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Leseprobe Pinchas Sadeh Jüdische Märchen und Legenden Mit zahlreichen Holzschnitten aus der Schocken-Bibliothek in Jerusalem Bestellen Sie mit einem Klick für 9,95 € Seiten: 512 Erscheinungstermin: 01. März 2021 Mehr Informationen zum Buch gibt es auf www.penguinrandomhouse.de

Jüdische Märchen und Legenden

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Page 1: Jüdische Märchen und Legenden

Leseprobe

Pinchas Sadeh

Juumldische Maumlrchen und Legenden Mit zahlreichen Holzschnitten aus der Schocken-Bibliothek in

Jerusalem

Bestellen Sie mit einem Klick fuumlr 995 euro

Seiten 512

Erscheinungstermin 01 Maumlrz 2021

Mehr Informationen zum Buch gibt es auf

wwwpenguinrandomhousede

Pinchas SadehJuumldische Maumlrchen und Legenden

Sadeh_Juumldische Maumlrchen 11012021 1738 Seite 1

Pinchas Sadeh

Juumldische Maumlrchenund Legenden

Mit zahlreichen Holzschnittenaus der Schocken-Bibliothek in Jerusalem

Aus dem Hebraumlischen von Wolfgang Lotz

Anaconda

Sadeh_Juumldische Maumlrchen 11012021 1738 Seite 3

Titel der Originalausgabe Sefer hadimionot schel hajehudim (Tel Aviv Verlag Schocken1983) Die Auswahl der deutschen Ausgabe wurde vom Autor besorgt Die im Buchabgebildeten Holzschnitte stammen aus der Schocken-Bibliothek in JerusalemNachwort und Quellennachweis wurden von Stefan Siebers uumlbersetztLizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlagscopy 1989 Carl Hanser Verlag Muumlnchen

Penguin Random House Verlagsgruppe FSCreg N001967

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter httpdnbd-nbde abrufbar

copy dieser Ausgabe 2010 2020 by Anaconda Verlag einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Straszlige 28 81673 MuumlnchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlagmotive Boris Dmitrievich Grigoriev (1886-1939) raquoJewish Comedians Restinglaquo (1910) Private Collection Bridgeman Images -Albert Charles August Racinet (1825-1893) raquoPersianlaquo plate 25 from PolychromaticOrnament One Hundred Plates in Gold Silver and Colours (1873) Brooklyn Museumof Art New York Bridgeman ImagesUmschlaggestaltung wwwkatjaholstdeSatz und Layout paqueacutemedia wwwpaquedeDruck und Bindung CPI Books GmbH LeckISBN 978-3-7306-0978-1wwwanacondaverlagde

Sadeh_Juumldische Maumlrchen 11012021 1738 Seite 4

Inhalt

Sturz der Engel 11Der Diamant Adams 12Moses und die Ameisen 14Der Satan und sein Verbuumlndeter 15Die Geschichte vom Eselskopf 16Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 22Die Braut und der Todesengel 26Der Mann und seine Frau und der Raumluber 29Die tote Braut 30Die Gesteinigte 35Das Kleid 38Die Geschichte vom alten Hagestolz der eine Bohne verlor 41Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 46Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 51Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen 55Die Geschichte von der Prinzessin dem Maumldchen mit dem Kaugummi unddem jungen Mann der zwischen ihnen stand 60

Der Engel Asriel und der Schafhirte 66Die Houmlhle unseres Urvaters Abraham 68Der zehnte Mann 69Abraham der Schuhmacher 69Das Gespraumlch mit unserem Urvater Abraham 71Die vier vornehmen Frauen 73Joab Ben Zeruja und die Amalekiter 73Koumlnig David und Rabbi Riccanati 77Rabbi Judel der Rote und Koumlnig David 79Der reiche Mann der Baal Schem Tow und Koumlnig David 81Koumlnig Salomo und das Honigurteil 85Koumlnig Salomo und der uralte Frosch 87Das Zinnschwert 90

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Die Geschichte von dem Mann mit den zwei Koumlpfen 92Salomo und Asmodi 94Koumlnig Salomo und das Schicksal 99Die Koumlnigsgraumlber 101Der Kuszlig 103Der Kaufmannssohn und Asmodis Tochter 106Die Geschichte des Goldschmieds und seiner zwei Frauen 116Die Geschichte der Schlangenfrau 119Lilit und das Unkraut 122Die verlassene Frau und der Tote 123Die Geschichte von dem lebenden und dem toten Kaufmann 126Der fahrende Haumlndler und der getreue Tote 131Der Weise der ins Wasser fiel 134Der Juumlngling der die Zauberkunst erlernen wollte 136Die Geschichte der Rabbinertochter die einen Zauberer heiratete 139Der amerikanische Koumlnigssohn 149Die Geschichte der Bruumlder Salomo und Abraham 153Der Juumlngling mit den leuchtenden Augen 157Die Ministertochter und der Dieb im Schafspelz 161Die drei Tiere und der undankbare Jude 165Der Koumlnigssohn als Schneiderlehrling 168Der beschaumlmte Weise und der gerechte Metzger 176Die Geschichte vom Koumlnigssohn der in die Welt zog 179Die Geschichte von der schweigsamen Prinzessin 185Der Koumlnigssohn und die Hindin 193Der gesegnete Baumlckerlehrling 195Die Geschichte von den zwei Freunden 202Rabbi Nissim der Aumlgypter 204Es war einmal ein Chassid 206Der Alte aus den Bergen 209Der Prophet Elija und der Baal Schem Tow 210Der Buchhaumlndler 212Der alte Mann der ins Zimmer trat 213Zwei Waumlscherinnen am Pessachabend 214Die Geschichte vom armen Mann der Arzt wurde 215Gehasi der Hund 218Der Verfolger 220Jakob und der Fischer 222

6 Inhalt

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Die Geschichte von der Witwe und dem Bankdirektor 225Der arme Bruder und die drei Tiere 226Perlenhals 230Wo ist der Platz des Asasel 235Wen Gott liebt 239Ein Teller aus einer anderen Welt 242Der Mann der den Propheten Zacharias erschlug 245Der Zaddik und der Dibbuk 245Menasse den man Moses nannte 248Aarons Stier 250Die Loumlwen auf der Bundeslade 251Die Klage des Gewuumlrms 253Ein Raumltsel 254Der Beschneider und der Teufel 255Die Geschichte von den alten Eseln 258Die sieben Boten des Todesengels 259Der Traum des Holzfaumlllers 260Die Kupferfigur 262Pinchas und der tote Affe 265Der juumldische Papst 267Elchanan der Papst 272Die zwei Schneider und das wunderbare Bild 274Amen 280Die kleinen Blumen 282Der Fromme und der Boumlsewicht die am selben Tag starben 284Die Teufelsanbeter und Rabbi Abraham Ben Esra 286Rabbi Jechiel und der Koumlnig von Frankreich 289Der Bischof von Salzburg und der Rabbi von Regensburg 291Raschi und der Ritter Gottfried von Bouillon 293Der Golem von Prag 295Das Urteil des Sanhedrin 298Die Geschichte von Rabbi Josef de la Reina 300Ha-ari und die Zauderer 306Zwei Laibe Brot 307Der Finger 309Die Geschichte der Frau die nicht an Wunder glaubte 311Der Traum des Sohnes von Rabbi Chaim Vital 313Die Geschichte von David El-Rai 314

Inhalt 7

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Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

8 Inhalt

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

Inhalt 9

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

Die Geschichte vom Eselskopf 17

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 2: Jüdische Märchen und Legenden

Pinchas SadehJuumldische Maumlrchen und Legenden

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Pinchas Sadeh

Juumldische Maumlrchenund Legenden

Mit zahlreichen Holzschnittenaus der Schocken-Bibliothek in Jerusalem

Aus dem Hebraumlischen von Wolfgang Lotz

Anaconda

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Titel der Originalausgabe Sefer hadimionot schel hajehudim (Tel Aviv Verlag Schocken1983) Die Auswahl der deutschen Ausgabe wurde vom Autor besorgt Die im Buchabgebildeten Holzschnitte stammen aus der Schocken-Bibliothek in JerusalemNachwort und Quellennachweis wurden von Stefan Siebers uumlbersetztLizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlagscopy 1989 Carl Hanser Verlag Muumlnchen

Penguin Random House Verlagsgruppe FSCreg N001967

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter httpdnbd-nbde abrufbar

copy dieser Ausgabe 2010 2020 by Anaconda Verlag einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Straszlige 28 81673 MuumlnchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlagmotive Boris Dmitrievich Grigoriev (1886-1939) raquoJewish Comedians Restinglaquo (1910) Private Collection Bridgeman Images -Albert Charles August Racinet (1825-1893) raquoPersianlaquo plate 25 from PolychromaticOrnament One Hundred Plates in Gold Silver and Colours (1873) Brooklyn Museumof Art New York Bridgeman ImagesUmschlaggestaltung wwwkatjaholstdeSatz und Layout paqueacutemedia wwwpaquedeDruck und Bindung CPI Books GmbH LeckISBN 978-3-7306-0978-1wwwanacondaverlagde

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Inhalt

Sturz der Engel 11Der Diamant Adams 12Moses und die Ameisen 14Der Satan und sein Verbuumlndeter 15Die Geschichte vom Eselskopf 16Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 22Die Braut und der Todesengel 26Der Mann und seine Frau und der Raumluber 29Die tote Braut 30Die Gesteinigte 35Das Kleid 38Die Geschichte vom alten Hagestolz der eine Bohne verlor 41Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 46Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 51Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen 55Die Geschichte von der Prinzessin dem Maumldchen mit dem Kaugummi unddem jungen Mann der zwischen ihnen stand 60

Der Engel Asriel und der Schafhirte 66Die Houmlhle unseres Urvaters Abraham 68Der zehnte Mann 69Abraham der Schuhmacher 69Das Gespraumlch mit unserem Urvater Abraham 71Die vier vornehmen Frauen 73Joab Ben Zeruja und die Amalekiter 73Koumlnig David und Rabbi Riccanati 77Rabbi Judel der Rote und Koumlnig David 79Der reiche Mann der Baal Schem Tow und Koumlnig David 81Koumlnig Salomo und das Honigurteil 85Koumlnig Salomo und der uralte Frosch 87Das Zinnschwert 90

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Die Geschichte von dem Mann mit den zwei Koumlpfen 92Salomo und Asmodi 94Koumlnig Salomo und das Schicksal 99Die Koumlnigsgraumlber 101Der Kuszlig 103Der Kaufmannssohn und Asmodis Tochter 106Die Geschichte des Goldschmieds und seiner zwei Frauen 116Die Geschichte der Schlangenfrau 119Lilit und das Unkraut 122Die verlassene Frau und der Tote 123Die Geschichte von dem lebenden und dem toten Kaufmann 126Der fahrende Haumlndler und der getreue Tote 131Der Weise der ins Wasser fiel 134Der Juumlngling der die Zauberkunst erlernen wollte 136Die Geschichte der Rabbinertochter die einen Zauberer heiratete 139Der amerikanische Koumlnigssohn 149Die Geschichte der Bruumlder Salomo und Abraham 153Der Juumlngling mit den leuchtenden Augen 157Die Ministertochter und der Dieb im Schafspelz 161Die drei Tiere und der undankbare Jude 165Der Koumlnigssohn als Schneiderlehrling 168Der beschaumlmte Weise und der gerechte Metzger 176Die Geschichte vom Koumlnigssohn der in die Welt zog 179Die Geschichte von der schweigsamen Prinzessin 185Der Koumlnigssohn und die Hindin 193Der gesegnete Baumlckerlehrling 195Die Geschichte von den zwei Freunden 202Rabbi Nissim der Aumlgypter 204Es war einmal ein Chassid 206Der Alte aus den Bergen 209Der Prophet Elija und der Baal Schem Tow 210Der Buchhaumlndler 212Der alte Mann der ins Zimmer trat 213Zwei Waumlscherinnen am Pessachabend 214Die Geschichte vom armen Mann der Arzt wurde 215Gehasi der Hund 218Der Verfolger 220Jakob und der Fischer 222

6 Inhalt

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Die Geschichte von der Witwe und dem Bankdirektor 225Der arme Bruder und die drei Tiere 226Perlenhals 230Wo ist der Platz des Asasel 235Wen Gott liebt 239Ein Teller aus einer anderen Welt 242Der Mann der den Propheten Zacharias erschlug 245Der Zaddik und der Dibbuk 245Menasse den man Moses nannte 248Aarons Stier 250Die Loumlwen auf der Bundeslade 251Die Klage des Gewuumlrms 253Ein Raumltsel 254Der Beschneider und der Teufel 255Die Geschichte von den alten Eseln 258Die sieben Boten des Todesengels 259Der Traum des Holzfaumlllers 260Die Kupferfigur 262Pinchas und der tote Affe 265Der juumldische Papst 267Elchanan der Papst 272Die zwei Schneider und das wunderbare Bild 274Amen 280Die kleinen Blumen 282Der Fromme und der Boumlsewicht die am selben Tag starben 284Die Teufelsanbeter und Rabbi Abraham Ben Esra 286Rabbi Jechiel und der Koumlnig von Frankreich 289Der Bischof von Salzburg und der Rabbi von Regensburg 291Raschi und der Ritter Gottfried von Bouillon 293Der Golem von Prag 295Das Urteil des Sanhedrin 298Die Geschichte von Rabbi Josef de la Reina 300Ha-ari und die Zauderer 306Zwei Laibe Brot 307Der Finger 309Die Geschichte der Frau die nicht an Wunder glaubte 311Der Traum des Sohnes von Rabbi Chaim Vital 313Die Geschichte von David El-Rai 314

Inhalt 7

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Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

8 Inhalt

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

Inhalt 9

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 3: Jüdische Märchen und Legenden

Pinchas Sadeh

Juumldische Maumlrchenund Legenden

Mit zahlreichen Holzschnittenaus der Schocken-Bibliothek in Jerusalem

Aus dem Hebraumlischen von Wolfgang Lotz

Anaconda

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Titel der Originalausgabe Sefer hadimionot schel hajehudim (Tel Aviv Verlag Schocken1983) Die Auswahl der deutschen Ausgabe wurde vom Autor besorgt Die im Buchabgebildeten Holzschnitte stammen aus der Schocken-Bibliothek in JerusalemNachwort und Quellennachweis wurden von Stefan Siebers uumlbersetztLizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlagscopy 1989 Carl Hanser Verlag Muumlnchen

Penguin Random House Verlagsgruppe FSCreg N001967

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter httpdnbd-nbde abrufbar

copy dieser Ausgabe 2010 2020 by Anaconda Verlag einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Straszlige 28 81673 MuumlnchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlagmotive Boris Dmitrievich Grigoriev (1886-1939) raquoJewish Comedians Restinglaquo (1910) Private Collection Bridgeman Images -Albert Charles August Racinet (1825-1893) raquoPersianlaquo plate 25 from PolychromaticOrnament One Hundred Plates in Gold Silver and Colours (1873) Brooklyn Museumof Art New York Bridgeman ImagesUmschlaggestaltung wwwkatjaholstdeSatz und Layout paqueacutemedia wwwpaquedeDruck und Bindung CPI Books GmbH LeckISBN 978-3-7306-0978-1wwwanacondaverlagde

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Inhalt

Sturz der Engel 11Der Diamant Adams 12Moses und die Ameisen 14Der Satan und sein Verbuumlndeter 15Die Geschichte vom Eselskopf 16Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 22Die Braut und der Todesengel 26Der Mann und seine Frau und der Raumluber 29Die tote Braut 30Die Gesteinigte 35Das Kleid 38Die Geschichte vom alten Hagestolz der eine Bohne verlor 41Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 46Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 51Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen 55Die Geschichte von der Prinzessin dem Maumldchen mit dem Kaugummi unddem jungen Mann der zwischen ihnen stand 60

