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OFFIZIELLES ORGAN DER ISRAELITISCHEN KULTUSGEMEINDE WIEN Nr. 671 Juli 2010 Tamus/Aw 5770 Erscheinungsort Wien Verlagspostamt 1010 P.b.b GZ 03Z034854 W DVR 0112305 2.- GEMEINDE magazin

jüdische welt

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Page 1: jüdische welt

OFFIZIELLES ORGAN DER ISRAELITISCHEN KULTUSGEMEINDE WIEN

Nr. 671 Juli 2010Tamus/Aw 5770

Erscheinungsort WienVerlagspostamt 1010 P.b.b

GZ 03Z034854 W

DVR 0112305 € 2.-

GEMEINDEmagazin

Page 2: jüdische welt

Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: Israelitische Kultusgemeinde Wien.Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischenund or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen

Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail [email protected]: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 WienAlle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit derMei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmenHerausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak tioneinlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.

2 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

GEMEINDE

AUS DEM BÜRO DESPRÄSIDENTEN Brief des Präsidenten 3

POLITIKINLANDALEXIA WEISSHinhaltetaktik 5Rechtsextreme Straftatenverdoppelt 7Lauter Honsik-Prozess 8Rechtsextreme Esoterik 9ALEXIA WEISSDie reflektierten Jungen 10Peace Tour 2010 11

AUSLAND Universität Tübingerim Nationalsozialismus 12

ISRAELSHLOMO AVINERIAbkopplung von Gaza -endgültig 14

ULRICH W. SAHMLiebermans Kateridee 14Wovon die Medien nicht berichten: Neue Shopping Mall in Gaza 15Fünf Gründe für das Leid derPalästinenser unter Hamas 16Solidaritätsmarsch für Gilad Shalit 17ANAV SILVERMAN„Free Gaza“ - aber nicht für Frauen 18

ULRICH W. SAHMIsrael öffnet Palaästinenser-gebiete für Juden 19

Libanonkrieg 20064. Jahrestag 20

ERIC HOFFERIsraels besondere Position 21

Shimon Peres über seine bisherige Amtszeit 21

WIRTSCHAFTREINHARD ENGELSoftware gegenInternet-Diebe 22

Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Y-net, israelnetz(inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, ILI u.v.a.; © Wikimedia Commons

Wirtschaft-News 24

WISSENSCHAFTWissenschaft-News 25 JÜDISCHE WELTMARTA S. HALPERTDas jüdische Traumaauf der Trauminsel 26ALEXIA WEISSGespräch mit Eric Morton 30Der achte Peacecamp 30ALEXIA WEISSNachum Rakover, Rechtsgelehrter 32ALEXIA WEISSLebenslange Leidenschaft Fechten 33ALOIS GAUPERUnd sie Taten es aus Nächstenliebe 34Panorama 36

KULTUR Jüdisches Sommerfestival Budapest 40

ULRICH W. SAHMKafka wird aus demPanzerschrank befreit 41

ANITA POLLAKEin jüdischer Vater 42RUTH BUCHMAYERVirtues of Memory 44PETER WEINBERGERÜberall & Nirgendwo 45

JUDENTUMRABB. SCHLOMO HOFMEISTERSchailes & Tschuwos 46

INHALT &

PLENARSITZUNGEN 2010

10. Au gust• 7. September •5. Ok to ber• 11. November •

9. Dezember

Täglich aktualisiert!

www. ikg-wien.atnews events pinwand

Feierliche Enthüllung der Zusatztafel für den Jenny-Steiner-Weg in Wien Neubau

Im Dezember 2008 war auf Initiative der Grünen Bezirks-vertretung Wien Neubau vorgeschlagen worden, eine Ver-kehrsfläche nach der jüdischen Firmeninhaberin und Kunst- sammlerin Jenny Steiner zu benennen. Der Wiener Gemein-derat beschloss im Jahr darauf, den Durchgang zwischenAhornergasse und Seidengasse „Jenny-Steiner-Weg“ zu be-zeichnen.Am 7. Juli 2010 fand nunmehr die feierliche Enthüllung derZusatztafel zur Verkehrsflächenbenennung durch Bezirks-vorsteher Thomas Blimlinger statt. Die Textierung der Zu-satztafel „Jenny Steiner (1863 - 1958) Unternehmerin, Kunst- sammlerin und Mäzenin 1938 vor den Nationalsozialisten ge-flüchtet“ weist freilich nur andeutungsweise auf ihr Lebenund Wirken hin. Jenny Steiner wurde am 11. Juli 1863 inBudapest als Tochter von Simon und Charlotte Pulitzer ge-boren. Sie heiratete den Fabrikanten Wilhelm Steiner, des-sen Firma - die Seidenmanufaktur Gebrüder Steiner in derWestbahnstraße 21 – sie nach seinem Tod im Jahr 1922 ge-meinsam mit ihrem Neffen Albert Steiner und ihren 4 Töchternweiterführte. Die Geschäftsfrau Jenny Steiner war da rüberhinaus – wie auch ihre Schwester Serena Lederer – eine derwichtigsten Förderinnen der zeitgenössischen österreichi -schen Moderne, allen voran von Gustav Klimt. Nach dem „Anschluss“ im März 1938 musste Jenny Steinerdas Land verlassen, ihr Vermögen, darunter ihre Geschäfts-anteile und ihre Kunstsammlung wurden enteignet. Erstnach einer Odyssee über die Schweiz, Frankreich, Portugalund Brasilien gelangte sie im Jahr 1943 zu ihrer Tochternach New York. Ohne jemals nach Österreich zurückge-kehrt zu sein, starb Jenny Steiner am 2. März 1958 in NewYork. Ihrem testamentarischen Wunsch gemäß wurde siein der Familiengruft neben ihrem Gatten Wilhelm Steineram Wiener Zentralfriedhof beerdigt. SABINE LOITFELLNER

„DIE GEMEINDE” ONLINE-BLÄTTERNhttp://www.ikgwien.at/IKG?portal_skin=Pinwand

ASK THE RABBI [email protected]

Page 3: jüdische welt

AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN

Sehr geehrte Gemeindemitglieder!

Ich darf Ihnen wieder einmal aus unserer Gemeinde berichten:

Infrastruktur - wie kaum eine andere jüdische Gemeinde in Europa

In den letzten 30 Jahren ist es der Israelitischen Kultusgemeinde gelungen, ihre Infra struk - tur komplett neu aufzubauen. Neben dem Zentrum in der Seitenstettengasse entstandendas Zentrum Tempelgasse (Esra), das Sefardische Zentrum und das JBBZ. Auch der Cam -pus Wiesenthalgasse ist nun fertig gestellt worden. Mit den zahlreichen anderen jüdischenInstitutionen, Schulen und Organisationen verfügt damit die Kultusge mein de über eineausgezeichnete Infrastruktur, wie sie wohl kaum eine andere jüdische Gemeinde in Eu -ropa besitzt.

Schulden und Finanzierung der Kultusgemeinde

Mit Erhalt der letzten Restitutionszahlung des Burgenlands sind sämt -liche Restitutions zahlungen eingegangen und die Schulden der IKG(Hoheit) zur Gänze zurückgezahlt.Damit ist die IKG schuldenfrei!Gleichzeitig wurden vor zwei Jahren sämtliche Investitionsschulden,die im Rahmen von Neubauten (Wohnheime, MZ, Mercure Hotels,

Schottenring, etc.) aufgenommen wurden, ausgelagert, wobei diese Objekte ihre Schul -den innerhalb einer festgelegten Frist selbst tilgen. Damit ist sichergestellt, dass diese Ein-nahmen nicht ins Budget fließen, aber auch, dass diese Schulden getilgt werden. DerCampus selber hat inklusive Grund stü cke rund 94 Mio. Euro gekostet. Mit Ausnahmevon einer Mio. Euro konnte der ge sam te Investitionsbetrag ausfinanziert werden, wobeiSchule und Hakoah keine Fi nanz lücke haben (die ZPC- Schule hat einen Teil der Hakoahmitfinanziert). Es fehlen aus MZ und Synagoge insgesamt noch eine Mio. Euro (davon355.000,- Euro Synagoge) und wir bemühen uns, diese Geldmittel bis Ende des Jahres auf-zubringen. Ich bitte Sie daher bei dieser Gelegenheit auch um Ihre Unterstützung! DieserZeitung liegt ein Erlagschein bei. Sollten Sie uns bei dem Projekt unterstützen, dann fügenSie bitte eine Widmung hinzu (Synagoge oder MZ)!Jedenfalls ist es für mich als Projektverantwortlichen eine große Freude, Ihnen heute mit -tei len zu können, dass das Projekt fertig und voll in Funktion ist und bis auf die oben er -wähnte eine Mio. Euro auch komplett ausfinanziert wurde.

Krise und Budgetschwierigkeiten

Die Krise hat leider auch die Israelitische Kultusgemeinde erfasst. Uns fehlt die tatkräfti -ge Unterstützung unserer Mitglieder (Fundraising), insbesondere weil eine ganze Rei hevon Zahlungen der öffentlichen Hand ausgefallen sind. Das Budget 2009 hat leider einerhebliches Defizit gebracht, das es zu finanzieren gilt. Dementsprechend musste beimBudget 2010 nachträglich massiv gespart werden. Sparen heißt in Österreich leider aberauch Tariferhöhungen, Gebührenerhöhungen und vieles mehr, und wir bitten Sie, sehrgeehrte Gemeindemitglieder, hier um Ihr Verständnis! Wir haben 2002 die Kultussteuerausgesetzt in der Hoffnung, dass jeder nach seinen Möglichkeiten Mitgliedsbeiträge undSpenden an die IKG leistet. Dies hat sich leider nicht bei allen Mitgliedern durchsetzenlassen und dementsprechend können wir uns in Zukunft einfach nicht jeden Luxus leisten.

Zu den Diskussionen, die derzeit geführt werden, sei ohne Anspruch auf Vollständigkeitnoch Folgendes erwähnt:

Koscheres Restaurant: Dieses soll neu verpachtet werden. Dabei wur-den Forderungen laut, dass die 30 Jahre alte Technik, der Kühlraum,die Küche, etc., erneuert und die Kosten der Maschgichim weiterhinseitens der IKG übernommen werden sollten. Der Kul tus vor standhat dies abgelehnt, auch wenn dies bedeutet, dass wir das Res taurantin der Ju dengasse möglicherweise zusperren müssen. Sehr geehrte Ge-meindemitglieder, bedenken Sie in diesem Zusam menhang, dass esbei der Gründung des Restaurants vor 30 Jahren in Wien kein kosche-

res Restaurant gegeben hat, heute gibt es drei bis vier. Dazu kommt, dass orthodoxe Aschke -na sim sehr wenig auswärts essen und unser Restaurant einfach nicht ausgelastet ist.

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AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN

Ein weiteres Beispiel sind dringend erforderliche Sanierungsarbeiten in der Tempelgasse, diezu rückgestellt werden, der Ausbau der Robertgasse (Jad Bejad) und der Synagoge Kaschel gas -se wurden genauso vertagt wie die Sanierungsmaßnahmen an diversen Zinshäusern der IKG.

Die Synagoge Baden hat ebenfalls finanzielle Schwierigkeiten, so wieauch die Musik schu le Jehuda Halevi, die um eine Sanierung ihrerRäumlichkeiten durch die IKG angesucht hat.Diese und viele andere Projekte können derzeit nicht oder nur einge-schränkt verwirklicht werden, und viele Organisationen, aber auch ein-zelne Persönlichkeiten, sind mit der Kul tusgemeinde un zu frie den.Aber wenn wir auch in Zukunft finanziell überleben wollen, dürfen

wir keine neuen Schulden eingehen, und daher kommt es heuer und im nächsten Jahr,jedenfalls solange die Wirtschaftskrise andauert, zu solchen Sparmaß nahmen.Gerade deshalb bitte ich Sie auch um Verständnis und Solidarität!

Jüdische Friedhöfe

Hier ist es mir tatsächlich gelungen, in einem gemeinsamen RoundTable-Gespräch mit dem Bundeskanzler, dem Vizekanzler, Bür ger -meister Häupl und Landeshauptmann Erwin Pröll einen Durch bruchzu erzielen. Die Republik Österreich wird in den nächsten 20 Jahrenje eine Mio. Euro für die Sanierung der jüdischen Friedhöfe in Öster-reich be reit stellen. Das Land Niederösterreich wird sich mit 25 Prozent

an den Sanierungs kos ten seiner Friedhöfe beteiligen, Wien übernimmt 500.000,- Euro für dieGeneralsa nie rung des Wärterhauses am Währinger Friedhof. Den Rest, etwa 18 Mio. Euro,müssen wir in den näch sten 20 Jahren von Ländern, Gemeinden, EU und privaten Spendernakquirieren. Je den falls sind wir auf dem Weg, unsere Friedhöfe vor dem endgültigen Ver-fall zu retten.Alles in allem, also keine schlechte Bilanz und ein weiterer Schritt der Konsolidierung.

Ich wünsche Ihnen allen einen erholsamen Sommer!

Herzliche Grüße,

IhrDr. Ariel Muzicant

Die Barmherzigen Brüder suchen Zeitzeugen!

Das Wiener Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, gegründet 1614, ist das älteste und eines der modernsten Spitäler in Wien. Seit Anfang an sind wir ein wichtiger Teilder Leopoldstadt und mit der Entwicklung dieses Bezirkes auf dasEngste verbunden.

Für die Erstellung unserer Festschrift im Rahmen unserer 400-Jahr- Feierlichkeiten 2014sind wir auf der Suche nach Zeitzeugen: Kennen Sie unser Krankenhaus schon seit langem,haben Sie Anekdoten zu unserem Spital zu erzählen oder können Sie sich noch erinnern,wie die Barmherzigen Brüder immer für die Mitmenschen da waren und sich keinem Re-gime gebeugt haben? Dann lassen uns an Ihren Erinnerungen teilhaben. Mit Ihrer per-sönlichen Geschichte helfen Sie mit, ein Stückchen unserer Geschichte für die folgendenGenerationen zu bewahren.

Kontakt & Ansprechpartner: Mag. Johannes Reinprecht Telefon: +43 1 211 21 1066 Mailadresse: [email protected]

Vielen herzlichen Dank für Ihre Unterstützung und Ihre Bemühungen!

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Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 5

POLITIK • INLAND

POLI

TIK

Seit Jahren werkt das Innenminis -terium an einer Verbesserung derBesucherfreundlichkeit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

Vielen Ankündigungen folgen abernicht immer entsprechende Ta ten.„Die Gemeinde“ sprach mit WilliMernyi, dem Vorsitzenden desMauthausen-Komitees über dieGedenkstätte, aber auch seine Be - mühungen, Rechtsextre mis musEinhalt zu gebieten.

VON ALEXIA WEISS

Wie also sieht es aus mit der Neu ge -staltung der KZ-Gedenkstätte Maut -hausen? „Was die baulichen Maß nah menbetrifft, sind wir, glaube ich, auf ei nemguten Weg“, betont Willi Mernyi. DerGewerkschaftsvertreter steht dem1997 von Österreichischem Gewerk -schaftsbund (ÖGB), der Bischofskon -ferenz der römisch-katholischen Kir cheund den Israelitischen Kultusge mein -den gegründeten Mauthausen Komi-tee Österreich vor, der Nachfol geor-ganisation der Österreichischen Lager-gemeinschaft Mauthausen.

Er formuliert allerdings zwei Wün -sche: der Zeitraum, in dem es im Zugder Neugestaltung der Daueraus stel -lung an der Gedenkstätte (die bishe-rige stammt aus den siebziger Jahren)gar keine Ausstellung gibt, soll mög-lichst kurz ausfallen. Und: es sei ihmklar, dass es für die Besucher einenSammelpunkt geben müsse, nachdemsich das 2003 unter dem damaligen In-nenminister Ernst Strasser (ÖVP) er-öffnete Besucherzentrum als Fehlbauherausgestellt habe. Ein entsprechen-des Eingangsportal dürfe aber nichtüberdimensioniert ausfallen. Die Sil-houette der Gedenkstätte dürfe nichtverändert werden, so der WunschMernyis.

Dringend erforderlich ist aus seinerSicht zudem eine Videoüber wa chung,nachdem die Außenmauern mehr-mals mit rassistischen beziehungs-weise antisemitischen Parolen be-

schmiert wurden. Noch im Mai wink - te das Innenministerium unter Mi nis-terin Maria Fekter (ÖVP) ab. Die Be- gründung: die Gedenkstätte sei „eineArt Friedhof“ und das Areal zu groß.Dazu hält Mernyi nun fest: „Die KZ-Gedenkstätte ist nicht nur eine Art Fried-hof, sondern sie ist ein Fried hof.“

Und: es sei nie die Rede davon gewe-sen, das gesamte Areal zu überwa-chen. Beschmiert worden sei ein Teilder Außenmauer. Dieser ließe sich so -gar so überwachen, dass keine Besu -cher gefilmt würde, da davor ein StückRasen liege. Nur wer den Weg zur Ge-denkstätte verlasse und das Gras be-trete, würde überhaupt in das Sicht- feld der Kameraaufnahmen ge ra ten.Inzwischen sei er mit dem zu stän digenSektionschef im Gespräch, so Mernyi.Und es gebe eine Zusage, hier seitensdes Ministeriums bis Herbst eine füralle befriedigende Lösung vorzuschla-gen.

Ob das Ministerium im Herbst tatsäch-lich mit einem Vorschlag aufwartenwird, bleibt abzuwarten. In SachenVer mittlung erfolgte eine bis Ende Ju -ni in Aussicht gestellte Vereinba rungzwischen Ministerium und Maut hau-sen Komitee nämlich bis dato nicht.Konkret geht es darum, dass die seitdem Vorjahr vom Komitee ausgebil-deten Guides, die derzeit vor allemSchüler- und Lehrlingsgruppen überdas Areal des ehemaligen Kon zen tra -tionslagers führen, auch für Füh run -gen des Innenministeriums he ran ge- zo gen werden können. Denn Mernyifindet es unerträglich, dass im mernoch Schülergruppen, die ger ne dieGedenkstätte besuchen würden, ausKa pazitätsgründen seitens des In nen -ministeriums abgewiesen werden. „Esgibt immer noch keine Be reit schaft, auf un -sere Guides zurückzugreifen“, bedauertMernyi Anfang Juli, „wiewohl ein großerTeil der Guides des Innen ministeriumsmit unseren Guides identisch ist“.

Das Mauthausen Komitee führt seit2010 über das Areal, bisher wurdenrund 2.000 Jugendliche auf diesemAusflug in die NS-Vergangenheit Ös -ter reichs begleitet. Jährlich besuchen

rund 200.000 Menschen die Ge -denkstätte, etwa die Hälfte sind in-und ausländische Schüler. Die Guidesdes Komitees sind in moderner Ver -mittlungsarbeit geschult. Auch das In -nenministerium hat die bisher eherdürftige Ausbildung der Zivildienerin zwischen erheblich verbessert. Doches gebe eben immer noch zu wenigKapazitäten, um Gruppen über dasGelände zu begleiten, so Mernyi.

Spießen könnte es sich hier einerseitsan den höheren Kosten der Guides,die vom Komitee ausgebildet wurden.Guides, die extra nach Maut hau senfahren, müssten die Fahrtspesen er-setzt werden, betont dazu Mernyi.Und: er sei strikt gegen Tendenzen,dass Gedenkstättenarbeit ehrenamt-lich geleistet werden müsse.

Andererseits sind die über das Ko mi -tee gebuchten Guides sicher offenerals ihre Kollegen, die im Auftrag desInnenministeriums führen, wenn esum die Beantwortung von Fragen vonJugendlichen geht, die etwa nach ak -tu ellen Asylverfahren fragen. Grund -sätzlich meint Mernyi zu diesemThe ma: „Wir halten uns an das Ver-mächtnis der Häftlinge, das heißt: nie malswieder.“ Das heiße auch: über Aus-grenzungen im Hier und Heute reden,zu Zivil cou rage ermuntern. Dazu sol-len auch die Zivilcourage-Trainingsdes Maut hau sen Komitees beitragen.Unterm Strich meint Mernyi in Rich-tung In nen ministerium: diesem müsstees doch auch ein Anliegen sein, dassgut aus gebildete Guides über das Ge -län de führen und nicht etwa didak-tisch nicht entsprechend geschulteFrem den führer, die ebenfalls Tourenmit dem Ziel KZ-GedenkstätteMauthau sen im Programm hätten.

Ein Anliegen ist Mernyi auch, dass Ju-gendliche nicht in den Rechts ex tre -mismus hineinrutschen, bezie hungs -weise ihnen schon anfangs wieder he -rausgeholfen wird. Weil sich im mermehr Betriebsräte an ihn mit Fragenwandten, ob diese Kleidung ein Hin -weis auf die rechtsextreme Szene seioder jene Musik, hat das MauthausenKomitee nun die Publikation „Rechts -extrem. Symbole, Codes, Musik, Gesetze,

Hinhaltetaktik auf mehreren Ebenen

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6 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

POLITIK • INLAND

Organisationen“ veröffentlicht (sieheKasten), die allen, die mit Jugend li -chen in Kontakt sind, einen schnellenEinblick in die heutige rechtsextremeSzene ermöglicht.

„Früher war es für Ausbildner und Per -sonalverantwortliche einfacher, Rechts ex -treme zu erkennen“, so Mernyi. Dochkahlgeschorene Schädel, Sprin ger -stiefel und Bomberjacken seien vongestern. So in der Öffentlichkeit auf-zutreten sei für viele Jugendliche„alles andere als cool“. Heute gebe esLabels wie „Thor Steinar“, deren T-Shirts nicht sofort ins Auge stechenwürden. Auch im Bereich der Musikhabe sich viel getan, was die rechtsex-treme Szenekultur aber auch für vielewieder attraktiver mache. Mit demBuch hofft Mernyi, hier für entspre-chende Aufklärung zu sorgen. DieNachfrage gibt ihm recht. Über denSommer muss bereits nachgedrucktwerden.

Die Publikation befasst sich auch mitNeonazis im Internet – etwa der seitüber einem Jahr agierenden SeiteAlpen-Donau.Info. Mernyi selbst wirdvon den Alpen-Donau-Machern kon-sequent als „Lager-Willi“ bezeichnet.Zwei Briefe habe er in dieser An ge le -genheit bereits an Ministerin Fektergeschrieben, erzählt er dazu der „Ge -meinde“. Und die Antwort, dass derServer in den USA liege, empfindet erinzwischen als unerträglich. Die Ver -fasser der Beiträge säßen in Österreich.Hier gebe es eine Verantwortung sei-tens des Ministeriums.

Wer ist rechtsextrem?Was versteht man unter Rechtsextremismus und wie erkennt man rechts-extreme Tendenzen bei Jugendlichen? Antworten auf diese Fragen gibtdie Publikation „RECHTSEXTREM“ des Mauthausen Komitee Österreich.Komitee-Vorsitzender Willi Mernyi und Co-Autorin Christa Bauer bietenallen, die mit Jugendlichen zu tun haben, hier vor allem Hilfe stel lung, wieNamen, Symbole, Kleidung und Musik richtig gedeutet werden können.

Vorgestellt werden dabei Neonazi-Versandhäuser ebenso wie White Po -wer-Symbole, rechtsextreme Bewegungen und Organisationen, Szene -codes (wie die Zahlencodes 74, die Abkürzung für Großdeutschland, 84, dieAbkürzung für „Heil dir“, 311, das für „Ku-Klux-Klan“ steht, oder 19/8,eine Umschreibung für „Sieg heil“) sowie Parolen und Gruß formen. „EinVolk, ein Reich, ein Führer“ oder „Heil Hitler“ dürften bei jedem dieAlarmglocken läuten lassen. Doch auch „Deutschland erwache“ (eine Pa -ro le der SA) und „Blut und Ehre“ (Parole der Hit le r jugend) sind eindeutigbesetzt.

Viel getan hatsich in den ver-gangenen Jah renin der rechts ex -tre men Mo de.Gerne getragenwerden Klei -dungs stücke derMarken Al phaIn dustries (dasFir men lo go äh -nelt dem Abzei -chen der SA),Ben Sher man,Lons dale (die da -rin enthaltenen Buchstaben NSDA auf T-Shirts sind bei darüber ge tragenergeöffneter Jacke allein sichtbar), Consdaple, Masterrace Europe, DobermanStreetwear, Fred Perry, Hatecrime, New Balance (Sport schuhe), Patriot, Pitbull,Troublemaker, Thor Steinar, Hemland, Erik & Sons, Pro-Vio lence, Sportfrei, Ha-tewear, Rizist und Walhall. Neu ist auch, dass zu neh mend auch Symboleanderer Jugendkulturen Eingang in die rechtsextreme Szene finden. Sowird das Palästinensertuch ebenso getragen wie Che Guevara-T-Shirts.

Jahr für Jahr steigt zudem die Anzahl rechtsextremer Musiklabels. Un ter -schieden wird dabei zwischen den Stilrichtungen R.A.C. – Rock againstCommunism (z.B. „Skrewdriver“), Oi, eine Art Punkrock (z.B. „Oitha na -sie“),Hardcore/Hatecore (z.B. „SFA“, „Sheer Terror“, „Max Resist“, „Mosh -pit“, „Race Riot“), Black Metal (z.B. „Burzum“, „Absurd“), Pagan Metal/Vi king Metal , Viking Rock/Wiking Rock (z.B. „Balmung“, „Ultima Thule“),Neofolk/Dark Wave/Schwarze Szene (z.B „Death in June“, „Von Thron stahl“),Neue Deutsche Härte/NDH sowie Liedermachern (Balladen).

Was tun, wenn man bei Jugendlichen rechtsextreme Mode sieht, verboteneAbzeichen erkennt, eine eindeutige Sprache ortet? Die Publikation emp-fiehlt hier die Hotline für Fragen zu Rechtsextremismus (0810 500 199)anzurufen oder sich auf www.rechtsextrem.at schlau zu machen. Das Maut-hausen Komitee hat zudem eine Kooperation mit „147 – Rat auf Draht“ins Leben gerufen. Unter der Nummer 147 können Psychologen um ent-sprechende Hilfe gebeten werden.

RECHTSEXTREM

Symbole. Codes. Musik. Gesetze. Organisationen.

Herausgeber: Mauthausen Komi-tee Österreich

Zu bestellen über: www.rechtsextrem.at

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Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 7

POLITIK • INLAND

„Wer heute noch von einer Stagna ti ondes Rechtsextremismus spricht, ist of-fensichtlich mit völliger Blindheit ge-schlagen“, meint Karl Öllinger,Abgeordneter der Grünen, zu den viaAPA verbreiteten Aussagen des Ver -fas sungsschutzberichtes. Die Zahlenüber rechtsextreme Delikte des Jahres2009, die der Verfassungsschutz aus-gerechnet nach dem Brandanschlagvon Floridsdorf aufwärmt, stimmenmit der tatsächlichen Entwicklungnicht überein. Nimmt man nämlichnicht nur den Verfassungsschutz be -richt von 2009 zur Hand, sondernauch die vorangegangenen, wirdschnell klar, dass es innerhalb wenigerJahre eine Verdopplung rechtsextre-mer Straftaten gegeben hat.

Die Grünen haben die rechtsextremenVorfälle für das Jahr 2009 auf der Web-site www.stopptdierechten.at dokumen-tiert und auch die Verfassungs schutz -berichte der letzten Jahre analysiert.Öllinger: „Im Jahr 2009 hat es ei nenMord auf offener Straße durch einen rechts -ex tremen Skinhead in Wien gegeben. InVorarlberg wiederum gibt es nach der Er-mordung eines rechtsextremen Skins durcheine rivalisierende Motor rad gang seiteinem Jahr immer wieder heftige Ausein -andersetzungen, in Ober österreich gibt esfast in jeder Bezirks stadt Nazi-Skins oderorganisierte rechtsextreme Gruppen, seitmehr als einem Jahr gibt es eine offen denNationalsozia lis mus pro pagierende Web-site („alpen-do nau“), die von österrei-chischen Neo na zis betrieben wird. Nur:Der Verfas sungs schutz hat sie in seinemBericht nicht einmal beschrieben - offen-sichtlich nach dem Motto: was wir nichtsehen, geht uns nichts an.“

Die Grünen haben eine umfangreicheparlamentarische Anfrage zu „alpen-donau“ an Bundesministerin Fekterge richtet. Öllinger: „Wenn man nur dieAktivitäten von „alpen-donau“ aufzählt,merkt man schon, dass die Feststellungendes Verfassungsschutzes nicht stimmenkönnen.“

Der Verfassungsschutz betreibt - of fen -

sichtlich im Auftrag von Bundes mi -nis terin Fekter - gezielt eine Vernied -li chung des Rechtsextremismus: „Offenrechtsextreme Burschenschaften kommenim Verfassungsschutzbericht schon seitJahren nicht mehr vor - auf Be treiben derdamaligen Regierungspartei FPÖ.“ DerFPÖ und der Bürgerini tiative Rapp-gasse in Floridsdorf wirft Öllinger vor,den Boden für schwer kriminelle Hass -aktionen wie die Brand anschläge inFloridsdorf aufbereitet zu haben. Öl-linger: „Es ist ziemlich offensichtlich,dass die neonazistisch motivierten Brand-anschläge in Florids dorf, die nur wegender raschen Reaktion der Hausbewohnerund der Feuerwehr keine Verletzten oderToten gefordert ha ben, in einem Zusam-menhang mit den Aktionen und der De-monstration gegen ein islamisches Kultur -zentrum stehen. Die Nazi-Skins, die imJuni HC Strache noch applaudiert haben,sind jetzt zur Tat ge schritten.“

Öllinger fordert die Exekutive auf, biszu einer Klärung der Brandanschlägedie Wohnanlage permanent zu über-wachen: „Wir haben sehr wohl registriert,dass es seit gestern - endlich! - eine Über-wachung der Wohnanlage gibt. Sie mussjedenfalls bis zur Klärung der Vorfälledurch Verhaftung der mutmaßlichen Tä-ter weitergeführt werden!“ OT

Am 20. April 2010 - Ein Spaziergang durch Klosterneuburg

Eine Bekannte spazierte durch die klei-nen Gassen von Klosterneuburg, vorbeian vielen Gasthäusern und Heu rigen.Besonders prominent auf vielen derMe nütafeln standen „Eiernockerl“ ge -schrieben. Ein wenig verwundert überdie häufige und vor allem prominenteAnpreisung von Eiernockerln, fragte siein einem Gasthaus genauer nach, wasdenn der Grund sei, dass es überall Ei -er nockerl gäbe. Die Inhaberin der Gast -stät te antwortete mit einerer schre ckenden Selbstverständ lichkeit:“Heute ist der Geburtstag vom Führerund Eier nockerl waren seine Lieblings -speise!“ mc

Verdoppelung rechtsextremer Straftaten

in den letzten Jahren

Norbert Darabos mit Otto-Bauer-Plakette

der Freiheitskämpfer ausgezeichnet

Verteidigungsminister Norbert Da ra bos,wurde Ende Mai im Rahmen einer Ta - gung des erweiterten Bundes vor -standes der SozialdemokratischenFrei heitskämpfer die Otto-Bauer-Pla -kette verliehen. Mit dieser Auszeich-nung wurde sein Einsatz gegenRechts extremismus, Neofaschismusund Rassismus geehrt. Es handelt sichdabei um die höchste österreichischeWiderstandskämpfer-Auszeich nung.

Norbert Darabos' antifaschistischeHaltung zieht sich wie ein roter Fa dendurch seine Amtsführung als Ver -teidigungsminister. Als studiertemHistoriker ist es Darabos ein besonde-res Anliegen, dass sich das Bun des -heer verstärkt seiner Geschichte stellt.Es wurden nicht nur aktive Maß nah -men gegen Rechts gesetzt, son dernauch viele wichtige For schungs pro -jekte in Auftrag gegeben und Ini tia-tiven unterstützt. Bei rechten Um trie-ben im Heer verfolgt Da rabos eineNull-Toleranz-Politik.

Der Vertei digungsminister hat bei-spielsweise die Teilnahme des österrei-chischen Bundesheeres am um strit te -nen Ulrichsberg-Treffen beendet, wasletzt endlich zu dessen Absage führte.Auch wurden vier Soldaten, die sichim Ko sovo befanden, wegen des Ver -dachts auf Wiederbetätigung aus demHee resdienst entlassen.

