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Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“Master-Studiengang MedienwissenschaftMasterarbeitSommersemester 2013Susanne Eichner, Prof. Dr. habil. Lothar Mikos
Marvelous CinemaTransmediales und hyperdiegetisches Erzählen am Beispiel des „Marvel Cinematic Universe“
Vorgelegt von:Benjamin Hillmann
Berlin, den 26.07.2013
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung – Your First Step Into a Larger World.......................1
2. Kapitel 1 – Blockbusting All Channels..........................................8
2.1 Bedeutung und Entwicklung des Blockbuster-Kinos..........................8
2.2 Das Blockbuster-Kino im Zeitalter der Medienkonvergenz..............12
2.3 Transmedia Storytelling – Versuch einer erweiterten Definition......172.3.1 Inhaltliche Tiefe......................................................................................................17
2.3.2 Wahl und Macht des Rezipienten...........................................................................18
2.3.3 Immersion...............................................................................................................18
2.3.4 Fan-Kult(ur)...........................................................................................................19
2.3.5 Henry Jenkins 2011: Begriffs- und Definitionsklärung.........................................20
3. Kapitel 2 – The Revolution is Serialized.....................................24
3.1 Die Genesis der Fortsetzungsliteratur zu Zeiten der industriellen Revolution..............................................................................................24
3.1.1 Der Aufstieg der Comics in den USA....................................................................27
3.1.2 Marvel-Comics – Ursprünge, Kontinuität und Intertextualität.............................29
3.1.3 "The Marvel Method" und die fünf Säulen des Marvel-Universums....................31
3.1.4 Intertextualität, Metaebene und Partizipation........................................................33
4. Kapitel 3 – Marvel on the Big Screen .........................................37
4.1 Die Evolution der Marvel Studios....................................................37
4.2 Marvel Cinematic Universe – Phase One.........................................41
5. Kapitel 4 – Analyse des Marvel Cinematic Universe ................44
5.1 Die Kinofilme – Handlung, Filmwelt, Intertextualität......................445.1.1 IRON MAN............................................................................................................44
5.1.2 THE INCREDIBLE HULK...................................................................................48
5.1.3 IRON MAN 2.........................................................................................................51
5.1.4 THOR.....................................................................................................................54
5.1.5 CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER..................................................58
5.1.6 THE AVENGERS...................................................................................................62
5.2 Transmediale Erweiterungen – Inhalte und Merkmale.....................665.2.1 Comics: Marvel Cinematic Universe Tie-Ins........................................................66
5.2.2 Kurzfilme: Marvel One-Shots................................................................................67
5.2.3 TV-Serie: Agents of S.H.I.E.L.D...........................................................................68
5.2.4 Computer- und Videospiele....................................................................................69
5.2.5 Radikale Intertextualität am Beispiel des Tesseract...............................................70
5.2.6 Multimodalität am Beispiel der Figur Phil Coulson..............................................72
5.2.7 Hyperserialität .......................................................................................................74
6. Fazit – Ein Universum der narrativen Möglichkeiten...............76
Literaturverzeichnis..........................................................................78
1. Einleitung – Your First Step Into a Larger World
Tony Stark, Milliardär, Playboy, Philanthrop, betritt sein Luxus-Anwesen an der
Küste von Malibu. Wenige Augenblicke zuvor hat er als Iron Man seinen ersten
großen Sieg über das Böse in Form des abtrünnigen Iron Mongers davon getragen.
Ein Mann mit Augenklappe und schwarzem Ledermantel tritt aus dem Schatten
hervor und konfrontiert den frisch ernannten Helden in seinem Wohnzimmer:
„You think you're the only superhero in the world? Mr. Stark, you've
become part of a bigger universe. You just don't know it yet.“1
Nick Fury, Leiter der Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics
Division – kurz S.H.I.E.L.D., hat soeben Kontakt zum potentiellen ersten Mitglied
seiner geheimen Avengers-Initiatve aufgenommen. Die Leinwand wird schwarz und
der Kinosaal langsam von Licht geflutet.
Ein Teil des Kinopublikums hat diese Szene wahrscheinlich nicht zu Gesicht
bekommen, weil es den Saal bereits zu Beginn des Filmabspanns verlassen hat. Sie
werden diese zusätzliche Szene auch nicht missen, denn sie haben mit IRON MAN
(USA 2008) gerade einen unterhaltsamen Hollywood-Blockbuster aus dem Genre der
populären Superheldenfilme gesehen und sind mit ihren Gedanken bereits wieder im
Alltag angekommen. Ein anderer Teil des Publikums im Saal ist eventuell noch
sitzen geblieben, um während des Abspanns den Rest Popcorn aufzuessen oder ihre
Mails via Smartphone abzurufen – und wundern sich jetzt, warum ein etablierter und
bekannter US-Schauspieler wie Samuel L. Jackson (als Nick Fury) in nur einer
einzigen Szene nach dem eigentlichen Ende des Films auftaucht. Und was hat es
überhaupt mit dieser „Avengers-Initiative“ auf sich? Dann sind da noch die
Initiierten. Die Populärkultur- und Comic-Fans, die wohlig grinsend im Kinosessel
sitzen und wissen, dass sie in den vergangenen zwei Stunden gerade den Einstieg in
das Marvel Cinemtaic Universe erlebt haben. Sie können es kaum erwarten, ihre
Erfahrungen über diverse Social-Media-Kanäle mit anderen Fans zu teilen und zu
1 IRON MAN (USA 2008)
1
diskutieren. Willkommen in der Ära von Henry Jenkins "convergence culture":
"By convergence, I mean the flow of content across multiple media
platforms, the cooperation between multiple media industries, and the
migratory behavior of media audiences who will go almost anywhere in
search of the kinds of entertainment experiences they want. Convergence
is a word that manages to describe technological, industrial, cultural and
social changes depending on who´s speaking and what they think they
are talking about. [...] In the world of media convergence, every
important story gets told, every brand gets sold, and every consumer gets
courted across multiple media platforms."2
Doch vorerst zurück zu Iron Man und Nick Fury, deren Geburtsstunden lange vor
dem Zeitalter der digitalen Medien und dem Verschmelzen alter und neuer
Medienarten liegen. In den 1960ern, bzw. in der Zeitrechnung der US-Comic-
Industrie im Silver Age3, erblickten zahlreiche neue und die Reinkarnationen älterer
Comic-Helden des Marvel-Verlags (zuvor bekannt unter dem Namen Timely bzw.
Atlas)4 das Licht der Welt.
Darunter sowohl Eisenmann Tony Stark, der seinen ersten Auftritt 1963 in Tales of
Suspense5 feierte, als auch Geheimagent Nick Fury, der im gleichen Jahr zusammen
mit den Howling Commandos6 sein erstes Gefecht auf bebilderten Seiten austrägt.
Unter der Leitung der heutigen Comic-Legende Stan Lee legte Marvel großen Wert
darauf, Figuren und Geschichten in einem großen, sich ständig ergänzenden
Erzähluniversum anzusiedeln und dessen Kontinuität fortlaufend aufrecht zu
2 Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where Old And New Media Collide. New York: New York University Press, S. 2f3 Als Silver Age wird generell die Zeit zwischen Mitte der 1950er bis Anfang der 1970er bezeichnet, in der viele neue Comichelden eingeführt wurden und die Verleger und Artisten damit begonnen haben, die klassischen Genrekonventionen stärker zu variieren, um das Interesse an ihren Veröffentlichungen wieder zu steigern, nachdem es nach dem Ende des zweiten Weltkriegs stark eingebrochen war. Vgl. Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009): Menschliches, Übermenschliches. Zur narrativen Struktur von Superheldencomics. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 1674 Vgl. Weaver, Tyler (2013): Comics for Film, Games and Animation. Using Comics to Construct Your Transmedia Storyworld. Burlington: Focal Press, S.1105 Marvel Comics (1963): Tales of Suspense #39 6 Marvel Comics (1963): Sgt. Fury and His Howling Commandos #1
2
erhalten. So erschien 1963 auch bereits die erste Ausgabe der Avengers7, eine Gruppe
von Superhelden, der u.a. Iron Man, Donnergott Thor und Wut-Monster Hulk
angehören, um mit gebündelten Kräften gegen die Mächte zu kämpfen, denen sie
sich nur gemeinsam stellen können. In der Welt der (Superhelden-)Comics war und
ist das intertextuelle Erzähluniversum – das „shared universe“8 – ein essentielles und
erfolgreiches Mittel zur Leserbindung und Fan-Community-Pflege. Matt Hills
bezeichnet in seinem Buch über Fankulturen solche Erzähluniversen als
„hyperdiegesis“ und nennt sie als eine der entscheidenden Grundvoraussetzungen für
die Erhebung eines Medientextes zum Kult-Objekt bzw. die Generierung eines Fan-
Kultes um einen Medientext:
„Another defining attribute of the cult text is hyperdiegesis: the creation
of a vast and detailed narrative space, only a fraction of which is ever
directly seen or encountered within the text, but which nevertheless
appears to operate according to principles of internal logic and
extension.“9
All das war in der Welt der Superheldencomics schon damals Realität, lange bevor
Intertextualität bzw. Inter- und Transmedialität als Anker der modernen
"particapatory culture"10 zu den Trendwörtern der heutigen Medien- und
Unterhaltungsindustrien wurden. Während das Marvel-Imperium und seine Helden
sich (wieder) erhoben, befand sich ein anderes amerikanisches
Unterhaltungsimperium im freien Fall. Hollywoods Traumfabriken hatten in den
späten 1960ern mit kostspieligen Kinoflops zu kämpfen und produzierten mehr und
mehr am Publikumsgeschmack vorbei. Darüber hinaus mangelte es der Filmbranche
an talentiertem Nachwuchs, der die Gedanken und Gefühle der jungen
Nachkriegsgeneration verstand. Diese Krise verhalf einer neuen Generation
Filmemacher in den 1970ern, ihre ganz eigenen Visionen des amerikanischen
Kinotraums auf die Leinwände zu bringen. Inspiriert vom europäischen Autorenfilm
und den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in den USA, spiegelten
7 Marvel Comics (1963): The Avengers #1 8 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.1159 Hills, Matt (2002): Fan Cultures. London and New York: Routledge, S.13710 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 3
3
junge Filmemacher wie Martin Scorscese oder Francis Ford Coppola Amerikas
angeschlagenes Selbstbild in ihren Filmen wieder und fanden dabei sowohl beim
jungen Publikum als auch bei den Kritikern großen Anklang. Die in der
Filmgeschichte allgemein als New Hollywood bezeichnete Dekade brachte so einige
der größten bis heute noch aktiven Filmemacher des US-Kinos hervor. So schnell
sich New Hollywood aus der Asche des alten Studiosystems erhoben hatte, desto
abrupter näherte es sich wieder dem Boden der ökonomischen Realitäten. Je nach
Betrachtungsweise stellen Steven Spielbergs Sommer-Hit JAWS (USA 1975) und
George Lucas Weltraum-Märchen STAR WARS (USA 1977) entweder das Ende der
wilden New Hollywood-Jahre oder deren Kulmination dar. Hollywood hatte die
Masse als Publikum wieder gefunden – und den Urknall des modernen Blockbuster-
Kinos initiiert.11
Das Erscheinen von STAR WARS war nicht nur für das moderne Kino ein
entscheidender Moment, sondern auch für die Welt populärer Erzähluniversen und
transmedialer Story-Welten. Der später als Episode IV – A New Hope betitelte erste
Film der Sternenkrieger-Reihe legte den Grundstein für eines der größten populären
Erzähluniversen des 20. Jahrhunderts. Wenn Jedi-Meister Obi-Wan Kenobi dem
jungen Luke Skywalker nach seiner ersten Trainingslektion über die alles
verbindende Macht zuversichtlich orakelt "You've taken your first step into a larger
world."12, dann ähnelt das nicht nur zufällig der zu Beginn geschilderten Szene
zwischen Tony Stark und Nick Fury. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt das damalige
Kinopublikum noch nicht ansatzweise erahnen konnte, was Lucas Space-Fantasy in
den folgenden Jahrzehnten an Geschichten in unterschiedlichsten Medien generieren
würde, symbolisiert dieser Satz doch den Grundsatz erfolgreicher Erzähluniversen:
Hole das Publikum mit einer (oder diversen) prägenden(n) Geschichte(n) zum
Einsteig ab und belohne es fortan mit neuen Geschichten ihrer Helden und zuvor
unbekannten Winkeln einer unvergleichbaren fiktiven Welt.
Zwei Dekaden später im Kinosommer 1999, in dem auch der erste Teil der Star Wars
Prequels EPISODE I – THE PHANTOM MENACE (USA 1999) die großen
Leinwände eroberte, entführten ebenso die Wachowski-Geschwister Scharen von
11 Vgl. Elsaesser, Thomas (2009): Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino. Berlin: Bertz + Fischer, S. 19ff12 STAR WARS (USA 1977)
4
Zuschauern in die düstere Cyberpunk-Dystopie von THE MATRIX (USA 1999). Das
Geschwisterpaar überwachte in den Folgejahren als kreative Instanz das transmediale
Großprojekt hinter THE MATRIX, welches u.a. Comics, Videospiele und animierte
Kurzfilme umfasst. Diese halten für den engagierten Zuschauer allesamt Puzzleteile
in Form von überschneidenden Handlungssträngen und Figuren sowie versteckten
Hinweisen und Informationshäppchen bereit, um das große Matrix-Story-Mosaik in
seiner Vollständigkeit anschließend selber zusammensetzen zu können. Henry
Jenkins hat sich in seinem Buch Convergence Culture – Where Old And New Media
Collide näher mit dem Matrix-Phänomen und seinem Erfolg – als auch Fehlschlägen
– in Bezug auf das medienübergreifende Erzählen fiktionaler Erzähluniversen
auseinander gesetzt. Er bezeichnet diese Art des Erzählens als "transmedia
stroytelling":
„A transmedia story unfolds across multiple media platforms, with each
new text making a distinctive and valuable contribution to the whole. In
the ideal form of transmedia storytelling, each medium does what it does
best – so that a story might be introduced in a film, expanded through
television, novels, and comics; its world might be explored through game
play or experienced as an amusement park attraction. Each franchise
entry needs to be selfcontained so you don't need to have seen the film to
enjoy the game, and vice versa.“13
Während bei Star Wars das sogenannte expanded universe14 (Geschichten die z.B. in
Romanen, Comics oder Videospielen erzählt werden und jenseits der Ereignisse der
Kinofilme im selben Universum stattfinden) eine rein optionale Erweiterung
darstellt, handelt es sich bei den medienübergreifenden Angeboten der Matrix-Welt
teilweise um essentielle Informationen zum tieferen Verständnis der Filme. Dieser
Umstand führte bei dem einen oder anderen traditionelleren Zuschauer allerdings
schnell zu Irritationen im Kinosaal, denn auf einmal waren mehr Zeitaufwand und
kognitive Leistung von den Zuschauern gefordert, sofern sie wirklich die Geschichte
in ihrer Ganzheit verstehen wollten. Wie es Jenkins selbst formuliert: "To truly
13 Jenkins, Henry (2006), S. 97f14 Vgl. ebd. S. 108f
5
appreciate what we are watching, we have to do our homework."15 Spätestens seit
Beginn des 21. Jahrhunderts sind Medienkonvergenz und transmedia storytelling oft
geradezu inflationär verwendete Trendbegriffe, die von Medienunternehmen und
-produzenten oft gerne als Werbemittel für ihre neuen Brands und Franchises benutzt
werden. Auch an den bereits 1993 gegründeten Marvel Studios ist dieser Trend nicht
vorbei gegangen. Nachdem der audiovisuelle Seitenarm des Marvel-Verlages
jahrelang nur als Produktionspartner bei lizenzierten Film- und Fernsehauswertungen
ihrer Figuren und Franchises fungierte, entschied sich die Führungsriege des Studios
2004 dazu, zukünftig selber Filme zu finanzieren und produzieren. Unter der Leitung
von President of Production Kevin Feige wurde so der Grundstein für das Marvel
Cinematic Universe gelegt, ein Franchise-übergreifendes Filmuniversum der
verschiedenen Marvel-Helden, wie es Leser der Comics bereits seit Dekaden
begleitete. Der Startschuss fiel 2008 mit jener hier zu Beginn erwähnten Adaption
des Comic-Helden Iron Man. Darauf aufbauend folgten die Filme THE
INCREDIBLE HULK (USA 2008), IRON MAN 2 (USA 2010), THOR (USA
2011), und CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER (USA 2011). Diese sich
die selbe fiktive Welt teilende Reihe von Filmen mündete schließlich in THE
AVENGERS (USA 2012), in dem sich die Helden der vorhergegangenen Einzelfilme
gegen eine feindliche Übermacht verbünden müssen.
Mit Hilfe der Erkenntnisse von Herny Jenkins und anderen Experten, wird sich diese
Arbeit damit auseinandersetzen, wie das Marvel-Kino-Universum als film- und
medienübergreifendes World-Building-Projekt über mehrere Jahre hinweg von den
Produzenten und Filmemachern realisiert wurde. Schwerpunkte werden dabei sowohl
narrative Aspekte, wie filmübergreifende Handlungselemente und intertextuelle
Referenzen bilden als auch die Erweiterung des Filmgeschehens und damit der
narrativen Welt durch transmediale Angebote wie Comics, Kurzfilme und TV-
Inhalte. Ein weiterer Bestandteil wird außerdem die Analyse der multiplen Lesearten
bzw. die dem individuellen Zuschauer überlassene Komplexität der medialen
Erfahrung sein. Denn die Freiheit des Rezipienten, über die erfahrbare Tiefe des
fiktiven Universums selbst zu bestimmen, wird in der Auseinandersetzung mit
transmedialen Produktionen immer wieder als entscheidender Aspekt genannt.
15 Ebd. S.96
6
"Transmedia is about discovery, and the choice of how much the audience is willing
to discover."16 Zum besseren Verständnis der Analysen und daraus resultierenden
Schlussfolgerungen rekapituliert Kapitel 1 dieser Arbeit zunächst die Geschichte des
modernen Hollywood-Blockbusters und seinem Aufbruch in das Zeitalter der
Medienkonvergenz inklusive einer detaillierten Auseinandersetzung und erweiterten
Definition von transmedia storytelling. Verständnis fördernde Hintergründe zum
Phänomen populärkultureller Erzählwelten bietet zudem Kapitel 2, das sich mit der
Genesis der Fortsetzungsliteratur im 19. Jahrhundert und der daraus entstehenden
Comic-Kultur in den USA beschäftigt. Da die Überschreitung einzelner
Medienformen nicht nur die Essenz von transmedia storytelling ausmacht, sondern
dem Phänomen sogar direkt in den Namen geschrieben ist, ist eine interdisziplinäre
Sichtweise auf transmedia storytelling und dessen historischen Ursprünge, die weiter
in der Mediengeschichte zurückreichen, als man zunächst denken mag, nämlich nicht
nur empfehlenswert, sondern gar von Nöten.
16 Weaver, Tyler (2013), S.115
7
2. Kapitel 1 – Blockbusting All Channels
2.1 Bedeutung und Entwicklung des Blockbuster-Kinos
Spricht man von den Verfilmungen von US-amerikanischen Comics, liegt es in den
meisten Fällen nahe, dass man sich thematisch in der Sphäre des modernen
Blockbuster-Kinos bewegt. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends sind bis
heute praktisch jeden Sommer gleich mehrere Multi-Millionen-Dollar Produktionen
basierend auf populären Superheldenstoffen auf dem internationalen Kino-Markt
gestartet – und das in den meisten Fällen mit großem Erfolg. Die
Rahmenbedingungen der Blockbuster-Produktionen und die Inhalte der Superhelden-
Comics scheinen eine dementsprechend fruchtbare Symbiose darzustellen. Bei
genauerer Betrachtung der Geschichte des Blockbuster-Kinos wird sogar deutlich,
dass diese Entwicklung den beiden Unterhaltungszweigen seit Jahren vorbestimmt
war.
Die Bezeichnung Blockbuster ist im Englischen als auch im Deutschen längst in den
alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen und das nicht nur in Bezug auf das Kino.
Auch im Fernsehen oder in der Videospiel-Branche wird regelmäßig von
Blockbuster-Unterhaltung oder Blockbuster-Games gesprochen – sowohl auf Seite
der Produktion, im Marketing oder unter den Rezipienten selbst. Es scheint also ein
genereller Konsens darüber zu herrschen, was unter einem Blockbuster zu verstehen
ist, bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber schnell, dass dem Begriff im Laufe der
Zeit durchaus unterschiedliche Konnotationen zugeordnet wurden und das Konzept
des heutigen Kino-Blockbusters nicht mehr mit der ursprünglichen Bedeutung des
Terminus übereinstimmt. Im folgenden möchte ich zum besseren Verständnis kurz
auf die historische Entwicklung des Begriffs eingehen.
