzensbildung und Bildung

der beruflichen Kompetenz. Ein Motivationsschub,

den wir im Alltagsbetrieb nicht vergessen dürfen.

Zum zweiten Element der kirchlichen Caritas: Das

christliche Liebeshandeln muss unabhängig sein

von Parteien und Ideologien. Unabhängig von Par-

teistrategien und -programmen gilt es, das Gute

zu tun. Wir sollen uns also nicht vor irgend einen

Karren spannen lassen. Papst Benedikt sagt: „Das

Programm des Christen – das Programm des barm-

herzigen Samariters, das Programm Jesu – ist das

„sehende Herz“ (31b). Dieses Herz sieht, wo Liebe

not tut und handelt danach“ (31b). Der Papst

spricht einmal auch vom „Blick der Liebe“ (18), mit

dem ich den anderen nicht mehr bloß mit meinen

Augen und Gefühlen ansehe, sondern aus der Per-

spektive Jesu Christi heraus. Sein Freund ist dann

mein Freund (vgl.18).

Das dritte Element, das das Profil der Caritas prä-

gen soll, zeigt sich in einer praktizierten Nächsten-

liebe, die nicht getan wird, „um damit andere Ziele

zu erreichen“. „Die Liebe ist umsonst“. Da ist es

selbstverständlich: „Wer im Namen der Kirche ka-

ritativ wirkt, wird niemals dem anderen den Glau-

ben der Kirche aufzudrängen versuchen. Er weiß,

dass die Liebe in ihrer Reinheit und Absichtslosig-

keit das beste Zeugnis für den Gott ist, dem wir

glauben und der uns zur Liebe treibt. Der Christ

weiß, wann es Zeit ist, von Gott zu reden, und wann

es recht ist, von ihm zu schweigen und nur einfach

die Liebe reden zu lassen“ (31c).

Ein dreifaches Profil soll also die in der Caritas Mit-

arbeitenden prägen: berufliche Kompetenz und das

Herz am rechten Fleck; Unabhängigkeit von Partei-

programmen und Ideologien; Liebe ohne Kalkül.

Um dieses Profil gewinnen zu können, müssen – so

der Papst – die Mitarbeitenden „zuallererst Men-

schen sein, die von der Liebe Christi berührt sind

... Ihr Leitwort sollte der Satz aus dem Zweiten Ko-

rintherbrief sein: „Die Liebe Christi drängt uns“

(5,14)“ (33). Dieser Satz steht im Pater-Rupert-

Mayer-Haus über dem Eingang zur Kantine. In die-

sem Leitwort zeigt sich uns die innerste Motivation

christlichen Engagements.

Page 11: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

10 11

Dr. Thomas Steinforth

Dr. Thomas Steinforth

Geschäftsführer

Caritas-Institut für

Bildung und Entwicklung

Gerechtigkeit oder Liebe?In der alltäglichen Caritas-Arbeit wird beides schon immer praktiziert

Ist Caritas-Arbeit (wie der Name „Caritas“ ja nahe

legt und wie es auch die Enzyklika betont) in erster

Linie oder sogar ausschließlich ein „Liebesdienst“

oder versteht sie sich als Dienst an der Gerechtig-

keit – oder ist sie irgendwie beides? Kommt man

über diese Frage mit Caritas-Mitarbeitern ins Ge-

spräch (zum Beispiel in Seminaren zu ethischen

Fragen unseres Instituts für Bildung und Entwick-

lung), benennen diese oft beides als Maßstab und

Motiv ihrer Arbeit: sowohl den Einsatz für die Ge-

rechtigkeit als auch und zugleich (bei aller Zurück-

haltung angesichts des großen Wortes) die christ-

liche Nächstenliebe.

Geschuldete Gerechtigkeit und geschenkte Liebe

Eine zunächst etwas theoretisch-abstrakt klingen-

de Unterscheidung kann meines Erachtens zur Klä-

rung beitragen und allzu schlichte „Entweder-Oder“

vermeiden helfen:

Die Gerechtigkeit verpflichtet uns zu Hand-

lungen und Leistungen anderen Menschen

In seiner Enzyklika über die Liebe beleuchtet Papst Benedikt an zentraler Stelle das Verhältnis von Gerechtig-

keit und Liebe. Die angemessene Bestimmung dieses Verhältnisses ist nicht nur eine spannende (= span-

nungsreiche!) und immer wieder neu zu stellende Frage für die theologisch-philosophische Theorie – sie

ist immer auch eine wichtige Frage für die Selbstverständigung der caritativen Praxis und für jeden, der für

die Caritas arbeitet.

gegenüber, auf welche diese „als Menschen“

einen Anspruch, ein „Recht“ haben, wobei

dieses Recht nicht ein Recht im juristischen

Sinne eines staatlich gesetzten und geschütz-

ten Rechtsanspruchs sein muss. Der Philosoph

Otfried Höffe nennt Gerechtigkeit deshalb

eine „geschuldete Sozialmoral“: jeder Mensch

„schuldet“ anderen Menschen je nach Situ-

ation ein bestimmtes Tun oder Unterlassen.

Die Liebe dagegen gebietet uns Handlungen

anderen Menschen gegenüber, auf welche

diese kein einklagbares oder einforderbares

Recht haben, sondern welche vom Liebenden

„geschenkt“ werden (ohne offene oder auch

versteckte Absicht, wie auch die Enzyklika

betont).

Dieser Unterschied lässt sich verdeutlichen an der

Art und Weise, wie wir spontan-affektiv reagieren,

wenn uns Gerechtigkeit oder eben Liebe verwei-

gert wird:

Werden wir in einem wichtigen Punkt unge-

recht behandelt, wird also ein uns zustehen-

des Recht verletzt, reagieren wir (zumindest

innerlich) in der Regel verärgert und empört.

Ungerechtigkeit weckt den „gerechten Zorn“.

Je nach Bedeutung und je nach Situation

protestieren wir und versuchen wir, die ver-

weigerte Anspruchserfüllung einzufordern.

Wird uns dagegen ein von uns erhoffter oder

erwünschter Akt der Liebe verweigert, rea-

gieren wir je nach Bedeutung und je nach Art

der Beziehung mit einem mehr oder weniger

großen Ausmaß an Enttäuschung.

Page 12: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

12 13

Caritas als Liebesdienst und Dienst an der Gerechtigkeit

Wenn man diese, hier nur angedeutete und eigent-

lich viel genauer vorzunehmende Unterscheidung

von Gerechtigkeit und Liebe zu Grunde legt: Ist

Caritas-Arbeit dann Gerechtigkeit oder Liebe oder

beides?

Die genannte Enzyklika betont sehr, dass Gerech-

tigkeit Auftrag der Politik sei (in die sich die Kirche

nur mittelbar einmischen solle), während die Kirche

selbst bzw. ihre Caritas einen Liebesdienst prakti-

ziere. Diese Zuordnung bringt einen großen und

kirchengeschichtlich nicht selbstverständlichen Re-

spekt vor der Autonomie der Sphäre der Politik und

des Staates zum Ausdruck und weist jede Besser-

wisserei oder gar politische Bevormundung durch

die Kirche zurück. Tatsächlich ist Gerechtigkeit der

zentrale Maßstab der Politik, in der sich die von

Papst Benedikt ausdrücklich genannten „gläubi-

gen Laien“ tatkräftig und mit guten (= vernünftigen

und auch für Nicht-Christen nachvollziehbaren) Ar-

gumenten engagieren sollen. Allerdings scheinen

mir manche Formulierungen der Enzyklika (vor al-

lem, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt)

den Eindruck zu erwecken, man könne „Handeln

aus Gerechtigkeit“ von dem „Handeln aus Liebe“

sozusagen arbeitsteilig trennen: als ob einerseits

„die Politik“ für Gerechtigkeit und andererseits die

Kirche bzw. die Caritas für die Liebe zuständig sei.

Von der oben eingeführten und zumindest mir sehr

plausibel erscheinenden Unterscheidung von der

„geschuldeten“ Gerechtigkeit und der „geschenk-

ten“ Liebe her gesehen, ist die alltägliche Caritas-

Arbeit sowohl Einsatz für die Gerechtigkeit als

auch praktizierte Nächstenliebe, jedenfalls dem

Anspruch nach:

Caritas als Gerechtigkeit: Menschen in Not haben ein Recht auf Hilfe

Ein rat- und hilfebedürftiger Mensch, der mir oder

„uns“ (der Caritas) begegnet, hat „als Mensch“

(oder wie wir Christen sagen: als „Ebenbild Gottes“)

einen Anspruch, ein Recht darauf, dass ihm in sei-

ner Not geholfen werde, sofern es in meinen bzw.

unseren Möglichkeiten steht und mit meinen bzw.

unseren anderen Verpflichtungen verträglich ist.

Die konkrete Caritas-Arbeit in der Beratung, Unter-

stützung oder auch Pflege eines Menschen ist kein

wohltätiges Geschenk, das dem Bedürftigen ge-

macht wird oder auch vorenthalten werden könn-

te, selbst wenn sie unentgeltlich erfolgen würde.

Bereits der „Prototyp“ des Caritas-Mitarbeiters,

der sogenannte „Barmherzige Samariter“ ist eben

auch oder vielleicht sogar zuvor ein „gerechter

Samariter“ und der Levit und der Priester, die dem

Notleiden nicht helfen, sind nicht „nur“ lieblos,

sondern auch ungerecht.

Diese Betonung der notwendigen Orientierung der

Caritas (auch) an der Gerechtigkeit scheint mir sehr

wichtig, weil nicht nur Gerechtigkeit ohne Liebe

letztlich zu kurz greift (wie die Enzyklika zu Recht

betont), sondern auch Liebe ohne Gerechtigkeit

defizitär ist. Das gilt nicht nur für die „allgemeine

Nächstenliebe“, sondern auch für besondere, aus-

drückliche Liebesbeziehungen: So sehr eine Ehe

gescheitert ist, wenn die Ehepartner nur noch auf

ihre Rechte pochen, so gefährlich kann eine Part-

nerschaft sein, in der Rechte und Anspüche schein-

bar aufgegeben sind. Auch eine Caritas, die vor

lauter Liebe meint, sich den Ansprüchen der Ge-

rechtigkeit entziehen zu können, kann unmensch-

lich werden.

Page 13: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

12 13

„Ein weiterer Grund, kirchliche Caritas auch als Einsatz für Gerechtigkeit zu verstehen, besteht in ihrer sozialanwalt- schaftlich-sozialpolitischen Aufgabe: Hier verbinden sich die Erfahrungen der Caritas, die sich aus dem tagtäglichen Werk der Gerechtigkeit und dem „Lie- besdienst“ speisen, mit dem Auftrag, sich sozialpolitisch für eine gerechtere Gesellschaft und zu Gunsten der Schwachen einzusetzen.„

Caritas als Liebe: Worin besteht das „geschenkte Mehr“?

Auch Caritas-Arbeit ist also praktizierte Gerechtig-

keit, freilich nicht nur: Zumindest dem ständigen

Anspruch nach sollte die Arbeit am und mit dem rat-

und hilfesuchenden Menschen über die Erfüllung

von Rechten und Ansprüchen hinaus ein „Mehr“

zu geben zu versuchen. Die Enzyklika spricht von

der besonderen „Zuwendung der Herzen“, die im

Namen der Liebe geboten sei. Worin genau aber

besteht dieses nicht einklagbare „Mehr“ der Liebe,

das in der alltäglichen Caritas-Arbeit geschenkt

werden soll – und zwar in jeder Caritas-Arbeit: der

unentgeltlich gestalteten Hilfe oder Beratung, aber

auch der „bezahlten“ Dienstleistung?

Ich denke, die Enzyklika ist ein sehr guter Impuls,

über diesen hohen, angesichts sowieso bedrücken-

der Rahmenbedingungen vielleicht auch erschre-

ckenden Anspruch ins Gespräch zu kommen, die-

ses so schwer benennbare „Mehr“ immer wieder

neu auszubuchstabieren.

Enzyklika als Gesprächsimpuls

Führungskräfte und Mitarbeiter der Caritas reagie-

ren verständlicherweise manchmal gereizt, wenn

von ihnen über die sowieso fachlich und mensch-

lich hochwertige Arbeit (scheinbar) hinaus auch

noch „Liebe“ abverlangt wird. Diese gereizte Re-

aktion ist in erster Linie eine Frage der Sprache!

Die Caritas und auch der Münchner Caritasverband

brauchen daher vielleicht mehr als bisher syste-

matische Orte, brauchen Gelegenheiten und brau-

chen eine allen verständliche Sprache, um den

hohen Anspruch der Liebe in die Alltagspraxis so

übersetzen zu können, dass er unter den real exis-

tierenden Bedingungen herausfordernd, aber leb-

bar erscheint.

Die Mitarbeitenden könnten dann nicht ohne Stolz

entdecken, dass in den vielfältigen Aktivitäten

(die zum Beispiel in diesem Jahresbericht geschil-

dert werden) immer schon versucht wird, diesen

hohen Anspruch der Enzyklika einzulösen, dass die

Orientierung an Gerechtigkeit und Liebe für sie

nichts Neues ist – aber doch der ständigen Erneu-

erung und Konkretisierung bedarf und niemals

perfekt erfüllt wird. Sie können dann entdecken,

dass die geforderte „Liebe“ oft gar nicht großartig

und emotional aufgeladen sein muss, sondern sich

in kleinen, aber glaubwürdigen Gesten und vor al-

lem in einem bestimmten, eben zuwendenden, lie-

bevollen „Stil“ realisiert und erfahrbar wird. Nicht

zuletzt die ganz konkreten Verhaltens- und Kom-

munikationsweisen, die wir mit der Kompetenzaus-

sage „Nah. Am Nächsten“ verbinden, bringen im

„Kleinen“ das zum Ausdruck, was mit dem großen

Wort „Liebe“ bezeichnet wird.

Die Enzyklika hat „naturgemäß“ einen Stil, der von

unserer Alltagssprache und auch der Alltagsspra-

che der Caritas-Mitarbeiter manchmal weit ent-

fernt ist.

„Vielleicht steckt jedoch gerade in dieser deutungs- und übersetzungs- bedürftigen Enzyklika-Sprache eine große Chance, den Anspruch der Enzyklika ins eigene Wort zu bringen, sich des eigenen Anspruchs und des eigenen Tuns bewusst zu werden und sich gemeinsam darüber zu verständigen,„in welchem Sinne wir im Diözesan-Caritasverband

in unserer alltäglichen Caritas-Arbeit Gerechtigkeit

und Liebe immer schon praktizieren und auch

künftig zum Maßstab der Arbeit machen können.

Solche das „Grundsätzliche“ nicht scheuende und

die konkrete Praxis immer im Blick habende Aus-

einandersetzungen wünsche ich der Caritas.

Page 14: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

14 15

Dr. Hildegard Kronawitter

Dr. Hildegard Kronawitter

SPD, MdL

Diözesanrätin

der Katholiken

Helfen macht reichDie Caritas muss als Lobby in Gesellschaft und Politik hineinwirken

In meinem Leben habe ich viel Unterstützung bekommen, doch nicht nur deshalb war und ist es für mich

selbstverständlich, anderen zu helfen. Zugegeben, ehrenamtliche Arbeit konnte ich leichter leisten, weil ich

nicht Tag für Tag um meine wirtschaftliche Existenz ringen musste. Ich will aber auch betonen, dass Helfen

letztlich ein Geben und Nehmen ist. Wer anderen etwas gibt, bekommt positive Erfahrungen, Erkenntnisse

und oft Dankbarkeit zurück. Das schafft auch mir Befriedigung; in diesem Sinne macht Helfen reich.

Mein Verhalten ist sicherlich stark beeinflusst von

frühen Erfahrungen aus meiner katholisch gepräg-

ten Kindheit, in der Caritas als christliche Nächsten-

liebe selbstverständlich schien. Im ländlichen Le-

bensbereich, in dem ich aufgewachsen bin, waren

soziale Projekte meist mit der Caritas als Organisa-

tion verbunden. Als Politikerin weiß ich heute, wie

wichtig Caritas als Wert für unsere Gesellschaft ist

und wie notwendig es ist, im Helfen Verantwortung

für andere zu übernehmen. Die christliche Lehre

sagt uns, jeder Mensch ist in seiner Würde und

seinem Wert gleich. Diese Würde und die daraus

folgende Verpflichtung fordert die Caritas als Insti-

tution Tag für Tag ein. Wie schwer das manchmal

sein kann, zeigt sich beispielsweise im Alltag von

Pflegeheimen angesichts eingeengter Finanzaus-

stattung.

Ein Zweites füge ich gerne an:

„Mir gefällt die Grundmotivation der Caritas, nämlich helfen ohne Vorbedingung und aus Barmherzigkeit und im zweiten Schritt erst schauen, wie die Ursachen einer bestehenden Not behoben werden können.„

Für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist es wichtig, dass die Caritas ihre Stimme erhebt

Wohlfahrtsverbände sind Anwälte der Schwachen

und Unterstützungsbedürftigen. Sie sind daher

aufgerufen, bei politischen Auseinandersetzungen

über das Soziale in unserer Gesellschaft öffentlich

Partei zu ergreifen. Als Lobby müssen sie für ihre

Klienten in die Gesellschaft und die Politik hinein-

wirken. Wohlfahrtsverbände als soziale Dienst-

leister sind nicht dem Markt und seinem Rendite-

denken verpflichtet, sondern dem Hilfegedanken.

Gleichwohl müssen sie wirtschaftlich handeln, um

überleben zu können und ihrem Auftrag nachhal-

tig gerecht zu werden. In der heutigen Zeit oft ein

schwieriger Balanceakt.

Ein Wohlfahrtsverband verbindet die Eigenschaf-

ten eines ökonomisch effizienten und solidarisch

handelnden Unternehmens. Er richtet seine Ent-

scheidungen am sozialen Auftrag aus und fragt

nicht, ob z.B. eine spezielle Tätigkeit wirtschaftli-

chen Überschuss verspricht. Dieses Handlungs-

prinzip muss meiner Meinung nach noch viel deut-

licher in die öffentliche Wahrnehmung gerückt

werden.

Page 15: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

14 15

In einer Gesellschaft, die immer mehr Rechtferti-

gung für den steigenden Hilfebedarf verlangt, sind

die Auseinandersetzungen, die die Caritas im Na-

men ihrer Klienten führen muss, um die nötigen

Hilfen durchzusetzen, auch wichtig für den sozialen

Zusammenhalt. Denn Menschen, denen es gut

geht, denken zunehmend weniger an Notleidende

und Bedürftige; sozial verpflichtende Zusammen-

hänge werden schwächer. Dagegen muss die Cari-

tas mit ihrem katholischen Kontext die Stimme

erheben.

Oft nehme ich wahr, dass Menschen ihre Kirchen-

steuerzahlung williger leisten, wenn ihnen die viel-

fältigen Hilfen der Caritas als institutionalisierte

kirchliche Nächstenliebe vor Augen geführt werden.

Deshalb ist es wichtig, Einrichtungen und Projekte

der Caritas, von den Kindergärten bis zu den Alten-

heimen, von der Schuldnerberatung bis zur Ob-

dachlosenhilfe in ihrem kirchlichen Verbund in der

Öffentlichkeit zu betonen.

„Wenn die kirchlichen Wohlfahrts- verbände aus Geldmangel nicht mehr helfen können, wer hilft dann?„Die Caritas wird in der Politik sehr ernst genom-

men. Die politischen Entscheidungsträger wissen

um ihre Erfahrung als Anwalt und als Betreuer von

Menschen in Not, sie wissen und schätzen das

große uneigennützige Engagement der Caritas für

ihre Klienten, die praxisorientierte soziale Arbeit,

den kirchlichen Kontext und nicht zuletzt ihre

Transparenz.

Handeln aus „christlicher Barmherzigkeit“ – ich be-

nutze bewusst dieses „altmodische“ Wort – entwirft

ein Gegenkonzept zum modernen Egozentriker. Ein

Konzept, nach dem Menschen voraussetzungsfrei,

aus Solidarität und Verantwortung anderen helfen,

ihre eigene Stärke mit einem Gefühl der Dankbar-

keit einsetzend für jene, denen das Leben schwer

gemacht ist.

Aus Solidarität und Verantwortung anderen helfen

Page 16: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

16 17

Wolfgang Obermair

Wolfgang Obermair

Vorstand Ressort II

Trägereinrichtungen

und Beteiligungen

Christliche Verantwortung unterscheidet

die Caritas von anderenWohlfahrtsverbände werden heute mit modernen betriebswirtschaftlichen

Methoden organisiert, geführt und gemanagt

Aus den Anfängen der in den Gemeinden praktizierten Nächstenliebe – so die wörtliche Übersetzung von

„Caritas“ – hat sich ein großer Wohlfahrtsverband entwickelt. Aber der Grundgedanke und der Impuls, der

unsere Arbeit leitet, ist immer der gleiche: Caritas Christi urget nos.

So steht es an der Tür zur Kantine im Pater-Rupert-

Mayer-Haus, der Zentrale unseres Verbands, die

gleichzeitig Gottesdienst- und Versammlungsraum

ist.

„Diese christliche Verantwortung, aus der heraus wir unseren Dienst am Menschen tun, unterscheidet die Caritas von anderen Wirtschaftsunternehmen mit vergleichbarer Größe und vergleich- baren Aufgaben und zieht sich wie ein roter Faden durch alle unsere Arbeits- bereiche.„Sie prägt unsere Verbandspolitik nach innen wie

nach außen, bestimmt unsere Schwerpunktsetzung

und leitet unsere sozialpolitischen Entscheidungen.

Nach innen bedeutet dies eine verantwortungs-

volle und fürsorgliche Politik gegenüber unseren

Mitarbeitern, sowohl ideell als auch finanziell. Wir

schätzen ihr soziales Engagement und wissen um

die alltäglichen Belastungen. Darum bieten wir

ihnen Führung und Unterstützung für die tägliche

Arbeit. Im Rahmen von Einführungstagen, durch

Weiterbildungen in allen für sie relevanten Berei-

chen, aber auch als ethische Begleitung, etwa in

der Form von Besinnungstagen oder Tagen zur Le-

bensorientierung.

Eine finanziell verantwortungsvolle Personalpolitik

zu führen heißt aber auch, dass wir uns frühzeitig,

nämlich schon heute, überlegen, wie wir mit der

demographisch bedingten Veränderung auf dem

Arbeitskräftesektor umgehen werden, und bereits

jetzt die Weichen für eine nachhaltig sichere Lohn-

politik stellen. Denn schon in 5 bis 10 Jahren wer-

den wir statt des heutigen guten Angebots einen

Mangel an jungen Arbeitskräften und Fachkräften

haben. Die Generation 50 plus, die heute beson-

ders von Arbeitslosigkeit betroffen ist, wird dann

gebraucht werden, um die entstandenen Lücken zu

schließen. Um diese älteren, qualifizierten und er-

fahrenen Arbeitskräfte einstellen zu können, müs-

sen wir unser Tarifsystem rechtzeitig verändern

und uns in Richtung einer Gleichstellung bei der

Bezahlung jüngerer und älterer Mitarbeiter orien-

tieren. Um diese Zielgruppe langfristig in die Orga-

nisation einbinden zu können, bedarf es der ver-

stärkten Gestaltung einer Integrationskultur für äl-

tere Mitarbeitende. Auch muss unser Vergütungs-

system dieser Herausforderung Rechnung tragen.

Voll und ganz ein Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche

Als organisierte Caritas bieten wir unmittelbare Hil-

fe für Menschen, die ihre Probleme nicht alleine

lösen können, wecken Aufmerksamkeit für Men-

schen in Not und vertreten in Politik und Gesell-

schaft die Interessen derer, die sich selbst kein Ge-

hör verschaffen können. Um diese Aufgaben auch

in der Zukunft effizient und nachhaltig zu erfüllen,

müssen wir uns gleichzeitig kontinuierlich weiter

entwickeln und den äußeren, d.h. den sozialen wie

den wirtschaftlichen, Rahmenbedingungen anpas-

sen, indem wir den Wandel aktiv und innovativ ge-

stalten. Trotz aller notwendigen Entwicklungen sind

wir deshalb kein seelenloser Konzern, sondern eine

professionell gemanagte Organisation und zugleich

voll und ganz ein Wohlfahrtsverband der katholi-

schen Kirche – und das ist kein Widerspruch.

Page 17: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

16 17

Im Gegenteil: wenn wir unsere gesellschaftliche

Rolle als Lobbyist der Armen und Benachteiligten

wahrnehmen wollen, müssen wir uns unserer Mög-

lichkeiten bewusst sein. Unserer ethischen ebenso

wie unserer wirtschaftlichen. Es ist eine in der Öf-

fentlichkeit weitgehend unbeachtete Tatsache, dass

Wohlfahrtsverbände volkswirtschaftlich von großer

Bedeutung sind. In Deutschland sind die Wohl-

fahrtsverbände Träger von rund einem Drittel aller

sozialen Dienstleistungseinrichtungen (über 100

Tausend an der Zahl). Die Wohlfahrtsverbände in

Deutschland erwirtschaften mit rund 1,3 Mio. Voll-

und Teilzeitkräften und einem geschätzten Jahres-

umsatz von rund 55 Milliarden Euro. Mit fast einer

halben Million hauptamtlicher Mitarbeiter ist die

Caritas einer der großen privaten Arbeitgeber in

Deutschland. Der Caritasverband der Erzdiözese

München und Freising – fast deckungsgleich mit

dem Regierungsbezirk Oberbayern – hat rund 6.700

Mitarbeiter und tätigt einen Jahresumsatz von ca.

