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Seite 1/25 Rechtswissenschaftliches Institut Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie Prof. Dr. iur. Sarah Summers Dozierende: Prof. Dr. iur. Sarah Summers Prof. Dr. iur. Stefan Heimgartner PD Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel Dr. iur. Omar Abo Youssef Dr. iur. Roberta Arnold Dr. iur. Andreas Eckert PD Dr. iur. Damian Graf Übungen im Strafrecht und Strafprozessrecht Frühjahrssemester 2019 Montag, 16:15-18:00 Uhr / Dienstag, 16:15-18:00 Uhr Bitte beachten Sie folgende Hinweise: Die Sachverhalte können als Fallbearbeitung schriftlich gelöst werden. Erforder- lich ist hierzu eine Anmeldung über OLAT. Die Einschreibung ist ab Dienstag, 18. Dezember 2018, 10:00 Uhr, möglich. Die Anzahl Anmeldungen pro Fall ist beschränkt. Die Fallbearbeitung ist dem Bereich öffentliches Recht im weiteren Sinne zugeordnet. Die einzelnen Fälle werden jeweils in zwei Doppelstunden besprochen (vgl. «Zeitplan und Gruppeneinteilung»). Die Dozierenden bleiben hierbei über das gesamte Semester hinweg in dem Hörsaal, der ihnen gemäss VVZ zugewiesen ist. Die Angaben werden darüber hinaus auf der Homepage des Lehrstuhls Summers aufgeschaltet, sobald die Hörsäle feststehen. Die Fallbearbeitung darf maximal 20 Seiten (exklusiv Deckblatt, Sachverhalt, Verzeichnisse sowie Eigenständigkeitserklärung) bei Schriftgrösse 12 mit der Schriftart «Times New Roman» und einem Zeilenabstand von 1,5 umfassen. Ausführungen, die diesen Rahmen überschreiten werden nicht korrigiert. Zu- dem muss rechts ein Korrekturrand von 3.0 cm vorhanden sein. Dem Deckblatt müssen die Personalien der oder des Studierenden (Name, Vorname, Adresse, Semester, Matrikelnummer) sowie die Bezeichnung der Lehrveranstaltung ent- nommen werden können. Am Ende der Fallbearbeitung muss eine von der Ver- fasserin oder dem Verfasser eigenhändig unterschriebene Erklärung mit fol- gendem Wortlaut angebracht werden: «Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende schriftliche Arbeit selbständig und nur unter Zuhilfenahme der in den Verzeichnissen oder in den Anmerkungen genannten Quellen angefertigt habe. Ich versichere zudem, diese Arbeit nicht bereits anderweitig als Leistungsnachweis verwendet zu haben. Eine Überprü- fung der Arbeit auf Plagiate unter Einsatz entsprechender Software darf vorge- nommen werden.»

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Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und

Kriminologie

Prof. Dr. iur. Sarah Summers

Dozierende:

Prof. Dr. iur. Sarah Summers

Prof. Dr. iur. Stefan Heimgartner

PD Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel

Dr. iur. Omar Abo Youssef

Dr. iur. Roberta Arnold

Dr. iur. Andreas Eckert

PD Dr. iur. Damian Graf

Übungen im Strafrecht und Strafprozessrecht Frühjahrssemester 2019

Montag, 16:15-18:00 Uhr / Dienstag, 16:15-18:00 Uhr Bitte beachten Sie folgende Hinweise:

Die Sachverhalte können als Fallbearbeitung schriftlich gelöst werden. Erforder-lich ist hierzu eine Anmeldung über OLAT. Die Einschreibung ist ab Dienstag, 18. Dezember 2018, 10:00 Uhr, möglich. Die Anzahl Anmeldungen pro Fall ist beschränkt. Die Fallbearbeitung ist dem Bereich öffentliches Recht im weiteren Sinne zugeordnet.

Die einzelnen Fälle werden jeweils in zwei Doppelstunden besprochen (vgl. «Zeitplan und Gruppeneinteilung»). Die Dozierenden bleiben hierbei über das gesamte Semester hinweg in dem Hörsaal, der ihnen gemäss VVZ zugewiesen ist. Die Angaben werden darüber hinaus auf der Homepage des Lehrstuhls Summers aufgeschaltet, sobald die Hörsäle feststehen.

Die Fallbearbeitung darf maximal 20 Seiten (exklusiv Deckblatt, Sachverhalt, Verzeichnisse sowie Eigenständigkeitserklärung) bei Schriftgrösse 12 mit der Schriftart «Times New Roman» und einem Zeilenabstand von 1,5 umfassen. Ausführungen, die diesen Rahmen überschreiten werden nicht korrigiert. Zu-dem muss rechts ein Korrekturrand von 3.0 cm vorhanden sein. Dem Deckblatt müssen die Personalien der oder des Studierenden (Name, Vorname, Adresse, Semester, Matrikelnummer) sowie die Bezeichnung der Lehrveranstaltung ent-nommen werden können. Am Ende der Fallbearbeitung muss eine von der Ver-fasserin oder dem Verfasser eigenhändig unterschriebene Erklärung mit fol-gendem Wortlaut angebracht werden: «Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende schriftliche Arbeit selbständig und nur unter Zuhilfenahme der in den Verzeichnissen oder in den Anmerkungen genannten Quellen angefertigt habe. Ich versichere zudem, diese Arbeit nicht bereits anderweitig als Leistungsnachweis verwendet zu haben. Eine Überprü-fung der Arbeit auf Plagiate unter Einsatz entsprechender Software darf vorge-nommen werden.»

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Bitte beachten Sie die Angaben zum Prüfungsstoff des Moduls Strafrecht II: Allgemeine Lehren des Strafrechts als Grundlage für nachfolgende Gebiete aus dem Besonderen Teil des Strafgesetzbuches: Straftaten gegen das Eigentum und Vermögen (Art. 137-151, 156, 158 und 160 i.V.m. Art. 29, 172ter StGB), Urkundendelikte (Art. 251-257, 317-317bis StGB), Kriminelle Organisation (Art. 260ter StGB), Straftaten gegen die Rechtspflege (Art. 303-311 StGB), Strafbar-keit des Unternehmens (Art. 102 StGB), Grundzüge der Einziehung (Art. 69-73 StGB) sowie allgemeine Lehren des Strafprozessrechts und des Gerichtsorga-nisationsrechts(GOG). Bitte beachten Sie die Diskrepanz zwischen dem Prüfungsstoff gem. Vorle-sungsverzeichnis und gem. Information in der Vorlesung von Prof. Frank Meyer und Prof. Gunhild Godenzi. Massgebend für die Übungen und die Fallbearbei-tungen sind die Angaben im Vorlesungsverzeichnis (vgl. oben).

Die Fallbearbeitung ist bis spätestens am Freitag, 15. Februar 2019 (entschei-dend ist das Datum des Poststempels) bei den jeweiligen Dozierenden einzu-reichen. Zu spät eingereichte Arbeiten werden nicht berücksichtigt. Die korri-gierten Arbeiten werden am Schluss der zweiten Doppelstunde der jeweiligen Gruppe abgegeben oder können am Lehrstuhl Summers ab Freitag, 31. Mai 2019 abgeholt werden.

Zusätzlich zum gedruckten Exemplar ist die Fallbearbeitung der oder dem je-weiligen Dozierenden sowie dem Lehrstuhl Summers bis spätestens am Freitag, 15. Februar 2019, 23:59 Uhr per E-Mail als Word-Dokument oder PDF-Dokument zuzusenden.

Nachfolgend finden Sie die Kontaktadressen der einzelnen Dozierenden:

Prof. Dr. iur. Sarah Summers, Treichlerstrasse 10, 8032 Zürich, [email protected]

Prof. Dr. iur. Stefan Heimgartner, c/o Bundesstrafgericht, Viale Stefano Franscini 7, 6501 Bellinzona, [email protected]

PD Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel, c/o Staatsanwaltschaft III des Kan-tons Zürich, Weststrasse 70, Postfach 9717, 8036 Zürich, [email protected]

Dr. iur. Omar Abo Youssef, Kellerhals Carrard, Rämistrasse 5, 8024 Zürich, [email protected]

Dr. iur. Roberta Arnold, c/o Treichlerstrasse 10, 8032 Zürich, [email protected]

Dr. iur. Andreas Eckert, c/o Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Post-fach 8090 Zürich, [email protected]

PD Dr. iur. Damian Graf, c/o Staatsanwaltschaft Nidwalden, Abt. II Wirtschafts-delikte, Kreuzstrasse 2, Postfach 1242, 6371 Stans, [email protected]

Für weitere Fragen steht Ihnen der Lehrstuhl Summers gerne zur Verfügung.