Page 8: jüdische welt

8 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

POLITIK • INLAND

Schreiduelle, heftige Wortgefechte,die erneute Anzweiflung von Gas -

kam mern sowie viel Wohlwollen der Sym pathisanten im Publikum für denAn ge klagten - so lautet die turbulenteBi lanz des ersten Prozesstages ge genHolocaust-Leugner Gert Honsik, deram 20. Juli am Wiener Straflan des ge -richt über die Bühne gegangen ist. Der68-Jährige musste sich erneut we gennationalsozialistischer Wiederbe tä ti -gung in zwei seiner Bücher verantwor-ten. Weil die Verteidigung 65 Be weis-anträge eingebracht hat, wur de dieVerhandlung auf 9. September vertagt.

Zwar war Honsik im April 2009 fürzahlreiche, im Zeitraum 1997 bis 2003von ihm veröffentlichte Ausgaben derZeitschrift „Halt!“ im Wiener Straf -landesgericht schuldig erkannt wor-den. Doch das Wiener O ber landes ge -richt (OLG) reduzierte vor vier Mona -ten die dafür verhängte Strafe vonfünf auf vier Jahre Haft. Die Ankla ge-behörde macht nun in einer separaten

Verhandlung zwei Bücher Honsikszum Prozessgegenstand. Die inkrimi-nierten Werke „Schelm und Scheu sal“und „Der Juden Drittes Reich“ wa renbereits Inhalt der Anklage im vorange -gangen Prozess gewesen, wurden da-mals jedoch zur Vermei dung von Ver -fahrensverzögerungen aus geschieden.

Zu Beginn verlief alles relativ gesittet:Der Staatsanwalt bezeichnete Honsikals „Blender“, „Geschichtsfälscher“und „Propagandamaschine“, dessenbis her 21 Verurteilungen eine „be deu -tende Verbrecherkarriere“ darstelle.Verteidiger Herbert Schaller attestiertehingegen seinem Mandanten, er sei„kein asoziales Element“. Honsik ha -be „immer in Arbeit gestanden“ undeine Familie gegründet. Seine dreiKinder sowie seine acht Enkel seien al-lesamt „anständige Menschen“ und„gut erzogen“. Als Schaller dann auchnoch viele Jahre zurückreichende Ver -urteilungen zu zerpflücken begann,die nicht Verhandlungsgegenstand

waren, platzte Richter Andreas Böhmerstmals der Kragen. Lautstark forderteer den Verteidiger auf, „endlich zurSache zu sprechen“. Eineinhalb Stun -den und etliche Schreiduelle späterverhängte Böhm etwas entnervt dieers te Verhandlungspause. Zuvor warSchaller selbst haarscharf an Aussa genvorbeigeschrammt, die ihm als Wie -der betätigung angelastet hätten wer-den können. Auf die wiederholteFra ge, ob er, Schaller, selbst behaupte,es hätte keine Gaskammern gegeben,wich der Strafverteidiger immer wie-der aus. Als einer „Anhänger“ Hon -siks im Zuschauerbereich den Ausfüh- rungen Schallers auch noch app lau -dierte, wurde er des Saales verwiesen.

Anschließend hatte Honsik selbst dasWort - und machte davon reichlichGebrauch. Es entwickelte sich ein re -ger, allerdings ziemlich ergebnisloserDialog zwischen dem Richter und demAngeklagten, denn letzterer antwor-tete selbst auf eindeutige Fragen nie

HONSIK-PROZESS:

Gaskammer-Existenz erneutangezweifelt

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Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 9

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mit Ja oder Nein. Lediglich hie und dawurde Honsik laut: „Es gab auf groß-deutschem Boden keine einzige Gas kam -mer, dabei bleibe ich. Hier endet die65-jäh rige Lüge von den Gaskammern inMaut hau sen und Dachau - und ich wurde25 Jah re lang verfolgt, wie Nelson Man de -la.“ Die Gaskammern in Maut hausensei en übrigens im Nach hinein einge-baut worden, so der Beschul dig te.Honsik ritt überdies wilde Attackengegen Si mon Wiesenthal, den erimmer wieder als „Lügner“ und„Münchhausenon kel“ bezeichnete.Der 68-Jährige vertrat die These, dassin den Plan von der Vernichtung derJuden lediglich 200 Men schen einge-weiht gewesen sei en und dieserstrengster Geheim haltung unterlag.„Ich leugne die in der Öffentlichkeit ver-übten Verbrechen, die durch den Staat(das Dritte Reich, Anm.) nicht gedecktwaren“, so Honsik. Und weiter: „SechsMillionen Deutsche werden uns un -terschlagen und ich werde als Lügen onkeldargestellt.“

Zum Eklat kam es unmittelbar nachei ner Verhandlungspause. Weil sichder zweite Verteidiger Honsiks, Her -bert Orlich, immer wieder unerlaubtzu Wort gemeldet hatte, wurde er vonRichter Böhm vom Verteidi gungs platzverwiesen - was Orlich jedoch verwei-gerte. Erst, nachdem damit gedrohtwurde, sein Verhalten der Rechtsan-waltskammer zu melden, zog sich derJurist auf die Publikums plätze zu-rück, wo ihm von vielen Sei-ten mitgroßem Wohlwollen zugenicktwurde.

Auf die Frage des Richters, ob Hon sikmeine, es hätte im Konzentrations la -ger Auschwitz Gaskammern gegeben,schaltete sich Verteidiger Schaller da-zwischen: „Fragen sie einen Sach ver -ständigen.“Honsik anerkannte schließ lich die„unbestrittene Existenz“ von Gaskam -mern in den Vernich tungs lagern Bel -zec, Sobibor, Kaunas, Wilna und auchin Auschwitz - allerdings nur in zweiBauernhäusern, die außerhalb des La-gers lagen. Darüber hinaus sei dieZahl von sechs Millio nen getötetenJuden „falsch“, es seien lediglich 1,5Millionen gewesen.

Weil die Verteidigung insgesamt 65Be weisanträge angekündigt hat, wur - de der Prozess auf 9. September (9.00Uhr, Saal 303) vertagt. APA

Steirischer Sektenexperte ortet zunehmend rechtsextremeEsoterik

Eine verstärkte Tendenz in eine poli-tisch-ideologische, rechtsextreme Rich - tung erkennt der Leiter der steirischenSekten-Service-Stelle, Roman Schweid -len ka, bei „einigen esoterischen Be we -gungen“. Die Ideologisierung sei diezweite Gefahr neben der bei Sektenhäufigen persönlichen Vereinnah -mung und finanziellen Ausbeutungvon Menschen, hielt der Grazer Ex -perte im Grazer Pressegespräch fest.

„Die Esoterik ist ein Einfallstor für denRechtsextremismus“, sagte Schweid len -ka. Daher sei den „Politsekten“ imdiesjährigen Bericht der ServicestelleLogo-Eso-Info viel Raum geschenktworden.

Diese Strömungen verbinden spiritu el -le mit rechtsextremistischen Inhal ten:Oft solle eine einzelne „Führerper son“den Halt für die Suchenden verkör-pern, viele der Gruppen seien von In -toleranz gegenüber anderen ge prägtund sehr autoritär organisiert. Die Ide ologie beinhalte meist eine Un -ter teilung in „gute“ Menschen, die derSekte angehören, und „die anderen,schlechten“. Hier kämen immer wie-der rechtsextreme, auch antisemitischeAussagen vor. In diesem Zusam -menhang nannte er die anhaltendschwierige Arbeitsmarktsi tuation unddie Wirtschaftskrise als Unsicher heits -fak toren, die mehr Menschen - vor al -lem Jugendliche - das System kritischhin terfragen ließen und sie da mit für

die Ansichten politisch-ideologischerGrup pen offen machen könnten.Sa tanistische Strömungen hätten hin-gegen an Bedeutung verloren und sei - e n kaum mehr ein Sprachrohr desPro testes.

Fundamentalistische Grup pen ausdem religiösen Bereich, die meistensvon extremistischen Standpunktenund einer Tendenz zur Demokratie -feind lichkeit geprägt sind, seien in derSteiermark meist christlichen Ur -sprungs, einige auch muslimisch,meinte der Grazer Experte.

Esoterische Bewegungen dürften„nicht pauschal verurteilt werden“, soSchweidlenka. Es gebe auch harmloseGruppen. Gleichzeitig warnte er vorjenen Sekten, die in Reaktion auf diemediale Kritik der vergangenen Jahreversuchen würden, sich als „harmlos“zu profilieren, es jedoch nicht seien.

Jugendlandesrätin Elisabeth Gross mann(Foto neben Roman Schweidlenka) be ton -te bei der Pressekon ferenz, dass „dieJugend sehr viel besser ist, als ihrRuf.“ Die Gefahr durch Sekten undähnliche Bewegungen beschränke sichauf eine kleine Gruppe. Schweid lenkaerklärte, die meisten Gruppie rungenseien in der Steiermark „sehr klein“(10-100 Leute). Trotzdem müs se mandie Anwerbungsak tivitä ten be o bach -ten und die Bevölkerung wei ter auf-klären.

Die Servicestelle „Logo-Eso-Info“ istAnlaufstelle für Jugendliche, die sichüber bestimmte Gruppierungen in for - mieren wollen. Das Info-Angebot, dasunter anderem Broschüren über rechts -extreme Symbole beinhaltet, wer deaber auch von Eltern, Lehrern und Ju-gendsozialarbeitern genutzt. APA

Spiegelgasse 19, 1010 Wien, ÖsterreichTel. 01/512 72 67 www.kulcsar.at

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©Land Steiermark

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10 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

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reichsarbeit untersucht. Sie machtesich auf die Suche nach ehemaligenSchülern, die in der NS-Zeit der Schu - le verwiesen worden waren. Sie zeich - nete aber auch die Gesetzge bungdieser Zeit nach, die diese grobenUm wälzungen im Schulbereich erstmöglich machten.

Wie Klug betont sie, dass die Aus ein -andersetzung mit den Themen NS-Zeit und Holocaust sowohl in Fa mi-lie als auch Schule einen wichtigenStel lenwert eingenommen hat. In dervier ten Klasse AHS, erinnert sie sich,sei im Rahmen eines Projekts zwei Wo - chen lang in allen Unter richtsge gen - ständen diese Zeit Thema gewesen. InMathematik etwa habe man sich mitOriginal-Aufgabenstel lungen aus derZeit auseinandergesetzt – inhaltlich,„gerechnet haben wir sie nicht“. Daging es etwa da rum, wie viel die Be -treuung und Ver pflegung behinderterMenschen in ei nem be stimmten Zeit -raum koste. „So haben wir gelernt: mankonnte sich dem nicht entziehen.“

Wie es war, damals aufzuwachsen, wieman Schuld auf sich geladen hat undwie man damit umgeht, das beschäf-tigt Yvon seitdem – auch wenn sielängst vom Politikwissen schafts stu di -um auf die Uni für Bo den kultur um-gesattelt ist und in Kürze ihren Masterin „Phytome di zin“ (Pflanzen ge sund -heit) ablegt. Ei nerseits habe sich da-durch in ihr ein „hartnäckiges Wis sen-Wollen“ verankert. Anderer seits seiihr von den Groß eltern mitgegebenworden, dass Bildung das Einzige ist,was einem nicht genommen werdenkann. Da für sei sie ihnen dankbar.

Die Großmutter beschloss gegen En -de des Krieges, Medizin zu studieren.Was sie damals gesehen oder er lebthat, weiß Yvon allerdings bis heutenicht. „Da bin ich im Gespräch nicht wei-ter gekommen.“ Und was ihre Groß el -tern sie auch nicht lehrten sei, „wieman mit Schuld umgeht, wie man damitumgeht, wenn man einen schweren Feh -ler gemacht hat“. „Ich weiß, es gibt viele,die sagen, was hat das mit mir zu tun?“,sagt die Studentin. „Aber ich habe michmitverantwortlich gefühlt. Und ich binmir sicher, dass hier Verant wortung da -für von einer Generation an die nächsteweitergegeben wird.“

Grundsätzlich ist sie der Ansicht, dassTäter ohne eine „Kultur des Fehlers“

„Wer nicht aus der Geschichte lernt, istverdammt sie zu wiederholen“, soll FredSchneider immer wieder gesagt ha ben.Er selbst hat seiner Heimat Österreich,aus der er vor den Nationalso zialis tenfliegen musste, über Jahrzehnte denRücken gekehrt, erzählt ChristianeWendelberger, Leiterin des Zentrumsfür Begabungsförderung im Stadt -schul rat für Wien. Ab den späten acht - ziger Jahren freundete er sich mit denösterreichischen Diplomaten Franz Cedeund Christian Prosl an, die nacheinan-der als Generalkonsuln nach Los An-geles entsandt worden waren.

„In vielen Gesprächen mit Fred gewannich den Eindruck, dass es ihm ein Anlie genwäre, ein sichtbares Zeichen zu setzen, umdie Erinnerung an das Unfassbare wachzu halten und den Gedanken der Versöh-nung bei der jüngeren Generation in Ös -terreich zu verbreiten“, erinnert sichCede. Entstanden ist so der von Schnei -der gestiftete Preis – für den Erstplat-zierten mit einem Geldbetrag von 750Euro, für den Zweiten von 250 Euroverbunden. Zehn Mal wurde er bereitsvergeben (zur Verleihung reist Schnei-der auch fast jedes Jahr nach Wien an),und: die Saat ging auf. „Les sons to belearned“ – unter diesem Motto stehtder Preis. Und diese Jugendlichenhaben ihre Lektion auch gelernt.

Constanze Klug (geb. 1988 in Wien) be -suchte das Musikgymnasium in Wien-Neubau, studiert heute Musikwissen- schaft, arbeitet als Musikredakteurinbei „Radio Stephansdom“ und singtim Arnold Schoenberg Chor. „Mani -pu la tion durch Musik im DrittenReich“ lautet der Titel ihrer 2006 prä-mierten Fachbereichsarbeit, an der sieaus der Erkenntnis heraus zu arbeitenbegonnen hatte, „wie stark Musik mit

psychischen Vorgängen zusammenhängt“.Die Recherche sei nicht einfach gewe-sen, da dieses Thema „unter psycholo-gische Kriegsführung fällt – es war kaumMaterial zu finden“.

Geschafft hat sie es am Ende doch –und dabei für sich persönlich Er schre -c kendes mitgenommen: dass Kompo -nisten missbraucht oder verbotenwor den sind, sei nichts Neues. „Be son -ders arg habe ich aber gefunden, wie manin der NS-Zeit Volkslieder, Solda ten lieder,Kinderlieder hergenommen und umge-dichtet hat. Bekannte Melodien wur denmit neuen Texten versehen. Das hatte un-glaubliche Auswirkungen auf das Volks -lied – und ist wohl auch mit Schuld daran,dass das Volkslied heute versandet.“Musiksei vom NS-Regime wie nie zu vor in-strumentalisiert worden. „Es gab dafürja auch die eigene Reichs musik kammer.“

In der Familie sei die NS-Zeit „immerein Thema“ gewesen, erzählt Klug, „mei - nen Eltern war es immer wichtig, dass wirBescheid wissen“. Dass sie durch dieArbeit an diesem Thema kritischer ge-worden ist als ihre Alterskollegen,glaubt sie nicht, denn: „Ich stamme auseiner Schülergeneration, in der das im merThema war. In der Schule haben wir oftschon ein bisschen Nischenprogramm ge-macht.“ Nischenprogramm? „Wir ha bennicht Anne Frank gelesen, weil das ohne-hin schon jeder gelesen hatte.“ Die Schul-lektüre bestand aus Erich Hackls „Ab- schied von Sidonie“ in der Un ter stu fe,später aus Jurek Beckers „BronsteinsKinder“. Auch Ingeborg Bach mannstand auf der Leseliste.

Die Auswirkungen des „An schlus ses“1938 auf ihre eigene Schule – dasGym nasium Klostergasse – hat dieerste Preisträgerin (2000), Alix Yvon(geb. 1981 in Wien) in ihrer Fach be -

Die reflektierten JungenEs gibt sie, die Jugendlichen, die sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen undversuchen, die Zukunft besser zu gestalten. Seit zehn Jahren zeichnet der WienerStadtschulrat Maturanten aus, die sich in Fachbereichsarbeiten mit dem The men -komplex Toleranz, Minderheiten und Geschichte auseinandergesetzt ha ben.Verliehen wird an den Erst- und Zweitplatzierten der „Fred Schneider Family Award“.Stifter Fred Schneider stammt aus Wien, er und seine Frau konnten dem Holo -caust entkommen und leben heute mit ihren Kindern und Enkeln in der Nähe vonLos Angeles. „Die Gemeinde“ bat drei Preisträgerinnen zum Gespräch.

VON ALEXIA WEISS

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Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 11

schwerer aufstehen und sich der Ver-antwortung stellen könnten. „Da durchwerden ihre Kinder und Kinder kinder ge-zwungen, einen Teil mitzutragen undkönnen nicht mehr vollkommen frei agie-ren.“

Ines Kopitar (geb. 1988 in Wien) arbei-tet heute als Kindergartenpädagoginund studiert Deutsche Philologie (Ger -manistik) an der Universität Wien.2006 wurde sie für ihre Arbeit „Verfol -gung und Vertreibung der Juden im mit -telalterlichen Europa“ mit dem „FredSchnei der Family Award“ ausgezeich-net. Nein, familiären Bezug zu demThema habe sie keinen, erzählt sie.„Aber das Mittelalter hat mich im mer in-teressiert. Und als 2005 der iranische Prä-sident Mahmud Ahmadined schad ge sagthat, man muss Israel von der Land karteausradieren, da bin ich draufgekommen,ich weiß, wie es jetzt ist – aber was war ei-gentlich früher?“

„Beim Erarbeiten des Materials war es er - schreckend zu erfahren, mit welchen Me -thoden man Juden vertrieb, und vor allemwurde ich mit der Tatsache konfrontiert,dass das jüdische Volk bereits seit zirka4.000 Jahren verfolgt wird und noch im -mer kein endgültiges Ende in Sicht ist.“Sie finde es furchtbar, dass Juden inder Geschichte „mehr verfolgt als freiund akzeptiert waren“.

Und andererseits finde sie es auchfurcht bar, dass sich im Nahostkon fliktkeine Lösung abzeichne. Sie habe aberdurch die Arbeit an diesem The maauch gelernt, bewusster mit Nach rich -ten umzugehen, und dann eben auchzum Schluss zu kommen, „dass esmanchmal besser ist, nichts zu sagen, wennman keinen konkreten Ein blick in etwashat. Der Nahostkonflikt ist ein tiefer Kon -flikt. Und wir hier wissen nicht, wie dasLeben dort ist.“

„PEACE TOUR 2010“Friedensprojekt mit 28 Jugendlichen

aus Österreich und Israel

Der Erste Präsident des Wiener Land -tags, Prof. Harry Kopietz, begrüßte imRah men der „Peace Tour 2010“ imRoten Salon des Rathauses 28 Ju gend -liche aus Österreich und Israel. „Diejungen Gäste bringen eine bedeutendeBot schaft nach Österreich“, so Kopietz,der vor allem in der gemeinsamen Teil -nahme der acht arabischen und acht jü-dischen Israelis ein wichtiges Signalzur Völker ver bindung sieht. Ziel des Friedenprojektes ist es, zu zeigen, dassalle Jugendliche dieser Welt dieselben Wünsche, Bedürfnisse und Träumehaben - ungeachtet von Religion und Her kunft.

Kultureller Austausch und Konfliktmanagement-CoachingDie 14-tägige Tour durch Österreich - gemeinsam mit den österreichischen Ju -gendlichen - soll den jungen Menschen zeigen, dass ein friedliches Zusam men -leben möglich ist und Vorurteile gegenüber anderen meist auf unbegründetenÄngsten basieren. Neben Spiel und Spaß stehen bei der „Peace Tour“ auch kultu-reller Austausch und Konfliktmanagement-Coaching im Vordergrund. Wäh-rend die israelischen Jugend li chen viel über Österreichs Kultur er fahrenwerden, bekommen die heimischenTeilnehmerInnen Einblicke in die jü -dische und in die arabische Lebens -wei se.

Erinnerungsfoto mit Ex-US-Präsident Bill Clinton im Tiergrten Schön brunn

Die Peace Tour - Das Ziel der Round Table Peace Tour 2010 ist es zu zeigen, dass Jugendlicheund somit die Be völkerung unserer Welt von morgen, gleich sind, dieselben Wünsche, Bedürf-nisse und Träu me haben, egal woher sie kommen und welcher Religion sie angehören. Zu-gleich wollen wir israelischen Jugendlichen die Gelegenheit zu entspannten Ferien inÖsterreich bieten, außerhalb ihrer angespannten Umgebung in der sie täglich leben.

In Israel leben Juden und Araber in einem gemeinsamen Staat. Dieses Zusammenleben ist,wie wir in den Medien verfolgen können, nicht immer friktionsfrei. Die Peace Tour 2010 ist einFriedensprojekt in Österreich mit arabischen und jüdischen Israelis sowie österreichischen Ju -gendlichen. Insgesamt nehmen 28 Jugendliche (8 arabische, 8 jüdische Israelis und 12 Ös ter rei -cher) daran teil. Ziel der Peace Tour 2010 ist es, den Jugendlichen zu zeigen, dass sie unabhängigihrer Religion und Herkunft, dieselben Interessen, Wünsche und Hoffnungen verbinden. Wir wol-len den Jugendlichen zeigen, dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist und Vor ur teilegegenüber anderen meist auf unbegründeten Ängsten basieren. Der 14-tägige Auf ent halt inÖsterreich bietet die perfekten Rahmenbedingungen für die Peace Tour 2010.

Im Jahr 2008 fand die Peace Tour unter großer medialer Aufmerksamkeit zum ersten Mal stattund wurde beim Annual General Meeting des Round Table Internationl zum „Projekt des Jah-res 2008“ gewählt.

Goldenes Verdienstzeichen für Spiegelgrund-Opfer „Am Spiegelgrund“ fielen zwischen 1940 und 1945 800 Kinder den Verbrechender Nazis zum Opfer. Insgesamt wurden in der Anstalt Steinhof, dem heutigenOtto-Wagner-Spital, 7.500 PatientInnen von gewissenlosen Nazischergen er mor -det.

Gesundheits- und Sozialstadträtin Mag.a Sonja Wehsely ehrte Friedrich Nekvasil(Jahr gang 1936) und Karl Hamedler (Jahrgang 1930), Überlebende der Tortur vondamals, mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien.

"Wir brauchen Sie, damit Sie uns und den Kindern erzählen, was damals passiert ist.Im Sinne des 'Niemals vergessen!' nehmen Sie enorme Strapazen auf sich, um IhrenBeitrag als ZeitzeugInnen zu leisten", erklärte Wehsely bei der heutigen Ehrung.

Mag.a Sonja Wehsely und die mit dem Goldenen Ver dienst zeichen geehrten Spiegelgrund-Opfer Karl Hamedler (links) und Friedrich Nekvasil (rechts)

©PID/Schaub-Walzer

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12 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

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DEUTSCHLAND

Verfassungsschutz will NS-Vergangenheit aufarbeiten

Sechs Jahrzehnte nach seiner Grün -dung will das deutsche Bundesamtfür Verfassungsschutz (BfV) seine NS-Vergangenheit aufarbeiten. „Das BfVplant, einen unabhängigen Histori ker be-ziehungsweise ein wissenschaftliches In -stitut mit der Aufarbeitung derGrün dungsgeschichte des Amtes zu be-auftragen“, sagte BehördensprecherinTania Puschnerat der „Berliner Zei-tung“. Dem Blatt zufolge geht es ins-

besondere um die Frage, welche Rolleund welchen Einfluss einst Nazis undKriegs verbrecher in der Behörde aus-übten. „In diesem Kontext sollen auchUm fang und Einfluss der NS-Bezüge ehe -maliger Mitarbeiter des BfV erforschtwerden. Es ist vorgesehen, dieses For -schungs projekt im Zuge einer öffentli chenAusschreibung zu vergeben, sobald die Fi-nanzierung gesichert ist“, sagte Pu-schnerat dem Bericht zufolge weiter.Derzeit sei das Amt mit dem weiterenAufbau des Aktenbestandes im deut-schen Bundesarchiv befasst. Da mitsolle die Grundlage für eine ge -schichtswissenschaftlich korrekte Er -for schung geschaffen werden. APA

SCHWEIZ

Kommission kritisiert Verzicht auf Hitlergruß-Verbot

Die Schweiz könnte ein „Hort rechtsx-tremer Materialien“werden, befürchtetdie Eidgenössische Rassismus kom -mission. Sie kritisierte den Entscheidder Schweizer Regierung (Bundes rat),die den Hitlergruß und andere rechts-extreme Symbole wie das Ha ken kreuznicht verbieten will. Heute ist der Ge-brauch von Symbolen wie Hitlergrußoder Hakenkreuzen un ter sagt, wenndamit öffentlich für ei ne rassistischeIdeologie geworben werden soll. DerBundesrat prüfte, ob jeglicher Ge-brauch der Symbole in der Öffentlich-keit strafbar sein soll. Ende Junibeschloss er, nichts zu ändern. Damitlaufe die Schweiz gegen den Trend -in den Nachbarländern liefen An-strengungen zur Verschärfung derGesetze gegen Rechtsradikalismus,stellten die Rassismuskommissionund GRA Stiftung gegen Rassismusfest. Es sei somit weiterhin möglich, inder Schweiz Hakenkreuze und an dererechtsextreme Symbole zu kaufen undzu horten.

Die Kommission kritisierte auch dieBegründung des Bundesrates. Es nichtstichhaltig, dass dieser das Verbot fürschwer durchsetzbar halte. DenKampf für ein Verbot der Symbolegeben die Rassismuskommission unddie Stiftung gegen Rassismus nichtauf: Sie würden sich weiter dafür ein-setzen, schreiben sie. APA

POLEN

Grab von Polens Holocaust-Heldin IrenaSendler ge-schändet

Das Grab der polnischen Wider stands -kämpferin Irena Sendler, die währenddes Zweiten Weltkriegs 2.500 jüdi-schen Kindern das Leben rettete, istgeschändet worden. Wie der polni-sche Fernsehsender TVP berichtete,wurde das Grab auf dem WarschauerPowazki-Friedhof mit der Parole„Juden raus“ beschmiert. Die Polizeileitete Ermittlungen ein.

Michal Glowinski, der zu den damalsvon Sendler geretteten Kindern ge -hör te, sprach im Sender TVP voneinem „schändlichen Akt, der vor Em -pörung erschaudern lässt“.

Sendler hatte ab dem Herbst 1940 un -ter er heblicher Gefahr den Bewoh nerndes Warschauer Ghettos geholfen.Zwei Jahre später begann sie als Mit -glied der Widerstandsbewegung Ze -go ta, jüdische Kinder aus dem Ghettozu schmuggeln und in katholischenFamilien oder Klöstern unterzubrin-gen. Im Oktober 1943 wurde sie vonder Gestapo festgenommen und zumTode verurteilt, aber dann von einemdeutschen Offizier gerettet. Nach dem Kriegsende arbeitete sie inWaisen häusern und Altenheimen.

Im Jahr 2008 starb sie im Alter von 98Jahren.

©Mariusz Kubik

Unter dem Titel „Universität Tü bin - gen im Nationalsozialismus“ ist so-

eben ein umfangreicher Sammel bandvon 1136 Seiten im Franz Stei ner Ver-lag er schie nen. Er gibt den gegenwär-tigen Forschungsstand zum The mawieder und enthält zahlreiche neueDetails und neue Perspektiven zurGe schich te der Universität währendder nationalsozialistischen Dik ta tur.Der Band umfasst Studien zum Alltagan der Uni versität, zu Verbre chen undzu Per so nen, zu einschlägigen The-men des Nationalsozialismus sowieStudien der Aufarbeitung dieser Zeitnach 1945.

Der Band wird herausgegeben vonProf. Dr. Urban Wiesing, Lehrstuhl fürEthik und Geschichte der Medizin derUniversität Tübingen und Vorsit zen -der des 2001 gegründeten Ar beits krei -ses „Universität Tübingen imNationalsozialismus“, Dr. Klaus-Rai nerBrintzinger, Direktor der Uni ver si täts -bibliothek der LMU Mün chen, Dr.Bernd Grün, Lehrer in Ludwigs burg,Privatdozent Dr. Horst Jungin ger, Re li -gi onswissenschaftler an der Uni ver si -tät Tübingen, und Dr. Susanne Michl,Universität Greifswald.

Der Sammelband, der an die Ergeb nis -se früherer Arbeiten zur Ge schich teder Universität Tübingen anschließt,enthält zahlreiche Einzelstudien, dieüber bisherige Forschungsergebnissehinausgehen. Die bemerkenswerteDy namik innerhalb einer vergleichs-weise kurzen Zeit, die Planungs eu -pho rie für neue, politisch gewollteFächer, die Vielschichtigkeit und Wi-

Sammelband zur im Nationalsozi

Täter, Opfer, geistig

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POLITIK • AUSLAND

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 13

dersprüchlichkeit der formalen undin haltlichen Gleichschaltung sowieder unterschiedlichen Formen der‚Selbst gleichschaltung’, die damit ein -hergehende aggressive Personal po li -tik, die verschiedenen Schattie run genzwischen Anpassung und ver hal te -nem Autonomiestreben werden inEinzelfallstudien untersucht.

Viele Professoren schätzten die Macht - ergreifung der Nationalsozialis tenfalsch ein, nicht wenige begrüßten sie,nur ganz wenige haben vereinzelt Wi -derstand geleistet. Die große Mehr heitversuchte durch Anpassung, (Selbst-)Gleichschaltung, Op portu nis mus oderinnere Emigration mit der neuen Kon-stellation fertig zu we r den und ihreKarriere zu gestalten. Die UniversitätTübingen hat keinen ex ponierten Ver-treter des Wider stands hervorgebracht.So haben beispielsweise die Medizinerkeinerlei Be den ken gehegt, ob dieZwang steri lisa-tio-nen mit dem ärzt-lichen Ethos vereinbar wären. Aucham Tübinger Bei spiel zeigt sich, dassder National so zia lis mus an den deut-schen Uni ver si täten nicht auf einekleine Tätergrup pe reduziert werdenkann.

Das Eingehen auf den Rassendiskursdes „Dritten Reiches“ gehört sicherlichzu den wichtigsten Veränderun gen,die sich an der Universität ereigneten.Viele Fächer nahmen rassenkundlicheThemen auf und verarbeiteten sie inei ner den neuen politischen Ver hält-nissen konformen Weise. Zu einem be-sonderen Schwerpunkt wurde da bei

die universitäre „Judenfor schung“, die– so lässt sich zeigen – an eine lan geTradition christlich motivierter Ju den -feindschaft anknüpfen konnte. So be -hauptete der katholische Dog ma ti kerKarl Adam, die Ziele des Chris ten tumsund des politischen Antise mi tismusdes Nationalsozialismus stimm tenweitgehend überein. Der Tü bingerevangelische Neutesta mentler GerhardKittel plädierte in seiner Schrift ‘DieJudenfrage für den Aus schluss der Ju -den aus der deutschen Gesell schaft’.Sein Werk brachte es zu unrühmli cherBekanntheit besonders durch die hy-pothetische Überlegung, dass letztlichnichts anderes übrig bliebe, als alleJuden umzubringen, falls es nicht ge-lingen sollte, zu einer befriedigendenSegregationslösung zu kommen.

Keine andere Universität in Deutsch -land musste 1933 weniger Juden ent-lassen, weil bereits lange vorher dieAnstellung von Juden verhindert wor -den war. Der Universitätskanzler Au-gust Hegler betonte mit Stolz am 25.Februar 1933 im Großen Senat: „[…]man habe hier die Judenfrage ge löst, dassman nie davon gesprochen habe.”

Auf diesem Hintergrund bildete sichei ne Form des „wissenschaftlichenAntisemitismus“ heraus, der im Sep -tember 1942 in die Ernennung desevan gelischen Theologen Karl GeorgKuhn zum außerplanmäßigen Pro fes -sor für die Erforschung der „Juden -frage“ einmündete. Etliche Professo renäußerten sich dezidiert antisemitischund versuchten, mit ihrem Antisemi -tis mus in der politischen Lage Op por -tunitätsgewinne zu machen

Mehrere Aktivisten des nationalsozia-listischen Studentenbundes, die späterzu Einsatzkommandoführern wur denund die sich an führender Stelle an derErmordung des europäischen Juden -tums beteiligten, hatten in diesemKlima des Antisemitismus an der Uni - versität Tübingen studiert und selbstaktiv dazu beigetragen. Der letz te die - ser Kriegsverbrecher, Martin Sand ber -ger, starb Ende März 2010 in einemStuttgarter Seniorenstift.

