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Juliane Blank Literaturadaptionen im Comic

Juliane Blank Literaturadaptionen im Comic · 6 4.3 ›Strukturalistische‹ Neuorientierung und Anschluss an wissenschaftliche Disziplinen 64 4.4 Emanzipation der Comicforschung

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Juliane Blank

Literaturadaptionen im Comic

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Bildnarrative

Studien zu Comics und Bilderzählungen

Herausgegeben von Monika Schmitz-Emans und Dietrich Grünewald

Band 1

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Juliane Blank

Literaturadaptionen im ComicEin modulares Analysemodell

CH. A. BACHMANN VERLAG

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Für Erika Blank (1923–2003), die damals sagte, »»Warum studierst du denn Deutsch? Das kannst du doch schon««, und der ich furchtbar gern erklären würde, was dieses Buch soll.

Bibliographische Informationen der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright 2015 Christian A. Bachmann Verlag, Berlinwww.christian-bachmann.de

Umschlagabbildung: Alexandra Kardinar / Volker Schlecht (= Drushba Pankow): Das Fräulein von Scuderi. Eine Erzählung aus dem Zeital-ter Ludwig des Vierzehnten. Frankfurt a. M.: Büchergilde Gutenberg 2011, S. 66 (eigene Seitenzählung). Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht.

Herstellung: docupoint GmbH, BarlebenPrinted in GermanyISBN 978-3-941030-60-21. Auflage 2015

Univ.-Diss. Universität des Saarlandes, Saarbrücken 2014

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

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Inhalt

Einleitung 11

I TheorieundModell 19

1 Ein- und Abgrenzungen des Gegenstandes Literaturadaption im Comic 20

1.1 Was sind Comics? 201.2 Was sind Adaptionen? 241.3 Was sind Literaturadaptionen im Comic? 30

2 Visualisierungen literarischer Texte: Literaturadaptionen im Comic, Illustrationen und Literaturverfilmungen 35

2.1 Kurze Geschichte der Literaturadaption im Comic 362.2 Literaturadaptionen im Comic vs. illustrierte Texte 432.3 Literaturadaptionen im Comic und Literaturverfilmungen

als Symptome eines Visualisierungstrends 462.4 Zum didaktischen Einsatz von Visualisierungen literarischer Texte 50

3 Literaturadaptionen im Comic in intermedialer Perspektive 53

3.1 Literaturadaption im Comic als intermediales Produkt 543.2 Ein Medienbegriff für die intermediale Perspektive 563.3 Rückgriff vs. Transformation: Intermediale Perspektiven auf

Literaturadaptionen im Comic 57

4 Theorie(n) des Comics: Die Entwicklung der Forschung 59

4.1 Probleme der Comicforschung 604.2 Die frühe Forschung: Kampf der Pädagogen gegen

»Schmutz und Schund« 62

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4.3 ›Strukturalistische‹ Neuorientierung und Anschluss an wissenschaftliche Disziplinen 64

4.4 Emanzipation der Comicforschung 674.5 Forschung zu Literaturadaptionen im Comic 714.6 Desiderat einer systematischen Grundlagenarbeit:

Analyseinstrumentarium für Literaturadaptionen im Comic 78

5 Ein Analysemodell für Literaturadaptionen im Comic 81

5.1 Systematische Prämissen 825.2 Analysekategorie 1: Prätext 845.2.1 Kanonizität 845.2.2 Gattungsspezifika des Prätextes 855.2.3 Sprachgrenze 86

5.3 Analysekategorie 2: Oberfläche des Comics 865.3.1 Technik 865.3.2 Panelrahmung 885.3.3 ›Comic-Haftigkeit‹ bzw. realistischere vs. cartoonistischere Ästhetik 885.3.4 Leitmotive 915.3.5 Sprachgestalt 915.3.6 Intra- und intermediale Bezüge auf der Oberfläche des Comics 92

5.4 Analysekategorie 3: Handlung 945.4.1 Kürzung und Komprimierung 945.4.2 Ergänzungen 965.4.3 Handlungszeit des Comics 965.4.4 Gliederung 97

5.5 Analysekategorie 4: Figurendarstellung 1005.5.1 Anlehnung an bestimmte Typen oder konkrete Personen 1015.5.2 Mimik und Gestik 1025.5.3 Figurenspezifische formale Details 1035.5.4 Figurenspezifische Sprache 105

5.6 Analysekategorie 5: Szenerie 1055.6.1 Raumdarstellung im Allgemeinen 1065.6.2 Entwerfen von konkreten Räumen oder Landschaften 1085.6.3 Innenräume und ihre Ausstattung 108

5.7 Analysekategorie 6: Perspektivierung 1095.7.1 Einstellungsgrößen 1095.7.2 Blickwinkel 1105.7.3 Fokalisierung 1115.7.4 Verteilung des Textmaterials 114

5.8 Analysekategorie 7: Paratext 1165.8.1 Nennung von Prätext-AutorInnen, Adaptierenden, Titel und

Gattungsangaben 1175.8.2 Widmungen und Danksagungen 1195.8.3 Vor- und Nachworte 1195.8.4 Andersartige Zusatztexte 121