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Fall 1 Prof. Dr. iur. Sarah Summers

1. Materieller Teil Um Spielschulden begleichen zu können, plant Timo, den Shop einer etwas abgelege-nen Tankstelle zu überfallen. Timo hofft, am frühen Abend eine besonders grosse Beu-te zu machen. Maskiert betritt Timo die Tankstelle und steuert direkt die Kasse an. Er hält dem Kassier Andreas eine mit einer echten Pistole verwechselbare Soft-Air-Gun entgegen und fordert die Herausgabe des sich in der Kasse befindlichen Bargelds. Andreas ist perplex und wie gelähmt. Er ist unfähig zu einer Reaktion. Erneut fordert Timo ihn auf, das Geld herauszurücken. Er fuchtelt mit der Soft-Air-Gun vor dem Ge-sicht von Andreas herum. Andreas gibt vor, die Kasse sei um diese Uhrzeit bereits elektronisch blockiert und nur sein Vorgesetzter könne diese mit einem Code öffnen. Timo macht hierauf hin Bewegungen, wie wenn er eine Pistole durchladen würde und zwingt Andreas zur Übergabe des Kassenschlüssels, welcher dieser noch vom letzten Kunden in der Hand hält. Timo öffnet die Kasse und nimmt das ganze darin befindliche Geld an sich. Der erbeutete Betrag von ca. CHF 250.00 entspricht dabei bei weitem nicht der erhofften Höhe. Enttäuscht flüchtet er aus der Tankstelle und lässt dabei Ski-maske und die Soft-Air-Gun im Shop liegen. Auf dem Weg nach Hause beobachtet Timo den älteren Gottfried an einem Bankauto-maten, an welchem er einen kleineren Geldbetrag abgehoben hat. Immer noch ent-täuscht durch die geringe Ausbeute bei der Tankstelle sieht Timo die Chance, seine Beute auf ca. CHF 500.00 zu vergrössern. Timo beobachtet Gottfried eine Weile lang, um eine günstige Gelegenheit abzupassen. Als Gottfried das Portemonnaie mit dem frisch abgehobenen Geld für einen Moment neben sich ablegt, nähert sich Timo und greift nach der Beute. Gottfried dreht sich völlig überrumpelt um und ruft aus, was Timo denn da mache. Gottfried versucht ebenfalls, das Portemonnaie zu greifen. Der deut-lich jüngere und kräftigere Timo lässt sich jedoch davon nicht beirren, reisst das Portemonnaie an sich und rennt weg. Erfreut stellt er fest, dass sich darin fast CHF 200.00 befinden. Der ganze Vorfall blieb nicht unbemerkt. Jens, der seine abendliche Jogging-Runde im Quartier dreht, war durch die Rufe von Gottfried auf die Situation aufmerksam gewor-den. Umso überraschter ist er, als er im jüngeren Mann seinen früheren Schulfreund Timo erkennt. Schon seit jeher hegt Jens einen Groll gegen Timo. Zunächst überlegt Jens sich noch, die Polizei zu rufen. Dann sieht er aber die Möglichkeit, aus seiner Beobachtung selbst Profit zu schlagen. Seine Überlegungen werden unterbrochen, als sein Mobiltelefon klingelt. Es ist seine Freundin Frieda. Sie berichtet ihm panisch, sie sei trotz Führerausweisentzug mit dem Auto zum Büroessen gefahren und habe auf der Heimfahrt ein anderes am Strassenrand geparktes Fahrzeug beschädigt. Es habe einen grösseren Schaden am anderen Fahrzeug gegeben. Sie habe Angst und wisse nicht, was sie tun solle und es stinke ihr, weiter auf die Wiedererteilung des Führe-rausweises zu warten. Jens heisst Frieda an, Ruhe zu bewahren und begibt sich sofort zum nicht weit entfernten Unfallort. Dort beruhigt er erneute Frieda und fragt diese, ob

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das Ganze von jemand gesehen wurde. Nachdem Frieda dies verneint, setzt er sich ans Steuer und fährt zusammen mit Frieda mit dem Auto nach Hause. Als Frieda bereits schläft, verfasst Jens eine E-Mail an Timo. In dieser lässt er ihn wis-sen, er habe „genau gesehen, was da vorhin im Park geschehen sei“, er könne sich aber bei Zahlung einer bestimmten Geldsumme durchaus vorstellen, das Gesehene für sich zu behalten. Timo, der diese E-Mail am Tag darauf sieht, meint jedoch nur, Jens habe ja keine Beweise und könne ihm daher nichts anhaben. Nachdem die geforderte Zahlung auf dem Konto nicht eingeht, beschliesst Jens, Timo persönlich aufzusuchen. Er passt Timo an einem Abend auf dessen Nachhauseweg ab, drückt ihn an die Hauswand und fordert nochmals die Überweisung des Geldes. Timo ist ziemlich ver-blüfft und stösst Jens energisch zurück. Jens ändert nun seine Strategie und bittet Timo, sich einen Ruck zu geben: Er brauche das Geld wirklich, um seine Mutter in Ös-terreich zu unterstützen. Da Timo weiss, dass die Mutter von Jens, welche immer nett zu ihm war, wirklich in Geldnöten steckt, sagt er zu, einen bestimmten Betrag auf das Konto von Jens zu überweisen. Aus Mitleid überweist Timo am Folgetag CHF 1'000.00. Einige Tage nach dem Unfall, erhält Frieda eine Vorladung von der Polizei. Es ist eine Zeugin aufgetaucht, die den Unfall beobachtet hat. Bei der polizeilichen Befragung bestreitet Frieda die Vorwürfe vehement und sagt, es sei nicht sie, sondern ihr Freund Jens mit dem Auto gefahren. Unmittelbar nach der Befragung ruft Frieda Jens an. Sie berichtet ihm von der neuen Entwicklung und bittet ihn, er solle der Polizei bei einer allfälligen Befragung doch bestätigen, dass er und nicht sie das Auto zum fraglichen Zeitpunkt gefahren sei, was er schliesslich später auch tut. Prüfen Sie die Strafbarkeit von Timo, Jens und Frieda nach den Bestimmungen des Moduls Strafrecht II. II. Prozessrechtlicher Teil 1. Recht auf Verteidigung Olivier ist Opfer eines Angriffs gemäss Art. 134 StGB geworden. Der daran beteiligte Ueli versetzte Olivier dabei unter anderem einen Schlag ins Gesicht, so dass dieser eine gebrochene Nase davontrug. Drei Wochen später und mit etwas Abstand zum Geschehen meldet Olivier den Vorfall der Polizei und erstattet Anzeige. Es wird da-raufhin Zeugin Yolanda ausfindig gemacht, die das Geschehen beobachtet hat. Die Polizei nimmt daraufhin Ueli an seinem Arbeitsort fest und befragt ihn anschliessend auf der Polizeiwache. Der zuständige Polizeibeamte belehrt kurz und allgemein über seine Rechte und ermahnt ihn. Ueli sagt, er hätte natürlich schon gerne einen Rechts-beistand, er habe aber leider kein Geld, um einen Anwalt zu bezahlen. Der Polizeibe-amte meint daraufhin, es gehe in diesem Fall auch ohne Anwalt und beginnt direkt mit der Befragung.

a) Wie beurteilen Sie das Vorgehen des Polizeibeamten? b) Ändert sich etwas in Ihrer Beurteilung, wenn Ueli wegen Art. 113 StGB be-

schuldigt wird?

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c) Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn der Polizeibeamte die Belehrung nach Art. 158 StPO unterlässt und Ueli in der Befragung Angaben zur verwendeten Tat-waffe und zum Versteck dieser macht?

2. Teilnahmerechte Neben Ueli war auch Ivo am Angriff gegen Olivier beteiligt. Zur Abklärung des Tather-gangs soll Ivo ebenfalls von der Staatsanwaltschaft einvernommen werden. Als Ivo erfährt, dass Ueli bereits einvernommen worden ist, findet sein Anwalt, dass solche geheime Vorgehen nicht statthaft sind. Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Staatsanwaltschaft? 3. Haft Aufgrund der in sich widersprüchlichen Aussagen Uelis will die Staatsanwaltschaft die-sen inhaftieren. Die Notwendigkeit einer Haft wird insbesondere darin gesehen, dass noch keine Gelegenheit bestanden habe, Yolanda einzuvernehmen.

a) Wie geht die Staatsanwaltschaft vor? b) Wie ist die Rechtslage, wenn Ueli nicht wegen Angriffs nach Art. 134 StGB,

sondern wegen Drohung gemäss Art. 180 StGB beschuldigt wird? Ueli soll Oli-vier im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung gesagt haben, er würde ihn am Folgeabend heimsuchen und „auf üble Weise zurichten“, sodass er „sein eigenes Gesicht nicht mehr im Spiegel erkennen werde“?

c) Wer kann gegen den die Haft anordnenden bzw. ablehnenden Entscheid vor-gehen und vor welcher Instanz? Legen Sie den gesamten möglichen inner-schweizerischen Rechtsmittelweg dar.

4. Durchsuchung Über die Zeugin Yolanda erfährt die Staatsanwaltschaft, dass Ivo das Geschehen mit seinem Mobiltelefon auch gefilmt habe. Das Video verspricht, weiteren Aufschluss über den tatsächlichen Tathergang zu geben. Die Staatsanwaltschaft will daher Einsicht in das Mobiltelefon von der Polizei sichergestellt Mobiletelefon nehmen. Ivo will indes nicht, dass die Staatsanwaltschaft sein Mobiltelefon durchsucht, da dieses auch ein Video enthält auf welchem zu sehen ist, wie er sich innerorts mit weit überhöhter Ge-schwindigkeit mit einem Kumpel ein Autorennen liefert. Der Anwalt von Ivo will verhin-dern, dass die Staatsanwaltschaft Einsicht in sein Mobiltelefon erhält. Wie kann der Anwalt vorgehen? Zeigen Sie den gesamten möglichen Verfahrensab-lauf, inkl. Rechtsmittelwegen auf. 5. Beschwerde/Siegelung? Im Laufe des Verfahrens gegen Ueli werden Hinweise ersichtlich, wonach Ueli mut-masslich ebenfalls in Drogengeschäfte verwickelt ist. Die bei einer Hausdurchsuchung entdeckten Betäubungsmitteln, eine Küchenwaage, Plastikbeutelchen sowie Bargeld in Höhe von 400.- sollen daher sichergestellt werden. Zudem will die Staatsanwaltschaft Einsicht in das Konto von Ueil nehmen, um Kenntnisse der Kontobewegungen zu er-

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halten und eventuelle Ein- und Ausgänge von Geld deliktischen Ursprunges überprüfen zu können. Wie muss die STA diesbezüglich vorgehen und welche Rechtsmittel stehen Ueli dage-gen zur Verfügung? Zeigen Sie den gesamten möglichen innerschweizerischen Rechtsmittelweg auf.

