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Department Aquatic EcotoxicologyDepartment Aquatic Ecotoxicology
Ökotoxikologische Bedeutung von ArzneistoffenJörg Oehlmann
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Fachbereich Biowissenschaften, Institut für Ökologie, Evolution und Diversität
www.bio.uni-frankfurt.de/ee/[email protected]
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Übersicht zum Vortrag
• Problemstellung
• Besonderheiten von Arzneistoffen
• Grundzüge der ökotoxikologischen Bewertung
• Fallbeispiele:
Steroide: Ethinylestradiol
Analgetika: Diclofenac
Psychopharmaka: Carbamazepin
• Fazit
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Problemstellung
• Arzneistoffe werden seit 1970 regelmäßig in Wasserproben bei Analysen vorgefunden
• Von 65 untersuchten Wirkstoffen65 untersuchten Wirkstoffen wurden im Rhein-Main-Gebiet von Thomas Ternes nachgewiesen:
59 in Kl59 in Klääranlagenablranlagenablääufenufen (gereinigtes Wasser) in Konzentrationen bis zu mehreren µg/L
40 in Oberfl40 in Oberfläächengewchengewäässernssernin Konzentrationen im unteren µg/L-Bereich
9 im Trinkwasser9 im Trinkwasser von Wiesbaden im ng/L-Bereich (z.B. Carbamazepin, Clofibrinsäure, Ibuprofen)
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Wirkungsoptimiert und ohne Wirkung?
• Arzneistoffe treten in allen Umweltkompartimentenauf
• Eigenschaften lassen negative Umweltwirkungen erwarten:
optimierte biologische AktivitAktivitäätt
leichte AufnahmeAufnahme
geringe AbbaubarkeitAbbaubarkeit
• Wenige Effekte im umweltrelevanten Bereich ermittelt
Kein Risiko oder unzureichende Datenbasis?Kein Risiko oder unzureichende Datenbasis?
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Besonderheiten von Arzneistoffen
• Ökotoxikologisch relevante Charakteristika eines "guten", oral verabreichten Arzneimittels:
WirksamkeitWirksamkeit:
Stabilität bei der Lagerung
Beständigkeit gegenüber enzymatischem Abbau
EffektivitEffektivitäätt:
erwünschter Effekt bei niedriger Dosis
rasche Aufnahme
SpezifitSpezifitäätt:
keine oder vernachlässigbare Nebenwirkungen
große therapeutische Breite
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Besonderheiten von Arzneistoffen (Forts.)
•• UmfUmfäängliches Wissenngliches Wissen aus der Arzneistoffentwicklung mit pharmakokinetischen und –dynamischen Daten
• Verwendbarkeit für die ökotoxikologische Bewertung:
Vorhersage der Effekte auf WirbeltiereWirbeltiere möglich
Effektprognose für MikroorganismenMikroorganismen, PrimPrimäärprorpro--duzentenduzenten und Wirbellose Wirbellose problematisch
•• MetabolitenbildungMetabolitenbildung mit unbekannten Effekten
• Mehrere Arzneistoffe können das gleiche Zielmolekül haben: CocktailproblematikCocktailproblematik und Effektaddition
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Silva et al. (2002): ES&T 36, 1751-1756
• Cocktaileffekte – "something from nothing":
Besonderheiten von Arzneistoffen (Forts.)
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
• Cocktaileffekte – Beispiel β-Blocker:
Besonderheiten von Arzneistoffen (Forts.)
Schwätter et al. (2007): Water Sci. Technol. 56, 9-13.