Neben dem Täterkomplex bilden dieOpfer des nationalsozialistischen Ras -senwahns einen Schwerpunkt desSammelbandes. Die Zwangssterilisa -tio nen werden thematisiert, ebenso dieSituation der Zwangsarbeiter und dieSituation der wenigen Juden.

Eine geistige Elite an der alt-ehrwür-digen Universität ließ sich zuweilenauch zu absurden Reaktionen verleiten.Evangelische Theologen diskutiertenernsthaft, dass Adolf Hitler Gottes Wil - le sein müsse. „Meine Herren, wer nichterkennt, dass der Führer uns von Gott ge -geben ist, ist entweder tö richt oder bösenWillens“, so Karl Fezer, Prak tischer The -o loge und erster „Füh rer rektor“ derUniversität, ge gen über Repeten ten desStifts. In den Tü bin ger „Zwölf Sät zen“vom 12. Mai 1934, der sich 14 Tübin -ger The o logiedo zen ten angeschlossenhaben, heißt es: „Wir sind voll Dank ge -gen Gott, dass er als der Herr der Ge -schich te unserem Volk in Adolf Hitler denFührer und Retter aus schwerer Not ge -schenkt hat.“ Weitere Beispiele einergeradezu absurden Ent stellung vonWissen schaft zeigten sich bei Beru -fungs ver fahren. Dort spielten politi-sche und außerwissenschaftlicheFra gen bald eine tragende Rolle. Sohielt es die wirtschaftswissenschaftli-che Abtei-lung 1938 für zweckmäßig,in einem Berufungs gutachten festzu-halten, dass der ins Au ge gefass te Kan -di dat „aus Anlass der Durch führung desParteita ges 1933 ein Bild mit eigenhändi-ger Un ter-schrift des Führers“ besitze.

Herausgeber Urban Wiesing resümiert:„Die Geschichte des Natio nalso zialismusund die Universitätsgeschichte müssennicht neu geschrieben werden, aber wirhaben zahlreiche neue Details und Per -spek tiven herausarbeiten können. Die tra -ditionsreiche, hoch angesehene Uni ver si tätTübingen, ein Ort der Bil dung und Wis - sen schaft, war offensichtlich nicht voreinem Rückfall in Barbarei ge schützt. DieSchutzschicht der Zivi lisa tion kann auchbei einer altehrwürdigen Universi tät sehrdünn sein. For schung und Wissen schaftschützen offensichtlich nicht vor ungeheu-erlichen Abweichun gen von der Zi -vilisation.“

Im Rahmen des Sammelbandes ist ei neumfangreiche Bibliographie der Se kun -därliteratur entstanden. Sie ist daherselbständig in elektronischer Form pu -bliziert worden: http://www.nationalsozia-lismus.uni-tuebingen.de und http://www.uni-tuebingen.de/ein rich tungen/stabsstellen/universi taets ar chiv.html M. Seifert

Urban Wiesing, Klaus-Rainer Brintzinger, Bernd Grün, Horst Junginger, Susanne Michl (He-rausgeber)Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus.Franz Steiner Verlag, 2010ISBN 978-3-515-09706-2

Universität Tübingen ialismus erschienen

ge Drahtzieher und Mitläufer

©Foto-Kleinfeld

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Auch wer nicht zu den Anhängern vonAußen mi nister Avig dor Lieber man ge -hört, muss zugeben, dass seine Ini tia ti - ve, die europäischen Außen mi nis ter zuei nem Be such Ga zas einzuladen, einpositiver und kreativer Schritt ist. Sieist da zu angetan, auch die vollstän-dige Ab kop pelung Isra els vom Gaza-Streifen zu markieren – einen Pro zess,der noch nicht zum Ende ge kommenist, insbesondere wegen des Wider -stands des Si cher heitsap pa rats, der da -zu neigt, die Gaza-Frage allein unterdem engen sicherheits-po liti schenBlick winkel zu sehen, und von demfurchtbaren Scha den absieht, den dieBlockade Israel einbringt.Wenn Israel behauptet, es gebe keinhu manitäres Unglück in Gaza, kannes – wie es in der Vergangenheit ver-sucht worden ist – Besuche in Gazanicht vermeiden. Es zeigt sich, dass Is -rael nach Jahrzehnten der Herr schaftin Gaza – die weder den Auf stieg derHamas, noch die Aufrüstung und denSchmuggel verhindert hat – sichschwer damit tut, sich von dem Ge-fühl, der Herr zu sein, zu befreien.Nun könnte ausgerechnet der Außen -minis ter diesen komplizierten Prozessführen, über dessen Beweggründe sichstreiten lässt, der aber die Ar beit zuEnde bringen kann, die Ariel Sharon –mit breiter Unterstützung der Öf -fentlichkeit – begonnen hatte: sich vonder Herrschaft über und der Ver ant -wortung für Gaza zu befreien.Nach der Räumung der israelischenSiedlungen fand sich Israel in ei ner ab -surden Situation wieder. Es kontrol-liert den Küstenstreifen nicht mehr, hatjedoch – aufgrund des Beharrens, dieKontrolle über die Übergänge und dieKüste zu behalten – eine Realität ge -schaffen, die schlimmer nicht seinkönn te: Es übt keine Herrschaft aus,wird jedoch als verantwortlich be trach - tet. Auch die irrsinnige, mit ei nemfundamentalen moralischen Ma kel be -haftete Idee, über eineinhalb Mio . Bür -ger eine Blockade zu verhängen, umdie Hamas zur Frei las sung Gilad Sha-lits zu „zwingen“, hat sich als herberFehl schlag erwiesen. Und die Auffas -sung, dass jedwede is raelische Politikbe stimmt, wer über die Palästinenser

herrscht – und ob die Hamas oder AbuMazen (Mahmoud Abbas) ge schwächtoder gestärkt wer den – ist nichts wei-ter als Überheblichkeit.Wenn der Plan des Außenministers dieUnterstützung des Minister prä si den -ten und des Sicherheitsapparats erhältund sich verwirklicht, wird Israel esder Eu ro päischen Union ermögli chen,die Verant wor tung für die Entwick -lung von Infrastrukturen in Gaza undauch die Kontrolle über die Waren-ein fuhr in den Küstenstreifen zu über -nehmen, unter sicherheitspolitischerAbstimmung mit Israel. Die Kon se -quenzen sind komplex: Auch wenndie Europäische Union keine direktenKontakte mit der Hamas unterhaltenwürde, ist doch klar, dass diese Schrit -te nicht ohne jegliche Koordination mitder Regie rung Ismail Hani yehs vor be -reitet werden könnten. Inner halb derPalästinensi schen Autono mie be hör deund womöglich auch der Obama-Ad -ministration würde man über diesenProzess nicht begeistert sein, aber erentspräche zweifellos den is ra elischenInteressen.Das bleibt auch dann wahr, wenn ei nerder Beweggründe des Außenminis tersdarin besteht, die Aussichten auf einAbkommen zwischen Fatah und Ha -mas zu vereiteln, indem sich Gaza zueiner gesonderten Einheit entwickelt.Aber auch ohne diese Initiative sindalle Versuche, solch ein Ab kom men zuerreichen, bislang gescheitert, und denPreis dafür haben die Be wohner desKüsten strei fens gezahlt – und Israel.Der Staat Israel muss sich an die Ideegewöhnen, dass seine Grenze zu Ga zaähnlich der zu Syrien werden wird:Gaza wird Ausland werden. Die Tat -sache, dass es in Gaza eine für Israelsehr unangenehme Regierung gibt, istirrelevant. Auch in Damaskus herr -schen nicht die Liebhaber Zions. Die Idee, dass die Europäische Uniondie effektive Antwort für die Ent wick -lung Gazas übernehmen wird, sollteauch die israelische Linke un ter stüt zen– selbst wenn es Lie ber man ist, der sievorgeschlagen hat. Wenn jemanddarin europäischen Neoko lo nialis musentdecken will, ist er frei, dies zu tun.Wichtig ist, dass Israel, nachdem es diestrategische Entschei dung zur Ab -koppelung von Gaza ge troffen hat –und dies beinahe zum Preis eines Bür -gerkriegs -, diesen Vorgang zu Endebringen muss. Und wenn die Europä -ische Union sich um die hu ma nitäre

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Abkoppelung vonGaza – endgültig

VON SHLOMO AVINERI

Situation der Men schen in Gaza sorgt– dann soll sie die Verant wortung inihre Hände nehmen. Haaretz, 19.07.10

Shlomo Avineri ist Emeritus für Politische Wissen -schaften an der Hebräischen Uni ver si tät Jerusa lem.

Liebermans Katerideevon Ulrich W. Sahm

Der Vorschlag des israelischen Außen mi - nisters Avigdor Lieber man, den Ga za strei -fen abzustoßen, Israels Be satzung gänzlichzu be en den und den chaotischen Land strei -fen mit 1,5 Mio. Ein woh nern, aus gerechnetunter europäische Ob hut zu stellen, ist eingenialer politischer Schach zug.Lieberman besann sich auf die Eu ro pä er, weilsie Israels Blockade des Ga za strei fens füreine „Kollektiv be stra fung“ halten, die Ab -sperrung für völkerrechtswidrig halten, Is ra -els Recht auf Grenz kon trol len anfechten undFrei zügigkeit für die Be woh ner von Ga za for-dern. Bitte schön: We der Is rael noch Ägyp-ten, die gemeinschaftlich die Blockadeaufrecht erhalten, können gezwungen wer-den, Menschen aus Gaza einzulassen.Dann sollen halt die Europäer Farbe be ken -nen. Mit einer Anerkennung der „de mo kra -tisch gewählten“ Hamas als le gi ti meRegi-rung des Gazastrei fens könnte nachEnde des israelischen Be sat zungs re gimesder Hafen von Gaza ge öffnet wer den. Dawäre freie Fahrt für Hilfsgüter und Frei zü -gig keit ge währt. Dann wäre auch schon einerster palästinensischer Staat ge gründet. Da die Europäer ohnehin schon die Strom - her stellung im Gazastreifen fi nan zieren,„weil es im Gazastreifen nicht üb lich ist, dieStromrechnung zu zahlen“ (so ein EU-Ver -treter bei einer Presse kon fe renz in Jerusa -lem), könnten die Euro pä er dann auch gleichden ganzen Strom, und alles in Gaza benö-tigte Trink wasser liefern, so auch für dasfrisch eröffnete Swim ming pool mit olym -pischen Aus maßen.Den wirtschaftlichen Verlust, künftig kei neLy chees, Passionsfrüchte und Kir schen (zumPreis von 12 Euro das Kilo) mehr nach Gazaliefern zu können, werden die Israelis wohlnoch ge ra de verkraften.Sowie Israel dann seine Grenze zu Ga za her - metisch geschlossen hätte, wür de die fran-zösische Fremden le gion da rauf achtenmüs sen und können, dass es zu keinenMen schen rechts ver let zun gen mehr durchIsra e lis kä me. Das wä re doch ein halberSchritt zum Welt frie den, wenn nicht mut-maßlich die Europäer mit einem „Nein,Dan ke“ ant worten und erklären, dass sie esso nicht gemeint hätten. Aus guten Grün-den kommen die Ägy p ter in LiebermansVorschlag nicht vor. Denn die haben schonabgewunken. Die Ägypter haben nicht dasge ringste Interesse, Israels schlimmsteKopf schmer zen zu übernehmen und die ge -fährlichsten Verbündeten der Mos lem brüderzu unterstützen, die Ägyptens Bestand inFrage stel len.

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Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 15

© Mustafa Hassona/Flash 90

Neues Shoppingparadies in GazaIn Gaza wurde am 17. Juli ein neues Einkaufsparadies mit Fast-Food-Restaurant, riesigem Super -markt, Kleidern, Schuhen, Schmuck, Kosmetika, Parfums, Spielsachen, etc. eröffnet. Zu den Vor zü -gen des mehrstöckigen neuen - 18.000 m2 großen - Einkaufspalastes in Gaza gehören seine Lagedirekt neben einer Moschee, eine moderne Klimaanlage, Heimlieferdienst, Parkplätze, Si cher -heitsleute und Überwachungskameras sowie eine Kundeninformation:

© REUTERS/Mohammed Salem

http://www.gazamall.ps/

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16 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Im Juni 2007 hat die vom Iran unterstützteHamas die von Palästinenser prä si dentMahmoud Abbas geführte Fatah in ei nemblutigen Machtkampf aus dem Gaza -strei fen verdrängt und die Macht an sichge ris sen. Seither hat sich die Le bens qua li tät der Pa -läs ti nen ser im Gazastreifen dra ma tischver schlechtert. Die Hamas – die von derEu ro päischen Union, den Ver ei nig tenStaa ten, Israel, Kanada und Aus tra li e nals terroristische Orga ni sa tion eingestuftwird – beraubt das paläs tinensische Volkim Gazastreifen seiner grundlegendenMenschenrechte. Gleichzeitig hält die Hamas den entführ -ten israelischen Soldaten, Gilad Shalit,seit vier Jahren im Gazastreifen gefangenund lehnt einen Besuch durch das Inter -nationale Komitee des Roten Kreuzes, wiees die Genfer Konvention vorsieht, ab.

Fünf Gründe, warum die Menschen imGa zastreifen unter der Herrschaft derHamas leiden:

➊ Raketen-Beschusses aus dem Gaza -streifen und die Reaktion Israels.

Der jahrelange Raketenbeschuss Isra -els aus dem Gazastreifen führte zumJahreswechsel 2008-2009 zur israeli-schen Operation „Gegossenes Blei“, inderen Verlauf mehr als 1.300 Palä- tinenser getötet wurden. Über 2.600Gebäude sowie Straßen und die In fra -struktur wurden zerstört oder schwerbeschädigt. Während die israelischeAr mee versuchte, die Zivilbevölke-rung im Gazastreifen so weit wiemöglich zu schonen, missbrauchte dieHamas palästinensische Zivilisten alsmenschliche Schutzschilde und hobdamit bewusst die Zahl der Op fer an.Videoaufnahmen und Augen zeu gen -berichte demonstrieren, wie die Ha -mas Waffen in Moscheen de po nierteund Krankenhäuser als Kom man do -stützpunkte benutzte. Im Ge gen satzdazu warf die israelische Ar mee ara-

bische Flugblätter ab und schickteSMS an Zivilisten im Gaza strei fen mitder Aufforderung, die ge fährdetenKampfzonen zu räumen. Die israeli-sche Operation hat die Zahl der An-griffe auf Israel durch den Be schussmit Raketen und Granaten aus demGazastreifen um 90% re duziert.

Die anhaltenden Versuche der Ha mas,Waffen in den Gazastreifen zu schmug-geln sowie die Weigerung, Gilad Sha-lit freizulassen, haben Israel dazuveranlasst, eine Seeblockade gegenden Gazastreifen zu verhängen, wäh-rend gleichzeitig humanitäre Hilfs -güter auf dem Landweg in das Gebietweitergeleitet werden. Dennoch kün-digte Israels Ministerpräsident Ben ja -min Netanjahu am 20. Juni 2010 an,dass er die Einschränkungen bezüg-lich des Gazastreifens weiter lockern,und dass die Einfuhr für alle zivilenGüter zugelassen werde, obwohl Ein -

Fünf Gründe für das Leiden der Palästinenser im Gazastreifen unter der Hamasherrschaft

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schränkungen im Hinblick auf Gütermit doppeltem Verwendungszweck,die auch für militärische Ziele einge-setzt werden könnten, weiterhin be -stehen bleiben.

➋ Gewaltsame Übernahme des Gaza -streifens und Verfolgung politi scherGegner durch die Hamas.

Im Verlauf des blutigen Sturzes derFa tah wurden mehr als 150 Pal ästi -nen ser im Gazastreifen getötet undmindestens 700 verletzt. Die Hamasschoss ihren Gegnern in die Knie oderwarf sie vom Dach; Krankenhäuserwurden überfallen. In den Monatennach dem Sieg der Hamas setzten ihreKämpfer die Gewalt gegen die Fatahfort. Während und nach der „Opera-tion Gegossenes Blei“ steigerte dieHamas die Gewaltherrschaft und fol-terte oder exekutierte Mitglieder derFatah, die sie der Kollaboration mit Is-rael beschuldigte. Die Hamas wies einen Plan von Pa läs -tinenserpräsident Abbas, wie die Ge-walt zwischen den beiden Grup penbeendet werden könne, zurück. DieRivalität zwischen der Hamas und derFatah führte zu einer Unter bre chungder Versorgungslage des Gaza strei -fens mit Elektrizität, da keine der bei-den Gruppen bereit war, die Strom- rechnung zu bezahlen. „Gäbe es die is ra -elische Präsenz zwischen der West Bankund dem Gazastreifen nicht, würden Fa -tah und Hamas aller Wahrschein lich keitnach Selbstmordattentäter aufeinander los -lassen und sich gegenseitig mit Raketenbeschießen,” sagte Khaled Abu Toa-meh,Korrespondent der Jeru salem Post.

➌ Indoktrinierung von Kindern in Hamas-Sommerlagern.

Jeden Sommer organisiert die HamasKinder-Ferienlager, in denen Hass ge -gen Israel und gegen Juden gelehrtwird. 2009 betrieb die Hamas 700 Som -merlager für 120.000 palästinensischeKinder. In paramilitärischen Ausbil -dungs lagern werden die Kinder imUm gang mit Waffen unterrichtet. Siemarschieren im Gleichschritt, singenanti-zionistische Lieder und Lieder, diedazu aufrufen, Märtyrer zu werden.Die meisten Unfälle und Todesfälleun ter jungen Palästinensern sind aufdie aktive Teilnahme an Gewalttatengegen Israel zurückzuführen.Die Hamas und andere radikale Grup -pen haben das Flüchtlings hilfs werk

der Vereinten Nationen UNRWA derKorruption junger Palästinenser be -schuldigt, da sie weltlich orientierteSommerlager durchführt, in denenSport und Unterricht in Menschen rech -ten geboten wird. Ein Sprecher der H -mas sagte, die Ferienlager derUN R WA seien ein „barbarischer An griffauf unsere Kinder … deren Ziel darin be -steht, ihre Moral mit Drogen und anderenMit teln zu verderben.” Im Mai und Juni2010 wurden zwei Sommerlager derUN WRA von bewaffneten Grup pendes „Palästinensischen Islamischen Ji -had“ in dem von der Hamas kontrol-lierten Gazastreifen mutwillig be schä -digt. Ein Sprecher der Fatah be schul -digte die Hamas eines der Überfälle.

➍ Radikalislamische Moralvor stel lun genund die Unterdrückung von Frauendurch die Hamas.

Im Einklang mit ihren radikalislami-schen Wurzeln der Bewegung, die sichauf die Moslembruderschaft gründet,hat die Hamas im Gazastreifen nachund nach die Scharia (Religionsgesetzdes Islam) eingeführt. Als Teil ihrer„Kam pagne für die Tugend“ verhaf-tete die Hamas vor einigen Monateneine palästinensische Journalistin, diebeim Aufenthalt an einem öffentli chenStrand gelacht hatte, und die zudemkei ne Kopfbedeckung trug. Die Ha masuntersagt Frauen das Motor rad fah ren.Männer dürfen nicht in Fri sier salonsfür Frauen arbeiten. Die Ha mas organi-sierte „Züchtig keits pa troui llen“, dienach Fahrzeugen su chen, in denen

Männer mit allein stehenden Frau enfahren, die nicht mit ihnen ver wandtsind. Zudem schloss die Hamas eineAnzahl von Internet-Cafés, Kinos undBars, die von jungen Leuten im Ga -zastreifen besucht wurden. Im Ge -gensatz dazu blüht in der StadtRa mal lah in der von der PA regiertenWest Bank das Nachtleben auf.

➎ Überfälle auf Grenzübergänge undauf humanitäre Hilfskonvois.

Obwohl Israel seit Januar 2009 mehrals eine Million Tonnen Lebensmittelund andere Güter in den Gaza strei fenweitergeleitet hat, überfiel die Ha masdie Grenzübergänge zwischen Israelund dem Gazastreifen, darunter denGrenzübergang von Kerem Shalom,über den jede Woche etwa 200 Last wa -gen mit humanitärer Hilfe in den Ga-zastreifen fahren. 2009 suspendierte dieUNRWA jegliche humanitäre Hil fe fürden Gazastreifen, da bewaffnete Poli-zisten der Hamas Decken und L e -bensmittel stahlen, die für das paläs -tinensische Volk bestimmt waren. Is ra -el bot an, die humanitären Güter einer„Hilfs-Flottille“, die sich auf dem Wegzum Gazastreifen befunden hatte, unddie von Israel am 31. Mai 2010 ab - gefangen wurde, auf dem Landwegüber Israel in den Gazastreifen zu lie-fern, doch die Hamas lehnte die Lie fe - rung ab und verzögerte sie damit umeinen vollen Monat. Die Hilfs gü terumfassten 20 Lastwagen la dun en mitmedizinischer Ausrüstung, Be klei -dung, Decken und Spielzeug. TIP

Solidaritätsmarsch für Gilad ShalitNach einem mehrtägigen Marsch durch Is -rael sind die Eltern des verschleppten Sol da -ten Gilad Shalit sowie mehrere tausendSympathisanten am 8. Juli in Jeru sa lemeingetroffen. Die nach Angaben der Or ga - nisatoren rund 15.000 Teil neh mer der

Kundgebung haben sich am Abend vor dem Amtssitz von Re gie rungs chef Ben ja - min Netanyahu versammeln, um dort be schleunigte Verhand lun gen der Regie rungmit der palästinensischen Seite über eine Freilassung des Sol da ten zu fordern.

Die Demonstranten trugen gelbe Bänder und weiße T-Shirts mit der Auf schrift"Gi lad ist noch am Leben". Der Soldat war am 25. Juni 2006 von radikalen Pa läs t i - nensern in den Gazastreifen verschleppt worden; seither wird ihm jeglicher Kon -takt zur Außenwelt verwehrt. Der Protestmarsch hatte am 27. Juni am Wohn ort derFamilie in Mitspe Hila im Norden Israels begonnen. Noam Shalit, der Vater desSoldaten, erklärte, er werde "nur mit Gilad zurückkehren". Die im Ga za streifenherr schende radikalislamische Palästinenserorganisation Ha mas und Israel weisensich gegenseitig die Verantwortung für das Scheitern der bisheri gen Ver hand lun genzu. Netanyahu hatte in der vergangenen Woche gesagt, Israel zahle "nicht jeden Preis"für die Freilassung Shalits. Unter Bedingungen ist die israelische Regierung zurFreilassung von tausend palästinensischen Gefangenen bereit.

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18 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Für den Großteil der Welt ist die 69 -jährige Greta Berlin, Sprecherin und

Mit begründerin der Free-Gaza-Be we - gung, eine Heldin. Jüngst erhielt sie in-ternationale Aufmerksamkeit für dasOrchestrieren der Gaza-Flottille, wobeisie Israel in Interviews und Ar tikeln alseinen „terroristischen Staat“ bezeich-nete.�Gemeinsam mit anderen Füh -rungs mitgliedern ihrer Be we gung,größ tenteils pensionierten und wohlha-benden Frauen aus Kali fo rnien, hat Ber-lin mit antiisraelischer Rhetorik um sichgespuckt und gleich zei tig die palästi-nensische Sache propagiert.��

Es ist nicht ohne Ironie, dass dieseselbst ernannten Menschenrechtler,mit Greta Berlin an der Spitze, sichentschieden haben, die Hamas zu un -ter stützen, jene radikale Terrororga ni -sa tion, die die Rechte von Frauen inGaza drastisch einzuschränken suchtund jede Form von Liberalis mus indem Küstenstreifen auslöschen will.��

Seit ihrer Machtübernahme hat die Ha -mas mit strengen religiösen Ge setzenin Übereinstimmung mit dem islami-schen Recht in das öffentliche Lebendes Küstenstreifens eingegriffen. Imletzten Sommer hat der oberste Rich terGazas weiblichen Anwälten be foh len,Kopftücher zu tragen, um sicher zugehen, dass Frauen sich gemäß demislamischen Gesetz kleiden, das vonihnen verlangt, sich in der Öf fent -lichkeit zu verhüllen und locker sit-zende Gewänder zu tragen, die nurihre Hände und Füße zeigen.��

Das in Gaza ansäßige Palestinian Cen - ter for Human Rights veröffentlichteeine Stellungnahme, die den neuenDress code für Anwältinnen als „schwereVerletzung der persönlichen Freiheit undder Rechte der Frau“ bezeichnet. Seit dieHamas an die Macht gekommen ist,patrouillieren Sittenwächter an denStränden von Gaza, um dafür zu sor-

gen, dass sowohl Frauen als auch Män -ner angemessen bedeckt sind, wobeisie Frauen ermahnen und sogar ver-haften, die nicht in Ganz körper-Bade-anzügen ins Wasser gehen.

Eine wachsende Zahl von öffentli chenSchulen setzt Kopftücher und Um hän gerals Uniformen für die Mäd chen fest undschickt Jeansträge rin nen nach Hausezurück.��Von Kon zer ten bis Fri seur sa -lons hat die Hamas den Stem pel ih rerLesart des islamischen Rechts jedem er-denklichen Le bensbe reich auf gedrückt.Im März 2010 hat sie Män nern verbo-ten, in Schön heits- und Fri seursalonsfür Frauen zu arbeiten, die das Zielvon Spreng stoffan schlä gen und an de -ren Attacken waren, seit sie vor dreiJah ren die Herrschaft übernahm. DieHamas warnte davor, dass jeder, dergegen dieses neue Gesetz verstößt,verhaftet und angeklagt werde.�Im April hat die Hamas das erste großeHip-Hop-�Konzert in Gaza abgebrochen.Ein Hamas-Polizist sagte, dass dieTanz weisen „unmoralisch“ seien. DieHamas verbietet Männern und Frau -en, in der Öffentlichkeit miteinanderzu tanzen, und ihre Mitglieder haben- AK-47s tragend - derartige Tanz ver -anstaltungen gestoppt.��Unter dem Hamas-Regime wachsenGruppen der islamischen Salafisten,die mit al-Qaida in Verbindung ge -bracht werden und ideologisch nochextremer sind als die Hamas, in er -schreckendem Tempo. Im Mai stürm -ten maskierte Bewaffnete ein UN-Som merlager für Kinder, nachdemfundamentalistische Muslime dasFlüchtlingshilfswerk UNRWA dafürangeprangert hatten, „Schul mäd chenFitness, Tanzen und Sittenlosigkeit“ bei-zubringen. Diese Salafistengruppenhaben Internet-Cafés angegriffen,christliche Einrichtungen niederge-brannt und ausländische Schulen so -wie Hochzeitsfeste attackiert.��

Wenn das wirklich die Art „freies Ga -za“ ist, die Greta Berlin und ihre li -beralen Mitstreiter aus Kalifornien imKopf haben, muss man sich fragen,was die wahre Agenda der Free-Ga za-Bewegung ist? Der 21jährige JihadRostom erzählte der BBC im März2010: „Die Hamas will sich dem Volk auf-zwingen. Sie wollen, dass die Leute ih nengehorchen, das ist ihr Schutz. Sie ha bendas Ansehen des Islam zerstört, in dem siesagen, wir tun dies wegen der Reli -gion.“��Lama Hourani, die ebenfalls ausGaza stammt und für die Rechte derdort arbeitenden Frauen kämpft, sagteder BBC, die Hamas stel le den Is lam sodar, dass „die Frei heten der Frau immerdem Einver ständ nis eines männlichenVerwandten unterworfen“ seien.��

So muss man die Rationalität und dasZiel hinter Greta Berlins Medien kam -pagnen in Frage stellen. Unterstütztsie wirklich die Frauen und Kinder inGaza, oder werden sie nur benutzt alsEntschuldigung, dem Hass gegen dieExistenz des jüdischen Staates Luft zumachen?��Zu der Behandlung pa läs ti -nensischer Frauen unter dem Ha mas-Regime in Gaza hat Berlin sich niege äußert. Es gibt keine Meinungs frei heit undkeine Gleichberechtigung der Ge -schlech ter unter der radikal-islami-schen Hamas und den extremistischenSalafistengruppen, die Gaza beherr-schen wollen.��Die politischen Freiheiten, die GretaBerlin als amerikanische Frau in denUSA genießt, und die politischen Frei -heiten, die Frauen in Israel genießen –Jüdinnen, Christinnen und Muslimagleichermaßen -, sind für die FrauenGazas und vieler andere muslimischerLänder beinahe unbekannt. Das isteine Tatsache des Lebens in Gaza, dienichts mit Israel zu tun hat und allesmit der Interpretation und Durchset-zung der Sharia durch die Hamas.��

Es ist eine Schande, dass Frauen west -licher und liberaler Denkart nichts zurUnterstützung von muslimischenFrauen in Ländern unternehmen, wodie politischen Freiheiten nur Män nernzugestanden werden, die auf der Seiteder jeweils herrschenden politischenParteien stehen.�

Anav SilvermanYedioth Ahronot

Anav Silverman unterrichtet an der Secondary Schoolof Education der Hebräischen Universität Jeru sa lem.

„Free Gaza“ – aber nicht für Frauen�

©Abed Rahim Khatib / Flash 90

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gen Tagen verzweifelt mit dem Fahrereines Abschleppwagens, der ihrem ro -ten PKW eine aus Israel stammendeKralle an das Vorderrad montiert hat te.Das Paar hatte die Parkuhr nicht mitGroschen gefüllt. In Ramallah er zähltein Palästinenser, doch tatsächlich ei nenStrafzettel über 100 Euro er hal ten zu ha - ben, weil er vergessen hatte, sich anzu-schnallen. Ein Christ beklagte sich, inBethlehem einen Strafzettel er hal ten zuhaben, weil er während des muslimi-schen Fastenmonats in seinem Autoei ne Zigarette geraucht hatte, al so so -zusagen in der Öffentlichkeit. Für diePalästinenser sind das ungewohnteneue Verhältnisse, zumal man vor dreiJahren noch Autos ohne Nummer schil -der und ohne Lampen herumfahrensah. Jetzt herrscht „law and order“.Damit einher geht ein unbeschreibli-cher wirtschaftlicher Aufschwung. Dieneuesten Modelle einer Automar keNa-mens „Mersdes Bens“ warten bei Na-blus auf Käufer.

Die palästinensische Autonomiebehör -de will selber Besuche von Israelis er-neuern, weil das der Touris mus in dus triein den Paläs tinensergebieten einen er-heblichen An stoß geben könnte. Vorkurzem durfte zum ersten Mal seit zehnJahren ein israelischer Reiseführer eineGruppe deutscher Bürgermeister imBus nach Bethlehem bringen und ihnendie Geburtskirche zeigen.

Die israelischen Militärs behaupten,dass die palästinensischen und israeli-schen Sicherheitskräfte so gut miteinan-der auskommen, weil sie heute „auf

Augenhöhe“ miteinander reden, unddie Palästinenser nicht mehr das Ge fühlhaben, nur drangsalierte Befehls -empfänger zu sein. Entscheidend seidie Angst vor einem gemeinsamenFeind: der Hamas. Die Furcht vor denIslamisten ist bei der Autonomie be hör -de noch größer als bei den Israelis. Sol -daten, die mit Journalisten eigentlichnicht reden dürfen, erzählten unter derHand, dass die Israelis vom palästinen-sischen Geheimdienst Hinweise aufWohnungen von Hamasleuten erhal-ten, in denen möglicherweise Waffenversteckt seien. Nachts verschwindendie palästinensischen Polizisten undüberlassen israelischen Kommandos,die Häuser zu durchsuchen. Als vor ei-nigen Wochen rechtsradikale Israelisnach Jericho eindrangen, wurde sogarim Fernsehen gezeigt, wie israelischeMi litärjeeps in die palästinensischeStadt eindrangen, um die israelischenDemonstranten zu vertreiben. Die pa -läs tinensischen Sicherheitskräfte hieltengebührende Distanz, um ihre israeli-schen „Kollegen“ nicht zu stören.