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5.9 Analysekategorie 8: Kontext 1235.9.1 Verlag 1235.9.2 Ausgangspunkt der Adaption 1245.9.3 Adaptierende 1255.9.5 Zielgruppe 126

5.10 Ausblick in Richtung einer Auswertung der Analyse 127

II Analyse 129

1 Eine Hamburger Geschichte der »Stunde Null«. Isabel Kreitz’ Die Entdeckung der Currywurst (1996) nach Uwe Timms gleichnamiger Novelle (1993) 134

1.1 Prätext: Bestseller – Novellenstruktur: Rahmen- und Binnenhandlung 135

1.2 Oberfläche des Comics: Detaillierte Zeichnung – Erzeugen von Atmosphäre – regional und historisch spezifische Sprache 136

1.3 Handlung: Kürzung fürs Albumformat – Ausblenden von ›heiklen‹ Themen − Ergänzung eines ›Epilogs‹ − Bedeutung der historischen Handlungszeit – regelmäßiges Layout 138

1.4 Figuren: Vereinfachung – subtile Mimik – Hamburgischer Dialekt 1431.5 Szenerie: Authentische Darstellung des zerstörten Hamburg –

Lena Brückers Wohnung als Gefängnis und als gutbürgerliches Refugium – überdeutliche Historisierung 146

1.6 Perspektivierung: Filmische Techniken – Vereinfachung der Redesituation – Ausblenden von ›Innensichten‹ 150

1.7 Paratext: Der Prätext als ›Roman‹ – Neuauflage – Dokumentation zur historischen Situation 153

1.8 Kontext: Adaption vor dem Graphic-Novel-Hype – Adaption als ›Zutat‹ – persönliches Interesse als Ausgangspunkt 154

1.9 Fazit 157

2 Postmoderner Anspielungsreigen. Chantal Montelliers und David Z. Mairowitz’ Franz Kafka’s The Trial. A Graphic Novel (2008) nach Franz Kafkas Roman Der Process (1914/15) 157

2.1 Prätext: Romanfragment mit Rahmen – Lesarten – personales Erzählverfahren 160

2.2 Oberfläche des Comics: Montage – Zerfall – hybride Ästhetik – memento mori-Symbolik – Bezüge zu vorhergehenden Adaptionen – Artemisia – Shoah-Anspielungen 163

2.3 Handlung: vage historische Welt − Begradigung – Ergänzung von Details – sexuelle Vereindeutigung – asymmetrische Gliederung – Layout-Zitat 176

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2.4 Figuren: Identifikation des Protagonisten mit dem Prätext- Autor – Anlehnung an Figurenentwürfe in Orson Welles’ Verfilmung − starre Mimik – stilisierte Gestik 181

2.5 Szenerie: Anlehnung an Orson Welles’ Raumentwürfe – flächige Raumgestaltung – Lokalisierung in Prag 186

2.6 Perspektivierung: Beschränkung der Perspektive – Darstellung von subjektivem Erleben − Umwandlung von erlebter Rede in Gedankenrede 190

2.7 Paratext: ›A Graphic Novel‹ – Thematisierung von Kafka-Lesarten – Biografie 194

2.8 Kontext: Adaptionsverlag – Kafka-Expertise – exklusive Übersetzung – Chantal Montellier als politisch orientierte Zeichnerin 195

2.9 Fazit 196

3 Blick durch die Augen des Fin de siècle. Manuele Fiors Mademoiselle Else (2009) nach Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else (1924) 197

3.1 Prätext: Wiener Moderne – Monolognovelle – pyramidaler Aufbau 1993.2 Oberfläche: Farbdramaturgie – Bezüge zur bildenden Kunst der

Jahrhundertwende – organische Panels – Leitmotiv des Todes – Einfluss der Neuübersetzung auf die allgemeine Sprachgestalt 202

3.3 Handlung: Komprimierung des Personals – Freistellen von ›Bildspuren‹ – Konkretisierungen – symmetrische Struktur – Szenenwechsel – Erzählrhythmus – ›rhetorisches‹ Layout 208

3.4 Figuren: Else als femme fatale – Mimik und Gestik als Ausdruck von Unausgesprochenem – Ausblendung der jüdischen Herkunft Elses 215

3.5 Szenerie: Semantisierte Räume – Sehnsuchtsräume – Ergänzung: Musikzimmer als Bühnenraum 218

3.6 Perspektivierung: Externalisierung – einzelne point of view-Panels – Gedankenrede – Traumzustände 222

3.7 Paratext: Die Adaption als ›Erzählung‹ – Fiors Entschuldigung an Schnitzler 226

3.8 Kontext: Fiors Verehrung für Schnitzler – Adaptionserfahrung – Adaption im romanischen Sprachraum 227

3.9 Fazit 229

4 Parodistische Übersetzung in die Gegenwart. Flix’ Faust. Der Tragödie erster Teil (2010) nach Johann Wolfgang von Goethes gleichnamigem Drama (1808) 230