Der Engel Asriel und der Schafhirte 66Die Houmlhle unseres Urvaters Abraham 68Der zehnte Mann 69Abraham der Schuhmacher 69Das Gespraumlch mit unserem Urvater Abraham 71Die vier vornehmen Frauen 73Joab Ben Zeruja und die Amalekiter 73Koumlnig David und Rabbi Riccanati 77Rabbi Judel der Rote und Koumlnig David 79Der reiche Mann der Baal Schem Tow und Koumlnig David 81Koumlnig Salomo und das Honigurteil 85Koumlnig Salomo und der uralte Frosch 87Das Zinnschwert 90

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Die Geschichte von dem Mann mit den zwei Koumlpfen 92Salomo und Asmodi 94Koumlnig Salomo und das Schicksal 99Die Koumlnigsgraumlber 101Der Kuszlig 103Der Kaufmannssohn und Asmodis Tochter 106Die Geschichte des Goldschmieds und seiner zwei Frauen 116Die Geschichte der Schlangenfrau 119Lilit und das Unkraut 122Die verlassene Frau und der Tote 123Die Geschichte von dem lebenden und dem toten Kaufmann 126Der fahrende Haumlndler und der getreue Tote 131Der Weise der ins Wasser fiel 134Der Juumlngling der die Zauberkunst erlernen wollte 136Die Geschichte der Rabbinertochter die einen Zauberer heiratete 139Der amerikanische Koumlnigssohn 149Die Geschichte der Bruumlder Salomo und Abraham 153Der Juumlngling mit den leuchtenden Augen 157Die Ministertochter und der Dieb im Schafspelz 161Die drei Tiere und der undankbare Jude 165Der Koumlnigssohn als Schneiderlehrling 168Der beschaumlmte Weise und der gerechte Metzger 176Die Geschichte vom Koumlnigssohn der in die Welt zog 179Die Geschichte von der schweigsamen Prinzessin 185Der Koumlnigssohn und die Hindin 193Der gesegnete Baumlckerlehrling 195Die Geschichte von den zwei Freunden 202Rabbi Nissim der Aumlgypter 204Es war einmal ein Chassid 206Der Alte aus den Bergen 209Der Prophet Elija und der Baal Schem Tow 210Der Buchhaumlndler 212Der alte Mann der ins Zimmer trat 213Zwei Waumlscherinnen am Pessachabend 214Die Geschichte vom armen Mann der Arzt wurde 215Gehasi der Hund 218Der Verfolger 220Jakob und der Fischer 222

6 Inhalt

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Die Geschichte von der Witwe und dem Bankdirektor 225Der arme Bruder und die drei Tiere 226Perlenhals 230Wo ist der Platz des Asasel 235Wen Gott liebt 239Ein Teller aus einer anderen Welt 242Der Mann der den Propheten Zacharias erschlug 245Der Zaddik und der Dibbuk 245Menasse den man Moses nannte 248Aarons Stier 250Die Loumlwen auf der Bundeslade 251Die Klage des Gewuumlrms 253Ein Raumltsel 254Der Beschneider und der Teufel 255Die Geschichte von den alten Eseln 258Die sieben Boten des Todesengels 259Der Traum des Holzfaumlllers 260Die Kupferfigur 262Pinchas und der tote Affe 265Der juumldische Papst 267Elchanan der Papst 272Die zwei Schneider und das wunderbare Bild 274Amen 280Die kleinen Blumen 282Der Fromme und der Boumlsewicht die am selben Tag starben 284Die Teufelsanbeter und Rabbi Abraham Ben Esra 286Rabbi Jechiel und der Koumlnig von Frankreich 289Der Bischof von Salzburg und der Rabbi von Regensburg 291Raschi und der Ritter Gottfried von Bouillon 293Der Golem von Prag 295Das Urteil des Sanhedrin 298Die Geschichte von Rabbi Josef de la Reina 300Ha-ari und die Zauderer 306Zwei Laibe Brot 307Der Finger 309Die Geschichte der Frau die nicht an Wunder glaubte 311Der Traum des Sohnes von Rabbi Chaim Vital 313Die Geschichte von David El-Rai 314

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Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

Inhalt 9

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

Die Geschichte vom Eselskopf 17

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 4: Jüdische Märchen und Legenden

Titel der Originalausgabe Sefer hadimionot schel hajehudim (Tel Aviv Verlag Schocken1983) Die Auswahl der deutschen Ausgabe wurde vom Autor besorgt Die im Buchabgebildeten Holzschnitte stammen aus der Schocken-Bibliothek in JerusalemNachwort und Quellennachweis wurden von Stefan Siebers uumlbersetztLizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlagscopy 1989 Carl Hanser Verlag Muumlnchen

Penguin Random House Verlagsgruppe FSCreg N001967

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter httpdnbd-nbde abrufbar

copy dieser Ausgabe 2010 2020 by Anaconda Verlag einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Straszlige 28 81673 MuumlnchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlagmotive Boris Dmitrievich Grigoriev (1886-1939) raquoJewish Comedians Restinglaquo (1910) Private Collection Bridgeman Images -Albert Charles August Racinet (1825-1893) raquoPersianlaquo plate 25 from PolychromaticOrnament One Hundred Plates in Gold Silver and Colours (1873) Brooklyn Museumof Art New York Bridgeman ImagesUmschlaggestaltung wwwkatjaholstdeSatz und Layout paqueacutemedia wwwpaquedeDruck und Bindung CPI Books GmbH LeckISBN 978-3-7306-0978-1wwwanacondaverlagde

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Inhalt

Sturz der Engel 11Der Diamant Adams 12Moses und die Ameisen 14Der Satan und sein Verbuumlndeter 15Die Geschichte vom Eselskopf 16Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 22Die Braut und der Todesengel 26Der Mann und seine Frau und der Raumluber 29Die tote Braut 30Die Gesteinigte 35Das Kleid 38Die Geschichte vom alten Hagestolz der eine Bohne verlor 41Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 46Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 51Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen 55Die Geschichte von der Prinzessin dem Maumldchen mit dem Kaugummi unddem jungen Mann der zwischen ihnen stand 60

Der Engel Asriel und der Schafhirte 66Die Houmlhle unseres Urvaters Abraham 68Der zehnte Mann 69Abraham der Schuhmacher 69Das Gespraumlch mit unserem Urvater Abraham 71Die vier vornehmen Frauen 73Joab Ben Zeruja und die Amalekiter 73Koumlnig David und Rabbi Riccanati 77Rabbi Judel der Rote und Koumlnig David 79Der reiche Mann der Baal Schem Tow und Koumlnig David 81Koumlnig Salomo und das Honigurteil 85Koumlnig Salomo und der uralte Frosch 87Das Zinnschwert 90

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Die Geschichte von dem Mann mit den zwei Koumlpfen 92Salomo und Asmodi 94Koumlnig Salomo und das Schicksal 99Die Koumlnigsgraumlber 101Der Kuszlig 103Der Kaufmannssohn und Asmodis Tochter 106Die Geschichte des Goldschmieds und seiner zwei Frauen 116Die Geschichte der Schlangenfrau 119Lilit und das Unkraut 122Die verlassene Frau und der Tote 123Die Geschichte von dem lebenden und dem toten Kaufmann 126Der fahrende Haumlndler und der getreue Tote 131Der Weise der ins Wasser fiel 134Der Juumlngling der die Zauberkunst erlernen wollte 136Die Geschichte der Rabbinertochter die einen Zauberer heiratete 139Der amerikanische Koumlnigssohn 149Die Geschichte der Bruumlder Salomo und Abraham 153Der Juumlngling mit den leuchtenden Augen 157Die Ministertochter und der Dieb im Schafspelz 161Die drei Tiere und der undankbare Jude 165Der Koumlnigssohn als Schneiderlehrling 168Der beschaumlmte Weise und der gerechte Metzger 176Die Geschichte vom Koumlnigssohn der in die Welt zog 179Die Geschichte von der schweigsamen Prinzessin 185Der Koumlnigssohn und die Hindin 193Der gesegnete Baumlckerlehrling 195Die Geschichte von den zwei Freunden 202Rabbi Nissim der Aumlgypter 204Es war einmal ein Chassid 206Der Alte aus den Bergen 209Der Prophet Elija und der Baal Schem Tow 210Der Buchhaumlndler 212Der alte Mann der ins Zimmer trat 213Zwei Waumlscherinnen am Pessachabend 214Die Geschichte vom armen Mann der Arzt wurde 215Gehasi der Hund 218Der Verfolger 220Jakob und der Fischer 222

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Die Geschichte von der Witwe und dem Bankdirektor 225Der arme Bruder und die drei Tiere 226Perlenhals 230Wo ist der Platz des Asasel 235Wen Gott liebt 239Ein Teller aus einer anderen Welt 242Der Mann der den Propheten Zacharias erschlug 245Der Zaddik und der Dibbuk 245Menasse den man Moses nannte 248Aarons Stier 250Die Loumlwen auf der Bundeslade 251Die Klage des Gewuumlrms 253Ein Raumltsel 254Der Beschneider und der Teufel 255Die Geschichte von den alten Eseln 258Die sieben Boten des Todesengels 259Der Traum des Holzfaumlllers 260Die Kupferfigur 262Pinchas und der tote Affe 265Der juumldische Papst 267Elchanan der Papst 272Die zwei Schneider und das wunderbare Bild 274Amen 280Die kleinen Blumen 282Der Fromme und der Boumlsewicht die am selben Tag starben 284Die Teufelsanbeter und Rabbi Abraham Ben Esra 286Rabbi Jechiel und der Koumlnig von Frankreich 289Der Bischof von Salzburg und der Rabbi von Regensburg 291Raschi und der Ritter Gottfried von Bouillon 293Der Golem von Prag 295Das Urteil des Sanhedrin 298Die Geschichte von Rabbi Josef de la Reina 300Ha-ari und die Zauderer 306Zwei Laibe Brot 307Der Finger 309Die Geschichte der Frau die nicht an Wunder glaubte 311Der Traum des Sohnes von Rabbi Chaim Vital 313Die Geschichte von David El-Rai 314

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Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

8 Inhalt

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 49

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 5: Jüdische Märchen und Legenden

Inhalt

Sturz der Engel 11Der Diamant Adams 12Moses und die Ameisen 14Der Satan und sein Verbuumlndeter 15Die Geschichte vom Eselskopf 16Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 22Die Braut und der Todesengel 26Der Mann und seine Frau und der Raumluber 29Die tote Braut 30Die Gesteinigte 35Das Kleid 38Die Geschichte vom alten Hagestolz der eine Bohne verlor 41Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 46Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 51Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen 55Die Geschichte von der Prinzessin dem Maumldchen mit dem Kaugummi unddem jungen Mann der zwischen ihnen stand 60

Der Engel Asriel und der Schafhirte 66Die Houmlhle unseres Urvaters Abraham 68Der zehnte Mann 69Abraham der Schuhmacher 69Das Gespraumlch mit unserem Urvater Abraham 71Die vier vornehmen Frauen 73Joab Ben Zeruja und die Amalekiter 73Koumlnig David und Rabbi Riccanati 77Rabbi Judel der Rote und Koumlnig David 79Der reiche Mann der Baal Schem Tow und Koumlnig David 81Koumlnig Salomo und das Honigurteil 85Koumlnig Salomo und der uralte Frosch 87Das Zinnschwert 90

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Die Geschichte von dem Mann mit den zwei Koumlpfen 92Salomo und Asmodi 94Koumlnig Salomo und das Schicksal 99Die Koumlnigsgraumlber 101Der Kuszlig 103Der Kaufmannssohn und Asmodis Tochter 106Die Geschichte des Goldschmieds und seiner zwei Frauen 116Die Geschichte der Schlangenfrau 119Lilit und das Unkraut 122Die verlassene Frau und der Tote 123Die Geschichte von dem lebenden und dem toten Kaufmann 126Der fahrende Haumlndler und der getreue Tote 131Der Weise der ins Wasser fiel 134Der Juumlngling der die Zauberkunst erlernen wollte 136Die Geschichte der Rabbinertochter die einen Zauberer heiratete 139Der amerikanische Koumlnigssohn 149Die Geschichte der Bruumlder Salomo und Abraham 153Der Juumlngling mit den leuchtenden Augen 157Die Ministertochter und der Dieb im Schafspelz 161Die drei Tiere und der undankbare Jude 165Der Koumlnigssohn als Schneiderlehrling 168Der beschaumlmte Weise und der gerechte Metzger 176Die Geschichte vom Koumlnigssohn der in die Welt zog 179Die Geschichte von der schweigsamen Prinzessin 185Der Koumlnigssohn und die Hindin 193Der gesegnete Baumlckerlehrling 195Die Geschichte von den zwei Freunden 202Rabbi Nissim der Aumlgypter 204Es war einmal ein Chassid 206Der Alte aus den Bergen 209Der Prophet Elija und der Baal Schem Tow 210Der Buchhaumlndler 212Der alte Mann der ins Zimmer trat 213Zwei Waumlscherinnen am Pessachabend 214Die Geschichte vom armen Mann der Arzt wurde 215Gehasi der Hund 218Der Verfolger 220Jakob und der Fischer 222

6 Inhalt

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Die Geschichte von der Witwe und dem Bankdirektor 225Der arme Bruder und die drei Tiere 226Perlenhals 230Wo ist der Platz des Asasel 235Wen Gott liebt 239Ein Teller aus einer anderen Welt 242Der Mann der den Propheten Zacharias erschlug 245Der Zaddik und der Dibbuk 245Menasse den man Moses nannte 248Aarons Stier 250Die Loumlwen auf der Bundeslade 251Die Klage des Gewuumlrms 253Ein Raumltsel 254Der Beschneider und der Teufel 255Die Geschichte von den alten Eseln 258Die sieben Boten des Todesengels 259Der Traum des Holzfaumlllers 260Die Kupferfigur 262Pinchas und der tote Affe 265Der juumldische Papst 267Elchanan der Papst 272Die zwei Schneider und das wunderbare Bild 274Amen 280Die kleinen Blumen 282Der Fromme und der Boumlsewicht die am selben Tag starben 284Die Teufelsanbeter und Rabbi Abraham Ben Esra 286Rabbi Jechiel und der Koumlnig von Frankreich 289Der Bischof von Salzburg und der Rabbi von Regensburg 291Raschi und der Ritter Gottfried von Bouillon 293Der Golem von Prag 295Das Urteil des Sanhedrin 298Die Geschichte von Rabbi Josef de la Reina 300Ha-ari und die Zauderer 306Zwei Laibe Brot 307Der Finger 309Die Geschichte der Frau die nicht an Wunder glaubte 311Der Traum des Sohnes von Rabbi Chaim Vital 313Die Geschichte von David El-Rai 314

Inhalt 7

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Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

8 Inhalt

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

Inhalt 9

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

Die Geschichte vom Eselskopf 17

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

Die Geschichte vom Eselskopf 19

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 6: Jüdische Märchen und Legenden

Die Geschichte von dem Mann mit den zwei Koumlpfen 92Salomo und Asmodi 94Koumlnig Salomo und das Schicksal 99Die Koumlnigsgraumlber 101Der Kuszlig 103Der Kaufmannssohn und Asmodis Tochter 106Die Geschichte des Goldschmieds und seiner zwei Frauen 116Die Geschichte der Schlangenfrau 119Lilit und das Unkraut 122Die verlassene Frau und der Tote 123Die Geschichte von dem lebenden und dem toten Kaufmann 126Der fahrende Haumlndler und der getreue Tote 131Der Weise der ins Wasser fiel 134Der Juumlngling der die Zauberkunst erlernen wollte 136Die Geschichte der Rabbinertochter die einen Zauberer heiratete 139Der amerikanische Koumlnigssohn 149Die Geschichte der Bruumlder Salomo und Abraham 153Der Juumlngling mit den leuchtenden Augen 157Die Ministertochter und der Dieb im Schafspelz 161Die drei Tiere und der undankbare Jude 165Der Koumlnigssohn als Schneiderlehrling 168Der beschaumlmte Weise und der gerechte Metzger 176Die Geschichte vom Koumlnigssohn der in die Welt zog 179Die Geschichte von der schweigsamen Prinzessin 185Der Koumlnigssohn und die Hindin 193Der gesegnete Baumlckerlehrling 195Die Geschichte von den zwei Freunden 202Rabbi Nissim der Aumlgypter 204Es war einmal ein Chassid 206Der Alte aus den Bergen 209Der Prophet Elija und der Baal Schem Tow 210Der Buchhaumlndler 212Der alte Mann der ins Zimmer trat 213Zwei Waumlscherinnen am Pessachabend 214Die Geschichte vom armen Mann der Arzt wurde 215Gehasi der Hund 218Der Verfolger 220Jakob und der Fischer 222