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Fall 2 Prof. Dr. iur. Stefan Heimgartner

I. Materieller Teil (nicht auf Fakten basierender Fall) Eine Gruppierung kurdischstämmiger Personen in der Schweiz will die Aktivitäten einer Peschmerga Streitkraft gegen den IS auf dem Gebiet von Syrien unterstützen. Zu die-sem Zweck gründet sie einen Verein nach schweizerischem Recht. Die offizielle Zwecksetzung nach den Vereinsstatuten ist humanitäre Hilfe in Syrien zu leisten. Tat-sächlich wollen sie den bewaffneten Kampf vor Ort, insbesondere durch den Kauf von Waffen, unterstützen mit dem Ziel, ein autonomes Gebiet „Kurdistan“ zu erlangen. Im Rahmen der Auseinandersetzungen in Syrien sollen gemäss Berichten von NGO’s auch Menschenrechtsverletzungen begangen worden sein, indem etwa durch Pe-schmergakämpfer arabische Siedlungen zerstört und Gewalt an Zivilpersonen began-gen worden seien. Als Vorstandsmitglieder des Vereins figurieren willkürlich gewählte gewöhnliche Ver-einsmitglieder. Der tatsächliche Vereinspräsident Hasan, der über direkte Kontakte zu den Anführern dieser Peschmerga-Streitkraft verfügt, wird in der Mitgliederliste nicht einmal als Vereinsmitglied erwähnt. In der Schweiz sollen zum einen Finanzmittel be-schafft werden, um dann in der Region Waffen zu kaufen, zum anderen soll die Schweiz als Drehscheibe für Geldtransfers genutzt werden. Im Vereinslokal in Liestal trifft sich Hasan mit Alan. seinem Stellvertreter. und sie beschliessen, bei den Kurden der Diaspora Gelder zur Unterstützung der Peschmerga-Organisation aufzutreiben. Hasan befiehlt Can, dem Finanzchef, dass er mit anderen Vereinsmitgliedern Kebab-Standbesitzer und andere relativ wohlhabende Kurden aufsuchen und für den Fall, dass diese sich weigern würden die geforderten Summen zu bezahlen, mit Retorsio-nen drohen soll. In diesem Sinne sucht Can mit zwei weiteren Kurden, die ihm unter-stellt sind, Emre, einen Kebabladenbesitzer, auf und fordert von ihm Fr. 70‘000.--. Als dieser sich weigert, wird Can wütend und droht ihm mit den Worten: „Ich komme in zwei Wochen wieder, wenn ich das Geld bis dann nicht erhalte, dann kann ich nicht garantieren, dass dein Laden weiter gut läuft“. Er weist ihn auch darauf hin, dass vor zwei Wochen ein Kebabstand abgebrannt sei. Dies war der Fall gewesen, doch war der Brand tatsächlich auf eine natürliche Ursache zurückzuführen. Emre, der sich ein-geschüchtert fühlt, erklärt verzweifelt, dass er weder über einen Bar- noch Buchgeldbe-trag in dieser Höhe verfüge. Can schlägt ihm vor, sich an einen Kreditvermittler zu wenden, der ihm einen Kleinkredit vermitteln könne. Um den Kreditbetrag in besagter Höhe zu erlangen, übergibt ihm Can einen im Namen des Vereins ausgestellten Lohn-ausweis, der ihn als Angestellter des Vereins ausweist und ihm ein monatliches Ne-beneinkommen von Fr. 4‘000.-- bescheinigt. Um den Kredit zu erlangen, hat Emre ein Kreditantragsformular mit den Angaben über die persönlichen wirtschaftlichen Verhält-nisse (Gesamteinkommen Haupt- und Nebeneinkommen von Fr. 8‘000.--) auszufüllen und auf einem Formular A zu bestätigen, dass er der wirtschaftlich Berechtigte an der Kreditsumme sei. Aufgrund der deklarierten (und mittels Buchhaltung bzw. Lohnaus-weis belegten) Einkommensverhältnisse erlangt Emre von der Kleinkreditbank K die Kreditsumme von Fr. 70‘000.-- in bar, welche er Can übergibt. Can zahlt davon Fr. 60‘000.-- an einem Automaten ein, der das Geld in die Kryptowährung Bitcoin wechselt. Die gewechselten Bitcoins überweist er einem mit der Peschmerga verbundenen Mit-

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telsmann in Beirut, der mit dem Geld im Darknet Schusswaffen kauft. Fr. 10‘000.-- transferiert er über seine Bankverbindung an einen Anwalt in der Türkei, der das Geld zu Propagandazwecken einsetzen soll, um potentielle Kämpfer zu rekrutieren. Insge-samt erlangt der Verein auf diese oder ähnliche Weise von der kurdischen Diaspora in 13 Kantonen eine Summe von Fr. 2.5 Mio. Prüfen Sie die Strafbarkeit von Hasan, Alan, Can und Emre (gehen Sie methodisch so vor, dass sie Redundanzen möglichst vermeiden können). II. Prozessualer Teil 1. Aufgrund eines Hinweises von Europol möchte die Kantonspolizei Basel Landschaft

abklären, ob der Verein in Geldwäschereidelikte etc. involviert ist. In diesem Zu-sammenhang möchte sie den als Vereinspräsidenten figurierenden Baban befragen. a) In welcher Rolle hat die Polizei ihn zu befragen? b) Kann Baban sich von einem Anwalt begleiten lassen? c) Im Vereinslokal sollen Ordner, Unterlagen und ein Computer als potentielle Beweismittel sichergestellt werden; wie hat die Polizei vor-zugehen?

2. Was kann der Verein gegen die Sicherstellung und Auswertung des Computers tun? 3. a) Welche Behörde ist für das Strafverfahren örtlich und sachlich zuständig? b) Wer

bestimmt die Zuständigkeit? 4. Hasan wird - aufgrund der im materiellen Teil umschriebenen Verdachtsgründe -

verhaftet und dem zuständigen Staatsanwalt zugeführt; a) was hat der Staatsanwalt vorzukehren, um die Hafteinvernahme korrekt durchzuführen? Der gleichzeitig ver-haftete Alan wird nach Hasan einvernommen; b) hat er ein Recht an der Einver-nahme von Hasan teilzunehmen? c) Hat Hasan (nach seiner Einvernahme) ein Recht an der Einvernahme von Alan teilzunehmen?

5. a) In welcher Rolle ist Emre vom fallführenden Staatsanwalt zu befragen? b) Haben

Hasan und Alan ein Teilnahmerecht? Was hat die Staatsanwaltschaft zu tun, c) wenn Hasan und Alan an der Befragung nicht teilnahmen, um die Verwertbarkeit der Aussagen von Emre sicherzustellen. d) Wie hat die Staatsanwaltschaft vorzugehen, wenn sie feststellt, dass den beiden die Teilnahme zu Unrecht verweigert worden war?

6. Emre möchte Schadenersatz für den erlittenen Schaden (Kreditschulden) geltend

machen; a) wie muss er vorgehen? b) Unter welchen Voraussetzungen kann Emre die anlässlich der Hausdurchsuchung im Vereinslokal beschlagnahmten Fr. 20‘000.— zur Deckung seines Schadens beanspruchen? c) Wird das Gericht ihm das Geld überweisen?

7. Alan trifft im Vorverfahren Aussagen im Hinblick auf ein abgekürztes Verfahren, wel-

ches dann aber nicht zustande kommt. Er und sein Verteidiger verzichten ausdrück-lich auf eine Wiederholung betreffender Einvernahme und anerkennen die Verwert-barkeit. Kann das betreffende Einvernahmeprotokoll als Beweismittel zulasten a)

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von Alan b) von Hasan verwertet werden? c) Was würden Sie als Verteidigung im Hauptverfahren (in welchem Stadium) diesbezüglich beantragen?

8. Hasan wurde wegen derselben Aktivitäten bereits in der Türkei abgeurteilt und hat

die Strafe dort auch bereits verbüsst; a) kann gegen ihn in der Schweiz ein Strafver-fahren geführt werden? b) Wie verhielte es sich, wenn die Verurteilung und Bestra-fung in Griechenland erfolgt wäre?

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Fall 3 PD Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel

1. Materielles Strafrecht Benno ist CEO der börsenkotierten Pharmachem AG. Die mit Benno befreundete Ste-fanie ist CEO und Teilhaberin des Startup-Unternehmens Fractech AG, die ein bahn-brechendes chemisches Fraktionsverfahren entwickelt hat, welches das Potential hat, die Effizienz vieler Produktionsverfahren der Pharmachem AG zu erhöhen und so ihren Produktionsaufwand erheblich zu vermindern. Die Fractech AG selber hat jedoch nur wenige Produktionsaufträge und kämpft mit Liquiditätsschwierigkeiten. In einem ver-traulichen Gespräch unter vier Augen kommen Benno und Stefanie überein, dass die Pharmachem AG die Fractech AG in ungefähr einem Jahr übernehmen soll. Zuerst soll aber Benno aus seinem Privatvermögen eine Million Franken in die Fractech AG inves-tieren. In der Folge erhöht die Fractech AG ihr Aktienkapital von bisher 500’000 Fran-ken auf 1'500'000 Franken. Die Silver Family Office AG, deren einziger Verwaltungsrat Anwalt Anton ist, zeichnet diese Aktien zum Nominalwert und zahlt dafür eine Million Franken. Anton arbeitet im Auftrag von Benno und ist instruiert, dass er nicht verraten darf, wer hinter der Silver Family Office AG stehe. Ungefähr sechs Monate später orientiert Benno den Verwaltungsrat der Pharmachem AG, er habe ein Auge auf die Fractech AG geworfen, deren Akquisition durch die Pharmachem AG gewaltige Synergien freisetzen würde. Seine unverbindlichen Vor-verhandlungen hätten ergeben, dass die Aktionäre der Fractech AG eine Preisvorstel-lung von sechs Millionen Franken für 100 Prozent der Aktien hätten. Der Verwaltungs-rat ermächtigt darauf Benno, die Fractech AG für maximal sechs Millionen Franken zum bestmöglichen Preis zu akquirieren. Benno erteilt darauf aus Tarngründen dem gutgläubigen Geschäftsleitungsmitglied Georg den Auftrag, die Verhandlungen zu füh-ren. Auf der anderen Seite instruiert er Stefanie und Anton, die für die Fractech-Aktionäre auftreten, bei einem Preis von 5'400'000 Franken für 100 Prozent der Aktien einzulenken. Zu diesem Preis kommt es denn auch nach drei Monaten zum Abschluss, so dass Benno mit seiner über die Silver Family Office AG abgewickelten Investition von einer Million Franken innerhalb von neun Monaten für sich privat einen Gewinn von 2'600'000 Franken erzielt. Benno informiert weder den Verwaltungsrat der Pharmachem AG noch sonst wen von der Pharmachem AG darüber, dass er der Alleinaktionär der Silver Family Office AG ist und dass Anton in seinem Auftrag gehandelt hat. Doch gelingt es ihm einige Monate später, Anton in den Verwaltungsrat der Pharmachem AG zu «hieven». (Er will Anton aus Gründen dort haben, die nichts mit der Fractech-Akquisition zu tun haben.) Dadurch ist das Wissen, dass indirekt Benno der Mehrheitsaktionär der Fractech AG war, zwar in der Person von Anton in der Pharmachem AG vertreten, doch behält er das für sich. Auf Anweisung von Benno überweist Anton zwei Millionen Franken zulasten des Kon-tos der Silver Familiy Office AG bei einer Schweizer Bank, auf dem der Erlös für den Verkauf der Fractech-Aktien eingegangen ist, auf ein Bankkonto von Benno in Hong Kong.