4.1 Prätext: ›Klassiker‹-Status – Faust-Stoff als ›Mythos‹ – Tragödie – Stilebenen 231

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4.2 Oberfläche des Comics: Darstellungskonventionen des Funny Strips – moderne Alltagssprache – Rekontextualisierung von Goethe- Zitaten – Anspielungen auf die Unterhaltungskultur 233

4.3 Handlung: Modernisierung – Konzentration auf einen Handlungskern − ironische Brechung von Szenen − Ergänzung eines Nebenhandlungsstrangs – Umstrukturierung in sieben Kapitel 240

4.4 Figuren: Flix-Figuren – cartoonistisch überspitzte Mimik und Gestik – Mephistos ›Verkäufersprache‹ − radikale Umdeutung und Rekontextualisierung 246

4.5 Szenerie: Konkretisierung des Schauplatzes – Erfindung von Räumen: der Himmel als Großraumbüro – ›invariante Raumdarstellung‹ 250

4.6 Perspektivierung: Standardisierte Einstellungsgrößen − filmische Darstellung aktionsreicher Szenen – Außensicht: Distanz zum Geschehen 253

4.7 Paratext: Nicht-Nennung des Prätext-Autors – feuilletonistisches Vorwort – visueller Paratext: Anspielung auf Reclam-Hefte 255

4.8 Kontext: Etablierter Comic-Verlag – Faust als zweiter Versuch – Klassikeradaptionen als Zeitungsstrip – ironisches Spiel mit der Kenntnis des Prätextes 256

4.9 Fazit 259

5 Die Adaption als Collage und der Witz des Kontrastes. Alexandra Kardinars und Volker Schlechts Das Fräulein von Scuderi (2011) nach der gleichnamigen Erzählung von E. T. A. Hoffmann (1819) 260

5.1 Prätext: Serapions-Brüder – Schulkanon – verschachtelte Erzählsituation – Kriminal- und Künstlererzählung 261

5.2 Oberfläche: Knallige Farbigkeit – Flachfigurenanimation – Collage – Leitmotiv des Herzens – Populärkulturelle Anspielungen – Anachronismen – sprachliche ›Ausrutscher‹ und französisches Kolorit 266

5.3 Handlung: Erhalten der Komplexität des Prätextes – Historische Verlebendigung durch Kommentare – Dominanz des Tableaus in der Haupthandlung 277

5.4 Figuren: Historische Porträts − ›Besetzung‹ der Figuren mit SchauspielerInnen – Automaten- bzw. Puppenmotiv 282

5.5 Szenerie: Flachheit – inkompatible Perspektiven – authentische Kulisse – Versailles – historische und anachronistische Einrichtungsgegenstände 285

5.6 Perspektivierung: Eingeschränkte Ansichten – ›Archivbilder‹ – Erhaltung von Erzählerrede 288

5.7 Paratext: Integration des Prätextes – ›nouvellieren‹ und ›illuminieren‹ – Nachwort: Legitimation der Adaptionstechniken 292

5.8 Kontext: Buchkünstlerischer Verlag – Auftragswerk – ›Illustratoren‹ – Literaturadaption als künstlerisch anspruchsvolles Nischenprodukt 294

5.9 Fazit 296

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III Synthese 301

1 Von der Analyse zur Klassifikation 302

1.1 Desiderat eines angemessenen Ordnungssystems 3021.2 Ordnungsvorschläge zu Literaturadaptionen im Film 3041.3 Adaptionstechniken im Comic 3081.4 Adaptionsstrategien (nicht nur) im Comic 312

2 Häufige Strategien in Literaturadaptionen im Comic 314

2.1 Straffung und Begradigung 3162.2 Vereinfachung und Bereinigung 3182.3 Intensivierung und Vereindeutigung 3212.4 Strukturelle Aneignung 3242.5 Historisierung und Modernisierung 3282.6 Erzeugen von Empathie 3322.7 Komisierung 3372.8 Erweiterung des Bezugshorizontes 3442.9 Erhalten bzw. Erzeugen von Komplexität 3482.10 Dekonstruktion von ästhetischer Illusion 351

3 Adaptionsstrategien als Bausteine einer offenen Klassifikation 357

3.1 Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Strategien und Häufigkeit ihrer Anwendung 358

3.2 Adaptionsstrategien als Module von Adaptionen und ihrer Klassifikation 363

3.3 Anwendbarkeit und Anschlussfähigkeit einer offenen Klassifikation 367

Fazit 369

Anhang 379Übersicht über das Analysemodell für Literaturadaptionen im Comic 379Literatur 383Abbildungsverzeichnis 402