Israel öffnet Palästinensergebiete für JudenText & Bild von Ulrich W. Sahm

Zehn Jahre lang waren BethlehemundRamallah, Nablusund Hebron für jü-

dische Israelis eine Tabuzone. Ende2000, nach Ausbruch der sogenanntenEl Ak sa Intifada, nachdem mehrere jü -dische Israelis in den palästinensischenAutonomiegebieten entführt oder er -mor det worden waren, erließ der ver-antwortliche Militärgouverneur einstriktes Verbot für Israelis, die Palästi -nen sergebiete zu betreten. Jetzt erwägtGeneral Avi Misrachi, Befehlshaber desGebietes „Mitte“, die palästinensi-schen Gebiete wieder für Juden freizu-geben. Vor drei Jahren wurdeisraelischen Arabern die Einreise einigeau to nome Städte erlaubt.

Nachdem Israel die meisten Straßen -sperren im Westjordanland wegge-räumt hat, warnen knallrote Tafelnoder handgemalte hebräische Auf -schriften auf Betonblöcken Israelis voreiner Fahrt in die Palästinensergebiete.Um das israelische (!) Verbot durchzu-setzen, haben palästinensische Polizis -ten in Jericho und Bethlehem eigeneStraßensperren errichtet und über prü -fenAutos mit gelben israelischen Kenn -zeichen. Manchmal begnügen sie sichmit der Auskunft, dass der Fahrer eindeutscher Korrespondent sei, doch inmanchen Fällen gehen sie auf Num mersicher und wollen den Pass sehen, ehesie mit einem „Welcome to Pales tine“eine gute Weiterfahrt wünschen.

Die israelisch-palästinensische Koope -ration im Westjordanland sei heute bes - ser „als jemals zuvor seit Unter zeich nungder Osloer Verträge“ (1993), wird ein Mi-litär in der Zeitung Haaretz zi tiert. Zumersten Mal seit zehn Jahren besuchtenMitte Juli israelische Offi zie re ein Trai-ningszentrum der palästinensischenPolizei in Jericho. Offiziere in den un-terschiedlichsten Uniformen saßenSeite an Seite auf der Tribüne.

Nicht nur die Zusammenarbeit zwi-schen Israelis und Palästinensern hatsich sichtbar verbessert. Manche paläs-tinensische Städte wie Jenin oder Nab -lus konnten vor drei Jahren nur un terLe bensgefahr besucht werden, weil un -berechenbare bewaffnete Banden dieStraßen und Basare verunsicherten. Di -plomaten und Journalisten konnten nurmit Polizeischutz und in gepanzertenWagen Besuche in diesen Städtenwagen. Inzwischen hat sich die Lagevöl lig beruhigt. Mitten in Nablus sindinzwischen Parkuhren aufgestellt wor-den. Ein Ehepaar diskutierte vor eini-

Mosche Gabay, der erste israelische Tour guide in Bethlehem im Gespräch mit

einem palästinensischen Polizisten

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20 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Der 12. Juli 2010 war der 4. Jah res tag desBeginns des israelischen Vertei di gungs -krieges gegen die His bol lah, der auch Zwei-ter Liba nonkrieg ge nannt wird. Es wirdangenommen, dass die Hisbollah, eineterroristische Gruppe, die politisch, fi-nanziell und mili tä risch vom Iran unter-stützt wird, ihr Arse nal von Raketen undGra na ten seit dem Beginn des damaligenKrieges verdreifacht hat. Es ist dem Versagen der Interims trup peder Vereinten Nationen im Liba non (UN I -FIL) zuzuschreiben, dass die Hisbollahnach dem Waffenstillstand vom 14. August2006 wiederaufrüsten konnte.

Wieder Waffen im Zentrum von DörfernAm 8. Juli 2010 veröffentlichte die is ra - elische Armee Luftaufnahmen desDor fes Al-Khiam im Süden des Liba -non, das ungefähr vier Kilometer vonder Grenze zu Israel entfernt liegt. DieBilder veranschaulichen die Aufrüs -tung der Hisbollah in mehr als 100 li ba - nesischen Dörfern, die von Zivilistenbewohnt werden. Darüber hinauswurden Informationen veröffentlicht,denen zufolge die Hisbollah eine rund20.000 Mann starke Miliz und bis zu200 Kämpfer in jedem schiitischen Dorfim südlichen Libanon stationiert habe. Die Sprecherin der israelischen Ar mee(IDF), Oberstleutnant Avital Leibovich,sagte am 8. Juli 2010, die Hisbollah ha - be „Lagerhäuser mit Raketen neben Mo -scheen, Schulen, medizinischen Ein rich- tungen sowie im Zentrum von Dör ferneingerichtet, und diese sehen aus wie alleanderen Gebäude.“ Sie fügte hinzu: „Siehaben den Begriff des menschlichenSchutzschildes auf ein besonders extre mesNiveau angehoben.“

Hintergrund: Libanonkrieg 2006Israels Verteidigungskrieg gegen dievom Iran unterstützte Hisbollah be -gann am 12. Juli 2006, als eine kleineGruppe von Terroristen die internati -onal anerkannte Grenze vom Liba nonaus nach Israel überquerte, zwei Jeepsder IDF unter Beschuss nahm und inder Nähe Sprengsätze zündete. Beidem Überfall tötete die Hisbollah achtisraelische Soldaten, während sie zurgleichen Zeit Tausende von Rake tenund Granaten auf Ortschaften im Nor -den Israels abfeuerte.Zwei israelische Reserve-Soldaten,Ehud Goldwasser und Eldad Regev – diesich auf einer routinemäßigen Patrou il -le entlang der israelischen Seite derGrenze befanden – wurden von derHis bollah bei dem Angriff entführt. Ih -

re sterblichen Überreste wurden am16. Juli 2008 im Austausch für die Frei -lassung des überführten Mörders Sa -mir Kuntar, vier weitere libanesischeTerroristen und gegen die sterblichenÜberreste Dutzender anderer palästi-nensischer und libanesischer Terroris -ten an Israel zurückgegeben.Im Verlauf des gesamten Krieges, dervier Wochen dauerte, wurden auf is ra -elischer Seite insgesamt 44 Zivi listenund 119 Soldaten getötet.

Versagen der UNIFILDie UNIFIL ist verantwortlich für dieImplementierung von Resolution 1701des Sicherheitsrates der Vereinten Na -tionen, die der Hisbollah ausdrücklichuntersagt, seit Inkrafttreten des Waf-fenstillstandes wieder aufzurüs ten.UNI FIL hat versagt, die Reso lu ti on1701 umzusetzen. UN-Gene ral se kre tärBan Ki-moon erklärte, dass die beste-henden Waffenvorräte der His bollaheine Verletzung der Reso lu tionen desSicherheitsrates darstellen.Nachdem libanesische Dorfbewohnereinen Soldaten der UNIFIL in einemvon der Hisbollah kontrollierten Ge -biet angegriffen und ihn entwaffnethatten, haben auch die Spannungenzwi schen den Friedenstruppen undden Dorfbewohnern im Süden des Li -ba non zugenommen.

Der Sonderbeauftragte der VereintenNationen im Libanon, Michael Wil li ams,sagte am 2. Juli 2010: „Die Bewegungs -freiheit der UNIFIL wurde verletzt, unddie Länder, die Soldaten an die Truppen derVereinten Nationen entsandt haben, sindzutiefst besorgt.” Frankreich berief fürden 8. Juli 2010 eine Notstandsitzungdes Weltsicherheitsrates ein, um sichmit der jüngsten Gewalt zu befassen.

Rolle SyriensIm April 2010 wurde Syrien beschul-digt, in Verletzung von Resolution 1701des UNSC Lastwagen mit Ladungenvon Langstreckenraketen des TypsScud an die Hisbollah geliefert zu ha -ben. Die Terrorgruppe befindet sichnun im Besitz von Raketen und Ge -schossen, die eine Entfernung vomsüd lichen Libanon bis hin zur StadtBeersheva im Süden Israels zurückle-gen können.Ebenfalls im April 2010 sagte US-Außen ministerin Hillary Clinton inRe aktion auf die Waffenlieferung ausSyrien an die Hisbollah: „Alle Staatenmüssen mit der Lieferung von Waffen anterroristische Organisationen wie die His - bollah und die Hamas aufhören. JedeRakete, die in den Süden des Libanon oderin den Gazastreifen geschmuggelt wird,stellt einen Rückschlag für den Friedendar.“ TIP

© Brian Hendler/JTA

Israelische Klage gegen Al-Jazeera wegen Berichten im Libanon-Krieg Eine Gruppe von Israelis hat den arabischen Fernsehsender "Al-Jazeera" wegen seinerBerichterstattung während des Libanon-Krieges 2006 verklagt. Die 91 Kläger wa ren beiKämpfen verwundet worden und werfen dem in Katar ansässigen Nach richten sen -der vor, dieser habe mit seinen Berichten der libanesischen Guerilla geholfen.

Die Israelis fordern Schadensersatz in Höhe von 1,2 Mrd. Dollar (knapp 955 Mio.Euro). Konkret wird Al-Jazeera vorgeworfen, absichtlich über die Schauplätze von Ra -ketenangriffen in Israel berichtet zu haben. Dies habe es der Hisbollah ermöglicht,ihre Raketen treffsicherer auf israelische Ziele abzufeuern. Der Sender wollte die Klagenicht kommentieren.

Foto: 120 Papiersoldaten - mit einer Plakette über ihren Todesort im Libanon oder Nord-Israel - als Protest gegenden Libanonkrieg

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POLITIK • ISRAEL

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 21

Eric Hoffer (1902-1983) war einer der einflussreichsten nichtjüdischen amerikanischenPhilosophen und Freidenker des 20. Jahrhunderts. Auch heute werden sei ne Büchernoch oft gelesen und zi tiert. 1983 bekam Hoffer eine hohe staatliche Aus zeich nung, die„Presidential Medal of Freedom“, für seine Gedanken zu den Themen Massen be -wegungen und Fana tismus.Der Verlag „Hopewell Publications“ zeichnet jedes Jahr, im Gedenken an Eric Hoffer,die besten unabhängigen und provokaten Texte in verschiedenen Ka te gorien aus.Nachstehend lesen Sie eine von Hoffers Kolumnen aus dem Jahr 1968 – vor 42 Jah -ren! Doch manche Dinge ändern sich eben nie...

Die Juden sind ein sonderbares Volk: Dinge, die anderen Nationen sehr wohlerlaubt sind, sind für die Juden ver boten. Andere Nationen werfen Tau sende, jasogar Millionen von Men schen aus ihren Ländern, und doch gibt es kein Flücht-lingsproblem. Russ land hat es getan, Polen und die Tsche choslowakei haben esgetan. Die Tür kei zwang eine Million Griechen zur Flucht, Algerien eine MillionFran zo sen. Aus Indonesien wurden Gott-weiß-wieviele Chinesen vertrieben –und niemand verliert ein Wort über die se Flüchtlinge. Doch im Falle Is ra els,sind die vertriebenen Araber zu ewigen Flüchtlingen geworden.Und jeder besteht darauf, dass Israel jeden einzelnen von ihnen wieder auf -nehmen muss. Arnold Toynbee nennt die Vertreibung der Araber gar eine Gräu-eltat, die noch schlimmer ist, als alles, was die Nazis verbrochen ha ben. Andere,auf dem Schlachtfeld siegreiche Nationen diktieren die Bedingun gen des Frie-dens. Aber wenn Israel gewinnt, muss es sich den Frieden vor Gericht erkämp-fen.Offenbar erwartet jeder von den Ju den, dass sie die einzig wahren Chris ten die-ser Welt sind. Wenn andere Nationen besiegt werden, überleben sie und erholensich auch irgendwann wieder. Aber sollte Israel jemals be siegt werden – eswürde zerstört.Wenn Nasser im vergangenen Juni (1967) triumphiert hätte, wäre Israel restlosvon der Landkarte gelöscht wor den, und niemand hätte auch nur einen Fingergerührt, um den Juden zu helfen.Kein Bekenntnis irgendeiner Regie rung zu den Juden ist auch nur das Papierwert, auf dem es geschrieben ist, auch nicht dasjenige unserer eigenen Regie-rung. Wenn Menschen in Vietnam sterben oder zwei Farbige in Rhodesien exe-kutiert werden ertönt so fort ein empörter Aufschrei der Welt ge meinschaft. Dochals Hitler die Ju den abgeschlachtet hat, hat keine Men schenseele gegen ihn de-monstriert.Von den Schweden, die beinahe, aufgrund der Geschehnisse in Vietnam, sämt-liche diplomatische Beziehun gen zu den USA abgebrochen hätten, war nichteinmal ein Piep zu hören, als Hitler die Juden hinmetzelte. Statt dessen versorg-ten sie Hitler mit erstklassigem Eisenerz und Kugellager und unterstütztenseine Truppen in Norwegen.Die Welt lässt die Juden mutterseelen allein.Wenn Israel überlebt, dann einzig und allein aus eigener jüdischer Kraft. Auf-grund von jüdischen Ressourcen. Just in diesem Moment ist Israel un ser einzi-ger verlässlicher und bedingungsloser Verbündeter. Und wir kön nen unswesentlich mehr auf Is rael verlassen als Israel sich auf uns.Man stelle sich nur vor, was im vergangenen Sommer (1967) geschehen wäre,wenn die Araber und ihre russischen Unterstützer den Krieg ge won nen hätten;wie überlebensnotwendig das Überleben des Staates Israel für Amerika undden Westen im Allgemeinen ist.Ich hatte eine Vorahnung, die einfach nicht von mir lassen will: So wie es Israelergeht, wird es der gesamten Welt ergehen. Wenn Israel vom Erd boden ver-schwindet wird der Holo-caust letztendlich uns alle einholen.

ERIC HOFFER, Los Angeles Times, 26. 5. 1968

Israels besondere Position "Die glücklichsten Jahremeines Lebens"

Vor drei Jahren übernahm SchimonPeres das Amt des israelischen Staats-präsidenten. Der 86-Jährige traf sichmit Journalisten in Jerusalem undsprach mit ihnen über seine Pläne undIdeen für die Zukunft. Seine große Vi-sion sei ein Friedensabkommen mit denPalästinensern noch vor Ende seinerAmtszeit. „Ich glaube, es geht nicht da rum,dass die Araber den Israelis gegenüberste-hen, sondern, dass Araber und Is raeliseiner sehr anspruchsvollen Realität ge-genüberstehen, auf die jeder eine Antwortgeben muss“, sagte Peres laut der Tages-zeitung ‘Jediot Aharonot’. „Ich sehe mirdas palästinensische Lager an, das bereitsgeteilt ist und in dem ein großer Kampfstattfindet. Wir müssen die se Angelegenheitzu einem Ende bringen. Auch wir ha benalle möglichen Probleme und Fragen, aufeine seltsame Weise teilen wir das gleiche In -teresse - den Konflikt zu beenden. Die Alter -native ist sehr kostspielig für beide Sei ten."Der Präsident betonte außerdem dieWichtigkeit jüdischer Werte und dieEinheit der Juden. Israel müsse für dieJuden in der Diaspora attraktiver wer-den. „Das erste Kapitel der zionistischenGe schichte ist zu Ende. Wir sind nicht län -ger ein Zufluchtsort. Juden leben relativ si-cher in der Welt und um mehr Juden nachIsrael zu bringen, müssen wir attraktivund wettbewerbsfähig sein.“ Die dreiJah re als Oberhaupt des jüdischen Staa -tes bezeichnete er als "die glücklichstenin seinem Leben". Sehnsucht nach der Vergangenheit ha -be er nicht, dafür aber Vorstellungenund Visionen für die Zukunft, erzähl tePeres weiter. „Ich glaube, Israel kann einePerle werden. Ich denke, mir wurde eineun gewöhnliche Möglichkeit gegeben, demStaat zu dienen, ohne all die anderen poli -ti schen Spielregeln. Es ist ein großes Privi -leg und jeder Tag ist voller Erfahrungen fürmich."Am 2. August wird Schimon Peres 87Jahre alt. Noch immer arbeitet er rund18 Stunden am Tag. In den letzten dreiJahren hatte er bislang rund 700 Tref-fen mit Staatsoberhäuptern, Regie-rungschefs, Parlamentari ern andererLänder oder Vertretern von Organisa-tionen wie den UN. Der ausländischenPresse gab er mehr als 600 Interviews.27 Mal reiste er zu offiziellen Besuchenins Ausland und in seinem Amtssitzveranstaltete er rund 260 Empfängeund Zeremonien.

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WIRTSCHAFT • ISRAEL

22 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

M86 Securities ist heute eine globaleSoft warefirma. Eine ihrer wesentlichenSäulen geht auf ein israelisches Start-upzurück: Finjan.

VON REINHARD ENGEL

„Die Internet-Kriminellen sind heute sehrprofessionell organisiert.“ Amit Ashbelkennt dieses Branche sehr genau, seitmehr als sechs Jahren arbeitet er für ei -nen israelischen Software-Spezia lis -ten, der sich auf das Schließen vonSicherheitslücken bei Unternehmenspe zialisiert hat. „Und da gibt es ganzunterschiedliche Gruppen: Die Software-Entwickler sind nicht unbedingt diesel-

ben, die dann die kriminellen Akte setzen.Erstere verkaufen ihre Pakete an sie, unddiese wenden sie dann an.“

Ashbel kann mit einem sehr bildhaf-ten Beispiel aufwarten, das in Deutsch -land hunderte Bankkunden betroffenhat. Über eine ukrainische Bande wur -den die Nutzer von Online-Bank -diensten ausgespäht und mittelskom plexer Software abkassiert. „So -bald jemand seinen Account angewählthat, war schon der Trojaner da und hatsich eingeschaltet,“ erzählt Ashbel. „Zu-erst einmal hat die kriminelle Soft wa reeinen Screenshot gemacht, also den mo -mentanen Kontostand des Kunden miteinem Bild festgehalten. Dieser Sta tus ist

ihm dann auch weiterhin vorgespielt wor-den, und dahinter wurde von seinemKonto Geld abgebucht und ge stoh len. Dasheißt, die Kunden haben ge glaubt, es seiohnehin alles in Ordnung.“ Inner halbweniger Tage verschwanden so einigehunderttausend Euro – wegen derverhältnismäßig kleinen Beträge wur-de das Verbrechen nicht so fort bemerkt.Aber dann entdeckte die deutscheBank die Sicherheits lücke, und auchdie Gauner wurden er wischt.

Für Ashbel sind diese Fälle Alltagsar -beit. Er betreut als Senior Project Ma -na ger große Firmenkunden in Eu ro pa:in Deutschland, Österreich, Eng land,Spanien, Portugal und Frank reich.Dabei kommt ihm auch sein interna-tionaler Background zugute: Als Di-plomatenkind – er ist ein Sohn desfrüheren israelischen Botschafters inWien, Dan Ashbel, - ging er unter an-derem in Österreich, Deutschland undEngland in die Schule und lebte insge-samt elf Jahre außerhalb Israels. Seit erbei der israelischen Software-Fir maFinjan begonnen hat, wurde auchdiese noch weiter internationalisiert:Sie ist seit November des Vor jah resTeil einer internationalen Grup pe, M86Securities, mit Unterneh mens zentralenin Kalifornien und Lon don. Entwi-ckelt wird vor allem in Netanya undin Neuseeland, erzählt die M86-Pres-sechefin in London, Ellynora Nicoll.

Finjan – das Wort bezeichnet auf He -bräisch den kleinen langstieligen Kup -fertopf, in dem starker türkischerKaffee gekocht wird – wurde 1996 ge-gründet, vom Ingenieur Shlomo Tou-boul. Dieser hatte schon elf Jahre zuvoreine erste Software-Firma ins Lebengerufen und sie dann 1994 an Intelverkauft. Auch für Finjan fand er pro-minente Geldgeber: Am Auf bau desUnternehmens beteiligten sich nichtnur israelische Start-up-Ge sell schaftenund Venture Capital Fonds, sondernsogar etablierte internationale Bran-chenriesen: Cisco und Microsoft. Insge -samt wurde in die Software-Schmiedemit ihren 150 Entwicklern und Marke-ting-Mitarbeitern 67 Mio. Dollar in-vestiert.

Im Vorjahr wurde das Unternehmenan den US-Konkurrenten M86 Securi -ties verkauft, seine Eigentümer haltenjetzt an der neuen, größeren Firma einViertel der Anteile. Die Branche ist ins-

WIR

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Softwaregegen Internet-Diebe

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Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 23

WIRTSCHAFT • ISRAEL

gesamt schnelllebig: M86 war seiner-seits erst ein Jahr zuvor aus zwei ein-schlägigen Spezialfirmen entstanden:aus der britischen Marshal und deramerikanischen 8e6 Technologies.Jetzt gilt M86 Securities mit seinen 300Mitarbeitern als eine der größeren aus-schließlich auf Sicherheit spezialisier-ten Software-Firmen.

Was sind die Anwendungen? Es gehtvor allem um den Schutz von Unter -neh men und Behörden vor uner-wünschten Eindringlingen in den Fir -menrechner. Das können Industrie spi -one bei produzierenden und forschen-den Unternehmen sein, das kann dieAbsicht beinhalten, Kun den daten vonFinanzdiensleistern oder Pharmakon-zernen abzusaugen, es kann sich umDatenklau in Uni ver sitäten oder Äm-tern handeln. Manch mal erleichterndabei die An gestellten der jeweiligenInstitution diese unerlaubten Zugriffedurch un geschütztes Surfen oder durchnaive Teilnahme an sozialen Netzwer-ken wie Facebook. Manchmal wurdenaber auch innerhalb der Firmen ganzge zielt Maulwürfe platziert, denenman den Da tentransfer nach außenblockieren muss.

Die Programme von M86/Finjan kon -zentrieren sich dabei auf den sicherenZugang zu den firmeneigenen Net-zen. Das ist umso komplizierter, alsviele große Unternehmen schon durchihre flächendeckende, oft internatio-nale Aufstellung zahlreiche möglicheelektronische Zugänge bieten. Es gibtTeleworker und Liefe ranten, die mitdem Firmenrechner auf unterschiedli-chen Ebenen verbunden werden müs-sen, Vertreter und Verkäufer sind un- terwegs und rufen vom Kunden ausDaten ab, eine Vielfalt von Schnittstel-len muss offen sein für Kunden, Stu-denten, Bürger oder Geschäftspartner.Neben E-Mail ist auch das Internet viaWebsites im mer wichtiger – und ge-fährlicher – geworden.

Dagegen schützen sich die Unter -nehmen mit Firewalls. Auf einer pas-siven Ebene verfügen diese etwa über„schwarze Listen“, auf denen gefähr-liche Adressen vermeldet sind, undwenn Mails von dort kommen oder je-mand mit einer derartigen Adressesich einzuloggen versucht, wird ihmdas verboten. „Das Web ändert sich aberständig,“ so Amit Ashbel. „Was ges tern

noch sicher war, kann heute schon eineGefährdung darstellen.“ Dafür hat Fin -jan ein spezielles Softwarepro grammentwickelt, das jeden elektronischenKontakt zeitgleich überprüft und an -hand verschiedener Kriterien gefähr-liche oder unliebsame Eindringlingeblockiert. Diese Technologie wurde inIsrael im Militär und auch in der Ver -waltung eingesetzt und zählt mittler-weile in einer großen Zahl internatio -naler Unternehmen zu deren Standard.

Auf der Referenzliste finden sich et wader Münchner Großflughafen FranzJosef Strauß, der italienische Mo de-und Sportartikelhersteller Lotto, diekonzerneigene Autozu lie ferfirmaToyota Tsusho oder der US-Lastwa-genverleiher U-Haul. Auch Behördenoder Institutionen schützen ihre Datenmit den Software-Paketen von M86:Zu Kunden dieser Kate go-rie zählenunter anderen das Los AngelesCounty Office of Education, die Uni-versity of Nottingham und das Impe-rial College in London oder derdistinguierte Wirtschaftsklub In stituteof Directors, ebenfalls in Lon don. InÖsterreich gibt es einige Kun den inunterschiedlichen Branchen, sie wol-len aber laut Firmensprecherin Nicollnicht genannt werden.

Aber nicht nur für Firmenkundenzahlt sich auch das gelegentliche Vor -beischauen auf der Website von M86aus: Dessen Sicherheitsspezialisten be-obachten die aktuellen Spam- undPhishing-Aktivitäten auf mehrerenKon tinenten. Dabei stoßen sie immerwieder auf Zentren dunkler Ma chen -schaften, etwa ukrainische Banden,die mit Hilfe so genannter Bot-Netze,also dem Einschleichen in eine Viel -zahl öffentlicher oder privater Com -puter, mit deren Hilfe Massenmailsversenden oder versuchen Geld zu

stehlen. Als dieser Artikel in Druckging, ergab der aktuelle Stand am in-ternationalen Phishing-Markt geradeeinen Großangriff auf Kunden derenglisch-chinesischen Großbank HSBC.Eine Woche zuvor hatten sich die Gau -ner noch schwerpunktmäßig auf einNew Yorker Geldinstitut konzentriert.

©R. Engel

Amit Ashbel

Page 24: jüdische welt

24 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

WIRTSCHAFT • ISRAEL

Israel übernimmt EUREKA-VorsitzIsrael hat im Juli den Vorsitz der euro-päischen Forschungs- und Entwick -lungs initiative EUREKA von Deutsch- land übernommen. Israels Ministerfür Industrie, Handel und Arbeit Bin -yamin Ben-Eliezerwar eigens nach Ber -lin gereist, um in einer feierlichen Ze -re monie die „Glocke des Vorsitzen den“von Bundeswissenschafts minis terinAnnette Schavan entgegen zu nehmen.

Das Innovationsbündnis EUREKA be-steht seit 25 Jahren und gilt mit seinen40 Mitgliedsländern als das weltweitgrößte Netzwerk für industrielle For-schung und Entwicklung. Israel istseit dem Jahr 2000 Mitglied, und israe-lische Unternehmen sind an mehr als10% aller EUREKA-Projekte beteiligt.Im vergangenen Jahr wurde Israel fürden Vorsitz ab dem Juli 2010 gewählt.

Ben-Eliezer bedankte sich zu Beginnseiner Rede bei seinen deutschenGastgebern für die „Gastfreundschaftim wunderschönen Berlin“ und be -tonte: „Es ist eine große Ehre für Israel,die Leitung der EUREKA zu übernehmen,insbesondere zum 25jährigen Jubiläum ih - res Bestehens. Es ist auch eine große He -rausforderung. Israel, ein Land vonKrea ti vität und Innovation, ist definitiv inder Lage, diese Aufgabe zu erfüllen.“ DerMi nister nutzte seinen Berlin-Besuchauch zu einem Treffen mit Bundes -wirtschaftsminister Rainer Brüderle.

Großes Potenzial für deutsch-israelische KooperationenAuch Inon Elroy, Botschaftsrat fürWirtschaft und Handel in der israeli-schen Botschaft, hat hohe Erwar tun -gen: „Der EUREKA-Vorsitz kann unsdabei behilflich sein, die deutsche Wirt -schaft auf das enorme Po tenzial für Koope-rationen mit Israel aufmerksam zu ma chen.Glück licher wei se ist Israel Mit glied in vie-len bi- und multilateralen Pro gram menwie EUREKA, dem 7. Euro pä ischen For -schungs rahmen pro gramm und Galileo, dievon deutschen und israelischen Fir men

und For schungs einrichtungen zum bei-derseitigen Vorteil genutzt werden kön -nen.“

EUREKA ermöglicht es Unternehmenaus verschiedenen Ländern, gemein-same Forschungs- und Entwick lungs -projekte (FuE-Projekte) durchzu füh- ren. Die Initiative für ein Projekt gehtvon den Projekt part nern aus. Diesede finieren selbst Inhalt, Umfang, Artund Dauer der Zusammenarbeit, oh nedabei durch thematische Aus schrei -bungstexte re gu liert zu werden. DieFinanzierung erfolgt in eigener Ver -antwortung der Teilnehmer auf natio-naler Ebene - durch staatliche Förder-mittel, öffent liche Kredite oder durcheigene Mittel.

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten,EUREKA zur Durchführung deutsch-israelischer FuE-Projekte zu nutzen:Die deutschen Projekt partner könnendabei anteilig über das ZIM-Pro -gramm des Bundes wirt schaftsminis t-riums oder über die Förder pro gram -me des Bundesminis teriums für Bil -dung und Forschung sowie über dasEurostars-Programm finanziert wer-den. Die israelischen Partner erhaltenihre Förderung über das Office of theChief Scientist des Ministeriums fürIndustrie, Handel und Arbeit.

http://www.eurekanetwork.orghttp://www.eurostars-eureka.eu

Winds of Change – Israe-lisch-palästinensische Koo -peration in der Energiewirtschaft

Unbeeindruckt von den politischenSpannungen in der Region haben eineisraelische und eine palästinensischeFirma aus Ramat Gan bzw. Beth le hembeschlossen, beim Bau und Ver kaufvon Windturbinen im Westjor dan landund anderswo zusammenarbeiten zuwollen.��Die palästinensische Firma,Brothers Engineering Group, wurde vonDr. Mohammed Salem gegründet, derseit 2006 im Windenergiegeschäft istund 15 Mitarbeiter in Bethlehem be -schäftigt. Die Firma liefert Windtur bi -nen aus komplett eigener Her stel- lung.��„Die Wirtschaftskooperation imBereich der Windenergie ist etwas, wovonjeder profitieren wird. Sie wird als Brückedes Friedens für den israelisch-palästinen-

sischen Konflikt dienen“, erklärt Salemzuversichtlich. ��

Yanir Avital, der Gründer der israeli-schen Partnerfirma Israel Wind Power,erinnert sich an die ersten Kontakte:„Wir bekamen im letzten Jahr Emails vonihnen. Sie waren an unserem Produkt in-teressiert. Wir besuchten ihre Firma inBethlehem und fühlten, dass sie ein guterPartner sein könnten. Wir könnten ihreBeziehungen gebrauchen, und mit unse-ren Beziehungen könnten wir ihrer Firmadabei helfen, ein oder zwei Schritte voran-zukommen.“�� AM

Galil Software liefert israelisch-arabischesHightech

Die Bemühung, mehr israelische Ara -ber in die boomende Hightech-Bran-che des Landes zu integrieren, zeigterste Früchte. Das Unternehmen GalilSoftware in Nazareth geht dabei mitleuchtendem Beispiel voran.��Bislanghaben die israelischen Araber, die inder Medizin und im herkömmlichenIngenieurswesen sehr erfolgreich sind,kaum Anteil an der rasanten Ent wick -lung der Hightech-Industrie in Is raelgehabt, die hauptsächlich im Zen trumdes Landes konzentriert ist.��Um die-sem Missstand abzuhelfen, gründeteneinige führende Köpfe der Bran che,unter ihnen Itzik Danziger und ZeeviBergman, beide frühere Vorstände vonComverse, 2007 in Nazareth die Ent -wicklungsfirma Galil Software.

Heute sind mehr als 100 Mitarbeiter indem Unternehmen beschäftigt, undnur zehn davon sind Juden.��Der heu-tige Direktor von Galil Software, InasSaid, bemerkt zu den Einfluss der Po -litik im Nahen Osten auf das Be -triebsklima: „Jeder, der hier arbeitet,ver steht, dass wir hier ein einzigartigesModell haben, und tut alles, um es zu be -wahren – sowohl die Araber als auch dieJuden, die hier gemeinsam arbeiten. Wäh -rend der Operation Gegossenes Blei ha benwir wie gewöhnlich weiter gearbeitet. Vorihrem Beginn dachte ich noch darübernach, wie ich die Fragen der Mitarbeiterbeantworten sollte. Aber es bestand garkein Bedarf. Die Fragen wurden gar nichtgestellt. Wir lassen die Politik aus derFirma draußen.“�� Haaretz

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WISSENSCHAFT • ISRAEL

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 25

Silk’n - ProfessionelleHaarentfernungfür zu Hause

Der Minilaser Silk`n ist ein von israe-lischen Wissenschaftlern und Ärztenentwickeltes, licht-basierendes Gerät,welches für den Benutzer sicher, ein-fach und angenehm in der Anwen -dung ist. Es handelt sich hierbei umein Gerät zum häuslichen Gebrauch,das Haare durch das Aussenden vonLichtimpulsen da erhaft entfernt.

Weltweit ist der Enthaarungsmarkt inder Ästhetischen Medizin einer deram stärksten im Wachstum begriffe-nen: die weltweiten jährlichen Zu -wachs raten liegen bei rund 18 %, abernur 2% der Bevölkerung können sichprofessionelle Laserbehandlungenleisten.

Klinische Studien belegen Wirksamkeit Klinische Studien der George TownUniversity/USA-Medical Center so wievom Institut der Dermato lo gischenLaserchirurgie/Washington belegendie Wirksamkeit und schonende Wir -kung. Das Gerät ist CE zertifiziert underfüllt als einziges Home Care Gerätdie weltweiten medizinischen Stan -dards der FDA (Food & Drug Admi ni -stration) zur Haarent fer nung.