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Die Akquisition der Fractech AG durch die Pharmachem AG führt tatsächlich zu den erhofften Synergien, so dass die Einsparungen von Aufwand, die durch das Fraktions-verfahren der Fractech AG möglich wurden, den Kaufpreis bereits drei Jahre nach der Akquisition übersteigen. Analysieren Sie die Strafbarkeit von Frage 1.1. Benno Frage 1.2. Stefanie und Frage 1.3. Anton (alle beschränkt auf Strafbestimmungen, welche Gegenstand der Lehrveranstaltung sind). 2. Strafprozessrecht und Einziehungsrecht Die Staatsanwaltschaft des Kantons X. hat aufgrund von Bankenermittlungen Kenntnis davon, dass Anton zulasten des Kontos der Familiy Office GmbH bei einer Schweizer Bank zwei Millionen Franken auf ein Konto von Benno in Hong Kong überwiesen hat. Frage 2.1: Kann die Staatsanwaltschaft die Kontounterlagen in Hong Kong als Be-weismittel erheben? Wenn ja: Wie ist vorzugehen? Frage 2.2: Kann die Staatsanwaltschaft die 2 Millionen Franken, die auf dem Bankkon-to in Hong Kong sind, abschöpfen? Wenn ja: Analysieren Sie die materiellen Grundla-gen dieser Vermögensabschöpfung. (In Frage 2.2 sind die prozessualen Gesichts-punkte ausser Acht zu lassen.) Frage 2.3: Die Staatsanwaltschaft des Kantons X. will bei Benno, wohnhaft im Kanton X., Anton, Wohnhaft im Kanton Y., und Stefanie, wohnhaft in Italien, Hausdurchsu-chungen durchführen und dabei Aufzeichnungen als Beweismittel sicherstellen. Darf die Staatsanwaltschaft das tun? Wenn ja: Gestützt worauf darf sie das tun und wie ist im Einzelnen vorzugehen? Frage 2.4: Benno und Anton sind der Auffassung, die Hausdurchsuchungen seien un-rechtmässig, da kein Tatverdacht bestehe. Zudem dürfe die Staatsanwaltschaft unab-hängig davon nichts zur Kenntnis nehmen, was zwischen Anton und Benno gelaufen sei, da das vom Anwaltsgeheimnis geschützt sei. Wie müssen Benno und Anton vor-gehen, wenn sie diese Einwände durch eine Gerichtsbehörde überprüfen lassen wollen? Was hat die Staatsanwaltschaft zu unternehmen? Wie sind die Einwendungen von Benno und Anton zu beurteilen?

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Fall 4 Dr. iur. Omar Abo Youssef

Teil I Matter und die Nyffeler AG, welche ein Fitness- und Wellnesscenter betreibt, schlossen am 1. September 2015 einen Arbeitsvertrag. Dieser sah eine Anstellung von Matter als (einzigen) Physiotherapeuten bei der Nyffeler AG ab 1. Oktober 2015 vor. In Art. 2 des Arbeitsvertrags wurde Matter bezüglich sämtlicher Daten der Patienten der Nyffeler AG über die Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus zur Geheimhaltung verpflichtet. Im Arbeitsvertrag wurde ebenso festgehalten, dass die Patientendaten im Eigentum der Nyffeler AG stehen und auch nach einer allfälligen Auflösung des Arbeitsverhältnisses in ihrem Eigentum verbleiben. Mit eingeschriebenem Brief vom 29. Dezember 2016 kündigte die Nyffeler AG Matter mit Wirkung per 31. März 2017. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass das Arbeitsverhältnis aus Kostengründen nicht weitergeführt werden könne. Nichtsdestot-rotz wurde eine Weiterführung der Physiotherapie auf eigene Rechnung von Matter offen gelassen. Noch vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses, nämlich am 15. März 2017, fing Matter an, die Unterlagen betreffend seine Tätigkeit als Physiotherapeut für die Nyffeler AG zwecks Übergabe an den CEO der Nyffeler AG, Oftringer, zusammenzustellen. Konk-ret erstellte er mehrere Bundesordner, welche die die behandelten Patienten betreffen-den Rechnungen enthielten, nicht jedoch die Patientendossiers. Diese legte er in al-phabetischer Reihenfolge in anderen Bundesordnern ab. Am 31. März 2017, seinem letzten Arbeitstag bei der Nyffeler AG, übergab Matter Oftringer die vorbereiteten Bundesordner mit den Rechnungsunterlagen, nicht jedoch diejenigen mit den Patientendossiers. Diese bewahrte er bei sich zu Hause auf. Zur Begründung verwies er auf das Berufsgeheimnis sowie auf den Umstand, dass die Nyffeler AG keinen Nachfolger für ihn, Matter, bestimmt habe, welchem er die Patien-tendossiers hätte übergeben können. In der Tat sah die Nyffeler AG für Matter keinen Nachfolger vor. Dies deshalb, weil sich die finanziellen Erwartungen der Nyffeler AG im Zusammenhang mit der Anstellung von Matter als Physiotherapeut nicht erfüllt hatten und es dementsprechend wahrscheinlich war, dass auch ein allfälliger Nachfolger die-se Erwartungen nicht würde erfüllen können. Am gleichen Tag löschte Matter auf dem im Eigentum der Nyffeler AG stehenden Computer sämtliche Patientendaten bzw. die für die Erfassung und Verwaltung der Patientendaten verwendete Software. Diese Software inkl. des dazugehörigen Lizenz-schlüssels hatte er ebenso wie die entsprechenden Updates auf eigene Kosten finan-ziert. Die Nyffeler AG verfügte über keine Lizenz, welche es ihr ermöglicht hätte, das Programm zu starten bzw. auf die damit verwalteten Patientendaten zuzugreifen. Ein halbes Jahr später wurde Oftringer anlässlich einer Verwaltungsratssitzung als CEO der Nyffeler AG abgewählt. Zu seiner Abwahl hat zu wesentlichen Teilen auch Pfister beigetragen, welcher mit Oftringer in unterschiedlichen Beteiligungsverhältnis-

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sen und Funktionen verschiedene Gesellschaften geführt hatte, so auch die Nyffeler AG. Oftringer, der sich nach kurzer Zeit bei dem mit der Nyffeler AG konkurrierenden Un-ternehmen Qwertz AG anstellen liess, war über diese Abwahl alles andere als erfreut und begab sich deshalb kurze Zeit später im Internet auf die Suche nach einer Spyware, mit welcher er die Tätigkeit von Pfister bei der Nyffeler AG überwachen und die durch die Überwachung gewonnenen Geschäftsdaten der Nyffeler AG später für die Qwertz AG nutzbringend einsetzen wollte. Er musste nicht lange suchen: Innert kürzester Zeit fand er einen Trojaner, welcher ihm für seine Zwecke passend erschien. Der Trojaner war so ausgestaltet, dass er sich selbständig und für den Anwender un-bemerkt auf dem Computer des E-Mail-Empfängers installiert, sobald dieser den An-hang anklickt. Nach der Installation des Programms ist es dem Absender möglich, sämtliche Tastaturbewegungen auf dem infizierten Computer über eine ihm zugängli-che Website durch so genannte Keylogdateien nachzuvollziehen. Nach dem Erwerb des Trojaners verschickte Oftringer diesen unter Verwendung eines fiktiven Namens und mittels fingierter E-Mail-Adresse als ZIP-Datei an die geschäftli-che E-Mail-Adresse von Pfister bei der Nyffeler AG. Die ZIP-Datei war einem vorge-täuschten Fragebogen zu den Befindlichkeiten von Schweizer CEOs als E-Mail-Anhang beigefügt. Pfister klickte den ihm zugesandten E-Mail-Anhang, in welchem der Trojaner verbor-gen war, nichtsahnend an. Der Trojaner installierte sich infolgedessen auf dem in sei-nem Büro stehenden Computer, auf welchem das Anti-Viren-Programm Norton instal-liert war. Dadurch gelang es Oftringer, sich über die ihm zugängliche Website über 30‘000 Keylogdateien auf seinen eigenen Computer zu übermitteln. Auf diese Weise bekam er insbesondere Einsicht in eingegebene Benutzernamen und Passwörter, so auch in den Benutzernamen und das Passwort, welche Pfister für seinen E-Mail-Account verwendete. Diese wiederum erlaubten es Oftringer, sich in Pfisters E-Mail-Account einzuloggen, den gesamten E-Mail-Verkehr einzusehen und den Account nach Belieben zu bearbeiten. Strafbarkeit der Beteiligten? Teil II 1. Nachdem die Nyffeler AG bei dem in der Sache zuständigen Zürcher Staatsanwalt

Steigenberger eine Strafanzeige gegen Matter eingereicht hat, unternimmt Stei-genberger vorerst einmal nichts. Steigenberger hat die Strafanzeige am Tag des Empfangs zwar kurz überflogen, ist jedoch gemäss einer ersten Einschätzung der Auffassung, dass sich ein strafbares Verhalten daraus nicht ohne weiteres ergibt. Der Nyffeler AG, welche sich einige Wochen nach der Einreichung der Strafanzei-ge bei Steigenberger über den Stand des Verfahrens erkundigt, teilt Steigenberger mit, er habe die Strafanzeige noch nicht im Detail studieren können. Als Steigen-berger sich nach einem weiteren Monat wieder mit dem Fall befasst, ist für ihn klar,

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dass er das Verfahren nicht an die Hand nehmen wird. Eine entsprechende Nicht-anhandnahmeverfügung lässt er tags darauf auch der Nyffeler AG zukommen. Die Nyffeler AG ist mit der Nichtanhandnahme des Strafverfahrens gegen Matter ganz und gar nicht einverstanden. Sie konsultiert Sie. Was raten Sie ihr?