6 Inhalt

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Die Geschichte von der Witwe und dem Bankdirektor 225Der arme Bruder und die drei Tiere 226Perlenhals 230Wo ist der Platz des Asasel 235Wen Gott liebt 239Ein Teller aus einer anderen Welt 242Der Mann der den Propheten Zacharias erschlug 245Der Zaddik und der Dibbuk 245Menasse den man Moses nannte 248Aarons Stier 250Die Loumlwen auf der Bundeslade 251Die Klage des Gewuumlrms 253Ein Raumltsel 254Der Beschneider und der Teufel 255Die Geschichte von den alten Eseln 258Die sieben Boten des Todesengels 259Der Traum des Holzfaumlllers 260Die Kupferfigur 262Pinchas und der tote Affe 265Der juumldische Papst 267Elchanan der Papst 272Die zwei Schneider und das wunderbare Bild 274Amen 280Die kleinen Blumen 282Der Fromme und der Boumlsewicht die am selben Tag starben 284Die Teufelsanbeter und Rabbi Abraham Ben Esra 286Rabbi Jechiel und der Koumlnig von Frankreich 289Der Bischof von Salzburg und der Rabbi von Regensburg 291Raschi und der Ritter Gottfried von Bouillon 293Der Golem von Prag 295Das Urteil des Sanhedrin 298Die Geschichte von Rabbi Josef de la Reina 300Ha-ari und die Zauderer 306Zwei Laibe Brot 307Der Finger 309Die Geschichte der Frau die nicht an Wunder glaubte 311Der Traum des Sohnes von Rabbi Chaim Vital 313Die Geschichte von David El-Rai 314

Inhalt 7

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Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

8 Inhalt

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

Inhalt 9

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 43

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 49

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 7: Jüdische Märchen und Legenden

Die Geschichte von der Witwe und dem Bankdirektor 225Der arme Bruder und die drei Tiere 226Perlenhals 230Wo ist der Platz des Asasel 235Wen Gott liebt 239Ein Teller aus einer anderen Welt 242Der Mann der den Propheten Zacharias erschlug 245Der Zaddik und der Dibbuk 245Menasse den man Moses nannte 248Aarons Stier 250Die Loumlwen auf der Bundeslade 251Die Klage des Gewuumlrms 253Ein Raumltsel 254Der Beschneider und der Teufel 255Die Geschichte von den alten Eseln 258Die sieben Boten des Todesengels 259Der Traum des Holzfaumlllers 260Die Kupferfigur 262Pinchas und der tote Affe 265Der juumldische Papst 267Elchanan der Papst 272Die zwei Schneider und das wunderbare Bild 274Amen 280Die kleinen Blumen 282Der Fromme und der Boumlsewicht die am selben Tag starben 284Die Teufelsanbeter und Rabbi Abraham Ben Esra 286Rabbi Jechiel und der Koumlnig von Frankreich 289Der Bischof von Salzburg und der Rabbi von Regensburg 291Raschi und der Ritter Gottfried von Bouillon 293Der Golem von Prag 295Das Urteil des Sanhedrin 298Die Geschichte von Rabbi Josef de la Reina 300Ha-ari und die Zauderer 306Zwei Laibe Brot 307Der Finger 309Die Geschichte der Frau die nicht an Wunder glaubte 311Der Traum des Sohnes von Rabbi Chaim Vital 313Die Geschichte von David El-Rai 314

Inhalt 7

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Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

8 Inhalt

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

Die Geschichte vom Eselskopf 17

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 8: Jüdische Märchen und Legenden

Der Sambation und Sabbataj Zwi 316Die Visionen von Jakob Frank 318Die Wundertaten von Jakob Frank 320Die Freilegung der Klagemauer 321Rabbi Alfasi und der Loumlwe 323Die Geschichte von Abuchazera 325Das Zeugnis des Toten 326Huumlte dich vor den Hinterlistigen 328Der Fromme der zum Dieb wurde 332Der arme Mann und die diebischen Minister 335Der Rabbi und der Raumluber 338Der Baumlckerlehrling und der verzauberte Becher 340Die zwei Kaufleute und der Adler 344Der Sohn des Rabbi und der Adler 347Das Maumldchen mit dem Antlitz eines Tieres 350Die Koumlnigstochter die alles wissen wollte 352Die Koumlnigin und der Holzhaumlndler 354Der zerschnittene Kaftan 358Die Glasscherben 358Der Traum des Befehlshabers der Polizei 359Der Mandolinenspieler 360Der berufsmaumlszligige Dieb 363Er geht und reitet ndash er lacht und weint 369Der Mann der bereit war Moses zu spielen 370Der Streit des Priesters mit dem Stadtnarren 372Der Rabbi und der Graf 374Der Fuhrmann und sein Ungluumlck 375Der Eierhaumlndler der reich werden wollte 376Moses und die Affenfrau 377Der stotternde Tote 378Die kleinen Schuhmacher 379Die Maumluse die Eisen fraszligen 380Der Imam ohne Bart 382Benjamin Cascoda Faumlnger der Diebe 383Der Mann der zum Essen kam 384Der Kaftan von Mullah Abraham 385Die Houmlrner des Koumlnigs 387Der Haumlndler und die Luumlgnerin 389

8 Inhalt

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Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

Inhalt 9

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 9: Jüdische Märchen und Legenden

Der Knabe der an den Tod verkauft wurde 391Die verkaufte Braut 393Die drei Ratschlaumlge des Vaters 395Der Geizhals und der Gesandte aus dem Heiligen Land 397Rabbi Adam Baal Schem 399Der Baal Schem Tow und die Hexe 404Der Baal Schem Tow und der Frosch 405Der Zauberer 407Der Wassertraumlger in der Einoumlde 411Die Brezel 411Der Schuldschein fuumlr ein Pferd 412Der Diener des Baal Schem Tow 413Der richtige Weg 418Die Seele des Musikanten 419Blaumltter aus dem Garten Eden 420Er verzieh dem allmaumlchtigen Gott 423Die schoumlne Sarah 424Der Juumlngling die reiche Erbin und der Zaddik 426Wo liegt der Garten Eden 431Teufelswerk 432Der verruumlckte Koumlnigssohn 433Die kleinen Schneider 434Die verlorene Koumlnigstochter 435Die Fliege und die Spinne 440Wie der Schneider mit Gott abrechnete 444Die Buchstaben des Bauern 445Das Kind und das gesamte Gebetbuch 445Die Floumlte 446

Nachwort 451Quellennachweis 483Glossar 508

Inhalt 9

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ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

Die Geschichte vom Eselskopf 17

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

Die Geschichte vom Eselskopf 19

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

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sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 10: Jüdische Märchen und Legenden

ben sich weltlichen Vergnuumlgungen hin dem Geld dem Wein und demZauber schoumlner Frauen Und da sie staumlrker waren als die Menschen uumlber-trafen sie sie in allem Boumlsen das sie taten und sie zeugten Nachkommenein Geschlecht das an Schlechtigkeit den Menschen noch uumlbertrafGott sah es und verdammte sie zum Tode Und ihre Kadaver haumlngte

er zwischen Himmel und Erde auf auf den Berg der Finsternis Und zujenem Berg kommen seither die Hexen und Zauberinnen um sich zuinspirieren und um ihr Handwerk zu erlernen Und auch die Nach-kommen der beiden Engel vernichtete der Schoumlpfer damit sie die Erdenicht verunreinigten und voumlllig zerstoumlrten Aus diesem Grunde lieszlig erdie Sintflut uumlber die Welt hereinbrechenDoch benoumltigte der Schoumlpfer zwei neue Engel an Stelle derer die er

verloren hatte Darum lieszlig er den Propheten Elija und den ProphetenNahum kommen und setzte sie an Stelle der verlorenen Engel ein

Der Diamant Adams

Als Adam noch im Garten Eden wohnte fuumlhlte er sich dort wie zuHause Doch als er suumlndigte und die Gebote des Herrn miszligachtete under aus dem Garten Eden vertrieben werden sollte widerstrebte es demHerrn ihn so einfach hinauszuwerfenEines Tages begegnete der Herr zufaumlllig Adam erkundigte sich nach

seinem Befinden und lud ihn in ein Gasthaus ein wo man ihm allerleiSpeisen und scharfe Getraumlnke der besten Sorte vorsetzte Und als Adamdann guter Laune war sagte Gott zu ihm raquoNun Adam moumlchtest dunicht ein wenig in der Welt herumziehen und dir anschauen was sichdort tutlaquo Adam wuumlnschte es nicht aber Gott sagte raquoDu kannst dir mit-nehmen was du willst alles was dir gefaumlllt wenn du nur gehstlaquoEr fuumlhrte ihn herum und zeigte ihm alle Schaumltze und Kostbarkeiten

des Garten Eden und erlaubte ihm sich auszusuchen was sein Herz be-gehrte Adam sah sich um und betrachtete alles was es dort zu sehen gabGaumlrten und Weinberge Tiere und Vieh schoumlne Kleider und Schaumltze von

12 Sturz der Engel

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Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

Die Geschichte vom Eselskopf 17

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

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laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 11: Jüdische Märchen und Legenden

Der Satan und sein Verbuumlndeter

Ein Mann lief seiner Frau davon Unterwegs traf er den Satan der frag-te ihn raquoWohin gehst dulaquo Der Mann erwiderte raquoIch fliehe vor meinerFraulaquo Darauf sagte der Teufel raquoIch fliehe auch vor meiner Frau Kommlaszlig uns in ein anderes Land gehen und uns zusammenschlieszligen Ichwerde in die Koumlnigstochter fahren und wenn man dann nach Aumlrztenruft um sie zu heilen stellst du dich als groszliger beruumlhmter Arzt vor undverlangst eine gewaltige Geldsumme die wir uns spaumlter teilenlaquo Undder Mann sagte raquoSo sei eslaquoSie zogen gemeinsam in jenes Land und der Satan fuhr in die Kouml-

nigstochter und verwirrte ihren Geist Die Leute des Koumlnigs riefennach Aumlrzten die sie heilen sollten Da kam der Mann und sagte raquoIchbin ein beruumlhmter Arzt Wenn ihr mir viel Geld zahlt werde ich sie hei-lenlaquo raquoUnd wenn es dir nicht gelingtlaquo fragten sie ihn Darauf erwider-te er raquoDann moumlge mir der Koumlnig den Kopf abschlagen lassenlaquo Und siesagten raquoSo sei eslaquo Sie gaben ihm das Geld und gewaumlhrten ihm eineFrist von drei TagenDarauf ging der Mann hin und sagte zum Satan raquoLaszlig ab von der Kouml-

nigstochter denn man hat uns schon viel Geld gezahltlaquo Aber der Satanantwortete ihm raquoIch will nichtlaquo Nach drei Tagen kamen die Maumlnnerdes Koumlnigs und sahen daszlig die Koumlnigstochter nicht geheilt war Und derMann sagte ihnen raquoIch bitte euch gebt mir noch drei Tagelaquo Damit wa-ren sie einverstanden und der Mann ging immer wieder zum Satan undbat ihn raquoLaszlig ab von der Koumlnigstochterlaquo Aber dieser wollte nichtUnd wieder gingen drei Tage voruumlber und die Maumlnner des Koumlnigs

sahen daszlig er nichts erreicht hatte und wollten ihn toumlten Und er sagtezu ihnen raquoIch bitte euch gebt mir nochmals drei Tage und wenn ichsie dann nicht geheilt habe soll der Koumlnig auf der Stelle meinen Kopfhabenlaquo Und auch damit waren sie einverstanden Wieder gingen dreiTage voruumlber und der Satan weigerte sich von der Koumlnigstochter ab-zulassenWas tat der Mann Er trat vor den Koumlnig und sagte raquoO mein Herr

rufe aus allen Teilen des Landes dein Heer zusammen und lasse die Sol-

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nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 43

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

44 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 12: Jüdische Märchen und Legenden

nigspalast und bat den Koumlnig sprechen zu duumlrfen Als man ihrer Bittenachgab sagte sie dem Koumlnig was sie zu sagen hatte Der Koumlnig zuumlrn-te ihr sehr und befahl ihr hundert Peitschenschlaumlge zu verabreichenMit Schmerzen und voller Groll kehrte die Alte nach Hause zuruumlckund sagte zu dem Eselskopf raquoSieh nur was ich deinetwegen alles erlei-den muszligtelaquo Der Eselskopf bedauerte es und bat sie um VerzeihungTrotzdem lieszlig er nicht ab und wiederholte seine Forderung Tag fuumlr Tagbis sie schlieszliglich noch einmal einwilligte und wieder zum Koumlnig gingder ihr hundert Peitschenhiebe verabreichen lieszlig und sie mit Schimpfund Schande davonjagte Und wieder bat sie der Eselskopf um Verzei-hung fuumlr den Kummer und die Schmerzen die sie seinetwegen erlittenhatte doch houmlrte er nicht auf immer wieder die gleiche Forderung zustellen Daraufhin begab sie sich ein drittes Mal zum Koumlnigspalast Alsder Koumlnig sie jetzt zum drittenmal sah flammte sein Zorn auf und erschrie sie an raquoDu laumlstiges altes Weib warum kommst du immer wiederhierher um dich uumlber mich lustig zu machenlaquo Aber sie flehte ihn solange an bis er sie schlieszliglich anhoumlrte ndash vielleicht nur um sie loszu-werden und endlich seine Ruhe zu haben ndash und dann sagte er raquoAlsogut ich bin einverstanden diesem Eselskopf meine Tochter zur Frau zugeben aber nur unter der Bedingung daszlig er mir fuumlnfhundert Kamelegibt beladen mit fuumlnfhundert Gefaumlszligen voller Goldmuumlnzen sowie fuumlnf-hundert schwarze Sklavinnen die auf ihren Koumlpfen fuumlnfhundert Koumlrbetragen mit Hochzeitskleidern aus bestickter chinesischer Seide Auszliger-dem muszlig er mir einen Palast bauen groumlszliger und schoumlner als der den ichheute bewohnelaquoDie Alte kehrte nach Hause zuruumlck erzaumlhlte dem Eselskopf was der

Koumlnig verlangt hatte und sagte raquoIch glaube jetzt wirst du endlich mitdeinen eigensinnigen Forderungen aufhoumlrenlaquo Doch der Eselskopf er-widerte raquoIm Gegenteil Nichts leichter als daslaquo Und er schickte demKoumlnig fuumlnfhundert mit Gold beladene Kamele und fuumlnfhundertschwarze Sklavinnen und alles andere was er gefordert hatte Als derKoumlnig sah daszlig seine Forderungen erfuumlllt waren und nichts fehlte hielter sein Versprechen gab ihm seine Tochter zur Frau und lieszlig ein praumlch-tiges Hochzeitsfest halten Und die Koumlnigstochter lebte in Eintracht mit