Sanft und schmerzfreiDer Minilaser ist für die Entfernungvon allen dunklen (schwarz, dunkel-braun, braun) sowie hellbraunen Kör -perhaaren unterhalb des Halses, alsofür Oberkörper, Beine, Achsel höh len,Arme und Bikinizone, geeignet. Eineselbständige Anwendung gemäß derempfohlenen Behand lungs zyklen ga -ran tiert eine schonende und im Ver -gleich zur Wachsent fer nung oder pro- fessionellen La serbe handlungen ei nesanfte und schmerzfreie Behand lung.

Die Silkn TechnologieDie Technologie basiert auf der The o -rie der selektiven Photothermolyse,bei der optische Energie verwendetwird, um das Haarwachstum zu un ter -binden. Die Epilation mit der paten-tierten Silkn HPL(TM)-Technologiewurde mit einem einzigartigen akus-tischen Effekt ausgestattet, der dennor malen Prozess der Photoepilationverbessert und so eine Lang zeit ent -haarung sowohl für Männer als auchFrauen ermöglicht. Durch den niedri-gen Grad an optischer Energie ist keinzusätzliches Kühlen der Haut erfor-derlich. Dadurch ist der Minilaserwirk samer bei gleichzeitig höherer Si-cherheit für den Anwender.

Der Silkn Shop Der Minilaser ist exklusiv im Online -shop unter www.silkn.cc erhältlichInformation bei Patrick SATORmailto:[email protected]://www.silkn.cc

Sharon Pardowird Jean-Monnet-Professor

Sharon Pardo, Direktor des Zentrumsfür europäische Politik und Gesell -schaft an der Ben-Gurion-Universitätin Be’er Sheva, hat für 2010-2013 denJean-Monnet-Lehrstuhl zugesprochenbekommen. Seine Universität ist da -mit die zweite israelische Universität,die diese Auszeichnung für sich ge -winnen konnte.��Das Jean-Monnet-Programm wurde 1990 von der EU insLeben gerufen, um ihrem gleichnami-gen Gründervater ein Denkmal zu set-zen. Es soll dazu dienen, weltweit dieErforschung der europäischen Integra-tion auf höchstem Niveau zu fördern.Der jeweilige Lehrstuhlin ha-ber kannohne jegliche Einschrän kung seinerakademischen Freiheit über die EUforschen.��Als neuer Jean-Mon net-Pro -fessor will sich Dr. Pardo die gesamteLaufzeit des Lehrstuhls hindurch inLehre und Forschung auf das Projektder europäischen Integra tion konzen-trieren.�� Ben-Gurion-Universität

Ruth Arnonwird neue Präsidentin der Israeli-schen Akademie der Wissen-schaften

Die weltbekannte Immunologin RuthArnon vom Weizmann-Institut in Re -

hovot ist zur neuen Präsidentin der Is-raelischen Akademie der Wissen schaf -ten ernannt worden. Sie ist da mit dieerste Frau, die an der Spitze der 1961gegründeten Wissen schafts ein richtungdes Staates Israel steht.Arnon löst Menahem Ya’ari ab, der fürzwei dreijährige Amtszeiten als Prä si -dent fungierte. Neuer Vizepräsidentwird der Jerusalemer Historiker Bin -yamin Ze’ev Kedar.����

Arnon wurde vor ei nigen Wochen vonder Jerusalem Post zu einem der „50einflussreichsten Juden auf der Welt“ ge-kürt. Sie hat maßgeblich an der Ent - wicklung des Multiple-Sklero se-Me di -kaments Copaxone der Firma Teva mit-gewirkt und bereits zahlreiche Preiseund Auszeichnungen gewonnen, u. a.den Robert-Koch-Preis und den Israel-Preis.� Jerusalem Post

MS frühzeitig erkennenProf. Anat Achiron von der Tel AviverUni versität (TAU) entdeckte einen Bio-marker für die Multiple Sklerose (MS),der die frühzeitige Diagnose der Im-munerkrankung verbessert. Damit kann jetzt schon bei jungenErwach se nen bis zu neun Jahre vorAusbruch der Symptomatik die Er-krankung fest gestellt werden. DieTAU ist führend in der MS-Forschung.Zwei der wichtigsten Medikamentegegen die se Erkrankung wurden dortentwickelt. Israel21c

Fruchtbarkeit erhöhenWissenschaftler des Meir Medical Cen -ter und der Tel Aviver Universität be -legten, dass das Anti-Aging Hor monDHEA die Fruchtbarkeit der Frau umdas dreifache erhöht. Eine vier bis fünf-monatige DHEA-Behandlung erhöhtdie Chance einer Schwangerschaft.

Krebszellen besser erkennenEine Technologie der Zelldiffe ren zie -rung der israelischen Firma Zetiq kanndie frühzeitige Diagnose von Bla sen-und Gebärmutterkrebs erheblich ver-bessern. Es handelt sich um ei ne Mar-kierung von Tumorzellen zwecks deut -licherem Kontrast zwischen gesundenund kranken Zellen. Zetiq will die Me-thode in den USA etablieren. Israel21c

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JÜDISCHE WELT

26 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Den Nazis knapp entkommen, von denBriten eingekerkert, überlebten dochnoch rund 1500 Juden die Shoah aufMauritius

VON MARTA S. HALPERT

Das Angebot klingt sehr verlockend:„Blendend weiße Strände, türkisfarbenesMeer, das ganze Jahr über warmes Klimaund freundliche Menschen. All dies machtden Urlaub auf Mauritius so unvergleich-lich,“ heißt es verführerisch einladendauf den Reiseseiten im Inter net. Mau-ritius ist heute ein unabhängiger Insel-staat im Südwesten des IndischenOzeans, unweit davon be findet sichein anderes schickes und begehrtesUrlaubsziel, die Seychellen.

Der Leitspruch von Mauritius lautetStella Clavisque Maris Indici zu Deutsch:„Stern und Schlüssel des In di schenOzeans“. Das mag für die Ferieninselheute sehr wohl gelten. Im Dezemberdes Jahres 1940 müssen bei den rund1.865 jüdischen Menschen, die hierherdeportiert und in ein Gefängnis ge -

sperrt wurden, eher das Gefühl vorge-herrscht haben, dass man den „Schlüs-sel“ mutwillig weggeworfen hat: Erstviereinhalb Jahre später, am 25. Au-gust 1945, war ihre erniedrigendeQual zu Ende, und die überlebendenLagerinsassen wurden von den briti-schen Behörden freigelassen.

Von Europa fliegt man heute in etwa14 Stunden auf die Inselgruppe. Diejüdischen Flüchtlinge aus Wien, Bra -tislava, Prag, Berlin und Danzig be-gannen ihre schreckliche Irrfahrt am 4.September und erreichten die Küs tevon Mauritius am 26. Dezem ber 1940.Es war ein Ziel, an das sie damals nichteinmal in ihren kühnsten Träumen ge-dacht hätten. Um den Nazi-Schergenin ihren Ländern zu entfliehen, hattensie eine der letzten Möglichkeiten er-griffen, illegal nach Hai fa, Britisch-Pa-lästina, zu gelangen. Der Großteil derentflohenen Euro päer schaffte das erstim Herbst 1945.

Die „Schönbrunn“: Ein rettendes Schiff

Um zu verstehen, wie es zu dieser

men schenunwürdigen Odyssee über-haupt kommen konnte, muss mansich die politischen Umstände und Hi -n tergründe vergegenwärtigen. „JosefNem schitz aus Krems war einer der mehrals 3.500 jüdischen Flüchtlinge aus Ös -terreich, Deutschland, Danzig und dem‚Protektorat Böhmen und Mähren’, die mitdem von Berthold Storfer* organisiertengroßen Flüchtlingstransport nach Paläs -ti na im Herbst 1940 den Fängen der Na -tionalsozialisten entkamen. Es war der letztederartige Transport aus dem ‚Reichs ge -biet’ vor dem offiziellen Au swande rungs -stopp im Herbst 1941,“ schreibt dieHis torikerin Gabriele Anderl in ihrerArbeit über die Juden aus Krems.**Denn während mit dem deutschenÜberfall auf den Balkan im Frühjahr1941 die letzten möglichen Flucht rou -ten abgeschnitten waren, eröffnetensich für die Nazis beim Kriegsbeginngegen die Sowjetunion im Juni 1941neue Wege für die „Lösung der Ju den -frage“: Die Weichen wurden auf Ver-nichtung umgestellt. Trotz der NS- Ver treibungspolitik war bis 1941 die

Das jüdischeTrauma auf

der Trauminsel

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JÜDISCHE WELT

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 27

Flucht noch teilweise möglich, ob wohldie „freie“ Welt ihre Tore immer her-metischer vor den andrängenden jü -dischen Flüchtlingsscharen zu ver -schließen begann. Auch Großbri tan ni -en war nur bis Kriegsbeginn ver-gleichsweise tolerant bei der Auf nah mevon Flüchtlingen. Aber ungeachtet der1917 übernommenen Verpflich tun genin der Balfour Deklaration (den Judeneine Heimstatt zu bieten) be trieben dieBriten im Mandatsgebiet Palästinaeine äußerst restriktive Politik. Das im Mai 1939 von den Briten ver-öffentlichte „Weißbuch“ bedeuteteeine Absage an die in der Balfour De-klaration enthaltenen Grundsätze, weiles das Ende der jüdischen Ein wan -derung ankündigte. Ab 1940 in kraft,blieb es für die Dauer des Krie ges dieformale Basis der britischen Politik inPalästina. „Für die Zio nisten bedeutetediese Neuregelung einen vernichtendenSchlag, der noch dazu in der Stunde deräußersten Bedrängnis des eu ro päischenJudentums kam. Durch diese Situation ge-wann die illegale Einwande rung, die AlijaBet, die sich über die restriktive Gesetzge-bung der Mandatsmacht hin wegsetzte,verstärkt an Bedeutung“, so Anderl. Bereits Mitte der dreißiger Jahre hattees einige Versuche gegeben, Juden aufSchiffen illegal ins Land zu bringen.Nach dem „Anschluß“ Österreichsnahmen die illegalen Transporte balddas Ausmaß einer Massenflucht be we - gung an. Von 1938 bis Kriegsaus bruchim September 1939 kamen 17.240 ille-gale Einwanderer nach Pa läs tina. Dieersten Transporte waren über verschie-dene Adriahäfen abgefertigt worden,doch bald ergaben sich Schwie rig kei tenbei der Beschaf fung von Transitvi sadurch Italien und Jugoslawien, und sowurde schon ab Herbst 1938 für diemeisten Fahrten die Donau als inter-nationaler Wasserweg benutzt. Meistwurden die Flüchtlinge mit Linien-schiffen der DDSG zur Donaumün-dung transportiert und dort auf Hoch- seedampfer umgeschifft. Obwohl dieBehörden der Transitländer über daswahre Ziel der Reise informiert waren,mussten zur Wahrung der Form fik-tive End vi sa, meist für lateinamerika-nische Län der, zu hohen Preisen vonbe stech li chen Konsularbeamten ge-kauft werden. Nur altersschwacheund ausgediente Schiffe ließen sichum teueres Geld für derartige Unter-nehmungen be schaf fen.

Während die Organisierung der ille-galen Einwanderung aus dem Reichs -gebiet in den Jahren 1938/39 in denHänden zionistischer Aktivisten lag,schob die SS im Laufe des Jahres 1939immer mehr einen Mann in den Vor -dergrund, der wohl Jude, aber keines-wegs Zionist war. KommerzialratBer thold Storfer*, in der Zeit vor dem„An schluß“ ein erfolgreicher Finanz -experte und Geschäftsmann in Wien,wurde Leiter des neu geschaffenen„Aus schusses für jüdische Übersee-transporte“ in der Roten turm straße/Rotgasse im ersten Bezirk. Offiziell mitder Auswanderung in verschiedeneüberseeische Länder betraut, konzen-trierte sich die Arbeit in der Praxishauptsächlich auf illegale Palästina-Transporte. Die Teilnehmerzahl des neuen Wie nerTransportes unter der Leitung von Stor -fer belief sich am 4. September 1940auf 860 Personen inklusive 150 ‚Mit-telloser’. Unter den Letztge nann tenwaren auch bereits KZ-Häftlinge, dievon der Gestapo oder der Zen tralstelledem Transport aufgezwungen wur-den. Diese befanden sich in schlech-tem gesundheitlichem Zu stand. DerAusflugsdampfer „Schön brunn“ derDonaudampfschifffahrts ge sellschaftlegte an der Wiener Reichs brücke mitjüdischen Emi gran ten ab. In den fol-genden Tagen ka men in Pressburg zweiweitere Donau dampfer die „Uranus“und „Helios“ mit Flüchtlingen da zu. * Storfer wurde von den zionistischen Aktivisten alslästiger, von der SS aufgezwungener Konkur rentempfunden, der sie in ihrem selbständigen Arbei-ten behinderte und sie in eine Position der Abhän-gigkeit brachte. Es wurde viel über die Gründe fürdie Ernennung Storfers spekuliert: Zweifelloswollte die SS die organisatorische Verantwortungfür die illegalen Palästina-Transporte auf eine Per-son konzentrieren, um diese leichter kontrollierenzu können. Storfers Tätigkeiten wurden von derGestapo schärfstens überwacht. (Siehe Anderl„Juden in Krems“)

** Gabriele Anderl: „Entweder ihr verschwindetüber die Donau, oder in der Donau“.

Die Flucht österreichischer Juden nach Palästina,2005. www.judeninkrems.at

Logbuch einer qualvollen FluchtDie Kapazität pro Schiff betrug maxi-mal 150 Passagiere, doch diese dreiSchif fe fuhren mit 1.580 jüdischenFlüchtlingen, darunter 96 Kleinkin -dern, auf der Donau über Ungarn, Ju -goslawien, Bulgarien und dann in denHafen von Tulcea, in Rumänien. Eineetwa 1.000 km lange Reise. In der ru -

mänischen Hafenstadt stiegen dieMen schen auf die Atlantic um, einmehrmals umgebautes, griechischesFrachtschiff für Kohletransporte. DieAtlantic war zwar mit vielen Liege -stühlen an Bord ausgestattet, aber esfehlten jegliche sanitäre Einrichtun gen.In kürzester Zeit raffte eine Ty phus-Epidemie viele Leute in den Tod.

Erst am 7. Oktober 1940 stachen dreiSchiffe von Tulcea aus in See - die At-lanticmit 1.829 Passagieren, die Pacificmit 986 und die Milosmit 702, zusam-men also 3.517 Personen. Die Reiseder beiden Schiffe Pacific und Milosverlief - verglichen mit den abenteuer-lichen Irrfahrten der Atlan tic, desgrößten der drei Schiffe, rasch undproblemlos. Die Atlantic fuhr gleichbei der Ausfahrt aus Tulcea auf eineSandbank auf und musste proviso-risch wieder flottgemacht werden. ZuJom Kippur erreichte das Schiff denBosporus, vor Instanbul wurde ange-legt, und weil es der Atlantic nicht er -laubt war direkt in den Hafen ein- zu laufen, brachten Instabuler Judenihre Großteils essbaren Geschenke zuei nem kleinen Zubringerboot.

„Wir sind nur bis zur Insel Kreta gekom-men, dort hatten wir keine Kohle mehr,“berichtete Jahre später Uri Spitzer, einPassagier auf der Atlantic. „In Herak li -on warfen dann die Griechen die letzteKoh le ins Meer. Sie befürchteten, die Eng-länder würden von der illegalen Be för -derung erfahren.“ Zur Bewältigung derStrecke wurden dann alle brennbarenGegenstände - Kabinenwände, Mas-ten und Pritschen - demoliert und zuBrennholz gemacht, bis von der At - lantic nur noch ein gespenstisches Ske-lett übrig war. Unweit der zy pri o- tischen Küste musste das Schiff auf of-fener See ankern und gab Notsig na le.Zwei vorbeifahrende britische Zer stö -rer kamen nicht zur Hilfe. Schluss -endlich zog ein britischer Schlepperdie Atlantic nach Limassol, wo denPassagieren zur Bezahlung der Kohledie letzten Wertgegenstände abgenom-men wurden: Eheringe, Uhren undFüll halter.

Erst am 23. November konnte dasSchiff, bereits mit britischem Militäran Bord, aus Zypern abfahren. Dochin der Bucht von Haifa erwartete dieAnkommenden eine unangenehmeÜberraschung. Dort ankerte die Pa tria,ein ehemaliger französischer Luxus -

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dampfer, den die Briten nach demdeut schen Überfall auf Frankreich re -quiriert hatten. An Bord befanden sichbereits die Passagiere der beidenSchiffe Milos und Pacific, denen diebritische Regierung die Landung inPa lästina verwehrt hatte. Gemäß ei nerVerlautbarung vom 20. Novem bersollten die Flüchtlinge der drei Schiffefür die Dauer des Krieges in eine bri-tische Kolonie abgeschoben werden.Während man versuchte, auch die At-lantic-Passagiere auf die Patria um zu -schiffen, kam es zu einem dramatischenZwischenfall: Kaum waren etwa 80Passagiere transferiert, wurde die Pa-tria von einer Explosion erschüttert:Das Schiff sank in wenigen Minutenim Hafen. Unter den Passagieren brachPanik aus, jeder versuchte sich ir gend -wie zu retten: Insgesamt 267 Men schenkamen bei dem Unglück ums Leben.Der Anschlag war von Mit glie dern derHagana verübt worden, nach dem allediplomatischen Bemühun gen zionisti-scher Führer, die Briten umzustim-men, fehlgeschlagen waren.

Die Flüchtlinge von der Atlantic wur-den ins Gefängnis nach Atlit (südlichvon Haifa) gebracht. Dort hörten sievon den Wärtern, dass sie bald aneinen anderen Ort deportiert würden.Da formierte sich Widerstand: Als diebritische Militärpolizei kam, um zu -erst die Männer abzuführen, legtensich diese nackt auf den Fußboden,um die Abschiebung zu verhindern.Die Briten zeigten jedoch kein Er bar -men: Sie hüllten die Flüchtlinge ge genihren Willen in Decken und transpor-tierten sie auf Lastwagen zum Hafen,wo sie an Bord des holländischenSchiffes Johann de Witt ihre Frauen,Kinder und auch gebrechliche Elternerwarteten. Am 9. Dezember läuft dasSchiff Richtung Suezkanal aus, nachei ner zweitätigen Pause im Hafen vonAden trifft es mit den kranken, ausge-hungerten und zutiefst verzweifeltenMenschen am 26. Dezember 1940 imHafen Port Louis ein, auf der InselMauritius, einer britischer Kolonie inSüdafrika.

Die Schülerin von Anna Frank

Die größte Zahl der hierher ver-schleppten Menschen kam aus Öster-reich, nämlich 369 Männer, 238 Frau enund 33 Kinder. Die nächst größteGruppe waren Bürger der Tschecho-

s lo wakei, Polens, sowie aus Deutsch -land und dem Protektorat ‚Danzig’.Der bitteren Enttäuschung, nicht inHaifa bleiben zu können, folgte nochei ne weitere zweiwöchige Schiffs fahrtmit gefährlichen Wirbelstürmen underbärmlichen sanitären und me di -zinischen Zuständen an Bord. „Die Insel war üppig grün und von soherrlichen, blauen Lagunen umgeben – soetwas habe ich vorher noch nie gesehen“,erinnerte sich Peretz Béda Mayer,Jahr gang 1906, noch ziemlich lebendigbei einem Gespräch im Alters heim vonHerzlia im Jahre 1999. Seine Zeich -nungen, entstanden während seinesfast fünfjährigen Aufenthaltes in Ma u -ritius, findet man unter anderem imKa talog Boarding Pass to Paradise vonElena Makerova, der Kuratorin dergleichnamigen Ausstellung im Schiff -fahrts zentrum bei der Reichsbrückezwischen Mai und Juli 2008. Doch biszu diesen Erinnerungen war es nochein weiter Weg, und dieser zeichnetesich wahrlich nicht durch den Flairund die Annehmlichkeiten einer exo-tischen Insel aus.

Das britische Colonial Office interniertedie jüdischen Flüchtlinge in einemehe mals napoleonischen Gefängnis inBeau Bassin wenige Kilometer südlichvon Port Louis. Die Männer wohntenim Hauptgebäude des Gefängnisses –zwar blieben die Zellentüren unver-schlossen, doch sie waren getrennt vonihren Frauen. Diese waren in speziellhergerichteten Holzbaracken un ter ge - bracht. Erst nach einigen Mona tenund infolge heftiger Proteste der In ter -nierten durften sich die Paare – auchVerlobte – im Hof des Gefäng nis seswenige Stunden treffen. Und erst imvierten Jahr des Aufenthalts wurdendie Tore zwischen den beiden Teilendes Lagers geöffnet.Die Gefangenen hatten trotz ihrer be -schränkten Freiheit durch ihre Ar beits -möglichkeit doch Kontakt mit demLeben auf der Insel. Der Wunsch, dieinternierten Menschen zu beschäfti-gen, ließ diese sogar einen Beitrag zurÖkonomie der Insel leisten: In derMän nerabteilung erzeugte man Kof fer,manche Exemplare halten noch bisheute. Die Erzeugnisse der Silber -schmie de und Juweliere wurden aufder Insel verkauft oder nach Süda fri -ka exportiert. Es wurde musiziert, undman druckte graphische Blätter.Nach genau 1.692 Tagen endeteschließlich die Verwahrung auf Mau -ri tius. Überglücklich kehrten im Au-gust 1945 die Vertriebenen nachPa läs tina zurück, wo sie als erste grö-ßere Einwanderergruppe nach demEnde des Zweiten Weltkriegs stür-misch begrüßt wurden.

Im Beau Bassin-Gefängnis

Foto E. Rosen-blatt, 1940Sammlung A. Rosenfeld,Kfar Rupin, Israel

Colonial Office

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„Warum sollte ich nach mehr als fünfzigJahren eine fast vergessene Geschichte er -zählen, von der die meisten jungen Mau -ritianer nie etwas gehört haben? Genauaus diesem Grund!“ So argumentiert Ge -neviève Pitot für ihr Buch „The Mau -ritian Shekel“ (The Story of the JewishDetainees in Mauritius 1940-1945). Ihreeigene Entschuldigung wä re, dass sieerst zehn Jahr alt war, als die Flücht-linge ankamen. Doch die auf Mauri-tius geborene Pitot hatte noch einensehr persönlichen Beweg grund, diedamaligen Ereignisse nie der zu schrei -ben: Die Malerin Anna Frank aus Ber-lin hatte Glück, und sie durfte etwaein Jahr an einer Schule Zeichenunter-richt geben. Zu ihren Schülerinnen ge-hörte Geneviève Pi tot, die viele Jahrespäter im Jüdischen Museum in BerlinZeichnungen ihrer ehemaligen Lehre-rin entdeckte. „Lei der habe ich dann aucherfahren, dass sie bereits in Tel Aviv ge-storben war“, schreibt Pitot 1998. DieBauinge ni eu rin, die in London undFrankfurt am Main tätig war, hat dieGeschichte nicht mehr losgelassen undsie be fragte dazu einstige Inhaftierteund deren Nachkommen und werteteArchive in Israel und London aus. Die Ausstellung bei der Reichsbrückein Wien 2008, wo der schicksalhafte„Ausflug“ begann, hat Pitot nicht mehrgesehen. Sie starb 2002 in Bad Hom-burg. Doch ihre packenden Auf zeich -nungen (in französisch, englisch unddeutsch erhältlich) waren ebenso eineinhaltliche Säule für die Kura to rin,Elena Makarova, die Erziehungs wis -senschaften an der Universität Bern

lehrt, wie die künstlerischen Arbeitenvon Fritz Haendel und Peretz BédaMayer auf der Insel. „Auch ich wusstewenig über diese dramatische Geschichteund war einfach fasziniert und neugierig“,erzählt die Produzentin und Or ga ni -satorin der Ausstellung, Milli Segal.Evelyn aus Wien und Amnon aus TelAviv urlaubten 1999 zum ersten Malauf Mauritius. Der Israeli wusste et -was über die Geschichte der jüdischenFlüchtlinge und erkundigte sich beimGeneraldirektor des Sugar Beach Re -sort Hotels, ob es irgendwo noch Spu -ren dieser jüdischen Präsenz gäbe. Deraus Südafrika stammende Mana-ger,Andrew Slome, gab sich prompt als ein-ziger Jude auf der Insel zu er kennen.Er führte das Paar in den Ho telshop,

wo das Buch von Geneviève Pitot zukaufen ist und verwies sie auch aufden jüdischen Teil des St. MartinsFriedhofs. Umweit des Gefängnisses von BeauBassin fanden die beiden die 124 jüdi-schen Gräber: Gestorben an Malaria,Ent kräftung oder an Verzweiflung,wie zum Beispiel der Karikaturist,Zeich ner und Marionettenspieler FritzHaendel: Er erhängt sich am 7. Ja nuar1945, nachdem er seine Holz figur ausder Werkstatt nahm und den anderenzuraunte: „Ich werde mei ne Marionettenaufhängen“. Die Na men auf den Grab-steinen sind auch heute gut zu lesen:Ruth Gross, neun Jahre alt aus Wien,Harry Engler, 38, Moritz Hauser 60,alle from Austria, •

Gustav SpatzierDie Atlantic

Bleistift auf Papier, Sammlung N. Kitron,Israel

© CC

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30 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Abschluss des achtenWaldviertler „Peacecamps“

Das achte zehntägige „Peacecamp“ inder niederösterreichischen OrtschaftReibers im Waldviertel hat im WienerMuseumsquartier feierlich seinen Aus -klang gefunden.

Unter den Gästen war auch der israe-lische Botschafter in Österreich, AvivShir-On. Der Diplomat drückte seineWertschätzung für diese Art von Frie-densarbeit aus und fügte hinzu, dassauch seine Kinder an solchen Friedens-camps teilgenommen hätten, wie Or-ganisatorin Evelyn Böhmer-Laufer mit - teilte.

36 jüdische und arabische Jugendlicheaus Israel sowie Gleichaltrige aus Un-garn und Österreich hatten sich zehnTage lang im Waldviertel mit Konflikt-bewältigung und Friedensarbeit be-fasst. Ne ben politischen Diskussionenwurde dabei unter anderem auch eineTanz- und Gesangsdarbietung einstu-diert. Auch Friedensstatements wur-den in verschiedenen Sprachen vonden Jugendlichen im Alter zwischen14 und 17 Jahren vorgetragen. Zudemfand ein Treffen mit früheren „Peace-camp“-Teilnehmern statt, wie Böh-mer-Laufer berichtete. Heuer brach tendie jugendlichen Teilnehmer indivi-duelle „Family Alben“ mit einer Do-kumentation der jeweiligen per sön- lichen Familiengeschichte mit und set-zen sich mit zeitgeschichtlichen The-men auseinander, wie der Shoah, demPalästina-Konflikt aus jüdischer undarabischer Sicht, dem Fall des Eiser-nen Vorhangs und der Entwicklungder Europäischen Union.

Das Projekt wird von der Wiener Psy-chotherapeutin Böhmer-Laufer unddem „Verein zur Förderung der poli-tischen Mündigkeit“ initiiertet undbetreut. Eines der Hauptanliegen der Peace-camps ist es, Strategien gegen Auslän-derfeindlichkeit und interkulturelleKonflikte zu entwerfen. Gefördert wirddas Projekt vom Unterrichtsministe-rium, dem Land Niederösterreich, derKahane-Stiftung und privaten Spon-soren. http://peacecamp2010.blogger.de

Informationen zum Opferfürsorgegesetz auf www.vorarlberg.at

Informationen zum Opferfürsorgegesetz können auf der Startseite des LandesVorarlberg www.vorarlberg.at unter „Opferfürsorge“ abgerufen werden.

Das Opferfürsorgegesetz 1947 richtet sich an Personen, die in der Zeit von 6.März 1933 bis 9. Mai 1945 in Folge ihres Kampfes um ein freies, demokra-tisches Österreich oder durch Eingriffe des NS-Regimes verfolgt wurdenund dabei bestimmte Schädigungen erlitten haben. Bei Vorliegen der Vo-raussetzungen erhalten die Opfer und ihre Hinterbliebenen finanzielle Ent-schädigungen. Zudem besteht Anspruch auf Renten, Sterbegeld undHeilfürsorge.

Der US-Schriftsteller Frederic Morton be-sucht regelmäßig seine HeimatstadtWien. Im Mai war er u.a. bei „Salon Vien -na“ im Rahmen des Kulturfestivals„SOHO in Ottakring“ zu Gast – und be-suchte den Ort, an dem einst der Tempelstand, den er mit seiner Familie besuchte:den „Hubertempel“ in Hernals. „Die Ge-meinde“ bat Morton zum Gespräch.

VON ALEXIA WEISS

Nein, Frederic Morton wirkt nicht wie85, wenn man ihm gegenübersitzt. Be-schwingt betritt er den Raum, be-schwingt spricht er. Sein Deutsch istheute noch akzentfrei, sein Englischweist ihn ebenfalls akzentfrei als US-Amerikaner aus. 1939 verließ Morton

Wien, doch nach Ende des NS-Regi -mes ist er immer wieder zurückge-kehrt. Zunächst, um Reportagen zuverfassen, später hat er auch in Öster-reich oder der Schweiz mit seiner Fa-milie Urlaub gemacht. „Für michwaren der Sommer immer die Alpen.“Und die kleinen Wanderungen alsKind mit seinen Eltern am Wochen-ende, auf den Kahlenberg oder den Bi-samberg, die vermisst er noch heute.„New York hat so etwas nicht.“

Dennoch: jede Rückkehr nach Öster-reich bringt ihn erneut etwas ins Wan-ken. Die erste sei die schwierigstegewesen, erzählt er. Doch bis heute„kann ich den kleinen zitternden Ju-denbuben in mir nicht auslöschen in

„Wahrscheinlich hätte ich auch ohneHolocaust den Glauben verloren“

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den ersten ein, zwei Tagen“. Dannaber sehe er, „das ist eine andere Stadt,eine andere Generation“. Alle Öster-reicher zu verteufeln gehe ihm gegenden Strich. Wenn man eine ganzeGruppe verdamme, tue man nichts an-deres, als Hitler getan habe.

Auch sonst ist Morton mit Verurtei-lungen vorsichtig. „Ich weiß nicht, wieich gedacht und gefühlt hätte, damals,wenn ich nicht Jude gewesen wäre.“ Der„Anschluss“ als Begriff sei heute ganzklar konnotiert. Doch nach dem ErstenWeltkrieg, da habe es viele gegeben,die gemeint hätten, Österreich müssesich an Deutschland anschließen. Fürviele sei es unvorstellbar gewesen,dass sich Österreich so klein haltenkönnte. Und Deutschland sei für denfortschrittlichen Westen gestanden.Hitler habe das ausgenutzt, auchindem er das Wort „sozial“ im Partei-namen unterbrachte. Sozial, das standfür Fortschritt.

Morton erinnert sich an eine Episodeaus seinen letzten Schultagen in Wien.Er sei als Jugendlicher vor allem einesgewesen: sportlich. Die Nazis warenbereits an der Macht, da gab der Turn-lehrer bekannt, welche beiden Schülerder Klassen ausgewählt seien, um amReichssporttag im Stadion teilzuneh-men. „Mandelbaum und Schneider“habe der Lehrer gesagt. „Für fünf Se-kunden habe ich mich stolz gefühlt.“ Esdauerte nicht lange, bis jemand gesagthabe, der Mandelbaum sei doch Jude.Am Ende war auch das egal. ZweiTage später durfte Morton ohnehinnicht mehr in diese Schule gehen.

Den Namen Morton hat die Familieerst in den USA angenommen. DerVater suchte dringend Arbeit, musstedazu Mitglied in einer Gewerkschaftwerden – einer ganz offiziell antisemi-tischen Gewerkschaft. Man riet ihm zueiner Namensänderung. Aus Mandel-baum wurde Morton. Aus FranzFrank. Sohn Frederic hieß eigentlichFritz. In den USA wurde aus ihm Fred.Und später, als sein erstes Buch er-schien, da riet ihm der Verleger zueinem anderen Vornamen. Frederic.Eine ganz neue Namensidentität.

Ob er daran gedacht habe, wieder denNamen Mandelbaum anzunehmen?Doch, sagt Morton, aber da sei schonein Buch veröffentlicht worden, „undda war es dann zu spät. Aber es tut mirschon ein bisschen leid“.