2. Der Fall „Nyffeler AG gegen Matter“ landet nach einiger Zeit wieder auf dem Pult von Steigenberger. Dieser ist nicht erfreut, weil er der Meinung ist, absolut richtig entschieden zu haben. Nichtsdestotrotz lädt er Oftringer zur Einvernahme als Zeu-ge vor. Vor der Einvernahme macht Steigenberger Oftringer zwar auf seine Aus-sage- und Wahrheitspflicht aufmerksam, nicht jedoch auf die Strafbarkeit eines fal-schen Zeugnisses, weil er davon ausgeht, Oftringer wisse Bescheid, weil er in ei-nem anderen Verfahren bereits einmal als Zeuge ausgesagt hat. Durfte Steigen-berger den Hinweis auf die Strafbarkeit eines falschen Zeugnisses aus diesem Grund unterlassen? Welche allfälligen Rechtsfolgen ergeben sich aus der Unter-lassung?

3. Oftringer macht im Rahmen seiner Einvernahme als Zeuge nicht zu allen Fragen Aussagen, worauf ihn Steigenberger an seine Aussage- und Wahrheitspflicht erin-nert. Ebenso macht er ihn darauf aufmerksam, dass er ihn mit Ordnungsbusse be-strafen und zur Tragung der Kosten und Entschädigungen, welche durch seine Aussageverweigerung verursacht worden sind, verpflichten kann. Oftringer zeigt sich unbeeindruckt und beharrt auf seiner teilweisen Aussageverweigerung. Wel-che Möglichkeiten hat Steigenberger neben der Bestrafung mit Ordnungsbusse und Verpflichtung zur Tragung der Kosten und Entschädigungen?

4. Steigenberger ist in der Zwischenzeit derart überladen mit anderen Fällen, dass er froh ist, auf Assistenzstaatsanwalt Anker, der seine Arbeit vor kurzem auf der Ab-teilung aufgenommen hat, auf welcher auch Steigenberger tätig ist, zurückgreifen zu können. Steigenberger ist der Auffassung, der Fall „Nyffeler AG gegen Mat-ter“ eigne sich perfekt für einen Assistenzstaatsanwalt und übergibt Anker den Fall. Dieser ist, entgegen der damaligen Auffassung von Steigenberger, der Meinung, der Fall könne mit einem Strafbefehl erledigt werden. In der Folge erlässt Anker einen Strafbefehl, mit welchem er Matter mit einer bedingten Geldstrafe bestraft. Durfte Anker einen solchen Strafbefehl erlassen?

5. Matter, dem dieser Strafbefehl ordnungsgemäss zugestellt wird, ist damit alles andere als einverstanden. Er will sich dagegen wehren und konsultiert Sie. Was raten Sie ihm?

6. Assistenzstaatsanwalt Anker, welcher mit dem Fall in der Zwischenzeit wieder befasst ist, findet, es seien keine weiteren Beweisabnahmen erforderlich. Er erhebt Anklage beim zuständigen erstinstanzlichen Gericht.

a. Durfte Anker auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten? b. Durfte Anker Anklage beim erstinstanzlichen Gericht erheben?

7. Das erstinstanzliche Gericht fällt nach durchgeführter Hauptverhandlung ein Urteil

und bestraft Matter mit einer bedingten Geldstrafe. Weil das Gericht das Urteil an-lässlich der Urteilseröffnung mündlich begründet, verzichtet es auf eine schriftliche Begründung und lässt den Parteien bloss das Urteilsdispositiv zukommen. Die

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Nyffeler AG ist damit nicht einverstanden. Oftringer konsultiert Sie und will wissen, wie er zu einem begründeten Urteil kommt. Was raten Sie ihm?

8. Das erstinstanzliche Gericht begründet den Entscheid auf Ihre Intervention hin teilweise. Eine Begründung ist dem Urteil nur hinsichtlich der Zivilansprüche der Nyffeler AG zu entnehmen. Es enthält jedoch keine Ausführungen zum Sachver-halt und zu den Gründen, welche zum Schuldspruch führten.

a. Die Nyffeler AG konsultiert Sie ein weiteres Mal, weil sie sich gegen das ihrer Ansicht nach unvollständige Urteil wehren will. Was raten Sie ihr?

b. War die Ausfällung eines bloss teilweise begründeten Urteils in der be-schriebenen Art zulässig?

c. Wie wird die zuständige Instanz entscheiden?

9. Nachdem Pfister namens der Nyffeler AG beim zuständigen Staatsanwalt Sommer Strafanzeige gegen Oftringer eingereicht hat, führt Sommer mit den Parteien Ver-gleichsverhandlungen. Diese scheitern jedoch. In der Folge lässt er in einem selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren Oftringer und Pfister befragen, ohne dass diese bei der Befragung der jeweils anderen Person teilnehmen können. Danach stellt er das Strafverfahren gegen Oftringer ein.

a. Pfister will sich gegen die Einstellung des Strafverfahrens zur Wehr set-zen. Er konsultiert Sie. Was raten Sie ihm?

b. Durfte Sommer Oftringer und Pfister ohne Gewährung der Teilnahme-rechte in einem selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren be-fragen lassen?

c. Wenn nein, welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

10. Nach einiger Zeit ist Sommer wieder mit dem Fall „Nyffeler AG gegen Oftrin-ger“ befasst. Sommer entschliesst sich, Oftringer und Pfister unter Gewährung der Teilnahmerechte selbst zu befragen. Nach der Durchführung der Einvernahmen kommt er zum Schluss, dass Oftringer u.a. wohl auch deshalb den Trojaner einge-setzt hat, um über den E-Mail-Account von Pfister Geschäftsdaten der Nyffeler AG nutzbar zu machen. Er weist Oftringer deshalb mittels Verfügung an, allfällig er-langte Geschäftsdaten der Nyffeler AG weder zugunsten der Qwertz AG noch zu-gunsten anderer Personen einzusetzen.

a. Oftringer will sich gegen die Verfügung von Sommer wehren. Er konsul-tiert Sie. Was raten Sie ihm?

b. Ist der Erlass einer solchen Verfügung zulässig?

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Fall 5 Dr. iur. Roberta Arnold

Materiellrechtlicher Teil 1. Sachverhalt Alberto (40) kommt aus Mailand (I) und arbeitet als «Allrounder» im Lebensmittelge-schäft seiner Eltern in ZH. In seiner Freizeit interessiert er sich für die Börse, Vermö-gensanlagen und Luxussachen. Er lebt seit einem Jahr mit Joana zusammen, mit welcher er einen Sohn hat, der 6 Mo-nate alt ist. Alberto hat zudem einen zweiten Sohn – Alex – aus seiner früheren Partnerschaft mit Julia. Alberto hat drei Jahre lang mit Julia zusammengewohnt, bis sie kurz nach der Geburt von Alex (15. Juli 2015) Schluss mit ihm machte. Julia wirft Alberto seitdem vor, sie betrogen zu haben. Er hatte ihr erzählt, wie er ne-benberuflich als Vermögensverwalter mit grossem Erfolg tätig sei und welch wichtige Bekanntschaften er in der Bankenwelt und in der Wirtschaft habe. Alberto habe sie zudem oft in berühmte Restaurants und auf schöne Reisen eingeladen. Sie habe sich schlussendlich in ihn verliebt. Im Sommer 2014 überredete er Julia, ihm alle ihre Ersparnisse zu übergeben, mit der Versprechung, sie in Aktien zu investieren, um damit einen Gewinn zu machen. Julia entschloss sich schlussendlich am 12. Juli 2014 dazu und übergab Alberto CHF 35'000.- in bar und ohne Quittung. In der Beziehung begann alles schief zu laufen, v.a. kurz vor der Geburt von Alex (15. Juli 2015): Julia hegte den Verdacht von Alberto angelogen worden zu sein. Sie hatte mehrmals versucht, ihr Geld zurückzubekommen, aber Alberto hatte ihr gegenüber immer wieder betont, dass man Geduld haben muss, wenn man einen grossen Gewinn machen will. Als Sie für die Geburt von Alex in die Klinik musste, nahm sie mangels Vertrauen in Alberto alle ihre wertvollen Sachen mit in das Spital und versteckte sie in der Nach-tischschublade. Kurz nach der Geburt von Alex machte sie mit Alberto Schluss. Von den CHF 35'000.- hat sie bis heute keinen Rappen gesehen. Anfangs Oktober 2015 erfuhr Julia von der Presse, dass am 25. September 2015 die Zürcher Staatsanwaltschaft Alberto wegen Betruges verhaftet hatte. Gemäss der Presse habe dieser Betrug mit einem Ehepaar aus Mailand, den «Bian-chi`s» zu tun, welche gute Kunden des Lebensmittelgeschäfts seiner Eltern in Zürich seien und Alberto seit dem Jahre 2013 kennen würden. Die Presse berichtet weiter, dass Alberto schöne Autos besitze, immer sehr gut gekleidet war, viel reiste und immer wieder von seinem Hobby als Vermögensverwalter erzählte.