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ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 13: Jüdische Märchen und Legenden

ihrem Ehemann in dem neuen Palast denn des Nachts verwandelte ersich in einen schoumlnen und lieblichen jungen Mann der erst im Mor-gengrauen wieder ein Eselskopf wurde Im Laufe der Zeit heirateteauch die Schwester der Koumlnigstochter und lud diese zur Hochzeit einDarauf bat sie ihren Mann der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen zuduumlrfen Und ihr Mann sagte raquoIch erlaube dir zur Hochzeit deinerSchwester zu fahren wenn du niemandem erzaumlhlst daszlig dein Ehemannein Eselskopf ist Du darfst lediglich sagen daszlig du mit mir ein gutes undgluumlckliches Leben fuumlhrstlaquo Seine Frau versprach ihm seine Bitte zu er-fuumlllen und fuhr zur Hochzeit Man nahm sie mit Freuden auf kuumlszligteund umarmte sie und die Hochzeit war ein groszliger Erfolg Waumlhrend desEssens fragten die alten Frauen sie aus und erkundigten sich uumlber ihrEheleben und ob alles in Ordnung sei und sie antwortete wie sie esversprochen hatte Aber die Frauen lieszligen nicht ab von ihr und forsch-ten und bedraumlngten sie immer mehr bis sie schlieszliglich nicht mehr ansich halten konnte und ihnen offenbarte ihr Ehemann sei ein EselskopfDoch fuumlgte sie hinzu daszlig er sich des Nachts in einen Menschen wie je-der andere verwandle und dann ein netter junger Mann werdeDa fragte man sie raquoUnd was geschieht in der Nacht mit dem Esels-

kopflaquo Und sie antwortete raquoBei Nacht ist er nur eine leere Huumlllelaquo Dasagten sie raquoWenn das so ist raten wir dir die Huumllle in der Nacht zu ver-brennen Dann kann dein Mann nicht in seine Huumllle zuruumlckkehren undbleibt fuumlr immer und ewig ein huumlbscher junger MannlaquoSie nahm sich die Worte zu Herzen und als sie nach Hause kam

befolgte sie diesen Rat Kaum war ihr Mann eingeschlafen zuumlndetesie ein kleines Feuer an und warf die Huumllle hinein in die ihr Mann je-den Morgen schluumlpfte um sich wieder in einen Eselskopf zu verwan-deln Die Huumllle verbrannte und es blieb davon nur ein HaumlufchenAsche uumlbrigAm Morgen erwachte ihr Mann und sah daszlig die Huumllle verschwun-

den war Erschrocken rief er aus raquoWeh mir wo ist die Huumllle Jetzt istmein Leben in groszliger GefahrlaquoDa sagte sie raquoIch muszlig dich um Verzeihung bitten Ich wollte ja nur

daszlig du fuumlr immer ein huumlbscher Mann bleibstlaquo

18 Die Geschichte vom Eselskopf

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

Die Geschichte vom Eselskopf 19

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen und war voller Angst vorder groszligen Gefahr die sein Leben bedrohte Auch als sie ihm ihrenSchmuck schenkte um ihn zu besaumlnftigen beruhigte er sich nicht undschlieszliglich verschwand erUnd die Frau blieb ohne ihren Mann zuruumlck Bald konnte sie die

Einsamkeit in dem leeren Palast nicht mehr ertragen nahm ihre Sachenund kehrte in ihr Elternhaus zuruumlck Weinend und klagend saszlig sie dortund rief raquoIhr seid an allem schuld Warum habt ihr mich uumlberredet dieHuumllle meines Mannes zu verbrennen Jetzt habe ich weder eine Huumlllenoch einen Mannlaquo Und so saszlig sie weinend da ohne zu essen und oh-ne zu trinken und dachte immer nur an ihren MannSoviel zu der Koumlnigstochter Und es begab sich daszlig eines Tages eine

der Frauen in der Stadt einen Brotteig knetete und ihre Tochter damitzum Baumlcker schickte um daraus Brotlaibe zu backen Doch unterwegskam ein starker Wind auf und wehte dem Maumldchen den Teig aus derHand Das Maumldchen lief dem Teig nach und gelangte schlieszliglich an ei-nen Ort wo es ein Kamel sah das Geschirr abwusch Das Maumldchenstaunte sehr uumlber diesen ungewoumlhnlichen Anblick und blieb stehen umzu sehen was das Kamel noch alles tun wuumlrdeDas Kamel sammelte das gewaschene Geschirr auf und wandte sich

zum Gehen und das Maumldchen ging ihm nach Sie kamen zu einemHaus dessen Tuumlr das Kamel oumlffnete um hineinzugehen gefolgt vondem Maumldchen Doch das Kamel war kein gewoumlhnliches Kamel son-dern ein Daumlmon Als es in dem Haus war machte es das Maul auf undrief raquoWind und Regen fegt sofort dieses Haus reinlaquo Gleich darauf kamder Regen und ein Wind erhob sich und die beiden fegten und saumlu-berten das ganze Haus bis es rein war Darauf sanken ein Teppich unddrei Stuumlhle von der Decke herunter und nun bekam das Haus einwohnliches Aussehen Danach kamen drei Maumlnner von der Decke her-unter und setzten sich auf die Stuumlhle und dann kam ein gedeckter Tischvoller Koumlstlichkeiten und Leckereien und blieb vor ihnen stehen Unddie drei labten sich an den Speisen und Getraumlnken und zum Schluszlig zogeiner von ihnen einen schoumlnen Apfel aus der Tasche und schnitt ihn invier Teile Er gab jedem der Anwesenden einen Schnitz doch den vier-

Die Geschichte vom Eselskopf 19

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ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 49

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 15: Jüdische Märchen und Legenden

ten legte er zur Seite und sagte raquoDen vierten Schnitz hebe ich auf fuumlreine die in weiter Ferne ist und meinem Herzen doch so nahesteht diemir ihren Schmuck anbot den ich aber nicht annahm

Und jetzt meine Freunde weint um michUnd auch die Waumlnde des Hauses sollen um mich weinenlaquo

Und die Waumlnde begannen zu weinen und alle Anwesenden ebenfallsDas Maumldchen hielt sich am Schwanz des Kamels fest und sah alles wassich zutrug Als das Mahl beendet war sammelte das Kamel das Geschirrein um es drauszligen zu waschen Das Maumldchen hielt sich immer noch amSchwanz des Kamels fest und ging ihm nach und so kamen sie an dieStelle an der sie ihm zuerst begegnet war Als das Maumldchen nach Hausekam schrie die Mutter es an raquoWo bist du gewesen und wo ist der Brot-teiglaquo Darauf erzaumlhlte ihr das Maumldchen die ganze Geschichte Die Mut-ter schickte ihre Tochter zum Koumlnigspalast damit sie der Koumlnigstochteralles berichtete weil sie annahm daszlig der Mann mit dem Apfel kein an-derer war als der verschwundene Mann der KoumlnigstochterDas Maumldchen ging hin zum Koumlnigspalast und als es dort ankam

rief es mit lauter Stimme raquoAus dem Weg haltet mich nicht auf Laszligtmich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquo Die Menschen die siehoumlrten wunderten sich raquoWie koumlnnen wir ein kleines Maumldchen hierhereinlassenlaquo Aber das Maumldchen schrie weiter raquoAus dem Weg haltetmich nicht auf Laszligt mich der Koumlnigstochter die Heilung bringenlaquoDas houmlrte der Koumlnig in seinen Gemaumlchern und sagte raquoLaszligt sie hereinWer weiszlig vielleicht bringt sie etwas um das gebrochene Herz meinerTochter zu heilenlaquoDas Maumldchen trat ins Gemach der Koumlnigstochter und fand sie voumlllig

geschwaumlcht und dem Tode nahe Das Maumldchen trat an sie heran undfluumlsterte ihr ins Ohr raquoDeine Trauerzeit ist voruumlber denn bald werdendeine Augen den Ehemann erblickenlaquo Und dann fuhr sie fort raquoWenndu aufstehst und iszligt zeige ich dir wo dein Mann istlaquo Denn wer keineKraft hat kann auch die Zeit bis zur Erloumlsung nicht uumlberstehen Danntrat das Maumldchen auf den Gang hinaus und wies die Dienerschaft an

20 Die Geschichte vom Eselskopf

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raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

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sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 16: Jüdische Märchen und Legenden

raquoBringt mir Huumlhnerbruumlhelaquo Die Diener schlachteten schnell ein Huhnund bereiteten eine Huumlhnerbruumlhe die sie der Koumlnigstochter einfloumlszligtenworauf diese sich wieder erholte Der Koumlnig betrat das Gemach seinerTochter und war hocherfreut als er sah was sich zugetragen hatte Erbefahl dem Maumldchen einen Sack voll Gold zu geben und es kehrte alsreiche Tochter nach Hause zuruumlckAm naumlchsten Tag kam das Maumldchen wieder in den Palast und sagte

zur Koumlnigstochter raquoKomm mit mirlaquo Die Koumlnigstochter bat ihren Vaterum Erlaubnis und er gestattete ihr mitzugehen Darauf fuumlhrte das Maumld-chen die Koumlnigstochter an den Ort wo das Kamel Geschirr wusch unddas Kamel bestaumltigte der Koumlnigstochter daszlig das Maumldchen die Wahrheitgesprochen hatte Danach hielten sich beide am Schwanz des Kamelsfest und gingen ihm nachDas Kamel ging bis zum Haus machte die Tuumlr auf und trat ein und

die beiden folgten ihm Wieder befahl das Kamel dem Regen und demWind das Haus zu saumlubern und das geschah sofort Und wieder sankender Teppich und die drei Stuumlhle von der Decke herunter Und die dreiStuumlhle waren folgendermaszligen beschaffen einer war aus Silber einer ausGold und einer aus Diamanten Darauf versteckte das Kamel das Maumld-chen und die Koumlnigstochter unter den Stuumlhlen und schon sank einweiszliggedeckter Tisch von der Decke beladen mit Tellern und Schuumlsselnvoller Koumlstlichkeiten Und die drei Maumlnner kamen ebenfalls herunterund begannen zu speisenNachdem sie sich satt gegessen hatten zog derjenige der auf dem

Diamantenstuhl saszlig einen Apfel aus der Tasche zerschnitt ihn in viergleiche Teile und sprach raquoDer vierte Schnitz ist fuumlr die die fern von mirweilt und die meinem Herzen doch so nahesteht die mir ihrenSchmuck geben wollte den ich mich weigerte anzunehmen

Weil meine Geliebte mir so fern ist ndash o wehWeint ihr Waumlnde weint um michlaquo

Und die Waumlnde weinten und die Anwesenden weinten und der Mannselbst weinte auch Doch unter seinem Stuhl ertoumlnte ploumltzlich ein La-

Die Geschichte vom Eselskopf 21

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chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

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sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 17: Jüdische Märchen und Legenden

chen Der Mann wurde zornig und ruumlckte den Stuhl weg Und was saher Die die seinem Herzen so nahe war stand vor seinen Augen Er sag-te zu ihr raquoNur deinetwegen habe ich so gelittenlaquo Und sie erwiderteraquoDas ist sehr wenig im Vergleich mit dem was ich erlitten habe Dei-netwegen bin ich erkrankt und ohne dieses Maumldchen das mich vomTode errettet hat und mir zeigte wo du dich befindest haumlttest du michnie wiedergesehenlaquoDa umarmte der Koumlnigssohn (denn ein solcher war er) seine Frau

und kuumlszligte sie und beide kehrten in den Palast zuruumlck wo sie zumzweitenmal Hochzeit feierten noch praumlchtiger als beim erstenmalDer juumlngere Bruder des Koumlnigssohns heiratete das Maumldchen und al-

le lebten noch lange in Gluumlck und Zufriedenheit

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

Einmal verirrte sich ein junges Maumldchen auf dem Weg zum Hause ih-res Vaters und befand sich ploumltzlich weit auszligerhalb der Stadt Sie warsehr durstig und kam zu einem Brunnen an den ein Strick gebundenwar Sie lieszlig sich an dem Strick ins Loch hinunter und trank von demWasser doch gelang es ihr nicht wieder hinaufzuklettern Das Maumldchenweinte und schrie doch niemand antwortete Schlieszliglich kam einMann vorbei blickte hinunter und fragte ob dort ein Mensch sei oderein boumlser Geist Es erwiderte raquoIch bin ein Menschlaquo und weinte undflehte ihn an es herauszuholen Da sagte er raquoWirst du dich zu mir le-gen wenn ich dich herausholelaquo raquoJalaquo erwiderte es und schwor einenEid darauf Mit groszliger Muumlhe zog der Mann es heraus und sagte raquoJetztmuszligt du dein Versprechen haltenlaquo Dann wollte er bei ihm liegen aberdas Maumldchen sagte raquoAus welcher Stadt bist dulaquo Er nannte den Namender Stadt und sagte zu ihr raquoIch bin ein Cohenlaquo Und auch das Maumld-chen nannte ihm den Namen ihrer Stadt und den Namen ihrer Fami-lie Und es sagte raquoDu stammst aus einer geheiligten Familie von Prie-stern die der Herr auserwaumlhlt hat und willst dennoch handeln wie ein

22 Die Geschichte vom Eselskopf

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und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

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sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 18: Jüdische Märchen und Legenden

und in jeder Weise vollkommen Du solltest auf mich houmlren und dich mitihm verloben denn einen Besseren werden wir nicht finden Wir werdennicht zulassen daszlig uns ein solcher Edelstein verlorengeht und wir wer-den unser Gluumlck nicht wegwerfen Ob du es willst oder nicht ich werdedich zwingen ihn zu heiratenlaquo So sprach der Vater und auch die Mutterstimmte ihm bei und tat alles um ihre Tochter zu uumlberreden Als dieTochter sah daszlig Vater und Mutter nicht nachgaben fuumlhrte sie sich aufwie eine Verruumlckte zerriszlig ihre Kleider und die Kleider eines jeden dersie anruumlhrte bis ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr mit ihr sprachenUnd auch die ledigen Maumlnner der Stadt hielten nicht laumlnger um ihreHand an weil sich die Nachricht verbreitet hatte sie sei verruumlckt gewor-den Sie pflegte barfuszlig auf die Straszlige zu laufen ihre Kleider zu zerreiszligenund jeden den sie traf mit Steinen zu bewerfenDoch der Mann mit dem sie das Buumlndnis geschlossen hatte vergaszlig

bald seinen Schwur und nahm sich eine andere Frau die ihm einenSohn gebar Und der Sohn wuchs heran bis zum dritten Lebensjahrund die Eltern hatten viel Freude an ihm Dann kam eines Tages als erim Hof herumspazierte eine Ratte und erwuumlrgte ihn Seine Muttertrauerte sehr um ihren Sohn der eines so seltsamen Todes gestorbenwar doch danach wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweitenSohn Auch dieses Kind wuchs heran bis es in ein tiefes Loch stuumlrzteUnd die Frau trauerte sehr weinte bittere Traumlnen und war untroumlstlichIn ihrem groszligen Kummer dachte sie lange nach und sagte sich raquoNichtumsonst hat der Herr mir das angetan denn er ist gerecht und aufrich-tiglaquo Und sie rief ihren Mann ins Zimmer und sagte zu ihm raquoLieberFreund jeder weiszlig daszlig Gott niemals unrecht tun wuumlrde Wahrschein-lich hat uns der Allmaumlchtige wegen eines Vergehens mit dem Tode un-serer kleinen Kinder bestraft zweimal hintereinander und auf so seltsa-me Weise Wir sollten nachdenken ob wir etwas Boumlses getan haben Wasmich betrifft habe ich mir Gedanken gemacht aber ich kann in mei-nem Tun nichts finden wofuumlr ich eine solche Strafe verdient haumltte Dar-um solltest auch du uumlber dein Tun nachdenken und dich vielleicht aneine Jugendsuumlnde erinnern und du solltest mir davon erzaumlhlen lieberFreund damit wir es wiedergutmachen koumlnnenlaquo Als sie so zu ihm

24 Der Himmel die Ratte und das Wasserloch

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sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 43