Ob es ihm auch leid tut, den Glaubenverloren zu haben? Morton erzählt ausseiner Kindheit und Jugend. Die Fami-lie sei nicht sehr religiös gewesen, aufalle Fälle nicht orthodox, doch zu denFeiertagen sei man in den Tempel ge-gangen. In den „Hubertempel“. Dortsei es eher so gewesen wie in einerevan gelischen Kirche, eher kühl,mensch lich gesehen. Ganz anders je-denfalls als in der kleinen orthodoxenBetstube, die es in einem der drei Häu-ser der Familie in der Thelemangassegegeben habe – unterstützt vom Groß-vater Mortons, der hier keine Mieteverlangt und auch eine Armenaus-speisung finanziert habe. Emotionellsei das Leben in der orthodoxen Bet-stube anziehender gewesen.

Schon damals habe er aber zu zweifelnbegonnen. Und nach dem Holocaust,da habe er sich wie so viele andere ge-fragt: „Wie kann Gott das zulassen?“Sein Resümee: „Wahrscheinlich hätte ichauch ohne Holocaust den Glauben verlo-ren.“ Was er sich oft frage: „Wenn ichhier geblieben wäre, wäre ich auch Schrift-steller geworden?“ Die Schoa, das Exil,das seien Dinge gewesen, über die erschreiben habe müssen.

Zwei Großmütter hat Morton durchdie Schoa verloren. Für den Rest derFamilie sei das Exil zu einem großenTrauma geraten, „weil wir solche Lokal-patrioten waren“. Für seine Eltern sei esallerdings noch schwerer gewesen alsfür ihn, weil er jung gewesen sei. Erhabe nicht in den USA, sehr wohl aberin der Sprache „ein neues Zuhause ge-funden“. Veröffentlicht hat Morton dennauch von Anfang an auf Englisch.

Und dennoch: angesprochen auf seineHeimat sagt Morton, „meine Heimatmuss Österreich sein. Wenn ich etwas an-deres sagen würde, wäre das Verleug-nung“. Und wenn andere Migrantensagen, dass sie Österreich hassen, „istder Grund, warum sie das sagen, dass dieLiebe noch da ist, sie das aber nicht zuge-ben können“. Diese Liebe zur Heimatsei auch immer mit Nostalgie verbun-den: in Wien habe er seine Jugend ver-bracht. Im Rückblick neige da jeder zuVerzerrung.

Die Betstube in der Thelemangassewur de von den Nazis zerstört. Heutebefindet sich an dem Platz ein musli-misches Kulturzentrum. Bis vor eini-ger Zeit sei darin eine Moscheege wesen. Auch diese habe er besucht.

„Dort hat man mir einen Koran gegeben.“Wenn Morton heute durch die Ottak-ringer Straße spaziert, fühlt er sich anfrüher erinnert. Seine Familie hatte inder Thelemangasse eine Fabrik für Ab-zeichen und Medaillen. Unter den Ar-beiterinnen seien auch viele Kro a tin nenmit Kopftuch gewesen.

In der Fabrik, da seien dann NS-Ab-zeichen produziert worden. Als dieRepublik das Gebäude in den fünfzi-ger Jahren restituierte, habe man nocheinige davon gefunden. Diese NS-Me-morabilia hat Morton noch heute inNew York. Würde er sie verkaufen, erwürde von einschlägigen Fans wohleiniges dafür bekommen.

Die Wiener City, das ist für Morton,obwohl schon so lange New Yorker,übrigens noch immer „die Stadt“. Hiergeht er gerne in die Kaffeehäuser. Hierschlendert er gerne durch die Parks –den Stadtpark, den Volksgarten. „Undich mag auch den Donaukanal sehr gerne.“

Immer fährt er aber auch nach Her-nals. Eines der drei Häuser in der The-lemangasse gehört der Familie bisheute. Wenn er beim Engelmann vor-beikommt, erinnert er sich, wie es da-mals war, als Kind, hier eiszulaufen.Inder Thelemangasse 6 gibt es heute denKunstraum „Ewigkeitsgasse“. Das istauch der Titel von einem der bekann-testen Bücher Frederic Mortons. Na-türlich besuchte er im Mai auch diesenOrt. Es gibt immer viele Gründe, umWien zu besuchen.

ZUR PERSON

Frederic Morton, geb. 1924 als FritzMandelbaum in Wien. Er wuchs inHernals auf, besuchte hier das Bun-desrealgymnasium (BRG) 17. Die Fami-lie betrieb in der Thelemangasse eineEisenwarenfabrik. Großvater BernhardMandelbaum schmiedete für KaiserFranz Joseph I. Medaillen. 1939 ging die Familie zunächst nachEngland, 1940 in die USA. Aus denMan delbaums wurden die Mortons.Und aus Fritz Mandelbaum der Jour-nalist und Schriftsteller Frederic Mor-ton. Zu seinen bekanntesten Werkezählen „Die Ewigkeitsgasse“, „Geschich-ten aus zwei Welten“ und „Das Zauber-schiff“. 2006 veröffentlichte er dieAu to biographie „Durch die Welt nachHause. Mein Leben zwischen Wien undNew York“.

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32 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Altes Recht, moderne Haltungen: Na chumRakover, Rabbiner, Rechtsgelehrter undehemaliger stellvertretender General-staatsanwalt Israels, schilderte im Maiauf Einladung von Misrachi Österreich inWien, wie aktuell das jüdische Recht ist.„Die Gemeinde“ bat Rakover zum Ge-spräch.

VON ALEXIA WEISS

Moderne Medien, soziale Netzwerke,Telekommunikation: der Mensch vonheute schätzt die vielfältigen Möglich-keiten sich mitzuteilen und alles überandere zu erfahren. Aber wie sieht esdabei mit der Privatsphäre des Einzel-nen aus? Weltweit versuchen die na-tionalen Rechtssysteme dieses Pro blemin den Griff zu bekommen.

Im jüdischen Recht gibt es den Schutzder Privatsphäre nicht erst seit ges-tern. Vor 1.000 Jahren hat RabbenuGerschom ben Jehuda bereits dasBriefgeheimnis eingeführt. Wer dage-gen verstieß, wurde mit einem Bannbelegt. „Man war plötzlich kein Mitgliedder Synagoge mehr, niemand durfte mehrGeschäfte mit einem machen. Das war defacto der rechtliche Tod – also eine sehrschwere Bestrafung“, sagt Rakover.

Vor rund 30 Jahren hat der Gelehrte inIsrael „The Jewish Legal Heritage So-ciety“ gegründet. Zu diesem Zeit-punkt beschloss Israel, sich nicht mehrweiter an das britische Recht anzuleh-nen, sondern den israelischen Geset-zen das jüdische Recht zu Grunde zu

legen. Seitdem gilt auch: ist ein Fallnicht auf Basis der Gesetze zu ent-scheiden, müssen die jüdischen Quel-len herangezogen werden.

Doch das jüdische Recht ist auch weitüber Israel hinaus von Bedeutung, be-tont Rakover. In den USA etwa, indenen er immer wieder Gastprofessu-ren innehatte, stützt sich so manchesUrteil auf jene Teile der Halacha, diesich mit den Beziehungen von Men-schen zu Menschen befassen. Unddies auch in Fällen, in denen keineJuden involviert sind.

Grundsätzlich sind im jüdischenRecht jene Werte festgeschrieben, vondenen das menschliche Zusammenle-ben heute global geprägt ist. Rakovernicht ohne Stolz: „Man könnte auchsagen, das jüdische Volk gab der Welt denRechtsbegriff.“

Tradition ist das eine, Modernität dasandere. Das Jüdische Recht wurdeüber die Jahrtausende immer wiederan die neuen Bedürfnisse angepasst.Das Klonen etwa, vom Christentumabgelehnt, wird im Judentum akzep-tiert. Denn: der Mensch solle sein Bes-tes geben, um die Welt zu verbessern.Auch gegen künstliche Befruchtunghaben die Rabbiner nichts einzuwen-den.

Neue Zeiten bedeuten aber auch mo-derne Kommunikationswege. Wer inder Diaspora lebt, hat oft keinen Zu-gang zu einem Rabbinatsgericht.Heute muss man nicht mehr nach Is-rael fliegen, um dort das Oberrabbinatzu konsultieren. <, so Rakover. Dochauch wenn der Rabbiner in der Hei-mat einmal nicht mehr weiter weiß,kann er in Jerusalem anfragen. DieseMöglichkeit wird auch immer wiedergenutzt.

„The Jewish Legal Heritage Society“bemüht sich, diese Stellung des jüdi-schen Rechts zu erklären und seinenBeitrag zur modernen Gesellschafttransparent zu machen. Konferenzen,Seminare und Workshops sind hierzudie eingesetzten Vehikel. Die Gesell-schaft geht in Israel aber auch anSchulen, um Jugendliche mit dem jü-dischen Recht vertraut zu machen.

Und Rakover baute eine Bibliothekauf, die ständig um weitere Studienerweitert wird.

Rakover will auch durch diese For-schungsarbeit deutlich machen, dassaktuelle Probleme so gut wie immerunter Zuhilfenahme der jüdischenQuellen gelöst werden können. „CivilProcedure in Jewish Law“, „Commerce inJewish Law“, „Copyright in Jewish Law“,„Unjust Enrichmeht in Jewish Law“, „TheJudge in Jewish Sources“, das sind einigeder Forschungsgebiete der „JewishLegal Heritage Society“. Die von der Ge - sell schaft erstellte Bibliographie desjüdischen Rechts umfasst mehr als15.000 Einträge.

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Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 33

Evgeni Pickman lebt seit 15 Jahren in Ös -ter reich. Seit 1998 trainiert der gebürtigeUsbeke das österreichische Fecht na ti o na l -team. Nun sucht er dringend Spon soren.

VON ALEXIA WEISS

Das Fechtfieber hat ihn schon in seinerJugend in Tasch kent gepackt. Als 13-jähriger besucht Evgeni Pickman 1961erstmals ein Training, der Sport faszi-niert ihn. Neben seiner Aus bil dung imHoch- und Tiefbau sowie zum diplo-mierten Krankenpfleger lässt er sichspäter auch zum Fecht trai ner schu len.1978 wird er Trainer der usbekischenNa tio nalmannschaft, ab 1986 arbeiteter auch mit der Na tio nal mann schaftder UdSSR. Die Er fol ge sind be -achtlich: 1980 er ringt Valeri SizovGoldbei der UdSSR-Staatsmeis ter schaft inder Disziplin Flo rett, 1982 gewinnt Sa -bir Rusiev Gold bei einem Weltcup-Tur nier in Venedig (ebenfalls Florett),1986 feiert Alek sandr Ku tel was mit demDegen ebenfalls einen Welt cupsieg.

1990 beschließen Pickman und seineFrau, eine ausgebildete Sängerin, mitden beiden damals noch kleinen Kin -dern nach Israel auszuwandern. Diepo litischen Zustände seien nicht mehrtragbar gewesen, erzählt er heute.„Das war Krieg dort.“ In Israel fährtPick man LKW, arbeitet als Kran ken -pfle ger – und als Trainer der israeli-schen Na tio nal mannschaft. 1994 danndas An ge bot des Fecht clubs Bal mungin Wien: man suchte einen Trai ner. Beieinem in Wien stattfindendenWeltcuptur ni er lernen die Vereins ver - antwortlichen Pick man als Trainer derisraelischen Mann schaft kennen undwollen ihn in Österreich haben. Pick -man sagt zu und übersiedelt mit sei-ner Familie nach Wien.

Ab 1998 trainiert er auch das heimi-sche Nationalteam im Fech ten. Undseit 1998 arbeitet er auch im Maimo ni -des Zen trum (MZ) als Kranken pfle ger.Al leine mit den Ein nah men als Trai nerwä re das Leben nicht zu be werk -stelligen, bedauert er. Und ist derPflege lei tung des MZ dankbar, dassbeim Er stellen des Dienstplans aufseine Trai ner tä tig keit Rücksicht ge -nom men wird.

Beide Berufe seien übrigens „ohne Geistund Herz nicht zu ma chen“, ist Pick man

überzeugt. Zudem ist das eine Aus -gleich für das andere. Im MZ küm-mere er sich um ältere Men schen, imSport arbeite er mit jungen Leu ten.

Die Fechtschüler haben ihm auch sehrgeholfen, Deutsch zu lernen, erinnertsich Pickman. Und ohne die gutenSprach kenntnisse hätte er die Nostri -fi zierung der Kran ken pfleger ausbi l -dung auch nicht erreicht. Schadefindet er es trotzdem, dass die Mittelfür den Fechtsport hierzulande sonied rig sind, dass man von einer Tä -tigkeit als Trainer der National mann -schaft nicht leben kann. Und auch allseine Schützlinge studieren oder ar-beiten. Vom Fechten kann man seinDasein nicht fristen.

„Fußball und Schisport – die bekommenall das Geld, das es für den Sport gibt“,be klagt Pickman. Und wenn man mitden Menschen spreche, die für Förde -run gen zuständig sind, dann heiße esimmer: „Bringt und Ergebnisse unddann gibt es Geld.“ Ergebnisse habenPick man und sein Team in den ver -gan ge nen Jah ren zahlreich gebracht.Allen vor an Jörg Mathe erkämpfte mitdem Degen eine Me daille nach der an-deren. Doch am nied rig dotiertenBud get hat sich nichts geändert. Vondem Geld, das für Tur niere zur Verfü-gung stehe, gehe das meiste für dieBezah lung der Kampf rich ter drauf.Die Sport ler müssten sich sogar dieRei sen teilweise selbst fi nan zie ren.

Leichter wäre alles, würde über denFecht sport medial mehr berichtet, istPickman überzeugt. Doch auch hiergebe es nur Enttäuschungen. ÜberFuß ball werde seitenweise be richtet.„Aber für das Fechten gibt es keinen Platz.“

Doch nur durch entsprechende Be-richterstattung könnten Spon so ren ge-wonnen werden. Und Spon so renbrauche der österreichische Fecht sportdringend. Als vordringlichste nö tigeAn schaffung nennt Pickman einenMi nibus. „Wir brauchen einen Neun-Sit-zer-Bus, um zu Turnieren in Eu ro pa zufahren. Sonst haben wir keine Chance.“

ZUR PERSON

Evgeni Pickman, geb. 1948 inTasch kent/Usbekistan, Hoch- undTief bau-Studium sowie Ausbil-dung zum Fechtsport-Trainer undzum diplomierten Krankenpfleger(später in Österreich nostrifiziert).1978 bis 1990 Trainer der usbe ki -schen National mann schaft, 1986 bis1990 Trainer der National mann -schaft der UdSSR. 1990 Immigra-tion nach Israel, dort bis 1994 Trai nerder israelischen Natio nal mann -schaft. Seit 1994 in Österreich, hier Chef -trai ner im Fechtclub Balmung inWien, seit 1998 auch Trainer desösterreichischen Nationalteams. Erfolge der letzten Jahre: 2006Bron zemedaille beim Grand PrixBern für Jörg Mathe (Degen), 2007Goldme daille beim Weltcup-Tur-nier Belgrad für Jörg Mathe (Degen),2007 Bronze me daille beim Welt-cup-Turnier Ponte de Sor/Portugalfür Chris tiane Engel (Degen) und2009 Goldmedaille beim Weltcup-Turnier Karlsbad für Jörg Mathe(Degen).

Seit 1998 ist Pickman als Kranken -pfle ger im Maimonides Zentrum(MZ) beschäftigt. Er ist verheiratetund Va ter zweier erwachsener Kin -der.

Lebenslange Leidenschaft Fechten

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JÜDISCHE WELT • INLAND

34 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Anlässlich des 50. Jahrestages der Ein-gliederung Österreichs in das deutscheReich wurde auch über den Ho locaustberichtet. Dass es auch Menschen mitHerz gab, die unter Lebensgefahr, jü-dische Flüchtlinge versteckt und ver-pflegt haben, sollen beiliegende In ter -views berichten.

Etwa 30 Kilometer östlich von Grazliegt abseits der Wechselbundesstraßedas idyllische Obst- und WeinbaudorfKalch. Die Bewohner dieses Ortes ha -ben kurz vor Kriegsende unheimlichviel Mut und Menschlichkeit bewie-sen. Sie haben eine beträchtliche An-zahl von Juden, diS einer von SS-Män - nern bewachten Kolonne entflohenwaren, unter Lebensgefahr heimlichversteckt und verpflegt. Es waren un-garische Juden auf dem Todesmarschins KZ Mauthausen.

Nachstehend einige Augenzeugenbe-richte:

Frau Maria Taucher (damaliger NameEberl-Pfeifer): Meines Wissens nachwaren damals Juden bei den HäusernRaminger-Gregl und Winkler versteckt.Ich habe einmal beim Hause GreglStreuführen geholfen und habe dabeijüdische Flüchtlinge gesehen. Als ei -nes Tages SS-Männer ins Dorf kamen,flüchteten die Juden in den Wald undbauten sich Bunker. Hedwig Winkler,

so habe ich gehört, hat den Juden beiNacht heimlich Essen in den Wald ge-bracht. Einer von den Winkler-Judenist dann gestorben und wurde im Waldbegraben. Die Grabstelle habe ich ein-mal gesehen.

Frau Angela Lang (damaliger NameEberl-Schneider): Bei uns kam jedenTag vor dem Morgengrauen ein groß-gewachsener Jude, um Essen bitten,und wir haben ihm auch immer etwasgegeben. Er kam bis ein paar Tage nachdem Kriegsende. Der Mann hat nurge brochen Deutsch gesprochen. AmOstermontag 1945 ging im Dorf dasGe rücht herum, dass das Dorf Kalchwegen der Judenfreundlichkeit vonden Nazi-Schergen angezündet wer-den soll. Das hat sich aber gottseidanknicht bewahrheitet.

Frau Cäzilia Hammer (früherer NameJanisch): Ein Jude kam immer früh-morgens zu uns, bat um Lebensmittelund erhielt sie auch. Er hat sehr schlechtDeutsch gesprochen, aber oft gerufen:„Gott beschütze dieses Dorf!“

Frau Cäzilia Pauli: Ein Jude kam im -mer aus dem Setzwald (westlich desDorfes) zu uns. Er bekam von uns Es -sen und Milch. Einmal erzählte er, dassSS-Schergen den Wald durchstreifthätten und dabei ganz nahe an ihmvorbeigegangen seien. Im Setzwald

wurde von den jüdischen Flüchtlingenauch ein Bunker errichtet und kleineBäumchen darüber gepflanzt. Ein mirbekanntes Mädchen ging mit den SS-Soldaten durch den Wald mit. Sie fassteeinen kleinen Baum über dem Erd-bunker mit den Händen an und zog esheraus. Es entstand ein Loch und dieErde rutschte in den Bunker. Dadurchwar das Versteck entdeckt worden. Derim Bunker sitzende Jude wurde he-rausgeholt und sofort erschossen. Ichhabe den Vorfall nicht gesehen, aberdavon gehört. Ein Jude namensSchwarz überlebte, nahm sich nachKriegsende ein herrenloses, von denDeutschen zurückgelassenes Pferdund kehrte in seine Heimat zurück.

Frau Hedwig Karner (früherer NameWinkler): Eines Tages kamen zwei jü-dische Flüchtlinge zu uns, um nachEssen zu betteln, welches wir ihnenauch gaben. Sie hatten bald Vertrauenzu uns und zeigten uns einen von ih -nen im Schmiedgrabenwald gebautenErdbunker. Ich trug ihnen öfter amAbend Lebensmittel zum Bunker.Wenn sie weniger Gefahr befürchteten,dann kamen sie sogar in unser Hausbzw. in unsere Tenne und fertigtendort Möbel für uns an. Sie waren vomBeruf Tischler. Wir achteten natürlichstreng darauf, dass sonst niemand indie Tenne kam. Ein Jude hieß Philipp

Alois Gauper vor einem der Bauernhäuser in Kalch, wo Juden versteckt worden sind

„Und sie taten es aus Nächstenliebe“

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JÜDISCHE WELT • INLAND

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 35

und der andere Max Schwarz. Philippkonnte gut Deutsch, Max nicht so gut.

Frau Erna Erkinger (früherer NameWinkler):Neben den Schmiedgraben-wald-Juden befanden sich drei Judenim Lammerwald. Einer dieser Judenerzählte einmal, dass ein Kameradschwer erkrankt sei und sie täglich umsein Leben beteten. Ich musste demKranken Tee bringen. Bald darauf starber. Sie schütteten den Bunker mit demtoten Freund zu und errichteten woan -ders ein neues Versteck. Eines Tagessagte ein Jude, sie müssen jetzt weiter-ziehen, die Situation sei für sie in die-ser Gegend schon zu gefährlich. DieJuden haben Deutsch mit fremdländi-schem Akzent gesprochen. Einmal ka -men auch SS-Männer ins Dorf, welchenach den Juden fragten und suchten.

Herr Willi Winkler:Nach meiner Erin-nerung hielten sich zwei Juden imSchmiedgrabenwald und zwei Judenim Lammerwald auf. Den Bunker imSchmiedgrabenwald habe ich einmalgesehen. Er lag an einem steilen Ab-hang und hatte eine Ausdehnung vonetwa 2 x 1,5 m. Der Bunker hatte einDach aus rechts und links aufgestell-ten Buchenscheitern. Über dem Schei-terdach war Erde mit Moos abgedeckt.Wir hatten damals gerätselt, wer voneinem uns gehörenden Holzstoß soviele Scheiter weggenommen hatte.Als ich den Bunker sah, wusste ich es.Die Angaben meiner Schwestern Hed-wig und Erna kann ich nur bestätigen.Der verstorbene Jude wurde angeblichspäter exhumiert und im Friedhof St.Ruprecht begraben.

Frau Anna Thomaser (früherer NameRaminger-Gregl):Weil ein von uns ver -steckter Jude, mit dem Namen Müller,später zu uns zurückgekommen ist,und wir das ganze Geschehen noch-mals mit ihm besprochen haben, kannich mich noch an viele Einzelheiten er-innern. Zuerst einmal zur Flucht derJuden: Im April 1945 wurde eine langeKolonne von Juden in Sechserreihenentlang der Straße von Großpesendorfin Richtung Gleisdorf getrieben. Werzu langsam ging, wurde durch Stiefel-tritte gefügig gemacht. Unter ihnenwar auch der Jude Müller. Allerdingswar die SS-Bewachungsmannschaftzahlenmäßig nicht so stark besetzt, so-dass unterwegs Juden an den Waldrä-dern davon laufen konnten.Interessanterweise flüchtete immereine Sechserreihe und nahm aus der

nächsten Rei he einen Mann mit (An-merkung des Autors: Offenbar hat dasmit dem jüdischen Glauben zu tun, beiwelchem es eine heilige Zahl 7 gibt,welche Glück bringen soll).Die SSlerentdeckten aber erst beim Hirtenfel-derkreuz in Gamling, dass einigeJuden fehlten und vermuteten richtig,dass sich die Flücht linge im RaumKalch befinden mussten. Auf unserem Bauernhof war damalsein polnischer Fremdarbeiter mit demNamen Stanislaus Luleg beschäftigt,der sehr fleißig arbeitete und den wirsehr gerne mochten. Weil damals derVieh bestand von den Nazibehördenlaufend nachkontrolliert wurde undman – abgesehen vom Eigenbedarf –alle schlachtreifen Tiere abliefern muss -te, kam uns schon Jahre vor dem Auf-tauchen der ungarischen Juden die Idee,unter der Streuhütte einen kleinen, ge-heimen Schweinestall einzurichten. Indiesem züchteten wir immer einSchwein zusätzlich für den Eigenbe-darf. Unser Pole Luleg wusste von die-sem Geheimstall. Eines Tages tauchtendie ersten Juden im Schmiedgraben-wald auf – ein paar von ihnen warenauch beim Winkler. Sieben Juden nah-men zuerst in unserer mit Heu gefülltenWagenhütte (neben dem Hause Gut-mann) Zuflucht. In der darauffolgen-den Nacht wurde die Hütte von SS-Männern umstellt und gestürmt. ZumGlück waren aber die Juden in dieserNacht nicht in der Hütte.Irgendwie sind die Juden aus der Wa-genhütte auch mit unserem Luleg inKontakt gekommen, der einen glän-zenden Einfall hatte. Er ließ die Judenbei Nacht (ohne unser Wissen) unter-halb unserer Streuhütte und neben demGeheimstall einen Raum ausgrabenund mit Brettern abdecken. Über diesenGeheimraum schüttete Luleg meter-hoch Streu auf. Insgesamt verstecktensich in diesem Raum vierzehn Juden,tagsüber immer stehend. Luleg bat unsdann, die versteckten Juden mit Essenzu versorgen. Wir kochten für sie oftMilchsuppe mit Heidensterz und stell-ten das Essen in den kleinen Schwei-nestall, von wo sie es sich durch eineÖff nung holten. Die große „Sterzrein“,mit welcher wir für sie kochten, habeich als Andenken noch aufbewahrt.Nach einiger Zeit kamen wieder SS-Sol -daten, begaben sich in die Streuhütteund stachen mit ihren Säbeln in derStreu herum. Luleg hatte aber so vielStreu aufgeschichtet, dass die Säbel

das Bretterdach der darunter befindli-chen Kammer nicht berührten. Die Sol-daten nahmen darauf hin an, dass sichnichts Lebendes unter der Streu befin-den könne und zogen wieder ab. Tat-sächlich befanden sich zu diesemZeit punkt aber alle 14 Juden in diesemVersteck. Ich weiß nicht mehr, war esschon am nächsten Tag, oder etwasspäter. Auf einmal waren die Judenund unser Luleg verschwunden. DieAngst, entdeckt zu werden, hatte sievertrieben. Natürlich hatten auch wirungeheure Angst gehabt.Einige Zeit später – der Krieg war in-zwischen beendet und die Russen beiuns einmarschiert – kamen Luleg undMüller zu uns zurück. Müller erzählte,dass sie sich bis in seinen ungarischenHeimatort durchgeschlagen hätten. Erwar sehr traurig, denn alle seine An-gehörigen waren ermordet worden.Bald darauf verließen sie uns wieder.Luleg versprach, uns einmal zu schrei-ben. Aber er hat sie nie wieder gemeldet.Hoffentlich ist ihm bei der Heimkehrdurch das russische Besatzungsgebietnichts zugestoßen.Nun zu einem anderen Erlebnis: EinesTages gingen ich und die inzwischenverstorbene Frau Janisch am Setzwaldvorbei nach Sauberg zum Probus-Schus ter. Dabei konnten wir aus demWald ein jämmerliches Weinen undSchreien hören. Daraufhin fielen meh-rere Schüsse und das Weinen ver-stummte. Ich nehme an, dass damalsmehrere Juden erschossen wurden. Spä -ter hörte ich, dass ein außerhalb desDorfes wohnendes Mädchen, dessenVater selbst bei der Waffen-SS war, mitden Deutschen im Setzwald auf Juden-suche gegangen ist. Ich möchte dieseschreckliche Zeit nie wieder erleben.

Nachwort des AutorsDas Verfassen dieser Augenzeugenbe-richte hat nur ein Ziel: Der selbstloseEinsatz der Kalcher für verfolgte undin höchster Lebensgefahr befindlicheJuden darf nicht in Vergessenheit ge-raten und verdient größte Bewunde-rung. Da nicht mehr alle Beteiligtendes damaligen Geschehens am Lebensind, erhebt der Bericht keinen An-spruch auf Vollständigkeit. Den befrag-ten Augenzeugen sei für ihre Bereitwil -ligkeit an dieser Stelle herzlich gedankt.

VERFASST VON ALOIS GAUPER

AUS GLEISDORF/STMK. IM AUGUST 1989

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JÜDISCHE WELT

36 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Obama nominiert Lewals OMB-DirektorDer orthodoxe Jacob Lew, stellvertre-tender Minister, wurde von US-Präsi-dent Barack Obama für den Direk to- ren-Posten des „Office of Manage-ment and Budget“ (OMB) nominiert,den er bereits unter Präsident Clintonsehr erfolgreich inne gehabt hatte. Erwürde somit Peter Orszag, ebenfallsJude, nachfolgen. Dieser verlässt seineStelle, um mit seiner Verlobten, derABC-Journalistin Bianna Golodryga,nach New York zu gehen.

Knesset-Komitee segnet Konversions-Reform abDas Knesset-Komitee für Verfassungund Recht hat mit seiner positiven Be-urteilung den Gesetzesweg für einenneuen Zusatz zur israelischen Konver-sions-Reform geebnet. Nun muss esnur noch von der Knesset selbst abge-segnet werden. Liberale Bewegungenreagierten verärgert, da das neue Gesetzdem orthodoxen Rabbinat das Mono-pol beim Übertritt zum Judentum zu-gestehen würde und ausschließlichnach halachischem (orthodoxem) Rechtabgewickelt wird.Der Vorsitzende des Komitees, DavidRotem, argumentierte jedoch, dass esso für israelische Bürger, oftmals rus-sische Immigranten, von denen vielezu Rotems Partei Yisrael Beiteinu gehö-ren, einfacher würde, zu konvertieren.Ein anderer Kritikpunkt bezieht sichauf die Tatsache, dass nichtjüdischenImmigranten, die nicht unter das Rück - kehrrecht fallen und später zum Juden-tum konvertieren nicht automa tischauch die Staatsbürgerschaft zuerkanntwird.

Jerusalem Filmfestival: Missver-ständnis um Dustin HoffmanBerichte, dass US-Schauspieler DustinHoffman seine Teilnahme am zweiwö-chigen Jerusalemer Filmfestival zu-rückgezogen hätte, entsprächen nichtder Wahrheit, so Yigal Molad Hayo vonJerusalem Cinematique.„Dustin Hoffman gehörte zu jenen Gästen,die auf der Wunschliste des JerusalemFilm Center für das diesjährige Filmfesti-

val standen. Doch diese Hoffnungen sindniemals bis zu ernsthaften Gesprächen mitseinem Büro gediehen, es gab zu keinemZeitpunkt eine Zusage, dass ihm eine Teil-nahme möglich sein würde“, stellteHayo klar. Noch eine Woche davorhatte Hayo erklärt, Hoffman und dieSchauspielerin Meg Ryan hätten ihreTeilnahme am Festival, das am 7. Julibeginnen sollte, aufgrund des Kon-flikts um die Gazaflotte abgesagt. Ryanhatte tatsächlich bereits zugesagt, nahmdies allerdings am 31. Mai aufgrunddes Angriffs auf die Gazaflotte zurück.Auch Prinz Albert von Monaco hatte voneiner Teilnahme Abstand genommen,obwohl eine Hommage an seine Mut-ter Grace Kelly gezeigt wurde.

Rabbinergruppierung wertet Frauen aufDie liberale Gruppierung des „Inter-national Rabbinic Fellowship“, dermehr als 150 amerikanische, israelischeund internationale Rabbiner angehö-ren, verabschiedete eine Resolution zuFrauen in Führungspositionen in derGemeinde. Danach sollen orthodoxeFrauen, insofern sie entsprechend aus-gebildet und mit Kompetenzen ausge-stattet sind, in ihrer Gemeinde ohneweitere Schranken als Lehrerinnen,Seel sorgerinnen, Ratgeberinnen in Fra -gen des jüdischen Rechts, spirituellePredigerinnen, für divrei Torah-Servi -ces, zur Abhaltung von Feierlichkeitendes jüdischen Lebenszyklus sowie als„Präsidentinnen und vollwertige Mit-glieder des Synagogenvorstandes undanderer Torah-Institutionen“ einge-setzt werden können.Rabbi Avi Weiss, Mitbegründer derGruppierung, war bereits zu einemfrü heren Zeitpunkt für die Ordinierungweiblicher Rabbiner kritisiert worden.

Neuer Oberrabbiner für TurinDer ehemalige Oberrabbiner Uruguays,Rabbi Eliyahu Birnbaum, wurde zumOberrabbiner des italienischen Turinberufen und hat seit 1. Juli seinen Pos-ten inne. Der aus Uruguay stammendeBirnbaum ist auch Direktor von Sha veiIsrael und folgt Rabbi Alberto Somekhnach. Somekh war als erster italieni-

scher Rabbiner aufgrund gravierenderKonflikte zwischen orthodoxem undsäkularem Teil seiner Gemeinde ausseinem Amt entlassen worden. Birn-baum soll nun die Wogen glätten. Nachseiner Aliyah im Jahr 1972 war er von1992 bis 1997 Oberrabbiner von Uru-guay. Birnbaum ist auch Mitglied desis raelischen Rabbinatsgerichts fürÜber tritte.Zumindest in der ersten Zeit seinesneu em Amts wird Birnbaum seinenWohnsitz in Israel behalten und Turineinmal monatlich besuchen.