Regisseur Francis Ford Coppola liefert in seinem Vorwort zu George Lucas
Blockbusting eine allgemein gültige, zeitlose Definition des Blockbusters als eine
“[…] combination of financial success, critical success, great storytelling, and
timing. Blockbusting is determined by the impact it makes on the culture and its
8
ability to stand the test of time.”17 Gerade bei einer historischen Betrachtung des
Begriffs wird allerdings deutlich, dass im Diskurs des Kinos von zwei
unterschiedlichen Dingen die Rede ist, wie auch Marianne Skarics festhält:
Manche Blockbuster sind wahre 'Entertainment-Maschinen', deren Erfolg
eng gekoppelt ist mit extensivem Marketing und dem Verkauf zum Film
gehöriger Produkte wie Soundtracks oder Videospielen [z.B. “Batman”
(USA 1989)]. Andere Blockbuster erzielen ihre Erfolge ruhiger,
unauffälliger und langsamer [z.B. “Good Will Hunting” (USA 1997) Man
könnte demnach Blockbuster in bereits als solche intendierte, mit einer
'Blockbuster-Mentalität' versehene und in aus anderen Gründen zu
Blockbustern gewordene Filme unterteilen.18
Der letztere Teil stellt dabei die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Blockbuster (in
Bezug auf das Kino) dar. Der aus dem zweiten Weltkrieg stammende Begriff für eine
Fliegerbombe, die einen ganzen Häuserblock zerstören konnte, wurde bis in die
1970er herein gewöhnlich für alle Arten von Filmen benutzt, die sich im Laufe ihrer
Kinospielzeit zu großen Publikumserfolgen entwickelten [wie z.B. GONE WITH
THE WIND (USA, 1939) oder THE SOUND OF MUSIC (USA, 1959)]. Durch die
heutigen Produktions- und Distributionsbedingungen ist diese klassische Form des
Blockbuster-Kinos aber bis auf wenige Ausnahmen praktisch ausgestorben. Heutige
Blockbuster werden bereits von der ihnen zu Grunde liegenden Idee an darauf
konzeptioniert, ein Massenpublikum anzusprechen, was sie auch müssen, um die
enormen Produktionskosten mit zusätzlichem Gewinn wieder einzuspielen. Das hat
aber auch dazu geführt, dass diese „intendierten Blockbuster“ das Risiko in sich
tragen, fehl zu zünden und bei den heutigen Produktionsbudgets dadurch auch schon
mal ein komplettes Produktionsstudio mit in den Abgrund reißen könnten. Das
verleiht dem Ganzen nicht nur im Hinblick auf den historischen Ursprung des
Begriffs eine unheimliche Ironie, es hätte vor einigen Dekaden auch noch zu
17 Coppola, Francis Ford (2010): Introduction. In: Block, Alex Ben; Wilson; Lucy Autrey (2010): George Lucas' Blockbusting. A Decade-by-Decade Survey of Timeless Movies Including Untold Secrets of their Financial and Cultural Sucess. New York: HarperCollins Publishers Inc., S. vi.18 Skarics, Marianne (2004): Popularkino als Ersatzkirche? Das Erfolgsprinzip aktueller Blockbuster. Münster: Lit Verlag, S. 95
9
berechtigten Stirnrunzeln geführt, von „fehlschlagenden Kino-Erfolgen“ zu sprechen,
wie auch Tom Shone in seinem Buch Blockbuster festhält: „ […] Variety will Speak
today of a bluckbuster 'failing' at the box office – which would have caused endless
confusion to someone from 1975; a film was either a riotous success, in which case it
was a blockbuster, or else it wasn't.19
Trotzdem ist dieses vermeintliche Oxymoron Teil der heutigen Realität des populären
Kinos, auch wenn natürlich von Seiten der Filmproduktion und – vermarktung alles
dafür getan wird, dass ein vermeintlicher Sommer-Blockbuster nicht an den
Kinokassen scheitert, weswegen heutige Großproduktionen von Beginn an auf ihre
Markttauglichkeit hin konzipiert werden. Bereits populäre Inhalte sind dabei als
Basis ebenso gefragt wie einfach zu kommunizierende, wodurch heutzutage eine Flut
von Adaptionen oder Remakes populärkultur-prägender Stoffe aus Literatur,
Fernsehen, Kino – und eben Comics – den internationalen Markt beherrschen. Das
Grundmuster für diese Produktionen haben vor allem das Gespann Lucas-Spielberg
geprägt, auch wenn man deutlich machen muss, dass weder JAWS noch STAR
WARS "geplante Hits" waren, ganz im Gegenteil. Der enorme Erfolg dieser Filme
beim Publikum und der sich darum entwickelnde Fan-Kult, wiesen den großen
Filmstudios den Weg zu ihrer heutigen Blockbuster-Formel, die sie in den darauf
folgenden Jahrzehnten Stück für Stück optimierten.
Doch was verhalf den ursprünglichen Vorbildern des heutigen "intendierten
Blockbusters" zu ihrem Erfolg? Es waren ihre massentauglichen, vor allem an ein
junges Publikum gerichtete Geschichten gekoppelt mit einem professionellen
Produktionsstandard und innovativer, berauschender Ästhetik, wie sie das Genre-
Kino zuvor noch nicht geboten hatte. Insbesondere Spielbergs JAWS sprengte die in
vielen Kinogänger-Köpfen vorhandene Mauer zwischen Qualität/Anspruch und
Unterhaltung und bewies, das beides möglich war:
"Spielberg had completely upended the pyramid of American film,
ridding the blockbuster of its rather desperate bids of 'prestige' while also
visiting on it the sort of filigree dramatic technique normally associated
with films much further up the brow. The effect on audiences was
19 Shone, Tom (2004): Blockbuster. How Hollywood Learned to Stop Worrying and Love the Summer. New York: Free Press, S. 28
10
properly electric, for now we knew, and we would never go back,
willingly, to the old system of cinematic apartheid that had existed
before, dictating that popular films must be dumb, and highbrow films
boring."20
Der Triumph von Lucas' STAR WARS hingegen bestand vor allem darin, das
Publikum zu einer Reise in eine andere Welt, eine „weit, weit entfernte Galaxis“,
abzuholen und auch nach dem Kinobesuch nicht mehr loszulassen. Anstatt einen
Film auf einer zwei-dimensionalen Leinwand zu betrachten, tauchten die Menschen
im Kinosaal geradezu in das Geschehen ein, reagierten mit Schreien oder Applaus
auf das Gesehene, nahmen an der Geschichte selber teil.21 Im weiteren Sinne war es
nicht Hollywood, das mit STAR WARS versuchte, die Filmindustrie in eine
Spielzeugindustrie zu verwandeln, sondern es waren die Zuschauer, die sich STAR
WARS zu eigen machten und damit spielten:
"You turned it into a toy, so you could keep playing with the movie in
your head, as Lucas had played with it in his head, in the years before he
got to make it [...]. That was how Star Wars felt, [...] as a clarion call to
adventure, an invitation to another, impossibly glamorous universe where
movies like Star Wars happened all the time."22
Was Filmemacher wie Spielberg und Lucas von anderen Regisseuren ihrer Ära
unterschied, waren weniger die handwerklichen Einflüsse, sondern die ästhetischen
und inhaltlichen Inspirationsquellen ihrer Werke. Diese fanden sie in ihrer Jugend
nicht in der Kunst des anspruchsvollen Kinos, sondern in den bunten, schnellen und
viszeralen Auswüchsen US-amerikanischer Massenunterhaltung wie
Groschenromanen, Comics, TV-Sendungen und B-Movie-Serials aus der Frühzeit
Hollywoods. Es war die Populärkultur vor der Festschreibung ihres Begriffes. Für
Amerikaner ihrer Zeit war es einfach Trash:
20 Ebd. S. 3321 Vgl. ebd. S. 5522 Ebd. S. 11
11
"There was no 'popular culture' as we know it today. That phrase, with its
charge of punkish, publicly endorsed glamour, was decades off. It was
just 'junk' or 'trash' and to track it down required patience, dedication and
cunning. You had to go around to your neigbor's house, like Lucas, or
sneak down at night after your parents had gone to bed, like Spielberg,
and if that failed, [...] bulid your own thrills yourself. They were the boys
who built pop culture in their backyards."23
Die erste Filmemacher-Generation des modernen Blockbuster-Kinos sammelte und
verarbeitete die Essenzen populärer Unterhaltung und setzte diese in einer
Kettenreaktion, unterstützt durch die Standards des professionellen Filmemachens,
auf den Leinwänden und in den Köpfen der Zuschauer frei. Die Ära der Comic-
Adaption und Superhelden-Filme besteht vielleicht erst seit gut einer Dekade, das
Aufeinandertreffen von Kino und Comic hatte das in den späten 1970ern initiierte
Blockbuster-Kino allerdings schon immer in die DNA seiner Wurzeln geschrieben.
Erst durch die Anforderungen und Produktionsbedingungen des heutigen
Kinomarktes und dank der enormen Entwicklungen der Visual-Effects-Industrie, ist
diese Verschmelzung heute zu seiner vollständigen Blüte gekommen.
2.2 Das Blockbuster-Kino im Zeitalter der Medienkonvergenz
Wenn wir von Medienkonvergenz und damit verbundenen Trends wie transmedia
storytelling, Multi-Channel-Inhalten und immersiven Medienerlebnissen sprechen,
scheinen dabei zwei Wahrnehmungen oft unbewusst als gegeben vorausgesetzt zu
werden: Erstens, dass diese Trends neuartige Entwicklungen der durch die Dotcom-
Ära entstandenen Möglichkeiten der digitalen Medien und Distribution sind und
zweitens, dass, wie bei so vielen anderen Phänomenen der globalen Populärkultur,
ihre Wiege in den "kulturimperialistischen" Mühlen der US-Unterhaltungsindustrie
23 Ebd. S. 6
12
zu finden ist. Doch ein genauerer Blick in die Medien-Historie erzählt eine andere
Geschichte.
Das vielleicht früheste Beispiel für ein transmediales Erzählprojekt ist zunächst in
der Tat eine US-amerikanische Kreation. 1930 debütierte die Figur The Shadow
zunächst als Erzählstimme der Radiosendung Detectiv Story Hour. Kurz darauf
erschuf Autor Walter B. Gibson eine eigene Reihe von Groschenromanen über den
maskierten Rächer und seinem Kampf gegen die Unterwelt. Auch wenn die Inhalte
nicht direkt miteinander in Verbindung standen, wurde durch die Buchgeschichten
der Eindruck erweckt, mehr über den mysteriösen Mann aus dem Radio zu erfahren,
der seine wahre Identität dem Publikum verbarg. So entstand sogar noch vor der
Einführung des Fernsehens die frühe Form eines transmedialen Erzählprojekts.24 Die
Figur (in ihrer Radio-Version später u.a. auch von Schauspieler Orson Welles
gesprochen) wurde zudem zu einem Vorläufer und Archetypen für die noch
folgenden maskierten Helden und Rächer der Populärkultur, wie z.B. der 1939 zum
ersten Mal in Erscheinung tretende Batman vom Bob Kane.25
Das erste Land, in dem eine breitflächige und professionalisierte "media mix"26-
Kultur Fuß fasste, befand sich allerdings auf der anderen Seite des Pazifiks. Die
technikbegeisterten Fan-Communities, die seit den 1970ern um japanische Anime-
Serien wie Macross oder Gundam Wing entstanden, katalysierten einen in Nippon bis
heute ungebrochenen Trend für "synergetic storytelling"27. Die Idee, dass eine
Geschichte zeitgleich durch verschiedene Medien hinweg erzählt werden kann, ist in
Japan seit Dekaden ein etabliertes Mantra der Medienproduktion, während sich
Hollywood und der Rest der Welt bis in das neue Jahrtausend hinein damit schwer
taten, medienübergreifende Angebote zu schaffen, die über die Vergabe von Lizenzen
an Dritte zur Produktion von bloßen Begleitartikeln hinausgehen. So wurde der
Begriff "transmedia producer" erst 2010 durch den Druck von einflussreichen
Personen wie Filmregisseur James Cameron und Filmproduzentin Gale Ann Hurd,
offiziell als Berufsbezeichnung in der US-Industrie akzeptiert.28 Aber nicht nur die
24 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S. 2725 DC Comics (1939): Detective Comics #2726 Jenkins, Henry (2006), S. 112f27 Rose, Frank (2012): The Art of Immersion. How the Digital Generation Is Remaking Hollywood, Madison Avenue, and the Way We Tell Stories. New York; London: Norton, S. 4128 Vgl. ebd., S. 41f
13
Möglichkeiten des medienübergreifenden Erzählens durch TV-Serien, Filme,
Videomarkt-Veröffentlichungen und Mangas (Comics) der selben Franchise führten
zu der heute auch weit über Japan hinaus reichenden Popularität von Anime-
Produktionen. Auch im Bereich der Fan-Communities waren und sind japanische
Produktionen gefördert durch das Plus an Aufmerksamkeit durch Multi-Channel-
Angebote und transmediale Story-Erfahrungen Vorreiter für Entwicklungen wie Fan-
Connventions, Fan-Fiction und andere von den Rezipienten kreierte Inhalte.29
Interessanterweise stammen die jüngeren Versuche US-amerikanischer
Filmproduktionen mit transmedialen Charakter meistens aus der Hand von
Regisseuren wie Cameron (AVATAR, USA 2009) oder den Wachowskis, deren
Filmen nicht nur oft inhaltliche und ästhetische Bezüge zu populären Anime-
Produktionen aufweisen, sondern die selber auch gerne als Advokaten der
japanischen Animationskunst auftreten. So plant Cameron schon seit geraumer Zeit
eine Kino-Adaption des Manga-Klassikers Battle Angel Alita30, während die
Wachowskis sogar mehrere renommierte japanische Animationsstudios und
Regisseure in die transmediale Auswertung der Matrix-Franchise in Form der
ursprünglich als Webisodes veröffentlichten Kurzfilmsammlung THE ANIMATRIX
(USA 2003) mit einbanden.31 Darüber hinaus betonten die Wachowskis den großen
Einfluss von Anime als Inspirationsquelle für ihr Matrix-Universum, das praktisch
als erste US-Franchise vollständig die japanischen Media-Mix-Strategien rund um
das synergetische Erzählen von medienübergreifenden Geschichten adaptierte.32
Heutzutage sind nicht nur unsere medialen Erfahrungen von übergreifenden und sich
gegenseitig ergänzenden Prozessen bestimmt, sondern im weitesten Sinne unsere
gesamte Kommunikation, unsere Beziehungen, unsere Erinnerungen – kurzum
unsere komplette Kultur hat sich zu einer Kultur der Konvergenz entwickelt.33
Zuschauergruppen und Fan-Communities sind aktiver denn je, nicht nur in Bezug auf
Kommunikation und Organisation durch die digitalen Medien, sondern auch wenn es
um Rekreation und Erweiterung von rezipierten Inhalten geht. Populäre
Medieninhalte müssen deshalb heute nicht nur einen universellen Markt ansprechen,
29 Vgl. ebd., S. 42f30 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt0437086/ [Stand: 25.05.2013]31 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 103f32 Vgl. Rose, Frank (2012), S. 4333 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 3f
14
sondern gleichzeitig auch inhaltlich potentiell endlos erweiterbare Basen für Fan-
Kulturen darstellen. Jenkins spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Kunst
des Geschichtenerzählens, der "art of world building":
„More and more, storytelling has become the art of world building, as
artists create compelling environments that can not be fully explored or
exhausted within a single work or even a single medium. The world is
bigger than the film, bigger even than the franchise – since fan
speculations and elaborations also expand the world in a variety of
directions.“34
Filmemacher und andere Kreative befinden sich heute sowohl in der Rolle des
Produzenten von kulturwirtschaftlichen Produkten als auch in der des universellen
Geschichtenerzählers. Jedes Element einer Geschichte hat heute das Potential durch
neue Medienarten erweitert bzw. näher beleuchtet zu werden, genauso wie neue
potentiell profitable Distributionswege den Ausbau immer komplexerer Story-Welten
erfordern.35 Daraus resultiert eine für die noch nicht "konvergierten" Teile des
modernen Publikums oft merkwürdig fragmentiert wirkende, dem inhaltlichen
Zusammenhang entrissene Art des Erzählens, sowohl im aktuellen Blockbuster-Kino
als auch in anderen populären Medien. "If you look at such works by old criteria,
these movies may seem more fragmented, but the fragments exist so that consumers
can make the connections on their own time and in their own ways."36 Diese
Fragmentation des Geschichtenerzählens ist letztendlich auch eine direkte Reaktion
auf die fortschreitende Fragmentation des Publikums. Unterschiedliche
Zuschauergruppen werden durch verschiedene Rezeptionsebenen des selben Inhalts
angesprochen. So spricht z.B. auch Digital Media-Theoretikerin Janet Murray von
drei verschiedenen Arten von Konsumenten, die durch zeitgenössische, populäre
Medieninhalte angesprochen werden: Der aktiv involvierte "real-time"-Zuschauer,
der kurzfristig in jedem neuen Inhalt Unterhaltung und Spannung sucht, das
reflektiertere "long-term"-Publikum, das nach kohärenten Mustern in der Geschichte
34 Ebd., S. 11635 Vgl. ebd., S. 11736 Ebd., S. 121
15
als Ganzes sucht und der "navigational viewer", dem es Freude bereitet,
Verbindungen in verschiedenen Teilen der Geschichte zu folgen und multiple
Anordnungen des gleichen Materials zu entdecken37.
Diese multiple Rezeptionsausrichtung in der Praxis in den jeweiligen Inhalten
umzusetzen ist allerdings ein Unterfangen, das nicht immer von Erfolg oder dem
Verständnis einer klassischen Kritik über die Qualität von medialen Inhalten geprägt
ist. So wurden laut Jenkins sowohl die Kinofortsetzungen als auch andere mediale
Umsetzungen des Matrix-Universum dafür kritisiert, inhaltlich zu stark voneinander
abzuhängen und für den durchschnittlichen Rezipienten kaum noch fassbar zu sein.
Inhaltliche Lücken der Filme könnten für Zuschauer ohne Kenntnisse der animierten
Kurzfilme nicht geschlossen werden, Nebenfiguren hätten für Zuschauer ohne Bezug
zum Videospiel Enter the Matrix eher handlungsbremsende als –bereichernde
Funktionen und auch die Auflösung der Geschichte habe am Ende nicht die über
Jahre ausgemalten Erwartungen der Fans erfüllen können. Kritiker sahen in den
transmedialen Auswüchsen zudem eher neue Wege der Profitmaximierung als des
Geschichtenerzählens, was ohne Zweifel die Kehrseite des aktuellen Transmedia-
Trends ausmacht. Am Ende war das Matrix-Universum ein interessanter aber
mängelbehafteter Blick in die Zukunft der transmedialen Unterhaltung.38
Das Blockbuster-Kino, das als Auswertungsweg für Franchise-Universen momentan
immer noch eines der entscheidenden Leitmedien darstellt – Kino als das Event, um
das sich alle weiteren Teile der Auswertungskette drehen – ist im Zeitalter der
Medienkonvergenz und Konvergenzkulturen mit ebenso vielen Chancen wie
Herausforderungen konfrontiert. Die neuen Medien und die ständige Vernetzung der
Konsumenten ermöglichen cross- sowie transmediale Auswertungen erfolgreicher
Franchises, ikonischer Figuren und beliebter Geschichten, fordern aber gleichzeitig
auch neue Erzähltechniken und größeren Umfang an Inhalten. Der (post-)moderne
Kino-Blockbuster muss konstant im Moment der Rezeption unterhalten, als auch
darüber hinaus weitere Ebenen für tiefergehende Auseinandersetzung bereithalten
und im besten Fall zu jedem Zeitpunkt in alle Richtungen inhaltlich erweiterbar sein.
Er muss als Produkt für die Masse, als auch ein speziell auf den individuellen
Zuschauer zugeschnittenes Unterhaltungsgut funktionieren.
37 Murray, Janet zitiert in ebd., S. 12138 Vgl. ebd., S. 98f. u. S.105f
16
2.3 Transmedia Storytelling – Versuch einer erweiterten Definition
Wie bereits in der Einleitung (S. 5) festgehalten, versteht Henry Jenkins unter
transmedia storytelling eine Geschichte, die über verschiedene Medien hinweg
erzählt wird. Bei der jeder Teil sowohl für sich selbst steht als auch Teil einer
größeren übergreifenden Erzählung ist und deren Einzelteile in beliebiger
Reihenfolge rezipiert werden können. Zwei dieser Definition innewohnenden
Aspekte sollen hier im Folgenden genauer betrachtet werden und zwar die der
inhaltlichen Tiefe und der Wahl bzw. Macht des Rezipienten über den
Rezeptionsverlauf. Schlussfolgernd daraus folgen weitere Unterpunkte zu Immersion
und Fan-Kult(ur) sowie eine aktuelle Überarbeitung und Differenzierung des
Begriffs transmedia storytelling durch Jenkins selbst.
2.3.1 Inhaltliche Tiefe
In Anbetracht von transmedialen Inhalten ist unter Tiefe weniger die inhaltliche bzw.
thematische Komplexität eines Stoffes, einer Handlung oder der Figurenzeichnung
zu verstehen, sondern die verschiedenen (inhaltlichen bzw. auch medialen) Ebenen,
durch die eine Erzählung oder erzählte Welt ausgebreitet wird. Sinnbildlich
gesprochen funktioniert transmedia storytelling idealerweise wie eine Zwiebel, deren
einzelne Schichten sowohl für sich alleine stehen, als auch zusammengelegt ein
Ganzes ergeben. Grundvoraussetzung dafür ist, dass mehrere Schichten vorhanden
sein müssen, um bei Bedarf vom Konsumenten freigelegt werden zu können und ihm
die Möglichkeit bieten, so tief in die Materie einzudringen, wie es ihm gerade recht
ist. Frank Rose spricht in diesem Zusammenhang von "deep media": "[...] A new type
of narrative is emerging – one that's told through many media at once in a way that's
nonlinear, that's participatory and often gamelike, and that's designed above all to be
immersive."39 Unmittelbar damit verbunden ist, die Wahl des Rezipienten über die
Tiefe dieser Erfahrung.