280 Millionen Euro.

Tief greifende Reformen sorgten und sorgen für eine flächendeckende Professionalisierung

Wohlfahrtsverbände werden heute in der Regel mit

modernen betriebswirtschaftlichen Methoden or-

ganisiert, geführt und gemanagt. Unser Verband

hat in den letzten zehn Jahren tief greifende Refor-

men erfolgreich durchgeführt und seine Struktu-

ren, Organisation und Prozesse den gesamtwirt-

schaftlich schwierigen Zeiten angepasst. Manage-

ment und Mitarbeiterführung wurden und werden

professionalisiert. Ein wichtiges Ziel dieser Refor-

men war und ist die Transparenz der Strukturen,

Abläufe und vor allem der Zahlen.

Wir erreichen dieses Ziel mit einer ganzen Reihe

von Projekten und Methoden, die von uns entwi-

ckelt und flächendeckend in allen Einrichtungen

unseres Verbands durchgeführt werden. Zum Bei-

spiel das Caritas München Qualitätsmanagement

(www.cmqm.de), ein Prozess zur Verbesserung der

Organisationsstrukturen, in den inzwischen alle

Einrichtungen unseres Verbands eingebunden sind.

Das Projekt Zahlen soll zusammen mit dem ver-

bandsweiten Controllingsystem dazu beitragen,

dass alle entscheidungsrelevanten Daten und Zah-

len aus den Einrichtungen erhoben und zeitnah

ausgewertet werden können und die Führungs-

kräfte dadurch in die Lage versetzt werden, erfor-

derliche Entscheidungen qualifiziert zu treffen. Vor

allem aber die umfassenden Innovationen im IT-Be-

reich, MITIF (Migration IT-Infrastruktur) und C-PEP

(Caritas Produkt Evaluierung Pflege), die unseren

Einrichtungen einen wertvollen Wettbewerbsvorteil

erschließen und für den Gesamtverband zu einer

deutlichen Kostenreduktion führen werden. Damit

geht die Caritas neue Wege: wir sind einer der erst-

en Wohlfahrtsverbände, die eine zentrale und inte-

grierte IT-Struktur und Software umsetzen werden.

Viele Verbände, so auch die Münchner Caritas, ge-

hen in der Rechenschaft längst weit über die ge-

setzlichen Anforderungen hinaus. Dies wird übri-

gens von Seiten der Politik wie der Öffentlichkeit

gefordert – und in unserem Fall anerkannt und ho-

noriert.

Kooperationen und Netzwerke helfen, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen

Die unmittelbare Zukunft mit ihrer belastenden

Kombination von ungünstiger demographischer

Entwicklung, zunehmender Schwächung der sozia-

len Sicherungssysteme – und damit einhergehend

der sukzessiven Einschränkung staatlicher Mittel

im sozialen Bereich – und der massiven Verände-

rung unserer Gesellschaftsstruktur ist eine große

Herausforderung für die Freie Wohlfahrt. Die Cari-

tas stellt sich dieser Herausforderung, indem sie

soziale Netzwerke knüpft – Kooperationen von Trä-

gern, Kommunen, Gemeinden, Vereinen etc., über

alle Grenzen hinweg, um Synergieeffekte zu nutzen,

Herausforderungen gemeinsam zu betrachten und

Lösungen gemeinschaftlich zu entwickeln. Wir ha-

ben im vergangenen Jahr eine ganze Reihe solcher

Netzwerke erfolgreich aufgebaut und setzen die

Schwerpunkte unserer Planung und unserer Ver-

bandspolitik in den Bereichen, in denen in Zukunft

der größte soziale Handlungsbedarf entstehen wird:

bei der Betreuung von Familien und Kindern, den

Angeboten für Senioren und der Gemeindeorien-

tierten Sozialen Arbeit in unseren Caritas-Zentren.

Page 18: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

18 19

Die fachlich qualifizierte und in der Kapazität aus-

reichende Betreuung von Kindern und Jugendlichen

ist Voraussetzung für eine wirkliche Unterstützung

von Familien. Wir haben deshalb unser Engagement

im Bereich der Kindertagesstätten konsequent ge-

stärkt. Vier neue Einrichtungen wurden bereits ge-

öffnet, andere sind für 2007 geplant. In enger Zu-

sammenarbeit mit der Kommune, der Pfarrgemein-

de, den Schulen und ehrenamtlichen Initiativen

entstand in Taufkirchen an der Vils ein Kinder- und

Jugendhaus, das vielfältige Angebote für die ganze

Familie unter einem Dach vereint. Die Caritas hat

die Betriebsträgerschaft übernommen.

Qualifizierte Betreuung setzt aber auch fachlich ge-

schulte Mitarbeiter voraus. Um die Anforderungen

des Bildungsplans konsequent umzusetzen und

wirklich Chancengleichheit für alle Kinder schon in

den Kindergärten zu realisieren, setzen die beruf-

lichen Schulen und Fachakademien der Caritas auf

hochwertige Ausbildungskonzepte für Erzieherin-

nen und Erzieher.

Das Netz der gelebten Nächstenliebe trägt und integriert überall, wo die Not groß ist

Die Pflege und Betreuung von alten und ältesten

Menschen ist ein weiterer Schwerpunkt unserer

Arbeit. Hier bereiten wir uns mit unserer Angebots-

Palette „Leben im Alter – Wohnen nach Maß“ früh-

zeitig darauf vor, den unterschiedlichen Lebens-,

Wohn- und Pflegebedürfnissen und -wünschen al-

ter Menschen mit entsprechenden Angeboten zu

begegnen.

Daneben bleibt die stationäre Pflege weiterhin

eine unserer zentralen Aufgaben. Derzeit betreiben

wir 29 Altenheime in ganz Oberbayern. In unse-

rem neuen St. Franziskus-Altenheim bieten wir

seit Ende 2005 für 77 alte Menschen moderne

Wohnräume und individuelle Betreuung und Pfle-

ge. Parallel dazu bauen wir das Altenheim St. Ni-

kolaus in Schwabing neu – und erhalten damit

dringend benötigten Lebensraum.

Der Sozialstaat vollzieht einen rasanten Wandel.

Die Hilfe für bedürftige Menschen aber darf diesem

Wandel nicht zum Opfer fallen.

„Damit wir trotz rückläufiger Finan- zierungen durch die öffentliche Hand dort helfen können, wo die Not groß ist, knüpfen wir soziale Netze. Mit Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Mit Entscheidungsträgern in der Politik und in der Wirtschaft.„

Um überall da präsent zu sein, wo wir gebraucht

werden. Bei der Integration von Menschen mit Be-

hinderung und von Menschen aus aller Welt. Bei

der Unterstützung von Menschen ohne Arbeit. Bei

der Entwicklung von Konzepten für eine soziale

Gesellschaft der Zukunft, einem Netz, das alle

trägt. Dem Netz der Caritas – der gelebten Nächs-

tenliebe.

Page 19: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

18 19

Zah

len

- D

aten

- F

akte

n 2

00

5

Zahlen - Daten - Fakten

Wettbewerbsvorteile sichern durch kontinuierliche

Anpassung von Strukturen und Standorten

2005 hat sich das insgesamt geringe Wachstum der deutschen Wirtschaft zwar verbessert, blieb jedoch

nach Angaben des Statistischen Bundesamts mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,9 %

deutlich unter den Zuwächsen des Vorjahres (2004: 1,6 %). Alle führenden Wirtschaftsinstitute sahen als

stimulierende Faktoren für das Wachstum vor allem starke Impulse aus dem Ausland, die Abwertung des

Euro gegenüber dem US-Dollar und den zeitweisen Rückgang der Weltmarktpreise an den Rohölmärkten.

Da die gesamtkonjunkturelle Lage durch die dadurch bedingte Situation der öffentlichen Haushalte mit-

telbaren Einfluss auf die sozialen Dienstleistungen hat, war – wie bereits in den Vorjahren – nicht mit einer

Verbesserung der Rahmenbedingungen zu rechnen, die das Handeln gemeinnütziger Verbände bestimmen.

Vor diesem Hintergrund ist es jedoch gelungen,

unsere Marktstellung als großer regionaler An-

bieter sozialer Dienstleistungen zu festigen. Aus-

schlaggebend hierfür war einerseits die hohe

Qualität der von uns erbrachten Leistungen und

die damit einhergehende hohe Anerkennung durch

die Leistungsbezieher, aber auch die bewusste

Zurückhaltung in der Preisgestaltung der Leis-

tungsentgelte, durch die mögliche Wettbewerbs-

nachteile vermieden werden konnten. Unterstützt

wurden diese Maßnahmen durch äußerst moti-

vierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für die

Reputation der sozialen Einrichtungen von we-

sentlicher Bedeutung sind.

Ertragslage 2005

Das Geschäftsjahr 2005 konnte mit einem Jahres-

überschuss in Höhe von 716 T€ abgeschlossen

werden.

Im Berichtsjahr wurden Sonderabschreibungen in

Höhe von 2,3 Mio. € auf ein Pflegeheim erfolgs-

wirksam verbucht, da der Betrieb zum Jahresende

eingestellt wurde.

Während das Finanzergebnis im Vergleich zum Vor-

jahr um 1.293 T€ verbessert werden konnte, blieb das

Ergebnis im ideellen Bereich nahezu unverändert.

Page 20: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

20 21

Veränderung

2005 2004 2003 2005 2004

T € T € T € T € %

Erträge aus Pflege und Betreuung 202.991 200.900 189.084 2.091 1,0

Zuweisungen und Zuschüsse 37.206 36.472 37.815 734 2,0

öffentlicher Haushalte

Kirchliche Zuweisungen 15.760 15.587 16.718 173 1,1

Erträge a. d. Auflösung v.

Investitionszuschüssen 1.240 1.200 1.094 40 3,3

Zinsen und ähnliche Erträge 3.173 2.949 2.623 224 7,6

Ideelle Erträge 7.084 7.485 7.476 - 401 - 5,6

Sonstige betriebliche Erträge 13.912 13.082 10.778 830 6,3

281.366 277.675 265.588 3.691 1,3

Personalaufwand 205.484 201.366 194.407 4.118 2,0

Sachaufwand 33.414 32.639 32.317 775 2,4

Unterstützungen 606 735 1.183 - 129 - 17,6

Instandhaltungen 6.247 7.211 6.401 - 964 - 13,4

Abschreibungen 13.898 11.047 12.044 2.851 25,8

Zinsen und ähnliche Aufwendungen 1.780 1.735 1.763 45 2,6

Sonstige betriebliche Aufwendungen 19.221 20.764 16.703 - 1.543 - 7,4

280.650 275.497 264.818 5.153 1,9

Jahresergebnis vor Verwendung 716 2.178 770 - 1.462

Die Entwicklung der Erträge und Aufwendungen über einen Dreijahreszeitraum

zeigt nachfolgende Übersicht:

Die Umsatzerlöse haben sich leicht um 1,0 % von

200.900 T€ auf 202.991 erhöht. Ursächlich hierfür

waren Entgeltanpassungen, durch die auch Aus-

lastungsprobleme in verschiedenen Einrichtungen

ausgeglichen werden konnten.

Bei den Zuweisungen und Zuschüssen war erfreu-

licherweise auch eine leichte Verbesserung zu

verzeichnen; nach einer anhaltenden Verschlech-

terung in den Vorjahren aufgrund veränderter

Zuschussrichtlinien.

Der Personalaufwand ist gegenüber dem Vor-

jahr leicht um 2,0 % gestiegen. 2005 betrug er

205.484 T€ (Vorjahr: 201.366 T€). Das entspricht

einer Aufwandsquote – bezogen auf die Gesamt-

leistung – von 73 % (Vorjahr: 72,5 %).

Die Sachaufwendungen erhöhten sich um 734 T€

und betragen 11,9 % der Gesamtleistung. Ursäch-

lich für die Erhöhung waren im Wesentlichen ge-

stiegene Energiekosten. Die sonstigen betriebli-

chen Aufwendungen konnten im Vergleich zum

Vorjahr um 1.543 T€ reduziert werden.

Page 21: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

20 21

Zah

len

- D

aten

- F

akte

n 2

00

5

Europäische Ziele „mehr Beschäftigung“ und „mehr Wachstum“ vor „sozialem Zu-sammenhalt“

Wie bereits in den Berichten der Vorjahre ausführ-

lich dargestellt, sind die in Industrie- und Produk-

tionsunternehmen typischerweise auftretenden

Risiken im Bereich der Wohlfahrtspflege bedeu-

tungslos. Dagegen gewinnt die europäische Ebene

für die Entwicklung der Wohlfahrtspflege immer

mehr an Bedeutung.

Stellvertretend für viele sei hier nur auf die „Lissa-

bon-Strategie“ hingewiesen, durch die zukünftig

„mehr Beschäftigung“ und „mehr Wachstum“ er-

reicht werden soll. Das bisher gleichrangig vertre-

tene Ziel des „sozialen Zusammenhalts“ wird so

nicht mehr prioritär genannt. Dies ist deshalb von

Bedeutung, weil hierdurch die anstehenden Re-

formen maßgeblich beeinflusst werden.

Die bereits erkennbaren Veränderungen werden

nicht nur für die hilfebedürftigen Menschen, son-

dern auch für die Dienste und Einrichtungen der

Wohlfahrtsverbände Auswirkungen haben. Eine

Quantifizierung der sich daraus ergebenden Risiken

ist jedoch angesichts des schleichenden Prozesses

derzeit nicht möglich.

Die gesamtwirtschaftlichen Prognosen deuten zu-

mindest für 2006 auf einen leichten Aufschwung

der Wirtschaft in Deutschland hin. Gleichzeitig er-

geben sich jedoch auch konjunkturelle Risiken,

insbesondere durch die Entwicklung der Energie-

preise, aber auch durch nationale wirtschaftspoli-

tische Unsicherheiten.

Während das etwas freundlichere konjunkturelle

Klima die Rahmenbedingungen für die Unterneh-

men der Wohlfahrtspflege nur bedingt und zeit-

verzögert positiv beeinflusst, schlagen sich die

dargelegten Risiken unmittelbar und ohne zeit-

liche Verzögerung im Ergebnis nieder.

Frühzeitige Erkennung und Eingrenzung von Risiken durch neue Instrumente zur Über-wachung interner Geschäftsprozesse

Um den ständig wachsenden Anforderungen ange-

messen begegnen zu können, ist ein effizientes

Risikomanagement von entscheidender Bedeutung.

Neben der Bestimmung der maßgeblichen fach-

dienstspezifischen Parameter ist die zeitnahe Gewin-

nung entscheidungsrelevanter Daten unerlässlich.

Ausfluss dieser Überprüfung sind mehrere Pro-

zesse, die 2006 und 2007 im Diözesan-Caritasver-

band zum Tragen kommen. Zum einen wird eine

neue IT-Infrastruktur geschaffen, die durch die

Implementierung neuer Softwarepakete in den

stationären Einrichtungen und den ambulant-

pflegerischen Diensten ergänzt wird. Zum ande-

ren werden im Rahmen eines breit angelegten

Projektes „Zahlen“ die Erfassung, Überwachung

und Steuerung interner Geschäftsprozesse, aber

auch die Identifizierung anderer Geschäftsrisiken

neu definiert, so dass sowohl die frühzeitige Er-

kennung als auch die Eingrenzung mit adäquaten

Instrumenten ermöglicht wird.

Um die gewonnene Marktstellung zu sichern und

zu stärken, ist auch eine kontinuierliche Anpas-

sung unserer Strukturen und Standorte unerläss-

lich. So kommen zu den bereits begonnenen Neu-

bauten der Alten- und Pflegeheime in Haag und

„St. Nikolaus“ in München auch neue Standorte

für die Caritaszentren in Garmisch, Fürstenfeld-

bruck und Freising hinzu, die unser Erscheinungs-

bild in der Öffentlichkeit positiv beeinflussen wer-

den und somit auch zu Wettbewerbsvorteilen füh-

ren. Das gilt auch für den geplanten Neubau des

Heilpädagogischen Zentrums in Rosenheim.

Die in den vorhergehenden Lageberichten darge-

stellten Risiken, nämliche unklare Fortentwicklung

Page 22: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

22 23

Arbeitsbereiche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

im Bereich der AVR, Rückzug des Landes Bayern

aus der Finanzierung von notwendigen Investitio-

nen, laufende Kürzungen der öffentlichen Betriebs-

kostenzuschüsse und Ähnliches haben unmittel-

bar Einfluss auf das Planergebnis 2006 gefunden.

Nach derzeitiger Annahme beträgt die Steigerung

des Personalaufwands im Vergleich zu 2005 mit-

arbeiterbezogen 1,3 %. Da Entgelterhöhungen für

2006 unwahrscheinlich sind und mit weiteren Zu-

schusskürzungen zu rechnen ist, können evtl. stei-

gende Personal- und Sachkosten nur durch Redu-

zierung des Aufwandes und durch eine Erhöhung

der ideellen Erträge (Spenden, Erbschaften) und

der Vermögenserträge (Miet- und Kapitalerträge)

aufgefangen werden.

Für die Reputation sozialer Einrichtungen sind motivierte Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter von wesentlicher Bedeutung.

Page 23: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

22 23

Zah

len

- D

aten

- F

akte

n 2

00

5

Arbeitsbereiche – Jahresvergleich

Beschäftigungsumfang

Page 24: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

24 25

Die Aufgaben der Caritas im Veränderungsprozess

unserer Gesellschaft sind vielschichtigWarum mir christlich-soziales Engagement in der Politik wichtig ist

Joachim Unterländer

CSU, MdL

Vorsitzender des

Arbeitskreises für Sozial-,

Gesundheits- und Familien-

politik der CSU-Landtags-

fraktion, stellvertretender

Vorsitzender des „gleich-

namigen Ausschusses“

im Bayerischen Landtag

und Vorsitzender der

CSU-Familienkommission

Als überzeugter und praktizierender Katholik fühle ich mich dem Denken der katholischen Soziallehre eng

verwurzelt und verbunden. Ich finde dort auf der Basis meines Glaubens die Motivation zu sozialem Enga-

gement und den besten Schlüssel zur Lösung menschlicher Probleme. Da auch die soziale Arbeit der Caritas

auf dem christlichen Auftrag zur Nächstenliebe fußt, gibt es schon „naturgemäß“ eine große Übereinstim-

mung zwischen dem Caritasverband und meiner persönlichen Überzeugung.

In meiner Überzeugung ist die christlich-soziale

Säule das Gerüst des bewährten Sozialstaates, mit

dem unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg auf-

gebaut wurde. Die bieten auch der heutigen Welt

vollständige und anwendbare Lösungsansätze. Ich

halte es generell für erforderlich, dass erfahrene

und kompetente Wohlfahrtsverbände mit einem

christlich geprägtem Menschenbild und an der

christlichen Nächstenliebe ausgerichteten Zielset-

zungen – und ein solcher ist die Caritas – aktiv in

die gesellschaftliche Diskussion über den Wandel

des Zusammenlebens und des Sozialstaates ein-

greifen muss. Als Sozialpolitischer Sprecher der

CSU-Landtagsfraktion betrachte ich die Caritas als

wichtigen Partner und Ratgeber.

Die Aufgaben der Caritas im Veränderungsprozess

unserer Gesellschaft sind meines Erachtens viel-

schichtig. Da ist zum einen die Hilfe für den Einzel-

nen – eine Hilfe, die immer wichtiger werden wird,

wenn ich an die größer werdende Schere zwischen

arm und reich denke. Zum anderen liegt es in der

Verantwortung der Caritas, verlässliche und zu-

gleich flexible Strukturen für diejenigen anzubie-

ten, die Hilfe benötigen – da denke ich an Pflege-

bedürftige, an sozial schwächere Familien, an Men-

schen, die Schutz und Beratung bei Insolvenz su-

chen, an die Menschen mit Behinderung, die ins

Rentenalter kommen, aus dem Erwerbsleben und

damit aus den Werkstätten ausscheiden, aber kei-

ne Familien haben, in denen sie betreut werden

können, weil die Eltern einfach zu alt oder schon

tot sind.

Ich denke an die Begleitung der Integrationsbe-

mühungen bei Menschen mit Migrationshinter-

grund – auch hier hat die Caritas eine besondere

Verantwortung. Dann diejenigen ohne Schul- und

Ausbildungsabschluss. Sie brauchen Wege und

Möglichkeiten für eine existentielle Perspektive.

Schließlich ist es mir persönlich ganz besonders

wichtig, dass die Caritas im Zuge der Schwerpunkt-

setzung bei der Familienpolitik als ein schon heute

breit und qualitativ gut aufgestellter Träger von

Kindertagesstätten weiter Ressourcen bereitstellt

und sich parallel dazu intensiv sozialpolitisch für

die Interessen und Bedürfnisse von Familien mit

Kindern einsetzt.

Joachim Unterländer

Caritas als „Multifunktionär“ macht vielen erst deutlich, was die Kirche auf sozialem Gebiet leistet

Unsere Gesellschaft macht einen rasanten Verän-

derungsprozess durch. Hier stellt sich für mich die

Frage, wie ein tragbarer Wandel aussieht. Aus mei-

Page 25: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

24 25

ner Sicht gibt es zwei wesentliche Veränderungen,

die durch die Politik nur begrenzt beeinflussbar

sind. Das ist erstens die Globalisierung mit einem

sich verschärfenden weltweiten wirtschaftlichen

Wettbewerb. Und das ist zweitens die innerdeut-

sche demographische Entwicklung. Ich bin der

Meinung, dass wir es hier in Deutschland mit einer

strukturellen Kinderfeindlichkeit zu tun haben, die

die Politik alleine nicht ändern kann. Deshalb ist es

zunächst erforderlich, dass die Gesellschaft ins-

gesamt kinderfreundlicher wird. Politik verfügt

zwar über gewisse Steuerungsinstrumente, z.B.

Steuererleichterungen für Familien, aber parallel

dazu muss sich die Gesellschaft ändern und Kinder

nicht nur akzeptieren, sondern wünschen.

Hier kann sich die Caritas verstärkt einbringen,

denn sie ist nicht nur ein Wohlfahrtsverband, son-

dern auch ein sozialpolitischer Verband! Sie könnte

sich noch aktiver in Gesprächsforen auf den ver-

schiedenen politischen Ebenen mit einem deutli-

Schwerpunktsetzung bei der Familienpolitik: Ein deutliches „Ja!“ zu Familie und Kinder

chen „Ja!“ zu Familie und Kind einbringen. Und

dieses Ja dann auch durch entsprechende Angebo-

te praktisch untermauern.

Trotz rückläufiger Kirchensteuermittel halte ich es

für wichtig, dass die Caritas als Wohlfahrtsverband

der katholischen Kirche solche Angebote als deut-

lich erkennbares Zeichen in den Mittelpunkt ihrer

Planungen stellt.

„Als engagierter Laienkatholik bin ich davon überzeugt, dass ein offensives Auftreten der Caritas Menschen in Notsituationen helfen kann, über die caritative Unterstützung einen Zugang zur Kirche zu finden.„Denn das Angebot der Caritas als „Multifunktionär“

im katholischen Bereich macht vielen erst deut-

lich, was die Kirche auf sozialem Gebiet leistet. Ich

ermuntere die Caritas, hier aktiver zu werden.

Page 26: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

26 27

Viktor Münster

Weil Liebe stets konkret sein muss...Im besten Fall gelingt es, hinter aller Professionalität die Präsenz Gottes

in der täglichen Arbeit spürbar zu machen

Viktor Münster

Geschäftsführer

Katholischer Männerfür-

sorgeverein München e.V.

Jedem Menschen sind ganz besondere Talente gegeben – oder besser: anvertraut worden. Sie zu entdecken,

sie zu fördern und mit ihnen zu wuchern, ist eine Aufgabe, die uns direkt aus der Bibel gestellt wird. Soziales

Engagement sehe ich zwar als allgemeine gesellschaftliche Notwendigkeit. Dennoch ist es mir sehr wichtig,

dabei meinem ganz individuellen Ruf zu folgen, mit meinen Stärken zu punkten – und mich stets persönlich

gemeint zu fühlen, wenn es gilt zu helfen. Erfolge motivieren natürlich. Aber die Quelle dauerhafter Kraft

sprudelt für mich viel tiefer ...

Als studiertem Theologen ist mir die Theorie mit

Sicherheit nicht fremd, und ich achte sie hoch. Aber

im Laufe meines Berufslebens habe ich für mich

immer mehr herausgefunden, dass ich ein Mensch

der Praxis bin. Und wenn ich mir die jüngste Enzy-

klika „Deus Caritas est“ von Papst Benedikt XVI.

ansehe, oder die Neujahrspredigt 2005 unseres

Erzbischofs, dann lese ich dort von der christlichen

Liebe als Mitmachen, Mitgehen, als Nähe, als „Dem-

Anderen-ins-Leben-gehen“, als „da-sein“. Und zwar

so, dass der andere Mensch es auch spürt. Ganz

konkret und unmittelbar. Echte Liebe ist immer kon-

kret. Wie es der Gründer unseres Katholischen

Männerfürsorgeverein München, Monsignore Adolf

Mathes, sinngemäß formuliert hat: Was nützen die

tollsten Ideologien, wenn der Mensch nicht merkt,

dass man ihn gern hat? Genau darum geht es!

Die Wohnungslosenhilfe berührt sehr viele heiße Eisen unserer Gesellschaft

Das Konkrete ist mir umso wichtiger, je mehr ich

heute als Geschäftsführer unseres Vereins aufs Ad-

ministrative verpflichtet bin. Wobei ich aus vielen

Jahren praktischer Erfahrung im direkten Umgang

mit den Menschen schöpfen kann. Ich war, nicht

zuletzt als Leiter, in unterschiedlichen Einrichtun-

gen tätig. Die Wohnungslosenhilfe berührt sehr

viele heiße Eisen unserer Gesellschaft: Psychische

Erkrankungen, Sucht in allen Spielarten, Behinde-

rungen, das Scheitern von Biographien... Maßge-

schneiderte Hilfe ist da nicht immer aus dem Hand-

gelenk zu schütteln.