Russisch-jüdischer Mathematikerverweigert US$ 1 Mio. PreisgeldDer russisch-jüdische WisschaftlerGrigory „Grisha“ Perelman dürfte mitseiner Berechnung der Poincaré-Ver-mutung eines der sieben großen Rätselder Mathematik gelöst haben. Diesestellt die Hypothese auf, dass jederdreidimensionale Raum ohne Löchereine Sphäre darstellt. Der Bostoner Ge-schäftsmann Landon Clay bot für dieBeantwortung jeder dieser sieben Fra-gen ein Preisgeld von je US$ 1 Mio. –doch Perelman will das Geld nicht, esscheint ihn nicht zu interessieren. Nunsoll das Preisgeld vom Clay Institutfür Mathematik zum „Wohle der Ma-thematik“ verwendet werden.

Spanische Kette stoppt Verkauf vonisraelischem Spiel RummikubDie spanische Spielwarenkette Abacushat sich aufgrund des israelischen An-griffs auf ein Schiff der Gazaflotte dasisraelische Spiel Rummikub aus denRegalen zu nehmen und mit einer chi-nesischen Imitation zu ersetzen. Manmüsse auf die „gesellschaftliche Situa-tion“ Rücksicht nehmen, so eine Spre-cherin von Abacus.Noch im vergangenen Jahr hatte dieRummikub Weltmeisterschaft in Spa-nien stattgefunden.Das in den 1930ern entwickelte Gesell-schaftsspiel ist heute eines der belieb-testen Familienspiele der Welt.

PanoramaKurznachrichten aus der jüdischen WeltQuelle: JTA/inn u.a.; Übersetzung: Karin Fasching-Kuales/Foto:©JTA u.a.

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JÜDISCHE WELT

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 37

Papst für Yom Kippur-Rede kritisiertWeil Papst Benedict XVI am Vorabendvon Yom Kippur vor dem britischenParlament sprechen wird, haben jüdi-sche Gruppierungen in Großbritan-nien ihn scharf kritisiert. Anfragen zurÄnderung des Termins wurden vombritischen Parlamentsbüro zurückge-wiesen. Auch wenn die Rede bereitsvor Beginn des höchsten jüdischenFeiertages endet, stellt sie für jüdischeAbgeordnete ein Problem dar, da die sesomit nicht die Möglichkeit haben,rechtzeitig vor Beginn der 25 Stundendauernden Fastenzeit etwas zu sich zunehmen.Nun setzt sich Baroness Helen Hayman,Speaker des House of Lords, für eineÄnderung des Termins ein.

Israels Oberrabbiner will grausameSchlachtung unterbindenIsraels Oberrabbiner Yona Metzger be-stätigte in einem Statement, dass erFleisch von durch grausame Verfahrengeschlachteten Tieren ab 2011 nichtmehr mit dem Koscherzertifikat aus-statten werde. Hier geht es vor allemum die so genannte „shackle-and-hoist“-Methode, bei der das Tier zuerstan den Hinterbeinen aufgehängt wird,bevor man ihm die Kehle durchschnei-det. In Israel, den USA und der EU istdiese Methode längst verboten, wirdjedoch fast überall in Südamerika an-gewandt. Südamerikanische Schlacht-häuser decken etwa 80% des ko scher enFleisches ab, das nach Israel importiertwird.

Israels UNO-Gesandte tritt zurückDie israelische UNO-Botschafterin Ga-briela Shalev, die ihr Land seit 2008 vorden Vereinten Nationen vertritt, wirdihr Amt zurücklegen, um künftig alsVorstand des Ono College in Israel zuarbeiten. Wer ihren UNO-Posten über-nehmen wird ist bisher noch nicht be-kannt.

Israel-Support auf RekordhochIn den USA ist laut einer Gallup-Um-frage die Unterstützung für Israel aufein Rekordhoch gestiegen: 63% derAme rikaner stehen im Nahostkonfliktauf Israels Seite und nur 15% auf jenerder Palästinenser. Nur 1991 war dieZahl der Unterstützer höher (64%),kurz nachdem das Heilige Land wäh-rend des Golfkrieges mit Scud-Rake-ten beschossen worden war.

Unter den Republikanern und Unab-hängigen nahm die Zahl der Israel-Un -terstützer wesentlich mehr zu, als un terden Demokraten, wo der Prozentsatzin etwa gleich blieb.Auf die Frage, ob ein Frieden im Nah-ostkonflikt erreicht werden kann, ant-worteten 67% mit „zweifelhaft“ und30% denken, dass die Zeit des Frie-dens eines Tages kommen wird, wobeidie Demokraten sich hier wiederumoptimistischer Zeiten, als die Republi-kaner.

„Auschwitz-Tanz-Video“Das Video der australischen Künstle-rin Jane Korman, in dem sie ihren 89jä-higen Vater Adolek Kohn, der Au schwitzüberlebte, und ihre drei Kinder dabeifilmte, wie sie vor den Toren der ehe-maligen Konzentrationslager Ausch-witz, Dachau, Theresienstadt u. a. zurMu sik von Gloria Gaynors „I will sur-vive“ tanzen, spaltet die Meinungen je -ner, die es auf YouTube gesehen ha ben.Inzwischen wurde das Video mehr als500.000 Mal angeklickt und mehr als3.000 Mal kommentiert, oftmals positiv.Aber auch negative Reaktionen gab es,bis hin zu Neonazi-Websites, die dasVideo für sich ausschlachten wollten.Doch Kormans Intention für diesesVideo ist eindeutig: „Dieser Tanz isteine Hommage an die Beständigkeit desmenschlichen Geistes, ein Fest für das Le -ben. Es ist die Bestätigung, dass der Menschüber die dunkelsten Momente triumphie-ren und immer noch nach Schönheit undFrieden streben kann.“Und Kormans Vater bringt es auf denPunkt. Zuerst hätten er und seine Fa-milie für die Verstorbenen gebetet,dann hätten sie getanzt: „Das Tanzenwar auch sehr wichtig, denn wir sind amLeben, wir haben überlebt!“

Kein Angebot für hebräische Kinderbuch-ÜbersetzungLaut offiziellen jordanischen Kreisenhätte Königin Rania von Jordanien keinAngebot erhalten, ihr Kinderbuch „DerSandwich-Tausch“, das sie gemeinsammit Kelly DiPucchio geschrieben hat,ins Hebräische zu übersetzen. Das Buchwurde bisher auf Englisch und Ara-bisch veröffentlicht. Laut der New YorkTimes wirbt das Buch für Dialog undToleranz – die beiden Protagonistin-nen Lily und Salma streiten über denInhalt ihrer Sandwiches und schaffenes schließlich, ihren Konflikt beizulegenund ihre Freundschaft zu retten. Es

richtet sich an Kinder zwischen 4 und8 Jahren und wurde von Tricia Tusa il-lustriert.Laut Ranias Website sollen die Erträgeaus den Verkäufen ihres Buches an eineOrganisation gehen, die zurzeit 500jordanische Schulen renoviert.

Israel feiert Tisha B�AvAm Fastentag Tisha B�Av versammel-ten sich die gläubigen Israelis in derJerusalemer Altstadt um der Zerstö-rung des Tempels zu gedenken. Lauteiner kurz vor dem Feiertag durchge-führten Studie von Ynet und Gesherwollten 22% der 550 Befragten denFasttag einhalten und weitere 52% wür -den zumindest nicht mit Freundenausgehen. Nach israelischem Recht müssen Frei-zeiteinrichtungen zu Tisha B’Av ge-schlossen bleiben; 18% der befragtenIsraelis bezeichneten dies als “religiöseNötigung”.Da der Tempel nach jüdischer Überlie-ferung aufgrund von haltlosem Hasszerstört wurde, wurde in der Umfrageauch danach gefragt, welche Bevölke-rungsgruppen Israel um unbeliebtestensind. 54% nannten hier die Araber,37% die haredische Orthodoxie, 8%die Religiösen und 1% die Bewohnervon Tel Aviv.Für 42 % der Befragten ist der Unter-schied zwischen religiös und säkulardie größte Konfliktquelle in der israe-lischen Gesellschaft, für weitere 41%ist dies hingegen der jüdisch-arabischeKonflikt. Für 9% ist das Siedlerproblemam größten, für 8% der Unterschiedzwischen Arm und Reich.

Jerusalem ist „beste Stadt“ in Afrika und Nahost Die Leser des US-Reisemagazins „Tra-vel and Leisure“ haben Jerusalem zur„besten Stadt“ in Afrika und dem Na -hen Osten gekürt. Mit Tel Aviv aufRang drei ist in diesem Jahr eine wei-tere israelische Stadt unter den zehnBesten in der Region. Platz zwei derListe nahm Kapstadt ein, Rang vierbelegte Marrakesch gefolgt von Kairo,Petra, Dubai, Alexandria, Nairobi undAmman. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkatbegrüßte laut der Tageszeitung „Jeru-salem Post“ die Platzierung seiner Stadt.Er hoffe, dass die Touristen, welche Isra -els Hauptstadt besuchen, zu „Friedens-botschaftern von Jerusalem bis in dieentferntesten Ecken der Welt werden“.

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JÜDISCHE WELT

38 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Zuletzt war Jerusalem im Jahr 2000 zurbesten Stadt der Region gewählt wor -den. Zur besten Stadt der Welt kürtendie Leser in diesem Jahr die thailändi-sche Hauptstadt Bangkok.

Hamas verbietet Zeitungen aus Westjordanland Die radikal-islamische Hamas will denEinfluss der Palästinensischen Auto-nomiebehörde (PA) im Gazastreifen sogering wie möglich halten. Kurz nach-dem Israel die Einfuhr dreier Zeitun-gen aus dem Westjordanland in denGazastreifen genehmigte, verbot dieHamas deren Verkauf. Es handelt sichum die Zeitungen „Al-Quds“, „Al-Ajjam“ und „Al-Hajat al-Dschadida“.Die beiden letzten werden von der PAfinanziert und in Ramallah herausge-geben. Die Zeitung „Al-Kuds“ befin-det sich in Privatbesitz und erscheintin Ostjerusalem. Alle drei gelten alsSprachrohr der Fatah-Partei und derAutonomiebehörde.Im Rahmen der Lockerung der Gaza-Blockade hat Israel nun die Einfuhrder Zeitungen wieder genehmigt. Lautder Tageszeitung „Jerusalem Post“wurden jedoch alle Ausgaben von derHamas-Polizei am Eres-Grenzüber-gang beschlagnahmt.Der palästinensische Journalistenver-band im Westjordanland verurteilte dasvon der Hamas ausgesprochene Ver-bot und forderte dessen Aufhebung.Es sei „unfassbar“, dass eine palästi-nensische Regierung die Verteilung vonZeitungen verbietet, nachdem Israeldie Erlaubnis dafür gegeben habe. DieEinfuhr palästinensischer Zeitungensei eine Form, die Blockade des Gaza-streifens zu brechen. Die Entscheidungder Hamas festige lediglich die Spal-tung zwischen den Palästinensern und„schadet der sozialen Struktur der paläs-tinensischen Gesellschaft“, erklärte derVerband.

Rekordbesucherzahlenim ersten Halbjahr Rund 1,6 Mio. Menschen haben Israelin den ersten sechs Monaten diesesJahres besucht. Das waren 39% mehr alsim gleichen Zeitraum des Vorjahresund rund 10% mehr als im erstenHalbjahr des bisherigen Rekordjahres2008. Allein im Juni wurde mit rund259.000 Touristen eine Rekordzahl ver-zeichnet. Das war ein Anstieg von 24%gegenüber dem Juni 2009 und von 8%gegenüber dem gleichen Monat 2008.

Tourismusminister Stas Misezhnikovwarnte davor, den Anstieg als Selbst-verständlichkeit zu betrachten. Diesersei, „das Ergebnis von massiven Investi-tionen in die Marketing-Aktivitäten rundum die Welt mit erheblichen Budgets, ins-besondere vor dem Hintergrund der öffent-lichen diplomatischen Herausfor de run gen,mit denen Israel konfrontiert ist“.

Israelischer Windsurfer verteidigt EM-Titel Der israelische Windsurfer SchaharSubari ist erneut Europameister. Impolnischen Sopot verteidigte er seinenTitel aus dem vergangenen Jahr. Beidem Wettbewerb beendete Subari fünfvon sechs Rennen auf dem ersten Platz.Im entscheidenden Durchgang wurdeer Fünfter. Silber gewann der GriecheByron Kokkalanis, Bronze ging anPiotr Myszka aus Polen. Subari hattesich bereits bei der EM 2009 in Tel Avivdie Goldmedaille gesichert. „Ich habeein schweres Jahr hinter mir“, sagte derzweifache Europameister laut der Ta-geszeitung „Jerusalem Post“. „Bei derWeltmeisterschaft letztes Jahr oder der is-raelischen Meisterschaft war ich nicht gut,und ich hatte im Vorfeld der Europameis-terschaft geringe Erwartungen. Also binich sehr glücklich, dass ich hier gewonnenhabe. Damit habe ich allen gezeigt, dassich immer noch an der Spitze bin.“ Subarihatte im Jahr 2008 bei den OlympischenSpielen in Peking und bei der Welt-meisterschaft jeweils Bronze gewon-nen. In Sopot belegte zudem seinLands mann Nimrod Maschiah denzehnten Platz. Bei den Frauen warMa’ajan Davidovich mit Rang 16 diebeste israelische Athletin.

Soldat wegen Tötung zweier Palästinenserinnen angeklagt Der israelische Militärstaatsanwalt Avi -chai Mandelblit hat Klage gegen ei nenSoldaten wegen fahrlässiger Tötungzweier Palästinenserinnen er ho ben.Der Armeeangehörige hatte die Frau enwährend der Operation „GegossenesBlei“ im Gazastreifen getötet. Bei denAnschuldigungen geht es um einenVorfall vom 4. Januar 2009 nahe Gaza.Laut der Tageszeitung „JerusalemPost“ hatte sich damals eine Gruppevon etwa 30 palästinensischen Zivilis-ten, einschließlich Frauen und Kindern,einer Position des israelischen Militärsgenähert. Die Menschen schwenktenweiße Flaggen. Dennoch eröffnete derBeschuldigte das Feuer auf die Grup pe.

Dabei wurden eine 64 Jahre alte Frauund ihre 35-jährige Tochter getötet.Der Vorfall wird auch im sogenannten„Goldstone-Bericht“ erwähnt.Die Militärjustiz hatte in den vergan-genen 18 Monaten mehr als 400 Armee-angehörige im Zusammenhang mitBeschwerden nach dem Militäreinsatzim Gazastreifen angehört. ZahlreichenSoldaten drohen nun Straf- oder Dis-ziplinarverfahren.

Mehr Selbstmorde bei Soldaten Seit Beginn dieses Jahres haben sichbereits 19 Angehörige der israelischenArmee das Leben genommen. Im Ge-gensatz zu den Vorjahren stieg damitdie Selbstmordrate bei den Soldatenwieder an. Wie die Tageszeitung „Je-diot Aharonot“ berichtet, hatten im ge-samten vergangenen Jahr 21 Armee an-gehörige Suizid begangen.Zu Beginn dieses Jahrzehnts war dieSelbstmordrate mit 30 Todesfällen imJahr 2000 und 35 Fällen 2005 beson-ders hoch. Die Armee hatte daraufhinspezielle Programme entwickelt. Un -ter anderem wurden Kommandeuregeschult, um gefährdete Soldaten zuerkennen und ihnen rechtzeitig die nö-tige Hilfe anzubieten.Von 2007 bis 2009 gab es daraufhineinen Rückgang der Selbstmorde, mitdurchschnittlich 24 Fällen pro Jahr.Ein Militärvertreter teilte gegenüber„Jediot Aharonot“ mit, dass die meistenSuizide in den vergangenen Jahrennicht mit dem Militärdienst in Verbin-dung standen. Untersuchungen deraktuellen Fälle hätten zu einem ähnli-chen Ergebnis geführt. Laut dem Be-richt wird jeder einzelne Selbstmordunabhängig untersucht.

Der Nahe Osten bei iTunes Freunde des israelischen Außenminis-teriums können sich freuen. MinisterAvigdor Lieberman stellt nun so ge-nannte „Apps“ für „Apple“-Produktebereit und informiert auf diese Weiseüber neueste Entwicklungen. Im iTu-nes-Store gibt es neben offiziellen Mit-teilungen des israelischen Außen mi -nisters auch Videos und Fotos vondem Politiker und von politischen Ent-wicklungen im Nahen Osten. Ebenfallsist der „Newsroom“ als „App“ ver -fügbar, wie das Außenministeriummitteilte. Zugänglich sind die „Apps“seit dem 1. Juli über das iPhone, deniPod touch und das iPad.

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JÜDISCHE WELT

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 39

Israelische Universitäten unter bestenArbeitsplätzen für Wissenschaftler Das Weizmann-Institut in Rehovotund die Hebräische Universität in Je-rusalem zählen zu den weltweit bes-ten Arbeitsstätten für Wissenschaftler.Zu diesem Ergebnis führte eine Um-frage des US-amerikanischen Maga-zins „The Scientist“. Platz eins der Listebelegte die Universität von Queens landim australischen Brisbane. Bereits anzweiter Stelle folgte das Weizmann-In-stitut. Die Hebräische Universität kamauf Rang fünf.Das Ranking konzentrierte sich vorallem auf die Biowissenschaften. Fürdie Studie wurden die Angaben von2.302 Wissenschaftlern über die bestenForschungsinstitute außerhalb derUSA verwertet. Das Ranking und In-formationen zu den Kriterien findenSie unter www.the-scientist.com/bptw

Israel hat das Ass in der HandBei der World Series of Poker in LasVegas belegte der Israeli Tomer Berdaden ersten Platz. Der Besitzer einesSoft ware-Forschungs- und Entwick-lungs-Unternehmens, der in Kalifornienlebt und 2003 mit dem Poker spie lenbegann, setzte sich gegen 197 Konkur-renten durch und nahm das Preisgeldvon US$ 825.976,- mit nach Hause.Laut Ynet ist Berda damit der ersteWorld Series of Poker Gewinner ausIsrael.

Gold & Silber für israelische Schüler Es könnten die ersten Schritte zumNobelpreis für Physik sein: IsraelischeOberstufenschüler haben die höchstenAuszeichnungen bei einem internatio-nalen Wissenschaftswettbewerb ge-wonnen - und dürfen sich nun in re -nommierten Institutionen weiterbilden.Anstatt sich über den allgemeinen Bil-dungsverfall zu beklagen, nutzen siedas schulische Angebot und bilden sichaus Eigeninteresse fort. Die Oberstu-fenschüler aus Israel haben sich ihrKönnen zu Nutze gemacht und Gold-und Silbermedaillen beim internatio-nalen Physikwettbewerb „Der ersteSchritt zu einem Nobelpreis für Phy-sik“ gewonnen. Der Zwölftklässler Eli Gudinewsky hat

in Warschau mit vier weiteren Schü-lern aus der ganzen Welt die Goldme-daille erhalten. Seine Studie führte erunter der Leitung des Professors Na-than Kleeorin von der Ben-Gurion-Uni-versität in Be’er Sche va durch. Neben ihm gewannen die israelischenSchüler Evelyn Jenis, Daniel Achdut undDorin Jerhi eine Silbermedaille bei demwissenschaftlichen Wettbewerb. DieAuszeichnung „Der erste Schritt zueinem Nobelpreis für Physik“ wirdvon einem unabhängigen und interna-tionalen Team von Physikern in Polenverliehen.

Ein Gemälde für ein ganzes Land Das Israel-Museum will Ende diesesMonats ein eindrucksvolles Wandge-mälde aus der Kreuzfahrerzeit aus-stellen. Archä o logen entdeckten dasFres ko vor eini gen Jahren im Jerusale-mer Gethsemane-Garten. Das Kunst-werk stellt Jesus dar, wie er amJüngsten Tag zu Gericht sitzt. Wissen-schaftler gehen davon aus, dass dasFresko ursprünglich auch neun Meterhoch war, doch nur der untere Teil isterhalten. Wissenschaftler der Israelischen Alter-tumsbehörde (IAA) entdeckten das Ge -mälde im Jahr 1999 bei Bergungs aus- grabungen im Kidron-Tal. Der zustän-dige Kurator Jaques Nar zeigt sichnoch heute begeistert von dem Fund:„Dies ist eines des bedeutendsten Ge-mälde, die aus der Kreuzfahrerperiode inIsrael erhalten sind. Die Behandlung, diees in den Laboren der IAA durchlief, ge-hört aus kon- servatorischer Sicht zu denschwierigsten, die je hier unternommenwurden.“ Das Wandbild wurde nun restauriertund wird ab 26. Juli in der renoviertenKreuzfahrer-Galerie des Israel-Muse-ums in Jerusalem ausgestellt.

Facebook: Aufruf zum Mord an JudenImmer wieder wird das soziale Netz-werk „Facebook“ für antisemitischeZwecke missbraucht: Erst am Sonntageröffnete dort ein Nutzer eine Seite, aufder er zu einem „Töte-einen-Juden-Tag“einlud. Bis die Seite gesperrt wur de,hatte sie bereits Dutzende „Freun de“.Erstellt wurde die mit ei nem Haken-

kreuz versehene Seite von einem Nut-zer namens „Alex Cookson“. Er riefseine Anhänger dazu auf, „mindes-tens einen Juden zu töten“. Der „Töte-einen-Juden-Tag“ sollte am 9. Julistatt finden.Dem Bericht zufolge war es bereits dasvierte Mal innerhalb der vergangenenTage, dass solche Aufrufe zum Mordan Juden bei „Facebook“ veröffentlichtwurden. David Appletree, Gründer der„Jüdischen Webseite für Verteidigung imInternet“ (JIDF), warf dem Netzwerkvor, nicht genügend zu unternehmen,um antisemitische Hetze zu stoppen.„Ich halte das für sehr gefährlich. Es istTeil einer seit langem andauernden Kam-pagne, gegen die wir seit mehr als zweiJahren kämpfen“, so Appletree. Die Sei-ten würden zwar gesperrt, aber wenigspäter wieder eröffnet. Um das Eröff-nen solcher Seiten zu verhindern, soll -te Facebook Technologien einsetzen,die sen sibel auf bestimmte Stichwör-ter rea gieren.

Türkische Hacker stellen Tausendevon israelischen Login-Details ausLaut Angaben des israelischen CMS-Blogs, war es türkischen Hackern ge-lungen, in den Besitz von Passwörternund Kreditkartendetails von über30.000 israelischen Nutzern zu kom-men. Die Hacker stellten alle Informa-tionen, die sie einholen konnten, inForm einer Liste auf eine türkische In-ternetseite. Die Liste enthielt Kredit-kartendetails, PayPal, sowie Bank-Be nut zernamen und Passwörter. An-geblich beinhaltete die Liste auchPasswörter für israelische akademi-sche Internetseiten, sowie der israeli-schen Regierung. Einige Hacker teil tenmit, dass die gestohlenen Daten nichtverwendet werden sollten, da das ei-gentliche Ziel gewesen sei, Israel aufpolitischer Ebene zu treffen.

Auf Erfolgsschiene72 Mio. Passagiere erwartet IsraelsBahn im Jahr 2015 (letztes Jahr warenes 36 Millionen). Den Zuschlag fürden Bau von 150 neuen Eisenbahnzü-gen könnte das Bombardier-Werk inGörlitz erhalten.

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KULTUR

40 Juli 2010 - Tamus/Aw 57704

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Das Jüdische Sommerfestival in Buda-pest lädt vom 26. August bis zum 6.September 2010 zum dreizehnten Malin die ungarische Hauptstadt ein. Er-neut präsentieren internationale Künst -ler jüdische Kultur und Tradition imRahmen dieses Gesamtkunstfestivals.Besonderheit in diesem Jahr: Aus An-lass seines 13-jährigen Bestehens, nachjüdischem Ritus das Jahr des Erwach-senwerdens, begeht das Jüdische Som-merfestival am 29. August um 19.00Uhr seine Bar-Mitzwa. Gefeiert wirdmit einem großen Konzert in der Syna-goge in der Dohány Straße, der zentra-len Festivalspielstätte. Mit dabei sinddie Judrom Klezmer Gipsy Band, Shai Ab-ramson, György Sándor und László Feketesowie als Gast der Geiger Ferenc Balogh.Eröffnet wird das Festival am 26. Au-gust vom Boban Markovic Orkestar, dasein buntes Klez mer- Programm beste-hend aus jüdischer, Bal kan- und Gipsy-Musik bestreiten wird - so vielfältigwie die jüdische Kultur selbst. Im renovierten Gozsdu-Hof etwa findeterneut der inzwischen auch bei Buda-pest-Touristen sehr beliebte Buch- undHandarbeitsmarkt statt. Filmvorfüh-rungen und Ausstellungen sollen dieAngebotspalette bereichern und eben sodie Kammerkonzerte in der Synagogeder Rumbach Straße, wo etwa BarbaraFuchs ein Solo-Recital mit Wer ken vonBerg, Mahler und Ullmann bestreitet.Sicherlich ein kleines Highlight wirdauch "The World of Tango" sein,dieEszter Horgas and the Class Jazz Bandim Uránia Filmtheater gestalten wer-den. ww.jewishfestival.hu

JÜDISCHES SOMMERFESTIVAL IN BUDAPEST -

Vielfältig einer Kultur auf der Spur

Der große Erzähler Adam Zielinski verstorben

Der große Erzähler Adam Zielinski istnach kurzer schwerer Krankheit in derNacht vom 26. auf den 27. Juni 2010 inWien verstorgen, so teilt der VerlegerLojze Wieser im Namen der Familie,Sophie, Christoph und Ricarda und denEnkeln mit. Er feierte vor Kurzem sei-nen 81. Geburtstag. Sein letztes Buch,"Im Schtetl" - Erinnerungen an die Kind -heit in Stry in der Ukraine erscheintEnde August im Wieser Verlag.

In tiefer Trauer, Wieser Verlag

Israel goes AmazonWer israelische Spezialitäten mag,

muss nicht mehr weit suchen.

Ab sofort gibt es bei Amazon eingelegte Gurken, Halva, Wein und mehr.

http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=search-alias%3Dgrocery&

field-keywords=israel&x=0&y=0

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KULTUR

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 41

Nach vierzig Jahren werden Manu-skripte von Franz Kafka und Max Brodaus sechs Panzerschränken in Tel Avi-ver Banken und weiteren vier in Zürich„befreit“ werden. Am 19. Juli Morgenum 10 Uhr erschienen am Rechtsan-wälte in Schlips und Anzug bei brül-lender Hitze bei der Kikar-HamedinaFiliale der Discount Bank mit einemrichterlichen Befehl in der Hand. Nachmonatelangen Gerichtsverhandlungenbei einem Familiengericht in Tel Aviv,teilweise hinter verschlossenen Türen,ist das Urteil gefallen, die seit vierzigJahren in Banktresoren gelagertenSchrift stücke der beiden weltberühm-

ten Schriftsteller der Öffentlichkeit zu-gänglich zu machen.

Wie die Zeitung ‘Haaretz’ meldet, seiplötzlich Eva Hoffe in der Bankfilialeaufgetaucht und ha be mit lauten Rufen„Das gehört mir, das gehört mir“ ver-sucht, die Herausgabe der Papiere andie Anwälte zu ver hin dern. Hoffe istdie Tochter von Esther Hoffe, der ver-storbenen Privatsekretärin Max Brods.Die Schwestern Hoffe, Eva und Rut-hie, halten sich für die rechtmäßigenErben des Nachlasses von Brod undvon Kafka.

Brod hätte eigentlich Kafkas Hinterlas-

Kafka wird aus Panzerschrank befreitVON ULRICH W. SAHM

senschaft verbrennen sollen, brachte esjedoch im Koffer nach Tel Aviv, als ervor den Nazis aus Prag fliehen musste.

Die Nationalbibliothek in Jerusalemhatte gegen die Schwestern Hoffe ge-klagt, in deren Privatbesitz der Nach-lass der Schriftsteller befindet. DieNa tionalbibliothek will so auch ver-hindern, dass jüdischer Nationalbesitzillegal ins Ausland gelangt.

1988 hatte Hoffe das Originalmanu-skript von Kafkas „Prozess“ für 2 Mio.Dollar an das Deutsche LiteraturarchivMarbach verhökert. Es handelt sich umdie höchste Summe, die jemals für einliterarisches Manuskript gezahlt wur de.

Die Anwälte sollen nun die ihnen aus-gehändigten Dokumente auflisten.Über die Inhalte wurde allerdings einerichterliche Nachrichtensperre ver-hängt, die von der Zeitung ‘Haaretz’vor Gericht angefochten wird. Anhandder Liste muss dann die Richterin TaliaKoppelmann entscheiden, ob das gefun-dene Material zu freien Verfügung stehtoder aber zum Privatbesitz der Schwes -tern Hoffe gehört.

Sollte es sich bei den Dokumenten um„literarisches Erbe“ handeln, würdendie Papiere öffentlichen Archiven zurAufbewahrung überstellt werden.

Deutsche wie israelische Forscher er-hoffen sich neue Einblicke in das Le bendes Franz Kafka und vielleicht gar un-bekannte Werke des 1924 in Prag ver-storbenen Schriftstellers.

Luxus pur

Eines der elegantesten Hotels der Weltöffnete in Singapur seine Pforten. Esbesticht durch Luxus und ein außerge-wöhnliches Design. Das "Marina BaySands" wurde vom israelischen Archi-tekten Moshe Safdie entworfen.

Postkarte mit Franz Kafka und einem Auszug aus dem "Brief an den Vater“

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KULTUR

42 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Ich denke nicht daran, Dich im Hause zubehalten, bis Dich niemand mehr mag,aber von dem Recht, Deine Neigung zucontrollieren, so lange Du im Leben u inder Liebe so unerfahren bist, möchte ichdoch Gebrauch machen.Schreibt Sigmund Freud im Mai 1908an seine älteste Tochter Mathilde. Diekränkliche Zwanzigjährige war auf Kurin Meran und hatte sich dort verliebt.In mehreren langen Briefen versuchteder Vater, sie von dem seiner Meinungnach übereilten Entschluss abzubrin-gen. In unseren sozialen u materiellenVerhältnissen heiraten Mädchen zu Rechtnicht in der ersten Jugend; sie werdensonst zu früh mit der Ehe fertig, warnt erund gibt zu Bedenken: es muss nicht dieerste Liebe sein, die die bleibende wird.Wenige Monate später waren Mathil -de und Robert verheiratet. Freud gabseinen Segen, wenn sein Rat nicht er

wünscht war und so nahm er seinenersten Schwiegersohn in die Familieauf und blieb ihm zeitlebens väterlichverbunden. Denn er respektierte seineKinder und ihre Entscheidungen. Leider erkennt man mit den Jahren immermehr, wie machtlos man ist, klagt er 1923dem jüngsten Sohn Ernst.

Der Vater der Psychoanalyse als Vater.In seinen Briefen an die erwachsenenKinder, an Schwiegerkinder und En -kel, gewinnt der Privatmann FreudKon tur, wird lebendig und sehrmensch lich. Sorgfältigst ediert vomdeutschen Soziologen Michael Schröterliegen hunderte Vater-Briefe aus derZeit 1907-1938, ergänzt durch einigeSchreiben der Kinder und Einführun-gen zu deren Biografien nun in einemdicken Band vor.Ein herzerwärmendes Lesevergnügen

nicht nur für Freudianer. Und gleich-sam nebenbei entsteht durch Freudslebenskluge, analytische Sicht familiä-rer und gesellschaftlicher Verhältnisseauch das Bild einer Welt von Gestern.Wie man reiste, was man trug, wieman wohnte, wie man den Krieg er-lebte, wie man sparte, was man sichleistete und wie man seine Kindergroßzog.

