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Christoph Beer über John Kao: Innovation. Wie sich die USA & Europa neu erfin- den können. Murmann Verlag. Hamburg 2006. Innovationen Es ist nicht einfach, bei der noch immer boomenden Berater- bzw. Managementliteratur den richtigen Griff zu machen. Möglicherweise würde Kaos „Innovation“ in der Vielzahl der Literatur untergehen, würde der Verfasser nicht Neugier wecken. Die Lehrtätigkeit an der Harvard Business School und am Media Lab des MIT verspricht zusammen mit dem internationalen Beratungshintergrund (unter anderem für Hillary Clinton) einen fun- dierten Hintergrund. Die frühere Zusammenarbeit mit Frank Zappa oder die Rolle als Produzent von Filmen wie „Sex, Lügen und Video“ lässt auf einen breiteren, für die Szene nicht unbedingt üblichen Ansatz hoffen. Um es vorweg zu sagen: die Erwartungen werden in vieler Hinsicht enttäuscht. Erstens geht es nicht um die USA und Europa, sondern in erster Linie (wie es auch der Origi- naltitel sagt) um die USA. Mit seinen Verweisen auf die amerikanische Tradition bis in die Gründungsjahre hinein, mit den immer wieder aufgegriffen Bezügen zum Manhatten Projekt, zum Apollo Programm und zu dem amerikanischen Pioniergeist ist es ein zutiefst amerikanisches Buch. Entsprechend hoch ist auch die Zielsetzung: Amerika muss alles daransetzen „das erste voll entwickelte Innovationsland zu werden, damit wir global die Rolle des Initiators übernehmen können“ (195) und damit „zum Entstehen einer Innova- tionswelt“ beitragen (194). Die Europäische Union mit ihrer Lissabon Strategie wird nur am Rande erwähnt (10, 180f.) und zu Recht kritisiert. Die große Herausforderung für die USA, Asien, wird bezogen auf die momentan dominierenden Hotspots erörtert: China, Singapur, auch noch Dubai stehen im Mittelpunkt, also Länder mit umfassenden finan- ziellen Ressourcen und einer top down dominierten Wirtschafts- und Innovationspolitik. Zweitens beziehen sich die Beispiele auf die mittlerweile in der Managementliteratur immer wieder zu findenden üblichen Verdächtigen: SAS, Amazon, ebay, Wikipedia, Eli LITERATURBERICHT Was Berater lesen C. Beer () innoBE AG Wankdorffeldstr. 102, Postfach 261, CH-3000 Bern 22 E-Mail: [email protected] http://www.innoBE.ch ZPB 1 (2008) 3/4:652–655 DOI 10.1007/s12392-008-0068-0

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Christoph Beer über John Kao: Innovation. Wie sich die USA & Europa neu erfin-den können. Murmann Verlag. Hamburg 2006.

Innovationen

Es ist nicht einfach, bei der noch immer boomenden Berater- bzw. Managementliteratur den richtigen Griff zu machen. Möglicherweise würde Kaos „Innovation“ in der Vielzahl der Literatur untergehen, würde der Verfasser nicht Neugier wecken. Die Lehrtätigkeit an der Harvard Business School und am Media Lab des MIT verspricht zusammen mit dem internationalen Beratungshintergrund (unter anderem für Hillary Clinton) einen fun-dierten Hintergrund. Die frühere Zusammenarbeit mit Frank Zappa oder die Rolle als Produzent von Filmen wie „Sex, Lügen und Video“ lässt auf einen breiteren, für die Szene nicht unbedingt üblichen Ansatz hoffen.

Um es vorweg zu sagen: die Erwartungen werden in vieler Hinsicht enttäuscht. Erstens geht es nicht um die USA und Europa, sondern in erster Linie (wie es auch der Origi-naltitel sagt) um die USA. Mit seinen Verweisen auf die amerikanische Tradition bis in die Gründungsjahre hinein, mit den immer wieder aufgegriffen Bezügen zum Manhatten Projekt, zum Apollo Programm und zu dem amerikanischen Pioniergeist ist es ein zutiefst amerikanisches Buch. Entsprechend hoch ist auch die Zielsetzung: Amerika muss alles daransetzen „das erste voll entwickelte Innovationsland zu werden, damit wir global die Rolle des Initiators übernehmen können“ (195) und damit „zum Entstehen einer Innova-tionswelt“ beitragen (194). Die Europäische Union mit ihrer Lissabon Strategie wird nur am Rande erwähnt (10, 180f.) und zu Recht kritisiert. Die große Herausforderung für die USA, Asien, wird bezogen auf die momentan dominierenden Hotspots erörtert: China, Singapur, auch noch Dubai stehen im Mittelpunkt, also Länder mit umfassenden finan-ziellen Ressourcen und einer top down dominierten Wirtschafts- und Innovationspolitik.