39 Rose, Frank (2012), S. 3
17
2.3.2 Wahl und Macht des Rezipienten
Eine funktionierende transmediale Erfahrung zeichnet sich dadurch aus, dass der
Rezipient die Möglichkeit hat und die Motivation dazu verspüren sollte, tiefer in die
jeweilige Erzählung vorzudringen ohne dies aber zwangsweise tun zu müssen. Sich
nur auf der Schale der Zwiebel zu bewegen sollte eine genauso vollständige
Erfahrung bieten, wie sich an einer Stelle durch die verschiedenen Schichten zu
bohren. "That inner desire to dig deeper, that choice to peel back the layers, to track
down pieces of story, of character, is the beating heart of great transmedia
storytelling."40 Diese Art des Geschichtenerzählens bietet deshalb auch wie keine
andere zuvor die Möglichkeit, verschiedene Typen von Rezipienten, vom
Gelegenheitszuschauer bis zum leidenschaftlichen Fan, anzusprechen und abzuholen.
Dies ist ein entscheidendes Merkmal in Zeiten immer stärkerer
Publikumsfragmentierung und Individualisierung des Konsumverhaltens, das die
Bedeutung und das Potential von transmedialen Inhalten in ein neues Licht rückt.
Regisseur James Cameron spricht in Bezug auf seinen Film AVATAR von einer
"fractal-like complexity": "The casual viewer can enjoy it without having to drill
down to the secondary and tertiary levels of detail. But for a real fan, you go in an
order of magnitude and, boom!. There's a whole new set of patterns."41
2.3.3 Immersion
Der Begriff Immersion wird gewöhnlich in Zusammenhang mit der Rezeption von
Computer- und Videospielen verwendet, um die „Form des Erlebens, die einem
Eintauchen in virtuelle Realitäten entspricht“42 zu beschreiben. Der Effekt kann laut
Lothar Mikos aber auch bei anderen Medieninhalten auftreten, sofern „der
Medientext einen hohen Grad an kognitiver und emotionaler Aktivität der
Rezipienten hervorbringt, die sich mit einem zweckfreien Vergnügen am Text
paart“43. In der amerikanischen Forschungsliteratur wird der Begriff immer wieder in
40 Weaver, Tyler (2012), S. 3141 Zitiert in Rose, Frank (2012), S. 4942 Mikos, Lothar (2008): Film- und Fernsehanalyse. Konstanz: UVK (2. Aufl.), S. 18443 Ebd., S. 185
18
Zusammenhang mit transmedialen Erzählungen und deren attraktiven Eigenschaften
für ein modernes Publikum verwendet. Frank Rose spricht von einem Bedarf an
Immersion, Teile des Publikums würden geradezu in medial erzählte Geschichten
eintauchen wollen, von ihren Inhalten komplett umgeben sein, sich in eine
scheinbare Zweit-Realität einklinken. Interaktivität und Nicht-Linearität werden
dabei oft als Schlüsselfaktoren immersiver Medienerlebnisse begriffen. Bei der
Auseinandersetzung mit dem Eintauchen in fiktive Welten schwingt allerdings häufig
eine Angst vor der totalen Immersion mit, dem Moment, in dem Realität und Fiktion
verschwimmen und beide Gegenstände vom Rezipienten nicht mehr
auseinandergehalten werden können, wie Rose weiter ausführt. Trotz dieser Angst
würden wir uns Rose zufolge allerdings nach immer immersiveren Fiktionen und
Medienerfahrungen sehnen.44
Interessanterweise wird dieser Diskurs nicht nur aktuell von Forschern und Experten
geführt, sondern er findet auch in den betroffenen Medien selber statt. Egal ob jüngst
in Filmen wie INCEPTION (USA 2010), TRON: LEGACY (USA 2010) oder
SHUTTER ISLAND (USA 2010), oder in Videospielen wie Metal Gear Solid 2 :
Sons of Liberty (Konami, 2001) oder der Assassins' Creed-Reihe (Ubisoft, 2007-
2013), immer wieder sehen sich Protagonisten und in letzter Konsequenz auch das
Publikum mit vermeintlichen Realitäten konfrontiert, die sich als bloße Konstrukte
erweisen und im Verlauf dieser Entdeckung langsam auseinanderfallen. Bestes
Beispiel dafür ist natürlich THE MATRIX, welcher sich mit seiner Handlung über
von Maschinen versklavten und unbewusst in einer Computersimulation lebenden
Menschen seine eigene Immersivität auf geradezu ironische Weise dem Publikum
vorhält und selbst dekonstruiert.
2.3.4 Fan-Kult(ur)
Wie an mehreren Stellen schon deutlich geworden, lässt sich kaum über Produktion
und Inhalte von populären Medieninhalten sprechen, ohne nicht auch die Seite des
Rezipienten und seine Auseinandersetzung mit den Texten zu thematisieren. Viel-
mehr stellt die Rezeption und daraus resultierende Fan-Kulturen die entscheidende
44 Vgl. Rose, Frank (2012), S. 291f
19
Komponente des Erfolgs dar, denn ein komplexes, sich ständig ausdehnendes Erzäh-
luniversum ist alleine schon aus rein wirtschaftlichen Aspekten auf ein Publikum
angewiesen, das fortlaufend nach neuen Geschichten verlangt. Darüber hinaus geben
Fans dem Universum durch die Kommunikation untereinander Relevanz, arbeiten es
auf verschiedene Arten auf, geben den Produzenten direkt oder indirekt Feedback
und gestalten je nach Angebot das Universum sogar mit. Nur durch die Etablierung
einer Fan-Kultur kann ein Medieninhalt überhaupt zum Kult-Objekt werden. Laut
Matt Hills gibt es demzufolge drei Faktoren, die die Generierung von Fan-Kulturen
maßgeblich unterstützen: Erstens, ein über die die einzelne Geschichte weit hinaus-
gehendes Erzähluniversum, die „Hyperdiegese (hyperdiegesis)“, ein „großer und
detailreicher narrativer Raum […] mit eigener interner Logik“45. Zweitens, eine
„endlos hinausgeschobene Erzählung (endless deferred narrative)“46, die sich um ein
bestimmtes Geheimnis oder Thema dreht, das in seiner Gänze nie ganz aufgeklärt
wird und so als Katalysator für die gesamte Handlung funktioniert. Drittens, das
Vorhandensein eines „auteur“47, eines kreativen Steuermannes hinter den Kulissen
der Produktion, der alle inhaltlichen und ästhetischen Aspekte lenkt und Herr über
das jeweilige Universum ist.
2.3.5 Henry Jenkins 2011: Begriffs- und Definitionsklärung
Jenkins ursprüngliches Konzept des transmedialen Erzählens hat in den Folgejahren
nach der Veröffentlichung von Convergence Culture zu allerlei Debatten und Diskus-
sionen rund um die Definition des Begriffes, seiner Abgrenzung zum klassischen
Franchising und der ihm innewohnenden beschriebenen Erzählqualitäten geführt.
Jenkins nahm 2011 in Form eines längeren Eintrags auf seinem Internet-Blog Stel-
lung zu dem inzwischen umfangreichen Diskurs über den vom ihm beschriebenen
Medientrend. Seine Überlegungen sieht er dabei allerdings nicht als eine neue Defi-
nition des Begriffes, sondern sollen vor allem zur Reflexion und Klärung einiger
45 Hills, Matt (2002), S. S.137f46 Ebd., S. 134f47 Ebd., S. 132f
20
entstandener Unklarheiten beitragen.48 Seine nur leicht abgewandelte Definition
lautet wie folgt:
„Transmedia storytelling represents a process where integral elements of
a fiction get dispersed systematically across multiple delivery channels
for the purpose of creating a unified and coordinated entertainment expe-
rience. Ideally, each medium makes it own unique contribution to the
unfolding of the story.“49
Problematisch sieht Jenkins allerdings die Entwicklung, dass der Begriff häufig je
nach Kontext und Publikum unterschiedlich ausgelegt wird, zum Teil sogar zum
reinen Selbstzweck bzw. Werbemittel verkommt, da die eigentliche Bedeutung
ausgehölt und mit der Beschreibung von gänzlich anderen Phänomenen verschmol-
zen wird.50 Eine Gefahr sieht er zudem in der Verwendung des Begriffs als Synonym
für klassische, rein wirtschaftlich motivierte Entwicklungen der populären Unterhal-
tung wie Branding und Franchising:
„Franchising is a corporate structure for media production which has a
long history and throughout much of that history, there has been an
attempt to move icons and brands across media channels, but not
necessarily an attempt to extend the story in ways which expanded its
scope and meaning. Most previous media franchises were based on
reproduction and redundancy, but transmedia represents a structure based
on the further development of the storyworld through each new
medium.“51
Während Franchising vor allem auf der Idee der Vergabe von Lizenzen basiert, sieht
Jenkins neue Strukturen von Ko-Kreation und Zusammenarbeit verschiedener
48 Vgl. Jenkins, Henry (2011): Transmedia 202: Further Reflections. http://henryjenkins.org/2011/08/defining_transmedia_further_re.html [Stand: 18.06.2013]49 Ebd.50 Vgl. ebd.51 Ebd.
21
Medienmacher als Fundament von transmedialen Phänomenen.52 Was die transme-
diale Erweiterung außerdem von der klassischen Adaption eines Stoffes unterschei-
det sei die „additive comprehension“53, ein ursprünglich von Videospiel-Designer
Neil Young eingeführter Begriff, der die Erweiterung des Wissens über eine fiktive
Welt durch jeden neuen (Teil-)Text dieser Erzählwelt beschreibt. Als Schlüsselfakto-
ren dieses Konzepts des „world-building process“54 sieht Jenkins die folgenden
Funktionen von transmedialen Inhalten: Die Darbietung zusätzlicher Hintergrundge-
schichten, die Verortung/Kartografierung der erzählten Welt, alternative Perspektiven
anderer Figuren auf das Geschehen und eine Vertiefung der Auseinandersetzung mit
dem Stoff durch den Rezipienten.55
Im Kern versteht Jenkins transmediales Erzählen als eine Verbindung von diversen
Erzählformen und Texteigenschaften, die sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte
entwickelt haben. Sowohl das Konzept der „seriality“56, das Erzählen von Fortset-
zungsgeschichten über die einzelne (mediale) Veröffentlichung hinweg, als auch die
von Jenkins als „radical intertextuality“57 beschriebene Eigenschaft von diversen
Titeln der Comic-Verlage DC und Marvel, deren Geschichten allesamt untereinander
erzählerisch verknüpft sind (z.B. durch das Auftauchen der selben Figuren in
verschiedenen Geschichten), stellen zwei grundlegende Aspekte intertext- bzw. inter-
medialer Erzählstoffe dar. Um der Idee des Transmedialen gerecht zu werden, ist
allerdings eine weitere Eigenschaft zu beachten, nämlich die der „multimodality“58.
Ein erstmalig von Christy Dena im Zusammenhang mit transmedialer Narration
verwendeter Begriff, der den Umstand beschreiben soll, dass transmediale Inhalte
nicht nur über verschiedene Medien präsentiert werden, sondern auch je mit den
speziellen Charakteristika des jeweiligen Mediums dargestellt werden. Transmediale
Geschichten verändern dementsprechend Modalitäten der Narration und Darstellung
in Bezug auf das jeweilig gewählte Medium, das dem transmedialen Fragment als
Träger dient. In diesem Sinne definiert sich eine transmediale Geschichte laut
52 Vgl. ebd.53 Ebd.54 Ebd.55 Vgl. ebd.56 Ebd.57 Ebd.58 Ebd.
22
Jenkins weder durch die Anzahl noch die Art der Medien, durch die sie erzählt wird,
sondern durch die Kombination der eben erläuterten Eigenschaften:
„A franchise can be multimodal without being transmedia — most of
those which repeat the same basic story elements in every media fall into
this category. For me, a work needs to combine radical intertextuality and
multimodality for the purposes of additive comprehension to be a trans-
media story. That’s why shortening transmedia to 'a story across multiple
media”' distorts the discussion.“59
Diese Überlegungen von Jenkins beweisen einerseits, dass sich die Kategorisierung
transmedialer Inhalte immer noch in einer Pionier- und Experimentierphase befindet,
anderseits machen sie auch deutlich, wie weit das Phänomen in den historischen
Ursprüngen der Populärkultur verankert ist. Deshalb beschäftigt sich das folgende
Kapitel nicht nur mit dem Erscheinen von Fortsetzungliteratur im 19. Jahrhundert,
sondern auch mit der daraus resultierenden „radikalen Intertextualität“ populärer
Superhelden-Comics, um das Verständnis für die narrativen Wurzeln des Marvel
Cinematic Universe zu vertiefen und dessen grundlegende Verflochtenheit mit den
Ideen des transmedialen Erzählens und der Hyperdiegese besser zu veranschauli-
chen.
59 Ebd.
23
3. Kapitel 2 – The Revolution is Serialized
3.1 Die Genesis der Fortsetzungsliteratur zu Zeiten der industriellen Revolution
Der wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurs über Inhalte und Produkte der
populären Unterhaltung ist gewöhnlich auch mit der oft in der Kritik stehenden
Massenproduktion dieser Güter verknüpft. Besonders im deutschsprachigen Raum
treibt die Fachwelt gerne einen Keil zwischen die Produkte der auf den
internationalen Markt ausgerichteten Kulturindustrien und den (hoch-)kulturellen
Werken individueller Künstler. Die Idee der "Kulturindustrie" an sich wird dabei oft
bis zum heutigen Tage mit Argwohn betrachtet, verbindet sie doch den klassischen
Gedanken der Erschaffung eines einzigartigen Gutes bzw. Kunstwerks mit den
festgeschriebenen Normen und eindeutigen Funktionalitäten industriell gefertigter
Massenprodukte.
Doch Massenkultur und Industrialisierung haben eine weit tiefer gehende Beziehung
zueinander als die Produktion ersterer durch die Mittel letzterer. Die in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung veränderte nicht nur die
Produktionsbedingungen wirtschaftlicher Güter, sondern auch das Leben von großen
Teilen der Bevölkerung. "England in the 1830s was being transformed by technology
as profoundly as the entire planet is today."60 Die Arbeit in den neu errichteten
Fabriken zog die Menschen vom Land in die Städte, als Konsequenz daraus stand
mehr und mehr Bürgern der untereren und mittleren Schichten immer weniger Raum
zum Leben und zur Gestaltung der (wenigen) Freizeit zur Verfügung. Die eingehende
Urbanisierung des 19. Jahrhunderts hatte so nicht nur das Wachstum der Städte zur
Folge, sie veränderte auch den Alltag und die Lebensläufe der Menschen.
Die harten Arbeitsbedingungen und der Umstand, dass es in der wenigen Freizeit für
die Bürger der Arbeiterklassen kaum Unterhaltungsangebote gab – bzw. kaum
Angebote, die sie sich leisten konnten – führten dazu, dass viele dieser Menschen
Lesen lernten, woraus ein rasant steigender Bedarf an Lesestoff resultierte.
60 Rose, Frank (2012), S. 89
24
Gleichzeitig beschleunigte die Industrialisierung die Produktion von Büchern und
begünstigte Qualitätssprünge in Papierherstellung, Bücherdruck und Logistik.61 Das
Ergebnis war die Geburtsstunde der "serialized novel"62 und damit einer neuen Art
Geschichten zu erzählen, wie es Frank Rose beschreibt:
"Book publishers saw a market for serial fiction – books released a few
chapters at the time in flimsy paperback editons that sold for a shilling or
so each (12 pence). Writers were lucky to stay one or two installments
ahead of the deadline, so readers who wanted to share their thoughts
could influence the plot as the books were being written – could
participate, in other words."63
Die serialisierte Erzählform war so in erster Linie ein Zugeständnis an die limitierten
finanziellen Ressourcen der Leserschaft. Aus diesem Umstand heraus entwickelte
sich über die Jahre hinweg ein eigener Literaturtrend, der nicht nur für immer die
Struktur von Geschichten veränderte, sondern auch das Publikum bzw. dessen
Reaktionen auf die Fortführung der Geschichten mit einbezog. Untrennbar mit dem
Aufstieg der Fortsetzungsliteratur verknüpft ist Charles Dickens mit Werken wie
Oliver Twist und The Old Curiossity Shop. Der in Portsmouth geborene Autor wurde
im Laufe der 1830er und -40er schnell zu Englands erfolgreichstem Autor, dem
"master of the serial"64. Die einzelnen Bände seiner Geschichten endeten oft an den
spannendsten Stellen, um die Leser zum Kauf der nächsten Ausgabe zu animieren
(heute umgangssprachlich als "cliff-hanger ending" bekannt, wurde dieser Begriff
allerdings erst Jahrzehnte später durch Autor Thomas Hardy geprägt, der seinen
Helden in einem Band von A Pair of Blue Eyes am Ende von einer Klippe hängen
ließ65). Außerdem arbeitete Dickens das Feedback der Leser oft direkt in seine
Geschichten ein, sowohl was das Schicksal von Figuren als auch Ortswechsel der
Handlung betraf.66 Die Genesis des Erzählens von fragmentierten Geschichten, wie
61 Vgl. ebd., S.8962 Ebd., S.8963 Ebd., S.8964 Ebd., S.9065 Vgl. ebd., S.90f66 Vgl. ebd., S.91
25
sie uns heute durch die Medien hinweg überall begegnen, ist somit unweigerlich mit
dem Grundstein unserer modernen (post-)industrialisierten und technisierten
Gesellschaften verbunden, der industriellen Revolution des frühen 19. Jahrhunderts.
Es ist der Beginn von Handlungsbögen, die die jeweilige Einzelveröffentlichung
übergreifen und von der indirekten Kommunikation des Rezipienten mit dem Autor.
Daraus resultiert eine neue Art von Erzählung, die sich unter ständiger
Aufrechterhaltung ihrer Grundcharakteristika gleichzeitig auch immer wieder neu
erfinden muss, um mit dieser Mixtur aus Konvention und Abweichung ihr Publikum
anzusprechen als auch potentiell zu erweitern. Wie Frank Kelleter und Daniel Stein
in der Auseinandersetzung mit der damit unmittelbar verbundenen Entstehung des
Comic-Mediums festhalten, kann „die Spannung zwischen Reproduktion und
Fortsetzung, Invarianz und Innovation […] als das zentrale Strukturprinzip der
Ästhetik populärer Serialität, ja vielleicht des historischen Systems der
amerikanischen Populärkultur insgesamt identifiziert werden.“67
Natürlich wurde diese Entwicklung von Advokaten klassischer Literatur und den
oberen (Kultur-)Eliten des 19. Jahrhunderts äußerst kritisch gesehen. Literarische
Fiktion und Romane waren sowieso erst seit kürzerer Zeit in den höheren Kreisen der
Gesellschaft als legitimer Zeitvertreib akzeptiert und für die lautstarken
Kulturkritiker der Oberschicht waren Fortsetzungsgeschichten einmal mehr der
Untergang der westlichen Zivilisation, wie es so viele weitere Formen von neuen
Medien in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten auch noch sein sollten.
Dickens war weit davon entfernt als der einflussreiche englische Autor zu gelten, als
der er heute wahrgenommen wird; vielmehr war er Unterstützer einer neuen Form
von Unterhaltung, die die Allmachtstellung der klassischen Kulturgüter der Elite
gefährdete: Unterhaltung für die Masse, für das große Publikum. Auch die Angst
davor, dass sich der Leser nun komplett in den fiktiven Welten verlieren und die
Aufregung der ständig fortgesetzten Geschichten den Banalitäten des Alltags
vorziehen würde, war zu diesem Zeitpunkt ein kontrovers diskutiertes Thema. Die
Faszination von immersiven Erzählwelten und die Angst vor dieser Faszination
waren dementsprechend schon damals Bestandteil des kritischen Diskurses über neue
67 Kelleter, Frank; Stein, Daniel (2009): Great, Mad, New. Populärkultur, serielle Ästhetik und der frühe amerikanische Zeitungscomic. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 57
26
Medien.68 Zum Ende des 19. Jahrhunderts sanken die Kosten der Bücherproduktion
immer mehr und die monatliche Veröffentlichung von Roman-Stoffen verringerte
sich stetig. Stattdessen dominierten nun Magazine mit Kurzgeschichten den
monatlichen Markt. Um die Jahrhundertwende herum begann sich vor allem in den
USA eine Szene rund um die Genre-Stoffe von Amateur- als auch erfahrenen
Autoren zu etablieren, die ihre gewöhnlich in sich geschlossenen Horror, Abenteuer-
oder Science-Fiction-Geschichten in den monatlichen Ausgaben der Groschen-
Magazine veröffentlichten, die die ursprünglichen Fortsetzungsromane als populäres
Lesemedium ablösten.69 Serielles Erzählen verschob sich derweil zunächst in andere,
neuere Medien wie das Radio (The Shadow) oder später in Form von Movie-Serials
auch in das junge Kino. Aber in den literarischen Entwicklungen des letzten
Jahrhunderts, hervorgehend aus Fortsetzungsroman und Genre-Groschenheft, sollte
auch der Samen für eine neue Form der gedruckten Unterhaltung liegen. Mit bunten
Bildern und runden Sprechblasen.