Zumal einem in der täglichen Arbeit auch eine

Menge Zumutungen widerfahren. Denn man darf

die Menschen mit ihren Nöten ganz gewiss nicht

idealisieren –

„ein Leben im Elend gebiert oft auch Niedrigkeit. Aber Hilfe auf der Grundlage christlicher Liebe heißt genau dann: Einladung zur Partnerschaft, zur Beteiligung. Ich will dem Menschen das Gefühl geben, dass er selbst etwas kann, selbst etwas wert ist. So entsteht Persönlichkeit, so entsteht menschliche Würde.„

Page 27: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

26 27

Professionalität sorgt für die richtigen „Werkzeu-

ge“, um mit Frustrationen und Zumutungen fertig

zu werden. Aber mein Glaube muss die Professio-

nalität als Haltung durchdringen.

Menschen konkret helfen, mich ihnen nähern, zu-

hören – ich habe erfahren: Das kann ich gut, das ist

meine Sache, meine Berufung. Und entsprechend

sehe ich es dann auch als Verpflichtung. Wobei ich

durchaus auch Profi aus Überzeugung bin, denn

Gut sein wollen allein reicht auch nicht. Mein Kön-

nen, Wollen, Tun und Sein in größtmöglichen Ein-

klang zu bringen – dabei hilft mir der Glaube.

Die Menschen haben feine Antennen für Wahrheit, Ehrlichkeit, Lauterkeit und Authentizität

Heute erlebe ich die Praxis kaum noch mit unseren

Menschen in den Einrichtungen, sondern mehr im

Umgang mit den Mitarbeitern. Aber auch hier ist

es die Unmittelbarkeit des christlichen Auftrags,

die mir hilft, die Mitarbeiter mit einfachen, klaren

und authentischen Worten und Gedanken immer

wieder zu motivieren. Im besten Fall gelingt es mir,

hinter aller Professionalität die Präsenz Gottes in

der täglichen Arbeit spürbar zu machen. Dafür be-

darf es keiner gewählten, sondern einfach der

passenden Worte. Denn unsere Mitarbeiter haben

genauso wie die Menschen, die wir betreuen, sehr

feine Antennen für Wahrheit, Ehrlichkeit, Lauter-

keit und Authentizität. Das bringt die tägliche Prä-

senz des Abgrunds so mit sich. Wenn ich merke,

dass ich dort verstanden werde,

„wenn ich mit meinen Worten und Taten ankomme – dann wird mir bewusst, dass mir mein Glaube ganz stark hilft, meine Pflicht zu tun.„Und das gibt mir immer wieder neue Kraft.

Page 28: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

28 29

Rosemarie Wechsler / Michaela Westermair

AmselgesangEin Gespräch mit Rosemarie Wechsler und Michaela Westermair über

ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Sterbebegleitung

In früheren Zeiten waren die Sexualität und die

Geburt Themen, über die nur hinter vorgehalte-

ner Hand gesprochen wurde. Dagegen war der

Tod präsent. Heute, so scheint es, hat sich dies

umgekehrt. Ist der Tod ein Tabu?

R. Wechsler: Ich denke, es ist so. Es zeigt sich aller-

dings ein Wandel. Wenn ich mit Leuten ins Ge-

spräch komme und von meiner Arbeit erzähle, er-

lebe ich relativ oft, dass sie berichten, wie es war

als beispielsweise ihr Vater gestorben ist. Ich mer-

ke dann, es ist eine Erleichterung für sie, jeman-

den zu haben, der ihnen zuhört.

M. Westermair: Die Familienkonstellation war frü-

her anders. Es war immer jemand da; das Sterben

gehörte zum Leben. Heute haben wir kleinere Fami-

lien. Man geht weg von den Eltern, hat seine eigene

Familie, Wohnung. Man hat seinen Job, ist im Stress.

Dann werden die Eltern krank – die Arbeit kann

man deswegen nicht aufgeben – also, was macht

man? Opa und Oma kommen in ein Pflegeheim ...

R. Wechsler: Ich möchte noch zwei kleinere per-

sönliche Erlebnisse einbringen: Wir veranstalten

zweimal im Jahr Hospiz-Grundseminare, ohne groß

dafür zu werben. Es kommen immer so 18 bis 20

Teilnehmer. Das Interesse, die Bereitschaft, im

Hospizbereich mitzuarbeiten, ist da. Beim letzten

Seminar, im Februar, ging es auch um die Frage:

Tabu Tod. Abends komme ich müde heim und

schalte noch den Fernseher an, sehe dort in einer

Talk-Show zwei junge Schauspieler vom Tod ihrer

Großeltern erzählen. Und erst neulich hatte ein

Beerdigungsinstitut vor Ort „Tag der offenen Tür“.

Wir waren auch mit unserem Stand da. Den gan-

zen Tag herrschte Betrieb. Ein wenig Umdenken

ist im Gange.

Frau Westermair, wie kamen Sie

zur Hospizbewegung?

M. Westermair: Mein Schwiegervater erkrankte an

Leberkrebs, er hatte nur noch ein Vierteljahr zu

leben. Ich sagte zu meiner Schwiegermutter: Ich

kann dir helfen, aber es geht nur zusammen, wenn

wir ihn zu Hause pflegen wollen. Ich hatte zu der

Zeit 3 Jobs und die Familie zu versorgen. Ich habe

dann 2 Jobs gekündigt, um mich um meinen Schwie-

gervater kümmern zu können.

Nach seinem Tod habe ich eine Anzeige für das

Hospiz-Grundseminar gesehen. Ich wollte wissen:

habe ich alles richtig gemacht, hätte ich was bes-

ser machen sollen. Auch für die Zukunft. So bin ich

in den Hospiz-Vorbereitungskurs bei Frau Wechsler

gekommen und bin jetzt das dritte Jahr als ehren-

amtliche Helferin dabei. Früher, als meine Jungs

noch kleiner waren, war ich im Sportverein tätig.

Ich habe so ein schönes Leben, habe zwei gesun-

de Kinder, muss wenig arbeiten, jetzt kann ich

mich ehrenamtlich engagieren. Ich werde das auch

weiterhin tun.

Frau Wechsler, Sie sind als Geschäftsführerin

ebenfalls ehrenamtlich dabei?

R. Wechsler: Ja. Ich gehöre noch zu den letzten

Jahrgängen, die mit 60 ohne finanzielle Einbußen

in den Ruhestand gehen konnten. Ich wollte der

Gesellschaft etwas zurückgeben. Ich werde noch

gebraucht. Dazu kommt, dass ich jetzt als ehren-

amtliche Geschäftsführerin in der Hospiz meine be-

ruflichen Erfahrungen einbringen kann. Ich weiß

jedoch nicht, ob ich eine gute Hospizhelferin wäre.

Sie begleiten Sterbende in ihren letzten Tagen?

M. Westermair: Das kann man so nicht sagen. Kei-

ner von uns ist Gott und weiß, wann jemand stirbt.

Ein Beispiel: Eine alte Frau war im Krankenhaus,

ihr ging es sehr schlecht. Da sie keinen Besuch be-

kam, wurde eine Hospizhelferin gefragt. Sie ist

aber wieder gesund geworden. Soll ich jetzt zu der

alten Frau sagen: Weil‘s Ihnen jetzt besser geht,

komme ich nicht mehr?

Michaela Westermair

Ehrenamtliche Hospiz-

helferin beim Elisabeth-

Hospiz-Verein Dachau

Rosemarie Wechsler

Ehrenamtliche Geschäfts-

führerin des Elisabeth-

Hospiz-Vereins Dachau

Page 29: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

28 29

R. Wechsler: Wir versuchen schon, eine Grenze

zwischen Besuchsdienst und Hospizbegleitung zu

ziehen. Die Grenze verschwimmt allerdings gera-

de im Altenheim.

M. Westermair: Es gab auch den Fall, dass wir eine

Nachtwache im Krankenhaus machen mussten, die

Frau lag laut den Ärzten im Sterben. Doch sie lebte

dann noch siebzehn Jahre! Wer kann sagen, wann

jemand stirbt? Durch die Zuwendung, dass die Frau

wusste, es kommt jemand, hat sie wieder Lebens-

qualität gewonnen.

Was sind die Unterschiede zwischen dem

Betreuen zuhause und im Altenheim?

M. Westermair: Zuhause ist so viel zu organisieren!

Da sind die Angehörigen häufig überfordert. Man

muss sich immer fragen: Ist die Betreuung zuhause

überhaupt zu machen? Brauche ich einen Pflege-

dienst? Ein Pflegebett? Sie müssen sich um jede

Windel kümmern. Das Problem habe ich im Pflege-

heim nicht. Da ist alles da.

Um noch einmal auf die Frage zurückzukommen,

ob der Tod ein Tabuthema ist. Ignorieren wir das

Thema, bis es nicht mehr zu ignorieren ist?

M. Westermair: Wir sind eine Fun-Gesellschaft,

wir wollen leben, wir wollen uns nicht mit Tod und

Sterben beschäftigen. Das ganze Leben verändert

sich, wenn ich einen Todkranken zuhause habe. Es

gibt aber einen Wandel. Gerade Elisabeth Kübler-

Ross ... die große US-amerikanische Psychiaterin

mit Schweizer Wurzeln, die fünf Phasen des Ster-

bens – Isolierung, Zorn, Verhandeln, Depression,

Zustimmung – definierte, ... hat dazu beigetragen.

Wir müssen uns auch ändern. Wer soll denn die

Pflegeheime alle bezahlen?

Auch im Angesicht des Todes sollten die

Menschen ihre Würde behalten. Sollten

alle Menschen zuhause sterben können?

M. Westermair: Das wäre schön.

R. Wechsler: Ich sehe das ein bisschen anders. Es

müsste möglich werden, dass man überall in Wür-

de sterben kann. Im Krankenhaus, im Altenheim,

zuhause. Die meisten Leute wünschen sich, daheim

zu sterben, aber es gibt auch Situationen, wo es

einfach nicht geht.

M. Westermair: Wenn die medizinische Versorgung

aufwendig ist, Ärzte Morphium spritzen müssen,

dann geht es nicht. Manche wollen auch nicht zu-

hause sterben, um ihre Angehörigen nicht zu be-

lasten. Viele gehen in ein Hospiz.

Page 30: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

30 31

R. Wechsler: Wenn eine Familie sagt, sie möchte es

ihrem Angehörigen ermöglichen, zuhause zu ster-

ben, dann kann die Hospizbewegung sie darin be-

stärken.

Wie kommt man selbst zur Ruhe, wenn man

ständig mit diesen Themen konfrontiert wird?

R. Wechsler: Dadurch, dass ich nicht so nahe dran

bin, habe ich weniger Probleme damit, abzuschal-

ten. Ich merke aber, seit ich diese Arbeit mache,

dass ich eher den Mut finde, Leute anzusprechen,

von denen ich weiß, dass Angehörige gestorben

sind. Es tut denen gut, wenn sie davon erzählen

können. Das sind dann Gespräche, die einem

nachgehen.

M. Westermair: Da ist zum einen der Rückhalt in

meiner eigenen Familie. Dazu mache ich ja noch

eine Mittagsbetreuung für Erst- und Zweitklässler

in der Schule. Ich möchte immer mit Kindern arbei-

ten. Das ist mein Ausgleich. Wenn ich in den Schul-

raum reingehe, ist alles andere weg. Das gibt mir

Kraft. Man bekommt aber auch von den Leuten viel

zurück. Man tut für jemanden etwas, er bedankt

sich, das gibt einem auch Kraft.

Stichwort: Verdrängung.

Braucht es jemanden von außen, der mit den

Kranken oder mit den Angehörigen direkt und

offen über den Tod spricht?

R. Wechsler: Es gibt diese groteske Situation, von

der Hospizhelfer immer wieder erzählen. Ein Ehe-

paar, der Mann ist unheilbar erkrankt. Seine Frau

sagt zum Hospizhelfer: „Sagen Sie ihm nicht, dass

er sterben muss, er wird so traurig.“ Und der Mann

sagt: „Sagen Sie bloß nichts meiner Frau!“ Man

braucht dann soviel Kraft, um voreinander Theater

zu spielen, die man vielleicht besser nützen könn-

te. Zum Beispiel für liebevolle Gespräche, in denen

das zur Sprache kommt, was man sich noch sagen

wollte.

M. Westermair: Mein Schwiegervater hat immer

gesagt: „Lass mich in Ruhe, ich will nicht darüber

reden!“

Wenn man sich wie Sie so mit dem Thema

beschäftigt, wie denkt man selbst über

seine eigene Vergänglichkeit?

M. Westermair: Wir hatten im Vorbereitungssemi-

nar die Frage: Wenn Du jetzt noch eine Stunde zu

leben hättest, was würdest Du tun? Wir sollten

diese Stunde aufschreiben. Ich saß vor dem weißen

Blatt Papier. Das war brutal, wenn man sich vorher

noch nie damit beschäftigt hat. Ich habe so geheult

in dieser Stunde. Ich konnte gar nichts aufschrei-

ben ... Weil ich nicht wusste, was soll ich in dieser

Stunde tun? Soll ich zu meiner Familie, soll ich zu

meinen Eltern, soll ich mich verabschieden, soll ich

ihnen noch erklären, wie die Geschirrspüle oder

die Waschmaschine funktioniert? Aber wenn man

sich ein paar Jahre damit beschäftigt ... Also, im

Moment habe ich überhaupt keine Angst vorm

Sterben. Es kann jederzeit passieren.

R. Wechsler: Zwar bin ich vom Lebensalter näher

dran am Tod als Frau Westermair, aber als „Schreib-

tischtäterin“, die sich vor allem um die Finanzen

kümmert, dann doch nicht. Aber ich könnte die Tä-

tigkeit natürlich nicht machen, wenn ich mich von

dem Thema abschotten würde. Ich versuche, be-

wusster zu leben. Die Zeit ist begrenzt, und was

ich machen will, muss ich jetzt machen.

M. Westermair: Im Seminar damals hast Du ge-

sagt, das weiß ich noch gut: „Ich hab mal eine Zeit

gehabt, da war ich so mit mir im Reinen, da hätte

ich sterben können. Jetzt, im Moment, würde es mir

allerdings nicht passen, wenn ich gehen müsste.

Ich habe noch so viel zu erledigen.“

Page 31: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

30 31

Die Einstellung ändert sich auch mit der Lebenssi-

tuation. Ich wollte nie sterben, als meine Kinder

noch klein waren. Keiner fragt dich: „Hallo? Hast

du jetzt Zeit?“ Alles erledigt wird man nie haben.

Vielleicht hilft uns auch die Hospiz-Arbeit, dass wir

auf den Boden zurückkommen. Zu sehen, aha, ir-

gendwann kommst du auch dahin.

Träumen Sie manchmal von den Toten?

M. Westermair: Von Fremden noch nicht, aber von

meinem Schwiegervater habe ich zweimal ge-

träumt. Das erste Mal war es eine Familienfeier, ich

hatte Geburtstag. Opa steht vor der Tür, er sieht

furchtbar aus, halb skelettiert. „Opa, ich kann

dich so nicht reinlassen!“, sagte ich. Das war ganz

schlimm. Das nächste Mal, mein Mann hatte Ge-

burtstag, habe ich wieder von ihm geträumt. Da

sah Opa super aus. Er saß bei meiner Mutter in der

Küche, hat gelacht und erzählt. Das war schön.

Jetzt hat er‘s geschafft, habe ich gedacht. Danach

habe ich nie mehr von ihm geträumt.

R. Wechsler: Ich habe nach dem Tod meiner Mutter,

mit der ich ein kompliziertes Verhältnis hatte, zwei

oder dreimal von ihr geträumt. Aber es waren sehr

versöhnliche Träume ... Es war mir aber vollkom-

men klar, es waren Träume. Es gibt ja Erfahrungen

von Angehörigen, dass Verstorbene sie besucht

haben sollen.

Wie kann man Menschen, die nicht religiös

sind, an kein Leben nach dem Tod glauben,

Trost spenden?

M. Westermair: Hier habe ich persönlich noch nicht

die Erfahrung gemacht. Begleiten kann man diese

Menschen trotzdem. Und erleichtern kann man es

sowieso niemandem. Das muss jeder mit sich selbst

ausmachen, den Weg muss ein jeder selbst gehen.

Gibt es nicht mehr Kraft, zu glauben, dass

das Leben mit dem Tod nicht zu Ende ist?

R. Wechsler: Ich weiß es nicht. Es gibt ein sehr

schönes Gedicht von Bert Brecht, da heißt es:

„Schon seit geraumer Zeit / Hatte ich keine To-

desfurcht mehr. Da ja nichts / Mir je fehlen kann,

vorausgesetzt / Ich selber fehle.“ Es ist eines sei-

ner letzten Gedichte, es endet mit dem Satz: „Jetzt

/ Gelang es mir, mich zu freuen / Alles Amselge-

sanges nach mir auch.“

Ich weiß aus Erzählungen von Hospizmitarbeitern,

dass manche Menschen auch sagen: Bitte nichts

von Gott. Doch eines kann man auf jeden Fall sa-

gen: Es wird alles gut sein. Es wird kein Kampf

mehr sein. Keine Schmerzen mehr.

M. Westermair: Wie gesagt, den Weg muss ein je-

der für sich selbst gehen. Aber wovor haben wir

eigentlich Angst?

R. Wechsler: Es gibt auch das andere, dass Men-

schen in eine religiöse Krise kommen. Ich sehe da

– immer ein bisschen spöttisch – vor allem dieje-

nigen, die den lieben Gott wie einen „Zigaretten-

automaten“ ansehen. Oben werfe ich meine Gebe-

te und meinen sonntäglichen Kirchgang rein, und

unten hat er für mich „Wohlergehen“ rauszugeben.

Diese Menschen sagen dann: Wieso kann mir un-

ser Herrgott das schicken? Ich habe doch immer

alles recht gemacht ... Auch religiöse Menschen

können in eine Krise kommen und sagen: „Warum

ich?“

M. Westermair: Es gibt da das Buch „Oskar und

die Frau in Rosa“. Ein kleiner Junge hat Krebs, die

Chemotherapie schlägt nicht an. Oskar merkt, wie

sich die Menschen um ihn herum verändern. Der

Arzt schaut ihm nicht mehr in die Augen, die Putz-

frau weint, die Krankenschwestern sind seltsam.

Jeder schleicht um ihn herum, und immer, wenn er

nachfragt, was eigentlich los sei, redet keiner mit

ihm. Das ist für Oskar das Schlimmste. Und dann

gibt es eine Betreuerin, die Frau in Rosa, die die

Kinder besucht und ihnen vorliest. Sie ist die ein-

zige, die mit ihm über das Sterben redet. Und das

hilft ihm unheimlich. Lesen Sie das Buch!

Page 32: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

32 33

Florian Preißer

Florian Preißer

Leiter Caritas-Altenheim

St. Josef, Karlsfeld

Christ sein in der AltenpflegeDie Sorge um alte, gebrechliche, verwirrte, verunsicherte und

sterbende Menschen geschieht „um Gottes willen“

In den Alten- und Pflegeheimen des Caritasverbands gehören längst nicht mehr alle Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter einer christlichen Kirche an. Auch hier hat sich die Landschaft in den letzten Jahren verändert.

Die äußeren Kennzeichen gelebten Glaubens sind nicht mehr so leicht erkennbar. Müssen wir befürchten,

dass sich das katholische Bild unserer Einrichtungen verwischt oder der Glaube gar zu kurz kommt? Um es

gleich vorweg zu nehmen: Es gibt keinen Grund, sich darüber allzu große Sorgen zu machen. Aber wie sieht

eine Bezeugung unseres Glaubens in der heutigen Zeit aus?

Waren beispielsweise die Einrichtungen in der Ver-

gangenheit oft noch durch einen hohen Anteil von

Ordensschwestern, bis in die Heimleitung, gekenn-

zeichnet, sind heute nur noch in wenigen Häusern

Ordensangehörige im pflegerischen Dienst tätig.

Mit der Zunahme der Pflegebedürftigkeit unserer

Bewohnerinnen und Bewohner ist der Bedarf an

neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stetig ge-

stiegen. Und wie überall in der Berufswelt werden

die Arbeitswege länger: Es wird immer seltener,

dass unsere Beschäftigten Gottesdienste und reli-

giöse Feiern im Altenheim selbst besuchen. Sie

sind in anderen Pfarrgemeinden zu Hause oder le-

bensweltlich verschieden engagiert.

Sich in einer jugendbetonenden Gesell-schaft dem Thema Alter und Tod zu stellen, ist für viele nicht einfach

Viele, die in den neuen Bundesländern und den

Staaten des sogenannten ehemaligen Ostblocks

aufwuchsen, wurden bei uns eingestellt. Sie hatten

durch ihre Sozialisation in der ehemaligen DDR

oder den anderen Ländern nicht leicht Kontakt zu

den christlichen Kirchen, und die wenigsten sind

getauft. Die christliche Gemeinschaft der Mitarbei-

terinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz ist nicht

mehr so homogen wie früher. Glaube manifestiert

sich aber nicht nur durch äußere Kennzeichen. Diese

erleichtern zwar die innere Haltung und können hilf-

reich für die Orientierung sein, aber es muss auch

noch etwas anderes geben, wodurch unser Glaube

in den Alten- und Pflegheimen des katholischen

Caritasverbands weiter getragen und gelebt wird.

Wenn wir heute Jugendliche nach ihren Berufswün-

schen fragen, bekommen wir selten zur Antwort,

dass sich jemand für die Altenpflege entschieden

hat. Auch diejenigen, die bewusst eine Laufbahn

in einem Sozialberuf einschlagen wollen, nennen

diesen Bereich nicht unbedingt an erster Stelle.

Zunächst bietet diese Tätigkeit weniger persönli-

che Attraktion und verfügt über kein großartiges

soziales Renommé.

Sich in einer jugendbetonenden Gesellschaft dem

Thema Alter und Tod zu stellen, ist für viele nicht

einfach. Im Umgang mit alten und gebrechlichen

Menschen wird die eigene Endlichkeit und Ver-

gänglichkeit deutlich und bewusst. Nachdem wir

heute alle Symbole des memento mori erfolgreich

aus unserem Alltag verbannt haben, wollen wir

auch nicht mehr daran erinnert werden. Vielleicht

bemühen sich die Boulevardpresse und das auf

Öffentlichkeit getrimmte und an Einschaltquoten

orientierte Fernsehen deshalb so, die negativen

Seiten dieses Berufes isoliert und überbewertet

darzustellen. Eine Unterstützung für einen Berufs-

wunsch in diese Richtung bietet dieses Verhalten

nicht. Selbsternannte Sozialexperten schlagen in

die gleiche Kerbe und verunsichern die Öffentlich-

keit und Beschäftigte.

Wer wirklich helfen will, muss in der Lage sein, für den anderen Sorge zu tragen und Liebe zu empfinden

Dieses Phänomen ist hinlänglich bekannt und soll

hier nicht beklagt werden. Vielmehr stellt sich doch

Page 33: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

32 33

die interessante Frage: Warum ergreifen trotzdem

viele junge und ältere Menschen bewusst einen

Beruf in der Altenpflege? Was motiviert die vielen

tätigen Altenpflegerinnen und Altenpfleger, sich

trotz der existierenden Vorurteile in ihrem Beruf

zu engagieren?

Viele haben ganz bewusst die Entscheidung ge-

troffen, als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter in der

Pflege, der Hauswirtschaft, Technik oder Verwal-

tung in einem Altenheim Auskommen und Erfül-

lung zu finden. Sie legen ein klares Zeugnis für

diesen Beruf entgegen dem allgemeinen Trend ab.

Für jeden, der länger in diesem Beruf bleibt, steht

irgendwann fest: Etwas motiviert ganz gehörig.

Schauen wir uns doch genauer an, was das ist: Ist

es das Helfen-Können?

Jemandem zu helfen, kann einen selbst glücklich

machen. Dieses Wissen wird gerade von populären

Lebensberatern wiederentdeckt. In Wirklichkeit ist

es viel älter, so alt wahrscheinlich wie die Mensch-

heit selbst. Helfen soll aber kein Heilmittel gegen

eigene depressive Weltschmerzstimmungen sein.

Nicht das schlechte Gewissen vor dem Elend der

Welt soll beruhigt, noch die eigene Gemütsstim-

mung durch Hilfstaten verbessert werden. Solche

hilflosen Helfer wären weniger in der Lage, dem

anderen wirklich Unterstützung zu bieten.

Wer wirklich helfen will, muss in der Lage sein, für

den anderen Sorge zu tragen und Liebe zu empfin-

den. Bereits Paulus hatte diesen Zusammenhang

im ersten Korintherbrief formuliert: „Und wenn ich

all meine Habe austeile und wenn ich meinen Leib

hingebe zum Verbrennen, doch Liebe nicht habe,

nützt es mir nichts.“ Es ist die Liebe zum Nächsten

und die ehrliche Sorge um den Anvertrauten, die

meine Hilfe erst wertvoll machen. Diese Liebesfä-

higkeit muss eng mit beruflichem Können ver-

knüpft sein. Diese Bestätigung gab auch unlängst

Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika DEUS CA-

RITAS EST: „Was nun den Dienst an den Leidenden

betrifft, so ist zunächst berufliche Kompetenz nö-

tig: Die Helfer müssen so ausgebildet sein, dass

sie das Rechte auf rechte Weise tun und dann für

die weitere Betreuung Sorge tragen können.“(s. 45)

Viele betonen, dass sie durch ihre Tätigkeit auch etwas zurückbekommen

Fragt man Altenpflegerinnen und Altenpfleger nach

dem persönlichen Grund für ihre Entscheidung und

die Bereitschaft längere Zeit in dem Beruf zu blei-

ben, konzentrieren sich die Antworten recht bald.

Da hört man keine theologischen Begründungen

oder das sich Berufen auf sittliche Gebote nach

dem Muster „Man muss doch...“. Es ist wirklich

der Wunsch, dem anderen Menschen beizustehen.