Zweitens beziehen sich die Beispiele auf die mittlerweile in der Managementliteratur immer wieder zu findenden üblichen Verdächtigen: SAS, Amazon, ebay, Wikipedia, Eli

LITERATURBERICHT

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C. Beer ()innoBE AGWankdorffeldstr. 102, Postfach 261, CH-3000 Bern 22E-Mail: [email protected]://www.innoBE.ch

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Lilly (Pharma) (135ff.) oder an anderer Stelle Proctor & Gamble oder Hewlett-Packard. Auffällig ist, dass ein großer Teil der eingehender betrachteten Beispiele aus den USA stammen, also aus dem Land, dessen Innovationsfähigkeit der Autor als erneuerungsbe-dürftig ansieht.

Drittens hat die Informationstechnologie ein deutliches Übergewicht. Web 2.0 sieht Kao nicht nur als Experimentierfeld auch für Unternehmen, sondern immer wieder auch als Ordnungssystem, wenn es darum geht, das „Neue“ fassbar zu machen, etwa um die Veränderungen innovativer Praxis, die sich in der künftigen „Version 4.0“ von Innovation (28f.) ausdrückt.

Dennoch, es finden sich durchaus interessante Gedanken in Kaos „Innovation“. Dies liegt vor allem daran, dass er verschiedene Diskussionsstränge aufgreift, zum Teil kriti-siert und weiter zu entwickeln versucht (wie Porters Clusteransatz) oder auf die Innovati-onsdiskussion bezieht (wie Floridas kreative Klasse oder Saxeniens neue Argonauten, die zwischen den globalen Innovationszentren pendeln).

Für Kao geht es bei einer künftigen Innovationspolitik nicht darum, „mehr zu tun“ als bisher, sondern es geht nun darum, „es grundsätzlich anders zu machen“ (9). Seine Argumentation beginnt mit einem Verständnis von Innovation als Ausdruck eines sozi-alen Gewebes, als System (17f.). Hierbei geht es ihm um Innovationen, die ein „gänzlich neues Spielfeld entstehen lässt“ (30), und es geht nicht um kontinuierliche Weiterentwick-lung. Dabei geht es nicht ausschließlich um Wissenschaft und Spitzentechnik, sondern vor allem auch um soziale Innovationen (26). Das ist in der wissenschaftlichen Diskus-sion nicht unbedingt neu und originell, aber in der innovationspolitischen Diskussion noch keineswegs konsequent zur Kenntnis genommen. Innovationspolitik in Europa wird immer noch überwiegend als Technologiepolitik verstanden. Die organisatorischen, sozi-alen und infrastrukturellen Voraussetzungen oder Rahmenbedingungen von Innovationen finden sich bestenfalls in der Programmatik, sehr selten auf der instrumentellen Ebene, also gerade dann nicht, wenn es um die praktische Umsetzung geht.

Die Landkarte der Innovation

Im zweiten Kapitel skizziert Kao die „neue Landkarte der Innovation“. Singapur mit seiner Fähigkeit wissenschaftliche Exzellenz und hohe Lebensqualität auf kleinsten Raum zu konzentrieren, Dänemark mit seinen ökologischen (Windkraft) und sozialen (Flexicurity) Innovationen, China mit seinen imposanten Wachstumsraten, Bangalore als indisches Technologiezentrum oder Finnland mit seiner Verbindung von Technologie-zentren, Unternehmensgründungen und Modernisierung traditioneller Branchen bilden Referenzpunkte, die ein interessantes, breites Verständnis von Innovation auffächern.

Investitionen in das Ausbildungssystem bzw. in das Humankapital werden dann (Kapi-tel drei und vier) als die Schlüsselgröße für den Kampf um Talente angesehen. Dies kann nicht oft genug betont werden, vor allem auch deshalb, weil Bildung bereits im Vor-schulalter anfängt, Defizite in den frühen Jahren später kaum noch kompensiert werden können. Die Bezüge zu Richard Floridas Ansatz (Talent, Technik, Toleranz) finden sich im Verlauf der Argumentation immer wieder. Zu den sozialen Voraussetzungen zählt Kao auch die „Orte der Innovation“, die er im fünften Kapitel erörtert. Hierbei geht es nicht um die Stadt oder die Region, sondern um Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung (Kap. 5),

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die so gestaltet werden sollen, dass sie Freiräume, offene Diskussion und vor allem auch Freiheit von betrieblichen Hierarchien und Routinen ermöglichen.