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Eines Tages, als er bei den «Bianchi`s» zum Essen eingeladen war, fragten sie ihn, ob er sie bezüglich der Investition ihrer Ersparnisse (CHF 100'000.-) beraten könne. Al-berto schlug ihnen vor, ihm die CHF 100'000.- bar zu übergeben, um ein auf ihren Na-men lautendendes Bankkonto in Mailand (I) zu eröffnen und das Geld dort zu hinterle-gen resp. in Aktien zu investieren. Die «Bianchi`s» übergaben Alberto am 10. Januar 2015 das Geld in bar und ohne Quittung. Wie vereinbart händigte er den «Bianchi`s» zwei Wochen später die für die Kontoeröffnung notwendigen Unterlagen der Bank aus, darunter auch das A-Formular, mit der Bitte diese zu unterschreiben, um so das Konto auf ihren Namen eröffnen zu können. In den folgenden Monaten hatte Alberto den «Bianchi`s» Teilbeträge des investierten Kapitals - er nannte sie „erste Lohnbeeren der Investitionen“, zurückgegeben, um so aufzuzeigen, dass alles in Ordnung war und gut lief. Als weiterer «Beweis» zeigte er ihnen immer wieder Kontoauszüge, die das Logo der Bank trugen. Als die «Bianchi`s» Monate später plötzlich in Geldnot gerieten, baten sie Alberto um das investierte Kapital (CHF 100'000.-). Nach wiederholten erfolglosen Versuchen ent-schloss sich das Ehepaar Alberto wegen Betruges anzuzeigen. Die ersten Ermittlungen hatten ergeben, dass er - um sein Luxusleben mit Julia zu fi-nanzieren - anstatt ein Konto im Namen der «Bianchi`s» in Mailand (I) ein auf seinen Namen lautendes Konto bei einer anderen Bankfiliale in Varese (I) eröffnete und dort lediglich CHF 40'000.- (in EUR) hinterlegte. Den Restbetrag hatte er verwendet. Um weitere mögliche Opfer ausfindig zu machen, hatte die Staatsanwaltschaft ZH eine Pressemitteilung gemacht. Aufgrund dieser Pressemitteilung hatte Julia einen Rechts-anwalt kontaktiert, welcher am 24. November 2015 bei der Staatsanwaltschaft Zürich eine Strafanzeige gegen Alberto wegen Betruges einreichte. Am 18. Dezember 2017 reichte die Staatsanwaltschaft ZH die Anklageschrift beim Strafgericht wegen (wiederholten) Betruges (Art. 146 StGB) in Bezug auf die Übergabe der CHF 35'000.- (am 12. Juli 2014) sowie der CHF 100'000.- (10. Januar 2015) sei-tens Privatkläger an Alberto und ferner wegen Urkundenfälschung (Art. 251 Ziffer 1 StGB) in Bezug auf die Verwendung der Unterlagen der Italienischen Bank (Januar 2015). Prüfen Sie die Strafbarkeit von Alberto. II. Prozessrechtlicher Teil Versetzen Sie sich in die Lage des/der mit diesem Fall anvertrauten Staatsanwaltes/-anwältin (StA). Wie im Sachverhalt geschildert, haben Sie zwei Anzeigen erhalten: a) von Julia, wegen Betruges (Art. 146 StGB); und b) von den «Bianchi`s» wegen Betruges (Art. 146 StGB) und Urkundenfälschung (Art. 251 Ziffer 1 StGB).

1. Beim Eintreffen dieser Anzeigen haben Sie entschieden mit der Eröffnung des Verfahrens abzuwarten und die Polizei mit der Sammlung der ersten Beweis-mittel zu beauftragen. Dürfen Sie das?

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2. Alberto wird bei der ersten Einvernahme über die Eröffnung des Verfahrens in-

formiert. Er hat keinen Anwalt. Müssen Sie ihm einen bestellen? Macht es ei-nen Unterschied, ob er finanziell in der Lage ist sich einen zu leisten?

3. Fünf (5) Tage nach dem Erhalt der Eröffnungsverfügung schreibt Alberto dem Leitenden Oberstaatsanwalt einen Brief, indem er erklärte gegen diese Verfü-gung eine Beschwerde machen zu wollen. Sie werden als StA gefragt, dazu Stellung zu nehmen.

4. Sie entscheiden, das Verfahren u.a. wegen gewerbsmässigen Betruges zu er-öffnen. Sie verlangen den Strafregisterauszug von Alberto. Es stellt sich heraus, dass auch die Staatsanwaltschaft Luzern seit 3 Monaten ein Verfahren wegen Betruges gegen Alberto führt. Woran müssen Sie denken gemäss StPO? Dür-fen Sie diese Tatsache ausser Acht lassen? Welche sind die damit verbunde-nen verfahrensrechtlichen Konsequenzen?

5. Es stellt sich in der Zwischenzeit heraus, dass die Staatsanwaltschaft Luzern 2 Wochen bevor Sie die Strafanzeigen erhalten haben das Verfahren gegen Al-berto eingestellt hat (das muss noch dem Strafregister gemeldet werden). Sie möchten somit die Polizei mit der Einvernahme von Julia und den «Bianchi`s» beauftragen. Dürfen Sie das gemäss StPO? Worauf müssen Sie achten beim Erfassen des Auftrages? Würde es ein Unterschied machen, ob das Verfahren in einem anderen Kanton geführt würde (z.B. Tessin)?

6. Um Alberto zu befragen will die Polizei zuerst die Bankunterlagen analysieren. Wie kann die Polizei diese erhalten? Wie muss sie vorgehen? Darf die Polizei diese direkt von der Bank einfordern?

7. Wie laden Sie Alberto für die Einvernahme vor? Welche Überlegungen kommen gemäss StPO in Betracht?

8. Alberto wird von der Polizei einvernommen. Sie werden kurz vor dem Schluss von der Polizei angerufen: Sie müssen entscheiden, ob er nach Hause darf. Kommt eine Verhaftung (Untersuchungshaft) in Frage? Welche sind die Vo-raussetzungen und wie ist gemäss StPO der Verfahrensablauf?

9. Woran müssen Sie denken, als StA, um die Dauer der von Ihnen als Ermittler/In gewünschten U-Haft zu berechnen?

10. Nachdem Sie die Anklageschrift eingereicht haben meldet sich die Mutter von Alberto bei Ihnen, um Akteneinsicht zu verlangen. Sie müssen zu ihrem Antrag Stellung nehmen. Welche Überlegungen kommen gemäss StPO in Frage?

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Fall 6 Dr. iur. Andreas Eckert

Strafrecht B. Berlinger hat mit Ihrem Mann drei Kinder im Teenageralter und befand sich zurzeit des geschilderten Sachverhalts in einem Scheidungsverfahren. Sie wollte dabei Ihren Lebensstandard beibehalten und war der Überzeugung, dass ihr dies auch zustünde. Daher entschied sie sich nicht einfach tatenlos zuzusehen, sondern etwas nachzuhel-fen. So fertigte sie an einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im 1. Quartal 2017 die nacherwähnten Lohnabrechnungen für das Jahr 2016 an, indem sie bei sich zu Hause an der Holzgasse 77 in Zürich an ihrem Computer die Lohnabrechnungen mit unwahren Angaben über ihren Lohn erstellte, wobei sie die jeweiligen Ausstel-lungsdaten und im Wesentlichen auch das Erscheinungsbild gemäss den Originalen übernahm, jedoch den Betrag CHF 8′000.00 durch den Betrag CHF 5′500.00 ersetzte. Sie wollte damit den Eindruck erwecken, dass es sich um von ihrem Arbeitgeber, Zim-merberg Partner AG, ausgefüllte Lohnausweise handelte, welche bescheinigen sollten, dass sie im Jahre 2016 monatlich lediglich CHF 5′500.00 anstatt CHF 8′000.00 ver-dient hatte, um auf diese Weise ihre finanzielle Lage im Rahmen des laufenden Schei-dungsverfahrens schlechter darzustellen. Im gleichen Zuge fertigte B. Berlinger an ih-rem Computer ein Bestätigungsschreiben an, welches belegen sollte, dass sie im Jah-re 2016 lediglich im 60%-Pensum bei der Zimmerberg Partner AG angestellt war und unterschrieb das Dokument mit dem Namen "Z. Zimmerberg". In Tat und Wahrheit ar-beitete B. Berlinger im Jahre 2016 90%, konnte so aber die Angaben aus den abgeän-derten Lohnabrechnungen untermauern. Diese obgenannten abgeänderten Unterlagen, d.h. Lohnabrechnungen und Bestäti-gungsschreiben, reichte B. Berlinger allesamt im Rahmen des zwischen ihr und ihrem Ehemann geführten Scheidungsverfahrens dem Bezirksgericht Zürich am 5. April 2017 als Beweise ein. Mit der Einreichung dieser Unterlagen erweckte sie den Anschein, dass sie weniger verdient hatte, als sie es effektiv tat, was ihr im Rahmen des Schei-dungsverfahrens eine bessere Position verschaffte. Das Bezirksgericht verwendete diese Unterlagen jedoch nicht, zumal es erkannt hatte, dass die Angaben von denjeni-gen in den von den Behörden (Steuerbehörde, SVA Zürich etc.) eingeholten Akten abwichen. Das Scheidungsverfahren ist nun seit Ende November 2017 abgeschlossen. Da ihre Strategie nicht aufgegangen ist, ist B. Berlinger nichts Anderes übrig geblieben, als mit der Arbeitsstellensuche zu beginnen, um die Unterhaltskosten resp. den Lebensbedarf zu decken, zumal sie nicht mehr bei der Zimmerberg Partner AG angestellt ist, weshalb auch die Einnahmen ausgeblieben sind. Anfangs Februar 2018 hat sie sich deshalb beim Sozialzentrum Selnau mit der Bitte um Sozialhilfe gemeldet, woraufhin sie das entsprechende Formular erhalten sowie ausgefüllt (inkl. weiterer verlangter Unterlagen) an das vereinbarte Beratungsgespräch am 10. Februar 2018 mitgenommen hat. Sie erhält kurz darauf die Bestätigung für Sozialhilfe entsprechend ihren Angaben für das Jahr 2018. Am 18. März 2018 meldet sich Herr H. Huber telefonisch bei B. Berlinger und bietet ihr eine 20%-Anstellung als Servicemitarbeiterin im Restaurant Falken in Zürich an. Sie nimmt das Angebot an, meldete dies dem Sozialamt aber nicht. B. Ber-linger ist mit ihren Einnahmen aus der Sozialhilfe und ihrer Anstellung im Falken insge-samt zufrieden. Für die Berechnung der Sozialgelder für das Jahr 2019 erhält B. Ber-linger von der Sozialhilfebehörde Ende 2018 erneut ein Formular, bei welchem sie ihre Personalien und diverse Informationen angeben musste. Sie setzt bei "Einnahmen"

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und der Frage "Arbeiten Sie?" ein Kreuz bei "Nein" und reicht das Formular Ende De-zember 2018 ein, obwohl sie immer noch 20% im Restaurant Falken arbeitet. Wiede-rum erhält sie die Bestätigung für Sozialhilfe entsprechend ihren Angaben für das Jahr 2019 und Ende Januar 2019 wird ihr bereits die erste Überweisung der Sozialhilfe ge-tätigt.