Letztendlich kann man die schwere Arbeit mit alten

und pflegebedürftigen Menschen auf Dauer nur

dann machen, wenn dieser Wunsch tief verankert

ist und über manche Hürden im Pflegealltag hin-

weghelfen kann.

Viele betonen, dass sie durch ihre Tätigkeit auch

etwas zurückbekommen. Dankbarkeit, ein Lächeln,

menschliche Reaktionen. Das stärkt den einzelnen

in seiner Arbeit. Es ist aber nicht ein eigennütziges

Handeln nach dem Schema do ut des – ich gebe,

damit mir gegeben wird. Das wäre eine berech-

nende Herangehensweise, die schnell in die Sack-

gasse führen würde. Es ist vielmehr die Bestäti-

gung der Liebe für den Nächsten. Sigmund Freud,

der Begründer der Psychoanalyse, hat es einst tref-

fend benannt, indem er die Nächstenliebe als nur

dann möglich sah, wenn man sich auch selbst lie-

ben könne.

Jemandem zu helfen, kann einen selbst glücklich machen.

Page 34: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

34 35

Nächstenliebe kann also nicht nur einseitig sein.

„Eine längerfristige Berufsaus- übung ist nur möglich, wenn die Welt als Mitwelt begriffen wird und wenn die Liebe zum Nächsten entwickelt werden kann.„Wer in egoistischer Selbstversperrung bleibt, ge-

rät sehr schnell an einen Endpunkt und kann auch

nicht mehr sinnvoll arbeiten.

Doch wo wird dabei Zeugnis für unseren Glauben

abgelegt? Wir sind bereits mitten drin.

Der bekannte Theologe Karl Rahner sagte dazu

ganz treffend:

In der Nächstenliebe steckt mehr als bloß die Liebe

zu eben diesem Nächsten. Im Nächsten wird be-

reits Gott selbst geliebt. Deutlich wird dies im be-

rühmten Jesuswort: Was ihr für einen meiner ge-

ringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir ge-

tan.“ (MT 25,40) Es ist wiederum Karl Rahner, der

in diesen Worten eine elementare Wahrheit sieht.

Zu oft hörte er diesen Satz seiner Aussage nach

als Bestandteil „frommer und erbaulicher Reden“

(ebda.). Das ist ihm aber zu wenig. Es geht ihm

nicht um eine juristische Fiktion nach dem Mecha-

nismus als – ob: wenn ich mich so und so verhalte,

dann bin ich gut. In diesem Moment begegnen wir

wirklich im anderen Menschen dem fleischgewor-

„Wir fangen nicht erst an mit Gott etwas zu

tun zu haben, wenn wir ihn rufen. ... Und

wenn ein Mensch in der Grundtat seines

Daseinsvollzugs sich liebend zu den Mit-

menschen verhält, ist diese Grundtat sei-

nes Lebens aus dem allgemeinen vergött-

lichenden Heilswillen Gottes, der auch

außerhalb der Kirche überall am Werk ist,

getragen von Gottes heiligem Geist, von

seiner Gnade und ist wenigstens unthema-

tisch und unausdrücklich, aber wirklich

auch ein Akt der Caritas, der Liebe Gottes.“

Karl Rahner: Glaube, der die Erde liebt, Freiburg 1971

denen Worte Gottes. Und der andere Mensch ist

elementar wichtig dabei. Denn wenn wir von ihm

nichts wissen, wissen wir letzten Endes nichts von

Gott.

In diesem Akt des Daseins für den Nächsten, in

meiner Entscheidung, auch professionell, dem

Nächsten zu helfen, begründe und bezeuge ich be-

reits meinen Glauben. Auch in seiner Enzyklika

DEUS CARITAS EST zitiert Papst Benedikt dieses

Jesuswort aus dem Matthäus-Evangelium. Hier ist

der Weg deutlich formuliert: „Im geringsten begeg-

nen wir Jesus selbst, und in Jesus begegnen wir

Gott.“ Das Zeugnis wird durch unsere Taten und

Werke abgelegt. Dadurch wird unsere Liebe zu Gott

lebendig.

Die Nächstenliebe und die Gottesliebe sind keine Themen für Einzelkämpfer

Schön und gut, könnte man sagen, das trifft ja auf

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Alten-

und Pflegeheimen zu. Auf Heime in christlicher

Trägerschaft genauso wie auf die in nicht-christli-

cher Leitung. Was ist denn dann spezifisch an den

Häusern des Caritasverbands? Zunächst geschieht

diese Zuwendung zum Nächsten manchmal ganz

unbewusst. Wer sich noch nicht viel mit christli-

chen Inhalten beschäftigt hat, weiß womöglich

noch nicht viel um sein Bekenntnis. Aber um Zeug-

nis ablegen zu können, muss ich diesen Vorgang

zunächst einer Bewusstwerdung unterziehen.

Es ist schon richtig, dass die Liebe zu Gott überall

da gelebt wird, wo das Prinzip der Liebe zum

Nächsten ehrlich Anwendung findet. Dies ist oft ein

individueller Akt, der vom Einzelnen gelebt wird,

aber nicht unbedingt von außen begleitet wird. In

christlichen Häusern, insbesondere, in denen des

Caritasverbands, bleibt dies nicht auf der indivi-

duellen Ebene stehen. Die Nächstenliebe und die

Gottesliebe sind keine Themen für Einzelkämpfer.

Christus gibt es nicht für mich allein. Ich kann ihm

nur zugehören „in der Gemeinschaft mit allen, die

die seinigen geworden sind oder werden wollen.“

(Deus Caritas est s. 22). In den Häusern des Ca-

ritasverbands kann ich mich in dieser Gemein-

schaft bewegen. Ich werde darin unterstützt, das

Page 35: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

34 35

christliche Menschenbild zu leben und weiterzu-

geben. Ich muss die Gemeinschaft nicht außer-

halb suchen.

Geschieht diese Begleitung, stellt sich interessan-

terweise oftmals ein Phänomen ein: Mitarbeite-

rinnen und Mitarbeiter, die wegen ihrer Herkunft

noch nicht viel mit christlichen Glaubensinhalten zu

tun hatten, oder die sich innerlich wegen schlech-

ter persönlicher Erfahrungen von der Institution

Kirche abgewendet hatten, finden durch diese Be-

wusstwerdung zu Erkenntnissen, die sie zum Glau-

ben führen oder zurückführen. Bei den Ersteren ist

es das Erlebnis, dass es zwischen ihrem Tun und

den Glaubensinhalten bereits eine klare Entspre-

chung gibt. Diese wird nun auch bewusst und

kann formuliert werden. Die Letzteren sehen eine

positive Ebene des Glaubens, auf der sie nun wie-

der Zutritt finden. Negative persönliche Erlebnisse

früherer Art, die oft auf menschlichen Enttäuschun-

gen basieren, werden relativiert.

„Die Bewusstwerdung von und der positive Zugang zum Glauben müssen erst vollzogen sein. Dann kann auch jeder, der im Bereich der Altenpflege tätig ist, Zeugnis ablegen und durch die Sinnhaftigkeit seines Tuns überzeugen.„Wer im Gespräch mit anderen sich als jemand vor-

stellt, der in der Altenpflege arbeitet, erntet oft selt-

same Reaktionen. Mir selbst ist das mehr als ein-

mal passiert. Die deutlichste Reaktion war, als mir

jemand spontan ein „Um Gottes Willen!“ entgeg-

nete. Erstaunen und Schwierigkeiten der Akzep-

tanz kamen deutlich zum Ausdruck. Die bereits ge-

nannte gesellschaftliche Abwehr war klar zu spü-

ren. Aber geben wir dem impulsiven Ausruf die

eigentliche Wortbedeutung zurück: Diese Tätigkeit,

die Sorge um alte, gebrechliche, verwirrte, verun-

sicherte und sterbende Menschen geschieht wirk-

lich „Um Gottes willen“.

Wer wirklich helfen will, muss in der Lage sein, für den anderen Sorge zu tragen und Liebe zu empfinden. Diese Liebesfähigkeit muss

eng mit beruflichem Können verknüpft sein.

Page 36: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

36 37

Susanne Pütz

Susanne Pütz

Dipl.-Sozialpädagogin (FH)

Gemeindecaritas, Dachau

Im Mittelpunkt steht das sehende Herz Wer sozial denkt und fühlt, wird vom persönlichen Beispiel gläubiger Menschen

dadurch überzeugt, dass Botschaft und Handeln übereinstimmen

In unserer Gesellschaft brauchen wir Modelle für eine Kultur des Miteinanders und Füreinanders wider die

rücksichtslose Verfolgung von Eigeninteressen und die Macht des Stärkeren. Hier bietet das Christentum

Modell und Herausforderung. Als Caritas dürfen und müssen wir deutlich machen: Wir sind Caritas der Kir-

che! Wir missionieren nicht: Unsere Aufgabe ist die tätige Nächstenliebe. Aber wenn man uns fragt, sollten

wir auch bereit sein, zu erklären, woher wir unseren Antrieb und unsere Kraft nehmen. Wir müssen zu unse-

ren kirchlichen Wurzeln stehen (auch wenn wir, wie jeder mündige Christ, unsere kritischen Anmerkungen

machen dürfen) und durch unsere „Verkündigung der Tat“ (Kurt Marti) unseren Teil zur gesellschaftlichen

Verantwortung beitragen.

Die Caritas der Pfarrgemeinde und die tätige Nächs-

tenliebe ist – historisch gesehen – die erste Säule

der Caritas, nicht der Wohlfahrtsverband oder die

professionelle soziale Arbeit. Wir dürfen aber nicht

den Fehler machen, uns in eine Entweder-Oder-

Mentalität drängen zu lassen und Professionalität

gegen Ehrenamtlichkeit auszuspielen. Die Qualität,

die die heutige soziale Arbeit in ihrer Differenziert-

heit bietet, ist nicht einfach durch Ehrenamtlichkeit

zu ersetzen. Wir brauchen beides: Die Professio-

nalität schulden wir unseren heutigen Qualitäts-

standards und tätige Nächstenliebe ist Pflichtpro-

gramm eines jeden Christen! Ich darf hier auf die

jüngste Enzyklika „Deus Caritas est“ verweisen

(29).

„Ich bin davon überzeugt, dass es in Zukunft noch in weit größerem Maße als bisher auf ehrenamtliches Engagement ankommen wird. Dabei ist wichtig, dass das Ehrenamt kein Lückenbüßer für fehlende finanzielle Mittel ist!„Das Engagement für den Anderen gehört originär

zum Christentum dazu und muss Selbstverständ-

lichkeit sein.

Meine persönliche Haltung als Christin hat sich in

meiner Jugendzeit entwickelt. Ich ging auf eine

kirchliche Schule (den Salesianern Don Boscos sei

an dieser Stelle einmal mein persönlicher Dank ge-

widmet) und verbrachte ab zirka meinem 15. Le-

bensjahr fast meine gesamte Freizeit als sogenann-

te Externe in dem dort angeschlossenen Internat

mit seinen diversen Freizeitgruppen.

„Ich bin Christ, weil ich kein besseres Programm kenne“

Geprägt hat mich dort ein Pädagoge, der als Sale-

sianer sein ganzes Leben der Arbeit mit Heran-

wachsenden gewidmet hat. Verkündigung des

Glaubens in Wort und Tat ging bei ihm Hand in

Hand. Undogmatische Gespräche über Gott und

die Welt waren an der Tagesordnung und verknüpf-

ten sich immer mit dem konkreten Handeln und

Dasein für die ihm Anvertrauten, also mit dem ge-

Page 37: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

36 37

lebten Beispiel. Seine Aussage: „Ich bin Christ, weil

ich kein besseres Programm kenne“, ist für mich

richtungsweisend geworden, und auch, wenn ich

mich mit anderen Weltanschauungen beschäftigt

habe, ist für mich das Beispiel des Evangeliums

immer das Überzeugendste geblieben.

Die Grundbotschaft auf die Frage nach gelingen-

dem Leben ist für mich im Gleichnis vom barmher-

zigen Samariter zu finden und lautet: Gott ist mir

im Nächsten nahe. Oder wie Heiner Geißler es in

seinem Buch „Was würde Jesus heute sagen“ aus-

drückt: „Die Liebe zum Nächsten hat gleichen Rang

wie die Liebe zu Gott. Die Liebe zu Gott ist ohne

Liebe zum Nächsten wertlos.

Die Liebe zum Nächsten ist ... keine Sache des Ge-

fühls. Sie bedeutet Pflicht zum Handeln für denje-

nigen, der in Not ist, auch für den Feind“ (S. 153).

Und das ist nun wirklich kein „Weichspüler-Chris-

tentum“, keine laue Sache, sondern eine immer

währende und knallharte Herausforderung im All-

tag. Dieses Christ-Sein muss sich in der ganzen

Haltung der Umwelt und dem Mitmensch gegenü-

ber ausdrücken. Dabei ist das Ganze Programm: ich

muss auf dem Weg bleiben und mir bewusst sein,

dass ich es nicht erreichen, sondern immer neu ver-

suchen muss,

liebevoll

aufmerksam

mutig

selbstkritisch

demütig und

mir selber gut zu sein.

Ich kann nicht im Straßenverkehr drängeln, rasen

und die anderen nur als Hindernis auf meinem Weg

betrachten. Ich kann nicht in der S-Bahn die ande-

ren als lästige Sitze-Beansprucher und Störer mei-

ner eigenen Ruhe betrachten. Ich kann nicht dem

Anderen – ob Nachbar, Kollege oder Klient – mein

eigenes Wertesystem überstülpen und erwarten,

dass er oder sie sich danach zu verhalten hat.

Ich muss den anderen in seiner eigenen Würde

achten und bestehen lassen.

Sich einmischen, sich nicht bequem raushalten, das ist auch eine Botschaft des Evangeliums

Das heißt nicht, dass ich alles toll finden oder be-

grüßen muss, was der andere macht. Im Gegenteil:

Sich einmischen, sich nicht bequem raushalten,

das ist auch eine Botschaft des Evangeliums. Oder

wie ein Kollege sagte: „Ich schätze den Anderen

ungemein wert, indem ich ihm einen Teil meiner

Energie schenke und mich mit ihm streite!“

Und zugleich brauche ich eine ordentliche Portion

Demut – ungerechter weise ein etwas aus der Mode

gekommenes Wort: Es kommt auf mich an, aber es

hängt nicht alles von mir ab. Gott-sei-Dank darf ich

auch Mensch sein, d.h. unvollkommen sein und

Fehler machen. Auch ich bin auf die Großzügigkeit

und das Vergeben anderer angewiesen. Und es

heißt auch: Auf meine eigenen Grenzen und Be-

dürfnisse achten dürfen und müssen. Ich kann nicht

immer und 100%ig für andere da sein, ohne in der

Selbstausbeutung zu landen! Wenn mir Kollegen

oder Ehrenamtliche sagen: „Du wirkst gestresst“,

dann weiß ich, dass ich ihnen und mir etwas schul-

dig geblieben bin.

Wenn ich Menschen berate, die ehrenamtlich ar-

beiten wollen, frage ich sie nicht nach ihrem Glau-

ben oder ihrer Kirchlichkeit, aber nach ihrer Moti-

vation, etwas für andere zu tun. Ich tue dies nicht,

um ihre korrekten Überzeugungen abzufragen, son-

dern um festzustellen, was sie selbst von ihrer Tä-

tigkeit erwarten, und wo sie gut hinpassen. Zum

Beispiel ist es für die Mitarbeit in der Nachbar-

schaftshilfe einer Pfarrei meistens besser, wenn er

oder sie mit dem dortigen „Milieu“ auch etwas an-

Page 38: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

38 39

fangen kann, einfach, weil er/sie sich sonst nicht

wohl fühlt.

Manchmal kommt bei diesen abklärenden Gesprä-

chen ein kirchlicher Hintergrund oder eine christ-

liche Motivation zur Sprache, sehr oft eine im All-

tag zwar distanzierte, aber interessierte Haltung

der Kirche gegenüber, und selten – aber immerhin

kommt es vor – eine Überraschung, dass die Cari-

tas eine Einrichtung der katholischen Kirche ist.

„Hat Ihr soziales Engagement eine christliche Motivation?“

Ich frage die Leute, die helfen wollen, auch deswe-

gen nicht explizit nach einer christlichen Haltung,

weil zunächst einmal die Tatsache des Engage-

ments – das sehende Herz – im Mittelpunkt steht.

Ich möchte hier noch einmal den bereits erwähnten

„barmherzigen Samariter“ bemühen: Er hat sich

als Einziger als wahrer Nächster erwiesen, auch

wenn er nicht als Rechtsgläubiger galt! Als ich mich

mit der Fragestellung zu diesem Artikel beschäf-

tigte, kam mir aber der Gedanke, Ehrenamtliche

und Kollegen spontan danach zu fragen, ob ihr so-

ziales Engagement eine christliche Motivation

habe. Dabei machte ich bemerkenswerte Erfahrun-

gen, auch mit mir selbst: Kannst du das die Leute

fragen? Ist das nicht zu persönlich?

„Wir tun uns heute oft schwer, über unseren Glauben zu sprechen. Zu schnell klingt vieles abgehoben oder formelhaft, wenn es nicht durch das persönliche Beispiel hinterlegt ist! Gleichwohl – die von mir Befragten haben mir alle bereitwillig Auskunft gegeben!„Die Antworten reichten von „Auf jeden Fall“ bis

„überhaupt nicht“, wobei etwas Interessantes pas-

sierte: Einige, die spontan „überhaupt nicht“ ge-

antwortet hatten, hielten beim Nachhaken kurz

inne und stellten sich plötzlich die Frage: „Oder

vielleicht doch?“ Andere stellten fest, dass sie nicht

wirklich sagen konnten, was denn nun was genau

bewirkt habe: Hat das, was mich zu der oder dem

hat werden lassen, der ich heute bin, sowohl mei-

ne christliche wie auch meine soziale Haltung be-

stimmt, oder resultiert das eine aus dem anderen?

Was ich aber festgestellt und auch bei mir selber

wiedergefunden habe, ist Folgendes:

Nicht nur, weil Menschen glauben, sind sie im So-

zialen engagiert, sondern weil sie ein soziales Be-

wusstsein haben und sich anderen liebevoll zu-

wenden können und wollen, fühlen sie sich bei der

Caritas und den Menschen, die dort arbeiten, gut

aufgehoben. Oder anders ausgedrückt: Wer sozial

denkt und fühlt, wird vom persönlichen Beispiel

gläubiger Menschen dadurch überzeugt, dass Bot-

schaft und Handeln übereinstimmen.

Auch mich selbst überzeugt am Christentum das

Programm, die „gute Botschaft“, die nicht nur ver-

kündet, sondern durch das Leben Jesu bezeugte

Wirklichkeit geworden ist.

Page 39: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

38 39

Barbara Nottebrock

Barbara Nottebrock

Sozialbetreuerin in der

Gemeinschaftsunterkunft

Emma-Ihrer-Straße

„Ich hole die Welt zu mir“Ein Gespräch mit Barbara Nottebrock, Sozialbetreuerin in der Gemeinschafts-

unterkunft Emma-Ihrer-Straße über ihre Arbeit in der Migration

Frau Nottebrock, die Vielfalt menschlicher

Schicksale, denen Sie Tag für Tag in der

Flüchtlingshilfe begegnen, erfordert sicher

ein besonderes Maß an Kraft – woher nehmen

Sie diese seit Jahren?

B. Nottebrock: Ach, da kommen mehrere Punkte

zusammen. Der erste und wichtigste ist: ich mache

diese Arbeit einfach sehr gern. Der Umgang mit

Menschen, kreativ mit ihnen zu arbeiten, das ist

mein Antrieb, mein Motor. Ich denke, eine meiner

Stärken liegt in meiner kommunikativen Begabung,

der Fähigkeit, auf Menschen so zugehen zu können,

dass sie Vertrauen fassen, sich öffnen, sich mir an-

vertrauen.

Ja, das kann ich mir vorstellen, Sie strahlen auf

Anhieb viel mütterliche Wärme und Fürsorge

aus, wenn ich das sagen darf. Aber noch mal

nachgefragt: In einer Einrichtung, in der einer-

seits so viele unterschiedliche Nationen auf-

einander prallen, andererseits aber jeder

einzelne Fall mit all‘ seinen Problemen Ihre

ganze Aufmerksamkeit erfordert – wie machen

Sie das, wie halten Sie das aus?

B. Nottebrock: Natürlich gibt es immer wieder Mo-

mente, in denen man sich sagt: Ich kann es nicht

mehr ertragen, wie es gerade läuft – vor allem,

wenn es um die Kinder geht, um Opfer von Verge-

waltigung oder anderer Gewalt – oder um Benach-

teiligungen, um den zähen Kampf mit den Behör-

den, nur um ein Kind in eine besondere Schule zu

bekommen etwa, oder auch bei Konflikten der Be-

wohner untereinander, die natürlich in einer Unter-

kunft, in der 20 bis 25 Nationen miteinander leben

und zurecht kommen müssen, nicht ausbleiben.

Da muss ich dann meinen Verstand einschalten,

muss versuchen, wieder Distanz zu bekommen,

mich schlicht und einfach „ausbremsen“ in meiner

emotionalen Anteilnahme. Da hilft dann die Profes-

sionalität, dass man sein Handwerk gelernt hat,

weiß, warum die Leute so und nicht anders reagie-

ren, dass man sich ihre „Fremdheit“ erklären kann.

Was meinen Sie in diesem Fall mit „Handwerk“?

B. Nottebrock: Professionelles Handeln. Interkul-

turelle Kompetenz, gepaart mit den entsprechen-

den Kommunikationstechniken, sind Vorausset-

zung. Das bedeutet, man entwickelt Strategien im

Umgang mit unterschiedlichen Bildungsniveaus.

Mir begegnen Menschen mit zum Teil sehr hohem

und auch sehr niedrigem Bildungsniveau, dem ent-

sprechend muss das Hilfsangebot angesetzt wer-

den. Man kann Bildung nicht einfach als persönli-

ches Versagen des Einzelnen abtun, wenn die Ur-

sache in den geschichtlichen Wurzeln seiner Hei-

mat zu suchen ist. Unterschiedlichkeit ist das The-

ma unserer Arbeit. Hier treffen viele Nationen,

Religionen, Hautfarben etc. aufeinander, und man

braucht Fachwissen über bestimmte Volksgruppen,

über deren Normen- und Wertesysteme. Das Know-

how dazu erlernt man in Fortbildungen, durch Li-

teratur, durch Erfahrungen, durch den Austausch

mit Kollegen.

Und dann gibt es ja auch noch das

Verständigungsproblem: Wie machen Sie das

eigentlich, haben Sie Dolmetscher dabei?

B. Nottebrock: Ja, teilweise arbeiten wir mit Dol-

metschern, das geht gar nicht anders. Ich selber

Page 40: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

40 41

spreche nur Englisch, aber nach jahrelanger Arbeit

mit Flüchtlingen versteht man zumindest das eine

oder andere. Oder ganz praktisch, mit Händen und

Füssen. In vielen Fällen brauche ich aber jemanden

zum Übersetzen. Oft bringen sich die Flüchtlinge

hier sogar selber sozial ein, das finde ich sehr

schön – eine Form der Völkerverständigung und

der praktizierten Selbsthilfe.

Welche Nationen und Ethnien sind denn

bei Ihnen vertreten?

B. Nottebrock: Der Schwerpunkt liegt zur Zeit im-

mer noch auf dem Irak, und da gibt es dann ver-

schiedene ethnische Gruppen mit unterschiedli-

chen religiösen Glaubensrichtungen, z.B. die schii-

tischen und sunitischen Muslime, die chaldäischen

Christen, die Jessiden. Das ist alles sehr kompli-

ziert, und die Flüchtlinge bringen viele Probleme

und Traumata aus ihrer Heimat mit. Hier stoßen

dann zwei Erwartungshaltungen aufeinander: un-

sere Erwartungen an diese Menschen aus unserer

europäischen Sozialisation heraus und die Erwar-

tungen dieser Menschen an das Aufnahmeland.

Das ist der tägliche Spagat, den wir in der Flücht-

lingsbetreuung machen müssen, um das gegen-

seitige Verstehen, ein friedliches Miteinander und

den interkulturellen Dialog hinzubekommen.

Und die Iraker sind bestimmt nicht

die einzigen...

B. Nottebrock: Nein, dazu kommen Syrer, Chinesen,

bei den Afrikanern vor allem Togolesen, Nigerianer,

Somalier, Ruander und, und, und

Das christliche Gebot der Nächstenliebe findet

gerade in der Flüchtlingshilfe seine besonders

deutliche Entsprechung: hier geht es ganz direkt

darum, den Fremden, den Anderen, anzunehmen

und aufzufangen, ihm die Zuwendung zu geben,

die er braucht. Viele kommen in traumatisiertem

Zustand bei uns an und sind entsprechend

aggressiv oder unzugänglich; ist es da nicht oft

sehr schwer, für jeden immer die gleiche Form

der Nächstenliebe aufzubringen?

B. Nottebrock: In den seltensten Fällen erzählen

die Menschen, was ihnen widerfahren ist, aber ihre

ganze Haltung legt ein beredtes Zeugnis davon ab.

Eingreifen muss ich, wenn Traumata und Existenz-

ängste sich in Gewalt in der eigenen Familie nie-

derschlagen. Es geht auch darum, ihnen ein grobes

1 mal 1 für Deutschland beizubringen, ihnen Ori-

entierung zu geben und den Umgang mit öffentli-

chen Institutionen zu erleichtern, die Funktion von

Ämtern, Schulen, Kindergärten usw. zu erklären.

Das alles ist oft schwer, und man braucht im Asyl-

bereich einen besonders langen Atem und sehr viel

Geduld, um etwas zu erreichen. Das ist das Para-

dox, denn andererseits ist ja gerade in diesem Be-

reich alles so flüchtig, so vorübergehend...