Soziale Netzwerke und soziale Innovationen werden in Kapitel sechs diskutiert, wobei die neuen Möglichkeiten (Web 2.0, Second Life) im Mittelpunkt stehen. Offenheit, freier Austausch von Wissen bildet eine zentrale Voraussetzung. Hier wird einer der großen Widersprüche in der momentanen Diskussion um Innovationen angesprochen, ohne tiefer gehend erörtert zu werden: die Öffnung von Innovationsprozessen in Verbindung mit allgemein zugänglichem Wissen einerseits, das zunehmende Bemühen, immer weitere Formen zu schützen und zu vermarkten anderseits. Zwei der momentan gängigsten Kon-zepte der Innovationspolitik (Inkubatoren und Cluster) werden in diesem Zusammenhang diskutiert und kritisiert. Vor allem der zu enge regionale Bezug wird sich nach Kao als Grenze für derartige Ansätze erweisen, weil Innovationszusammenhänge global immer stärker vernetzt werden.

Der Versuch, eine neue Sichtweise in die Innovationsdiskussion einzubringen, endet trotzt des breiten Ansatzes eher konventionell. Der Vorschlag, in den USA 20 Innova-tionszentren zu gründen und jedes mit bis zu einer Mrd. US Dollar auszustatten, damit sie als Katalysator für die Region und für die gesamte Volkswirtschaft wirken ist weder neu noch kreativ. Kapitel sieben versucht die Erfahrungen des Manhattan Projekts zum Bau der Atombombe aufzugreifen und erinnert mehr an das eingangs von Kao kritisierte „immer mehr“ und hat wenig von dem „grundsätzlich anders“. Daran ändert auch nichts, dass er innovativen, angesehenen und kompetenten Person („Schwergewichts Champi-ons“, 170ff.) eine Schlüsselrolle zuweisen möchte.

Auch der im achten Kapitel skizzierte nationale Innovationsplan mit einem direkt beim Präsidenten angesiedelten nationalen Innovationsberater, einem nationalen Innovations-rat und einem Büro für Innovationseinschätzung macht nicht wirklich einen originellen Eindruck. Dies gilt auch für die im abschließenden Kapitel noch einmal angesprochenen kulturellen Aspekte, wobei auf die Bedeutung kosmopolitischen Denkens hingewiesen und ein „Ethos für Innovationen“ (207ff.) angemahnt wird.

Die Schlüsselrollen

Insgesamt steht Kaos „Innovation“ für eine Umbruchsituation, dies mag viele der Halbher-zigkeiten erklären. Es findet sich – nicht nur bei Kao – immer häufiger der Eindruck, dass die bisherigen und gängigen innovationspolitischen Strategien und Instrumente zu kurz greifen. Die Bedeutung neuer Faktoren wie globale Vernetzung, offene Wissensflüsse, interkultureller Austausch oder eine Abkehr von immer stärker durchrationalisierten betrieblichen Abläufen lässt sich nicht mehr ignorieren. Wie dies in innovationspoliti-schen Programmen umgesetzt werden kann (oder möglicherweise auch nicht sollte) bleibt aber offen. Die alten Rezepte greifen nicht mehr, die neuen sind bestenfalls in Konturen vorhanden. Umso erstaunlicher ist die zentrale Rolle, die Kao staatlichen Programmen zuweist. Hier weisen die Strategien Chinas, Singapurs usw. mit ihrer zentralstaatlichen Dominanz wohl in die falsche Richtung.

Immerhin, und deshalb lohnt sich die Lektüre von Kaos „Innovation“ durchaus: Kao spricht Aspekte an, die in der Innovation vernachlässigt werden, und hiervon könnte durchaus die europäische Lissabon Strategie profitieren. Innovation ist weit mehr als

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Technologie, Innovationsfähigkeit ist eben nicht an Patenten und Forschungs- und Ent-wicklungsausgaben zu messen, wie es immer wieder in europäischen Innovationsberich-ten der Schwerpunkt ist. Kaos Hinweis auf die Schlüsselrolle von Bildung und seine Sorge um deren Qualitätsverlust kann wie bereits oben gesagt nicht ernst genug genom-men werden.

Auch die Bindung von Innovation an Lebensqualität, sowohl als Voraussetzung wie auch als Zielsetzung, ist ebenfalls ein wesentlicher Gedanke. Auch die Überlegungen zur „Open Innovationen“ lohnen sich weiter zu verfolgen. Kaos Buch gibt hierfür Anre-gungen, Vertiefungen muss man sich woanders suchen. Der knapp gehaltene, aber gut auf den Punkt gebrachte Anmerkungsapparat bei Kao kann hierbei durchaus gute Orien-tierung geben.

Christoph Beer hat als Management Consultant gearbeitet und ist seit 2001 bei der innoBE AG beschäftigt, einer Public Pri-vate Partnership im Kanton Bern. Arbeitsgebiete von Christoph Beer sind Startup, Innovation und Cluster. Er ist in verschiedenen europäischen Netzwerken aktiv, hat unter anderem die Kommis-sion bei der Auswahl von Projekten zur Vernetzung europäischer innovativer Regionen beraten und ist Gewinner des Europe Innova Cluster Manager Awards 2008.

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