1) Prüfen Sie die Strafbarkeit von B. Berlinger nach StGB (Übertretungen sind nicht zu prüfen, ferner sind allenfalls benötigte Strafanträge gestellt. Steuerde-likte oder Delikte im Zusammenhang mit der Arbeitslosenversicherung (Bun-desgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11), Steuergesetz des Kantons Zürich (StG, LS 631.1) sowie Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIG, SR 837.0)) sind nicht zu beachten).

Strafprozessrecht Zurzeit ist gegen E. Ericsson ein Strafverfahren wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte i.S.v. Art. 285 StGB hängig. Der Beschuldigten wird vorgewor-fen, anlässlich einer Billettkontrolle im Bus Nr. 33 einem der beiden Kontrolleure in die Hand gebissen und dem Anderen ins Gesicht gespuckt und ihn sodann in den Brust-korb geschlagen zu haben. Im Rahmen einer Einvernahme und den Fragen zu ihrer Person teilt die Beschuldigte mit, dass sie Sozialhilfe beziehe und unregelmässige Zu-satzverdienste durch Einsätze in Altersheimen erziele. Des Weiteren macht die Be-schuldigte geltend, niemanden geschlagen oder gebissen, sondern sich lediglich ge-gen einen Angriff des einen Kontrolleurs gewehrt zu haben. Auf Grund der Tatsache, dass die Beschuldigte bereits mehrfach unter Alkoholeinfluss delinquiert hat und auch im Zeitpunkt der vorliegend zu beurteilenden Tat angetrunken war, muss im Laufe der Untersuchung geprüft werden, ob eine Alkoholabhängigkeit besteht und allenfalls eine ambulante Massnahme anzuordnen ist. Für Delikte solcherart ist eine Freiheitsstrafe von 5 Monaten in Betracht zu ziehen. In der polizeilichen Einvernahme vom 2. Februar 2014 war Rechtsanwältin M. Meier als "Anwältin der ersten Stunde" anwesend und ersuchte um Bestellung ihrer Person als amtliche Verteidigerin. Mit Verfügung vom 4. März 2014 wies die Oberstaatsan-waltschaft, Büro für amtliche Mandate, dieses Gesuch jedoch ab.

1) Um welche Thematik handelt es sich hier? Führen Sie das Wesen dieses Insti-tuts aus und Grenzen Sie die verschiedenen Arten der Verteidigung ab.

2) Welche höherrangige Norm steht über diesem Anspruch und welcher Berufs-stand wird daraus gewissermassen verpflichtet? (Allenfalls auch unter Beizug des Gesetzes für den entsprechenden Berufsstand)

3) Weshalb entscheidet die Oberstaatsanwaltschaft über dieses Gesuch, resp. wo wird dies geregelt?

4) Auf welcher Grundlage könnte die Oberstaatsanwaltschaft, Büro für amtliche Mandate, den Antrag ablehnen? Führen Sie an dieser Stelle nur die Theorie aus, die Subsumtion folgt mit Frage 5.

Nehmen Sie an die Begründung der Oberstaatsanwaltschaft, Büro für amtliche Manda-te, für die Ablehnung des Gesuches von Rechtsanwältin M. Meier würde wie folgt lau-ten: 1. "Ein Bagatellfall, bei dem eine amtliche Verteidigung ausgeschlossen ist, liegt ange-sichts der im Raum stehenden Vorwürfe nicht vor." 2. "Bei den genannten Vorwürfen handelt es sich um einen für Durchschnittsmenschen und auch für die beschuldigte Person, eine 48-jährige Schwedin, leicht überschauba-ren Sachverhalt. Gemäss eigenen Angaben lebt die Beschuldigte seit 26 Jahren in der Schweiz und dürfte daher mit den hiesigen Gepflogenheiten vertraut sein. Anlässlich

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der polizeilichen Einvernahme war sie zudem in der Lage, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu verstehen, die an sie gestellten Fragen ausführlich zu beantworten und ihre Rechte wahrzunehmen." 3. "Allfällige sprachliche Schwierigkeiten für sich alleine bilden ebenfalls keinen ausrei-chenden Grund für eine amtliche Verteidigung, da für alle Einvernahmen sowie zur Übersetzung der für das Verfahren wesentlichen Urkunden Übersetzer zur Verfügung stehen."

5) Unter welche Bestimmung lassen sich obige Argumente (Abschnitte 1, 2, 3) subsumieren und wie bewerten Sie die obenstehende Subsumtion angesichts des vorliegenden Sachverhaltes? Führen Sie Ihre Überlegungen aus.

6) Sind alle Voraussetzungen diskutiert worden? Wenn nicht, welches Merkmal ist nicht geprüft worden und wie würden sie angesichts des vorliegenden Sachver-haltes argumentieren?

Nehmen Sie an, die Oberstaatsanwaltschaft, Büro für amtliche Mandate, hat in der Begründung folgenden Satz vorgebracht: "Die finanziellen Verhältnisse müssen bei diesem Ergebnis nicht mehr geprüft werden."

7) Was ist die Überlegung dahinter (Vorgehensweise in der Prüfung der Voraus-setzungen)?

8) Kann die Beschuldigte etwas gegen diese Abweisungsverfügung der Ober-staatsanwaltschaft, Büro für amtliche Mandate, unternehmen? Wenn ja, wie und an welche Behörde und wie würde der gesamte (alle Instanzen) Rechtsmit-telweg verlaufen?

Die Staatsanwältin fällt einen Strafbefehl aus (die Frage der Anordnung einer Mass-nahme hat sich nicht mehr gestellt resp. ist im Nachhinein weggefallen).

9) Was sind die Voraussetzungen für den Erlass eines Strafbefehls? 10) Was könnte angesichts der folgenden Aussage von E. Ericsson vorliegend für

die Ausfällung eines Strafbefehls das Problem sein? "Ich habe niemanden geschlagen oder gebissen, sondern mich lediglich gegen einen Angriff des einen Kontrolleurs gewehrt."

11) Rechtsanwältin M. Meier ist mit dem Ausgang des Verfahrens nicht einverstan-den. Was kann sie verfahrenstechnisch unternehmen und wie beurteilen Sie die Erfolgschancen?

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Fall 7 PD Dr. iur. Damian Graf

Die Bundesanwaltschaft hat sich im Dezember 2018 mit Vorwürfen gegen den Konzern "Kriminelle Bank" zu befassen, namentlich die "Kriminelle Bank AG", die "Kriminelle Bank Schweiz AG" sowie die "Kriminelle Bank Compliance AG": Die "Kriminelle Bank AG" (nachfolgend: "Bank AG"; konzernweit 35'000 Angestellte) mit Sitz in Paris ist die Muttergesellschaft (Alleinaktionärin) der "Kriminelle Bank Schweiz AG" (nachfolgend: "Bank Schweiz AG"; 8'000 Angestellte) sowie der "Krimi-nelle Bank Compliance AG" (nachfolgend: "Compliance AG", 5 Angestellte), beide mit Sitz in Bern. Die "Compliance AG" übernimmt seit 2000 zentralisiert die Compliance für alle Gesellschaften der Unternehmensgruppe. Ihre Aufgabe ist unter anderem sicher-zustellen, dass das Verhalten aller Mitarbeiter sowie mit der Gruppe verbundenen Be-auftragten mit den internen Compliance-Regeln konform ist. Namentlich hat sie für die gruppenweite Einhaltung der Anti-Korruptions-Regeln zu sorgen. Die "Bank Schweiz AG" ihrerseits führt ebenfalls eine Compliance-Abteilung, da die FINMA verfügt hat, dass die Geldwäscherei-Compliance nicht an eine andere Konzerngesellschaft "outge-sourced" werden könne. Bei der "Bank Schweiz AG" ist eine hinreichend ausgebildete Person mit einem 100 %-Pensum für die Überwachung der Einhaltung der Geldwä-scherei-Richtlinien zuständig. Bei der "Compliance AG" besteht die zuständige Anti-Korruptions-Abteilung aus zwei Vollzeitstellen bei gleichzeitiger Unterstützung durch 10 bis 15 Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung (soweit dies nötig ist); die zuständigen Personen haben jedoch keine konkreten Erfahrungen oder spezifischen Ausbildungen im Compliance-Bereich. Der Konzern (bzw. die "Bank AG") ist namentlich bekannt dafür, weltweit "PEPs" ("poli-tically exposed persons") anzuwerben und zu seinem Kundenstamm zu zählen. Ent-sprechend ist der Konzern, dank seiner Verbindungen zur wirtschaftlichen und politi-schen Elite diverser Länder, oft in Finanzierungsgeschäfte mit Staaten bzw. staatliche kontrollierten Unternehmen involviert. Derartige Geschäfte lässt der Konzern über so-genannte Consultants akquirieren. Davon gibt es weltweit rund 350. Mit derartigen Consultants vereinbart der Konzern für den Fall eines Vertragsabschlusses oftmals ein Erfolgshonorar (das ist in diesem Bereich nicht aussergewöhnlich). Problematisch ist nun, dass im Jahr 2013 in drei Fällen Vertragsabschlüsse mit staatli-chen bzw. staatlich kontrollierten Unternehmen in Südkorea, Mexiko und Macao auf Bestechungen durch Consultants zurückzuführen waren. Bei den von den Vermittlern bezahlten Bestechungsgeldern handelte es sich grösstenteils um die vom Konzern an dieselben Personen ausbezahlten Erfolgshonorare; wirtschaftlich betrachtet flossen die Bestechungsgelder folglich vom Konzern via die Vermittler zu den ausländischen Amtsträgern. Die individuellen Korruptionshandlungen (Art. 322ter StGB) konnten drei Vermittlern nachgewiesen werden; entsprechende Strafbefehle sind im Sommer 2018 in Rechtskraft erwachsen. (Hinweis: Sie können die Anlasstat hier folglich als gegeben erachten.) Die "Bank AG" war sich dieser Problematik bewusst und hatte bereits vor 2013 Mass-nahmen zur Verhinderung von Korruption ergriffen. So hatte sie, auf externe Empfeh-lung hin, die konzerninternen Compliance-Aufgaben auf die "Compliance AG" übertra-gen und dort zentralisiert. Zudem hatte der Konzern weltweit geltende interne Richtli-nien in Kraft gesetzt, die die Zahlung an Consultants zum Zwecke der Bestechung ex-plizit untersagten. Die zuständigen Personen der "Compliance AG" sollten die Einhal-