Und es ist natürlich immer eine Gratwanderung,

wie weit ich mich einlasse, um mitfühlend beglei-

ten zu können, und wo ich mich abgrenze, weil ich

mir ja nicht jedes Schicksal zu eigen machen kann.

Aber ich muss auch ganz klar sagen, dass ich mich

moralisch verpflichtet fühle, diesen Menschen zu

helfen. Ich bin mir immer bewusst, dass ich einfach

Glück hatte, auf der „richtigen Seite“ der Welt ge-

boren worden zu sein, während diese Menschen

die schlechte Karte gezogen haben.

Den Ausgleich hole ich mir durch Inanspruchnahme

der Angebote, die der Caritasverband für uns vor-

hält: regelmäßige Supervision, Besinnungstage,

Exerzitien, – das bringt mir viel und ist mir sehr

wichtig. Auch meine Kinder geben mir sehr viel

Kraft, aber auch Freunde und Kollegen. Ja, wenn ich

darüber nachdenke, sind es vor allem auch die

Kollegen, das Miteinander im Kollegenkreis, der

Austausch, das Gefühl, ernst genommen zu wer-

den. Man fühlt sich nie allein gelassen, und das ist

sehr wichtig, denn allein kann man mit dieser An-

häufung von Problemlagen quer durch alle Lebens-

bereiche nicht fertig werden.

Ja, das ist, glaube ich, ein großer Unterschied

zu anderen Bereichen, in denen die Caritas tätig

ist: in der Migration begegnet man wirklich

jeder Form von Not, die Menschen betreffen

kann, gleichzeitig.

B. Nottebrock: Tatsächlich ist das so – das reicht

von der Kinderbetreuung bis zur Sterbebegleitung.

Gerade hatte ich einen afrikanischen Mann zu be-

treuen, der schwer krebskrank war, und den ich

dann noch bis zum Tod begleitet habe – und sogar

Page 41: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

40 41

darüber hinaus, weil seine Verwandten gerne eine

Überführung in die Heimat wollten, was immer eine

ganz schwierige Sache ist. Letzten Endes wurden

Beerdigung, Trauerfeier und Leichenschmaus dann

doch hier organisiert, und es gab viele Details zu

regeln bis hin zu den landestypischen Ritualen.

Welch ein außergewöhnliches Engagement!

Ich könnte mir vorstellen, dass in manchen

Fällen schon fast so etwas wie familiäre Bin-

dung entsteht, besonders, wenn die Leute über

einen längeren Zeitraum in der Unterkunft

leben. Wovon ist die Verweildauer eigentlich

abhängig?

B. Nottebrock: In erster Linie davon, ob das Ver-

fahren zur Aufenthaltsgenehmigung abgeschlos-

sen ist oder nicht. Das kann sich u. U. jahrelang

hinziehen. Und dann auch davon, ob es überhaupt

Wohnraum gibt; und das ist in einer Stadt wie

München, in der bezahlbare Wohnungen Mangel-

ware sind, ein absoluter Glücksfall für Menschen

mit Flüchtlingshintergrund. Falls die Anerkennung

kommt und die Betreffenden dann eine Privatwoh-

nung beziehen dürfen, stoßen sie oft ganz schnell

an ihre Grenzen. Ich denke da z.B. an Heizkosten-

rechnungen, die sie finanziell nicht einkalkuliert

haben, an Gebühren für TV und Radio, an Hausauf-

gabenhilfe für ihre Kinder, die sie nun selbst orga-

nisieren müssen. Häufig finden sie dann nicht den

Weg in eine adäquate Beratung und wenden sich

wieder an uns, obwohl wir dann nicht mehr zu-

ständig sind.

Sie sagen, dass sich im Schnitt 230 Menschen in

Ihrer Unterkunft aufhalten, davon ca. 80 Kinder.

Wie schaffen Sie es, neben der Einzelberatung

und -betreuung auch noch so ein reichhaltiges

Betreuungsangebot, angefangen bei Deutsch-

kursen und Hausaufgabenbetreuung über

Kinderkonferenzen, Kunst- und Musiktherapie,

Konzertorganisation, Sprachprojekte bis hin zu

Freizeit- und Spielangeboten u.v.m. aufrecht zu

erhalten?

B. Nottebrock: Das funktioniert natürlich nur mit

einem engmaschigen Netz von Ehrenamtlichen, Zi-

vildienstleistenden und von Fall zu Fall Praktikan-

ten, die nach Möglichkeit mit einer gehörigen Por-

tion Humor ausgestattet sein sollten. Ob jemand

wirklich als Ehrenamtliche/r geeignet ist, versuche

ich in einem gemeinsamen Gespräch abzuklären.

Natürlich wird sich erst im Laufe der Zeit vor Ort

herausstellen, ob es wirklich „passt“. Und sicher

bringt jeder Sozialbetreuer seine eigene Persön-

lichkeit in Beratung und Betreuung mit ein ...

Zur Zeit arbeiten 18 ehrenamtliche Frauen und

Männer mit mir, wobei der Anteil der Frauen (11)

dominiert. „Meine Leute“ kommen aus den unter-

schiedlichsten Berufen, sind bereits in Rente oder

studieren. Manche kamen während ihrer Arbeits-

losenzeit und sind dann „hängen geblieben“. Seit

einiger Zeit habe ich auch ehrenamtliche Männer

und Frauen mit Migrationshintergrund in meinem

Team, die selbst Unterstützung durch Ehrenamtli-

che erfahren haben, und die sich jetzt, da es ihnen

besser geht, selber einbringen wollen.

Welche Aufgaben übernehmen die

Ehrenamtlichen?

B. Nottebrock: Je nach Neigung und Zeit helfen sie

den Kindern bei den Hausaufgaben, nehmen Kon-

takt zur jeweiligen Familie auf, begleiten Klienten

zu Behörden und Ärzten, sind behilflich bei der Ar-

beitsplatz- und Wohnungssuche und helfen auch

bei der Freizeit- und Festeorganisation in der Un-

terkunft.

In regelmäßigen Abständen treffen wir uns zum Ge-

dankenaustausch. Gemeinsam suchen wir nach

Lösungswegen in schwierigen Situationen, hinter-

Page 42: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

42 43

fragen auch kritisch unsere Arbeit und sind dabei

oft mittendrin in hitzigen Diskussionen über „Gott

und die Welt“.

Spielte für Sie das Christsein bei der Auswahl

Ihres Berufsfeldes eine Rolle?

B. Nottebrock: Vielleicht unbewusst. Ich bin in ei-

nem katholischen Elternhaus aufgewachsen, in

dem der sonntägliche Gottesdienstbesuch nicht

hinterfragt wurde. Genauso selbstverständlich wur-

de aber auch die deutsche Geschichte, insbeson-

dere das dritte Reich, diskutiert.

Ein großes Vorbild war meine Musik- und Grund-

schullehrerin Frau Bröker. Sie hat mir über die Lie-

be zur Musik den Zugang zum Glauben und zur

Kirche eröffnet. Angesprochen wird man ja oft auf

der emotionalen Ebene, auch wenn es eine Selbst-

verständlichkeit ist, christliche Rituale zu leben.

Frau Nottebrock, bitte erklären Sie mir zum

Schluss doch noch mal, was genau es ist,

das Sie an dieser Arbeit so sehr fasziniert.

B. Nottebrock: Ich hatte immer Träume, Träume

vom Reisen in fremde Länder vor allem, denn ich

komme ursprünglich aus einem Dorf im Münster-

land. Da habe ich meinen Fokus auf die große weite

Welt gerichtet und auf die anderen Menschen, die

dort leben. Leider konnte ich es mir nie leisten,

diese Träume in die Tat umzusetzen. Also habe ich

mir die Welt zuerst lesend erschlossen, und nun

habe ich sie sogar zu mir hergeholt, so sehe ich

das, auch wenn die Welt eigentlich zu mir kommt.

Auf jeden Fall kann ich den Brückenschlag zwi-

schen den verschiedenen Kulturen, das Bunte, die

Vielfalt, die Lebendigkeit, die Offenheit und die

Neugierde täglich neu erleben – das gibt mir gro-

ße Hoffnung und Zuversicht für unsere multikultu-

relle Zukunft.

Kontakt

Alveni

Caritas Begegnungs- und

Beratungsstelle für Flüchtlinge

Schrenkstraße 9, 80339 München

Telefon: (089) 50 07 23-76

eMail: [email protected]

Spendenkonto:

Ligabank-Bank München,

Kto. 229 77 79, BLZ 750 903 00

Stichwort: Alveni Begegnungsstelle

Page 43: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

42 43

Monika Huber

Monika Huber

Fachgruppenleitung

Fundraising

„Das Lächeln, das Du aussendest, kehrt

tausendfach zu Dir zurück“Warum sich Menschen als Sammler und Spender für die Caritas gewinnen lassen

„Menschen gewinnen“ steht als Motto über dem Spendenkonzept (Fundraisingkonzept) des Diözesan-Ca-

ritasverbands. Es gilt, Menschen zu gewinnen, die die Caritas unserer Kirche durch Worte und Taten, mit

Sachleistungen und Geldspenden unterstützen. Im Jahr 2005 sind nicht nur rund 10.000 Sammlerinnen und

Sammler ehrenamtlich für die Caritas auf die Straße gegangen, tausende Menschen in unserer Erzdiözese

haben auch ihr Herz und ihren Geldbeutel für Menschen in Not geöffnet. Allein bei der Caritassammlung

kamen so 5,5 Millionen Euro für die Caritas vor Ort zusammen. 40 Prozent der Gelder aus der Frühjahrs-

und Herbstsammlung bleiben in der Pfarrgemeinde, 60 Prozent im örtlichen Caritas-Zentrum.

Zutiefst dankbar sind wir für jeden Cent, den wir an

der Haustür, in der Sammelbüchse, durch Überwei-

sungen, Daueraufträge oder Schenkungen und Ver-

mächtnisse erhalten. Rund 10 Millionen Euro wa-

ren es im vergangen Jahr. Angesichts der Gesamt-

ausgaben von etwa 280 Millionen Euro mag dies

manchem als ein eher geringer Betrag erscheinen,

für den einzelnen Hilfebedürftigen jedoch, der

durch den Einsatz dieser Spendengelder wieder

Hoffnung schöpft und ganz konkrete Hilfe er-

fährt,

„ist jeder Cent unendlich wertvoll.„Natürlich, in unseren – internen – Augen gibt es vie-

le gute Gründe, die Caritas zu unterstützen. Doch

was bewegt Spenderinnen und Spender, gerade

uns ihr Geld anzuvertrauen? Diese Frage stellen

wir uns immer wieder. Denn nur, wenn wir erfah-

ren, was heute Menschen ermutigt oder hindert,

uns ihre Spende zu geben, können wir auch in Zu-

kunft Menschen für eine Spende gewinnen und

das Vertrauen der Spender in die Caritas bewahren.

Jede Spenderin und jeder Spender hat für seine Gabe, sei sie klein oder groß, meist ganz persönliche Beweggründe

Einige unserer Spenderinnen und Spender durfte

ich in den vergangen Jahren am Telefon oder per-

sönlich kennen lernen und konnte so Puzzleteile

Gesamt

Kirchenkollekte

6.000.000

5.000.000

4.000.000

3.000.000

2.000.000

1.000.000

0

Entwicklung der Caritassammlung 2001 - 2005 / Euro

2001 2002 2003 2004 2005 Haussammlung

Kuvertsammlung

Straßensammlung

Sonstiges (z.B. Überweisungen

direkt an den Caritasverband)

Page 44: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

44 45

für eine Antwort auf die Frage nach den Beweg-

gründen sammeln. Deshalb bin ich auch so dank-

bar für jeden Kontakt mit unseren Spendern. Lob

und positive Anregungen helfen uns in unserer Ar-

beit ebenso weiter wie Hinweise auf Fehler und Kri-

tik. Die zahlreichen Gespräche zeigen: Jede Spen-

derin und jeder Spender hat für seine Gabe, sei sie

klein oder groß, meist ganz persönliche Beweg-

gründe. Lange zurückliegende Erfahrungen aus der

Kindheit, z.B. – „auch uns wurde in der Nachkriegs-

zeit geholfen“ – oder schwere Schicksalsschläge,

die mit Gottes Hilfe bewältigt werden konnten. Er-

innerungen an verstorbene Angehörige – „auch

meine Mutter hat immer schon der Caritas gege-

ben“ – können ebenso eine Rolle spielen wie gute

Erfahrungen mit einem Dienst der Caritas – „mein

Vater wurde im Caritas-Altenheim bis zuletzt sehr

gut umsorgt“ oder das Spendensiegel des DZI, das

uns jährlich neu den sorgsamen Umgang mit un-

seren Spenden bescheinigt.

Bei allen Spenderinnen und Spendern, mit denen

ich sprechen konnte, waren trotz aller individuel-

ler Gründe zwei verbindende Elemente für ihre

Spendenbereitschaft deutlich zu spüren: Nächs-

tenliebe und Herzenswärme: „Wir haben alles, was

wir brauchen, die Kinder sind aus dem Haus, ge-

sund und versorgt, jetzt können wir auch an die

denken, denen es nicht so gut geht.“ „Ich habe im

Leben so viel Glück gehabt, da möchte ich andere

daran teilhaben lassen.“ „Das Geld meiner Erb-

tante will ich nicht verprassen, wenn Kinder in Ru-

mänien hungern.“ „Ich habe leider keine Familie,

deshalb unterstütze ich gerne Kinder und Mütter,

die Hilfe brauchen.“ Ich habe selbst nicht viel,

aber wenn etwas übrig bleibt, helfe ich gerne.“

„Nächstenliebe gehört zum Christ sein, deshalb

spende ich gerne, wenn ich etwas übrig habe.“

„Wenn ich mir etwas Besonderes leiste, wie z.B.

einen teuren Ring, dann kaufe ich dies nur, wenn

ich auch in der Lage bin, den gleichen Betrag für

arme Menschen zu spenden.“

„Allen unseren Spenderinnen und Spendern möchte ich auch an dieser Stelle ganz, ganz herzlich danken und sie ermuntern bei Anregungen, Fragen, Wünschen oder Kritik mit mir Kontakt aufzunehmen.„ Ebenso wichtig wie die Spenderinnen und Spender

ist für uns eine gute Verbindung zu den Pfarrge-

meinden und die Unterstützung durch die ehren-

amtlichen Sammlerinnen und Sammler. Was Men-

schen bewegt, sich bei Wind und Wetter mit der

Sammelbüchse auf die Straße zu wagen, oder als

Bittsteller von Haustür zu Haustür zu ziehen, er-

fahren Sie in dem anschließenden Portrait über

zwei Haussammler und in dem Interview mit den

Armen Schulschwestern.

Page 45: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

44 45

Solidarität und Identifikation durch ehrenamtliches Engagement der Sammler

Die Büchsensammlung ist eine

gute alte Caritas-Tradition, die

leider vom Aussterben bedroht

ist. Dabei steht sie für Nähe zu

den Menschen und ist ein ganz

persönliches Bekenntnis in al-

ler Öffentlichkeit zur Hilfe am

Nächsten.

Caritas-Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter, vom Vorstand über

die Abteilungsleitungen, Zen-

trumsleitungen bis hin zu den

Verwaltungskräften, werden bei

jeder Sammlung herzlich einge-

laden, „ehrenamtlich“ mit zu

sammeln.

„Es war eine echte Überwin-

dung, die Leute einfach anzu-

sprechen“, erklärte Personal-

chef Michael Schellenberger

Kontakt

Spendenbetreuung:Monika Huber Telefon: (089) 5 51 69-222

eMail: [email protected]

Caritassammlungen:Marion Müller-Ranetsberger Telefon: (089) 5 51 69-218

eMail: [email protected]

Mitgliederbetreuung:Angela PechelTelefon: (089) 5 51 69-465

eMail: [email protected]

Spendenkonto:Ligabank-Bank München, Kto. 229 77 79, BLZ 750 903 00

Jede Spende ist auch ein Zeichen des Vertrauens:

Vertrauen auf eine wirksame Hilfe für Men-

schen in Not und in einen sorgsamen und

verantwortungsbewussten Umgang mit

jedem Spendencent.

Dies bescheinigte uns auch für 2005 und

2006 wieder das Deutsche Zentralinstitut

für Soziale Fragen. Der Verwaltungskosten-

anteil betrug 2005 rd. 8 Prozent.

Neue Referentin für

das Sammlungswesen

in der Nachfolge von

Jakob Tyroller, der im

Juli 2005 in den Ruhe-

stand ging, ist Marion

Müller-Ranetsberger,

Bildmitte. von links: Dr. Ralf Orlich, Leiter der Fachabteilung, Erika Duncan, Verwaltungs-

mitarbeiterin Abt. Kommunikation und Sozialmarketing, Franz Schlund, Referent

Erziehungsberatung, Msgr. Hans Lindenberger, Michael Geiben, Referent GF

Behinderteneineinrichtungen, Marion Müller-Ranetsberger, Andreas Pfaffinger,

Geschäftsführer Behinderteneinrichtungen, Rainer Brunner, IT-Leiter, Vorstand

Wolfgang Obermair, Personalleiter Michael Schellenberger.

nach seinem ersten Büchsen-Einsatz in der Münchner City.

Caritasdirektor Msgr. Lindenberger ist dagegen schon „ein al-

ter Hase“ und sieht sein freiwilliges Engagement eher sport-

lich. „Ich gehe ein paar Meter mit und schaue den Leuten fest

in die Augen. Dann geben die meisten auch etwas“. Alle Mitar-

beiterinnen und Mitarbeiter, die bislang dabei waren, sind sich

einig: Das Geldsammeln für Menschen in Not ist eine gute Er-

fahrung, bei der man viel über sich selbst und andere lernen

kann. Und was alle noch prima und motivierend finden: das ge-

sammelte Geld kann jeder Sammelnde „seiner“ Caritas-Einrich-

tung, z.B. jeder Zentrumsleiter seinem Zentrum, gutschreiben.

Page 46: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

46 47

Mechtild Noske / Gerhard Jäger

Mechtild Noske

Langjährige Caritassammlerin

Anfangs klingelt man überall...Zunehmende Anonymität und Armut in der Großstadt erschweren

die Caritas-Haussammlungen

„Ach, Frau Noske, Sie waren doch gerade erst da“. So reagieren viele Menschen, wenn Mechtild Noske

wieder vor der Haustüre steht, bepackt mit Caritas-Prospekten, Sammellisten und Quittungsblöcken. Da-

bei ist es bereits über ein halbes Jahr her, dass die 74 jährige geklingelt und um eine kleine Spende für die

Caritas gebeten hat. Frau Noske bleibt freundlich, denn sie bekommt von denjenigen, die ihr überhaupt die

Haustüre öffnen, meistens einige Euro oder einen Geldschein. „Die Caritas sammelt zwar nur zweimal im

Jahr für Menschen in Not, aber trotzdem kommt es vielen so vor, als würden wir ständig klingeln“, sagt Frau

Noske und erklärt sich das damit, dass die Zeit, je älter man wird, so schnell vergeht, dass einem ein halbes

Jahr wie ein paar Wochen vorkommt.

Seit über 40 Jahren sammelt die ehemalige Buch-

händlerin für ihre Pfarrei St. Gertrud und die Ge-

meindecaritas im Münchner Stadtteil Harthof. Sie

hat sich bereits die silberne und die goldene Cari-

tas-Ehrennadel „ersammelt“. Aber das ist ihr nicht

wirklich wichtig. Ihr macht es zu schaffen, dass beim

Geldsammeln im Harthof-Viertel mit seiner wach-

senden Anzahl an sozial schwachen Familien die

Bedingungen zunehmend schwieriger werden. „Bei

vielen Leuten, z.B. in den Sozialwohnungen mit den

Großfamilien und ausländischen Mitbürgern, kling-

le ich gar nicht mehr, weil ich dort erfahrungsgemäß

kein Geld bekomme“. Dabei weiß Frau Noske, dass

es bei den Caritas-Sammlungen um mehr geht als

nur um Geld. Es geht auch darum, persönliche Kon-

takte zu knüpfen und Notlagen zu erkennen. Man-

ches Mal konnten die Sammlerinnen und Sammler

schon Hilfestellungen geben oder weiter an Caritas-

Beratungsstellen oder Pflegestationen im Viertel

vermitteln.

Not ist unabhängig von Religion, Klasse und Hautfarbe

Gerhard Jäger aus München-Schwabing tut es sich

mittlerweile nicht mehr an, bei Leuten zu klingeln,

wo er sich sicher ist, dass er kein Gehör findet. Er

sammelt seit 22 Jahren für die Caritas und seine

Pfarrei St. Josef. Seine Ehefrau ist noch um einiges

länger dabei. Die beiden gehen nicht gemeinsam,

ihnen sind unterschiedliche Schwabinger Straßen-

züge zugeteilt. Wie Sammlerkollegin Noske aus

Harthof geht der 71 jährige bevorzugt zu den Leu-

ten, die er seit vielen Jahren kennt und die sich

immer wieder freuen, ihn zu sehen. „In Schwabing

gibt es eine so große Fluktuation und so viele wech-

selnde Single-Haushalte, da kennt mich keiner und

da treffe ich niemanden an oder werde regelrecht

abgewiesen“, berichtet der ehemalige Bibliothekar

im Finanzministerium. „Wenn ich zu viele unfreund-

liche Menschen getroffen habe und etwas depri-

miert bin, dann schnaufe ich tief durch, gehe heim

zu meiner Frau, und wir motivieren uns gegensei-

tig, so dass wir am nächsten Tag wieder frohen

Mutes aufbrechen können.“

Gerhard Jäger

Langjähriger Caritassammler

Page 47: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

46 47

Die Jägers erleben aber auch viel Gutes. Herr Jäger

besucht bei jeder Sammlung einen älteren Herrn,

der zunächst kein Geld geben wollte mit dem Argu-

ment, er sei schließlich evangelisch. Jetzt gibt er

einen sozialen Obolus für die Caritas. Ihm hat Herr

Jäger in vielen Gesprächen klar gemacht, dass Not

unabhängig ist von Religion, Klasse und Hautfarbe.

Schließlich hilft die Caritas nicht nur Katholiken in

Not. Das müssen viele Sammlerinnen und Sammler

immer wieder betonen, wenn sie in nicht-katholi-

schen Haushalten vorsprechen.

„Wenn ich es nicht tun würde, hätte ich ein schlechtes Gewissen“

Frau Noske trifft bei ihren Hausbesuchen regelmä-

ßig auf einen Witwer, der seine Frau vermisst, und

sie kann hinhören und trösten. „Es ist ein Vorteil,

wenn man durch die Pfarrei bekannt ist, das öffnet

auch manche Türe“, darüber sind sich die beiden

ehrenamtlichen Helfer einig und auch darüber, dass

es sich in manchen Stadtteilen und auf dem Land,

wo sich die meisten Menschen persönlich kennen

und keine so große Anonymität herrscht, leichter

sammelt. So, wie am Land die meisten Gottes-

dienste besser besucht sind, gibt es in den ländli-

chen Regionen auch noch mehr freiwillige Samm-

lerinnen und Sammler als in der Großstadt.

Das bestätigt auch Mechtild Noske. „Eine junge

Frau im Harthof hat nach einer Sammlung gleich

wieder aufgehört, weil sie von den vielen Absagen

so frustriert war. Es wäre sicher gut gewesen, wenn

wir ihr vorher unsere Strategie erklärt hätten“, so

Frau Noske zu den Schwierigkeiten, heutzutage ge-

nügend Sammlernachwuchs zu finden. Auch Ger-

hard Jäger hat Verständnis für die Anlaufschwierig-

keiten bei den wenigen neuen Sammel-Kollegen.

Er gibt zu, dass er sich manchmal vor der Samm-

lungswoche regelrecht fürchtet. „Im Vorfeld kommt

es mir unüberwindbar vor, erneut loszuziehen, aber

wenn ich mitten drin bin, macht es doch wieder

viel Spaß.“

Eigentlich hätten die beiden Ruheständler im Un-

ruhestand ihr Soll an guten Taten für dieses Leben

längst erfüllt und könnten sich beruhigt wieder an-

genehmeren Tätigkeiten widmen. „Darüber habe

ich noch keine Sekunde nachgedacht“, sinniert

Sammlerin Noske. „Aber wenn ich es nicht tun

würde, hätte ich ein schlechtes Gewissen“. Gerhard

Jäger ist sich ebenfalls sicher, dass er weitermacht,

solange er gesundheitlich fit ist. „Weil ich halt mei-

ne, dass ich damit anderen immer wieder etwas

Gutes tun kann“, sagt der Caritas-Sammler in aller

Bescheidenheit.

Page 48: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

48 49

Schwester Luitborg / Schwester Ancilla

Schwester Luitborg Brandl

„Herr, wir gehen für Dich und Du musst schauen,

dass es etwas wird“Ein Interview mit den Armen Schulschwestern, die seit Jahren erfolgreich sammeln

Nicht nur bei den Haussammlungen gibt es immer weniger Ehrenamtliche, auch immer weniger Menschen

ziehen mit den traditionellen Caritas- Sammelbüchsen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen umher

und „klappern“ um Geld. Warum das so ist, darüber lässt sich lediglich spekulieren. Die einen vermuten

unsere eher egozentrierte Spaßgesellschaft dahinter, die anderen meinen, dass heutzutage für Frauen,

Männer und Kinder einfach zu wenig Freizeit bleibt, um noch ehrenamtlich tätig zu werden. Aber womög-

lich ist es vielen nur peinlich und unangenehm, fremde Leute einfach so anzusprechen und um Geld zu

„betteln“.