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Einleitung

Ein literarischer Text endet nicht mit seiner Publikation. Er wird (im Idealfall) nicht nur gelesen und von seinen LeserInnen1 interpretiert, sondern auch im-mer häufiger in anderen Medien aufgegriffen und für diese bearbeitet: im Film, im Theater, in der Oper oder im Ballett, im Hörspiel und im Comic.2 Rezepti-onstheoretisch können derlei Adaptionen als »Nachleben«3 literarischer Texte bezeichnet werden. Die Adaption von literarischen Texten in anderen Gattun-gen oder Medien ist kein neues Phänomen.4 Allerdings hat es etwa seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert – im Zuge der Entwicklung neuer Medien und der postmodernen Aufweichung von Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur sowie zwischen ›alten‹ (z. B. Literatur) und ›neuen‹ Medien (z. B. Film, Comic) – einen starken Schub von Literaturadaptionen in allen möglichen Medien gegeben. »Adaptation has run amok«, diagnostiziert Linda Hutcheon im Jahr 20065 und konstatiert damit eine Entwicklung, deren Beginn nicht genau zu bestimmen ist, deren Ergebnisse jedoch in der aktuellen Medienlandschaft nur allzu deutlich hervortreten. Besonders filmische Adaptionen literarischer Texte

1 | In dieser Arbeit wird eine gendergerechte Sprache verwendet. Die Variante des Binnen-I wurde aus Gründen der Lesbarkeit gewählt.

2 | Relativ neu sind Bezüge zu literarischen Texten im Computer-/Videospiel, allerdings sind diese in den seltensten Fällen als Adaptionen im strengen Sinne zu bezeichnen. Siehe zur Definition und Abgrenzung des Begriffs Kapitel I.1.3, S. 30.

3 | Auch Linda Hutcheon merkt an, dass Adaptionen ihre Prätexte nicht etwa ausbeuten, sondern ihnen vielmehr ein »afterlife« verschaffen; Linda Hutcheon: A Theory of Adaptati-on. New York / London 2006, S. 176.

4 | Linda Hutcheon weist besonders auf die viktorianische Praxis hin, »almost everything into everything« zu adaptieren; Hutcheon: Theory, S. xi (ab der zweiten Nennung eines Titels werden im Folgenden nur noch die AutorInnen und Kurztitel aufgeführt. Bei Titeldoppe-lungen wird das Erscheinungsjahr mit angegeben).

5 | Ebd.

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Einleitung

genießen große Beliebtheit und gehören mittlerweile unabdingbar zum inter-medialen »Nachleben« literarischer Texte.

Eine neuere6 Adaptionsform stellen Literaturadaptionen im Comic dar.7 Als Adaptionen im engeren Sinne werden hier nur solche Comics betrachtet, die einen literarischen Text in seiner Gesamtheit aufgreifen und nicht nur auf ein-zelne Aspekte anspielen. Auch Fortsetzungen und Vorgeschichten (sequels und prequels) werden hier der von Adaption abzugrenzenden Form der Appropri-ation zugeordnet und fallen damit aus dem eigentlichen Gegenstandsbereich dieser Untersuchung heraus.8

Es ist nicht zu leugnen, dass Literaturadaptionen im Comic so etwas wie einen Trend darstellen. Diese Entwicklung ist maßgeblich an den ›Hype‹ um den Comic unter der Fahne des Graphic-Novel-Begriffs gebunden, von dem die Literaturadaption im Comic in mehrfacher Hinsicht profitiert hat. In den letzten zehn Jahren hat sich zunehmend ein internationaler Markt für Litera-turadaptionen im Comic etabliert. Fast jeder Comicverlag bedient auch dieses Genre, einige organisieren Literaturadaptionen in eigenen Publikationsreihen. Im Jahr 2007 wurde in England sogar ein Verlag gegründet, der zunächst aus-schließlich auf Literaturadaptionen im Comic spezialisiert war. Eine weitere Bestätigung des ›Hypes‹ ist in der Tatsache zu sehen, dass Verlage, die bisher keine Comics veröffentlicht haben, ebenfalls Literaturadaptionen im Comic in ihr Angebot aufnehmen – offensichtlich in der Hoffnung darauf, von einem Trend sowohl finanziell profitieren als auch ihr Image aufbessern zu können.

Literaturadaptionen im Comic haben sich zu einer vielseitigen und reich-haltigen Form der intermedialen Adaption von literarischen Texten entwickelt. Wenn die Literaturwissenschaft mit den Entwicklungen Schritt halten will, muss sie sich auch mit dem zunehmend breiten Spektrum von intermedialen Adaptionen als Teil des »Nachlebens« von literarischen Texten auseinanderset-zen. Irina O. Rajewsky stellt in ihrem Grundlagenwerk Intermedialität (2002) fest, dass es für die Literaturwissenschaft, wenn sie »zeitgemäß« sein will, un-abdingbar ist, sich mit intermedialen Phänomenen zu beschäftigen, »will sie sich mit literarischen Erscheinungsformen (nicht nur) der Gegenwart ausei-nandersetzen und diese im Kontext kultureller und geistiger Phänomene der

6 | Neuer sind Literaturadaptionen im Comic im Vergleich mit Literaturverfilmungen, die seit den Anfängen des Mediums existieren. Dagegen haben sich Literaturadaptionen im Comic, der als Medium ebenfalls in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts entstand, erst in den 1940er Jahren als Gattung etabliert.

7 | Dieser Begriff wird hier unpräziseren wie »Literaturcomic« oder »Comicadaption« vorge-zogen. Siehe zur Begriffswahl Kapitel I.1.2, S. 24–27.