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tung dieser Richtlinien überwachen und nötigenfalls durchsetzen. Dies unterliessen sie offenkundig in den drei geschilderten Fällen. Auch hat der Konzern, aus Kostengrün-den, auf Compliance-Schulungen der Consultants verzichtet. Auch in der Schweiz weht dem Konzern, spezifisch der "Bank Schweiz AG", ein eisiger Wind entgegen: Die kleine, aber feine "Anlageberatung AG" mit Sitz in München ist Kontoinhaberin bei der "Bank Schweiz AG". Sie ist eine in Deutschland zugelassene Finanzintermediärin, verfügt über einen professionellen Auftritt gegen aussen und hat sich über Jahre hin-weg den Ruf als verlässliche Anlagepartnerin erarbeitet. Ende 2016 wurde die Anlageberatung AG auf Bernie übertragen. Bernie hatte etwas Geld geerbt, das er für den Kauf der Firma einsetzte, er war jedoch noch nie als Anla-geberater tätig und verfügte auch über keine entsprechende Ausbildung. Nachdem Bernie anfänglich einen guten, aber nicht ausserordentlich hohen Ertrag erwirtschaftet hatte, häuften sich ab Frühling 2017 Verlustgeschäfte um Verlustgeschäfte, woraufhin viele Kunden ihr Geld abzogen. Bernie sah nur noch einen Weg, Profit aus der Sache zu ziehen: In Berlin akquirierte er drei Kunden, von denen er insgesamt EUR 4'500'000.00 sammelte, um sie, so spiegelte er ihnen vor, in Derivateprodukte mit ho-hen Gewinnaussichten zu stecken. Die Gelder würden "ausschliesslich hierfür verwen-det". In Tat und Wahrheit wollte Bernie die Gelder jedoch für seine eigenen Bedürfnis-se verwenden, um sich in ein Drittland (ohne Auslieferungsabkommen mit westeuropä-ischen Ländern) abzusetzen. Bevor die Kunden das Geld überwiesen, hatten Sie bei der deutschen BaFin nachge-fragt, ob die "Anlageberatung AG" seriös wäre. Die BaFin hatte ihnen bestätigt, dass die "Anlageberatung AG" über eine Bewilligung als Finanzintermediärin verfügte. In der Folge überwiesen die Kunden das Geld auf ein Konto der "Anlageberatung AG" bei der Sparkasse München. Diese Vermögenswerte wurden von Bernie alsdann auf deren Konto bei der "Bank Schweiz AG" weitertransferiert. Am 15. Oktober 2017, ein Tag nach Eingang der Überweisung bei der "Bank Schweiz AG", kontaktierte Bernie seine Kundenberaterin Miss Piggy, die er darüber informierte, dass er innert zehn Tagen über die eingegangenen EUR 4'500'000.00 verfügen möch-te, namentlich EUR 1'000'000.00 auf ein Konto eines Geschäftspartners in Italien überweisen und den Restbetrag bar abheben wolle. Als Grund gab er einen Diaman-tenkauf an. Weder in den Verträgen noch in der Korrespondenz mit den drei Anlegern wurde indes jemals ein Edelsteinkauf thematisiert. Auch der "Bank Schweiz AG" war nicht bekannt, dass die "Anlageberatung AG" nun auch im Edelsteingeschäft aktiv sei. Bevor Miss Piggy die Bestellung des Bargeldes und die Überweisung der EUR 1'000'000.00 definitiv vornahm, hatte sie sich bezüglich Zulässigkeit der Auszahlung telefonisch bei der Compliance-Abteilung der "Bank Schweiz AG" rückversichert. Ihre Ansprechperson bei der Compliance-Abteilung, Bert, gab ihr für die Barauszahlung grünes Licht, nachdem er sich vergewissert hatte, ob auf besagtem Konto Gelder in der Höhe des angekündigten Barbezuges vorhanden waren. Abgesehen davon wurden im Vorfeld dieser Barauszahlung keinerlei Abklärungen getätigt. Am 20. Oktober 2017 gab Miss Piggy die Überweisung in der Höhe von EUR 1'000'000.00 nach Italien frei und übergab Bernie die übrigen EUR 3‘500‘000.00 gleichentags in einem Koffer zu Scheinen à EUR 200.00. Das Geld gab Bernie alsdann einem Mittelsmann in Italien weiter. Das Bargeld ist seither spurlos verschwunden. Die durch die "Bank Schweiz AG" erlassenen und zur Zeit der Barauszahlung gültigen Reglemente sahen ab einem Barbezug von CHF 100‘000.00 das nachträgliche Ausfül-len des Formulars A1 sowie allfällige weitere nachträglich zu tätigende Abklärungen vor. Vorgängig erforderliche Abklärungen bzw. eine Aufschiebung der Barauszahlung

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zwecks Plausibilisierung der wirtschaftlichen Hintergründe waren, ungeachtet der Höhe des Barbezuges, dagegen nicht vorgesehen. Das wäre gemäss den geltenden Geld-wäscherei-Vorschriften (Geldwäschereigesetz und FINMA-Richtlinien) allerdings zwin-gend erforderlich gewesen. Das Strafverfahren gegen Miss Piggy wurde im Sommer 2018 eingestellt, da dieser keine vorsätzliche Tatbegehung nachgewiesen werden konnte, hatte sie sich doch bei der Compliance-Abteilung hinsichtlich Zulässigkeit der Überweisung bzw. Barauszah-lung rückversichert gehabt. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auch auf eine strafrecht-liche Verfolgung von Bert, da dieser offensichtlich nach der internen Geschäftspraxis der "Bank Schweiz AG" gehandelt hatte und ihm daher ebenfalls kaum ein Vorwurf gemacht werden könne. Die "Bank Schweiz AG" wurde am 1. November 2018 mit der "Gutgläubigen Bank Schweiz AG" fusioniert; daraus entstand die "Neue Bank Schweiz AG". Aufgaben Materielles Strafrecht 1. Strafbarkeit der "Kriminelle Bank AG" und der "Kriminelle Bank Compliance AG"

(betreffend den Sachverhaltskomplex "Consultants")? 2. Strafbarkeit der "Neue Bank Schweiz AG" (betreffend den Sachverhaltskomplex

"Diamantenkauf")? Strafprozessrecht 1. Wie sind die Vertreter bzw. Organe von beschuldigten Unternehmen im Strafver-

fahren zu behandeln? 2. Bevor gegen Miss Piggy ein Strafverfahren eröffnet wird, wird sie in der Strafunter-

suchung gegen die "Kriminelle Bank Schweiz AG" als Auskunftsperson einver-nommen.

a. Wie muss Miss Piggy von der Staatsanwaltschaft belehrt werden? Was sind die Folgen einer unterlassenen Belehrung?

b. Nach dieser Einvernahme wird auch gegen Miss Piggy ein Strafverfahren eröffnet. Kann in der Strafuntersuchung gegen Miss Piggy auf ihre Einver-nahme als Auskunftsperson abgestellt werden?

3. Die Bundesanwaltschaft erlässt einen Strafbefehl gegen die "Kriminelle Bank AG". Der Strafbefehl spricht von einer Busse von CHF 1.5 Mio.

a. Darf die Bundesanwaltschaft für Widerhandlungen gegen Art. 102 StGB überhaupt einen Strafbefehl erlassen?

b. Was kann die "Kriminelle Bank AG" dagegen unternehmen, wenn sie nicht einverstanden ist? Innert welcher Frist?

c. Das Unternehmen akzeptiert den Strafbefehl nicht, weshalb die Bundesan-waltschaft Anklage erhebt. Neu fordert sie als Sanktion allerdings eine Bus-se von CHF 2 Mio. und nicht mehr "bloss" CHF 1.5 Mio. Darf sie das?

d. Der Strafbefehl wird von der Bundesanwaltschaft an das Gericht überwie-sen. Vor Verhandlungsbeginn überlegt es sich die "Kriminelle Bank AG" an-ders und möchte nun doch keine öffentliche Verhandlung, sondern will den Strafbefehl akzeptieren. Geht das? Falls ja, wie muss sie vorgehen? Was bedeutet das für die Gerichtsverhandlung?

e. Meist geht es um weit höhere Beträge als CHF 5 Mio. (Maximalsanktion von Art. 102 StGB), die die Unternehmen zugunsten des Staats bezahlen müs-sen. Worin bestehen diese Zahlungen gemeinhin?

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4. Die Staatsanwaltschaft stellt das Strafverfahren gegen die "Kriminelle Bank AG" im Sachverhaltskomplex "Consultants" ein, nachdem sich diese zu einer Spende an "Transparency International" in der Höhe von CHF 1 Mio. durchgerungen hat. Zu-dem sei das öffentliche Interesse an einer Bestrafung gering. Ist dieses Vorgehen zulässig, falls ja gestützt worauf und unter welchen Umständen?

5. Kann sich ein Unternehmen auf den Grundsatz "nemo tenetur" berufen oder gibt es Schranken?