Die Armen Schulschwestern in der Münchner In-

nenstadt gehen mit bestimmten Strategien ans

Werk. Das Gespräch mit Schwester Ancilla und

Schwester Luitborg, beide über 70 Jahre alt, im

Klostergarten am Unteren Anger, zeigt, wie fröh-

lich, heiter und gelassen man beim Spenden sam-

meln sein kann und dabei richtig gute Ergebnisse

erzielen. Fast 7.000 Euro haben sieben Schwestern

im Frühjahr am Sammel-Wochenende zusammen-

getragen.

Wie lange sammeln Sie schon mit der Büchse

für die Caritas?

Sr. Luitborg: Seit ich in München bin, seit 23 Jah-

ren also. Früher habe ich mit meinen Schülerinnen

sehr erfolgreich gesammelt, aber seit ich nicht

mehr im aktiven Schuldienst bin, hat das leider

aufgehört.

Sr. Ancilla: Ich sammle für die Caritas, seit ich 13

Jahre alt bin. Als Schülerin, hier an der Schule bei

den Armen Schulschwestern, habe ich damit ange-

fangen.

Wie viel Zeit investieren Sie am jeweiligen

Sammelwochenende?

Sr. Luitborg: Zwei volle Tage von 9 Uhr bis 18 Uhr

durchgehend, und da schaffe ich meistens drei

volle Büchsen. Das sind im Jahr rund 3.000 Euro.

Sr. Ancilla: Pro Tag etwa 5 bis 6 Stunden. Mehr

schaffe ich leider nicht mehr, und vor allem habe

ich seit einiger Zeit keine Kraft mehr, die volle

Sammelbüchse so lange zu halten.

Gibt es eine bestimmte Strategie,

mit der Sie sammeln?

Sr. Luitborg: Ich versuche mit meiner Büchse die

guten Seiten in jedem hervorzulocken. Die Büchse

als Einladung, zweimal im Jahr etwas Gutes zu tun.

Die beiden Tage sind für mich heilige Zeiten, wo ich

die Chance sehe, unmittelbar etwas für die Armen

tun zu können. Ich habe ja kein persönliches Geld

und kann nichts spenden, nur durch die Sammlun-

gen kann ich mit einem so hohen Geldbetrag hel-

fen. Da freue ich mich unendlich und kann sagen,

das habe ich jetzt gespendet. Und außerdem ist es

ja unser Grundauftrag und gehört zur Spiritualität

der Armen Schulschwestern. Ob materiell, geistig

oder seelisch arm, wir leben für die Armen. In mein

Frühgebet schließe ich alle ein, egal, ob sie mir

was geben oder nicht. Am Abend danke ich für alle

Begegnungen.

Sr. Ancilla: Zu Beginn muss ich mich erst mal über-

winden und einfinden in die Situation. Ich bin vom

Typ her eher zurückhaltend und stehe erst mal ein-

fach da und sage immer nur einen Satz: Bitte für die

Caritas. Ich spreche ununterbrochen, bis jemand

stehen bleibt. Dann schaue ich den Menschen

freundlich in die Augen und bedanke mich herz-

lich für eine Spende. Blickkontakt ist sehr wichtig.

Schwester Ancilla Huber

Page 49: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

48 49

Foto (von links nach rechts):

Sr. Luitborg Brandl, Sr. Ancilla Huber, Sr. Dietburg Frey, Sr. Alice Karas, Sr. Rosina Meyer, Sr. Theresia Neudecker u. Sr. Lioba Meyrl

Außerdem sage ich jeden Morgen zu Gott: Wir ge-

hen jetzt für Dich und Du musst schauen, dass es

auch etwas wird.

Wovon hängt ein gutes Sammelergebnis ab?

Sr. Luitborg: Wenn es Negativ-Schlagzeilen im so-

zialen Bereich gibt, dann wirkt sich das extrem ne-

gativ auf die Spendenbereitschaft der Leute aus.

Ich merke aber, dass die Caritas in den letzten Jah-

ren wieder hoch im Kurs steht. Die Menschen ge-

ben gerne Geld für die Caritas. Besonders natürlich

diejenigen, die Angehörige in einer Caritas-Einrich-

tung, z.B. einem Pflegedienst, haben und damit

sehr zufrieden sind. Es muss einem auch liegen

das Sammeln, wenn man das nicht kann und sich

geniert, ist es besser, wenn man es nicht tut.

Sr. Ancilla: Ich muss sagen, dass auch das Wetter

eine entscheidende Rolle spielt. Wenn es regnet

oder sehr kalt ist, tun wir uns sehr schwer und die

Leute geben auch eher ungern. Ansonsten ist es

gut, wenn was los ist auf den Straßen und Plätzen,

aber keine Menschenmassen, da wird man dann

einfach übersehen.

Wie reagieren die meisten Menschen

auf Sie und Ihr Anliegen?

Sr. Luitborg: Ich gebe jedem Menschen einen gu-

ten Wunsch mit auf den Weg. Ich wünsche Gottes

Segen für die Kinder oder bekunde Freude am Son-

nenschein und ich habe den Eindruck, dass die

Menschen spüren, dass es mir nicht nur um die

Spende geht, sondern auch um den Spender. Mir

ist es schon passiert, dass Leute nach zehn Schrit-

ten zurückkommen, mich anstrahlen und mir noch

einen Geldschein in die Büchse stecken. Mich rüh-

ren viele Begegnungen, z.B. wenn ein altes Mut-

terl 50 Cent aus dem fast leeren Geldbeutel kramt

und mir die Münze in die Büchse wirft.

Sr. Ancilla: Viele gehen einfach vorbei, manche be-

danken sich für mein Engagement und am meisten

geben diejenigen, die gute Erfahrungen mit der

Caritas gemacht haben. Wir bekommen natürlich

auch hin und wieder Kommentare zu hören wie „ Ich

gebe kein Geld, damit der Papst sich wieder die-

ses und jenes kaufen kann“ oder „Soll doch der

Bischof mal selber sammeln gehen“.

Sammelt es sich als Ordensschwester leichter?

Sr. Luitborg: Ganz bestimmt ist das so, da herrscht

schon ein großer Vertrauensvorschuss. Ich erlebe

zunehmend positive Dinge. Die Menschen haben

Hunger nach Gesprächen. Manche Pfarrer sind in

ihrer Zeit sehr eingeschränkt, und wo findet man

sonst einen vertrauenswürdigen Ansprechpartner?

Sr. Ancilla: Viele sagen, dass sie an einer Ordens-

schwester nicht einfach so vorbeigehen können.

Ich habe auch den Eindruck, es herrscht mehr Ver-

trauen, dass das Geld wirklich da hinkommt, wo

es hin soll. Und Vertrauen ist beim Spendengeben

und beim Spendensammeln eine gute Sache.

Page 50: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

50 51

Michael Tauchert

Michael Tauchert

Fachreferent für Soziale

Arbeit und Projektleiter

Schwerpunktgruppe

„Ehrenamtliches/Frei-

williges Engagement“

Auf geht‘sÜber die Situation ehrenamtlichen/freiwilligen Engagements

im Diözesan-Caritasverband

Auf Beschluss des Vorstands wurde Anfang des Jahres 2006 eine Projektgruppe gebildet, die den Auftrag

erhielt, zum Thema „Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement im Diözesan-Caritasverband“ einerseits

eine Bestandsaufnahme der in der Vergangenheit gewachsenen Strukturen zu erarbeiten, zum anderen

aber auch ein Basiskonzept, das die unterschiedlichen und vielfältigen Aktivitäten bündelt und so mitein-

ander vernetzt, dass daraus tragfähige Visionen und Positionen für die Zukunft entwickelt werden können.

In einer Gesellschaft, die zunehmend darauf an-

gewiesen ist, dass ihre Bürgerinnen und Bürger

selber tatkräftig daran mitwirken, das soziale Ge-

füge aufrecht zu erhalten, das für ein menschen-

würdiges Miteinander notwendig ist, kommt es

insbesondere für einen Wohlfahrtsverband wie die

Caritas darauf an, seine traditionell gewachsenen

Strukturen in diesem Bereich zukunftsfähig zu ma-

chen (Lesen Sie dazu die Beiträge von W. Obermair,

J. Unterländer u. Dr. H. Kronawitter in diesem Heft).

Gerade beim ehrenamtlichen und freiwilligen En-

gagement hat sich in den vergangenen Jahren viel

bewegt und verändert.

„Nicht nur, dass die Politik die Bedeu- tung bürgerschaftlichen Engagements entdeckt hat, sondern auch das Wer und Wie hat neue Gesichter bekommen.„

Waren vor Jahren Formen von Ehrenamt speziell in

den Pfarrgemeinden und in Nachbarschaftshilfen

das Haupteinsatzgebiet von – in der Regel – Men-

schen, die sich nach ihrem Berufsleben oder neben

ihrer Familienarbeit dauerhaft sozialen Aufgaben

widmen wollten, so hat sich das Bild mittlerweile

dahingehend gewandelt, dass heute mehr und

mehr zeitbegrenzte Formen des Engagements ge-

wählt werden, die sich auf spezielle Aufgaben oder

Projekte beziehen.

Die Menschen wollen einen Sinn dessen erleben, was sie tun

Auch eine „Verjüngung“ des Ehrenamts ist zu be-

obachten: zunehmend engagieren sich Menschen

sozial, die noch im Berufsleben stehen, weil es ih-

nen nicht mehr genügt, „nur“ ihren Beruf auszuü-

ben und Geld zu verdienen. Sie wollen mehr: einen

Sinn dessen erleben, was sie tun, und hautnah

spüren, dass es etwas nutzt, wenn sie anderen

helfen, denen es nicht gut geht, weil sie alt, krank,

verarmt oder sonst wie in Not sind ((Lesen Sie dazu

die Berichte von H. Hopmann auf Seite 56 und von

J. Malina auf Seite 59).

Damit einher geht natürlich, dass Kapazität und

Ressourcen, die investiert werden können, über-

schaubar – also genau geplant und strukturiert –

sein müssen. Der Caritasverband der Erzdiözese hat

dem 2002 Rechnung getragen, als er im Geschäfts-

bereich Stadt und Landkreis München das so ge-

nannte f-net installierte, ein Netzwerk von und für

freiwillig Engagierte, in dem Koordination und Ver-

mittlung von Freiwilligen durch Hauptamtliche in

Einsatzorte und Aufgaben eine Hauptrolle spielt.

Dies geschieht konkret in den „Freiwilligenzentren“,

von denen es fünf im Einzugsgebiet München und

darüber hinaus zwei im Geschäftsbereich der Cari-

tas-Zentren Region Süd (Garmisch-Partenkirchen u.

Oberammergau) gibt (Auf S. 54 finden Sie den Bei-

trag v. R. Knüpfer, die das FWZ „Auf geht‘s“ leitet).

Die Palette der angebotenen Möglichkeiten, sich zu

engagieren und mit zu helfen, begeistert auch im-

mer mehr junge Menschen wie Monika Mayer, die

in diesem Heft auf S. 68 davon erzählt, wie sie dazu

kam, im Rahmen des „Generationsübergreifenden

Freiwilligendienst“, den der Bund der Katholischen

Jugend und Caritas gemeinsam 2003 ins Leben

riefen, mit behinderten Menschen zu arbeiten.

Page 51: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

50 51

Daneben gibt es nach wie vor auch weiterhin das

große Engagement von Ehrenamtlichen in den Pfar-

reien, mit denen die Caritas eng im Bereich der Ge-

meindecaritas zusammenarbeitet. Nicht zuletzt soll

hierbei die Kooperation mit den Arbeitsgemein-

schaften für Caritas und Soziales betont werden.

Ohne Ehrenamtliche und Freiwillige wären viele soziale Angebote nicht zu realisieren

Nun kommt es darauf an, einerseits eine gute und

funktionierende Kooperation zwischen all‘ den ver-

schiedenen Gruppierungen und Gremien, die in-

nerhalb des gesamten Verbandes existieren, hinzu-

bekommen. Andererseits muss das Band zwischen

hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterin-

nen und Mitarbeitern immer noch enger miteinan-

der verknüpft werden. Denn ohne ehrenamtliches

Engagement ließen sich viele der sozialen Ange-

bote und Aufgaben gar nicht aufrecht erhalten.

Die Bedeutung und der Wert ehrenamtlichen und

freiwilligen Einsatzes als Basis und Unterbau jeg-

licher Aktivität im Diözesan-Caritasverband zeigt

sich, wenn man einmal die Bereiche, in denen die

Helferinnen und Helfer unterwegs sind, genauer

Vergleich Engagierte in den Caritas-Zentren

durchleuchtet. Eine der ersten Aufgaben, der sich

die Projektgruppe daher zu Beginn ihrer Arbeit un-

terzog, war die Erhebung der entsprechenden Da-

ten, Zahlen und Fakten. Inzwischen liegt das Ergeb-

nis dieser Befragungsaktion quer durch die Ge-

schäftsbereiche vor und fördert aufschlussreiche

Erkenntnisse zu Tage, auch wenn die auf einer Ein-

schätzung beruhende Umfrage keinen Anspruch

auf Vollständigkeit erhebt, sondern in erster Linie

Tendenzen beschreibt.

„Beeindruckend ist allein schon die Zahl der mit 3.679 Personen insgesamt ehrenamtlich Aktiven.„

Unbeantwortet bleibt dabei aber zunächst zum

Beispiel die Frage, wie viel Zeitkapazität hinter

dieser Kopfzahl und der Anzahl der insgesamt 417

Aktivitäten steckt. Oder auch, wie viel Schulung

und Qualifizierung der Ehrenamtlichen durch Haupt-

amtliche notwendig war und ist u.v.m.. In einem

nächsten Schritt müssen deshalb diese Ergebnisse

einer genaueren Analyse unterzogen werden, da-

mit daraus richtungsweisende Schlussfolgerun-

gen für eine Zukunftsstrategie des Diözesan-Cari-

tasverbands auf diesem Sektor abgeleitet werden

können.

Anzahl ehrenamtlich/freiwillig Tätiger nach Arbeitsfeldern

Page 52: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

52 53

Astrid Benda

„Wir wollen junge Familien unterstützen!“Ehrenamtliches Engagement in der Kinder- und Jugendhilfe und

Engagementförderung im Landkreis Pfaffenhofen

Im gesamten Landkreis Pfaffenhofen entstanden im Rahmen der Gemeindecaritas des Caritas-Zentrums in

den letzten 20 Jahren viele verschiedene ehrenamtliche Angebote für Kinder und ihre Eltern. Die meisten

Aktivitäten haben ihren Anfang innerhalb einer der 19 Nachbarschaftshilfen. Gegenseitige Kinderbetreu-

ung und die Vernetzung innerhalb des Ortes führten zu einem Netz von Babysittern, regelmäßigen Betreu-

ungsangeboten für Kinder unter 3 Jahren in der Gruppe (Kinderpark), Notmüttern und Leihomas. Dabei

wurde auch der Wunsch nach gemeinsamen Treffen, zusammen mit den Kindern laut. Daraus entstanden

zahlreiche Mutter-Kind-Gruppen (inzwischen 106 Gruppen im Landkreis) und einzelne Still- und Frauen-

gruppen.

In den Mutter-Kind-Gruppen können junge Mütter

Erfahrungen und Informationen austauschen und

sich bei Unsicherheit und Einsamkeit gegenseitig

stützen. Nicht nur Kinder können erste Kontakte

schließen, sondern auch neu zugezogene Eltern:

Mamas, die vorher ganztags gearbeitet haben zum

Beispiel und niemanden Gleichgesinnten kennen.

Noch viel wichtiger für die Mamas ist jedoch der

rege Austausch, die Weitergabe von Erfahrungen

und Ratschlägen, Tipps zur Erziehung und zu den

Dingen des täglichen Lebens. Es wird sich gegen-

seitig geholfen, unbürokratisch, selbstverständlich

und doch wertvoll und hilfreich – von Mama zu

Mama, von Frau zu Frau.

Das hilft nicht nur Neuzugezogenen dabei, sich

einzugewöhnen und heimisch zu werden, sondern

allen Frauen, sich in der neuen Rolle als Mama zu-

rechtzufinden. Sie werden in ihren Fähigkeiten ge-

stärkt und geschult, indem sie sich z.B. in einer

Leitungsfunktion versuchen. Deshalb bieten wir

kostenlose Fortbildungen an, um die Position der

Leitungen zu stärken und zu qualifizieren. Es gibt

pädagogische Schulungen und Erziehungsthemen,

aber auch viele Anleitungen, wie die Stunde in ei-

ner Mutter-Kind-Gruppe gestaltet werden kann. Je

nach Wünschen und Bedürfnissen der Leiterinnen

wird das Fortbildungsprogramm gestaltet.

Die Vielfalt der Angebote wird ergänzt um das Netz für die Kindernotfallbetreuung

In Wolnzach und Pfaffenhofen konnten inzwischen

Mütter-Zentren eingerichtet werden, da es eine

große Anzahl an Mutter-Kind-Gruppen gibt und ein

tägliches Angebot der Kleinkinderbetreuung. Das

inhaltliche Gesamtangebot ist ähnlich dem Ange-

bot der einzelnen Gruppen in den anderen Nach-

barschaftshilfen; auf Grund der Größe wurde aber

eine andere Struktur geschaffen. Zudem gibt es

übergreifende Angebote: ganz aktuell z.B. eine

Selbsthilfegruppe für Mamas mit behinderten

Kleinkindern oder das Spielangebot „Wir reisen um

die Welt“ für 6 - 10 jährige Kinder. Auch Frauen-

gruppen oder – in den Jahren zuvor – eine Art Feri-

enprogramm für junge Eltern mit ihren Kindern,

eine Stillgruppe, einen offenen Familientreff.

Unterstützend zu den Gruppen wird versucht, das

Netz für die Kindernotfallbetreuung weiterhin auf-

Astrid Benda

Dipl.-Sozialpädagogin (FH)

Gemeindeorientierte Soziale

Arbeit und Zentrum für Ehren-

amtliche im Caritas-Zentrum

Pfaffenhofen

Page 53: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

52 53

recht zu halten. So kann durch die Vernetzung mit

der Tagesmuttervermittlung oft schnell und unbüro-

kratisch geholfen werden. Viele der Tagespflegeper-

sonen sind bereit, in Notsituationen ehrenamtlich

einzuspringen, z. B. in überlasteten Familien, da-

mit sich die Situation stabilisiert, oder im Falle von

Krankheit und/oder Kuraufenthalten der Mutter.

In 10 Nachbarschaftshilfen gibt es in den Ferien-

zeiten verschiedene Angebote für Kinder aller Al-

tersklassen: „Boarisch tanzn“, Spiele aus Groß-

mutters Zeiten, Pfeiferl schnitzen, italienischer

Nachmittag, Ausflüge, Spiele mit dem Schwung-

tuch, Kasperltheater und vieles, vieles mehr.

Möglichkeiten, sich zu engagieren, gibt es mehr als genug

Nicht alle Menschen möchten sich einer Gruppe

bzw. einer Nachbarschaftshilfe anschließen. Trotz-

dem möchten sie sich ehrenamtlich engagieren

und kommen im Caritas-Zentrum vorbei, um sich

über ein mögliches Einsatzfeld zu informieren. Mit

Unterstützung einer Sozialpädagogin wird dann

versucht, einen geeigneten Einsatzort innerhalb

der großen Palette der Möglichkeiten zu finden:

Ein größeres Projekt, das für Grundschul-

kinder entstanden ist, ist. z. B. „Wir reisen

um die Welt“, bei dem zwei ehrenamtliche

Frauen ein Konzept für zwei mal vier Nach-

mittage erarbeitet haben, in dem sie mit den

Kindern die verschiedenen Kontinente er-

forscht haben. Eine Fortsetzung des Angebots

ist geplant mit dem Thema „Blaue Reiter und

schiefe Gesichter.“

Bei einer Ausstellung zum Thema „Alleiner-

ziehenden-Leben ist vielseitig“ wurde eine

Lesung für Kinder zum Thema angeboten.

Vorgestellt wurde das Buch „Wir teilen alles!“

Eine Musik-Mutter-Kind-Gruppe für Kinder

unter drei Jahren wurde initiiert.

Einzelbegleitung für Hausaufgabennachhilfe

Gemeinsames Lernen auf den Führerschein

Zusammen mit einer Praktikantin wurde 2004

ein Projekt für Aussiedlerkinder „Spielen und

Deutsch lernen“ eingeführt. Es wurde 2005

wieder aufgegriffen und mit Unterstützung

einer Ehrenamtlichen weitergeführt.

Frauen und Kinder des Aussiedlerheimes

wurden in die Vorbereitung des Eine-Welt-

Für-Alle-Marktes mit einbezogen. Für den

Markt konnte zudem ein ehrenamtliches

Kinderprogramm angeboten werden, mit

Schminken und Basteln von Gebetsfahnen.

Im Rahmen von Multiplikatorenarbeit haben in Zu-

sammenarbeit mit dem Zentrum für Ehrenamtliche

und den einzelnen Fachdiensten Fortbildungen für

Kinderpark-Mitarbeiterinnen stattgefunden:

„Mit Farben durch das Jahr“

„Phantasievolles Sinnerleben“

„Wir sind zwei Musikanten“

sowie Fortbildungen für Mutter-Kind-Gruppenlei-

terinnen und vierteljährliche Treffen der Mutter-

Kind-Gruppenleiterinnen im Familienzentrum:

„Zehn kleine Zappelmänner, Spielideen

für unsere Kleinsten“

„Was braucht mein Kind in den verschie-

denen Entwicklungsphasen“

„Kinderbücher selbst gemacht“

„Samstag für unsere Mutter-Kind-

Gruppenleiterinnen“

Page 54: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

54 55

Renate Knüpffer

Renate Knüpffer

Mitarbeiterin des

Freiwilligen-Zentrums

„Auf gehts!“ der Arbeits-

gemeinschaft Lebenslust,

Garmisch-Partenkirchen

„Im Prinzip ist meine Arbeit ein Enzym“ Viele Freiwillige suchen neuen Sinn im Leben und neue Heimat

in einer Gemeinschaft

Wenn ich sehe, wie andere Menschen Nächstenliebe nicht nur empfinden oder artikulieren, sondern un-

mittelbar leben, dann ist das für mich ein Quell der Freude und der Kraft. Und Ansporn, weiter zu machen.

Denn mein eigenes soziales Engagement besteht letztlich darin, anderen zu helfen, sich sozial zu engagie-

ren. Im Prinzip ist meine Arbeit ein Enzym, das den guten Willen vieler Menschen zu sozialem Handeln ge-

lingen lässt. Aber weil ich weiß, dass ich dadurch zwar indirekt, aber nicht weniger konkret wirksam werde,

fühle ich mich auch immer denen nah, die Hilfe brauchen – und durch unsere Freiwilligen bekommen.

Zwar ist die Gegend von Garmisch-Partenkirchen

ein eher ländlicher Raum, aber für überraschend

viele Menschen ist es gar nicht die angestammte,

sondern eher eine zweite Heimat. Denn unsere Re-

gion gilt ja deutschlandweit als einer der begehr-

testen Altersruhesitze. Das hat Auswirkungen bis

hin in den Bereich der ehrenamtlichen Arbeit: Wir

haben nicht wenige Freiwillige, die im vorgerückten

Alter, oft nach dem Tod des Partners oder der Part-

nerin, zu unserem Freiwilligen-Zentrum stoßen. Sie

suchen eine Tätigkeit, bei der sie sich und ihr Kön-

nen für andere Menschen einbringen können. Und

sie suchen für sich neuen Sinn im Leben, und eine

neue Heimat in einer Gemeinschaft. Meine Aufgabe

im Freiwilligen-Zentrums „Auf geht‘s!“ ist es, Men-

schen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten,

Orientierung zu geben. Ich informiere sie, suche für

sie die passenden Stellen und unterstütze sie da-

bei, sich für das richtige Angebot zu entscheiden.

Wie befriedigend bürgerschaftliches Engagement

auch selbst sein kann, weiß ich durch eigene Kurse,

die ich ehrenamtlich in einem Altenheim anbiete.

Der christliche Auftrag spielt für uns im Freiwilligen-Zentrum eine durchaus große Rolle

Für mich ist es immer wieder eine große Freude, auf

Menschen zu treffen, die sich selbst nicht genug

Hilfe durch soziales Engagement unserer MitarbeiterInnen in den Freiwilligen-Zentren.

Page 55: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

54 55

sind. Für die soziales Engagement Ausdruck von

Nächstenliebe ist – und auch einfach von Nähe. Die

Bandbreite an Einsatzgebieten ist bei uns sehr groß,

denn unser Freiwilligen-Zentrum gehört zur Ar-

beitsgemeinschaft Lebenslust. Das ist ein Zusam-

menschluss verschiedener Träger und Organisati-

onen, wie beispielsweise der Caritas, dem Sozial-

dienst katholischer Frauen, der Diakonie und dem

Roten Kreuz, der den Bürgern über ein gemein-

schaftliches Netzwerk sich ergänzende Angebote

anbietet.

Für uns Mitarbeiterinnen im Freiwilligen-Zentrum

spielt dabei der christliche Auftrag eine durchaus

große Rolle.

„Wesentlich ist, dass Hilfe und Mitmenschlichkeit möglichst ziel- gerichtet zu den Menschen finden, die sie dringend brauchen. So geht es uns mit unserer Koordinations- arbeit auch stets um die Sache selbst. Dass wir immer wieder erleben, wie Menschen helfend zueinander finden, ist der schönste Lohn.„

Menschen haben mich schon immer interessiert.

Ich komme beruflich ursprünglich aus dem päda-

gogischen und musikpädagogischen Bereich. Viele

Jahre lang habe ich mit Kindern zusammengearbei-

tet, bis ich merkte: ich brauche eine Veränderung,

Perspektivwechsel, neue Impulse. So kam ich zur

Freiwilligenarbeit. Wenn ich mit Interessenten zu-

sammensitze, steht für mich das Zuhören an erster

Stelle. Es ist wohl auch meine Stärke, denn ich ma-

che immer wieder die Erfahrung, dass sich Men-

schen mir in hohem Maße offenbaren, zum Teil sehr

privat. Wenn es ums ganz Persönliche geht, ums

Grundsätzliche – dann kommt meist auch der Glau-

be ins Spiel.