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Bewertung von Humanarzneistoffen
•• BasisBasis: Richtlinien 2004/27/EG und EMEA/CHMP/SWP/ 4447/00, analog zu Industriechemikalien (REACH)
• Besonderheit:
Phase 1Phase 1: ExpositionsabschätzungPhase 2Phase 2: Umweltverhalten & Wirkungen, nur wenn
PEC > 10 ng/L oder spez. Wirkmechanismen,die Effekte unter 10 ng/L erwarten lassen
In Phase 2:
Stufe AStufe A: Grunddaten, dominiert von KurzzeittestsKurzzeittests
Stufe BStufe B, falls Stufe A mögliche Umweltgefahren ergibt:weiterführende Biotests, Sedimentanreicherung, Adsorption an Belebtschlamm, Bioakkumulation
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Ableitung von Wirkschwellen
• Nulleffektkonzentrationen (PNECPNEC – predicted noeffect concentration) für Substanzbewertung
• Umweltqualitätsnormen (EQSEQS – environmental quality standard) für Gewässer
• Vergleichbare AbleitungAbleitung von PNEC und EQS:
Ökotoxikologische EffektdatenEffektdaten aus Tests: ECX oder NOEC
SicherheitsfaktorenSicherheitsfaktoren: 1000 bis 10, abhängig von Qualität und Quantität der Effektdaten
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Ableitung von Wirkschwellen: Beispiel EE2
• Niedrigstes Wirkdatum aus der Testung von 17α-Ethinylestradiol (EE2):
NOEC = 0,3 ng/LNOEC = 0,3 ng/L (Befruchtungsrate, 2-Generationentest mit Danio rerio, Wenzel et al. 1999)
• Ableitung von PNECPNEC und EQSEQS:
= = 0,03 ng/L0,03 ng/LNOEC
Sicherheitsfaktor0,3 ng/L
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
EE2-Effekte bei Fischen
• Keine Männchen und keine Reproduktionkeine Reproduktion beiDickkopfelritzen bei > 1 ng EE2/L> 1 ng EE2/L:
keine Mkeine Mäännchen nnchen und kein Ablaichen kein Ablaichen bei 3,2 bis 32 ng EE2/L
0
20
40
80
100
*
C SC 0.32 0.96
60
***
EE2 [ng/L]
Sch
lupf
erfo
lg [
%]
Parrott & Blunt (2005): Environ. Toxicol. 20, 131-141
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
EE2-Effekte bei Fischen (Forts.)
• Populationszusammen-bruch von Dickkopf-elritzen in einem wholewhole lakelake experimentexperimentin Kanada bei 5 ng/L 5 ng/L EthinylEthinylööstradiolstradiol, dem Wirkstoff derAntibabypille +EE2+EE2
+EE2+EE2
+EE2+EE2
Kidd et al. (2007): PNAS 104, 8897-8901
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
EE2-Effekte bei Wirbellosen
• Individuenzahl bei Lumbriculus variegatus:
C 0,0006 0,003 0,16 0,8 40
10
20
30
40signifikant vs. C(ANOVA mit Dunnett, p < 0,01)
EE2-Konzentration [mg/L]
Zahl
der
Wür
mer
[Mw
± SD
]
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
EE2-Effekte bei Wirbellosen
• Embryonenzahl bei Potamopyrgus antipodarum:
C SC 1 5 25 100 5000
5
10
15
20
25 signifikant vs. SC(ANOVA mit Dunnett's, p < 0.01)
EE2-Konzentration [ng/L]
Embr
yone
nzah
l [M
w ±
SD
]
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Diclofenac-Effekte bei Fischen
• Schäden an NierenNieren, Kiemen und Leber bei ≥≥ 1 1 µµg/Lg/Ldurch das Analgetikum
• Beispiel Niere: ProteinanreicherungProteinanreicherung, EpitheldegenerationEpitheldegenerationund Proliferation Proliferation des Interstitiums
Schwaiger et al. (2004): Aquatic Toxicol. 68, 141-150
Oncorhynchus mykiss, Kontrolle O. mykiss, 100 µg Diclofenac/L
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Diclofenac-Schwellenwerte: Fallstudie Schweiz
• 224 KA als BelastungsschwerpunkteBelastungsschwerpunkte:
Ort et al. (2009): ES&T 43, 3214-3220
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Carbamazepin als weiteres Beispiel
•• AnwendungAnwendung:
Antiepileptikum
Depressionstherapeutikum
Opiat- und Alkoholentzug
•• JJäährliche Verschreibungsmengehrliche Verschreibungsmenge (nur D): 80 t
• Charakterisierung des UmweltverhaltensUmweltverhaltens:
Maximalkonzentration:im gereinigten Abwasser: 6,3 µg/Lim Rhein: 2,1 µg/Lin Sedimenten: 50 µg/kg
Elimination in Kläranlagen: weniger als 7%
N
O NH2
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Carbamazepin-Effekte bei Zuckmücken
• Vollständige EntwicklungsblockadeEntwicklungsblockade:
Oetken et al. (2005): Arch. Environ. Contam. Toxicol. 49, 353-361
SC
0102030405060708090
100
series Iseries III
0.01 0.1 1 10
EC50
0,210,16
Carbamazepin-Konzentration [mg/kg TS]
Emer
genz
[%, M
w±
SEM
]
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Carbamazepin als Umweltrisiko?