3.1.1 Der Aufstieg der Comics in den USA
Für das Medium Comic gibt es viele unterschiedlich gewichtete Definitionen,
allgemein beschreibt der Ausdruck aber eine sequentielle Folge von Bildern, die
durch das so genannte „gutter“ (das meistens weiß gehaltene Gitternetz zwischen
den Bildern) gerahmt wird und die darüber hinaus auch Textelemente aufweisen.70
Comics existierten vor Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst nicht als eigenständiges
Medium, sondern fungierten in Form von wenigen Bildern umfassenden
Kurzgeschichten vor allem als Mittel zur Auflockerung in Tageszeitungen. Als erstes
(amerikanisches) Comic-Strip gilt The Yellow Kid, auch wenn es weltweit weitaus
frühere Vorläufer-Varianten von Bilder-Kurzgeschichten gab. Die ersten eigenständig
in den USA produzierten Comichefte waren dementsprechend auch nur Sammlungen
zuvor bereits in Zeitungen publizierter Arbeiten. Erst als in den Nachwehen der
68 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.92f69 Vgl. ebd., S. 2670 Vgl. Etter, Lukas; Hoppeler, Stephanie; Rippl, Gabriele (2009): Intermedialität in Comics. Neil Gaimans Sandman. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 57
27
Weltwirtschaftskrise 1929 ein stetig wachsender Bedarf an den eskapistischen
Bildergeschichten die Verleger der Comic-Sammelbände dazu brachte, neue Stoffe
für die monatliche Veröffentlichung von ihren Heften zu produzieren, machte das
junge Medium den ersten entscheidenden inhaltlichen Schritt in die Richtung, die die
strahlenden Anfangsjahre der Comic-Kunst, das Golden Age, definieren sollte: Die
Geburt der Superhelden.7172 Tyler Weaver beschreibt die Erfindung des Superhelden
euphorisch, wie man es ihm als aktiver Comic-Autor wohl kaum verübeln kann, als
„the greatest contribution to storytelling of the past hundred years“ und als ein
„cocktail of the archetypes of mythology and the power fantasies of male teenagers
emerging from the Great Depression.“73
Die ersten Comic-Helden mit Superkräften waren Symptome ihrer Zeit. Erdacht von
junge Männern, die sich in den Jahren der Weltwirtschaftskrise mit der Ohnmacht,
die Dinge um sich zu ändern, konfrontiert sahen und sich stattdessen lieber in
eskapistische Machtfantasien flüchteten, kämpften die Helden des Golden Age ohne
Zweifel für das Gute und triumphierten Mal um Mal. Dieser Idealismus gepaart mit
der inzwischen wirtschaftlichen Erfahrung und Aufmerksamkeit der Verleger von
populären Lesestoffen sorgte für den ersten großen Comic-Boom in den USA, der
nicht vor Ende der 1940er wieder abebben sollte. Schließlich sah sich Amerikas
junge Generation mit einer mehr und mehr düsteren Realität durch den Aufstieg des
Faschismus in Europa und Asien und der immer größer werdenden
Wahrscheinlichkeit eines erneuten Weltkrieges konfrontiert.74
Eine dieser Allmachtsphantasien war der von Jerry Siegel und Joe Shuster erdachte
letzte Sohn Kryptons Kal-El, besser bekannt unter seiner Heldenidentität Superman.
Aufgezogen von dem irdischen Ehepaar Martha und Jonathan Kent, ist Superman
auch deshalb ein uramerikanisches Symbol, weil er genau wie die meisten Vorfahren
der heutigen US-Bevölkerung (sowie die Eltern seiner jüdischen Erfinder) ein
Einwanderer ist, der nach dem Untergang seiner Welt in den USA eine neue Heimat
gefunden hat. Shuster und Siegel verkauften die Rechte an der Figur später für
gerade einmal 130 Dollar an die Verleger Malcolm Wheeler-Nicholson und Harry
Donnerfeld, deren Detective Comics auch die Initialen für ihren neu geformten
71 Vgl. Etter, Lukas; Hoppeler, Stephanie; Rippi, Gabrielle (2009), S. 55ff72 Vgl. Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009), S. 16673 Weaver, Tyler (2013), S.6374 Vgl. ebd., S.63
28
Verlag bereitstellen sollten. Siegels und Shusters zuvor von Zeitungen abgelehnte
Superman-Comic-Strips debütierten schließlich 1938 als Gesamtausgabe in Form
von DC Comics Action Comics #1. Ein Jahr später publizierte Martin Goodmann,
ehemaliger Pulp-Verleger, wie auch die Konkurrenten von DC, über seinen in den
1930er-Jahren gegründeten Verlag Timely den Band Marvel Comics #1 und initiierte
damit den Urknall des heutigen Marvel-Universums.75
3.1.2 Marvel-Comics – Ursprünge, Kontinuität und Intertextualität
Der erste große Erfolg der Marvel-Comics ist eng mit der Geschichte des Zweiten
Weltkrieges verknüpft. Wie kaum eine anderes Unterhaltungsmedium zu dieser Zeit
thematisierten die monatlichen Marvel-Geschichten regelmäßig die
Schreckensherrschaft der Nazis in Europa und schickten frühe Helden wie The
Human Torch und Sub-Mariner in den Kampf gegen Hitlers Schergen. Gallionsfigur
dieser idealisierten, proamerikanischen Phase war der 1941 eingeführte
schwächelnde Patriot Steve Rogers, der sich nach der Injektion eines
Supersoldatenserums in den übermächtigen Captain America verwandelte und sich
gleich mit der ersten Ausgabe in die Köpfe der amerikanischen Comic-Leser brannte,
da das Cover-Motiv einen durch Captain Americas rechten Haken zu Boden
gehenden Adolf Hitler zeigte.7677
Sowieso unterscheidet sich Marvel seit Beginn an durch einen "realistischeren
Ansatz" (sofern man im Superhelden-Genre überhaupt von Realismus sprechen
kann) von anderen Comic-Universen. Nicht nur finden die Geschichten an realen
Orten wie New York City statt (DC-Helden dagegen bevölkern gewöhnlich fiktive
Städte wie Metropolis oder Gotham), auch ihre Helden menscheln in Bezug auf ihre
Schwächen, Probleme und Beziehungen mehr, als die eher an mythische Archetypen
angelehnten DC-Charaktere.78 Die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg
und die "Mobilmachung" der Marvel-Helden war diesem Ansatz ebenfalls zuträglich:
"While Timely took the fight to Hitler and stirred up the patriotic passions of
75 Vgl. ebd., S.64ff u. S.7276 Vgl. ebd., S.75ff77 Marvel Comics (1941): Captain America Comics #1 78 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.73
29
American children and adults, DC, for the most part, sought to be an escape."79 Diese
Nähe zum jeweiligen Zeitgeist zeichnet bis heute eine Qualität der Marvel-
Veröffentlichungen aus, wie z.B. die Einführung der X-Men, die in den Zeiten der
aufkommenden amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen mit ihren seit Geburt an
vorhandenen Superkräften das Recht auf Gleichstellung für alle gesellschaftlichen
Minderheiten symbolisierten80 oder die in der Post-11/9-Ära veröffentlichte Civil
War-Reihe, in der ein an den Patriot Act angelehntes, von der Regierung
verabschiedetes Gesetz alle Helden dazu zwingt, ihre geheimen Identitäten
aufzugeben und die Heldengemeinde darauf in zwei verfeindete Lager spaltet,
jeweils angeführt durch die einstigen Waffenbrüder Captain America und Iron Man.81
Nach dem wirtschaftlichen Höhenflug des Golden Age (Ende 1942 wurden monatlich
eine Million Exemplare von Comics wie Superman oder Captain America abgesetzt,
derweil waren über 30 Prozent des gesamten gedruckten Materials, das an US-
Militär-Basen geschickt wurde, Comichefte82) mussten sich Comics in den
Nachkriegsjahren zunächst neu erfinden. Erstens wirkte sich der anhaltende Krieg so
negativ auf Amerikas Ressourcen aus, dass Papier praktisch zum Luxusgut wurde,
wodurch viele kleinere Verlage pleite gingen, zweitens sank die Qualität der Hefte
erheblich, da im Laufe des Krieges viele der ursprünglichen Zeichner und Autoren
selber eingezogen wurden.83 Mit dem Krieg endete auch die Schwarz-Weiß-Moralität
der Comichelden und die sich zu einem relevanten Wirtschaftszweig entwickelte
Comic-Industrie musste sich auf die Suche nach neuen Gegenspielern für ihre
Helden machen, wie auch die USA selbst.84
Die 1950er waren das Jahrzehnt, das das junge Comic-Medium beinahe zerstörte.
Pädagogen und Psychologen machten Comics für die Verrohung der Jugend und die
steigende Kriminalität verantwortlich, was zur Einführung der Comics Code
Authority führte, einem Auflagenkatalog nach dem sich die Artisten inhaltlich und
ästhetisch fortan streng nach zu richten hatten. Zudem wirkten viele der
ursprünglichen Helden wie Relikte aus einer anderen Zeit und hatten ihre
79 Ebd., S.7780 Vgl. ebd., S.17781 Vgl. Watkins, Liz (2012): Marvel's Civil War. Media Research. http://distortedeight.files.wordpress.com/2013/02/reseach-paper.pdf [Stand: 09.06.2013] 82 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S. 7683 Vgl. ebd., S. 77f84 Vgl. ebd., S.81
30
gesellschaftliche Relevanz verloren. Marvel-Verleger Timely – jetzt unter dem
Namen Atlas geführt – standen kurz vor dem finanziellen Ruin.85
Verlagsinhaber Goodman strich die Belegschaft auf eine kleine Gruppe von Autoren
und Zeichner zusammen, u.a. die Brüder Stan und Larry Lee. Inspiriert durch den
jüngsten Erfolg des DC Verlages, die Erneuerung ihrer Helden durch den Team-Band
Justice League of America86, schuf Stan Lee unter der Anweisung Goodmanns die
Fantastic Four87, die den Beginn des neuen Marvel-Universums einleiten sollten.
Ihnen folgten zahlreiche neue (Spider-Man, Hulk, X-Men usw.) und revitalisierte
Versionen älterer Helden, wie der aus dem Kälteschlaf wiedererweckte Captain
America, der fortan Marvels neues Superhelden Team (The Avengers) anführen
sollte. Lee rettete so nicht nur den angeschlagenen Verlag, sondern schuf viele der bis
heute beliebtesten Helden der Marvel-Comics und errichtete das Grundgerüst für ein
Erzähluniversum, das sich einerseits ständig neu erfinden sollte, ohne dabei aber das
Vorhergekommene zu ignorieren.88 Stattdessen arbeiteten die Artisten unter Lee das
Erbe des Golden Age in ihre neuen Geschichten mit ein und sorgten für eine
fließende Kontinuität der Geschichten durch das Silver Age und alle folgenden
Comic-Zeitalter hinweg.
3.1.3 "The Marvel Method" und die fünf Säulen des Marvel-Universums
Stan Lee und sein Team entwickelten in den 1960ern eine neue Methode zur
Produktion der eigenen Comic-Reihen. Dank des kleinen, überschaubaren Teams war
Lee sowohl der hauptverantwortliche Autor sämtlicher Superhelden-Abenteuer als
auch Editor und Art Director. Mit mehr und mehr monatlich erscheinenden
Veröffentlichungen musste er eine Arbeitsmethode entwickeln, um die
Geschwindigkeit der Produktion zu erhöhen, ohne dabei Einbuße bei der Qualität zu
verursachen. Lee erstellte deshalb für neue Geschichten nur noch ein narratives
Grundgerüst, das den groben Verlauf der jeweiligen Geschichte darstellen sollte. Die
Umsetzung und der visuelle Charakter lag anschließend in der Hand der jeweiligen
85 Vgl. ebd., S.93ff86 DC Comics (1960): Justice League of America #1 87 Marvel Comics (1961): The Fantastic Four #1 88 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.110f
31
Zeichner. Durch die geringen Limitierungen entwickelten die Comics von Marvel so
schnell eine stetig komplexer werdende visuelle Sprache und Gestaltung. Erst im
Nachhinein versorgte Lee die Bilder schließlich mit Titeln und Dialogen. Das
Ergebnis war ein vielfältiges, sich ausbreitendes Erzähluniversum, das trotz seiner
verschiedenen Erzählungen und Helden durch eine Autor-Autorität gesteuert wurde,
die dessen Kohärenz sicherstellte.89 Tyler Weaver beschreibt fünf grundlegende
Säulen als die entscheidenden Qualitäten, auf denen Marvel sein Erzähl-Fundament
errichtete:
"From the first Marvel Comics in1939, a focus on character and other
key traits have defined the Marvel stable of heroes and titles. With the
Fantastic Four, Lee brought those defining principles of story
development to a new generation with a dash of the national obsession
with space and the fears of the atomic bomb that pervaded the 1950s and
1960s. The Marvel Universe was both of its time and timeless."90
Diese fünf "key traits" benennt Weaver wie folgt: "The Flawed Protagonist91",
Helden, die trotz ihrer Superkräfte sich auch mit alltäglichen Problemen und den
inneren Dämonen auseinander setzen müssen und deswegen gerade für die jüngere
Leserschaft oft mehr Identifikationspotential bereit halten. "The Core Concept92",
jeder Heldengeschichte liegt ein universelles Thema zu Grunde, das durch die
verschiedenen Abenteuer der Helden erforscht wird (Spider-Man = Verantwortung,
Fantasitc Four = Familie, Hulk = Wut). "In Your Backyard93", die Marvel-
Geschichten finden an stilisierten Versionen realer Lokalitäten statt, wodurch die
Realität überzeichnet wird, anstatt komplett negiert. "The Shared Universe94", die
Geschichten und Mythologien der verschiedenen Helden werden in einem
Erzähluniversum miteinander verschmolzen und zu einer Hyperdiegese geformt.
Alles, was irgendwo in einem der Comics passiert, hat dadurch potentiell Relevanz
89 Vgl. ebd., S.111f90 Ebd., S.11391 Ebd., S.11292 Ebd., S.112f93 Ebd., S.11594 Ebd., S.115f
32
für die Ereignisse zukünftiger Geschichten. "Plot Versus Charachter95", die
Geschichten der einzelnen Helden sind stets eng an ihre Persönlichkeit gebunden. Im
Gegensatz zu anderen Comics sind die Plots der verschiedenen Heldenfiguren nicht
beliebig austauschbar, sondern auf die Lebensumstände und Erlebnisse der
jeweiligen Figur zugeschnitten.
3.1.4 Intertextualität, Metaebene und Partizipation
Anjin Anhut und Stephan Ditschke thematisieren mit Bezug auf Peter Coogans
Dissertation Superhero die Zunahme an Selbstreferentialität in Superheldencomics
im Laufe der Genre-Geschichte. „Erstens wird […] sowohl quantitativ als auch
qualitativ in zunehmendem Maße transformatorisch Bezug auf die Genre-Regeln
genommen […]. Zweitens wird in zunehmendem Maße genrereflexiv erzählt.“96
Bereits seit frühen Tages des Superheldencomics sind intertextuelle Verweise und
Handlungselemente Teil der Comic-Geschichte. Das Aufeinandertreffen
verschiedener Helden ("crossover") war eine gewöhnlich durch die Verleger
geförderte Innovation, die sich durch die inhaltliche Erweiterung vor allem
finanzielle Vorteile erhofften.97 Eine logische Konsequenz aus den Crossover-Bänden
waren die Teambücher, die ebenfalls in Form von DCs Justice Society of America98
bereits in den 1940ern ihren Einzug hielten. Anstatt allerdings gemeinsame
Abenteuer zu bestehen, erzählten sich die Helden der Justice Society ihre einzelnen
Abenteuer in Sitzungen, die den eigentlichen Geschichten als Rahmenhandlung
dienten. Teambücher dienten außerdem dazu, die Tauglichkeit neuer Helden beim
Publikum zu testen, beliebte Charaktere erhielten nach positivem Feedback
anschließend oft eigene Veröffentlichungen.99
DCs Justice League und Marvels The Avengers wurden in den 1960ern zu
monatlichen Bestsellern, wobei letztere Veröffentlichungen durch die Jahre 1971/ 72
geprägt wurden, in denen der unter Stan Lee (inzwischen Geschäftsführer von
95 Ebd., S.11696 Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009):,S. 16297 Vgl. Waver, Tyler (2013), S.7698 DC Comics (1940): All Star Comics #399 Vgl. Waver, Tyler (2013), S. 77
33
Marvel) arbeitende Editor-in-Chief Roy Thomas einen fortlaufenden Konflikt der
Avengers-Helden mit außerirdischen Invasoren inszenierte, der die Kontinuität aller
bis dahin erschienenen Marvel-Veröffentlichungen zusammenzog und damit dem
Marvel-Universum die Relevanz einer seit den 1930ern fortlaufenden Erzählung
überstülpte.100 Darüber hinaus enden die Möglichkeiten im Superhelden-Comic nicht
an den Grenzen eines Erzähluniversums, in manchen Fällen werden komplett neue
Paralleluniversen eröffnet, in denen Figuren alternative Schicksale erwarten oder
wichtige Ereignisse anderes verlaufen. In diesem "multiverse"101 existieren also
mehrere Hyperdiegesen nebeneinander und in einigen Fällen werden die Grenzen
zwischen den Universen geöffnet, um Interaktion zwischen den verschiedenen
Figurenversionen möglich zu machen. Auch Marvel führte im neuen Jahrtausend, auf
die Comic-Krise der 1990er reagierend, ein alternatives Erzähluniversum ein
(Marvel Ultimate). In diesem neuen, vom klassischen Marvel-Universum komplett
separiertem Erzählkosmos, wurden viele der bekannten Figuren in Bezug auf ihre
Erscheinung und Charakteristika erneuert und die Kausalität der einzelnen
Geschichten noch enger zusammengebunden. Insbesondere wurden Figuren auch in
Bezug auf ihre Ethnie überarbeitet; so ist Nick Fury neuerdings ein Afroamerikaner
(wie auch in Marvels Kino-Universum) und der ursprüngliche Spider-Man Peter
Parker wird nach seinem dramatischen Tod durch einen jungen Nachfolger mit afro-
und lateinamerikanischen Wurzeln ersetzt.102
Verknüpft mit der Idee eines „Multiversums“ ist der Einsatz einer
selbstreferenziellen Metaebene in den Comics. So führte DC in den 1960ern eine
neue Variante des klassischen Helden The Flash ein, der selber Comic-Leser war und
die Geschichten der ursprünglichen Figur aus dem Golden Age kannte. Die Figur
namens Barry Allen mochte den klassischen Helden so sehr, dass sie seine Identität
annahm und so zur Reinkarnation des klassischen Helden wurde.103 In einer der
späteren Ausgaben besuchte er dann sogar schließlich eine alternative Realität, in der
die Helden des Golden Age noch existierten und der neue Flash auf den
ursprünglichen Helden traf.104 Bei Marvel hingegen wurde u.a. die Figur Sub-
100 Vgl. ebd., S.149101 Ebd., S.106102 Vgl. ebd., S.198ff103 Vgl. ebd., S.101f104 Vgl. ebd., S.106
34
Mariner wieder eingeführt, in dem ein Mitglied der Fantastic Four den ehemaligen
Helden als Obdachlosen auf der Straße erkannte (und zwar durch die Abbildung auf
einem Comic aus dem 1940ern).105 Das Medium entwickelte so schon in den 1960ern
ein großes Maß an Selbstreflexivität und spielte mit den eigenen Konventionen sowie
mit dem Wissen des Rezipienten. Dieses Spiel mit der vierten Wand zwischen
Fiktion und Realität förderte bei aufmerksamen Lesern so zusätzlich das
Rezeptionsengagement.
Die Interaktion mit den Fans war neben der Produktionsweise auch ein Feld, das der
damalige Editor Stan Lee in den 1960ern stark ausbaute und kultivierte. Er führte
nicht nur personalisierte Vorwörter ein, die interessierten Lesern die Menschen hinter
dem Medium näher brachten, sondern motivierte sie auch dazu, dem Verlag beim
Entdecken möglicher Kontinuitätsfehler oder anderen Lücken in der Handlung zu
schreiben, worauf jeder Hinweis scherzhaft mit der Rücksendung eines leeren
Briefumschlags belohnt wurde (dem Marvel-No-Prize), der den Lesern aber
immerhin bestätigte, dass ihre Einsendungen wahrgenommen wurden und die
erfolgreiche Kommunikation mit den Machern bestätigte. Da Lee alle wichtigen
Stränge des Marvel-Universums in seinen Händen hielt, entwickelte sich über die
Jahre ein immer individuellerer Ton in den Erzählungen. Lee gab den Lesern das
Gefühl, Teil der Geschichte zu sein und Einfluss auf die Ereignisse zu haben, anstatt
passiv einfach nur neue Geschichten erzählt zu bekommen.106
Nachdem die US-Comic-Industrie in den 1990ern u.a. auch durch die Spekulationen
auf den Sammlerwert von Heften fast kollabiert war und Marvel sich in seiner
damaligen Form für Bankrott erklären musste, haben sich Comics im letzten
Jahrzehnt darauf zurückbesonnen, dem Leser vor allem gesetzte Geschichten mit
Event-Charakter zu erzählen. Ähnlich wie jüngst im Bereich der TV-Serien lösen
dabei Einzelausgaben übergreifende Handlungsbogen die klassische episodische, in
sich abgeschlossene Erzählweise ab:
105 Vgl. ebd., S.110f106 Vgl. Ebd., S.128f
35
"Storylines cross over. Characters from wildly divergent backgrounds
meet at random moments. An overarching mystery beguiles the
characters in the serio-episodic stories. An event brings a group of heroes
together; their might is the only thing that can stop the evil plaguing the
world. No, this isn't an episode of Heroes or Lost. It's the state of comic
books in the 21st century, inspired as much by shows like Lost and Dexter
as the comics that came before [...]."107
Doch der Beginn des 21. Jahrhunderts stellt nicht nur eine Phase dar, in dem sich die
klassische Comic-Industrie zu revitalisieren versucht; es ist auch eine Ära, in der ihre
Helden vollends ein anderes Medium erobern sollten: das Kino.