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 49

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 19: Jüdische Märchen und Legenden

sprach uumlberwaumlltigte ihn der Kummer und er versuchte sich an alles zuerinnern was ihm im Leben widerfahren war Und als er so seinen Ge-danken nachhing erinnerte er sich ploumltzlich an jenes Maumldchen unddaran daszlig sie einander geschworen hatten niemals einen anderen odereine andere zu heiraten Er erzaumlhlte es seiner Frau und als diese die Ge-schichte houmlrte muszligte sie zugeben daszlig die Strafe gerecht gewesen warSie sagte zu ihrem Mann raquoLieber Freund ich bitte dich gib mir inFrieden und in aller Liebe einen Scheidebrief und gehe dann sofort zujenem Maumldchen das der Herr fuumlr dich bestimmt hat und tue wozudich dein Eid verpflichtet damit keine Reinen und Unschuldigen mehrsterben und wir nicht mehr aus dem bitteren Kelch trinken muumlssenlaquoUnd sie gingen zum Rabbi und er gab ihr einen Scheidebrief und dieFrau ging ihrer WegeDer Mann machte sich auf den Weg in jene Stadt in der das Maumld-

chen wohnte und fragte nach ihm Die Leute sagten ihm es sei ver-ruumlckt geworden Doch er sagte raquoDennoch moumlchte ich wissen wo dasHaus seines Vaters istlaquo Dann ging er zu dem Vater des Maumldchens undsprach raquoEuer Ehren Ihr habt eine jungfraumluliche Tochter Wollt Ihr siemir zur Frau gebenlaquo Und der Vater erwiderte raquoDu betruumlbst mich mitdeinen Worten denn meine Tochter war fruumlher ein wahres Juwel bissich dann vor geraumer Zeit aus irgendeinem Grund ihr Geist verwirr-te so daszlig sie heute heiratsunfaumlhig istlaquo Da sagte der Mann zu ihmraquoDennoch will ich sie haben Sei so gut und fuumlhre mich zu ihrlaquo raquoGutlaquosagte der Vater Der Mann ging zu ihr hinein und sofort fing sie an sichwie eine Verruumlckte zu gebaumlrden Da sagte er raquoMaumldchen erkennst dumich nicht Erinnere dich doch daran wie ich dich damals auf demFeld in einem Wasserloch gefunden habelaquo Und er erzaumlhlte ihr was sichzugetragen hatte Und ihr Geist gesundete auf der Stelle Sie erkannteihn wieder und sagte raquoDeinetwegen und wegen des Schwures den ichgeleistet habe muszligte ich jahrelang leiden aber ich habe meinen Eid ge-haltenlaquo Sie rief sogleich ihren Vater und ihre Mutter herbei und er-zaumlhlte ihnen die ganze Geschichte und bei den Eltern herrschte groszligeFreude Sogleich bereitete man alles zur Hochzeit vor Sie heiratetenund hatten Kinder und Kindeskinder und lebten in Gluumlck und Ehren

Der Himmel die Ratte und das Wasserloch 25

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

Die Braut und der Todesengel 27

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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dem er sieben Tage dort geblieben war ging er zu seinem Onkel undsagte raquoIch habe eine Bitte die du mir nicht abschlagen darfstlaquo Undder Onkel erwiderte raquoBitte mich um alles was du willst mein SohnlaquoDa sagte der junge Mann raquoIch bitte dich mir deine Tochter zur Frauzu gebenlaquo Als der Onkel das houmlrte brach er in Traumlnen aus und sagteraquoTu das nicht mein Sohn denn ihre Braumlutigame sterben alle gleichnach der ersten Nachtlaquo Der junge Mann erwiderte raquoIch bin bereitdiese Gefahr auf mich zu nehmenlaquo Der Onkel erschrak und sagteraquoWenn du sie nur ihres Geldes wegen haben willst brauchst du sienicht zu heiraten Ich gebe dir Gold und Silber soviel du willst Dubist ein kluger und anmutiger Junge und ich rate dir dich nicht inGefahr zu begebenlaquo Doch der junge Mann sagte raquoIch habe schon ei-nen Eid abgelegtlaquo Als der reiche Onkel sah wie die Dinge standengab er nach ging zu seiner Tochter und erzaumlhlte ihr alles Die Tochterweinte bittere Traumlnen schlug die Augen zum Himmel auf und riefraquoAllmaumlchtiger Gott toumlte mich und laszlig diesen Jungen nicht um mei-netwillen sterbenlaquoDer junge Mann nahm sie zur Frau und ihr Vater lud die Wuumlrden-

traumlger der Stadt zu einem Gelage ein Alle kamen um das Brautpaar zuerfreuen Als der Braumlutigam unter dem Baldachin saszlig den man fuumlr ihnaufgestellt hatte trat ein alter Mann an ihn heran Das war der gottseli-ge Prophet Elija und er fluumlsterte ihm zu raquoMein Sohn laszlig mich dir ei-nen guten Rat geben und verschmaumlhe ihn nicht Wenn du dich heutean die Festtafel setzt wird ein armer Mann hereinkommen in schwar-zer zerschlissener Kleidung barfuszlig und erschoumlpft mit Haaren so wieNaumlgel Sobald du ihn siehst sollst du von deinem Stuhl aufstehen ihnneben dich setzen ihn mit Speise und Trank bewirten und ihm Ehreerweisen Lasse nichts von dem verlauten was ich dir gesagt habelaquoNachdem der Alte seinen Spruch aufgesagt hatte verabschiedete er sichund der Braumlutigam kehrte an seinen Platz zuruumlckAls man mit dem Essen begann erschien der Arme und blieb an der

Tuumlrschwelle stehen Der Braumlutigam der am Kopf der Tafel saszlig erhobsich und ging auf ihn zu Er lud ihn ein neben ihm zu sitzen bewirte-te ihn und tat alles was der Alte ihm eingeschaumlrft hatte Nach dem Fest-

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mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 21: Jüdische Märchen und Legenden

mahl als der Braumlutigam auf sein Zimmer ging folgte ihm der Arme undsprach ihn an raquoMein Sohn ich bin der Abgesandte des Allmaumlchtigenund ich bin gekommen deine Seele zu holenlaquo Der Braumlutigam bat ihnraquoHerr gib mir nur noch ein Jahr oder auch nur ein halbeslaquo Er entgeg-nete ihm raquoNein das tue ich nichtlaquo Der Braumlutigam sagte raquoGib mir drei-szligig Tage oder wenigstens die sieben Tage des Festmahlslaquo Darauf ant-wortete er raquoIch kann dir auch nicht einen einzigen Tag geben denndeine Stunde ist bereits gekommenlaquo Und der Braumlutigam sagte raquoIchbitte dich warte noch so lange bis ich mich von meiner Frau verab-schiedet habelaquo Und er bekam zur Antwort raquoDiesen Wunsch werde ichdir erfuumlllen weil du mir soviel Ehre erwiesen hast Geh und kommschnell zuruumlcklaquoDer Braumlutigam ging zu dem Zimmer in dem die Braut wartete sie

saszlig dort weinend und betete Er rief nach ihr und sie oumlffnete ihm so-fort und als sie ihn auf der Tuumlrschwelle stehen sah kuumlszligte und umarm-te sie ihn und sagte raquoWarum bist du allein gekommenlaquo Darauf sagte erraquoIch bin gekommen um von dir Abschied zu nehmen denn meineletzte Stunde hat geschlagen Der Todesengel kam zu mir und sagte ersei gekommen um meine Seele zu holenlaquo Darauf erwiderte sie raquoGehnicht hinaus Bleibe hier sitzen und ich werde hinausgehen und mitihm sprechenlaquo Sie ging hinaus sah dort den Todesengel und sagte raquoBistdu der Engel der die Seele meines Mannes haben willlaquo Und er erwi-derte raquoSo ist eslaquo Da sagte sie raquoMein Mann soll nicht sterben Denn inder Tora steht geschrieben rsaquoWenn jemand ein Weib kurz zuvor genom-men hat der soll nicht in die Heerfahrt ziehen und man soll ihm nichtsauflegen Er soll frei in seinem Hause sein ein Jahr lang daszlig er sein Weiberfreue das er genommen hatlsaquo Der Allmaumlchtige ist die Wahrheit undseine Lehre ist die Wahrheit und wenn du jetzt die Seele meines Man-nes nimmst verfaumllschst du die Lehre des Herrn Wenn du auf mich houml-ren willst gut wenn nicht komm mit mir vor den allerhoumlchsten Rich-terlaquo Der Engel houmlrte sie an und erwiderte raquoWeil dein Mann mich ge-ehrt und mir Guumlte erwiesen hat werde ich dieses tun Ich gehe zumKoumlnig aller Koumlnige und berichte ihm was du gesagt hastlaquo Dann ver-schwand der Engel fuumlr einen Augenblick und kam gleich darauf hoch-

28 Die Braut und der Todesengel

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erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

Die Braut und der Todesengel 29

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 22: Jüdische Märchen und Legenden

erfreut wieder Er berichtete der Allmaumlchtige habe dem Braumlutigam dasLeben wiedergegebenDer Vater und die Mutter der Braut verbrachten eine schlaflose

Nacht und saszligen weinend in ihrem Zimmer Um Mitternacht standenbeide auf um noch vor Sonnenaufgang ein Grab fuumlr den Braumlutigamauszuheben Als sie aus ihrem Zimmer traten vernahmen sie die Stim-men des Brautpaares Sie lauschten und houmlrten wie die Brautleute froumlh-lich herumtollten

Der Mann und seine Frau und der Raumluber

Zur Zeit des Koumlnigs Salomo ging einmal ein junger Mann von Tiberi-as nach Betar um dort die Heilige Schrift zu studieren Er war ein sehranmutiger junger Mann Unterwegs fiel er einem jungen Maumldchen aufdas sogleich zu seinem Vater sagte raquoIch bitte dich verheirate mich mitdiesem Jungenlaquo Der Vater lief dem jungen Mann nach und sagteraquoWuumlrdest du gerne heiraten und soll ich dir meine Tochter zur Fraugebenlaquo Und der junge Mann erwiderte raquoJalaquo Darauf nahm er sie so-gleich zur Frau kehrte mit ihr in seine Stadt zuruumlck und lebte mit ihrein Jahr lang froh und gluumlcklich Am Ende des Jahres sprach seine Frauzu ihm raquoBitte laszlig uns doch meinen Vater und meine Mutter besuchenlaquoDer Ehemann sattelte die Pferde belud sie mit Speisen und Getraumlnkenund Suumlszligigkeiten und machte sich mit seiner Frau auf den Weg ihre El-tern zu besuchenUnterwegs trat ihnen ein bewaffneter Raumluber entgegen Als die Frau

den Raumluber erblickte verliebte sie sich in ihn und gab ihm einen Winkder ihm ihre Liebe offenbarte Gemeinsam packten die Frau und derRaumluber den Ehemann und fesselten ihn mit Stricken um ihn spaumlter zutoumlten Darauf legte sich der Raumluber mit der Frau nieder und vergnuumlgtesich mit ihr und danach labten sie sich an Speise und Trank Und derEhemann war an einen Baum gebunden und sah zu Danach legte sichder Raumluber nochmals mit der Frau nieder und dann nahm er den

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Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

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sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 23: Jüdische Märchen und Legenden

Mann zum Rabbi und sprach raquoIch kann die Traumlnen meiner Frau nichtmehr ertragen Darum bin ich zu dir gekommen und werde nicht vondeiner Tuumlrschwelle weichen bis du mir eine Antwort gibstlaquo Der Rabbihoumlrte ihn an und sagte raquoWenn du bereit bist dein ganzes Vermoumlgen zuverlieren wirst du Soumlhne habenlaquo Und der Chassid erwiderte raquoIch wer-de meine Frau fragenlaquo Er fuhr nach Hause und erzaumlhlte seiner Frau wasder Rabbi gesagt hatte und sie erklaumlrte raquoIch will Nachkommen gebaumlrenund der Allmaumlchtige der das Leben schenkt wird auch fuumlr unseren Le-bensunterhalt sorgenlaquo Darauf fuhr der Mann wieder zum Rabbi zuruumlckund sagte raquoMeine Frau moumlchte Kinder gebaumlrenlaquo Der Rabbi blickte ihmins Gesicht und sprach raquoGeh nach Hause und hole dein ganzes GeldDann werde ich dir sagen was du tun sollstlaquo Der Mann tat wie gehei-szligen und als er wiederkam sagte der Rabbi zu ihm raquoFahre in die StadtLublin und sage dem Zaddik Jaakov Jitzchak daszlig ich dich geschickt ha-be Und dann tue das was er dir befiehltlaquoDer Mann fuhr von Kosnitz nach Lublin ging dort zu Rabbi Jaakov

Jitzchak und sagte was man ihm aufgetragen hatte Da sagte der Rabbizu ihm raquoBleibe hier bis ich dir sage was du tun sollstlaquo Und der Mannblieb viele Tage lang in Lublin bis der Rabbi ihn eines Tages ansprachraquoJetzt werde ich dir sagen was du tun sollst In deiner Kindheit hat mandich mit einer Jungfrau verlobt doch als du aumllter wurdest hast du dieVerlobung geloumlst ohne die Braut zu entschaumldigen und bis sie dir nichtverzeiht wirst du keine Kinder haben Und weil diese Frau mit der duverlobt warst in der Zwischenzeit sehr weit gereist ist muszligt du so lan-ge nach ihr suchen bis du sie findest Ich will dir einen Rat geben inzwei Monaten findet in der Stadt Balta der groszlige Jahrmarkt statt wahr-scheinlich wird diese Frau dort sein Darum waumlre es ratsam dorthin zufahren und sie zu suchen bis du sie findestlaquoDer Chassid houmlrte auf die Worte des heiligen Rabbis und fuhr nach

Balta Unterwegs erkundigte er sich uumlberall nach der Frau Vielleicht sodachte er wuumlrde er ihr schon jetzt begegnen sich mit ihr versoumlhnenund sogleich nach Hause zuruumlckkehren Doch seine Bemuumlhungen wa-ren umsonst er sah und houmlrte nichts von ihr In Balta angekommen be-gab er sich in eine Herberge und kuumlmmerte sich nicht um Handel und

Die tote Braut 31

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Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 43

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 24: Jüdische Märchen und Legenden

Geschaumlfte sondern gab sich dem Studium und dem Gebet hin Tag fuumlrTag streifte er drei Stunden lang durch die Straszligen der Stadt auf der Su-che nach jener Frau So gingen Tage und Wochen voruumlber bis der gro-szlige Markt begann und nun durchstreifte er die Straszligen von fruumlh bisspaumlt Uumlberall fragte er nach einer Frau namens Ester Schifra mit der erin seiner Kindheit verlobt gewesen war doch brachte er nichts in Er-fahrung und waumlre schon verzweifelt nach Hause zuruumlckgekehrt haumltteihm der heilige Rabbi nicht zugesagt er wuumlrde sie findenUnd siehe da drei Tage vor Ende des Jahrmarkts als die Kaufleute

schon nach Hause fuhren jeder in seine Stadt stand der Chassid in Ge-danken versunken auf der Straszlige als es ploumltzlich heftig zu regnen be-gann Er suchte Schutz an einer Hauswand und dort fiel sein Blick aufeine Frau die neben ihm stand in bestickte Seide gekleidet und mitzahlreichen Schmuckstuumlcken behangen Als er etwas von ihr abruumlckteund einen Schritt zuruumlcktrat lachte die Frau und sagte zu ihrer Freun-din raquoDieser Mann hat mich in seiner Jugend betrogen und auch heu-te noch laumluft er vor mir davon Er war einmal mit mir verlobt aber danngefiel ich ihm nicht mehr und obwohl ich heute durch die Gnade Got-tes noch wohlhabender bin als er ruumlckt er immer noch von mir ablaquo Alsder Chassid das houmlrte wandte er sich ihr zu und fragte raquoMeine Damevon wem sprecht Ihrlaquo Und die Frau erwiderte raquoIch spreche von EuchErinnert Ihr Euch nicht an Ester Schifra die vier Jahre lang mit Euchverlobt war Das bin ich Und Ihr Was tut Ihr hier Und wie geht esEurer Frau und Euren Kindernlaquo Da sagte er raquoSeht ich will nichts vorEuch verbergen und Ihr sollt wissen daszlig ich nur um Euretwillen her-gekommen bin Ich bin kinderlos und der heilige Rabbi von Lublin hatmir gesagt daszlig meine Frau nicht gebaumlren werde bis ich mich mit Euchversoumlhne Und ich bin bereit alles zu tun was Ihr mir befehlt wenn Ihrmir nur verzeihen wolltlaquo Da sagte die Frau raquoIhr sollt wissen daszlig Gottmich mit reichen Guumltern gesegnet hat und ich von Euch nichts benouml-tige Doch habe ich einen armen Bruder einen gelehrten und gottes-fuumlrchtigen Mann der in einem Dorf in der Naumlhe von Suvlak wohntund dieser Tage seine Tochter verheiratet Doch besitzt er keinen Pfen-nig Geld Darum sollt Ihr zu ihm fahren und ihm zweihundert Duka-