8 | Siehe dazu im Detail Kapitel I.1.3, S. 30.

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Einleitung

Zeit begreifen«.9 Unter dieser Prämisse stellt sich die Frage, wie die Literatur-wissenschaft mit diesem Phänomen umgehen kann.

Ein Blick auf die Forschung zum Thema Literaturadaptionen im Comic zeigt, dass bisher hauptsächlich Beiträge vorliegen, die einzelne Adaptionen im Detail vorstellen und das Verhältnis zu ihren jeweiligen Prätexten, d. h. den literarischen Texten, auf die die Adaptionen sich beziehen,10 zu klären suchen. Um zu allgemeineren, fundierten Aussagen über das Adaptionsphänomen zu kommen, ist es notwendig, die Ergebnisse solcher Einzelbeobachtungen zu ordnen und sie abstrahierend zusammenzufassen. Nur so ist es möglich, auf eine Stufe der Theoretisierung zu gelangen, die beispielsweise die Forschung zu Literaturverfilmungen bereits erreicht hat − und mit der sie wissenschaftlich anschlussfähig wurde. Zu diesem Zweck wurden bereits vereinzelt Versuche vorgestellt, das scheinbar unüberschaubare Feld der Literaturadaptionen im Comic nach Arten bzw. Typen zu ordnen. Ansätze zu einer Typologie wurden z. B. von Dietrich Grünewald in seinem Aufsatz Zwischen banal und kongenial. Literarische Stoffe als Comic erzählt (2000) und von Monika Schmitz-Emans in ihrer Monografie Literatur-Comics. Adaptationen und Transformationen der Weltliteratur (2012) entwickelt.

Die bisherige Forschung hat somit das Gebiet der Literaturadaption im Comic bereits grundlegend ausgemessen und erste Schritte in Richtung einer Theoretisierung gemacht. Es gibt jedoch ein fundamentales Defizit, das bisher nicht in Angriff genommen wurde: Noch deutlicher als in den Einzelanaly-sen tritt in den Forschungsbeiträgen mit typologischem Ansatz das Fehlen eines speziellen Analyseinstrumentariums für Literaturadaptionen im Comic zutage. Bisher gibt es einfach kein überzeugendes Modell, mit dem sich Lite-raturadaptionen im Comic sinnvoll beschreiben lassen. Es ist jedoch nicht hin-reichend, eine Literaturadaption im Comic nur als Comic zu analysieren und erst im Nachhinein zu fragen, wie sich dieser zum adaptierten Prätext verhält. Vielmehr ist die Anwendung von Techniken immer schon in Bezug darauf zu bestimmen, was durch sie mit dem Prätext ›geschieht‹. Wenn nicht einmal ein überzeugendes Analysemodell vorliegt, dann fehlt jeglichen typologischen Ansätzen die Basis, auf der sich Kriterien für die Unterscheidung von Arten oder Typen von Literaturadaption im Comic ansetzen ließen.

Diese Untersuchung konzentriert sich ebenfalls auf die Frage, welche Ar-ten von Literaturadaptionen im Comic es gibt und wie sich diese bestimmen lassen – wenn sie auch in den ersten zwei Dritteln des Buches scheinbar in den Hintergrund treten muss. Denn wie soeben dargelegt wurde, ist es notwendig,

9 | Irina O. Rajewsky: Intermedialität. Tübingen 2002, S. 2.

10 | Ich verwende den Begriff »Prätext«, weil er im Gegensatz zu Begriffen wie »Original« oder »Vorlage« lediglich eine Vorgängigkeit und keine hierarchische Abfolge impliziert.

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Einleitung

zunächst ein Analyseinstrumentarium für Literaturadaptionen im Comic zu entwickeln, auf dessen Basis sich dann Aussagen zu Arten dieser Adaptions-form treffen lassen. Vornehmliches Ziel der Untersuchung ist somit die Ent-wicklung zweier Methoden, die eng miteinander verbunden sind:

Erstens soll ein praktikables, einfaches Analysemodell vorgestellt werden, das sowohl dem Ausgangs- als auch dem Zielmedium gerecht wird und das es ermöglicht, Literaturadaptionen im Comic differenziert zu beschreiben und Adaptionstechniken zu erfassen.

Zweitens soll exemplarisch gezeigt werden, wie über die Zuschreibung von Adaptionsstrategien die tatsächliche ›Leistung‹ einer Literaturadaption im Co-mic bestimmt werden kann, die wiederum die Basis einer offenen Klassifika-tion darstellt.