107 Ebd., S.195
36
4. Kapitel 3 – Marvel on the Big Screen
4.1 Die Evolution der Marvel Studios
Die Adaption der hauseigenen Franchises und Charaktere für Film und Fernsehen ist
ein Ziel, das Marvel schon seit geraumer Zeit verfolgte, allerdings lange mit
ausbleibendem Erfolg. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie der TV-Adaption des
Hulk (ab 1977), die über ein Jahrzehnt hinweg zuerst erfolgreich als Serie und später
in Form von TV-Filmen im amerikanischen Fernsehen zu sehen war108, erfüllten viele
andere Umsetzungen weder die Erwartungen der Fans noch die des Lizenzgebers.109
Erst in den späten 1990ern wendete sich zunächst mit der Umsetzung des
Vampirjägers BLADE (USA 1998) und schließlich mit X-MEN (USA 2000) und
SPIDER-MAN (USA 2003) das Blatt. Insbesondere die letzten zwei Adaptionen
sollten den Startpunkt für zwei bis zum heutigen Tag mehr als rentable, international
erfolgreiche Hollywood-Franchises darstellen. Das 1993 als Unterarm von Marvel
Entertainment gegründete Film- und Fernsehproduktionshaus Marvel Films, 1996
unbenannt in Marvel Studios, fungierte bei diesen ersten Produktionen nur in der
Rolle des Lizenzgebers – die Rechte an beiden Kino-Franchises halten bis heute die
Filmstudios 20th Century Fox (X-MEN) und Sony Pictures (SPIDER-MAN).110
Inspiriert durch den bis heute erheblichen Erfolg dieser Produktionen entschieden
sich Marvel Studios 2004 in Form der MVL Productions LLC dazu, direkt in die
Produktion ihrer Hausmarken einzusteigen und die Filme fortan selber zu
finanzieren. Ziel war es dabei von Beginn an, angelehnt an die ursprünglichen
Comics ein über die jeweiligen Einzelfilme hinausreichendes Erzähluniversum zu
kreieren, das Stück für Stück, zunächst nur mit einigen Querverweisen, die sich
später zu kompletten Subplots entwickeln sollten (mehr dazu im folgenden Kapitel),
in den einzelnen Filmen etabliert werden sollte.111 Als Finanzierungsgrundlage diente
Marvel eine Geldanleihe von über einer halben Milliarde Dollar, die auf einem Pitch
für zehn Verfilmungen basierte, die in den Folgejahren mit regelmäßigen Abständen
108 Vgl., Eba. S. 155f109 Vgl., Eba. S. 192f110 Vgl., Eba. S. 193111 Vgl., Eba. S. 194
37
veröffentlicht werden sollten. Als Filmverleiher konnte Paramount Pictures
gewonnen werden, angedacht war der Kino-Release von je zwei Marvel-
Verfilmungen jährlich ab 2008.112 Die ursprünglich geplanten zehn Verfilmungen
sollten sich einmal abgesehen von Captain America eher um unbekannte Figuren aus
dem Verlag wie u.a. Black Panther oder Dr. Strange drehen, da Marvel in den
Vorjahren beinahe die Rechte an allen bekannteren Figuren an externe Partner
verkauft hatte.113 Doch Marvel gelang es in den Folgejahren die Rechte an Iron Man,
Black Widow, Hulk und Thor von jeweils verschiedenen Filmstudios oder
Produktionsfirmen zurückzukaufen. Schließlich löste 2007 David Meisel, vorheriger
COO der Marvel Studios, Avi Arad als Chairmann des Unternehmens ab und
Filmproduzent Kevin Feige, der bereits bei zahlreichen externen Marvel-
Kinoadaptionen in der Rolle des Produzenten fungiert hatte, wurde mit dem Beginn
der Dreharbeiten zu IRON MAN zum President of Production ernannt.114
Feige ist dabei für mehr verantwortlich als die bloße in sich abgeschlossene
Produktion der einzelnen Marvel-Filme, sondern plant und überwacht die einzelnen
Franchises auch als Teil des größeren Erzähluniversums, dem Marvel Cinematic
Universe. Damit erfüllt er in produktionstechnischer Hinsicht eine ähnliche Rolle wie
Stan Lee seinerzeit als Editor-in-Chief der Marvel-Comics, wie auch die New York
Times 2011 in einem Artikel über Feige und seinen speziellen Ansatz zur Produktion
eines Multi-Fanchise-Universums anmerkt:
"In the 1960s, when Stan Lee was editing and writing nonstop for
Marvel, he broke fresh ground in comics by intertwining the roster of
characters and stories into a shared universe. Now Mr. Feige is doing the
same thing with the movies, first introducing characters like Captain
America and Iron Man to multiplex audiences and then, as Mr. Lee did in
the comics, weaving them together as a team called the Avengers that
112 Vgl. Vincent, Roger (2005): Marvel to Make Movies Based on Comic Books. http://articles.latimes.com/2005/sep/06/business/fi-marvel6 [Stand: 15.06.2013]113 Vgl. SuperHeroHype (2005): Marvel Launches Independent Film Slate. http://web.archive.org/web/20071111020052/http://www.superherohype.com/news.php ?
id=3456 [Stand: 15.06.2013]114 Vgl. Leonard, Devin (2007): Marvel goes Hollywood (cont.).
http://money.cnn.com/magazines/fortune/fortune_archive/2007/05/28/100034246/index2.htm [Stand: 15.06.2013]
38
will have its own series of films."115
Im Weiteren sieht der Artikel Feiges Erfolg in einer fruchtbaren Mischung aus
Konservatismus und Risikobereitschaft. Konservatismus in Bezug auf den Umgang
mit den Geschichten und Figuren des Marvel-Universums, da Feige im Gegensatz zu
vielen anderen aktuellen Comic-Verfilmungen die Ursprünge und wesentlichen
Charakterzüge der Figuren respektiere und dafür sorgen würde, dass ihre
Kinoinkarnationen sowohl den ursprünglichen Fans aber auch einem breiten
Multiplex-Publikum gefallen würden, dank leichten zeitgenössischen
Überarbeitungen und einem Hang zur Selbstironie.
Die Risikobereitschaft hingegen zeige sich vor allem bei den teilweise
ungewöhnlichen Talenten, die Feige für die Umsetzung der Stoffe engagiere.
Angefangen bei der Verpflichtung des durch die Rolle des Tony Starks / Iron Man
zum Superstar avancierten Robert Downey Jr., der vor seinem Einstand als Superheld
vor allem durch Rauschmittel-Exzesse und Ärger mit der Justiz für Aufsehen sorgte,
bis hin zu der ungewöhnlichen Entscheidung, den englischen, Shakespear-erprobten
Charakter-Darsteller und Regisseur Kenneth Branagh die Verfilmung von Thor
anzuvertrauen, der die Geschichte rund um den hammerschwingenden Hünen
erfolgreich in einen Balanceakt zwischen kosmischer Hamlet-Aufführung und
selbstironischer Fish-out-of-Water-Geschichte adaptierte.116 Dieser Trend setzt sich
fort bis hin zu jüngsten Deals, wie z.B. Shane Black, einem der in den 1980ern
bestbezahlten (und in den 1990er aufgrund mehrerer Flops abgestürzten)
Drehbuchautoren Hollywoods, für Drehbuch und Regie von IRON MAN 3 (USA
2013) zu verpflichten (eine Entscheidung, die sich mit knapp 1,2 Milliarden Dollar
Einspielergebnis auf dem internationalen Markt117 deutlich ausgezahlt hat) oder die
Wahl von James Gunn, vor allem bekannt als Kult-Regisseur der unabhängigen
Horror- und Genre-Produktionsfirma Troika, der für Marvel das Weltraumabenteuer
GUARDIANS OF
115 Barnes, Brooks (2011): With Fan at the Helm, Marvel Safely Steers Its Heroes to the Screen. http://www.nytimes.com/2011/07/25/business/media/marvel-with-a-fan-at-the-helm-steers-its-
heroes-to-the-screen.html?pagewanted=all&_r=1& [Stand: 15.06.2013]116 Vgl. ebd. 117 Vgl. http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=ironman3.htm [Stand 15.06.2013]
39
THE GALAXY 2014118 in die Kinos bringen wird. Feiges größter Coupe mag aber
die enge Zusammenarbeit mit dem zuvor vor allem durch TV-Serien wie Buffy und
Angel bekannten Autor und Regisseur Joss Whedon darstellen, der ursprünglich mit
dem Drehbuch und der Regie des ersten großen Aufeinandertreffens der Marvel-
Helden THE AVENGERS (USA 2012) beauftragt wurde, inzwischen allerdings als
kreative Autorität über die erzählerischen Aspekte aller Marvel-Verfilmungen wacht,
an diversen Drehbüchern mitarbeitet und den Verlauf der Ereignisse über die
einzelnen Filme hinweg plant. Außerdem zeichnet sich Whedon auch
mitverantwortlich für die im Herbst auf ABC startende TV-Serie Marvel's Agents of
S.H.I.E.L.D.119, die die Welt der Kinofilme aus der bodenständigen Perspektive der
unter Nick Fury arbeiteten Geheimagenten zeigt, die immer wieder in die Konflikte
der Superhelden mit hinein gezogen werden. Whedon schrieb u.a. das Drehbuch für
den TV-Piloten und übernahm auch hier die Rolle des Regisseurs120121. In diesem
Sinne ist er einer der wenigen Filmschaffenden, die wirklich transmedial an einem
Stoff arbeiten und auch direkt für deren Umsetzung in dem jeweiligen Medium (hier
Kino und TV) zuständig sind. Whedon stellt in dieser Hinsicht das symbiotische
Gegenstück zu Produzent Kevin Feige dar, da beide zusammen in sich die
Tätigkeiten eines inter- bzw. transmedialen Produzenten und Autors vereinen,
ähnlich wie es Stan Lee früher bei Marvel tat, und so besonders innerhalb der Fan-
Community eine Art Auteur-Rolle übernehmen, ähnlich wie bereits zuvor von Matt
Hills beschrieben (siehe Seite 20).
Marvel Entertainment Inc. wurde derweil Ende 2009 komplett von der Walt Disney
Company für 4 Milliarden Dollar aufgekauft, die bei zukünftigen Projekten als
Filmverleiher fungieren wird.122
118 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt2015381/ [Stand 15.06.2013]119 Vgl. http://www.agentsofshield.com/ [Stand 15.06.2013]120 Vgl. http://marvel.com/news/story/19196/joss_whedon_to_write_direct_avengers_2 [Stand:
15.06.2013]121 Vgl. Anders, Charlie Jane (2012): Why Joss Whedon's Exclusive Marvel Contract Could
Actually Be a Big Deal. http://io9.com/5933460/why-joss-whedons-exclusive-marvel-contract-could-be-a-big-deal
[Stand: 15.06.2013]122 Vgl. Fixmer, Andy; Rabil, Sarah (2009): Disney’s Marvel Buy Traps Hollywood in Spider-Man
Web (Update2). http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=newsarchive&sid=aU_kuPju0Ngo [Stand:
15.06.2013]
40
4.2 Marvel Cinematic Universe – Phase One
In einem Interview mit movieweb.com spricht Marvel Studios President of
Production Kevin Feige über die Herausforderungen, ein Erzähluniversum in
Anbetracht zukünftiger Filme zu konstruieren:
"If the fans want to look further and find connections than they're there.
There are a few big ones obviously, that hopefully the mainstream
audience will be able to follow as well. But the most important thing and
I think the reason that all the filmmakers are on board is that their movies
need to stand on their own. They need to have a fresh vision, a unique
tone and the fact that they can interconnect if you want to follow those
breadcrumbs is a bonus."123
Die erste Reihe von sechs Filmen, die die einzelnen Helden einführen und sie
schließlich als die Avengers zusammen führen sollte, wird von Marvel selbst als
Phase One bezeichnet.124 Neben den titelgebenden Helden aus IRON MAN, THE
INCREDIBLE HULK, IRON MAN 2, THOR und CAPTAIN AMERICA: THE
FIRST AVENGER wurden im Laufe der Filme außerdem die Charaktere Nick Fury,
Black Widow, Hawkeye und S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson als Nebenfiguren
eingeführt, die im Plot von THE AVENGERS wichtigere Rollen übernehmen.
Insbesondere der speziell für das Kino-Universum entworfene Phil Coulson spielt
eine Schlüsselrolle als verbindendes, handlungsübergreifendes Element der erzählten
Welt der Filme als auch ihrer diversen transmedialen Erweiterungen (dazu mehr in
der auf dieses Kapitel folgenden Analyse).
Laut einer Liste der wirtschaftlich erfolgreichsten Kino-Franchises aller Zeiten125,
basierend auf den internationalen Einspielergebnissen der jeweiligen Einzelfilme
(nicht inflationsbereinigt), hat Marvels Phase One über 3,8 Milliarden Dollar an den
123 Philbrick, Jami (2010): EXCLUSIVE: Kevin Fiege Talks Iron Man 2, The Avengers and More. http://www.movieweb.com/news/exclusive-kevin-fiege-talks-iron-man-2-the-avengers-and-more
[Stand: 15.06.2013]124 Vgl.
http://marvel.com/news/story/20359/get_the_marvel_cinematic_universe_phase_1_box_set_today [Stand: 15.06.2013]
125 Vgl. http://www.the-numbers.com/movies/franchises/sort/World [17.07.2013]
41
weltweiten Kinokassen eingenommen, weitere 1,2 Milliarden folgen dieses Jahr
allein durch den Release von IRON MAN 3, was zu einem momentan
Umsatzergebnis von rund 5 Milliarden Dollar führt. Diese Entwicklung macht das
Marvel Cinematic Universe zur aktuell dritterfolgreichsten Kino-Franchise aller
Zeiten, nur übertroffen durch die 25 Filme umfassende James Bond-Reihe und die
Kino-Adaptionen der Harry Potter-Romane.
2013 begann mit IRON MAN 3 Marvels Phase Two, die sich bis Sommer 2015
außerdem aus den Fortsetzungen THOR: THE DARK WORLD126, CAPTAIN
AMERICA: THE WINTER SOLDIER127, GUARDIANS OF THE GALAXY und
abschließend das erneute Helden Team-Up THE AVENGERS 2128 zusammensetzen
wird. Über die Pläne zu Phase Three hält sich Marvel derzeitig noch relativ bedeckt,
offiziell angekündigt ist bereits eine Umsetzung von Ant-Man durch den britischen
Filmemacher Edgar Wright (SHAUN OF THE DEAD, HOT FUZZ); Kevin Feige
bestätigte zudem Pläne und Überlegungen zu Adaptionen von Dr. Strange und einem
erneuten Auftritts des Hulk mit Darsteller Mark Ruffalo.129
In dem oben bereits zitierten Interview äußert sich Feige außerdem auch zu der
Strategie hinter den in Phasen stattfindenden Veröffentlichungen und verdeutlichte,
dass die einzelnen Franchises (z.B. IRON MAN) auch jeweils als individuelle
Filmreihen funktionieren sollen, auch wenn sie gleichzeitig Teil der Mutli-Franchise-
Reihe sind. Eine Person, die also ausschließlich die drei Teile der IRON MAN-
Filmereihe sieht, soll ebenso eine abgeschlossene Erfahrung haben, wie die
Zuschauer sämtlicher Filme des Marvel-Universums. Diese individuelle Serialität
adaptiert Marvel direkt aus den Comics:
"If you look at the comics, there would be ten, twelve or fifteen issues
and then there would be a crossover event. Then the characters would go
back into their own books and then come over for another crossover
event. And those crossover events always ... if you look at them, you look
126 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt1981115/?ref_=sr_1 [Stand: 15.06.2013]127 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt1843866/?ref_=sr_1 [Stand: 15.06.2013]128 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt2395427/?ref_=sr_2 [Stand:15.06.2013]129 Vgl. O'Sullivan, Erin (2013): Hulk, Ant-Man & Doctor Strange Focus Of Marvel’s Phase Three. http://www.accesshollywood.com/hulk-ant-man-and-doctor-strange-focus-of-marvels-phase-
three_article_79657 [Stand: 15.06.2013]
42
at "Secret Invasion" or "Civil War," you know you could just read the
seven issues of "Civil War" and get it. With "Civil War" it starts with that
explosion in the town and it's a self-contained story. You don't have to
have read all the comics of all the other heroes for it to match up. If you
have you'll see more and you will experience more but if you haven't it
still works."130
Die im nächsten Kapitel folgende Analyse widmet sich entsprechend der praktischen
Umsetzung dieser narrativen Erzählstrategien sowie der damit in Verbindung
stehenden intertextuellen und transmedialen Erweiterungen der Filmwelt(en).
130 Philbrick, Jami (2010): EXCLUSIVE: Kevin Fiege Talks Iron Man 2, The Avengers and More. http://www.movieweb.com/news/exclusive-kevin-fiege-talks-iron-man-2-the-avengers-and-more
[Stand: 15.06.2013]
43
5. Kapitel 4 – Analyse des Marvel Cinematic Universe
5.1 Die Kinofilme – Handlung, Filmwelt, Intertextualität
Im Folgenden werden die sechs Kinofilme von Marvels Phase One anhand kurzer
Synopsen inhaltlich zusammengefasst und weitergehend auf die Darstellung der
Filmwelt (bzw. den jeweiligen Ausschnitten der größeren, filmübergreifenden Welt),
der Verortung der Handlung in jener Welt und in einem ersten Schritt auch bereits auf
verbindende (intertextuelle) Elemente zwischen den Filmen eingegangen. Die Filme
werden dabei in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung besprochen. Entscheidende
Sequenzen, Szenen oder Einstellungen sind zudem per Timecode markiert, der sich
nach der Spielfilmlaufzeit der PAL-Blu-ray Veröffentlichungen der Filme richtet. Im
zweiten Teil folgt eine Bestandsaufnahme der transmedialen Erweiterungen und den
damit verbundenen narrativen Phänomenen.
5.1.1 IRON MAN
Synopsis
Der milliardenschwere Großindustrielle und Erbe eines amerikanischen
Rüstungsimperiums Tony Stark befindet sich gerade auf dem Rückweg von einer
erfolgreichen Präsentation seiner neuesten Raketentechnologie in Afghanistan, als
sein Militär-Konvoi angegriffen und Stark selbst von einer seiner eigenen Waffen
schwer verwundet wird. Die Angreifer, eine paramilitärische Organisation namens
Ten Rings, entführen den Verletzten und wollen ihn fortan dazu zwingen, zusammen
mit dem ebenfalls unfreiwillig festgehaltenen Dokor und Ingenieur Ho Yinsen, das
neu entwickelte Stark-Raketensystem Jericho für ihre eigenen Zwecke nachzubauen.
Yinsen, ein afghanischer Pazifist, hatte dem eigentlich tödlich verletzten Tony Stark
zuvor das Leben gerettet, in dem er dem Amerikaner einen Elektromagneten in die
Brust pflanzte, um einen nicht operativ entfernbaren Schrapnellsplitter darin zu
hindern, in Starks Herz einzudringen.
44
Um auf Dauer am Leben zu bleiben, entwickelt Stark zusammen mit Yinsen in
Gefangenschaft eine Miniatur-Version des Arc Reactors, einer unerschöpflichen
Energiequelle, die ursprünglich auf einer von Tonys Vater Howard Stark
entwickelten Technologie basiert und fortan den Elektromagneten in Tonys Brust
antreiben soll. Diese Energiequelle soll aber insgeheim den beiden auch bei ihrer
Flucht helfen. Ihren Wärtern suggerierend, dass sie mit dem Bau des geforderten
Raketensystems beschäftigt sind, entwickelt Stark eine metallische Kampfrüstung
ausgestattet mit diversen Waffensystemen und der Fähigkeit (für zu Beginn nur kurze
Dauer) zu fliegen – angetrieben durch die Energie des Arc Reactors in seiner Brust.
Tatsächlich gelingt Stark die Flucht aus den Fängen der Terroristen, Yinsen wird
jedoch tödlich verwundet und stirbt im Beisein seines neugewonnenen Freundes.
Wieder zurück in den USA, wird Stark von seiner persönlichen Assistentin Pepper
Pots empfangen, die für ihren Chef weitaus mehr zu empfinden scheint, als sie
normalerweise preisgibt; Gefühle die Tony selbst ebenfalls schweigend zu erwidern
scheint. Beide machen sich zusammen auf den Weg zu einer Pressekonferenz, auf der
Tony zur Überraschung der anwesenden Pressevertreter und zum Entsetzten seines
Mentors Obediah Stane bekannt gibt, dass Stark Industries Waffenproduktion und
-handel fortan einstellen wird. Während die Öffentlichkeit und Tonys
Geschäftspartner mehr und mehr an dessen Verstand zweifeln und auch das Militär,
insbesondere verkörpert durch Tonys alten Freund Jim "Rhodey" Rhodes, bezüglich
Starks Schweigen zu den Bedingungen seiner Flucht inklusiver den Gerüchten einer
neu entwickelten Stark-Superwaffe immer ungeduldiger wird, zieht sich der
exzentrische Erfinder in den Keller seines Malibu-Anwesens zurück und
perfektioniert die Arc-Reactor- sowie die Kampfanzugstechnik. Zur gleichen Zeit
versucht ein unscheinbarer Anzugträger namens Phil Coulson, der nach eigenen
Angaben für die Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics
Division arbeitet, mehrfach über Pepper an Tony heranzutreten, um ihn über die
Ereignisse in Afghanistan zu befragen.