32 Die tote Braut

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ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 25: Jüdische Märchen und Legenden

ten auszahlen und danach werdet Ihr Kinder habenlaquo Doch der Chas-sid flehte sie an raquoGlaubt mir daszlig mich diese Reise schon ein Vermoumlgengekostet hat Warum wollt Ihr mir noch die Reise zu Eurem Bruderaufbuumlrden Nehmt doch das Geld und schickt es ihm mit der PostlaquoDoch die Frau erwiderte raquoNein Ihr muumlszligt selbst hinfahren und ihm dasGeld uumlbergeben Sobald er es in Empfang genommen hat verzeihe ichEuch von ganzem Herzen und der Allmaumlchtige wird Euch helfen Kin-der und Kindeskinder zu haben die die Heilige Schrift studieren undgute Taten vollbringenlaquo Damit wandte sie sich ab und ging davon undals er ihr nachging und auf die Straszlige trat war sie verschwundenDer Chassid fuhr also nach Suvlak und von dort in das Dorf in

dem der Bruder seiner Verlobten wohnte Als er zu ihm ins Haus kamfand er ihn in Gedanken versunken Da fragte ihn der Chassid raquoWar-um seid Ihr so besorgt und bekuumlmmertlaquo Darauf erwiderte der Haus-herr raquoMein Herr koumlnnt Ihr mir denn helfen wenn ich Euch sagewas mein Herz bedruumlcktlaquo Doch sein Gast draumlngte ihn ihm denGrund fuumlr seine Niedergeschlagenheit mitzuteilen bis der Hausherrschlieszliglich nachgab und sagte raquoMeine jungfraumluliche Tochter ist mitdem Sohne des reichsten Mannes von Suvlak verlobt und ich habeihr eine Mitgift von dreihundert Silberschekel versprochen auszliger denuumlblichen Geschenken und Kleidungsstuumlcken Doch zu meinem Un-gluumlck besitze ich diese Summe nicht Schaut hier ist der Brief den ichgestern vom Vater des Braumlutigams erhalten habe in dem er mirschreibt wenn ich die Mitgift nicht innerhalb von drei Tagen auszah-le bricht er die Verlobung und verheiratet seinen Sohn an eine ande-re Frau Meine Tochter heult und ist untroumlstlich und ich bin ratlosund verbittert und kann nicht helfenlaquoAls der Hausherr geendet hatte sagte sein Gast zu ihm raquoMacht Euch

keine Sorgen Ich werde Euch zweihundert Dukaten geben genug fuumlrdie Kosten der Hochzeit und noch mehrlaquo Der Hausherr erwiderteraquoWomit habe ich es verdient daszlig Ihr so groszligzuumlgig seid Oder machtIhr Euch nur uumlber mich lustig Noch nie habe ich gesehen oder gehoumlrtdaszlig jemand sein Geld so verschleudertlaquo Und der Gast antwortete raquoIchwerde nichts vor Euch verbergen Ich bin der Abgesandte Eurer Schwe-

Die tote Braut 33

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 43

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Die tote Braut 35

sich sehr und begann zu verstehen was sich zugetragen hatte Als er sichein wenig von seinem Staunen erholt hatte sagte er raquoOffenbar ist es einGeschenk des Himmels also muumlszligt Ihr das Geld annehmenlaquoNach diesen Worten setzten sie sich zusammen und der Gast berich-

tete dem Hausherrn alles was sich ereignet hatte Und der Hausherrsagte raquoBeschreibt mir die Gesichtszuumlge jener Frau und wenn ich sie da-nach erkenne weiszlig ich daszlig Ihr in der Tat meine Schwester gesehenhabtlaquo Und der Gast beschrieb ihm die Gesichtszuumlge jener Frau und ihrBruder erkannte sie und sagte raquoJa das war in der Tat meine Schwesterdie Euch der Himmel geschickt hat damit Ihr Euch mit ihr versoumlhntund mir zu Hilfe kommt Moumlge Euch der Allmaumlchtige Nachkommenbescheren Weise und Gelehrte denn Ihr habt mir das Leben wiederge-geben und es steht geschrieben Wer auch nur eine Seele aus dem VolkIsrael rettet dem wird es angerechnet als habe er die ganze Welt geret-tetlaquo Der Chassid gab ihm zweihundert Dukaten und fuhr zuruumlck nachKosnitz Dort ging er zu dem Rabbi und erzaumlhlte ihm von Anfang biszum Ende alles was sich zugetragen hatte Und der Rabbi sagte raquoWis-se auf meine Gebete hin hat man sie zur Erde geschickt damit du dichmit ihr versoumlhnst Sonst haumlttest du niemals Nachkommen haben koumln-nen denn das Urteil der Unfruchtbarkeit war bereits uumlber dich gefaumllltweil du eigenmaumlchtig deine Verlobung geloumlst hattest Und jetzt sorgedich nicht Kehre nach Hause zuruumlck und du wirst Nachkommen ha-ben weise und gelehrte Schuumller der Lehre Gottes wie es dir deine to-te Braut zugesagt hatlaquo

Die Gesteinigte

Es war einmal ein Mann der auszog um Handel zu treiben Er gab sei-ne Frau in die Obhut seines Bruders und befahl ihm raquoMein Bruder be-huumlte meine Frau und beschuumltze sie bis ich gesund zuruumlckkehrelaquo Undder Bruder sagte raquoDas will ich tunlaquo Darauf begab sich der Mann aufeine lange Reise und die Frau blieb allein in der Obhut seines Bruders

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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zuruumlck Und was tat dieser Er ging jeden Tag zu ihr und sagte raquoSei mirzu Willen und ich gebe dir alles was du begehrstlaquo Und sie erwiderteraquoNiemals wuumlrde ich so etwas tun denn eine Frau die ihren Mann be-truumlgt ist zur Houmllle verdammt Und wer der Frau seines Bruders nach-stellt verliert seinen Besitz und wird am Ende vom Aussatz befallenlaquoWas tat darauf der Bruder Er sagte eines Tages zu seinem KnechtraquoNimm dir einen Krug und geh Wasser holenlaquo Als der Knecht gegan-gen war begab sich der Mann zur Frau seines Bruders und versuchteihr Gewalt anzutun Doch die Frau schrie so laut daszlig er von ihr ablas-sen muszligte Darauf ging er zum Markt heuerte falsche Zeugen an undbefahl ihnen raquoKommt und bezeugt daszlig ich sie mit meinem Knechtuumlberrascht habelaquo Und was taten darauf die Boumlsewichter Sie gingenzum Obersten Gericht und bezeugten raquoDas und das haben wir gese-henlaquo Sogleich verurteilte sie das Gericht zur Steinigung Man band ihreinen Strick um den Hals und fuumlhrte sie vor die Tore von Jerusalemund dort steinigte man sie bis sie unter einem Steinhaufen begrabenwar Am naumlchsten Tag kam ein Mann des Weges der seinen Sohn nachJerusalem geleitete denn dieser wollte dort die Heilige Schrift studie-ren Als die beiden den Acker erreichten wo die Steinigung stattgefun-den hatte uumlberfiel sie die Nacht und sie konnten an diesem Tag Jeru sa-lem nicht mehr betreten So legten sie sich dort wo sie waren zur Ru-he nieder und lehnten ihre Koumlpfe an den Steinhaufen Und unter denSteinen vernahmen sie eine Stimme die seufzte und schrie raquoWeh istmir denn man hat mich unschuldig gesteinigtlaquo Als der Mann die Stim-me vernahm raumlumte er die Steine zur Seite und sah vor sich eine FrauEr fragte sie raquoWer bist du meine Tochterlaquo Sie erwiderte raquoIch bin dieFrau eines Mannes aus Jerusalemlaquo Und er fragte sie raquoWas tust du hierlaquoSie antwortete raquoDas und das hat sich zugetragen und man hat michohne Schuld gesteinigtlaquo Dann sagte sie raquoHerr wohin gehst dulaquo Under erwiderte raquoNach Jerusalem damit mein Sohn dort die HeiligeSchrift studiertlaquo Da sagte die Frau raquoWenn du mich mitnimmst in deinLand werde ich deinen Sohn alles lehren die Tora das Buch der Pro-pheten und das Buch der Schriftenlaquo Da sagte er raquoVerstehst du dichdenn so gut darauflaquo Und sie erwiderte raquoJalaquo Da nahm der Mann sie

36 Die Gesteinigte

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mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 28: Jüdische Märchen und Legenden

mit in sein Land und dort erteilte sie seinem Sohn Unterricht in derHeiligen SchriftEines Tages warf der Knecht dieses Mannes ein Auge auf sie und sag-

te raquoGib dich mir hin und ich werde dir alles geben was dein Herz be-gehrtlaquo Doch die Frau erhoumlrte ihn nicht Was tat darauf der Knecht Ernahm ein Messer und wollte sie erstechen doch traf er statt ihrer denSohn und toumltete ihn Der Knecht entfloh und im Hause erhob sich einGeschrei daszlig der Sohn tot sei Da sagte der Vater des Knaben zu derFrau raquoGeh aus dem Hause und mache dich auf den Weg denn jedes-mal wenn ich dich sehe bin ich von neuem erzuumlrnt und erbittert uumlberden Tod meines Sohneslaquo Darauf verlieszlig die Frau das Haus und ging ih-rer Wege und sie irrte umher bis sie ans Ufer des Meeres kam wo sichein Schiff mit Seeraumlubern befand die sie gefangennahmenDoch Gott lieszlig auf dem Meer einen groszligen Sturm aufkommen und

es stuumlrmte gewaltig bis das Schiff auseinanderzubrechen drohte DieSeeleute begannen zu beten jeder zu seinen Goumlttern und sie sagten ei-ner zum anderen raquoKommt laszligt uns das Los befragen wem dieses Uumlbelzuzuschreiben istlaquo Sie losten aus und das Los fiel auf die Frau und siesagten zu ihr raquoWelches Gewerbe uumlbst du auslaquo Und sie erwiderte raquoIchbin eine Hebraumlerin und ich fuumlrchte meinen Gott der das Meer und dasFestland erschaffen hatlaquo Und sie erzaumlhlte ihnen alles was ihr widerfah-ren war Was taten darauf die Seeleute Sie erbarmten sich ihrer undkeiner tat ihr etwas Boumlses an sondern sie setzten sie an Land und bau-ten ihr ein kleines Haus Das Meer beruhigte sich und das Schiff setzteseinen Weg fort Die Frau blieb in dieser Gegend wohnen und wurdeeine beruumlhmte Heilerin Der Allmaumlchtige lieszlig fuumlr sie verschiedene Ar-ten von Kraumlutern wachsen mit denen sie Aussaumltzige und andere Kran-ke heilte Und die Frau erlebte einen groszligen Aufstieg und ihr Ruhmverbreitete sich auf der ganzen Welt und so sammelte sie groszlige Schaumlt-ze von Gold und Silber Eines Tages kehrte ihr Mann nach Jerusalemzuruumlck und houmlrte seine Frau sei gesteinigt worden Doch der Allmaumlch-tige strafte den Bruder mit Aussatz und ebenso die falschen Zeugen diegegen die Frau ausgesagt hatten Und als sie houmlrten daszlig es am Ufer desMeeres eine Heilerin gab da sagten sie einer zum anderen raquoKommt

Die Gesteinigte 37

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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38 Die Gesteinigte

laszligt uns zu der Heilerin gehenlaquo Sie gingen los und auch der Mann je-ner Frau schloszlig sich ihnen an und schlieszliglich erreichten sie den Ortan dem sich die Frau befand Als sie bei ihr eintraten erkannte sie dieMaumlnner sogleich aber die Maumlnner erkannten sie nicht Und die Maumln-ner sagten zu ihr raquoWerte Frau wir sind aus einem fernen Land ange-reist weil wir gehoumlrt haben du seiest eine beruumlhmte Heilerin Wir wer-den dir viel Gold und Silber geben wenn du uns von unserem Aussatzheilstlaquo Und sie erwiderte raquoIch kann keinen Menschen heilen der mirnicht seine schlimmste Suumlnde offenbart denn ohne das hilft ihm keinHeilmittellaquo Und sie erzaumlhlten ihr raquoDieses und jenes haben wir getanlaquoDa sagte die Frau raquoIch erkenne an euren Gesichtern daszlig ihr groszligeSuumlnder seid und ihr habt mir noch nicht alle eure Suumlnden offenbartund solange ihr diese Suumlnden vor mir verheimlicht wird euch keinHeilmittel helfenlaquo Und was taten sie Sie erzaumlhlten ihr alles ohneScham und der Ehemann der Frau houmlrte zuDa sagte die Frau raquoAus eigenem Munde seid ihr verurteilt Ich

schwoumlre daszlig ich euch nicht heilen werde denn alle Heilmittel der Weltwerden euch nichts nuumltzen Wisset ihr Boumlsewichte daszlig ich die Fraudie hier vor euch steht dieselbe Frau bin der ihr soviel Boumlses angetanhabt die man aufgrund eurer Luumlgen steinigte und die der Allmaumlchtigein seiner unendlichen Guumlte gerettet hatlaquoDa erkannte der Ehemann seine Frau wieder und sie waren froumlhlich

und gluumlcklich und priesen den Schoumlpfer fuumlr seine Wunder Und dieAussaumltzigen muszligten alle sterben

Das Kleid

In einer Stadt lebte einmal eine Frau schoumln und lieblich anzusehengottesfuumlrchtig und herzensgut Eines Tages ging ihr Mann auf denMarkt und sah dort ein huumlbsches Kleid Da sagte er sich raquoDas waumlre einhuumlbsches Kleid fuumlr meine Fraulaquo und kaufte das Kleid und trug es zu ei-nem Schneider zum Ausbessern

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zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 30: Jüdische Märchen und Legenden

zuruumlck und sie erkannte was sie getan hatte Vom boumlsen Gewissen ge-quaumllt lieszlig sie das Kleid zuruumlck und lief hinaus Doch als sie drauszligenwar fand sie die Hoftuumlr verschlossen Die Frau stand bitterlich wei-nend im Hof und rief raquoAllmaumlchtiger Gott Denke daran daszlig ich meinganzes Leben lang auf deinen Pfaden gewandelt bin in Wahrheit undin Unschuld und stets deinen Gesetzen gefolgt bin Ich bitte dich oGott rette mich und uumlberlasse mich nicht diesem Uumlbeltaumlter Erbarmedich meiner barmherziger Gott und erhoumlre mein Gebet zu dieserStunde und an diesem Feiertag der Versoumlhnung und Vergebung fuumlr dasganze Volk IsraellaquoUnd der Herr erhoumlrte sie und erbarmte sich ihrer und schickte einen

Sturmwind der die Frau nach Hause trugDie Frau legte sich ins Bett ihr Herz wie ein Sturm uumlber dem Meer

verwirrt und entsetzt Als ihr Ehemann vom Bethaus zuruumlckkehrte undsie fragte ob sie beten gegangen sei antwortete sie ihm raquoIch bin nichtgegangen weil ich krank binlaquo Ihr Mann glaubte ihr und stellte keineweiteren FragenAm naumlchsten Tag nahm der Goi das Kleid das die Frau in seinem