Es ist in einer solchen Untersuchung notwendig, einen gewissen Pluralis-mus der Ansätze und Vorgehensweisen nicht nur zu akzeptieren, sondern be-wusst seine Vorteile auszunutzen. Wie Heer und Worcester in der Einleitung zu ihrem Comics Studies Reader (2009) feststellen, ist die beste Comicforschung inzwischen als eklektisch zu bezeichnen11 – aber sie ist es noch immer nicht genug. Zu wenig wurden bisher Ergebnisse der Forschung zu anderen Ad-aptionsformen daraufhin überprüft, ob sie auch für Literaturadaptionen im Comic fruchtbar gemacht werden könnten. Hier wird jedoch vor allem die Forschung zu Literaturverfilmungen immer wieder zu Rate gezogen – allein schon, um ihre Fehler nicht zu wiederholen.12 Für das Analysemodell werden jedoch auch Erkenntnisse anderer Forschungsrichtungen fruchtbar gemacht: Neben der Comicforschung13 und der Literaturwissenschaft sind dies vor al-lem Film- und Kunstwissenschaft, aber auch Forschungsbeiträge zu theatralen Inszenierungen.

Eine solche Untersuchung kann nur auf der theoretischen Basis der In-termedialitätstheorie stattfinden, die eigentlich keine Theorie ist, sondern eine Perspektive.14 Als solche kann sie Wesentliches dazu beitragen, den Status

11 | Vgl. Jeet Heer / Kent Worcester: Introduction. In: Dies. (Hg.): A Comics Studies Rea-der. Jackson 2009, S. XI–XV, hier S. XI.

12 | Zu diesen Fehlern ist vor allem die jahrzehntelange Ausrichtung am »Werktreue«-Pa-radigma zu zählen. Siehe vertiefend Kapitel I.1.2, S. 29.

13 | Auch hier werden eher Beobachtungen aus verschiedenen Quellen zusammengetragen als dass die Arbeit einer bestimmten ›Schule‹ folgen würde. Es kann ausschließlich For-schung berücksichtigt werden, die in deutscher, englischer oder französischer Sprache vor-liegt. Maßgeblichen Einfluss auf die hier vorgestellten Thesen zu Adaptionstechniken im Comic hatten z. B. Martin Schüwers Dissertation Wie Comics erzählen (2008), aber auch die Überlegungen von Thierry Groensteen und Benoît Peeters.

14 | Vgl. Jürgen E. Müller: Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Kon-zept. Einige Reflexionen zu dessen Geschichte. In: Jörg Helbig (Hg.): Intermedialität. The-

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Einleitung

der Literaturadaption im Comic als Adaption präzise zu bestimmen und den medienvergleichenden Ansatz theoretisch zu stabilisieren. Um die größeren Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren und die Ergebnisse dieser Untersuchung auf höherer Ebene anschlussfähig zu machen, wird hier auch immer wieder auf Studien zurückgegriffen, die medienunabhängig adaptions-theoretisch vorgehen.15 Literaturadaptionen im Comic stellen nur eine Adapti-onsform unter vielen dar und es wird der zukünftigen Forschung obliegen, das Verhältnis zwischen den einzelnen Adaptionsformen genauer zu bestimmen.

Im Laufe der Untersuchung wird festzustellen sein, dass noch in beträcht-lichem Umfang methodische Vorarbeit notwendig ist, bevor die scheinbar so einfache Frage, was für Arten (oder Typen) von Literaturadaptionen im Comic es gibt, überhaupt gestellt werden kann. Vor allem ist ein Analysemodell er-forderlich, das es erlaubt, differenziert zu beschreiben, was in Literaturadapti-onen im Comic mit dem Prätext ›passieren‹ kann. Dieses Analysemodell muss die verschiedenen Ebenen einer Literaturadaption im Comic berücksichtigen und für jede dieser Ebenen eine Art Fragenkatalog bzw. eine ›Checkliste‹ be-reitstellen, deren Abarbeiten am Gegenstand differenzierte Ergebnisse über konkrete Literaturadaptionen im Comic bereitstellt. Des Weiteren wird sich zeigen, dass die bisherigen Vorschläge, wie das Feld der Literaturadaptionen im Comic zu ordnen sei, aus mehreren Gründen als unzureichend abzuleh-nen sind: 1) aufgrund mangelnder Systematik und Transparenz, 2) wegen der sehr ungünstigen Auswahl des Unterscheidungskriteriums dieser Typen, und 3) weil die Methode der Typologie nicht unbedingt die geeignetste ist, da ein derartig stark abstrahierendes Vorgehen dem Gegenstand nicht angemessen ist. Besser geeignet erscheint eine offene Klassifikation. Zur Entwicklung die-ser Klassifikationsmethode ist es sinnvoll, die Forschung zu filmischen Adap-tionen heranzuziehen, die wesentlich gegenstandsnäher arbeitet und bei der Bestimmung von Adaptionsarten oder -typen häufig bei der Adaptionsleis-tung ansetzt. Diese ›Leistung‹ wird für die Literaturadaption im Comic über Adaptionstechniken und -strategien zu bestimmen sein.

Diese Untersuchung ist in drei Hauptteile gegliedert: I) Theorie und Mo-dell, II) Analyse und III) Synthese. Im ersten Kapitel von Teil I wird zunächst definiert, was in dieser Arbeit unter »Comic« zu verstehen ist, um dann die Begriffe »Adaption« und »Literaturadaption im Comic« nach Begriffsumfang und -inhalt zu bestimmen.16 In Kapitel 2 wird Literaturadaption im Comic

orie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin 1998, S. 31–40, hier S. 37.