Nach einer weiteren Intervention von Tony in Gestalt des Iron Man in Afghanistan,
kommt es beinahe zum Zerwürfnis zwischen ihm und Pepper, da sie ihn nicht dabei
unterstützen möchte, sich selbst um sein eigenes Leben zu bringen. Doch Tony sieht
in der Pflicht, die Menschen zu beschützen, die durch seine Waffen gefährdet
45
werden, seine neue Lebensaufgabe. Schließlich deckt Pepper die wahren Pläne von
Stane auf, der den Stark-Konzern in den Jahren zwischen dem Tod von Howard Stark
und der Volljährigkeit Tonys leitete. Stane ist nicht nur für illegale Waffenlieferungen
in Krisenregionen verantwortlich, sondern plante auch den Überfall auf Tonys
Konvoi in Afghanistan, der in dessen Tod resultieren sollte. Inspiriert durch die neue
Arc-Reactor-Technologie und Tonys Kampfanzug plant Stane die Konstruktion einer
kompletten Armee von Kampfanzügen. Um seinen Plan zu verwirklichen, reißt er
Tony den Reaktor aus der Brust und übernimmt selbst die Kontrolle über eine der
neu entwickelten Kampfmaschinen, als ihn Pepper zusammen mit Agent Coulson
stellen will. Tony kann sich mit Hilfe seines ursprünglichen Reaktor-Prototypen
allerdings das Leben retten und besiegt Stane schließlich als Iron Man im Zweikampf
mit Hilfe von Pepper auf dem Stark-Firmengelände.
Im Vorfeld einer Pressekonferenz, die die wahren Geschehnisse und Starks
Zweiidentität als Iron Man vertuschen soll, bemerkt Coulson gegenüber Tony und
Pepper, dass sein Arbeitgeber, die Strategic Homeland Intervention, Enforcement and
Logistics Division fortan unter dem Namen S.H.I.E.L.D. auftreten werde und man
sich sicher wieder begegnen würde. Tony, der kein weiteres Interesse an
Unwahrheiten zu haben und das Rampenlicht sowieso mehr als zu genießen scheint,
gibt schließlich vor der Presse spontan seine Heldenidentität preis.
Nach dem Filmabspann folgt eine weitere Szene in Starks Anwesen, in dem dieser
auf den Direktor von S.H.I.E.L.D., Nick Fury, trifft, der mit dem gerade frisch
getauften Held über die Avengers-Initiative sprechen will.
Intertextualität / "World-Building"
Die Welt, die dem Zuschauer in IRON MAN präsentiert wird, scheint sich zunächst
eng an unserer aktuellen Realität inklusive des politischen Zeitgeschehens zu
orientieren. Orte, wie die staubigen Tal- und Berglandschaften Afghanistans
inklusiver westlicher Militärs und einheimischer Kämpfer wirken aus aktuellen
Kriegsfilmen oder aus Nachrichten- und Fernseh-Bildern vertraut, die USA hingegen
wird anhand kalifornischer Metropolen als sonniger Ort des Fortschritts und der
Technologie inszeniert. Jedoch wird im Laufe des Films deutlich, dass hinter den
glamourösen Fassaden zwielichtige Geschäfte stattfinden und es wird zumindest
46
suggeriert, dass der Wohlstand dieser Gesellschaft an den Krieg im mittleren Osten
gekoppelt ist. In diesem Sinne etabliert IRON MAN allen voran eine verhältnismäßig
glaubhafte, da nah an der Realität des Zuschauers orientierte Filmwelt. Dieser
vermeintliche Realismus wird allerdings immer wieder mit typischen Science-
Fiction-Elementen gebrochen, wie dreidimensionale, holografische
Computergrafiken, mit denen Stark durch Bewegungssteuerung seine technischen
Errungenschaften designet (z.B. 00:54, 00:57 und 01:01). Andere Elemente wie
hochtechnologisierte, fliegende Kampfausrüstungen oder eine
kommunikationsfähige künstliche Intelligenz in Form von Tonys „Butler“-Roboter
Jarvis (00:10), sind dagegen natürlich noch offensichtlicher dem Science-Fiction-
Genre zuzuordnen. In diesem Sinne konfrontiert IRON MAN den Zuschauer mit
einer Filmwelt, die sich gesellschaftlich und politisch zwar auf dem gleichen Stand
wie die unsere befindet, in der aber ganz klar enorme Sprünge in der Entwicklung
von Technologie und Wissenschaft möglich sind (durch individuelle Genies wie
Stark selbst).
IRON MANs Handlung mag auf den ersten Blick zunächst sehr geschlossen und
kohärent wirken, trotzdem gibt es bei genauerer Betrachtung diverse
Anknüpfungspunkte für spätere inhaltlichen Erweiterungen. Das offensichtlichste
Element ist sicherlich die Figur des Agent Coulson und seine Verbindung zu der
Organisation S.H.I.E.L.D. (00:43, 01:08; 01:34, 01:42 und 01:53), die in einigen der
Folgefilme noch eine wichtigere Rolle spielen wird und unter deren Dach sich die
verschiedenen Helden schließlich in THE AVENGERS vereinigen werden, was auch
die Bonusszene nach dem Abspann verdeutlicht. Eine andere wesentlich subtilere
Querverbindung existiert in einigen Hinweisen auf die Figur des Howard Starks,
Tonys Vater, der im zwei Jahre später erschienenen CAPTAIN AMERICA: THE
FIRST AVENGER als Nebenfigur auftritt. Diese Verbindung wird hier nur in
wenigen Dialogen impliziert. So wird u.a. thematisiert, dass Stark Senior dabei
geholfen hat, die Nazis zu besiegen (00:08) und die eigentlichen Ursprünge der Arc
Reactor-Technologie von ihm stammen (00:47). Ein weiteres Element ist das
Vorhandensein eines scheinbar nicht fertig gestellten Prototyps von Captain
Americas ikonischem Schild, das nur kurz im Hintergrund einer Einstellung zu sehen
ist (01:25). Diese intertextuellen Querverweise werden allerdings erst nach der
47
Rezeption von CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER oder dem Wissen um
diese Verbindungen aus den Marvel-Comics deutlich. Für die alleinige Rezeption
und das Verständnis von IRON MAN spielen sie schlicht keine Rolle und treten bei
Unwissen nicht einmal als bedeutend hervor.
5.1.2 THE INCREDIBLE HULK
Synopsis
Der Wissenschaftler Dr. Bruce Banner befindet sich seit einem fehlgeschlagenen
Experiment an der Culver Universität in Virginia, bei dem er einer vermeintlich
tödlichen Dosis Gamma-Strahlung ausgesetzt wurde, auf der Flucht. Initiiert wurde
das Experiment durch den US-Army General Thaddeus "Thunderbolt" Ross, der
insgeheim das Ziel verfolgte, eine neue Methode zur Erschaffung eines
Supersoldaten zu entwickeln und seitdem Banner aus dem vorgeschobenen Grund
der nationalen Sicherheit hinterherjagt.
Untergetaucht in den Favelas von Rio de Janeiro sucht Banner verzweifelt nach
einem Mittel gegen die Nebenwirkung der Strahlungsaussetzung: Überschreitet sein
Puls eine bestimmte Frequenz, mutiert sein Zellengewebe und er verwandelt sich in
ein gewissenloses, grünes Monster, das alles, was sich ihm entgegenstellt, zerstört.
Banner verbringt seine Tage damit, mit Hilfe von Meditationstechniken seine
Gefühle unter Kontrolle zu halten und forscht mit der Hilfe eines amerikanischen
Wissenschaftlers, der mit Banner unter dem Alias "Mr. Blue" über das Internet in
Kontakt steht, nach einem Heilmittel. Mr. Blue besteht auf eine Blutprobe Banners,
die dieser ihm widerwillig schickt, worauf ihm Heilung versprochen wird, sofern
Banner ihm mehr Daten über den Verlauf des Experiments zukommen lassen kann.
Nach einem Zwischenfall in einer Getränkefabrik, in der Banner arbeitet, schickt
General Ross ein Einsatzteam nach Brasilien, um Banner in Gewahrsam zu nehmen.
Das Team, angeführt durch den Kriegsveteranen Emil Blonsky, wird allerdings von
Banner in Form seines bestialischen Alter Egos aufgerieben. Während sich Banner
widerwillig auf den Weg zurück in die USA macht, um in Besitz der benötigten
Daten an der Culver Universität zu gelangen, lässt sich Blonsky von Ross'
Wissenschaftlern eine kleine Dosis eines Supersoldaten-Serums injizieren, dessen
48
Ursprünge auf ein Experiment im Zweiten Weltkrieg zurückgehen.
In Virginia angekommen, trifft Banner auf seine ehemalige Freundin Betty Ross, die
Tochter seines Verfolgers, die ihm dabei hilft, in Besitz der benötigten Daten zu
gelangen. Bruce gerät an der Universität in einen Hinterhalt der US-Army und liefert
sich in Form des Hulk ein Scharmützel mit Ross' Truppen, bei der nicht nur der
gestärkte Blonsky schwer verletzt wird, sondern auch Betty beinahe ums Leben
kommt. Doch auch als Hulk scheint sich Banner an seine Gefühle für Ross' Tochter
zu erinnern und zieht sich mit der bewusstlosen Betty aus dem Kriegsgebiet zurück.
Das Liebespaar macht sich mit den Daten des ursprünglichen Experiments auf den
Weg nach New York zu Banners vermeintlichem Erlöser Mr. Blue. Der mit
wirklichem Namen Dr. Samuel Stern heißende Biologe hat tatsächlich ein Mittel
entwickelt, das die Verwandlung Banners in das grüne Monster verhindern kann, hat
aber zu Bruces Entsetzen große Mengen von dessen Blut für weitere
Forschungszwecke synthetisiert. Zeitgleich wird das Gebäude von Ross' Soldaten
gestürmt, die Bruce und Betty in Gewahrsam nehmen. Derweil zwingt Blonsky, der
die vorige Konfrontation mit dem Hulk nur dank des Serums in seinen Venen
überlebt hat, Dr. Stern dazu, ihm Banners Blut zu injizieren, um zu einer
unbesiegbaren Kampfmaschine zu werden. Durch die Mischung der verschiedenen
Stoffe in Blonskys Körper mutiert dieser allerdings zu einem tobenden Monster, der
Abomination, und droht im Folgenden, New York in Schutt und Asche zu legen.
Widerwillig lässt Ross darauf Banner wieder frei, der sich aus einem fliegenden
Hubschrauber fallen lässt, sich so kurz vor dem tödlichen Aufprall wieder in den
Hulk verwandelt und darauf in einem Kampf, der mehrere Straßenzüge demoliert,
den mutierten Blonsky außer Gefecht setzt. Trotz seiner Heldentat flieht Banner
darauf aus der Stadt und taucht in den Wäldern Britsh Columbias unter, wo er weiter
an seinen Meditationstechniken arbeitet. Allerdings nicht, um die Verwandlung in
den Hulk gänzlich zu unterdrücken, sondern kontrolliert geschehen zu lassen, wie die
letzte Szene mit ihm impliziert.
In der darauf folgenden Bonusszene (hier nicht wie bei den anderen Filmen nach,
sondern noch vor dem Abspann) wird General Ross, der versucht, seine Niederlage
in einer Bar zu ertränken, von Iron Man/Tony Stark aufgesucht, der diesen über die
Pläne zur Formatierung eines besonderes Team unterrichten will.
49
Intertextualität / "World-Building"
Ähnlich wie schon in IRON MAN wird der Zuschauer bei THE INCREDIBLE
HULK zunächst mit einer durchaus vertrauten Inszenierung der Realität zwischen
den Gegensätzen der Darstellung von US-amerikanischen Universitäten und urbanen
Metropolen sowie den Armenvierteln und Märkten südamerikanischer Länder
konfrontiert. Typische Elemente aus dem Horror-Genre (Monster und Mutationen)
werden hier, wie die technischen Errungenschaften von Stark in IRON MAN, mit
den Mitteln der Science-Fiction erklärt (Wissenschaft und Forschung als Grundlage
und Auslöser diverser „Superkräfte“).
Die Organisation S.H.I.E.L.D. tritt hier zunächst wieder komplett in den
Hintergrund, wird aber beiläufig in einer Szene erwähnt und ist somit Teil der
erzählten Welt (01:09). Dagegen überwiegen dieses Mal intertextuelle Querverweise
auf andere Filme, sowohl auf IRON MAN [eine Einstellung am Anfang gibt preis,
dass General Ross auf Waffen-Technologie von Tony Stark zurückgreift, um den
Hulk zu jagen (00:02)] als auch besonders auf den erst drei Jahre später
veröffentlichten CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER. So wird in diversen
Szenen impliziert, dass General Ross' Bemühungen, einen neuen Supersoldaten zu
erschaffen, auf das ursprüngliche Supersoldaten-Experiment zurückgehen, das Steve
Rogers zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zum patriotischen Vorzeigehelden machte
(00:32, 00:44). Die Anspielungen auf die beiden Filme kulminieren in der Barszene
zwischen Ross und Stark, in der nicht nur der Protagonist aus IRON MAN
unerwartet die Filmwelt des Hulks betritt und damit beide Erzählungen definitiv in
der selben Welt verortet; ein ironischer Kommentar von Stark bezüglich des
Supersoldaten-Programms [Ross hätte es lieber auf "Eis liegen lassen" sollen
(01:44)] spielt auf die Gleichzeitigkeit multipler Handlungsstränge im größeren
Erzähluniversum der Filme an. Denn in der Tat liegt der ursprüngliche Supersoldat
Captain America zu diesem Zeitpunkt im Kälteschlaf unter der Eisschicht Grönlands,
was zum Zeitpunkt des Kino-Releases von THE INCREDIBLE HULK (2008)
allerdings nur informierte Kenner der Comics wissen können – auf der Leinwand
werden diese Ereignisse erst drei Jahre später thematisiert werden. Ein neue
Dynamik entwickeln die Filme untereinander dann natürlich durch die
50
Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray, da sie in beliebiger Reihenfolge und
Häufigkeit rezipiert werden können und solche Querverweise auf die zeitliche
Dimension des Erzähluniversums vom Rezipienten besser eingeordnet werden
können.
5.1.3 IRON MAN 2
Synopsis
Ivan Vanko, Sohn des russischen Wissenschaftlers Anton Vanko, schwört am
Totenbett seines Vaters Rache für die Missstände, in denen er aufwachsen musste
und für die er die Stark-Familie verantwortlich macht. Sein Vater arbeitete als
russischer Überläufer einst zusammen mit Howard Stark an der Entwicklung des
ursprünglichen Arc Reactors und wurde schließlich wieder nach Russland deportiert,
nachdem Stark erfahren hatte, dass sein Kollege sich mit der neu entwickelten
Technologie selbst bereichern wollte.
Derweil lässt sich Lebemann Tony Stark dank seiner Errungenschaften als Iron Man
wie die Rockstar-Version eines Superhelden feiern, während er amerikanischen
Regierungsvertretern und dem US-Militär die kalte Schulter zeigt, wenn es um die
Übergabe seiner fortschrittlichen Technologie an die Staatsmacht geht. Allerdings
wird er im doppelten Sinne von inneren Dämonen geplagt, denn die Energiequelle in
seiner Brust, die ihn eigentlich am Leben hält, droht ihn umzubringen, da das
Element, das den Miniatur-Reaktor antreibt, langsam seinen Körper vergiftet. Anstatt
die Menschen in seinem Umfeld mit seiner Erkrankung zu konfrontieren, stürzt sich
Stark lieber in lebensgefährliche Situationen und entschließt sich so z.B. auch
spontan als Fahrer in einem F1-Rennen im Monaco einzuspringen. Wie sich
herausstellt, eine fatale Entscheidung, denn der rachsüchtige Ivan Vanko erscheint
auf der Bildfläche und verursacht mit seinen ebenfalls auf der Arc-Reactor-
Technologie basierenden, selbst konstruierten Energie-Peitschen eine
Massenkarambolage, bei der Tony fast ums Leben kommt. Dieser kann Vanko nur
mit größter Mühe und mit Hilfe seines Iron-Man-Anzugs stoppen. Iron Mans Image
ist darauf nicht nur in Bezug auf seine selbst erklärte Unbesiegbarkeit angekratzt, das
US-Militär sieht sich noch drastischer dazu genötigt, in Besitz von Starks
51
Technologie zu gelangen. So kommt es dazu, dass Tonys Freund Colonel Rhodey
einen der Prototyp-Anzüge stiehlt, nachdem dieser entsetzt feststellen musste, dass
der selbsternannte Superheld scheinbar gewissenlos und betrunken in voller
Kampfmontur auf seiner eigenen Geburtstagsparty für die Belustigung seiner Gäste
sorgt. Es kommt zur Konfrontation zwischen den beiden Freunden, nach der Rhodey
mit dem entwendeten Anzug zu einer Basis der US Air Force flüchtet.
Währenddessen hat der Waffenproduzent und größte Konkurrent des Stark-
Imperiums Justin Hammer dem inhaftierten Vanko zur Flucht verholfen, unter der
Voraussetzung, dass dieser seine Technologie mit ihm teilt und fortan für ihn arbeitet.
Vanko willigt ein, verfolgt aber insgeheim weiter seine Rachepläne bezüglich der
Stark-Familie. Hammer wird derweil vom US-Militär mit der Aufgabe betraut, den
entwendeten Iron-Man-Prototypen mit seinen Waffensystemen auszurüsten. Vanko
arbeitet unterdessen an der Produktion einer ferngesteuerten Drohnenarmee, die
Hammer auf der in New York stattfindenden Stark Expo als Schlappe gegen den
pazifistischen Ex-Waffenproduzenten präsentieren will.
Stark, der inzwischen auch seine ehemalige Assistentin und inzwischen von ihm zum
CEO von Stark Industries ernannte Pepper Potts mit seinem Verhalten mehr und
mehr irritiert, wird schließlich von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury aufgesucht.
Dieser weiß nicht nur von seiner lebensgefährlichen Blutvergiftung, sondern lässt ihn
von seiner Agentin Natasha Ramanov a.k.a. Black Widow mit einem
vorübergehenden Impfstoff injizieren. Fury betont allerdings, dass dies nur eine
temporäre Lösung sei und Stark den Schlüssel zu seinem Problem in den
Aufzeichnungen seines Vaters finden werde – der, wie Fury preisgibt, selber eines
der Gründungsmitglieder von S.H.I.E.L.D. gewesen ist. Tony arbeitet sich deshalb,
von Fury unter Hausarrest gesetzt und überwacht von Agent Phil Coulson, durch die
Hinterlassenschaft seines Vaters und entdeckt nicht nur eine versteckte, an ihn
gerichtete Botschaft, sondern auch die theoretische Grundlage zur Generierung eines
neuen Elements, das den Reaktor in seiner Brust fortan ohne gefährliche
Nebenwirkungen antreiben könnte. Während Agent Coulson nach New Mexico reist,
wo er nach eigenen Angaben gebraucht wird, erschafft Tony mit Hilfe eines
selbstgebauten Teilchenbeschleunigers das benötigte Element. Gerade rechtzeitig,
denn die Waffenpräsentation von Hammer auf der Stark Expo gerät außer Kontrolle
52
bzw. wird durch Vanko sabotiert, der fortan nicht nur die unbemannten Drohnen
fernsteuert und durch sie das Publikum attackiert, sondern auch Rhodeys von
Hammer modifizierten Kampfanzug kontrolliert. Erst nachdem Black Widow in
Hammers Firmensitz eindringt und Vankos Software deaktivieren kann, erhält
Rhodey wieder die Kontrolle über den Anzug zurück und kann zusammen mit Iron
Man die restlichen Drohnen und schließlich Vanko selber ausschalten. Bei einem
weiteren Treffen zwischen Stark und S.H.I.E.L.D.-Direktor Fury teilt letzterer seine
Entscheidung mit, Stark (aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeit) nicht für die
Avengers-Initiative in Erwägung zu ziehen, sondern vorerst lieber als externen
Berater zu beschäftigen.
Nach dem Abspann folgt eine weitere Szene, in der Agent Coulson am Rande eines
großen Kraters in der Wüste New Mexicos erscheint, welcher bereits das Interesse
der lokalen Bevölkerung auf sich gezogen hat. Im Zentrum des Krater ragt ein
massiver Hammer zum Himmel empor.