Hause zuruumlckgelassen hatte und ging auf den Markt um es zu verkau-fen denn es war Gottes Wille daszlig man seine Missetaten entdecken undihn dafuumlr totschlagen wuumlrde Und als der Ehemann dieser Frau wiedereinmal auf den Markt ging sah er dort das Kleid seiner Frau bei einemHaumlndler und wunderte sich sehr Sogleich kaufte er dem Haumlndler dasKleid ab brachte es nach Hause und fragte seine Frau raquoWo ist das Kleiddas ich dir gekauft habelaquo Und sie erwiderte raquoDas Kleid ist nicht inmeinem Hause und was soll ich jetzt tun nachdem ich des Kleides we-gen fast gesuumlndigt haumlttelaquo Sie erzaumlhlte ihrem Mann alles was ihr wider-fahren war und sagte raquoMich trifft keine Schuld Schuld ist das Kleid dasdu mir gebracht hastlaquo Sogleich lieszlig der Mann die Weisen der Stadt ru-fen um sie um Rat zu bitten Sie kamen zerrissen das Kleid unddurchsuchten die Stoffetzen Als sie den Zauberspruch fanden glaubtensie den Worten der FrauDanach gingen sie zum Vorsteher der Stadt und berichteten ihm

uumlber diese Missetat Dieser befahl den Schneider und den Zauberer zu

40 Das Kleid

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 49

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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ihm zu bringen und fragte sie ob es wahr sei daszlig sie einem unbe-scholtenen Mann eine solche Falle gestellt haumltten Als die beiden ihreTat eingestanden hatten lieszlig er den Schneider zur Strafe aufs schmerz-lichste foltern und den Zauberer an einem Baum aufhaumlngen

Die Geschichte vom alten Hagestolzder eine Bohne verlor

Ein alter Hagestolz suchte einmal in seinen Taschen herum und fand ei-ne Kupfermuumlnze Er sagte sich raquoWas kann ich schon mit einer einzigenMuumlnze anfangenlaquo Er ging zum Markt und sah daszlig man dort BohnenErdnuumlsse und Sonnenblumenkerne feilbot Und was konnte sich der ar-me Kerl mit einer Kupfermuumlnze kaufen Er kaufte ein paar Bohnen Erging seines Weges und aszlig von den Bohnen bis er an einem Brunnenvorbeikam Es war ihm nur noch eine einzige Bohne geblieben die ereben in den Mund stecken wollte da fiel die Bohne in den BrunnenDer Arme fing an zu schreien raquoOh meine Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser im Brunnen fing an zu brodeln und ein Teufel kam her-

aus und sagte zu ihm raquoWarum machst du soviel Krach Ich kann die-sen Laumlrm nicht ertragenlaquoUnd der Mann erwiderte raquoIch will meine Bohne wiederhaben die

in den Brunnen gefallen istlaquoDa stieg der Teufel in den Brunnen hinunter und suchte fand jedoch

die Bohne nicht Er stieg wieder nach oben und sagte raquoEs ist keineBohne dalaquo Der Alte erwiderte raquoWas soll das heiszligen Dann suche dochgruumlndlichlaquo Und der Teufel sagte raquoIch habe schon alles abgesucht unddeine Bohne nicht gefunden aber ich will dir statt ihrer etwas anderesschenken damit du nicht soviel Krach machstlaquoDa fragte der Mann raquoWas willst du mir gebenlaquo Und der Teufel ant-

wortete raquoIch gebe dir einen Topf und wenn du hungrig bist kannst duvon dem Topf Bohnen verlangen oder jedes andere Gericht woran dudich satt essen kannstlaquo Doch der Mann sagte raquoVielleicht beluumlgst du

Das Kleid 41

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

42 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 43

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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michlaquo Und der Teufel erwiderte raquoDu kennst doch diesen Brunnenhier Nimm also den Topf und sollte ich dich betrogen haben kannst duimmer hierher zuruumlckkommenlaquoDa nahm der Mann den Topf und ging damit nach Hause Dort

schloszlig er die Tuumlr hinter sich und sagte raquoO Topf ich habe Hungerlaquo So-gleich fuumlllte sich der Topf bis zum Rande mit Bohnen Doch der Altesagte raquoSolche Gerichte esse ich nicht Ich moumlchte gekochtes Fleisch mitRosinen und Mandelnlaquo Der Topf fuumlllte sich mit gekochtem FleischRosinen und Mandeln und der Alte aszlig sich sattDanach ging er gutgelaunt aus dem Haus und setzte sich zu einer

kleinen Plauderei zu den Nachbarn Und wovon sprachen die Nach-barn Vom Essen natuumlrlich Der eine sagte raquoIch habe dies und das ge-gessenlaquo und der andere entgegnete raquoUnd ich dieses undjeneslaquo Der ei-ne sprach weiter raquoGestern gab es bei mir Kuskus mit Fleisch und ver-schiedenen Gemuumlsenlaquo Und der andere ruumlhmte sich raquoBei mir gab eseine koumlstliche Tansialaquo Doch der Alte sagte raquoAll diese Speisen sindnichts im Vergleich zu dem was ich gegessen habe Und wenn ihr mirnicht glaubt gehe ich jetzt hinuumlber in mein Haus und bringe euchKoumlstlichkeiten wie ihr sie in eurem ganzen Leben noch nie gekostethabtlaquo Darauf ging der Alte ins Haus klopfte auf den Topf und sagteraquoTopf ich will verschiedene Gerichte fuumlr vier bis fuumlnf Personen aberwohlgemerkt nur vom Besten und FeinstenlaquoSogleich fuumlllte sich der Topf mit den besten und feinsten Speisen die

das Auge ergoumltzten und das Herz erfreuten Der Alte nahm die Speisenund brachte sie zu den Nachbarn Diese aszligen davon und ihre Augenleuchteten auf Und sie fragten ihn raquoSage uns bitte woher hast du die-se SpeisenlaquoEr erwiderte raquoMeine Bruumlder und Nachbarn bittet mich um jede

Speise nach der es euch geluumlstet und ihr bekommt sie von mir aberfragt mich nicht woher sie kommen denn das ist ein GeheimnislaquoUnd unter den Nachbarn befand sich auch eine boumlse alte Frau die

ebenfalls um Essen bat Wieder ging der Alte ins Haus ihre Bitte zu er-fuumlllen doch sie schlich ihm heimlich nach um dem Geheimnis auf denGrund zu kommen Der Alte trat ins Zimmer und schloszlig die Tuumlr hin-

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ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 43

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

44 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 45

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden 49

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50 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 53

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Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf 55

antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 33: Jüdische Märchen und Legenden

ter sich und die boumlse alte Frau blickte durchs Schluumlsselloch und sah wieer auf den Topf klopfte und dieser sich mit Speisen fuumlllte Danach stell-te der Alte den Topf beiseite und brachte die Speisen zu den Nachbarndie davon aszligen und den Guumltigen segneten Doch inzwischen schlichsich die alte Frau zu ihm ins Haus stahl den Topf und stellte einen ih-rer eigenen Toumlpfe dorthinNach einiger Zeit geluumlstete es die Nachbarn nach weiteren Speisen

Sie sagten zu dem Alten raquoBringe uns noch mehr von dem was du hastlaquoWieder ging der Alte ins Haus und klopfte auf den Topf Einmal zwei-mal und dreimal aber nichts geschah Darauf wurde der Alte zornig liefzu jenem Brunnen zuruumlck und schrie raquoOh meine Bohne Meine Boh-nelaquoDa brodelte das Wasser im Brunnen und der Teufel kam heraus und

fragte raquoWarum schreist du so lautlaquoDer Alte antwortete raquoIch will meine Bohne wiederhabenlaquoUnd der Teufel sagte raquoWas willst du eigentlich von mir Ich habe dir

doch statt dieser Bohne einen Topf gegeben der dich dein ganzes Le-ben lang ernaumlhrtlaquoDer Alte schrie voller Wut den Teufel an raquoLuumlgner Du wolltest mich

nur loswerden und hier ist dein TopflaquoDer Teufel betrachtete den Topf sehr genau und sagte raquoDas ist nicht

der Topf den ich dir gegeben habe Offenbar hat man dir mein Ge-schenk gestohlen und es mit einem einfachen Topf vertauschtlaquoDoch der Alte blieb hartnaumlckig raquoDu bist ein Luumlgner Ich wohne ganz

allein und keiner kann mich bestehlenlaquoDa stieg der Teufel nochmals in den Brunnen hinunter holte einen

anderen Topf und sagte zu dem Alten raquoHier hast du einen neuen Topfaber diesmal gib acht daszlig er dir nicht wieder verlorengeht Und dusollst wissen Dieser Topf wird dir nicht nur Nahrung schenken son-dern auch Gold und Silber und Diamanten und aumlhnliches Geh jetztund komm nicht wieder hierher um mich zu plagenlaquoDer Alte ging nach Hause schloszlig die Tuumlr hinter sich und klopfte

auf den Topf Und aus dem Topf stieg ein Mohr und sagte raquoWas be-fiehlt mein Herr und Meisterlaquo Der Alte erwiderte raquoIch will essen

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und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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Page 34: Jüdische Märchen und Legenden

und auch ein wenig Silberlaquo Der Mohr nickte und verschwand undgleich darauf fuumlllte sich der Topf mit den koumlstlichsten Speisen Beila-gen und Nebengerichten und ein wenig Silber und Gold war auchdabei Damit ging der Alte zu seinen Freunden hinuumlber richtete ih-nen ein Festmahl aus und verteilte unter ihnen das Silber und dasGold Als die alte Frau das sah sagte sie sich raquoDer hat etwas Besseresgefunden als den Topf den ich ihm gestohlen habelaquo Und was tat sieSie schlich zu ihm ins Haus stahl auch den neuen Topf und tauschteihn gegen einen anderen ausAls der Alte nach Hause kam und es ihn danach geluumlstete ein wenig

von den guten Dingen des Lebens zu genieszligen klopfte er einmal dannein zweites Mal und ein drittes Mal auf den Topf aber ohne Erfolg Erverfluchte den Teufel und faszligte den Beschluszlig Diesmal werde ich ihnumbringen Darauf ging er wieder zum Brunnen und schrie raquoOh mei-ne Bohne Meine BohnelaquoDas Wasser begann zu brodeln und der Teufel stieg heraus und sagte

raquoWas willst du Der Kopf tut mir schon weh von deinem GeschreilaquoUnd der Alte erwiderte raquoMachst du dich uumlber mich lustig Hier hast

du deinen Topf zuruumlck und ich will nichts mehr von dir haben auszligermeiner BohnelaquoDa begann der Teufel ihn anzuflehen raquoWie lange willst du mir noch

das Leben schwermachen Ist es denn meine Schuld daszlig man dir je-desmal den Topf stiehlt Also dies ist das letztemal daszlig ich dir etwasschenke Und es ist kein Topf oder aumlhnliches sondern ein Geraumlt mitdem man Diebe faumlngt Du muszligt folgendes tun Lade deine Freunde undNachbarn zu einem Festmahl ein setzt euch im Kreis um den Tischherum und du legst dieses Geraumlt in die Mitte des Kreises Sogleich be-ginnt dann das Geraumlt herumzuspringen und Laumlrm zu machen und faumlhrthin und her bis es sich schlieszliglich auf dem Kopf des Diebes niederlaumlszligtDanach steigt ein Mohr heraus der den Dieb so lange verpruumlgelt bisdieser gesteht rsaquoIch bin der DieblsaquolaquoDer Mann tat wie geheiszligen und richtete fuumlr seine Freunde ein

Festmahl aus doch die Alte lud er nicht ein weil er sie gar nicht kann-te Sie stand auf der Straszlige und schaute durchs Fenster um zu sehen

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

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habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

52 Die Geschichte des Mannes der sein Brot ins Wasser warf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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was sie noch alles stehlen koumlnnte Aber was ihr geschehen wuumlrde sahsie nichtDer Alte legte das Geraumlt in die Mitte des Zimmers und sogleich be-

gann das Geraumlt zu tanzen und zu singen zu huumlpfen und zu gackernsprang aus dem Fenster und setzte sich der boumlsen alten Frau auf denKopf Dann stieg ein Mohr heraus mit einem schweren Knuumlppel in derHand und begann auf die Alte einzuschlagen bis ihre Haut sich blauverfaumlrbte und sie ausrief raquoGenug Ich gestehe daszlig ich die Diebin binlaquoDa sagte der Alte raquoDein Gestaumlndnis genuumlgt mir nicht Du muszligt mir

auch die Toumlpfe zuruumlckgebenlaquo Und das tat sie auch Aber was tat sienoch Am naumlchsten Tag ging sie zum Koumlnig stellte sich vor ihn hin undsagte raquoMein Herr und Koumlnig Ihr wiszligt nicht was in Eurem Land vor-geht Was fuumlr ein Koumlnig seid IhrlaquoUnd der Koumlnig fragte verwundert raquoWas soll das heiszligenlaquoDie Alte erwiderte raquoIn der und der Straszlige in dem und dem Haus

wohnt ein alter Mann der Wundergeraumlte in seinem Besitz hat wie sienur eines Koumlnigs wuumlrdig sind Wahrscheinlich hat er sie aus dem Kouml-nigshaus gestohlenlaquoDarauf schickte der Koumlnig seine Schergen den Alten zu holen und

auch seine Toumlpfe und das bewuszligte Geraumlt Er nahm ihm die Wunder-dinge weg und lieszlig den armen Alten ins Gefaumlngnis werfen wo es ihmgar nicht gut ergingUnd der Koumlnig schoumlpfte die Toumlpfe aus und lieszlig sich von ihnen alles

geben was sein Herz begehrte Doch eines Tages wollte er das Geraumltausprobieren Er legte es auf den Fuszligboden und das Geraumlt begann so-gleich zu gackern und zu springen zu tanzen und zu singen bis esschlieszliglich auf des Koumlnigs Kopf sitzen blieb und der Mohr mit seinemKnuumlppel heraussprang auf den Koumlnig einschlug und schrie raquoDu hastdem Alten seine Toumlpfe gestohlenlaquo Und er houmlrte nicht auf ihn zu schla-gen bis der Koumlnig den Alten aus dem Gefaumlngnis kommen lieszlig und ihmsein Eigentum wiedergabDarauf bat der Koumlnig den Alten ihm seine Geschichte zu erzaumlhlen

Und der Alte erzaumlhlte ihm er sei ein verarmter alter Hagestolz und ei-nes Tages sei ihm eine Bohne in den Brunnen gefallen und der Teufel

Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip 45

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46 Die Geschichte vom alten Hagestolz hellip

habe ihm dafuumlr die Geschenke gegeben die ihm die boumlse alte Frau spauml-ter gestohlen hatte Als der Koumlnig das vernahm war er sehr erstaunt Ererteilte der boumlsen Frau eine schwere und schmerzhafte Strafe und denAlten schickte er nach Hause Der Alte verbrachte die Jahre die ihmnoch beschieden waren in Gluumlck und Zufriedenheit bis ihm das zu-stieszlig was uns allen einmal bevorsteht

Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

Eines Tages machte der Koumlnig einen Spaziergang durch die Straszligen sei-ner Stadt und kam am Haus einer Witwe vorbei Die Witwe und ihredrei Toumlchter saszligen auf der Veranda und sprachen uumlber die guten altenZeiten die laumlngst vergangen waren und aumlhnliches Die aumllteste der Toumlch-ter sagte raquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich Kleider fuumlrihn und all seine Soldaten naumlhenlaquo Da sagte die zweitaumllteste TochterraquoWenn mich der Koumlnig zur Frau naumlhme wuumlrde ich fuumlr ihn und alle sei-ne Soldaten das koumlstlichste Essen kochenlaquo Doch die juumlngste Tochterschwieg Als man sie nach dem Grund ihres Schweigens fragte sagte sieraquoAlles was ich versprechen kann ist eine treue Gattin und liebendeMutter zu seinlaquoAls der Koumlnig das houmlrte kehrte er in seinen Palast zuruumlck lieszlig die aumll-

teste der drei Toumlchter kommen und fragte sie raquoWenn ich dich zur Fraunaumlhme wuumlrdest du das tun was du versprochen hastlaquo Und sie erwi-derte raquoIch habe doch nur Dummheiten geredetlaquo Da jagte sie der Kouml-nig mit Schimpf und Schande hinaus und befahl seinem Diener diezweitaumllteste Tochter zu ihm zu bringen Als sie vor ihn trat stellte er ihrdie gleiche Frage Und die zweitaumllteste Tochter erwiderte raquoDas habe ichnur im Scherz gesagtlaquo Und der Koumlnig befahl auch sie mit Schimpf undSchande aus dem Palast zu jagen und die juumlngste Tochter zu ihm zubringen Und als er dieser die gleiche Frage stellte wiederholte sie wassie auf der Veranda gesagt hatte Sie fand Gefallen in den Augen des Kouml-nigs und er nahm sie zur Frau