15 | Vor allem Hutcheon: Theory und Julie Sanders: Adaptation and Appropriation. Lon-don / New York 2006.

16 | Hier wird auch »Adaption« von verwandten Bearbeitungsverfahren wie »Appropriati-on« abgegrenzt.

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Einleitung

als kulturelles Phänomen im Rahmen eines Visualisierungstrends verortet und die Hintergründe seines Auftretens geklärt. Das dritte Kapitel befestigt die theoretische Basis, auf der jede Arbeit zu Adaptionen steht: Es bietet ei-nen kritischen Überblick über die Intermedialitätstheorie und erläutert ihren Nutzen für den Gegenstand dieser Arbeit. Auf dieser Basis bietet Kapitel 4 schließlich einen Forschungsüberblick, der die relativ schmale Forschung zu Literaturadaptionen im Comic als ein Teilgebiet − man könnte auch sagen: als ein Nebenprodukt − der interdisziplinären Comicforschung vorstellt. Bei der Auswertung der bisherigen Forschungsergebnisse tritt der eklatante Mangel an Systematik und Transparenz bei der Analyse von Literaturadaptionen im Comic und ihrer Ordnung zutage. Dieses Defizit wird in Kapitel 5 behoben, indem ein umfassendes, differenziertes, aber dennoch gegenstandsnahes und fächerübergreifend handhabbares Analysemodell für Literaturadaptionen im Comic entworfen wird. Dieses Analysemodell beinhaltet Analysekategorien mit einer variierenden Anzahl von Unterkategorien: 1) Prätext, 2) Oberfläche des Comics, 3) Handlung, 4) Figurendarstellung, 5) Szenerie, 6) Perspektivie-rung, 7) Paratext und 8) Kontext.

In Teil II wird an ausgewählten Literaturadaptionen im Comic exempla-risch die Anwendbarkeit dieses Modell demonstriert. Das Korpus besteht hier aus fünf Adaptionen aus den Jahren 1996 bis 2011, an denen sich ein breites Spektrum an Produktionsbedingungen und Adaptionstechniken aufzeigen lässt. Hier werden ausschließlich Adaptionen deutschsprachiger, größtenteils kanonischer Prätexte von verschiedenen Autoren untersucht, die teilweise auf Übersetzungen des Prätextes in andere Sprachen basieren (hier Englisch und Französisch).17 Die Aufnahme einer Adaption aus der Zeit vor dem Graphic-Novel-Hype ermöglicht es auch, anzudeuten, welche Entwicklungen die Ad-aptionsform nach der Jahrtausendwende erfahren hat und welche Adaptions-techniken sich im Zuge des ›Hypes‹ etablieren konnten. Allerdings werden ausschließlich Adaptionen berücksichtigt, die dem westlichen Kulturkreis zu-zurechnen sind. Asiatische Adaptionstraditionen werden hier − in Ermange-lung der Kenntnis asiatischer Sprachen und Kulturen − vollständig ausgeblen-det, wenngleich sich auch dort Adaptionen von Werken des westlichen Lite-raturkanons und sogar speziell der deutschsprachigen Literatur finden lassen.18

17 | Die fremdsprachigen Adaptionen werden im Original untersucht und zitiert. Wenn möglich, werden (Rück-)Übersetzungen der Adaptionen ins Deutsche zu Rate gezogen. Die Frage, welche Übersetzung des Prätextes verwendet wurde, wird im Analysemodell berück-sichtigt.

18 | Siehe z. B. Schmitz-Emans zu den Faust-Adaptionen und -Appropriationen des japani-schen Zeichners Osamu Tezuka; Monika Schmitz-Emans: Literatur-Comics. Adaptationen und Transformationen der Weltliteratur. In Zusammenarbeit mit Christian A. Bachmann. Berlin / Boston 2012, S. 302–318.

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In Teil III kehren wir schließlich, nachdem alle nötigen Vorarbeiten geleis-tet sind, zur Kernfrage zurück: Wie lassen sich Arten von Literaturadaptionen im Comic bestimmen? Im Rahmen dieser Untersuchung heißt dies auch, zu fragen: Wie können die Ergebnisse der Beispielanalysen in einer Art und Weise ausgewertet werden, dass sie nicht nur Erkenntnisse über eine konkrete Adap-tion bereitstellen, sondern zu einem größeren Erkenntnisgewinn über Literatu-radaptionen im Comic als Adaptionsform beitragen? Auch hier muss zunächst eine Methode entwickelt werden. Nachdem in Kapitel 1 auf der Basis der bisherigen Ergebnisse noch einmal vorgeführt wird, wie dringlich das hier in Angriff genommene Forschungsanliegen ist, ist noch einmal nach bereits vor-handenen Vorschlägen der Forschung zu fragen. Da die typologischen Ansätze aus dem Gebiet der Comicforschung jedoch substantielle methodische Mängel aufweisen, wird der Fokus hier auf Beiträge zu Literaturverfilmungen erwei-tert. Besonders Wolfgang Gasts Ideen zur Basis einer Klassifikation von Lite-raturadaptionen werden hier aufgegriffen und weiterentwickelt: Als Basis einer Klassifikation ist die »Transformationsleistung«19 der Adaption anzusetzen, die jedoch nicht quantitativ, sondern qualitativ bestimmt werden muss. Zu diesem Zweck sind systematisch Adaptionstechniken (d. h., die konkreten Mittel des Comics, die in einer Adaption zum Einsatz kommen) und die ihnen überge-ordneten, bzw. hinter ihnen stehenden Adaptionsstrategien zu unterscheiden.