Mein eigener Glauben schwingt mit Sicherheit stets

mit, wenn ich mit Menschen arbeite. Als Frau eines

evangelischen Pfarrers ist bei mir gelebtes Christen-

tum ohnehin sehr präsent. Und ich merke schnell,

ob im Anderen diese Schwingungen Resonanz fin-

den. Natürlich kann und will ich in meiner Arbeit

niemandem Religion aufdrängen. Aber ich signali-

siere Offenheit für den Glauben. Und möchte den

Menschen dieses wunderbare Grundgefühl vermit-

teln, dass Gott jeden einzelnen von uns trägt und

wir uns immer gut und sicher bei ihm aufgehoben

fühlen können. Was natürlich nicht bedeuten kann,

dass wir uns mit schlichtem Gottvertrauen treiben

lassen sollen. Im Gegenteil:

„Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Leben in Gott heißt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.„

In Verantwortung vor Gott, vor sich selbst und vor

seinen Mitmenschen. Was das im besten Falle

heißt, sehe ich nicht zuletzt immer wieder bei un-

seren Freiwilligen!

Page 56: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

56 57

Helmut Hopmann

Helmut Hopmann

Vorsitzender des Kuratoriums

Caritas-Zentrum Ramersdorf /

Perlach / Ottobrunn

„Du musst teamfähig sein“Ein Gespräch mit Helmut Hopmann über sein Engagement in der Caritas

Sie sind Ingenieur, ein anerkannter Spezialist

für Raumfahrtantriebe. Jetzt ist mir nicht ganz

klar, wo hier der Bezug zur Caritas liegt. Das

müssen Sie mir bitte erklären.

Als ich noch berufstätig war, hatte unser Gemeinde-

pfarrer hier in Ottobrunn schon mehrmals vergeb-

lich bei meiner Frau nachgefragt, ob ich mich nicht

engagieren wolle. Später, als ich im Ruhestand war,

standen Pfarrgemeinderatswahlen an. Da sagte ich

mir: Na, da könnte ich mich jetzt ja beteiligen. So

bin ich in den Pfarrgemeinderat gewählt worden.

Das war der kleine Finger.

Aha, ich verstehe.

Es ging weiter in den Dekanatsrat, in dessen Vor-

stand – und dann standen Wahlen für das Kurato-

rium der Caritas an. Heute bin ich Vorsitzender des

Caritas-Zentrum Ramersdorf/Perlach/Ottobrunn.

Vielleicht sollte man ein paar Worte dazu sagen,

weil es sich hier um einen Zusammenschluss han-

delt: Die Caritas war damals aufgrund von Budget-

kürzungen im Sozialwesen in Bedrängnis gekom-

men. Sie sah sich gezwungen, Effizienzmaßnahmen

zu ergreifen. Ursprünglich gab es ein Caritas-Zen-

trum in Ottobrunn und eines in Ramersdorf/Perlach.

Man musste neu strukturieren, es war eine schwie-

rige Zeit des Umbruchs.

Aber der Zusammenhang zwischen Luft-

und Raumfahrt und Budgetkürzungen im

Sozialwesen ist mir leider noch immer

nicht ganz klar ...

Ich bin zwar von Haus aus Techniker, habe aber

später als Manager in einem führenden Luft- und

Raumfahrt-Unternehmen gearbeitet. Nach dem

Krieg gab es in Deutschland und Europa eine Men-

ge Unternehmen in diesem Bereich. Zu viele. Also

musste fusioniert werden. Folglich verfügte ich, um

auf die damalige Caritas-Situation zurückzukom-

men, über gewisse unternehmerische Erfahrungen,

was strukturelle Veränderungen anbelangt.

Noch einmal nachgehakt: Auch die Caritas

muss wirtschaften. Aber die Caritas ist ja

weit mehr als ein Unternehmen. Der rein

ökonomische Aspekt war doch nicht der

einzige Berührungspunkt?

Wenn ich es von einem ganz anderen Blickwinkel

betrachte: Ich komme aus einer bürgerlichen Groß-

familie. Ich habe sieben Geschwister, einer meiner

Brüder ist Theologe. Mein Vater war Professor der

Medizin. Und wir waren ein aufgeschlossenes ka-

tholisches Haus in Köln. Meine Frau kommt von

einem großen Hof und hat acht Geschwister. Und

ist auch sozial fest verankert. Also, ich habe schon

ein christliches Leitbild vom Sozialen her. Mit vie-

len Geschwistern, und wenn die Eltern ein gutes

Vorbild sind, bleibt sozial sicher viel hängen und

es wird einem viel mitgegeben. Als ich mich vom

Beruf trennte, suchte ich eine neue Aufgabe. Für

mich lag der Pfarrgemeinderat nahe, zumal ich in

der Gemeinde nicht ganz unbekannt war. Das war

der erste Schritt. Dann kam schnell die Frage auf:

Welcher Ausschuss wird mit wem besetzt? Ich wur-

de als Dekanatsratdelegierter vorgeschlagen. Das

ist etwas Übergeordnetes, sagte ich mir, da kann

ich mich besser einbringen, als im Gemeinderat in

einem liturgischen Bereich tätig zu werden, wo ich

wenig Hintergrund habe. Dann ging es im Deka-

natsrat ganz schnell in den Vorstand und weiter

ins Kuratorium des Caritas-Zentrums.

Wir haben heute in Deutschland auf der einen

Seite eine große Zahl von Menschen, die auf

staatliche Leistungen angewiesen sind, Men-

schen, die sich mit mehreren Jobs über Wasser

zu halten versuchen. Auf der anderen Seite

ertönt der Ruf nach einer Bürgergesellschaft.

Wenn soziales Engagement gefordert wird, wen

will man damit erreichen, wen kann man damit

überhaupt erreichen?

In diesem sozialen Spannungsfeld zwischen den

Zwängen der Wirtschaft einerseits, und dem sozi-

alpolitischen Handlungsspielraum des Staates,

Page 57: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

56 57

seinen finanziellen Einengungen andererseits, gibt

es Handlungsbedarf. Das betrifft diejenigen, die

nicht ganz zufrieden gestellt werden können, in

erster Linie wirtschaftlich, aber auch innerlich. Ich

denke beispielsweise an Jugendliche, die frustriert

sind. Um dem Staat jetzt zu helfen in seiner Fürsor-

gepflicht, werden Leute gesucht, die das können.

Ein mir nahe liegendes Beispiel aus dem Hospiz-

Bereich: Hier melden sich Leute, die sich verpflich-

tet fühlen, zu helfen. Zuvor sagt aber die Hospizbe-

wegung: Du musst dich ausbilden lassen. Es kann

nicht jeder ans Krankenbett. Das ist also ein Bei-

spiel dafür, dass man zuerst einmal bestimmte

Kompetenzen haben muss. Man sollte soziale Kom-

petenzen besitzen, gefestigt sein, über Zuneigungs-

eigenschaften verfügen. Aber du solltest auch über

fachliche Kenntnisse verfügen, zum Beispiel, wie

man einen Kranken umdreht, wie man erkennt,

dass er Atemnot hat. Und du musst teamfähig sein.

Das halte ich für sehr wichtig. Einzelgänger können

wenig für die Gesellschaft in diesem Spannungs-

feld bewirken. Man kann nur etwas bewirken, wenn

man Kräfte zusammenfasst.

Ist es nicht ein Missstand, dass im sozialen

Bereich nicht nur die Ehrenamtlichen, sondern

vor allem auch diejenigen, die hauptberuflich

dort arbeiten, weder die finanzielle noch die

gesellschaftliche Anerkennung erhalten, die

sie verdienten?

Diese Ansicht würde ich teilen. Wenn ich aus eige-

ner Erfahrung die Krankenhäuser betrachte, wie

sich dort die Menschen abrackern und sich bemü-

hen, dann bin ich schon der Meinung, die haben

einen schweren Beruf. Das gilt beispielsweise auch

für Kindergärtnerinnen oder Heilerziehungspfleger.

Da habe ich schon das Gefühl, dass die Gesellschaft

diesen Dienst nicht richtig bewertet. Und damit

auch die Honorierung nicht ganz in Ordnung ist.

Insbesondere, wenn ich andere Gehälter sehe.

Hat sich der soziale Zusammenhalt eher

verschlechtert?

Ich selbst erlebe, dass es eine große Zahl an Men-

schen gibt, die sich sozial engagieren. Es gibt aber

auch gerade bei den Älteren, bei den wohlsituier-

ten Rentnern, die es ja in Massen gibt, die Tendenz

des Ichs. Wellness, Reisen, Urlaub ... Da gibt es

viele, die sich von der Bürgergesellschaft zu sehr

absentieren. Die ihr Leben leben.

Aber wer unter Umständen 40 Jahre oder gar

mehr in die Rentenkasse eingezahlt hat, darf

doch jetzt auch davon profitieren. Die nach-

folgenden Generationen werden es da schon

schwieriger haben ...

Deshalb finde ich es ja auch nicht ganz fair. Ich

meine schon, dass diese ältere Generation durch-

aus eine Verantwortung trägt, mitzuhelfen, diese

Spannungen zu überwinden.

Ja, aber wenn diese Generation einfach sagt:

„Ich habe 40 Jahre gearbeitet, ich habe meinen

Beitrag geleistet - Jetzt ist Feierabend.“ Man

kann sie ja nicht zwingen.

Nein, zwingen kann man sie nicht. Ich mache ihnen

auch keinen Vorwurf. Ich sehe nur eine gewisse

Tendenz. Was sollen die Jüngeren, die unter hohem

Stress stehen, die nur mit Ach und Krach ihre Stelle

halten können, hochflexibel sein müssen, denken,

wenn sie nur ‚Wellness, Wellness, Wellness‘ sehen?

Da mache ich mir Gedanken, dass die ältere Gene-

ration dies auch sehen sollte. Ich spreche jetzt

nicht vom Arbeiter, der 40 Jahre eingezahlt hat.

Sondern von der reichen Generation, die manch-

mal auch nur wenige Kinder oder Angehörige zu

versorgen hat, von denjenigen, die über Vermögen

und Zeit verfügen.

Page 58: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

58 59

Wenn Sie jetzt zwischen dem Arbeiter und dem

Vermögenden differenzieren, noch einmal der

Rückgriff auf die Frage: An wen richtet sich das

Ehrenamt eigentlich?

Man muss natürlich auch sagen, dass nicht jeder

den Weg zum Ehrenamt findet. Eine Handreiche,

Glück oder eine gewisse Konstellation gehören

vielleicht dazu. Nicht jeder ist beispielsweise in

einer Pfarrgemeinde. Manche sind eben nicht ein-

gebunden in die Gesellschaft, und denen kann man

auch relativ wenig Vorwürfe machen, die kennen es

einfach nicht. Die finden vielleicht nicht den Weg.

Versäumt man etwas, wenn man sich nicht

engagiert?

Durch meine Arbeit für die Caritas habe ich ge-

wonnen. In einem sozialen Netzwerk zu agieren,

das kannte ich bisher ja nicht. Man trifft dabei auch

interessante Persönlichkeiten. Und zu merken, dass

die Arbeit fruchtet, ist ein enormer Gewinn, be-

sonders, wenn auch der andere Gewinn von dieser

Arbeit hat. Das spürt man ja. Ich habe gerade einer

neu ausgebildeten Hospizgruppe die Zertifikate

übergeben. Ich habe es als einen Gewinn empfun-

den, dass diese Menschen zu diesem Verein ge-

kommen sind, sich dafür zur Verfügung stellen, und

dass ich merkte, deine Arbeit wird jetzt weiter ge-

tragen. Als ich sah, die können eigentlich besser

den Hospizdienst machen als du selbst. Ich, nein:

wir, haben sie gewonnen und festgestellt, dass

unsere Arbeit fruchtet. Das kommt den Menschen

zu Gute, die bettlägerig, die im Krankenhaus oder

zuhause mehr oder weniger alleine sind.

Sie haben den Hospizkreis hier in Ottobrunn

mit angeregt?

Ja. Im Dekanat hieß es eines Tages: Fehlt hier nicht

so was? Dann habe ich mich dahinter geklemmt

und den Hospizkreis Ottobrunn ins Leben gerufen.

Wie sieht es mit der Nachfrage aus?

Wir haben erst vor drei Jahren den aktiven Hospiz-

dienst begonnen. Zuerst haben wir ausgebildet.

Auf ehrenamtlicher Basis. Wir mussten dann auch

laut Gesetz eine Palliativ-Fachkraft einstellen. Eines

Tages hatte ich die Furcht, haben wir genug Helfer?

Der Widerhall in der Bevölkerung nahm zu. Wir ha-

ben auch Presse gemacht, Benefizveranstaltung

und so weiter, und wahrgenommen, die Bevölke-

rung nimmt das an. Wir sind in Krankenhäuser ge-

gangen und die Ärzte und Schwestern haben uns

ermutigt. Dann haben wir erneut ausgebildet. Jetzt

haben wir über 50 Hospizhelfer. Vor allem Frauen.

Die Nachfrage nach einer Begleitung ist gestiegen,

und das ist nachvollziehbar. Die Krankenkassen

möchten die unheilbaren Patienten aus den Kran-

kenhäusern möglichst nach Hause entlassen, sie

sind ‚austherapiert‘, ein schreckliches Wort. Das

Gleiche will der Gesetzgeber. Und auf der anderen

Seite ist es ja unser eigenes Ansinnen, zu Hause

sterben zu wollen. Und häufig fehlen dann die An-

gehörigen zur Betreuung. Dazu kommt die demo-

graphische Entwicklung. Das waren vor zwei Jahren

meine Überlegungen, die mich zur Einsicht brach-

ten: Die Nachfrage nach Hospizhelfern wird steigen.

Und so ist es auch eingetreten. Doch zum Glück

stimmt die Balance zwischen Angebot und Nach-

frage. Ohne die großartige Unterstützung der zahl-

reichen ehrenamtlichen Helfer überall ginge der

Zusammenhalt der Gesellschaft wohl verloren.

Wir haben jetzt über 50 Hospizhelfer.

Page 59: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

58 59

Jasmin Malina

Jasmin Malina

Freiwilligen-Zentrum

München Innenstadt,

ehrenamtlich in der

Schuldnerberatung

„Ich bin sicher, dass diese Arbeit auf mich gewartet hat“Freiwilliges Engagement in der Schuldnerberatung führt Menschen

aus der Aussichtslosigkeit heraus

Manchmal sind die einfachen Dinge gar nicht so einfach zu realisieren. Wer ehrenamtlich anderen Menschen

helfen will, muss erst einmal herausfinden, wie sein Engagement auch sinnvoll eingesetzt werden kann.

Man muss die Zeit finden, Ehrenamt und Beruf unter einen Hut zu bringen. Und man braucht auch einige

Ausdauer, um bei der Stange zu bleiben, wenn es mal weniger Spaß macht. – Aber erst die genau umge-

kehrte Sicht ergibt für mich Sinn: Oft sind gerade die kompliziert aussehenden Dinge sehr einfach zu rea-

lisieren. Wenn man nur will.

Vieles, was auf den ersten Blick nach Zufall aus-

sieht, ist in Wirklichkeit gar keiner. Zum Beispiel

die Geschichte, wie ich zu meinem ehrenamtlichen

Dienst bei der Caritas geraten bin. Ich war neu in

München und habe mich in der Touristeninforma-

tion am Marienplatz umgesehen. Und da fiel mir ein

Flyer der Caritas-Freiwilligen-Zentren in die Hände.

Ich bin sicher, dass dieser Flyer dort nur auf mich

gewartet hat. Denn

„ich hatte, als ich die Touristen- information betrat, ganz bestimmt nicht erwartet, dass sich damit mein Leben ändern würde.„

Ich hatte eine gemütliche Wohnung, eine abwech-

selungsreiche Arbeit und eine wunderbare Bezie-

hung. Aber trotzdem war ich damals – halb be-

wusst, halb unbewusst – auf der Suche. Etwas

fehlte.

Und zwar eine wirklich sinnvolle Tätigkeit, die sich

nicht nur um mich und meine Bedürfnisse drehte.

So bin ich also ins Freiwilligen-Zentrum Innenstadt

der Caritas gekommen. Dort heißt ein Schwerpunkt

MoneyPenny und bedeutet, dass sich Freiwillige –

oder auch Unternehmen – ganz gezielt im Bereich

Schuldnerberatung engagieren. Ich engagiere mich

für Menschen in Geldnot und bin Teil eines Work-

shops „Gemeinsam gegen Schulden“. Als studierte

Diplomkauffrau und Angestellte bei einem Versi-

cherungsmakler bin ich routiniert im Umgang mit

Geld. Trotzdem musste ich mich am Anfang meiner

Tätigkeit als Freiwillige erst einmal in dieses Fach-

gebiet einarbeiten.

An den Workshops nehmen Menschen teil, die aus

unterschiedlichen Gründen in finanzielle Schwie-

rigkeiten geraten sind. Über mehrere Abende hin-

weg füllen unsere Klienten gemeinsam mit uns Hel-

fern den Antrag für die Privatinsolvenz aus. Es ist

nicht einfach für die Teilnehmer, ihre finanziellen

Verhältnisse offen zu legen, zu ordnen und den um-

fassenden Antrag auszufüllen. Die Menschen müs-

sen erst einmal Vertrauen entwickeln, denn bei

dieser Arbeit erhält man Einblick in viele private An-

gelegenheiten. Ich finde es toll, dass die Menschen

den Mut und die Kraft haben, um an den Work-

shops der Caritas teilzunehmen. Es freut mich, wenn

sich Geduld und Freundlichkeit auszahlen und mit

Vertrauen belohnt werden. Und letztlich spüre ich

bei allen auch Dankbarkeit für die Hilfe. Viele tun

sich schwer, Gefühle auszudrücken. Aber ich mer-

ke, dass sie froh sind, gemeinsam mit uns diesen

Schritt aus der finanziellen Krise gegangen zu sein.

Page 60: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

60 61

Ich beschäftige mich intensiv mit dem Wichtigsten, das es gibt: mit Menschen.

Es ist immer schön, ein Danke zu hören oder Aner-

kennung zu bekommen – aber es ist nicht der Mo-

tor für meine ehrenamtliche Tätigkeit im Freiwilli-

gen-Zentrum. Anderen zu helfen gehörte schon

immer zu meinem Leben, war fester Bestandteil

meiner Erziehung. Meine Mutter hat da als prägen-

des Vorbild auf mich gewirkt. Nicht zuletzt die Tat-

sache, dass andere mir in meinem Leben in schwie-

rigen Situationen ebenfalls ganz entscheidend wei-

tergeholfen haben, motiviert mich dazu, diese Er-

fahrung an andere weiterzugeben. Wie auch mein

Anspruch, ein Leben nach christlichen Werten zu

leben. Denn der Glaube gehört für mich ganz un-

trennbar zu meinem Leben. In meiner Jugend war

ich in einer katholischen Mädchengruppe aktiv,

dann habe ich aber Glauben für viele Jahre sehr

persönlich und privat verstanden. Nicht zuletzt seit

der Wahl des neuen Papstes gewinnt jedoch auch

die Kirche für mich wieder stark an Bedeutung. Für

meine Arbeit in der Schuldnerberatung ist aller-

dings ausschlaggebend, dass ich viele positive

menschliche Erfahrungen sammle und eine Menge

über das Leben lerne.

„Ich beschäftige mich intensiv mit dem Wichtigsten, das es gibt: mit Menschen.„

Mit Menschen, die zwar in finanzieller Not sind –

mich aber ganz enorm bereichern.

Ein Workshops für Menschen in Geldnot: „Gemeinsam gegen Schulden“

Page 61: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

60 61

Walter Huber

Walter Huber

Vorsitzender des Kuratoriums

Caritas-Zentrum München-

Ost / Land

Sehen, was alles im Verborgenen passiertEin Gespräch mit Walter Huber über die Kompliziertheit unserer Welt

Papst Benedikt XVI. schreibt in seiner Enzyklika

„Caritas deus est“, dass das „karitative Tun alle

Menschen und Nöte“ umfassen kann und muss.

Im Vergleich mit anderen Regionen leben wir in

Deutschland in einer friedlichen Wohlstandsoase.

Wie kann man eigentlich über seinen eigenen

Tellerrand hinaussehen?

Erstens muss es mir ein Anliegen sein, etwas von

der Welt zu erfahren. Zweitens: Man sollte auch ein

bisschen was verändern wollen. Der nächste, ent-

scheidende Schritt ist dann, dass ich mir authen-

tische Informationen beschaffe.

Kann ich als Einzelner etwas bewirken?

Tun heißt meistens, sich mit anderen zusammen-

zutun. Allein bewirkt man in der Regel wenig. Allein

kann man im Einzelfall helfen. Aber wenn man über

den Tellerrand hinaus und weltweit schaut, muss

man sich einen Weg suchen.

Zum Beispiel?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich kann zur

Caritas gehen, zu Misereor, Brot für die Welt. Diese

Organisationen, die überwiegend mit Spenden ar-

beiten, sind mir integer genug, um ihnen mein Geld

anzuvertrauen. Aber jetzt provoziere ich: Ich fürch-

te, viele Leute kaufen sich damit von Verantwor-

tung frei. Spenden ist okay, du hast dein Scherflein

beigetragen. Dies ist nicht zu kritisieren. Mein Weg

ist jedoch, irgendwo selbst einbezogen zu sein.

Und mit meinem Geld so umzugehen, dass ich so-

ziales, ethisches Investment unterstütze.

Ethisches Investment?

Ja. Ich bin Vorstandsvorsitzender des Fördervereins

Bayern für Oikocredit. Das ist eine international

tätige Kreditgenossenschaft, die das Ziel verfolgt,

benachteiligte Menschen und kleinere Unterneh-

men in Entwicklungsländern durch eine faire Kredit-

vergabe zu fördern. Das ist jetzt ein ganz wichtiger

Satz für mich: Ich kämpfe darum, dass auch die

Kirchen ihr Vermögen ethisch sorgsam anlegen.

Einer unser letzten Erfolge war, dass die Deutsche

Bischofskonferenz Oikocredit beigetreten ist. Zwar

mit einer relativ kleinen Einlage, aber auch dies

zeigt, dass die Bischofskonferenz unsere Anliegen

unterstützt.

Im aktuellen Dokumentarfilm „We feed the

world“ spricht Jean Ziegler, der UN-Sonder-

beauftragte für das Recht auf Nahrung, davon,

dass bereits heute die Weltlandwirtschaft

12 Milliarden Menschen ernähren könnte.

Tatsache ist aber, dass weltweit mehr als 800

Millionen Menschen an Hunger leiden. Geraten

solche Aspekte hierzulande nicht allzu häufig

in Vergessenheit?

Meine Erfahrung mit meinen Mitchristen ist, dass

es sehr geteilte Lager gibt. Für manche ist es aus

ihrem Menschenbild heraus selbstverständlich,

sich mit dieser Problematik zu beschäftigen. Die

sagen, es kann mir einfach nicht gleich sein. Aber

es gibt leider auch die andere Seite: Geiz-Ist-Geil-

Mentalität, das ist das Stichwort. Obwohl die Giro-

kontenbestände so hoch wie noch nie sind, eben-

so die Sparbestände. Wir leben in einer Erbenge-

neration!

Page 62: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

62 63

Noch ein Beispiel aus dem Film: In Wien wird

jeden Tag so viel Brot weggeworfen, wie die

Stadt Graz an einem Tag verbraucht ...

Es gibt eine gewisse Gleichgültigkeit. Es kann doch

nicht sein, dass wir für eine Semmel, für ein Ei, das-

selbe ausgeben wie vor 20 Jahren. Aber viele Men-

schen möchten nicht aufgeschreckt und gestört

werden. Sie möchten es gemütlich und ruhig ha-

ben. Es ist meine feste Meinung ist, dass dieses

Hunger-Haben, dieses Hunger-Leiden noch zu we-

nige haben.

Weltweit?

Bei uns.

In Deutschland?

Ja. Zu erkennen, was es heißt, nichts zu haben. Da

gibt es nicht so viele, die das wie meine Generation

nach dem Krieg mitgemacht haben. Doch auch aus

dieser Generation sagen manche: „Jetzt haben wir‘s

endlich geschafft! Ich will mit Hunger nichts mehr

zu tun haben.“ Sie schotten sich ab, sie schauen

weg, sie lassen nichts an sich rankommen. Da muss

man dann sticheln. Mundpropaganda ist durch

nichts zu ersetzen. Zwei Ohren und einen Mund hat

der Mensch, das ist es, was ich immer sage. Zuhö-

ren, nachdenken und Mund aufmachen. Das geht

überall, im Freundeskreis, über das Herstellen von

Öffentlichkeit, über die Kirchen.

In seiner Enzyklika schreibt Papst Benedikt XVI.:

„Die unmittelbare Aufgabe, für eine gerechte

Ordnung in der Gesellschaft zu wirken, kommt

dagegen eigens den gläubigen Laien zu. Als

Staatsbürger sind sie berufen, persönlich am

öffentlichen Leben teilzunehmen.“

Das kann man nur unterschreiben.

Papst Benedikt schreibt weiter, dass Nächsten-

liebe kein von außen auferlegtes Gebot sein

sollte, sondern die Folge des Glaubens ...

Des Glaubens oder des Nachdenkens, das kann

beides sein.

Stichwort: Bürgergesellschaft. Wo sehen Sie

gesellschaftlichen Zusammenhalt denn bereits

am Wirken?

Zum Beispiel bei den vielen Bürgerinitiativen. Es

gibt natürlich auch diejenigen, die stänkern, die

gegen alles sind. Aber das Achten auf die Umwelt

und auf soziale Verhältnisse hat in der Tendenz zu-

genommen. Es gibt einen zunehmenden Anteil von

mündigen, nachdenklichen Bürgern.