Intertextualität / "World-Building"
IRON MAN 2 hebt sich in seiner Art der intertextuellen Verweise auf das Marvel-
Universum in zwei Bereichen von seinen Vorgängern ab: Erstens werden der
Geheimdienst S.H.I.E.L.D. und seine Agenten als wesentlicher Teil in die Ereignisse
des Plots mit eingewoben, denn Tony Stark ist auf die Hilfe und das Wissen von Nick
Fury angewiesen, um sein eigenes Leben zu retten (01:02). In der Szene, in der Stark
auf Fury trifft, wird auf geradezu selbstreferenzielle Weise der Umstand thematisiert,
dass die Ereignisse rund um Held Iron Man nur einen kleinen Teil eines viel größeren
Geschehens darstellen, dessen Gänze sich zu diesem Zeitpunkt nur Fury bewusst ist
und für den Starks existentielle Krise nur eines von vielen Problemen darstellt, mit
denen sich der S.H.I.E.L.D.-Direktor auseinandersetzen muss ("You are not the
center of my universe."). Der Film führt zudem auch die Figur Black Widow ein
(00:23), die in IRON MAN 2 zwar eher als Randfigur vorkommt, in THE
AVENGERS aber eines der zentralen Mitglieder des von Fury geformten
Superheldenteams wird. Neben der dominanteren Rolle von S.H.I.E.L.D wird in
IRON MAN 2 zudem an verschiedenen Stellen mehr Bewusstsein für die zeitliche
Dimension des Erzähluniversums geschaffen: Agent Coulsons Reise nach New
53
Mexico und Ankunft in der Szene nach dem Filmabspann (01:25 und 02:03, ein
Vorgriff auf die Handlung von THOR) sowie eine im Hintergrund laufende
Nachrichtensendung über die Verwüstungen an der Westküste durch den Hulk am
Ende des Films (01:54), weisen auf die zeitliche Parallelität der verschiedenen
Filmhandlungen hin und bieten in diesem Sinne dem Zuschauer auch Hinweise, in
welcher chronologischen Reihenfolge die Ereignisse der Filme zueinander stehen.
Neben diesen Zeit-Raum-Beziehungen der Gleichzeitigkeit wird eine weitere
zeitliche Dimension in Bezug auf die Vergangenheit des Erzähluniversums in Form
der Informationen über Tonys Vater Howard aufgemacht (00:09, 01.07 und 01:13),
die indirekt bereits auf den Zeit- und Handlungsraum von CAPTAIN AMERICA:
THE FIRST AVENGER hinweisen, der zu großen Teilen im Zweiten Weltkrieg (bzw.
in der "Marvel-Version" dieses Krieges) spielt. Auch das bereits im ersten IRON
MAN gesichtete, dort nur als Teil des Szenenbilds vorkommende Schild von Captain
America, wird hier bereits zu einem Objekt mit dem der Protagonist kurz in einer
Szene direkt interagiert (und mit dessen Bedeutung hier wiederum selbstreferentiell
wie augenzwinkernd gespielt wird [01:25]).
5.1.4 THOR
Synopsis
Die Welt der Menschen ist nur eines von neun kosmischen Reichen, die durch den
Baum Yggdrasil (unsere Milchstraße) miteinander in Verbindung stehen. Odin
Allvater ist König des Reiches Asgard und hinderte mit seinen Kriegern einst die
Frostriesen aus Jotunheim daran, die Erde zu unterwerfen. Seitdem wurden die
Asgardier von den Menschen des Mittelalters als Götter verehrt. Odin vereinbarte
mit Laufey, dem König der Frostriesen, einen Waffenstillstand und entwendete
darauf die "Urne", die die Quelle der Macht Jotunheims darstellte.
Jahrhunderte später soll Odins erstgeborener Sohn Thor zum neuen König von
Asgard gekrönt werden, doch bevor Odin die Zeremonie beenden kann, dringt eine
Gruppe Frostriesen in Odins Waffenkammer ein und wird bei dem Versuch, die
Jotunheim-Urne zu stehlen, getötet. Thor macht sich gegen den Willen seines Vaters
und unter der Einflussnahme seines jüngeren Bruders Loki zusammen mit seinen treu
54
ergebenen Gefährten Volstagg, Fandral, Hogun und Sif auf nach Jotunheim, um
dessen König zu stellen und sich für den Angriff zu rächen. Nach einem Kampf mit
den Eisriesen erscheint Odin, um seinen Sohn und seine Gefolgschaft vor Loufey zu
retten, der Odin darauf erneut den Krieg erklärt. Zurück in Asgard beraubt ein
wütender und enttäuschter Odin seinem Sohn die Kräfte und die Fähigkeit den
Hammer Mjolnir zu führen. Er verbannt Thor via der Regenbogenbrücke Bifröst ins
Exil auf die Erde, belegt Mjolnir mit einem Zauber und schickt ihm seinen Sohn in
das Reich der Menschen hinterher.
Auf der Erde in der Wüste von New Mexico wird der entkräftete Thor von der
Astrophysikerin Jane Foster gefunden, die mit ihrer Assistentin Darcy Lewis und
ihrem Mentor Dr. Erik Selvig merkwürdige Wetterphänomene untersucht. Die drei
bringen den verwirrt wirkenden jungen Mann in das Krankenhaus der Kleinstadt
Puente Antiguo, in dem der nun menschliche Thor feststellen muss, dass er nicht
mehr über seine asgardischen Kräfte verfügt. Jane wird inzwischen bewusst, dass
Thors Erscheinen mit den Wetterphänomenen und ihren Forschungen zu kosmischen
Wurmlöchern zusammenhängen und macht sich einmal mehr auf zum Krankenhaus,
um ihn zu befragen.
Zur gleichen Zeit lässt Agent Phil Coulson von S.H.I.E.L.D. die Absturzstelle von
Thors Hammer Mjolnir in der Wüste von New Mexico absichern. In Asgard erfährt
Loki in einem Streitgespräch mit seinem Vater über seine wahre Herkunft. Er ist ein
Kind der Frostriesen, das Odin aus Mitleid nach dem Ende des Krieges bei sich
aufnahm und in der Hoffnung, dass Loki einst als verbindendes Element beiden
Reichen immerwährenden Frieden schenken könnte, als seinen eigenen Sohn aufzog.
Doch Loki fühlt sich als politisches Instrument missbraucht und wirft seinem Vater
vor, ihn nie wirklich geliebt zu haben, worauf Odin zusammenbricht und in einen
tiefen Schlaf fällt. Loki wird folgend zum neuen König von Asgard gekrönt und
weigert sich trotz der Bitte von Thors Gefährten, die Verbannung seines Bruders
aufzuheben.
Thor versucht derweil zusammen mit Jane Foster, deren gesamte Arbeitsmaterialien
inzwischen von S.H.I.E.L.D. beschlagnahmt wurden, wieder in Besitz seines
Hammers und somit seiner Kräfte zu gelangen. Er dringt in das um den Hammer
errichtete Forschungslager ein und kämpft sich zur Absturzstelle durch, doch kann er
55
zu seiner eigenen Überraschung den Hammer nicht aus dem Stein ziehen. Enttäuscht
und gebrochen lässt sich der Sohn Odins von Agent Coulson gefangen nehmen und
verhören. Loki erscheint seinem Bruder und lässt ihn die Lüge glauben, dass Odin
gestorben sei und seine Mutter Frigga ihn auf Lebenszeit die Rückkehr nach Asgard
verbieten würde. Danach macht sich Loki auf nach Jotunheim, um dessen König
(und seinen eigentlichen Vater) dazu zu überreden, Odin in seinem Schlaf zu
ermorden, wofür Loki ihm im Gegenzug die Rückgabe der Urne verspricht.
In New Mexico gelingt es Janes Mentor Dr. Selvig, Thor aus der Gefangenschaft von
S.H.I.E.L.D. zu befreien, Agent Coulson befiehlt aber insgeheim deren
Überwachung. Nach einem Trinkgelage trägt Thor seinen Retter zu Janes mobilem
Zuhause, deren Interesse an dem mysteriösen Hünen inzwischen weit über dessen
ominöse Herkunft hinaus zu scheinen geht. Thor klärt Jane auf über die neun Reiche
von Yggdrasil sowie über den Bifröst, den die Asgardier benutzen, um zwischen den
Welten zu reisen.
Thors Gefährten reisen aus Asgard schließlich mit Hilfe von Heimdal, der über den
Bifröst wacht und sich gegen Loki auflehnt, zur Erde und berichten Thor über die
Lügen und das doppelte Spiel seines Bruders. Loki schickt darauf hin den Wächter
von Odins Schatzkammer, den Destroyer, zur Erde, um Thor auszulöschen. Da Loki
droht, eine komplette amerikanische Kleinstadt zu verwüsten, bietet Thor seinem
Bruder sein Leben an, sofern er weitere Opfer unter den Menschen vermeidet. Durch
seinen selbstlosen Tod erweist sich Thor als würdig, wieder in Besitz seiner Kräfte zu
gelangen, wodurch sich der Hammer selbst aus dem Stein befreit und Thor darauf
wieder zum Leben erweckt. Der wieder erstarkte Donnergott vernichtet den
Destroyer mit Leichtigkeit und macht sich dazu auf, seinem Bruder das Handwerk zu
legen. Loki tötet derweil seinen Erzeuger Laufey bei dem Versuch, Odin im Schlaf
zu ermorden. Dies gibt ihm einen Vorwand, um das Reich der Frostriesen und das
Geheimnis seiner Herkunft vernichten zu können. Mit Hilfe der Energie des Bifröst
will Loki Jotunheim zerschmettern, doch Thor schreitet ein und zerschlägt mit
seinem Hammer die weltenverbindende Regenbogenbrücke, die Loki als Waffe
missbrauchen wollte. Beide Brüder drohen in die Tiefe des Alls zu fallen, doch der
wieder erwachte Odin rettet seine beiden Sohne. Loki jedoch lässt sich fallen und
verschwindet mit den Überresten des Bifröst in der Schwärze des Weltraums. Der
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Frieden der neun Reiche ist vorerst wieder hergestellt, doch Thor ist durch die
Zerstörung der Regenbogenbrücke die Möglichkeit genommen worden, zu Jane auf
die Erde zurückzukehren. Diese forscht unterdessen weiter nach einer Möglichkeit
die Verbindungen zwischen den Welten wieder herzustellen.
In der Szene nach dem Abspann wird Dr. Erik Selvig in einer Bunkeranlage von
S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury empfangen, um an einem streng geheimen
Energieprojekt zu arbeiten, das mit einem ominösen würfel-artigen Artefakt zu tun
haben soll. Am Ende der Szene wird enthüllt, dass Selvig insgeheim von dem immer
noch lebenden Loki kontrolliert wird.
Intertextualität / "World-Building"
THOR stellt im Hinblick auf die Darstellung und Erweiterung der Marvel-
Hyperdiegese einen entscheidenden Schritt dar: Waren die Handlungen der vorigen
Filme immer auf fiktionalisierte Versionen realer Ortschaften in verschiedenen Teilen
der Erde beschränkt, stößt dieser Film die Tür zu einem kompletten Universum an
verschiedenen Welten auf. Der Prolog zu Beginn des Films und das spätere Gespräch
zwischen Thor und Jane über die nicht vorhandene Dichotomie von Magie und
Wissenschaft [ersteres ist nur ein Vorwand, um Phänomene von letzterem zu erklären
(01:14)] verortet die komplette Welt der Menschen, die dem Zuschauer bisher in den
Marvel-Filmen gezeigt wurde, in einer größeren, all umspannenden Mythologie. Die
Asgardier sind in diesem Verständnis weniger ein übermenschliches Götter-
Geschlecht, sondern eine hochtechnologisierte Alienrasse, an deren Errungenschaften
und Entwicklung einzelne Individuen unter den Menschen, wie etwa Tony Stark
(Iron Man) und Bruce Banner (Hulk), gerade erst angefangen haben zu kratzen. Die
direkten Verbindungen zwischen den Erfindungen der Stark-Familie und dem Reich
der Asgardier wird in den Folgefilmen CAPTAIN AMERICA: THE FIRST
AVENGER und THE AVENGERS sogar noch in mehrfacher Hinsicht angedeutet.
Ein erster Hinweis ist hier die Bonusszene nach dem Abspann (01:53), denn das
Würfel-Artefakt (der Tesseract) stellt ein fast alle Filme übergreifendes
Handlungselement der Filme dar, das allerdings erst in den letzten beiden Filmen der
Phase One auch zu einem zentralen Element der jeweiligen Plots wird.
Auch S.H.I.E.L.D. spielt in THOR, wie auch schon in IRON MAN 2, eine
57
prominentere Rolle als zuvor und tritt in Form von Agent Coulson als eine weitere
verbindende Entität zwischen den einzelnen Filmen auf. Zudem wird mit Hawkeye,
ähnlich wie zuvor in IRON MAN 2 mit Black Widow, ein zukünftiges Mitglied des
Avengers-Team eingeführt (00:56), ohne das dessen Auftreten hier von wirklicher
Relevanz für den Plot des Films wäre. Darüber hinaus werden an verschiedenen
Stellen wieder weitere Verbindungen zwischen den Figuren und Ereignissen der
einzelnen Filme gesponnen: Agent Coulsons Reise nach New Mexico wurde bereits
in IRON MAN 2 thematisiert und seine Ankunft am Krater von Thors Hammer dort
sogar schon gezeigt (00:36). Janes Mentor Dr. Selvig kennt Dr. Bruce "Hulk" Banner
(00:47) und ist mit den Machenschaften von S.H.I.E.L.D. vertraut (00:45). Außerdem
hält Coulson den von Loki auf die Erde geschickten Destroyer im ersten Moment für
eine neue Geheimwaffe von Tony Stark (01:21).
All diese Verweise werden meistens nur beiläufig in Zusammenhang mit den
eigentlichen Geschehnissen des Films in Form von Dialogen zwischen verschiedenen
Figuren präsentiert. Es handelt sich dabei normalerweise nicht um Informationen,
von denen das Verständnis des eigentlichen Filmplots abhängt, sondern sie dienen
vor allem als Hinweise auf den größeren Handlungsrahmen des Geschehens und auf
andere Ereignisse in der Hyperdiegese.
5.1.5 CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER
Synopsis
In der Jetztzeit entdeckt ein Forschungstrupp in der Arktis ein großes Objekt unter
dem Eis und in dessen Innerem ein Schild mit den Farben der US-amerikanischen
Nationalflagge. Im März 1942 marschiert Johann Schmidt, Kommandant der
okkulten HYDRA-Organisation, mit seinen Untergebenen im norwegischen
Tønsberg ein, um in Besitz eines Artefakts zu gelangen, das laut seinen eigenen
Aussagen einst "das Juwel von Odins Schatzkammer" war. Er findet den hell
leuchtenden Würfel hinter einem Relief, das den Baum Yggdrasil aus der nordischen
Mythologie zeigt.
Zur gleichen Zeit wird der schmächtige Steve Rogers ein weiteres Mal bei der
Musterung für die US-Armee abgelehnt. Der junge Mann aus Brooklyn würde gerne
58
wie sein Freund James "Bucky" Barnes in den Krieg gegen die Nazis ziehen, nicht
aus dem Drang über den Feind siegen zu wollen, sondern weil es seiner
Überzeugung entspricht, die Schwächeren vor der Tyrannei durch die Stärkeren zu
beschützen. Der aus Deutschland geflohene Arzt Dr. Abraham Erskine erhört das
Engagement des gutmütigen New Yorkers und rekrutiert ihn für ein streng geheimes
Supersoldaten-Projekt der Armee. Colonel Philips, der mit für das Projekt
verantwortlich ist, hält nicht viel von dem unscheinbaren Rogers im Gegensatz zu
der britischen Agentin Peggy Carter, die die Kandidaten für das Experiment
ausbildet. Doch Dr. Erskine besteht auf Rogers als Testperson, da sein Supersoldaten-
Serum den Menschen nicht einfach nur physisch stärkt, sondern alle Eigenschaften
einer Person expandieren lässt – und nur jemand, der weiß, wie es sich anfühlt unter
der Macht Stärkerer zu leiden, würde die ihm verliehene Macht nicht missbrauchen.
Am Abend vor dem Experiment erzählt der Doktor Steve davon, dass er
gezwungener Maßen die Supersoldaten-Formel schon einmal an einem Menschen
erproben musste und zwar an HYDRA-Anführer Johann Schmidt selbst, für den das
Experiment allerdings schreckliche Nebenwirkungen hatte.
Schmidt und seinem Erfinder Dr. Arnim Zola gelingt es unterdessen, die scheinbar
unendliche Energie, die in dem in Norwegen erbeuteten Tesseract schlummert,
anzuzapfen und fortan als Antrieb für Zolas hochentwickelte Geheimwaffen zu
missbrauchen. Nach der erfolgreichen Metamorphose Rogers zum Supersoldaten
wird Dr. Erskine von einem HYDRA-Attentäter ermordet, der nach einer
Verfolgungsjagd durch Brooklyn von Steve gestellt wird und Selbstmord begeht.
Erskine nimmt das Geheimnis seines Serums mit ins Grab und Steve Rogers
verkommt in den Folgemonaten zu einer Werbefigur der US-Armee, die bei
öffentlichen Auftritten für den Kauf von Kriegsanleihen wirbt, oder als patriotische
Wunschfantasie in Comics und Kino Hitler und seine Schergen den Garaus macht.
Weniger Kilometer hinter der Frontlinie haben die Auftritte des Captain America bei
den kriegsmüden Soldaten allerdings nicht den gewünschten Effekt. Steve wird von
der Bühne gejagt und fühlt sich zur Karikatur verkommen.
Hier trifft er allerdings wieder auf Peggy Cater und Colonel Philips, von denen er
erfahren muss, dass sein alter Freund Bucky zusammen mit seiner ganzen Division
von Schmidts HYDRA-Organisation gefangen genommen wurde. Mit der Hilfe von
59
Peggy und Rüstungsmagnaten Howard Stark macht sich der idealistische Captain
allerdings alleine auf den Weg hinter die feindlichen Linien. Ihm gelingt es nicht nur,
Bucky und seine Kameraden aus einer Waffenfabrik HYDRAs zu befreien, sondern
der Cap erhascht auch einen Blick auf eine Karte mit allen geheimen Stützpunkten
von Schmidts Faschisten-Kult, der inzwischen sogar Deutschland selbst den Krieg
erklärt hat. Bei seiner Flucht zeigt Schmidt sein wahres Gesicht: Das fehlgeschlagene
Supersoldaten-Experiment hat dem Deutschen zwar übermenschliche Fähigkeiten
verliehen, aber das Gesicht zu einem roten Schädel entstellt. Sich selber als
Übermensch sehend, will er die bestehende Weltordnung kippen und sich selber als
neuer Herrscher über die Menschen installieren.
Captain America jagt in den Folgemonaten zusammen mit Bucky und einer von ihm
rekrutierten Gruppe unterschiedlichster Kämpfer, den Howling Commandos,
HYDRAs Anhänger und deren Anführer, den "Red Skull" Schmidt. Schließlich
gelingt es ihnen, Schmidts Erfinder Dr. Zola gefangen zu nehmen, bei dem Überfall
auf einen fahrenden Zug verliert Bucky allerdings sein Leben. Zola gibt HYDRAs
geheime Alpenfestung preis, die darauf von Captain America flankiert von Peggy
Cater sowie Colonel Philips und seinen Männern angegriffen wird. Schmidt gelingt
die Flucht mit einem durch den Tesseract angetriebenen Langstreckenbomber, der
mit mehreren Massenvernichtungswaffen bestückt, amerikanische Städte in Schutt
und Asche legen soll. Nach einem Kampf zwischen dem Captain und Red Skull an
Bord des Flugzeugs wird letzterer durch die freigesetzte Energie des Tesseract
verschlungen. Der beschädigte Bomber droht durch den Autopiloten weiterhin das
angepeilte Ziel New York zu erreichen, weswegen sich Steve dazu entschließt, das
Flugzeug in der Eiswüste Grönlands bruchzulanden. Peggy ist über Funk bei ihm,
während er auf die näher kommende Eisdecke zuhält und das Funksignal schließlich
verstummt.
Nach dem Ende des Krieges birgt Howard Stark bei einer Expedition nach dem
verschollenen Bomber den Tesseract vom Grund des Meeres, kann aber das
abgestürzte Flugzeug nicht finden. Steve öffnet in einem Zimmer in New York die
Augen. Was auf den ersten Blick der Realität der 1940er entspricht, erschließt sich
schnell als Fassade und der ehemalige Superheld flieht aus einer
Regierungseinrichtung, nur um schließlich am modernen Time Square in New York
60
von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury gestellt zu werden, der ihm mitteilt, dass seit
seinem Absturz in der Arktis 70 Jahre vergangen sind. Nach dem Abspann folgt eine
Szene, die Steve beim Trainieren in der Neuzeit zeigt und in der er von Fury
aufgesucht wird, der ihn mit einer neuen Mission beauftragen will. Es folgt ein
kurzer Teaser-Trailer mit Ausschnitten aus THE AVENGERS.
Intertextualität / "World-Building"
CAPTAIN AMERICA stellt den letzten Film vor dem Aufeinandertreffen der Helden
in THE AVENGERS dar und ist in mehrfacher Hinsicht dessen direkter Vorgänger
(worauf auch schon der Untertitel THE FIRST AVENGER deutlich hinweist). Der
Film ist einerseits von seiner größtenteils in der Vergangenheit spielenden Handlung
ein zeitlicher Vorgänger zu allen anderen Marvel-Filmen, zudem führt er auch mit
dem Tesseract das zentrale Handlungsobjekt, um den sich mehr oder weniger auch
die Ereignisse von THE AVENGERS drehen, als essentiellen Bestandteil des
Filmplots ein (00:07). Antagonist Red Skull will die Energie des Würfels für seine
Welteroberungspläne nutzen, ähnlich wie der zurückgekehrte Loki in THE
AVENGERS. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER vertieft in diesem
Sinne die Hintergrundgeschichte eines der Plotelemente von THE AVENGERS (der
Tesseract), ohne das beide Filme in ihrer Konsequenz aber dabei direkt voneinander
abhängig sind. Ebenfalls prominent im Film vertreten ist Tony Starks Vater Howard,
der sowohl an der Genesis von Captain America beteiligt ist (00:33), als auch später
dabei gezeigt wird, wie er u.a. die Kräfte des Tesseract erforscht (01:15) oder Caps
Schild entwirft (01:18).