Im zweiten Kapitel werden exemplarisch zehn zentrale Adaptionsstrategi-en bzw. Strategiengruppen vorgestellt, die in den Beispielanalysen zu ermitteln sind. Ihr Auftreten ist allerdings keineswegs auf die Adaptionen im Analy-sekorpus beschränkt. Hier werden erstmals Beobachtungen zu Verfahren der ›Bearbeitung‹ literarischer Texte in verschiedenen Medien auf einer höheren Ebene als Adaptionsstrategien zusammengefasst und benannt. Anhand von Beispielen aus den Einzelanalysen werden jeweils Prinzipien der Strategie, ihre Ausprägungen, sowie Kontexte ihres Auftretens diskutiert.

Im dritten und letzten Kapitel ist schließlich danach zu fragen, mit welcher Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit die festgestellten Strategien in Literatu-radaptionen im Comic auftreten. Dabei wird deutlich, dass sich so etwas wie ›klassische‹ Strategien ermitteln lassen, zu denen seit der Jahrtausendwende neue, tendenziell reflektierende und sogar dekonstruierende Strategien hin-zugekommen sind. Es ist jedoch nicht möglich, typische Kombinationen von Strategien festzuhalten und somit Auftrittswahrscheinlichkeiten vorherzusa-gen. Vor diesem Hintergrund wird in Kapitel 3 die Rolle bestimmt, die Ad-aptionsstrategien zukommt: Sie können als Module betrachtet werden − und zwar sowohl als Module der Adaption als auch ihrer Klassifikation. So lassen sich Literaturadaptionen im Comic gewinnbringend als Strategienbündel klas-

19 | Wolfgang Gast: Grundbuch Film und Literatur. Frankfurt a. M. 1993, S. 49.

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sifizieren. Diese Vorstellung ist der allzu vereinfachenden eines einzigen, über-geordneten Konzepts, das ComicforscherInnen wenig sinnvoll als »Intention« oder »Motivation« zu fassen versucht haben, vorzuziehen. In einem allerletz-ten Schritt wird schließlich die Anwendbarkeit und Anschlussfähigkeit einer solchen offenen Klassifikation erörtert, die besonders durch ihre Flexibilität und Erweiterbarkeit geeignet ist, mit der fortschreitenden Entwicklung der Literaturadaption im Comic und anderer Adaptionsformen Schritt zu halten.

Die Untersuchung zielt keinesfalls darauf ab, ein Forschungsgebiet ab-zuschließen, eher ist sie bemüht, mit einer systematischen Untersuchung von Literaturadaptionen im Comic die Basis einer übergreifenden Adapti-onsforschung zu befestigen. Sie stellt vor allem Modelle und Methoden für den Umgang verschiedener Forschungsrichtungen mit dem Phänomen Li-teraturadaption im Comic bereit und will als Aufforderung zur Anwendung und Überprüfung der hier vorgestellten Instrumente verstanden werden. Der Schwerpunkt liegt ausdrücklich nicht auf der Vorstellung konkreter Adaptio-nen − auch wenn dies natürlich en passant geschieht −, sondern darauf, an sehr verschiedenen Beispielen zu zeigen, wie Literaturadaptionen im Comic so zu analysieren und zu ordnen sind, dass die Ergebnisse auch in einem größeren Forschungskontext anschlussfähig sind.

Für ihre Unterstützung während der Entstehung dieser Dissertation, aber auch ihre Kritik ist einigen Menschen zu danken. Der größte Dank gebührt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Manfred Engel, der sich für das Thema dieser Arbeit begeistern konnte und immer wieder zur richtigen Zeit die richtigen Fragen stellte. Von unseren konstruktiven Gesprächen haben sowohl ich als auch meine Arbeit sehr profitiert. Und letztendlich bin ich, Manfred Engel zuhörend und lesend, wohl doch so etwas wie seine Schülerin geworden. Zu danken ist auch meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Dirk von Petersdorff, der sich trotz allem Zeit für die Arbeit nahm.

Meinen Eltern ist zu danken für das uneingeschränkte, mein eigenes häufig übertreffende, Vertrauen in die Fähigkeiten und Talente ihrer Tochter. Gesche Roy hat einige Male entscheidend die Perspektive zurechtgerückt und ener-gisch Zweifel abgewehrt. Ewig dankbar bin ich schließlich dem Mann, der im Gegensatz zu mir immer wusste, dass eines Tages alles fertig und gut sein wird und der im entscheidenden Moment das Wort »Modul« sagte.