Sechs Kinder, drei Söhne und dreiTöch ter, brachte Martha Freud in achtJahren zur Welt. 1887 Mathilde, 1889Martin, 1891 und 1892 Oliver und Ernst,1893 Sophie und nach einer selbst ver-ordneten Abstinenz schließlich 1895Anna. Die Briefe an die Jüngste, die alseinziges seiner Nachkommen in seineübergroßen Fußstapfen trat und Kin-deranalytikerin wurde, sind schon vorJahren in einem eigenen Band erschie-nen und hier nicht enthalten. Anna,die unverheiratet blieb, ist ihrem Vaterbis zu seinem Tod helfend, ja dienendbeigestanden. Die anderen fünf gingeneigene Wege, haben sich dabei aber niewirklich ganz vom langen Schatten desweltberühmten Analytikers lösen kön-nen. „Glory reflected“ nannte der äl-teste Sohn Martin bezeichnenderweiseseine Erinnerungen an den Vater. Derwusste natürlich um dieses Problemvor allem seiner Söhne und hielt sichmit „Protektionen“ zurück. Ich freuemich, dass wenigstens einer von EuchDreien etwas von meinen Beziehungenprofitirt hat, schreibt er 1926 an Ernst,der durch seine Anknüpfung mit Zionals Architekt die Chance erhielt einHaus für Chaim Weizmann in Jerusa-lem zu bauen, ein Projekt, das aberletztlich scheitern sollte. Gescheitert ist vieles, das die Söhne inAngriff nahmen. Beruflich und finan-ziell waren seine Kinder nicht geradeerfolgreich, was nicht zuletzt mit denschlechten Zeiten nach dem ErstenWeltkrieg, in dem die drei Brüder ein-gerückt waren, zusammenhing. Nurselten hatte der Vater Anlass, wirklichstolz zu sein. Fast lebenslang unter-stützte er seine Kinder und Enkel wieauch die weitere Verwandtschaft aufsgroßzügigste. Das Geburtstagskuvertmit Banknote lag jeder Gratulation ver-lässlich bei. Und ein Gutteil der Brie fekreist um die Fragen wie viel, wie,wann und auf welchem Wege an wenverteilt werden kann. Martin über -wacht zeitweilig quasi als Finanzmi-

Die Kinder der Familie Freud (Photographie, um 1900): Sophie,Oliver, Mathilde, Anna, Martin, Ernst (v.l.n.r)

EIN JÜDISCHER VATERSigmund Freuds Briefe an die Kinder

VON ANITA POLLAK

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KULTUR

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 43

nister die Geldtranfers und die Buch-führung, wobei Honorare oft direkt andie Familienmitglieder überwiesenwurden. Mir ist es jetzt das einzige ganzungetrübte Vergnügen, wenn ich EuchKindern … Geld geben kann; es macht mirallein die Arbeit erträglich u hilft mir überdie Sorgen dieser Jahre hinweg, beruhigter seine Tochter Sophie, deren MannMax sich Geldsorgen machte. Nachdem frühen Tod Sophies führte er dieUnterstützung des verwitwetenSchwie gersohns fort und sorgte nochfür die Enkel. Unterdeß halten wir zusammen, schrieber ebendiesem Max im Jahr 1932. Undan seine Schwiegertochter Lux, dieFrau von Ernst, zu einem Todesfall inder Familie: Zusammenhalten, helfen,teilnehmen, man kann nicht mehr tun.Der Rest ist Ertragen.

Der Patriarch, der Ernährer, der Paterfamilias, das war eine Rolle, in die Sig-mund als ältestes von acht Kindernunwillkürlich hineinwuchs. (Als seineMutter starb war er schon 74!) Der tra-dierte jüdische Familiensinn, denFreud an sich selbst beobachtete, jenesGefühl, dass die Kinder versorgt sind, des-sen ein jüdischer Vater zum Leben wiezum Sterben dringend bedarf, kam dazu.Ein jüdischer Vater, das war er trotzaller Ambivalenzen die sein Judentuminsgesamt kennzeichneten, voll undganz. Er ließ die Söhne nicht beschnei-den, legte aber Wert auf jüdische Ehe-partner(innen). Und war durchausvä terlich parteiisch. Als Martins Ehescheiterte, stellte er der verlassenenSchwiegertochter eine vernichtendeDi agnose. Sie ist nicht nur bösartig undmeschugge, sondern auch im ärztlichenSinn verrückt. Klar erkannte er auchdie Schwächen der eigenen Kinder bishin zu manchen Neurosen, in Krisenstand er jedoch ohne Vorbehalte hinterihnen. Für Alltägliches war die Mutterzuständig, aber in Notsituationen stieger von seinen olympischen Höhen herab,um uns zu retten, erinnerte sich Martin.Dass auch der jüdische Humor Fami-lientradition waren, darauf verweistein Wortspiel in einem Brief an Sophieaus der Nachkriegszeit 1919: Die neue österreichische Währung: Oberste Einheit heißt Dalles.1 Dalles = 100 Drachmones1 Drachmone = 100 Tünovim

Ja, sogar ganz Triviales fand Eingang

in die Korrespondenz. Ein warmerMantel in Kriegszeiten, die Ernährungeines schlecht essenden Enkels, Heiz-kosten, Wohnungseinrichtung, Ge -schen ke, Reisepläne, Quartiere – alldas beschäftigte den „Papa“, wie ersich gern nannte, wenn es seine Kin-der betraf, die er am liebsten um sichscharte. In der Berggasse 19 und in sei-nen wechselnden Sommersitzen vomSemmering bis Südtirol. Als sich dieZeiten unübersehbar verdunkelten,ging es um Auswanderung, Existenz-möglichkeiten und Überleben. Seinenemigrierten Sohn Ernst beglück-wünscht er 1938 zum neuen Haus inEngland. Es ist echt jüdisch, auf nichts zuverzichten und sich für Verlorenes Ersatzzu beschaffen. Schon Moses, der nach mei-nem Urteil den jüdischen Charakter dau-ernd geprägt hat, hat dafür das Vorbildgeschaffen. Für sich selbst schloss der schwerKrebskranke eine Emigration aus undhoffte sogar auf den Widerstand derkatholischen Kirche gegen Hitler undauf Kanzler Schuschnigg. Erstaunlichist, dass der Seelenkenner in politi-schen Fragen kaum hellsichtiger warals seine Zeitgenossen. Als er danndoch ins englische Exil gehen musste,fühlte er sich wie der biblische Jakob,den seine Kinder auch im hohen Alternach Ägypten mitgenommen haben … Esist Zeit, dass Ahasver irgendwo zu Ruhekommt, heißt es in seinem letzten Brief

aus der Berggasse.

Sigmund Freud„Unterdeß halten wir zusammen“Briefe an die Kinder.Herausgegeben von Michael Schröter.Aufbau Verlag, € 34

SIGMUND FREUD1856 Freiberg/Mähren -1939 London1859 Übersiedlung der Familie nachWien1886 Heirat mit Martha Bernays1900 erscheint „Die Traumdeutung“1910 Gründung der InternationalenPsychoanalytische Vereinigung1938 Emigration nach London

25. Hochzeitstag(1911): Martin,

Ernst,Anna, Sigmund, Martha

und MathildeFreud, Minna

Bernays sowieOliver und

Sophie Freud(v.l.n.r.)

1923: EnkelkinderErnst und Heinz

(„Heinerle“)

Page 44: jüdische welt

KULTUR

Juli 2010 - Tamus/Aw 577044

Aus Anlass des Holocaust Remem-brance Day wurde am 13. April

2010 in Yad Vashem in Jerusalem eineaußergewöhnliche und einmalige Aus - stellung eröffnet. Sie zeigt kreativeSchöp fungen von knapp 300 Holo-caust-Überlebenden aus den vergan-genen sechs Jahrzehnten.

Yad Vashem hat seit seinem Bestehensystematisch Werke von Holocaust-Überlebenden gesammelt, die auf un-terschiedliche Weise ihre Ausein an- der setzung mit den schrecklichen Er-lebnissen der Shoa ausdrücken. Nochnie zuvor wurden diese Werke syste-matisch aufgearbeitet und der Öffent-lichkeit in einer derartig umfassendenAusstellung präsentiert.

Auf der Website von Yad Vashem, dieeinen eindrucksvollen Überblick überdie Ausstellung gibt, wird betont, dass„die außergewöhnliche Ausstellung denkünstlerischen Ausdruck einzelner Perso-nen widerspiegelt, aber gleichzeitig ein Ver-mächtnis an andere Menschen bedeutet.Die Kunstwerke umfassen Arbeiten vonso bekannten Künstlern wie Samuel Bak,Yehuda Bacon, Moshe Kupferman, She-muel Katz, Marcel Janco, Paul Kor undFriedel Stern, sowie von zahlreichen we-niger bekannten Künstlern und auch vonArmateurkünstlern, deren Werke zumersten Mal in der Öffentlichkeit gezeigtwerden“.

Die Werke sind individuell sehr unter-schiedlich; aber dank ihrer visuellenund thematischen Aufbereitung undZusammenfassung ergeben sich fürden Betrachter erschüttende Bilderund Eindrücke aus verschiedenenPer spektiven und Erfahrungen derje-nigen, die den Holocaust erlebten.Auch wenn man sich schon intensivmit Bildern, Filmen und Beschreibun-gen des Holocaust auseinandergesetzthat, erlebt man in dieser Ausstellungeine neue Dimension der Darstellungdieser Zeit. Man fühlt den Schmerz,man hört die Schreie, man leidet mitden Individuen, die dem Grauen aus-gesetzt sind.

Die Website der Ausstellung in YadVashem bietet auch eine“virtual tour”,die einen zwar nur kurzen, aber sehrintensiven Eindruck von den Kunst-werken gibt. Die Ausstellung bleibtein Jahr lang geöffnet.

“Virtues of Memory”:

Faszinierende Ausstellungin Yad Vashem

VON RUTH BACHMAYER

Der Lastenträger, 1965

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KULTUR • KOLUMNE

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 45

Jetzt stehe ich schon wieder da. Am Ballhausplatz. Wiederein Mal ist eine Kundgebung gegen die Abschiebungspo-litik der österreichischen Regierung angesagt. Ich seherund um mich die mehr als zehntausend Mitbewegten, ichhöre den Reden zu. Und ich weiß, bei der nächsten Gele-genheit werde ich mich erneut hier einfinden müssen, viel-leicht auch bloß wegen sehr selbstsüchtiger Motive: ich willmich nicht vergrämt im Geheimen für dieses Land schä-men, ich will meine Abscheu gegen Nacht- und Nebelak-tionen der Polizei zumindest öffentlich zeigen.

Es ist mir bewusst, dass hierzulande Fakten recht absicht-lich nicht zur Kenntnis genommen werden. Fakten, die diepaar hundert anstehenden Fälle von „illegaler“ Einwande-rung längst als irrelevant, ja geradezu als lächerlich aus-weisen. Den Schätzungen der Vereinten Nationen nach gibtes zur Zeit weltweit 214 Millionen Migranten, was einerErhöhung um 37% in den letzten 20 Jahren entspricht.Rund 41% dieser Migranten befinden sich in Europa. Zumersten Mal in der Geschichte der Menschheit besteht etwadie Hälfte aller Migranten aus Frauen, die zum Teil ihreKinder zurückließen, um den Lebensunterhalt für ihre Fa-milien zu verdienen. Soll es noch deutlicher gesagt wer-den? Mit absoluten Zahlen? Laut UN leben in Europanunmehr an die 90 Millionen Migranten, was ungefähr derBevölkerungszahl Deutschlands entspricht. Die letzten bei-den Jahrzehnte haben die größte Bevölkerungswanderungaller Zeiten ausgelöst!

Und ich stehe am Ballhausplatz und sehe im Gedanken die

verbissen zusammengedrückten, dünnen Lippen einer Po-litikerin anlässlich ihres Fernsehauftritts vor mir, die Erhö-hung der Anzahl der Polizisten in Sachen Immigrationankündigend. Ich höre noch immer – es dröhnt fast in mei-nem Kopf – ein drehleiergemäßes Recht muss Recht bleiben.Erkenntnisse von Gerichtshöfen haben umgesetzt zu werden.Wirklich? Die Reichsfluchtsteuer war auch bestehendesRecht, oder nicht? Haben wir alle noch immer nicht ver-standen, dass Recht bloß aus Festsetzungen besteht, einensozialen und gesellschaftlichen Umgang von Menschenuntereinander zu regeln? Oder sind wir noch immer imZeitalter von Hamurabi, dem ein bildlich festgehaltenerGott die zu verkündenden Gesetze übergibt?

Noch klammere ich mich an die Vorstellung, dass die Zeitder dünnen Lippen angesichts jener 90 Millionen Men-schen, die Europa seit neuem besiedeln, vorübergehenwird. Irgendwie hänge ich immer noch der Idee nach, dasspraktische Vernunft, und nicht Irrationalismen von vorges-tern unser gesellschaftliches Handeln zu bestimmen haben.Ich will mich einfach nicht von demographischen Faktenverabschieden, von der Vorstellung, dass so manche Mig-ranten die deutsche Sprache vermutlich wesentlich besserbeherrschen als viele „Einheimische“. Dass manche Neu-ankömmlinge gleicher sind alles andere, dass Opernsän-gerinnen wichtiger sind als angehendeKrankenschwestern, dass ein Fußballspieler für die Gesell-schaft nützlicher ist als ein Musiker in einem Wiener Or-chester. Dass Erkenntnisse von Höchstgerichtenoffensichtlich in einem bestimmten Bundesland keine Gül-tigkeit haben, dass ….. .

Ich stehe am Ballhausplatz, nicht Recht, sondern politischeVernunft umgesetzt zu sehen.

Überall & NirgendwoP. Weinberger

„Virtues of Me-mory“ zeigtauch das Bild„Der Lastenträ-ger“ der Male-rin Recha Kohn,die ein Mitgliedder jüdischenGe meinde inWien ist. Recha Kohn

wur de 1920 in Frankfurt/Main in eineFamilie orthodoxer polnischer Judengeboren. Ihr Vater, Elimelech Beer, warThoraschreiber. 1937 versuchte die Fa-milie erfolglos, nach Isra el zu emigrie-ren. 1939 gelang es ihnen mit der Un- terstützung von Freunden nach Eng-land zu flüchten. Dort heiratete RechaBeer David Kohn, einen Emi grantenaus Wien. Nach dem Krieg im Jahr1946 kehrte die Familie nach Wien zu-rück. Recha Kohn, die drei Töchterhat, studierte von 1956 bis 1959 an derWiener Kunstakademie bei Professor

Matejka-Felden Malerei. Ihre Werke,die in mehreren Ausstellungen gezeigtwurden, demonstrieren die Auseinan-dersetzung mit ihren Erfahrungen inNazi-Deutschland und ihren persönli-chen Erinnerungen daran. Ihre Ge-mälde und Zeichnungen beschäftigensich immer mit Menschen, meistensFrauen, die ihr Leben stark beeinfluss-ten: ihre enge Beziehung zu ihrer Mut-ter, ihre vier Schwestern, ihre dreiTöch ter.

Aus all ihren Arbeiten kann man ihreMotivation erkennen: “Malerei ist fürmich eine Waffe, mit der man bekämpfenkann, was man als Unrecht an sieht“.

Das in der Ausstellung „Virtues of Me-mory“ gezeigte Gemälde von RechaKohn „Der Lastenträger“ wurde 2009in die Sammlung von Yad Vashemauf genommen.

http://www1.yadvashem.org/yv/en/exhi-bitions/virtues_of_memory/index.asp

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1. Aw (12. Juli 2010)• Jahrzeit des Hohepriesters Aharon HaKohen, desBruders von Miriam und Mosche Rabbenu, der imjüdischen Jahr 2488, also vor 4498 Jahren ver-starb. Sein Todestag ist die einzige in der Tora ex-plizit erwähnte Jahrzeit (Bamidbar 33:38).

5. Aw (16. Juli 2010)• Jahrzeit des berühmten Kabbalisten und RabbinerJitzchak ben Schlomo (Luria) Aschkenasi, auchbe kannt als der Arisa“l oder der Ari HaKodosch(„der Heilige Löwe“), der vor 438 Jahren in demals „heil i ge Stadt“ geltenden Tsefas im Galil, imjungen Al ter von 38 Jahren verstarb. Er wurde1572 in Jerusalem als Sohn einer aus Deutschlandstammenden Rab biner Familie geboren, und ver-brachte, nach dem Tod seines Vaters, viele Jahreseines Lebens bei der Familie seiner Mutter inKairo. Nur zwei Jahre vor seinem Tod kehrte ernach Eretz Jisrael zurück und liess sich in derStadt Tsefas nieder. In dieser kurzen Zeit führte ereine Neustrukturierung der kabbalistischen Lehreein, die nach seinem Tod von seinen Schülern,allen voran dem berühmten Rab biner ChaimVital, verbreitet wurde, und bis heute den größtenEinfluss auf die zeitgenössische Kabbala hat. DerArisa“l gilt daher in allen jüdischen Traditionenals einer der wichtigsten Persönlichkeiten der jü-dischen Mystik.

7. Aw (18. Juli 2010)• Vor 2596 Jahren, nach einem Monat blutigerKämpfe in den Strassen von Jerusalem, gelang esden Armeen des babylonischen Königs Nebuchad-nezars an diesem Tag den Tempel zu stürmen.

• Vor 1943 Jahren kam es zu physischen Auseinan-dersetzungen zwischen unterschiedlichen jüdi-schen Gruppierungen in Jerusalem, die sich un ei nigbezüglich der Frage waren, ob man die, die Stadtumzingelnden, römischen Armeen angreifensollte oder nicht. Drei Jahre später fiel die Stadtund der Tempel wurde zerstört.

• Das spanische Königspaar, König Ferdinand vonAragon und Königin Isabella von Kastilien, hatte imsogenannten Alhambra Dekret vom 3. Nissan (31.März 1492) mit einem viermonatigen Ultimatum,

das an diesem Tag auslief, die Vertreibung allerJuden aus Spanien angeordnet, das noch kurz zu -vor ein blühendes Zentrum der jüdischen Gelehr-samkeit und Kultur war. Viele spanische Judenversuchten sich der Vertreibung, und schon einigeJahre zuvor dem wachsenden politischen Druck zuentziehen, indem sie den formalen Schritt der ka-tholischen Taufe auf sich nahmen und nur noch imGeheimen ihr Judentum pflegten. Die Praxis diesersogenannten Kryptojuden, auch genannt Konversosoder Marranos, wurde den Behörden jedoch baldbe kannt, und so wurde die Spanische Inquisitionunter Tomas de Torquemada damit beauftragt, alljene ausfindig zu machen und als Häretiker hinzu-richten. Tausende fielen der Inquisition zum Opferund ließen auf den Scheiterhaufen mit dem „Sche -ma Jisrael“ auf den Lippen ihr Leben, die überwie-gende Mehr heit konnte jedoch im Verborgenen,teilweise bis in unsere Generation überleben. Die-jenigen, die sich dem Vertreibungsdekret beugten,flüchteten vor allem nach Portugal (von wo sie imJahre 1497 ebenfalls offiziell vertrieben wurden),Marokko, Italien und in die Türkei. Vor allem überItalien kamen viele spanische Juden nach Öster-reich und Deutschland, wo sie sich in den örtlichenjüdischen Gemeinden in tegrierten und derendeutsch-aschkenasische Tra ditionen übernahmen.In einigen wenigen Städten wie London und Ams-terdam gründeten sie ihre eigenen „spanisch-por-tugiesischen“ Synagogengemeinden, die ihre Tra -ditionen bis heute beibe hal ten haben. Viele ka menals „Türken“ ins Herrschaftsgebiet der Habsburger,wo sie – im Gegensatz zu ihren asch ke na sischenBrü dern – sowohl Niederlassungs- als auch Handels-freiheiten genossen. (Zu diesem Thema gibt es nochbis zum 31. Oktober eine Sonderausstellung mitdem Titel „Türken in Wien“ im Jüdischen Museum)

9. Aw (20. Juli 2010)• Tischa BeAw: Trauer- und Fasttag im Gedenken andie Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Obgleichdas Fasten mit Einbruch der Nacht beendet ist, gel-ten die Trauervorschriften der Drei Wochen noch biszum Mittag des folgenden Tages: man hört keineMusik, rasiert sich nicht und schneidet sich nicht dieHaare, man isst kein Fleisch und trinkt keinen Wein.

• Der Erste Tempel (nach seinem Erbauer auch Sa-lomonischer Tempel genannt) wurde an diesemTag vor 2596 Jahren nach zweitägiger Plünderungund Schändung durch die Babylonier zerstört.

• Der Zweite Tempel (von nicht-jüdischen Histori-kern oft als „Herodianischer Tempel“ bezeichnet)wurde vor 1940 Jahren von den Legionen der Rö -mer geplündert und anschließend zerstört. Esgibt zahlreiche, jedoch offiziell noch unbestätigteVermu- tungen, dass sich beachtliche Teile undberühmte Gegenstände des von den Römern ge-plünderten Tempels, bis zum heutigen Tag in denverschlossenen Archiven des Vatikan befinden,der nach dem Zerfall des römischen Reiches, ingewisser Weise die Erbfolge der (west-)römischenKaiser antrat.

• An diesem Tischa BeAw im Jahre 133 d. a. Z. fieldie Stadt Beitar nach dreijähriger Belagerung durchrömische Legionen, wobei über 500.000 Juden,darunter auch Bar Kochba selbst, der Anführer desnach ihm benannten Aufstandes ge gen die römi-sche Besatzungsmacht und Un ter drückung, umsLeben kamen.

• Am Tischa BeAw d. J. 1290 d. a. Z. erließ Kö nigEdward I. das Edikt zur Vertreibung der Ju den ausEng land, das – obgleich nicht immer konsequentdurchgesetzt – offiziell 350 Jahre lang, bis 1655 inKraft blieb.

• Am Tischa BeAw d. J. 1914 begann der 1. Weltkriegdurch die Mobilmachung der deutschen Streit-kräfte (30. Juli 1914). Angesichts der historischenFolgen für Europa, insbesondere der deutschenNie- derlage und der darauf begründeten „Dolch-stosslegende“ der nationalsozialistischen Propa-ganda, kann dieses Datum durchaus als Beginneiner Epoche betrachtet werden, die erst im 2.Weltkrieg und der Schoah endete.

• Am Tischa BeAw d. J. 1941 (31. Juli) beauftragteHer mann Göring den SS-Offizier Reinhard Hey-drich einen „Gesamtentwurf“ bezüglich Kosten,Organisation und Durchführung der „Endlösungder Judenfrage“ auszuarbeiten, woraufhin dieserin den kommenden Monaten die Wannseekonferenzvon 1942 organisierte.

JUDENTUM

46 Juli 2010 - Tamus/Aw 5770

Av 5770(12. Juli - 10. August 2010)

Historische Ereignisse & wichtige Tage(Bitte beachten, dass alle jüdischen Tage mit dem Sonnenuntergang des Vortages beginnen!)

Der Sommermonat Aw ist der fünfte Monat des religiösen ju�dischen Jahres, das mit dem Monat Nissan beginnt und er hatimmer 30 Tage. Es ist der einzige Monat, der im gesamten Tanach keine Erwähnung findet. Die letzte der Drei Wochen, ge -nannt Bejin HaMetzorim, zwischen dem 17. Tammus und Tischa B’Aw, beginnt mit Rosch Chodesch Aw, dem Monatsan-fang. Der Talmud (Ta’nis 29a) erklärt, dass mit dem Beginn des Monats Aw unsere Freude noch weiter reduziert wird, unddie Trauer der Drei Wochen, eine weitere Qualität annimmt (siehe Tammus 5770, in der letzten Ausgabe). In Anbetrachtder tragischen, historischen Ereignisse, die vor allem in der ersten Hälfte dieses Monats stattfanden, während wir zur Mo-natsmitte den fröhlichen Festtag Tu BeAw feiern, und entsprechend einer Meinung auch der Moschiach in diesem Monatkommen wird, nennen wir diesen Monat im liturgischen Kontext Menachem Aw (Aw der Tröstung). Und doch bleibt dasalles überschattende Ereignis dieses Monats die zweifache, jeweils am Tischa BeAw (9. Aw) stattgefundene Zerstörungdes Ersten und des Zweiten Jerusalemer Tempels, um derer wir an diesem jüdischen Nationaltrauertag durch Fasten und„Schiwe“-Sitzen trauern

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JUDENTUM

Juli 2010 - Tamus/Aw 5770 47

Schailos &Tschuwosausgewählte halachische

Fragen, beantwortet von Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister

[email protected]

FRAGE: „Meine Frau hat gestern(Montag, den 12. Juli) einen Sohn ent-bunden. Der Bris wird voraussichtlichb’zmano (Anm. d. Red.: „zu seinerZeit“, also am 8. Tag) am kommendenMontag stattfinden, d. h. Erev TishaB’Aw. Darf mein Schwiegervater, derSandek sein wird, sich rasieren bezie-hungsweise die Haare schneiden?Darf ich auch?“

ANTWORT: Anlässlich einer Brit Mi -lah, die während der Drei Wochen, alsozwischen dem 17. Tammus und TischaBeAw stattfindet, dürfen sich sowohlder Sandak, als auch der Vater des Kin -des und der Mohel die Haare schnei -den. (Lediglich der Beer Hejtiw nimmteine restriktive Haltung diesbezüglichein, siehe OC 551:3) Dies bezieht sichin jedem Fall auf die ersten beiden derDrei Wochen, beziehungsweise bis aufdie Woche vor Tischa BeAw. Es gibt je-doch eine Meinungsverschiedenheitzwischen den beiden großen aschke-nasischen Autoritäten, dem ChassamSofer einerseits, der diese Erlaubnisauch auf die Woche von Tischa BeAwausweitet (OC 128) und Rabbiner Je-cheskel Landau, bekannt als Noda Beje-hudo, der dies in der Woche von TischeBeAw ablehnt (OC 28, JD 213). Da derehemalige Wiener Oberrabbiner LaserHorowitz, sel. A., der Meinung desChas sam Sofer folgte, können wir unshier in Wien auch weiterhin daraufverlassen.

Richtigstellung: In der „Gemeinde“Ausgabe 671, wurde der Begriff „Kid-dusch“ fälschlicherweise als „Segnungdes Weins“ übersetzt. Dies stimmt sonatürlich nicht. Es ist dies die Seg-nung des Schabbes, die über den Weingesprochen wird. Ähnlich wie beieinem Bris oder bei Schewa Brochos,wobei der Segen, einer rabbinischenAnordnung folgend, über einem Be-cher Wein gesprochen wird. „Segnungvon Wein“ gibt es bei uns nicht.

10. Aw (21. Juli 2010)• Da der Tempel, den die Römer am Nachmittagdes Vortags in Flammen gesteckt hatten noch amMorgen des 10. Aw brannte, gelten die Trauer-vorschriften der Drei Wochen uneingeschränktnoch bis zum Mittag des 10. Aw.

12. Aw (23. Juli 2010)• Rabbi Mosche ben Nachman (1194-1270), derRamban - auch bekannt als Nachmanides –musste sich im Jahre 1263 auf Befehl von KönigJakob I. von Aragon, in dessen Anwesenheit,einem öffentlichen, theologischen Streitgespräch,einer sogenannten Disputation, mit dem Kon-vertiten Pablo Christiani stellen. Seine berühmtgewordene, erfolgreiche Argumentation in derVerteidigung des Judentums und der Widerlegungchristlicher Behauptungen, wurde zur Ba sis zu-künftiger Disputationen folgender Generationen.Da jedoch sein von allen als eindeutig anerkann-ter Sieg in diesem Streitgespräch, die Autoritätder Reli gi on des Königs beleidigte, musste Nach -manides aus Spanien fliehen und lies sich in Je-ruschlajim nieder.

13. Aw (24. Juli 2010)• Jahrzeit des berühmten britischen Philanthro-pen und Wohltäters Sir Moses Montefiore, der andiesem Tag vor 125 Jahren im Alter von 101, ver-starb. Er setzte sich im 19. Jahrhundert nicht nurpolitisch, sondern vor allem auch mit seinem ei-genen Vermögen für die sozialen und religiösenBedürfnisse der Juden in Europa und vor allemauch in Eretz Jisrael ein. Die von ihm als ein so-ziales Wohnungsbau-Projekt für die armen Ju dender Stadt errichtete Siedlung „Jemin Mosche“mit der bekannten Windmühle, direkt unterhalbder Jerusalemer Altstadt, trägt seinen Namen.

15. Aw (26. Juli 2010)• im Jahre 148 d. a. Z., 15 Jahre nach dem Fall vonBejtar, gaben die römischen Besatzer endlich die

Genehmigung, die vielen tausenden Toten desJahres 133 zu begraben. In ihrem Gedenkenführte der Vorsitzende des nun in der Stadt Jawnetagenden Sanhedrin, der berühmte Rabban Gam-liel, daraufhin den Segen HaTow WeHaMejtiw alsZusatz zum Tischgebet ein.

• Tu BeAw: Solange der Tempel stand, wurde jedesJahr an diesem Tag das Schlagen des für den Op-ferdienst benötigten Feuerholzes für das gesamtekommende Jahr beendet, und dieses Ereignis wur -de mit einem Freudenfest begangen, wobei dienun nicht mehr benötigten Äxte zerbrochen wurden.Außerdem nahm man die Festivitäten dieses Ta -ges zum Anlass, dass sich die unverheiratetenMädchen Jerusalems mit potentiellen Ehemännerntreffen sollten, um ihnen die Gelegenheit zu ge ben,einen Heiratspartner zu finden. Dabei trugen dieMäd chen prinzipiell nur geborgte Kleider, um so-ziale Unterschiede auf diesem Heiratsmarkt inden Hintergrund zu rücken (Talmud Ta’nis 31a).

17. Aw (28. Juli 2010)• An diesem Tag fand im Jahre 1929 das berüchtigteChewron Massaker statt, wobei 67 Juden, Kinderund Erwachsene, von massakrierenden Araberngetötet und Unzählige mehr verwundet, vergewal-tigt und verstümmelt wurden. Die zum Großteildurch freundlich gesinnte Araber beschütztenÜberlebenden flüchteten mit deren Hilfe nach Jeru-salem. Dieses Pogrom bedeutete dennoch dasEnde der Jahrhunderte alten, bis dahin weitgehendfriedlichen Koexistenz der alten jüdischen Ge -meinde von Chewron mit ihren arabischen Nach-barn, und bis 1967 sollte es keine jüdische Ge- meinde mehr in der Stadt geben.

21. Aw (1. August 2010)0• Jahrzeit von Rabbiner Chaim Soloveichik von Brisk,bekannt als Chaim Brisker, vor 92 Jahren. Er warzwei felsohne einer der bedeutendsten und heraus-ragendsten talmudischen Gelehrten der Neuzeit.

Tischa B’Aw 5770 in Jerusalem

© Abir Sultan / Flash90 / JTA

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GOTTESDIENSTE ZU DEN HOHEN FEIERTAGEN 5771/2010Wiener Stadttempel und Gemeindezentrum

EINTRITTSKARTEN

Die Ausgabe der Eintrittskarten, sowohl für den Stadttempel als auch für das Gemeindezentrum, erfolg vont:

Montag, 30. August 2010 bis Mittwoch, 8. September 2010

(Erev Rosch Haschanah)

Montag bis Donnerstag: 9.00 - 16.00 Uhr und nach VereinbarungFreitag und Erev Rosch Haschanah: 9.00 – 12.00 Uhr

in 1010 Wien, Seitenstettengasse 4 -in den Räume des MITGLIEDERSERVICE/Parterre links

Sollten Sie Ihre Karten außerhalb der Verkaufszeiten abholen wollen, ersuchen wirum telefonische Voranmeldung – dies erspart Ihnen Wartenzeiten beim Eingang!

Jene, die Stammplätze haben, werden gebeten, ihre Karten spätestens bis Mittwoch,1. September 2010 zu reservieren.Ihre Ansprechpartner sind: Natalia Najder 01/531 04-170, Sylvia Toegel, -171 undAvi Kihinashvili, -190

Gerne bringen wir an Ihrem Platz gegen Entrichtung eines Kostenbeitrages von90,00 Euro ein Namensschild an. Bitte geben Sie Ihren diesbezüglichen Wunschbei der Bestellung der Karte bekannt.

Ein Kartenkauf Ihrerseits ist ein Solidaritätsbeweis jenen gegenüber, die schon seitJahren ihren Beitrag zu den beträchtlichen Aufwendungen für die Erhaltung desStadttempels leisten. Wir bitten Sie daher, Ihrer Solidaritätspflicht nachzukommenund sich eine Eintrittskarte – auch eine Stehplatzkarte - im Tempel zu sichern!

Vielen Dank!

MASKIR-ANDACHT All jene, die über keine Eintrittskarten verfügen,

können der Maskirandacht am Jom Kippur auch ohne Eintrittskarten beiwohnen.