Es würde sozial kälter werden, hört und liest

man überall ...

Wenn ‚soziale Kälte‘ meint, dass in Zeiten der Bör-

senorientiertheit das Wirtschaftleben härter ge-

worden ist, stimme ich dem zu. Die alte bundes-

deutsche Sozialkompetenz gibt es so heute nicht

mehr. Es kommen mehr amerikanische Praktiken

auf. Hire and fire. Das ist das eine. Ich persönlich

denke, dass wir weniger regeln sollten. Ich bin ein

Mensch, der eher liberale Ansichten hat. Weil man

über den Preis viel machen kann. Es wird aber im-

mer versucht, schon vorab sozial zu sein. Mir wäre

es lieber, man wäre manchmal weniger regelwü-

tig, aber hätte dann ein Auffangbecken für alle, die

durch das Netz gefallen sind. Und dann hilft man

denen. Aber so gibt es das Wohngeld, da eine Hilfe

und noch eine Hilfe. Tausend Gesetze! Darum ist

unsere Welt so kompliziert. Sie ist komplexer orga-

nisiert als es sein müsste. Viele meinen, Gerechtig-

keit lässt sich durch möglichst viele Regelungen

herstellen. Aber was ist mit den Menschen, die kom-

plizierte Regelwerke nicht durchschauen? Und eine

Welt, die kompliziert ist, ist sozial arm. Die Vermei-

dung sozialer Kälte durch Arbeitsbeschaffungs-

maßnahmen in der Verwaltungsbürokratie ist der

falsche Weg.

Und wenn man soziale Kälte als fehlendes

Miteinander im privaten Raum begreift ...

Sie meinen, ob die Leute egoistischer geworden

sind?

Ja.

Also, die Rücksichtslosigkeit oder Beliebigkeit ist

gewachsen. Aber sehen Sie auch, was alles im Ver-

Page 63: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

62 63

borgenen passiert! Im sozialen Bereich, in Verei-

nen, in den Gemeinden, auch bei nicht-kirchlichen

Organisationen, Nachbarschaftshilfen, Kranken-

besuchsdienste ... Die hängen das ja nicht an die

große Glocke. Wenn alles nicht passieren würde,

was passiert, wäre die Welt um vieles, vieles är-

mer. All das hat es früher so nicht gegeben. Das

soziale Engagement hat zugenommen, der Egois-

mus aber auch.

Nächstenliebe geht alle an. Wie sieht in der

Praxis der Zusammenhalt, die Zusammenarbeit

zwischen Christen und Nicht-Christen aus? Gibt

es Nicht-Christen mit der Einstellung: Mit den

Christen möchte ich nichts zu tun haben?

Möglicherweise ja. Ich sehe es aber eher umge-

kehrt: Sie möchten miteinander zu tun haben. Ein

Beispiel: Leute, die völlig abseits vom Christentum

stehen, wollen ihre Kinder in einen christlichen

Kindergarten schicken, damit sie ein Wertesystem

kennenlernen. Dort werden Lieder gesungen, auch

mit geistlichem Inhalt, da wird auch mal gebetet.

Das ist ein anderes Milieu als in einem städtischen

wertfreien Kindergarten. Da gibt es ein festes Ge-

füge.

Ein zweites Beispiel: Kinderkrippe. Das Familien-

bild hat sich gewandelt. Selbstbewusste Mütter

gehen ihrem Beruf nach. Nicht nur diejenigen, die

aus finanziellen Gründen müssen. So entsteht ein

Markt für Krippen. Hier springt – neben anderen

Organisationen auch – die Caritas ein. In diesem

Bereich unternimmt die Caritas jetzt sehr viel. Der

Staat zieht sich immer mehr zurück – Wer soll es

denn dann tun? Die Kirchen sind gefordert, und die

Kirche ist jetzt auch auf einem guten Weg, gerade

durch die Caritas. Sie kümmert sich sowohl am Le-

bensanfang, als auch am Lebensende ganzheitlich

um ein werteorientiertes System der Betreuung.

Altenheime gab es immer schon, aber nicht spezi-

fiziert auf die Ansprüche des 21. Jahrhunderts.

Dass das auch ein „Markt“ ist, schadet nicht. Denn

diese Einrichtungen werden eben auch von jeman-

dem betrieben, der zusätzlich noch Wertvorstellun-

gen vermittelt.

Page 64: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

64 65

Alexa von Blumröder

Pfarrgemeinderätin von

St. Joachim in München und

ehrenamtliche Mitarbeiterin

der Arbeitsgemeinschaft

Wohnungslosenhilfe

„Mut macht mir, dass ich mit meiner

Arbeit nie allein bin“Unser Foyer-Treff hat sich unter den Wohnungslosen

der ganzen Stadt herumgesprochen

Für mich ist Christentum im tiefsten Wesen Nächstenliebe. Und meinen Glauben zu leben heißt für mich,

ihn auch zu zeigen: Indem ich meinem Nächsten helfe – so viel wie nötig und so gut wie möglich. Denn Jesu

Worte „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ verstehe ich als

ganz konkrete Aufforderung zum Engagement. Da kann ich mich nicht drücken oder so tun, als sei ich nicht

gemeint. Es gibt sicher viele verschiedene Formen christlichen Lebens. Die meine ist es, hinauszugehen und

zu handeln.

Mein Weg zum ehrenamtlichen Engagement war

von vornherein vorgezeichnet. Das beginnt mit der

Herkunft, prägt sich durch die Erziehung und bildet

sich im Lebensweg Schritt für Schritt aus. In meiner

Familie gehört christlich motiviertes Engagement

für den Nächsten seit Generationen dazu. Und inte-

ressanterweise ebenfalls bereits seit Generationen

in durchwegs ökumenischen Beziehungen, bis hin

zu meiner eigenen Ehe. Was ich als glückliche und

bereichernde Fügung betrachte. Als ich vor über 20

Jahren in die Pfarrgemeinde St. Joachim kam, dau-

erte es nicht lange, bis die Gemeindeschwester

mich für die Caritassammlung rekrutierte – und ich

mich gerne rekrutieren ließ. Heute bin ich als Mit-

glied des Pfarrgemeinderats oft Feuerwehr für viele

unterschiedliche Projekte.

Ganz besonders am Herzen liegt mir unser monat-

licher Foyer-Treff für Wohnungslose. Als Gruppe von

etlichen Ehrenamtlichen und zwei hauptamtlichen

Alexa von Blumröder

Mitarbeitern geben wir uns immer viel Mühe, für

die Besucher ein angenehmes Erlebnis zu gestal-

ten. Gutes Essen, schön gedeckte Tische, je nach

Festen und Jahreszeiten passend. Und ich denke,

das gelingt uns immer wieder. Zumindest hat sich

der Foyer-Treff unter den Wohnungslosen der gan-

zen Stadt herumgesprochen. Zu erleben, dass sich

bei diesen Zusammenkünften Menschen wohl füh-

len, ist für mich der schönste Lohn für die Mühen.

Der Sinn ergibt sich aus der Sache selbst – und ist in sich der Lohn der Sache

Bedingt durch ihre Lebenssituation können die

meisten Wohnungslosen nur schwer aus sich her-

ausgehen und Dankbarkeit artikulieren – oft nicht

einmal empfinden. Und darauf darf es auch gar

nicht ankommen bei unserer Arbeit.

Zu wissen, dass wir bedürftigen Menschen zu Mo-

menten verhelfen, in denen sie ihr Leben mehr als

sonst genießen, das schenkt mir Freude und gibt

mir Kraft zu weiterer Arbeit. Nicht anders ist es in

der ökumenischen Nachbarschaftshilfe der Ge-

meinden St. Joachim und Passionskirche. Der Sinn

ergibt sich aus der Sache selbst – und ist in sich der

Lohn der Sache. Oder meine jährlichen, vom Mal-

teser-Orden veranstalteten Fahrten nach Lourdes:

Zu erfahren, wie der Glaube andere, leidende Men-

schen stärkt und tröstet, das ist auch für mich als

Begleiterin eine tiefe Glaubenserfahrung.

Page 65: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

64 65

Aber natürlich ist für mich auch die Bestätigung

durch die vielen Gleichgesinnten, mit denen zu-

sammen ich meine ehrenamtlichen Dienste ver-

richte, eine Quelle der Motivation.

„Die Zusammenarbeit mit dem Caritas-Zentrum Sendling, zu dem unsere Pfarrei gehört, ist enorm gut. Dort läuft alles sowohl menschlich als auch fachlich so perfekt, dass es immer eine Freude ist, mit dem Zentrum zusammenzuarbeiten.„

Das ist für uns Ehrenamtliche schon deshalb so

wertvoll, weil doch die Caritas-Zentren vielfach die

Rahmenbedingungen für unsere Arbeit definieren.

Anerkennung und Zuspruch von dieser Seite ist für

mich natürlich genauso wohltuend wie aus den Rei-

hen meiner Pfarrgemeinde. Aber letztlich muss ich

immer selbst wissen, warum ich meinen Dienst am

Nächsten verrichte. Den Sinn meines Tuns können

andere nicht stiften. Er kommt von Gott und ich

muss ihn für mich selbst immer wieder entdecken.

Mut macht mir auch die Tatsache, dass ich mit

meiner Arbeit nie allein bin. Immer wieder finden

sich bei uns in der Gemeinde, oder auch darüber

hinaus, Menschen, die sich für andere Menschen

sozial engagieren. Bedingt durch die Möglichkei-

ten, die bestimmte Lebensabschnitte eröffnen, sind

es bei uns in der Regel etwas ältere Menschen, so

wie auch ich. In der Regel können wir einfach freier

über unsere Zeit verfügen. Und dass wir im Prinzip

alle unseren christlichen Glauben teilen, stärkt und

verbindet uns umso mehr. Aber letztlich geht es mir

schon ums Grundsätzliche. Die Worte des Bamber-

ger Erzbischofs Ludwig Schick sind mir in diesem

Zusammenhang ganz besonders ans Herz gewach-

sen: „...was wir sind und sein können vor Gott: Ver-

antwortungsbewusste Menschen, die zu seiner Ehre

und zum Wohl der Allgemeinheit wirken können.“

Willkommen im Foyer – der etwas andere Obdachlosentreff

Page 66: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

66 67

Josef Eixenberger

Josef Eixenberger

Diakon im Pfarrverband

Schnaitsee und

Vorstand Kuratorium

Caritas-Zentrum Traunstein

Stimme für die am Rand Stehenden seinEin Interview mit Diakon Josef Eixenberger über die Arbeit in seiner Gemeinde

Über „soziale Kälte“, die sich in Deutschland

zunehmend ausbreiten würde, wird häufig

geklagt. Ist auf dem Land die Welt noch in

Ordnung?

Allgemein gesprochen: Das christliche Abendland

droht, seine religiösen Wurzeln zu verlieren. In der

modernen Welt scheint der christliche Glaube kei-

ne Rolle mehr zu spielen. Die Gotteshäuser leeren

sich, die Volkskirche schwindet, ehrenamtliche

Helfer und Mitarbeiter in den Pfarreien zu finden

und zu motivieren, wird immer schwieriger.

Ich kann mir vorstellen, dass gerade heute in

Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftli-

cher Zukunftsängste viele Menschen sagen:

„Ein Ehrenamt? Soziales Engagement?

Ich bin doch schon froh, wenn ich meine Miete

zahlen kann. Ich habe meine eigenen Sorgen.“

Erreicht man heute die Menschen schwieriger?

Ziehen sich viele in ihre „eigene Welt“ mit ihren

„persönlichen Problemen“ zurück?

Ja, auch auf dem Land ist diese Entwicklung immer

mehr festzustellen. Ehrenamtliche Helfer und Mit-

arbeiter findet man noch am ehesten für kurzfris-

tige Projektarbeit oder nach langwieriger und

schwieriger Motivationsarbeit. Man muss auch

„betteln“. Ich sehe bei der Mehrheit aber den

Grund nicht in den angesprochen Problemen, son-

dern einfach in der fehlenden Bereitschaft mitzu-

arbeiten, und in einer gewissen Lustlosigkeit, die

geprägt wird von unserer heutigen Gesellschaft.

Wie kann man Gemeindemitglieder in die

karitative Arbeit miteinbinden?

Wie geschieht dies konkret in Ihrer Gemeinde?

Durch persönliche Ansprache der Gemeindemit-

glieder. Predigten zu diesen Thema. Veröffentli-

chungen in der Presse und im Gemeindeblatt. Vor-

bild sein. Die bestehenden ehrenamtlichen Mitar-

beiter im sozialen und karitativen Bereich beglei-

ten und fördern und dies in der Gemeinde positiv

publik machen.

Welche Rolle spielt dabei Ihre Stellung

als Diakon?

Als Diakon gilt es, die besondere Sorge und Auf-

merksamkeit den Kranken, älteren Menschen, Ein-

samen, von einer Notlage Heimgesuchten, den am

Rande der Gesellschaft und Kirche Stehenden, zu

schenken. Als Seelsorger die Mitmenschen immer

wieder auf die eigene Arbeit aufmerksam machen.

Man muss die Gläubigen motivieren und darauf

hinweisen, dass wir alle in unserer weithin ent-

christlichten Zeit vor der großen Aufgabe stehen,

auch den Menschen von heute Christus zu verkün-

den und ihn zu bezeugen, indem wir an den Pro-

blemen, Sorgen und den Nöten der Menschen teil-

nehmen. Alle sind berufen, Glaubenszeugen zu

sein und in der Nachfolge Jesu Christi die Nächsten-

liebe zu praktizieren. Sicher eine schwierige Aufga-

be. Wir dürfen uns ihr aber nicht entziehen, denn

gemeinsam, so glaube ich, schaffen wir es.

Welche Resonanz erfahren Sie von Gemeinde-

mitgliedern, die sich in sozialen Bereichen

ehrenamtlich engagieren?

Diese Gemeindemitglieder bestreiten ihre ehren-

amtliche Arbeit im karitativen und sozialen Bereich

mit großem Engagement und großer Freude. Sie

sind dankbar für die seelsorgerische Begleitung

Page 67: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

66 67

und erzählen immer wieder von positiven Erleb-

nissen und Erfahrungen – trotz der Not, die sie oft

sehen.

Sie sind Diakon im Hauptberuf, also ein stän-

diger Diakon. Diakon heißt übersetzt „Helfer“

oder „Diener“, und eines Ihrer Aufgabengebiete

ist die Seelsorge in der Gemeinde. Sie werden

dadurch mit dem Leid und den Problemen vieler

Menschen in Ihrer täglichen Arbeit konfrontiert.

Was war Ihr persönlicher Antrieb, diesen beruf-

lichen Weg zu gehen?

Nun, da müsste ich Ihnen meine ganze Lebensge-

schichte erzählen. Aber vielleicht ganz kurz: Mein

persönliches Engagement und meine ehrenamtli-

che Mitarbeit in meiner Heimatpfarrei, sowie einige

mir bekannte Diakone gaben mir den Anstoß und

den Wunsch, diesen Beruf auszuüben. Als haupt-

amtlicher Diakon habe ich mehr und bessere Mög-

lichkeiten, Stimme für die am Rand Stehenden zu

sein. Und als Christ in der Nachfolge von Jesus

Christus zu wirken. Da Jesus gleichsam modellhaft

christliches Leben vollzogen hat und seinen Jün-

gern sein Beispiel ans Herz legte, ist er der Aus-

gangspunkt für den christlichen Grundvollzug der

Diakonie – der Nächstenliebe.

Jesus begegnete allen Menschen, Frauen und Män-

nern, Kindern und Alten, Reichen und Armen, Ge-

sunden und Kranken, Etablierten und Randexisten-

zen ohne Berührungsängste. Er begegnete ihnen

offen und ohne Vorbehalte. Er suchte dabei nicht

die Masse, sondern vielmehr steht die Einzelbe-

gegnung, die Einzelhilfe im Vordergrund. Seine Ver-

kündigung ist Frohbotschaft, Heilsbotschaft vom

Anbruch, vom Kommen des Reiches Gottes. Be-

reits in seiner ,,Antrittspredigt“ in Nazareth legt er

dar, mit welchem Verständnis er auftritt. Er ist ge-

sandt, den Armen die Heilsbotschaft zu bringen,

den Gefangenen Befreiung zu verkünden, den Blin-

den neues Augenlicht, Geknechtete in Freiheit zu

setzen und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.

Wie wirkt sich dies auf Ihren Beruf aus?

Als Seelsorger im Pfarrverband und als Vorstand

vom Kuratorium des Caritas-Zentrums Traunstein

sehe ich es als meine Aufgabe, den diakonischen

Auftrag und die Option für die Armen in der Nach-

folge Jesus Christus zu verwirklichen und die Dia-

konie, Caritas bzw. die christliche Nächstenliebe

als eine der Hauptvollzüge gemeindlichen und mit-

menschlichen Lebens wieder ins Bewusstsein der

Menschen zu bringen und zu verstärken.

Page 68: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

68 69

Monika Mayer

Monika Mayer

Freiwillige Helferin in den

Wendelsteinwerkstätten

für Behinderte in Raubling

im Rahmen des Generations-

übergreifenden Freiwilligen-

dienstes des BDKJ

„Weil ich nicht nur in der Kirche Christin sein will“Die Einblicke in andere Arten zu leben, zu denken, zu fühlen

vermitteln wertvolle Erfahrungen

Meine Arbeit in der Pfarrjugend von St. Michael in Götting bei Bruckmühl steht für mich von Anfang an ganz

klar unter dem Motto: Wenn du ein christliches Leben führen willst, dann tu was für die anderen – für die,

die deine Hilfe brauchen. Mir wird immer mehr bewusst, wie wertvoll es ist, mit solchen Grundsätzen ein-

fach aufzuwachsen. Man muss dann nicht immer so ausgiebig darüber nachdenken, was richtig und falsch

ist. Dass es auch um mich geht, wenn es mir um andere geht, ist schon klar. Aber in erster Linie sollte es

einfach selbstverständlich sein, zu geben. Dann kommt immer auch was zurück.

Das Nachdenken über meinen Glauben und über

soziales Engagement hat bei mir erst jetzt so rich-

tig angefangen, wo ich mitten drin stecke in der

Arbeit. Denn eigentlich haben Glaube und Kirche

für mich einfach zum Leben dazugehört, solange

ich denken kann. Ich bin da hineingewachsen, das

war für mich immer da, ganz selbstverständlich.

Bestimmt hat dabei eine Rolle gespielt, dass ich

nicht in der Großstadt aufgewachsen bin. Aber die

Nähe zur Kirche ist natürlich auch auf dem Land

heute nicht mehr zwingend. Da hatte ich schon

Glück. Auf diese Weise war mein Glaube schon im-

mer ganz praktisch: In der Pfarrei, der Pfarrjugend,

im Bund der deutschen katholischen Jugend BDKJ.

Ein Höhepunkt war dabei mit Sicherheit vergange-

nes Jahr der Weltjugendtag in Köln. Da haben

auch wir uns sehr reingehängt – und der Erfolg war

einfach überwältigend.

Jetzt arbeite ich seit rund einem dreiviertel Jahr in

den Wendelsteinwerkstätten für Behinderte in

Raubling. Und zwar im Rahmen des neuen Gene-

rationsübergreifenden Freiwilligendienstes, den der

BDKJ in unserer Erzdiözese München und Freising

zusammen mit dem Caritasverband anbietet. Nach-

dem ich im vergangenen Jahr mein Abitur gemacht

hatte, wusste ich überhaupt nicht, wie es nun mit

meinem Leben weitergehen sollte. Studieren? Und

wenn ja, was?

„Ich wollte erst einmal über mich und meine Zukunft nachdenken. Aber auch nicht einfach herumgammeln und meine Zeit vertrödeln. Über meine Pfarrei kam dann der Kontakt zum Freiwilligendienst zustande.„

Es ist einfach ein gutes Recht, Unterstüt-zung zu bekommen, wenn man sie braucht

In die Behindertenarbeit bin ich mehr oder weniger

so reingerutscht. Und ich hab am Anfang schon

auch Ängste gehabt: Wie wird das mit den Leuten?

Schaffe ich das alles? Aber nach den Erfahrungen

der letzten Monate hat sich meine Einstellung sehr

verändert. Was am Anfang nicht gerade einfach

aussah, macht mir heute richtig Spaß. Wobei es

natürlich schon oft ziemlich anstrengend ist. Aber

die Menschen geben mir soviel zurück. Auch wenn

sie teilweise ganz extrem auf Hilfe angewiesen

sind, bereichern sie mein Leben. Und zwar nicht

einfach mit Dankbarkeit – das wäre mir auch nicht

angenehm, denn ich finde, es ist einfach ein gutes

Page 69: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

68 69

Recht, Unterstützung zu bekommen, wenn man sie

braucht. Nein, es sind vielmehr die Einblicke in an-

dere Arten zu leben, zu denken, zu fühlen, die mir

so wertvolle Erfahrungen vermitteln. Abgesehen

von dem guten Wissen, Menschen zu helfen, die

meine Hilfe brauchen. Das gibt halt auch meinem

Glauben genau die praktische Qualität, die mir so

wichtig ist.

„Die Leute, die ich hier in der Einrichtung kennen gelernt habe, betrachten ihre Arbeit nicht nur als Beruf, sondern schon eher als Berufung, als echte Lebensaufgabe.„

Schwer beeindruckt hat mich auch das enorme

Engagement all der Kollegen, die diese manchmal

schon sehr anspruchsvolle Arbeit hauptberuflich

machen. Da braucht es nämlich schon oft ganz

schön viel Idealismus. Denn was an Anerkennung

aus der Gesellschaft und der Öffentlichkeit kommt,

reicht nicht unbedingt immer zur Motivation. Und

das Geld ist auch nicht wirklich die treibende Kraft.

Das hat mich jetzt auch inspiriert – und auch mei-

ne Grundfrage, wegen der ich die Arbeit angefan-

gen habe, beantwortet. Jetzt weiß ich, was die

nächsten Schritte im Leben sein sollen: Sobald die

Arbeit in den Wendelsteinwerkstätten beendet ist,

möchte ich an der Katholischen Fachhochschule in

München oder in Benediktbeuern den neuen Stu-

diengang „Soziale Arbeit“ mit Schwerpunkt Ju-

gend- und Behindertenarbeit beginnen. Das ist

eine Fachrichtung, auf die ich ohne meinen Frei-

willigendienst nicht unbedingt gekommen wäre.

Aber die jetzt vielleicht meinem ganzen künftigen

Leben eine Richtung gibt.

Page 70: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

70

Einrichtungen in Trägerschaft des DiCV Zahl der Einrichtungen

Fachschulen und -akademien 5

Werkstätten für behinderte Menschen 4

Wohnheime für behinderte Menschen 4

Heilpädagogische Tagesstätten 5

Förderschule 1

Sonstige Angebote (Kontaktstellen etc.) 2

Frühförderstellen 2

Alten- und Pflegeheime 29

Erziehungsberatung 15

Kindertagesstätten 34

Kinder-/Jugendbetreuung 29

Altenhilfe 8

Pflegerische Dienste 32

Familienpflege 7

Suchtbereich 18

Behindertenhilfe 4

Sozialpsychiatrische Dienste 29

Gemeindecaritas 35

Ausländerberatung 12

Betreuungsarbeit 6

Essen auf Rädern/Mobile Dienste 11

Wohnprojekte 12

Schuldnerberatung 16

Kurzzeit-/Tagespflege 1

Jugendwohnheime 3

Arbeitsprojekte 8

Freiwilligenzentren 8

Asylbetreuung 13

Stationäre Jugendhilfe 4

Angehörigenarbeit 14

Alten-/Servicezentren 11

Projekte der Gemeindeorientierten Sozialen Arbeit 40

Aussiedlerbetreuung 7

Sonstige Dienste 7

Einrichtungen in Trägerschaft des DiCV

Page 71: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

70

Verbreitungsgebiet des Diözesan-Caritasverbands

71

Region München Stadt/Land

1 CZ Au/Haidhausen/Giesing

2 CZ München Ost/Land

3 CZ Innenstadt

4 CZ Laim/Sendling

5 CZ München Nord

6 CZ München West und Würmtal

7 CZ Neuforstenried

8 CZ Neuhausen/Moosach

9 CZ Ramersdorf/Perlach/Ottobrunn

10 CZ Schleißheim/Garching

11 CZ Schwabing/Milbertshofen

12 CZ Taufkirchen

Region Süd

CZ Miesbach

CZ Garmisch-Partenkirchen

CZ Bad Tölz/Wolfratshausen

CZ Rosenheim

CZ Bad Aibling

CZ Wasserburg

CZ Prien

CZ Traunstein

CZ Berchtesgadener Land

CZ Mühldorf

Region Nord

CZ Dachau

CZ Ebersberg

CZ Erding

CZ Fürstenfeldbruck

CZ Freising

CZ Pfaffenhofen

Page 72: Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er ein

Jahresbericht 2005/06Caritasverband der Erzdiözese Münchenund Freising e.V.Hirtenstraße 480335 MünchenTelefon: (089) 5 51 69-0

Herausgeber:Abteilung Kommunikation und Sozialmarketing, Leitung: Elmar PabstTelefon: (089) 5 51 69-260 Telefax: (089) 5 51 69-577eMail: [email protected]

Konzept und Redaktion: Ulrike HeideckeReferat Werbung und PR

Mitarbeit: Dr. Maria-Jolanda BoselliChristoph KnöbelMarion Müller-RanetsbergerMario Alexander Weber

Fotos: Bildarchiv der Caritas

Gestaltung: www.ideeeins.de, Augsburg

Juli 2006

Ihre Spende kommt an!

Spendenkonto · Liga-Bank MünchenKto. 229 77 79 · BLZ 750 903 00

Spendenkonto · Bank für SozialwirtschaftKto. 181 78 01 · BLZ 700 205 00