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stern ins Haus reichte ihnen kaltes Wasser zur Erfrischung und unter-hielt sich houmlflich mit ihnen Sie erzaumlhlte sie haumltte zwei Bruumlder die siesehr liebten und die jetzt auf der Jagd seien Da sagten die SchwesternraquoWarum erzaumlhlst du uns daszlig sie dich so sehr lieben wenn das dochnicht wahr ist Wenn sie dich wirklich liebten wuumlrden sie dir einSchwimmbecken bauen und dir eine Nachtigall bringen die dich mitihrem Gesang erfreutlaquoDas Maumldchen nahm sich diese Worte zu Herzen und als die Bruumlder

nach Hause kamen saszlig ihre Schwester da und weinte Sie sagten zu ihrraquoWarum weinst du Wir lieben dich dochlaquo Und sie antwortete raquoWennihr mich wirklich lieben wuumlrdet haumlttet ihr mir ein Schwimmbeckengebaut und mir eine Nachtigall gefangen die mit ihrem Gesang meinHerz erfreutlaquoAls die Bruumlder das houmlrten gingen sie sogleich in den Hof hoben ei-

ne tiefe Grube aus und bauten ihrer Schwester ein SchwimmbeckenAls sie damit fertig waren sagte der aumlltere Bruder raquoJetzt gehe ich dir ei-ne Nachtigall holen und wenn ich bis zum Ende des Jahres nicht zu-ruumlck bin dann ist mir etwas zugestoszligenlaquoEr steckte sich ein wenig Wegzehrung in seine Umhaumlngetasche und

machte sich auf den Weg Er irrte umher bis er einen alten Mann trafden er fragte wo er eine Nachtigall kaufen oder fangen koumlnne dieschoumln singen koumlnne Darauf sagte der Alte raquoWenn du immer geradeausgehst ohne nach links oder rechts abzuweichen dann kommst du nachdrei Tagen zu einem Garten der von einem Zaun umgeben ist Geheam Zaun entlang bis du an eine Pforte kommst und wenn du hinein-gehst siehst du rechts von dir einen Baum An einem der Aumlste haumlngtein Kaumlfig mit einer offenen Tuumlr Das ist der Kaumlfig der Nachtigall abersie wird nicht dort sein denn sie fliegt gerne umher Verstecke dich hin-ter dem Baum damit sie dich nicht sieht wenn sie wiederkommt So-bald sie in den Kaumlfig fliegt machst du die Tuumlr zu Nimm den Kaumlfig undentferne dich so schnell du kannst ohne dich auch nur eine Minuteaufzuhalten und ohne auf die Stimmen zu houmlren die dir zurufen duhabest dich geirrt und statt der Nachtigall einen anderen Vogel gefan-gen Beachte meine Warnung denn es geht um dein Lebenlaquo

48 Die Nachtigall und die Maumlnner in Totenhemden

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Der aumlltere Bruder machte sich auf den Weg und tat alles was ihm derAlte gesagt hatte Doch als er den Ort wo er die Nachtigall gefangenhatte verlassen wollte und die Stimmen houmlrte die ihm zuriefen raquoDuhast dich geirrt Nicht die Nachtigall hast du mitgenommen sonderneinen anderen Vogellaquo blieb er stehen und fragte sich ob das vielleichtwahr sei In diesem Augenblick sah er sich von vielen Maumlnnern umge-ben die Leichengewaumlnder trugen Sie packten ihn und warfen ihn ineine tiefe GrubeIn der Grube befanden sich viele Menschen die alle weinten und ihr

Schicksal beklagten Der Knabe fragte sie warum man sie in die Grubegeworfen habe und sie sagten raquoWeil wir gekommen sind den herrli-chen Vogel zu erjagen Aber es ist uns miszliglungenlaquoDer Bruder blieb weiter in der Grube gefangen bei Wasser und Brot

und als das Jahr zu Ende ging kehrte er nicht nach Hause zuruumlck Dasagte der juumlngere Bruder zu seiner Schwester raquoUnser Bruder ist verlo-rengegangen ich gehe ihn suchenlaquo Er nahm sich ein wenig Wegzeh-rung mit und machte sich auf den Weg Er traf den alten Mann und sag-te zu ihm raquoHerr weiszligt du wo sich die Nachtigall befindet die so schoumlnsingtlaquo Und der Alte erwiderte raquoEs ist schade um dich mein Sohn Duwillst den Weg gehen auf dem schon so viele gescheitert sindlaquo Dochder Knabe sagte raquoGroszligvaumlterchen ich muszlig es tunlaquo Als der Alte das houmlr-te beschrieb er ihm den Weg erklaumlrte ihm was er tun solle und er-mahnte ihn raquoSei nicht leichtsinnig der Rat der Alten bringt Segen undErfolglaquoDer Knabe dankte ihm verabschiedete sich und nahm sich vor die

Weisungen des Alten genau zu befolgen denn er sagte sich Wahr-scheinlich ist mein Bruder leichtsinnig gewesen hat den Rat des Altennicht genau befolgt und dafuumlr einen hohen Preis gezahltDer Knabe ging bis zu jenem Garten fing dort die Nachtigall in ih-

rem Kaumlfig und wandte sich zum Gehen Sogleich waren von allen Sei-ten Stimmen zu houmlren die ihn auslachten und sich uumlber ihn lustigmachten und ihm zuriefen er habe sich geirrt und das sei gar nichtdie richtige Nachtigall sondern nur ein gewoumlhnlicher Vogel der nichtsingen koumlnne Doch der Knabe achtete nicht auf die Zurufe und houmlr-

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te nicht auf die Stimmen Als er wieder an die Gartenpforte kamstand dort ein bewaffneter schwarzer Waumlchter Der Knabe fuumlrchtetesich nicht zog sein Schwert und stach den Waumlchter nieder Der Waumlch-ter flehte um Gnade und versprach ihm wenn er sein Leben ver-schonte wuumlrde er ihm den Ort zeigen an dem der Bruder gefangenseiDann zeigte ihm der Waumlchter die Grube und der Knabe lieszlig einen

Strick hinunter und zog seinen Bruder heraus und auch alle anderendie dort in der Finsternis wohnten Die zwei Bruumlder fielen sich um denHals und waren von groszliger Freude erfuumlllt Aber die anderen Gefange-nen sagten raquoWir gehen nicht weg bis wir uns etwas von den Reichtuuml-mern genommen haben die es hier gibt als Entschaumldigung fuumlr unserLeidenlaquo Sie fuumlllten ihre Taschen mit Gold und Silber und Edelsteinenund gingen dann ihrer Wege Die beiden Bruumlder kehrten nach Hausezuruumlck und brachten ihrer Schwester die Nachtigall mit die so herrlichsangEines Tages ging der Koumlnig mit seinen Ministern und seinen Knech-

ten auf die Jagd Unterwegs kam er am Hause der alten Frau vorbei underblickte dort ein Maumldchen das im Garten Blumen pfluumlckte Das Maumld-chen war so schoumln daszlig der Koumlnig entzuumlckt war Er stieg vom Pferdging auf sie zu und bat sie um eine Blume Und als sie ihm die Blumereichte bat er sie um ihre Hand Das Maumldchen war einverstanden undsie setzten sogleich den Hochzeitstag fest Doch waumlhrend sie noch mit-einander sprachen fing die Nachtigall in ihrem Kaumlfig zu singen an IhrLied war ungewoumlhnlich traurig und hatte folgende Worte

raquoOh welche Schmach und welche Schandewenn der Vater die eigene Tochter zur Frau nimmtlaquo

Der Koumlnig houmlrte das und wollte seinen Ohren nicht trauen Er lieszlig dieHebamme kommen und forschte sie aus Als er sah daszlig sie seinen Fra-gen auswich drohte er ihr die Zunge mit einer eisernen Zange auszu-reiszligen Darauf erzaumlhlte sie alles was sie wuszligte auch von der Koumlniginder das Herz gebrochen war als der Koumlnig sie vertrieben und die sich

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Der Walfisch schickte sogleich einen Boten der den groszligen Fisch zuihm rufen sollte Doch der groszlige Fisch fraszlig den Boten auf Daraufschickte der Walfisch noch einen Boten und der wurde ebenfalls auf-gefressen Schlieszliglich machte sich der Walfisch selbst auf den Wegschwamm zu dem groszligen Fisch hin und fragte ihn raquoWo wohnst dulaquoUnd der Fisch erwiderte raquoDicht am Meeresuferlaquo Da sagte der WalfischraquoDeine Kameraden wohnen mitten im Meer und sind nicht so groszligwie dulaquo Und der Fisch sagte raquoEin Mann hat mir jeden Tag einen LaibBrot gebracht den ich gegessen habe Darum bin ich so gewachsenlaquoUnd der Walfisch fragte ihn raquoWarum hast du deine Kameraden aufge-fressenlaquo Der Fisch erwiderte raquoWeil sie mir mein Brot wegfressen woll-tenlaquo Da sagte der Walfisch raquoNun gut Ich befehle dir den Mann derdas Brot ins Meer wirft zu mir zu bringen und dann werden wir sehenob du die Wahrheit gesprochen hastlaquoSogleich grub der Fisch ein tiefes Loch an der Stelle zu der der

Mann jeden Tag kam Am naumlchsten Tag als der Mann sein Brot insMeer werfen wollte fiel er ins Wasser und der Fisch verschluckte ihnund brachte ihn zum Walfisch Der Walfisch nahm ihm den Mann wegverschluckte ihn und fragte raquoWarum wirfst du Brot ins Meerlaquo DerMann erwiderte raquoHerr ich befolge das Gebot meines VaterslaquoAls der Walfisch houmlrte daszlig der Mann das Gebot seines Vaters befolg-

te gefiel er ihm Und er sagte zu dem Mann raquoMach den Mund auflaquoAls der Mann seinen Mund oumlffnete spuckte ihm der Walfisch dreimalhinein Das verlieh dem Mann viel Weisheit und Verstand Mit einemMal konnte er siebzig Sprachen sprechen und verstand auch die Spra-che der Tiere und der Voumlgel Danach befahl der Walfisch dem groszligenFisch den Mann wieder ans Ufer zu bringen was er auch tatDoch die Gegend wo er den Mann ans Ufer setzte war oumlde und leer

und der Mann lag muumlde und geschwaumlcht am Ufer Da houmlrte er ploumltz-lich wie zwei Kraumlhen ndash eine Mutter und ihr Sohn ndash miteinander strit-ten ob der Mann nun tot sei oder nicht Der Sohn sagte raquoIch werdeihm die Augen aushacken denn es geluumlstet mich nach Menschen-fleischlaquo Doch die Mutter sagte raquoDu sollst wissen daszlig die Menschensehr schlau sind Ruumlhre ihn nicht anlaquo Doch der Sohn houmlrte nicht auf

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die Mutter und biszlig den Mann ins Bein Als er sah daszlig der Mann sichnicht bewegte wollte er ihm die Augen aushacken Doch der Mannstreckte ploumltzlich die Hand aus und packte die Kraumlhe Da schrie derSohn laut klagend seine Mutter moumlge ihn aus der Hand des Menschenbefreien Sogleich rief die Kraumlhenmutter dem Mann zu raquoTue ihmnichts Wenn du meinen Sohn freilaumlszligt zeige ich dir einen groszligenSchatz den der Koumlnig Salomo hier versteckt hatlaquo Als der Mann dashoumlrte sagte er raquoZeige ihn mir dann lasse ich deinen Sohn freilaquo Daraufging der Mann der Kraumlhenmutter nach und als er den Schatz gefundenhatte lieszlig er ihren Sohn davonfliegen Da begann die Kraumlhenmutter aufihren Sohn einzuschlagen und rief raquoWarum hast du mir nicht geglaubtund nicht auf mich gehoumlrt als ich dir sagte daszlig der Mensch schlau istDa er dich fing war ich gezwungen ihm zu zeigen wo der Schatz ver-steckt warlaquo Und sie schlug weiter auf ihn ein bis er tot war Doch so-gleich ging sie und holte ein Kraut das sie ihm auf den Schnabel legteworauf er wieder zum Leben erwachteDas sah ein Mann der vorbeikam und er sagte sich Dieses Kraut

kann Tote wiederbeleben Ich werde nach Jerusalem gehen und die To-ten erwecken Er nahm das Kraut und ging seines Weges bis er einentoten Loumlwen fand Er beruumlhrte ihn mit dem Kraut Sogleich sprang derLoumlwe auf und fraszlig den MannDer fromme Mann der den Schatz entdeckt hatte ging nach Hause

und mietete sich Esel um die Reichtuumlmer zu holen Als er wieder beidem Schatz angekommen war belud er die Esel mit Gold und Silbersoviel sie nur tragen konnten Doch unter den Eseln befand sich einstoumlrrischer Boumlsewicht der zu seinen Kameraden sagte raquoWenn ihr aufmich houmlrt koumlnnen wir es so einrichten daszlig dieser Mann sein ganzesGold und Silber verliert zur Strafe daszlig er uns zu schwer beladen hatlaquoDoch die anderen Esel sagten raquoWie dennlaquo Und er erwiderte raquoMachtes mir nach Wenn wir ans Stadttor kommen werde ich mich zu Bodenwerfen Dann werden Leute kommen um mir zu helfen und wenn siedas Gold und das Silber sehen werden sie es stehlenlaquo Da sagten die an-deren raquoWir haben Angst denn der Mensch ist schlau Wenn wir das tunwird er uns so lange mit dem Stock schlagen bis wir auch ohne Hilfe

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antwortete ihm und sagte raquoWeh so eine Schande Ich habe zehn Frau-en die sich alle vor mir fuumlrchten und nichts ohne meine Erlaubnis tunund mein Herr hat nur eine einzige Frau und kann sie nicht gefuumlgigmachen Wenn du sehen willst wie meine Frauen mich fuumlrchten dannschau mir zulaquo Der Hahn hob ein Koumlrnchen Gerste auf und rief nachseinen Frauen die alle sogleich herbeieilten und fraszligen Danach kraumlhteer sie an und sie fluumlchteten ins Freie Und der Hahn sagte zum PferdraquoHast du gesehen wie sie sich vor mir fuumlrchten So sollte auch unserHerr mit seiner Frau umgehen damit sie das Fuumlrchten erlerntlaquoDer Mann houmlrte das und als seine Frau kam und ihn wieder be-

draumlngte ihr zu sagen woher er den Schatz hatte verpruumlgelte er siegruumlndlich bis sie versprach ihn nicht mehr mit ihren Fragen zu belaumlsti-gen All das geschah aufgrund seiner Weisheit die er erworben hatteweil er das Gebot seines Vaters befolgte

Der Koumlnig und die vierzig Kraumlhen

Einst pilgerte ein Mann nach Mekka Auf dem Ruumlckweg sah er amWegrand einen Totenschaumldel liegen auf dem geschrieben stand raquoIchwerde nicht ruhen bis ich vierzig getoumltet habelaquo Der Mann lachte nurund versetzte dem Schaumldel einen veraumlchtlichen Fuszligtritt Der Schaumldelkippte zur Seite und ein Bonbon fiel herausDer Mann wuszligte nicht was das war aber er hob den Bonbon auf

und steckte ihn in die Tasche Als er nach Hause kam zog er seine Klei-der aus die nach der Reise staubig waren und seine Tochter legte sie zuden Kleidern die gewaschen werden sollten Dabei fand sie in einer derTaschen den Bonbon Ohne viel nachzudenken schluckte sie ihn hin-unter Bald darauf wurde sie schwanger Sie gebar einen Sohn derschon gleich nach seiner Geburt aufstehen und sprechen konnte Alleerkannten sofort daszlig das Kind in Wirklichkeit ein Teufel war Sie wag-ten nicht ihn zu behalten denn sie wohnten in einer groszligen Stadt woes als Schande angesehen wurde einen Teufel im Hause zu haben Was

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