• Die Ergebnisse für CBZCBZ ergeben Hinwiese auf ein nicht mehr akzeptables Risiko:
Bewertung für das Kompartiment Sediment:
Ermittelte Umweltkonzentrationen:MECSediment = 50 µg/kg
Wirkschwelle in Labortests:EC10 = 113 µg/kg
Abgeleitete sichere Umweltkonzentration:PNECSediment = 2,27 µg/kg
Risikoquotient:Risikoquotient:MEC/PNECMEC/PNEC--Quotient = 22,0Quotient = 22,0
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
PNEC und EQS für Arzneistoffe
Substanz PNEC bzw. EQS
[µg/L] 90-Perzentil in KA-Abläufen [µg/L]*
Ethinylestradiol 0,00003 n.d. – 0,002 Diclofenac 0,1 0,96 – 4,0
Carbamazepin 0,5 0,94 – 1,6 Atenolol 33,4 0,43 – 0,99
Metoprolol 7,9 1,1 – 1,6 Bisoprolol 0,7 0,11 – 0,26
Sotalol 0,7 1,2 – 2,0 Propranolol 0,7 n.d. Ibuprofen 7,1 n.d. – 0,41
Clofibrinsäure 0,1 n.d. – 0,14
* Daten für 3 deutsche KA (Schwätter et al. 2007 Water Sci. Technol. 56, 9-13)
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Fazit
• Arzneistoffe sind in der Umwelt weit verbreitetweit verbreitet, ihre Effekte aber unzureichend charakterisiertunzureichend charakterisiert
•• BesonderheitenBesonderheiten der Arzneistoffe werden bisher bei der ökotoxikologischen Testung zu wenig zu wenig berberüücksichtigtcksichtigt (vgl. Kurzzeittests, Cocktail-und Metabolitenproblematik)
• Für die Mehrzahl der wenigen, umfangreich getesteten Arzneistoffe gibt es Hinweise auf Effekte bei umweltrelevanten KonzentrationenEffekte bei umweltrelevanten Konzentrationen
• Daraus ergibt sich die generelle Notwendigkeit Notwendigkeit von Risikominderungsstrategienvon Risikominderungsstrategien
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Ökotoxikologische Bedeutung von Arzneistoffen
Mein Dank gilt:
• Axel Magdeburg, Gerrit Nentwig, Matthias Oetken, Ulrike Schulte-Oehlmann und Daniel Stalter
• Olaf Dittberner, Gabi Elter und Simone Ziebart für die technische Unterstützung
• zahlreichen Studierenden an der Goethe-Universität für die Mitarbeit in den Projekten
• für die finanzielle Förderung:
Europäische Union (EU-Projekte CONCRETE, COMPRENDO und NEPTUNE)
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Umweltbundesamt Dessau (UBA)