Schmidt / Red Skulls Aussagen zur Herkunft des Tesseract (00:06) und sein Glaube
an höhere Formen der Existenz (00:26) gehen zudem Hand in Hand mit denen im
Vorgängerfilm THOR eingeführten „kosmischen“ Elementen des Erzähluniversums.
Derweil wohnt CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER aber auch eine ganz
eigene Genre-Ästhetik inne, die sich sowohl an Kriegsfilmen als auch an
Abenteuerfilmen wie RAIDERS OF THE LOST ARK (1981 USA) orientiert. Das
jede Einzel-Franchise des Marvel-Universums mehr oder weniger einer bestimmten
Genre-Ästhetik oder wenigstens dem Vorhandsein spezifischer Genre-Elemente
zuzuordnen ist, obwohl diese wiederum alle Bestandteil der selben Erzählwelt sind,
61
ist eine zusätzliche Eigenart der Filme. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST
AVENGER weist außerdem als bis dato einziger Film in einer Szene eine
selbstreferentielle Metaebene (siehe S. 33ff) auf sein Ursprungsmedium und auch das
Kino selbst auf, da in einer Montage, die den Helden als patriotische Werbefigur auf
der Reise durch die USA zeigt, sowohl Ausschnitte vermeintlicher Filmauftritte des
Helden in alten Schwarz-Weiß-Produktionen als auch der Verkauf von Captain
America Comics gezeigt werden (00:50). Die Figur ist also auch innerhalb der
Diegese eine fiktionalisierte Heldenfigur, die aber auf einem echten Menschen,
einem echten „Helden“ basiert.
5.1.6 THE AVENGERS
Synopsis
Thors totgeglaubter Adoptivbruder Loki schließt ein Bündnis mit der Armee der
außerirdischen Chitauri. Für die Beschaffung des sich auf der Erde befindenden
Tesseracts stellt der Anführer der Aliens dem in Ungnade gefallenem Asgardier seine
Armee zur Verfügung und verspricht ihm die Herrschaft über die Menschheit.
Nick Fury und sein Leutnant Agentin Maria Hill treffen derweil bei einer geheimen
Einrichtung von S.H.I.E.L.D. ein, in deren Gewölben der Wissenschaftler Dr. Erik
Selvig die unerschöpfliche Energie des Tesseracts erforscht. Sie werden von Agent
Phil Coulson darüber informiert, dass der Würfel damit begonnen hat, unkontrolliert
Energie abzusondern. Während die Einrichtung bereits evakuiert wird, erscheint Loki
durch ein sich plötzlich öffnendes Wurmloch, hypnotisiert mit Hilfe seines Zepters
einige Mitglieder von S.H.I.E.L.D., darunter Dr. Selvig und Agent Clint "Hawkeye"
Barton, und flieht mit dessen Hilfe und in Besitz des Tesseract aus der Einrichtung.
Fury und seine verbleibenden Agenten nehmen erfolglos die Verfolgung auf,
während in ihren Rücken die Forschungseinrichtung durch die freigesetzte Energie
des Alien-Artefakts implodiert.
Fury reagiert auf den Angriff mit der Reaktivierung der Avengers-Initiative. Mit
Hilfe seiner Agenten überzeugt er die ursprünglich für die Initiative vorgesehenen
Mitglieder Dr. Bruce Banner (Hulk), Tony Stark (Iron Man) und Steve Rogers
(Captain America) bei der Suche nach Loki und dem Tesseract zu helfen. Derweil
62
stiehlt der von Loki umgedrehte Hawkeye in Stuttgart ein seltenes Metall, das der
Asgardier dazu benötigt, die Energie des Tesseract zu stabilisieren und das
Dimensionstor für die Armee der Chitauri zu öffnen. Bei einem Ablenkungsmanöver
für den Diebstahl lässt sich Loki von Iron Man und Captain America ohne viel
Gegenwehr gefangen nehmen, doch auf dem Weg zurück zu S.H.I.E.L.D. erscheint
Thor aus heiterem Himmel, um seinen Bruder selber in Gewahrsam zu nehmen und
zurück nach Asgard zu überführen. Doch nach einer Konfrontation mit Stark und
Rogers willigt der Donnergott ein, die Gruppe zum Helicarrier, S.H.I.E.L.D.s
fliegendem Flugzeugträger und Operationsbasis zu geleiten.
Mit Loki in Gefangenschaft versuchen Dr. Banner und Stark den Tesseract mit Hilfe
seiner Energiesignatur aufzuspüren, während das Team allgemein darüber streitet,
wie man mit dem tückischen Loki weiter verfahren sollte. Die Spannungen in der
Heldengruppe verschärfen sich, als ans Tageslicht kommt, dass S.H.I.E.L.D. im
Geheimen daran arbeitet, die Energie des Tesseract für die Herstellung von
übermächtigen Waffengerät zu missbrauchen – ähnlich wie einst Red Skulls
HYRDA-Organisation zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. S.H.I.E.L.D.-Agentin und
Verhörexpertin Natasha "Black Widow" Romanoff gelingt es währenddessen hinter
Lokis wahre Absichten zu kommen und realisiert, dass dieser Misstrauen zwischen
den Superhelden streuen und Dr. Banners unkontrollierbares zweites Ich, den Hulk,
gegen die Gruppe verwenden will. Zur selben Zeit landet ein Angriffskommando
angeführt vom abtrünnigen Hawkeye auf dem Helicarrier, beschädigt die fliegende
Festung schwer und verursacht durch das plötzliche Chaos die unfreiwillige
Verwandlung Banners in den amoklaufenden Hulk. Loki gelingt bei dem Beinahe-
Absturz des Helicarrier die Flucht, die Heldengruppe ist zunächst zerschlagen und
Agent Coulson verliert durch Lokis Hand sein Leben.
Den Avengers wird deutlich, dass Loki von Beginn an geplant hatte, sie
gegeneinander aufzuhetzen und schließlich in aller Öffentlichkeit zu demütigen. Als
Bühne für seine Erhebung zum Herrscher über die Menschheit hat er sich deshalb
auch nicht ohne Grund Tony Starks Wolkenkratzer in New York ausgesucht, auf
dessen Dach Loki das Eingangsportal für die Chitauri-Armee mit Hilfe des Tesseract
öffnen will. Doch der Tod Agent Coulsons dient (instrumentalisiert von Nick Fury)
den verschiedenen Helden dazu, ihre Differenzen zu überwinden und sich gegen
63
Loki zu vereinigen. Das Helden-Team, darunter auch der wieder zu Sinnen
gekommene Hawkeye, stellt sich Loki und den Chitauri in den Straßen und auf den
Dächern New Yorks zum finalen Kampf. Gemeinsam gelingt es ihnen, Loki zu
besiegen und das Portal mit Hilfe seines Zepters wieder zu schließen. Im letzten
Augenblick leitet Stark zudem eine vom World Security Council auf New York
abgefeuerte Atombombe in das sich schließende Portal um und zerstört so das
Mutterschiff der Aliens. Nach dem "Kampf um New York" kehren Thor und Loki mit
Hilfe des Tesseracts nach Asgard zurück und auch die restlichen Avengers gehen
vorerst wieder getrennte Wege.
In einer weiteren Szene während des Filmabspanns muss der Anführer der Chitauri
seinem Befehlshaber die Niederlage gegen die Menschen gestehen. Dieser entpuppt
sich für Kenner der Marvel-Comics als Superschurke Thanos. Die erste Phase von
Marvels Kinouniversum endet schließlich mit einer Einstellung nach dem
Filmabspann, die das Heldengespann bei einer wohlverdienten Runde Schawarma in
einem New Yorker Restaurant zeigt.
Intertextualität / "World-Building"
THE AVENGERS zeichnet sich als finales Zusammentreffen vieler
Handlungselemente und Figuren aus den Vorgängerfilmen aus. In der ersten Hälfte
des Films werden die Protagonisten der vorigen Einzelfilme nach und nach in den
Plot eingeführt, dessen Anstoß und im weiteren Verlauf treibende narrative Kraft
Lokis Diebstahl des Tesseracts ist, wie bereits in der Eröffnungsszene verdeutlicht
wird. Derweil wurde auf die Bedeutung des Tesseracts, wie weiter oben beschrieben,
bereits in den Vorgängerfilmen angespielt, in CAPTAIN AMERICA: THE FIRST
AVENGER trat er sogar ebenfalls schon als ein entscheidendes Plotelement auf.
Nick Fury und S.H.I.E.L.D. nehmen zudem in THE AVENGERS erstmalig eine
zentrale Rolle ein und verbinden in dieser Funktion die individuellen Hintergründe
der verschiedenen Helden, deren Beziehungen und Verbindungen zu dem
Geheimdienst schon in den jeweiligen Einzelfilmen oder in anderen transmedialen
Erweiterungen des Erzähluniversums angedeutet wurden. Fury tritt sogar gleich zu
Beginn des Films quasi als Hauptfigur der Eröffnungsszene (der Zerstörung der
geheimen Forschungsanlage [00:01]) in Erscheinung, im Gegensatz zu den
64
Randauftritten, die er in den Vorgängern hatte und die seine Funktion und Stellung in
der Erzählung eher andeuteten als komplett ausführten. Ebenso werden seine
Agenten Black Widow und Hawkeye von bloßen Randfiguren der Vorgängerfilme zu
handelnden Akteuren erhoben, deren Aktionen primäre Auswirkungen auf den Plot
haben. Die ehemaligen Protagonisten der Einzelfilme werden jeweils zunächst in
ihrem vertrauten Habitat eingeführt, um dann vom Plot wortwörtlich (in Form der
Agenten von S.H.I.E.L.D.) abgeholt zu werden. So arbeitet Stark gerade an der
Fertigstellung seines Wolkenkratzers in Manhatten, als er von Agent Coulson
aufgesucht wird (00:23), Black Widow erhält ihren Einsatzbefehl während des
Verhörs eines Waffenhändlers (00:12) und konfrontiert später den dieses Mal in
Indien untergetauchten Dr. Banner (00:15), Thor erscheint während eines plötzlichen
Gewittersturms (00:43), und Steve Rogers durchlebt beim Sandsack-Boxen
Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, bevor er von Fury für die Mission rekrutiert
wird. Durch den Umstand, dass sich die Figuren untereinander noch nicht kennen
und deswegen einander vorgestellt werden müssen und außerhalb ihrer jeweiligen
Handlungsräume praktisch „narratives Neuland“ betreten, funktioniert THE
AVENGERS trotz seiner zahlreichen Querverweise aber grundsätzlich auch noch als
alleinstehendes Werk ohne die Kenntnis der anderen Filme.
Ungefähr zur Hälfte des Films vereinigen sich dann die Figuren sinnbildlich unter
dem Dach von S.H.I.E.L.D. und müssen Lokis Plan zur Unterwerfung der Welt mit
den in den Vorgängerfilmen erworbenen Fähigkeiten und deren Kombination
untereinander abwenden. Dadurch, dass die Handlung des Films die Helden mit einer
bis dato unvergleichbaren feindlichen Übermacht konfrontiert, werden außerdem die
Grenzen ihrer jeweiligen Kräfte ausgelotet und ebenso, wie diese Kräfte
untereinander in Relation stehen, z.B. bei einer Konfrontation zwischen Iron Man,
Captain America und Thor nach der Gefangennahme von Loki (00:48). THE
AVENGERS stößt die bereits in THOR geöffneten Türen zu einem größeren Kosmos
auf und verbindet die Welten (bzw. Weltausschnitte) der einzelnen Helden mit ihren
diversen Genre-Tropen aus Science-Fiction, Space-Fantasy, Monster- und Kriegsfilm
zu einem großen Genre-Hybrid und stülpt sich als Gitternetz der intertextuellen
Bezüge über die komplette (bis dahin bekannte) Hyperdiegese.
65
5.2 Transmediale Erweiterungen – Inhalte und Merkmale
5.2.1 Comics: Marvel Cinematic Universe Tie-Ins
Seit dem Kino-Release von IRON MAN in 2008 sind bis Mitte 2013 über ein
Dutzend spezieller Comic-Veröffentlichungen von Marvel erschienen, die als
Erweiterungen der in den Kinofilmen präsentierten Welt angelegt sind. Im Gegensatz
zu den regulären Veröffentlichungen des Verlags liegen Gestaltung und Produktion
mit in der Hand der verantwortlichen Filmemacher der Marvel Studios131, außerdem
sind die Cover-Motive mit einem "Marvel Cinematic Universe Official Tie-In"-Logo
versehen.
Die einzelnen Veröffentlichungen stellen entweder direkte Adaptionen der einzelnen
Filme dar oder thematisieren Ereignisse parallel zu deren Handlungsverläufen als
auch Geschehnisse zwischen den unterschiedlichen Filmen. Erstere können nicht als
transmediale Erweiterungen verstanden werden, da die direkte Adaption eines Stoffes
von einem Medium in das andere nicht die Gesamterzählung bzw. fiktive Welt
erweitert und in diesem Sinne nur als crossmediales Element zu betrachten ist.
Direkte Adaptionen der Filme sind in der Form der Bücher Iron Man: I Am Iron Man
(Marvel Comics, 2010)), Iron Man 2 (Marvel Comics, 2012) und Thor (Marvel
Comics, 2013) erschienen. Bei den übrigen Veröffentlichungen handelt es sich um
Geschichten, die die Eigenschaften transmedialer Story-Fragmente erfüllen, wie
zuvor unter Punkt 2.3 festgehalten.
Unter anderem werden in den Comics Hintergründe und/oder Jugend der Filmhelden
erforscht wie etwa in Iron Man 2: Public Identity (Marvel Comics, 2010) oder
Captain America: First Vengeance (Marvel Comics, 2011). Der Band Avengers
prelude: Black Widow Strikes (Marvel Comics, 2012) rückt die im Film IRON MAN
2 als Nebenfigur eingeführte S.H.I.E.L.D.-Agentin Natasha Romanoff in den
Mittelpunkt, liefert als Teil einer Spionagegeschichte Informationen zu ihrer
Vergangenheit als Attentäterin und dient als Vorbereitung auf den größeren Auftritt
der Figur in THE AVENGERS. Eine ähnliche verbindende Funktion hat Avengers
131 Vgl. Wigler, Josh (2010): Joe Quesada Outlines Plans For 'Marvel Cinematic Universe' Comics With Movie Creators. http://splashpage.mtv.com/2010/11/01/joe-quesada-marvel-movies-comics [Stand: 16.07.2013]
66
prelude: Fury's Big Week (Marvel Comics, 2012), der die einzelnen
Handlungsstränge der Kinofilme aus der Sicht von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury
miteinander in Verbindung setzt, indem der Plot seinen Handlungen zwischen den
diversen Auftritten in den jeweiligen Filmen folgt und so Fury bei seiner
Geheimdienstarbeit hinter den Kulissen zeigt, während die Superhelden ihre
individuellen Abenteuer aus den Filmen zu bestehen haben. Die Comics liegen bis
heute nur in englischer Sprache vor. Weitere Veröffentlichungen sind begleitend zu
der im Sommer 2013 mit IRON MAN 3 gestarteten Phase Two erschienen bzw.
geplant.
5.2.2 Kurzfilme: Marvel One-Shots
Die Marvel One-Shots sind eine Reihe von Kurzfilmen, die direkt für die
Veröffentlichung auf dem Heimvideomarkt produziert werden und als Bonusmaterial
auf den DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen der Kinofilme zu finden sind. Die
Kurzfilme sind je nur wenige Minuten lang und drehen sich gewöhnlich um die
Agenten des Geheimdienstes S.H.I.E.L.D. Der erste Kurzfilm The Consultant (2011)
zeigt die Agenten Coulson und Sitwell [letzterer tritt in den Filmen auch vereinzelt in
einigen Szenen auf, so z.B. in THOR (00:54) und THE AVENGERS (00:37)] bei
einer Diskussion über die Ausführung eines Befehls des World Security Councils.
Dieser verlangt die Rekrutierung von Hulks Gegenspieler Blonsky / Abomination für
die Avengers-Initiative, der sich zurzeit in Gewahrsam von General Ross befindet.
Die Agenten lehnen dieses Vorhaben strikt ab und kommen deswegen auf die Idee,
ihren neu ernannten Berater Tony Stark zu Ross zu schicken, in der Hoffnung, dass
Stark durch sein ungehobeltes Verhalten den Deal sabotiert. Das Resultat dieses
Coup war derweil bereits in der letzten Szene von THE INCREDIBLE HULK zu
sehen. Der Kurzfilm schließt dementsprechend die Lücke, wie es zu der Begegnung
von Stark und Ross am Ende des Films kam.
A Funny Thing Happened On The Way To Thor's Hammer (2011) hingegen folgt
Agent Coulson auf seiner Reise zum Städtchen Albuquerque in New Mexico. Dieser
überwältigt bei einem nächtlichen Zwischenstopp zwei Verbrecher, die eine
Tankstelle überfallen wollen. Der dagegen über 10 Minuten lange Item 47 (2012)
67
schickt Agent Sitwell in den Nachwehen der Schlacht von New York aus THE
AVENGERS auf die Jagd nach einem Ganovenpärchen, das mit Hilfe einer
erbeuteten Alienwaffe Banken überfällt. Anstatt das Paar verhaften zu lassen,
rekrutiert er die beiden schließlich als neue Agenten, da es niemanden bei
S.H.I.E.L.D. selbst gelungen ist, die unbekannte Waffentechnologie zu aktivieren.
Die One-Shots erweitern das Erzähluniversum zwischen den "großen" Ereignissen
der Filme und präsentieren gleichzeitig das Geschehen aus der bodenständigen,
menschlicheren Perspektive der Agenten von S.H.I.E.L.D. Gleichzeitig bieten sie
Informationen, um Zusammenhänge im Geschehen rund um die Marvel-Helden
richtig verknüpfen zu können (siehe The Consultant).
5.2.3 TV-Serie: Agents of S.H.I.E.L.D.
Im Herbst 2013 wird der US-amerikanische TV-Sender ABC den Pilotfilm der von
Marvel Studios produzierten TV-Serie Marvel's Agents of Shield ausstrahlen. Für die
Konzeption der Serie zeichnet sich unter anderem Joss Whedon verantwortlich, der
für den Pilotfilm sogar die Funktion des Drehbuchautors und Regisseurs übernahm.
Ähnlich wie die One-Shots wird die Serie die Welt des Marvel Cinematic Universe
aus der Perspektive eines Teams von S.H.I.E.L.D.-Agenten zeigen, das von dem
totgeglaubten Agent Coulson angeführt wird. Die Serie wird nach dem ersten
Aufeinandertreffen der Helden in THE AVENGERS spielen und die Agenten
voraussichtlich mit den alltäglichen Konflikten und Problemen konfrontieren, die
eine Welt voller Superhelden und potentieller Superschurken mit sich bringt, wie ein
bereits veröffentlichter Trailer zur Serie andeutet.132 Sie soll aber genauso auch als
eigenständiges Werk funktionieren, weswegen das Protagonisten-Ensemble
größtenteils aus neuen Figuren besteht, wie Whedon in einem Interview erklärt.133
Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung versuchte Marvel zudem, mit der in der Serie
von Schauspielern Chloe Bennet verkörperten Figur Skye auf die Premiere des
Pilotfilms aufmerksam zu machen. Die Computerhackerin gehört in der Serienwelt
132 Siehe Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D. - Trailer 1 (Official). http://www.youtube.com/watch?v=T3T-evQZiQo [Stand: 16.07.2013]133 Vgl.coomingsoon.net (2013): Joss Whedon Talks Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D. and Coulson's
Return. http://www.comingsoon.net/news/tvnews.php?id=105002 [Stand16.07.2013]
68
der zivilen Organisation Rising Tide an, die auf ihrer Internetseite
http://www.wearetherisingtide.com/blog/ diverse vermeintliche Amateuraufnahmen
von verschiedenen Superhelden des Marvel-Univerums veröffentlichten und so die
Öffentlichkeit auf die verdeckten Machenschaften von S.H.I.E.L.D hinweisen
wollten. Ähnlich wie bei bereits bei anderen TV-Serien (z.B. bei Lost oder True
Blood) wird hier versucht mit Hilfe von diegetischen Artefakten, die als reale
Internetangebote getarnt sind, das potentielle Publikum im Vorfeld der
Veröffentlichung mit Erzählwelt und Figuren der Serie vertraut zu machen.
5.2.4 Computer- und Videospiele
Im Laufe der Veröffentlichungen der Kinofilme sind diverse Umsetzungen für
verschiedene klassische Videospielsysteme wie die PlayStation 3 und die Xbox 360
als auch für mobile Geräte wie Smartphones und Tablets erschienen. Inwieweit diese
Angebote allerdings als transmediale Erweiterungen und damit als offizielle
Bestandteile des Marvel Cinemtaic Universe fungieren, ist nirgendwo ersichtlich
festgehalten bzw. existieren dazu keine Aussagen der Verantwortlichen bei Marvel
Studios.
Einige der von Sega publizierten Spiele folgen lose der Handlung der Filme, weichen
im Verlauf aber davon ab oder erweitern diese durch zusätzliche Elemente (Iron Man
und The Incredible Hulk). Die Ereignisse der Spiele Iron Man 2, Thor: God of
Thunder sowie Captain America: Super Soldier finden derweil vor, nach oder
während der Ereignisse der Kinofilme statt, ohne das allerdings in den Inhalten der
anderen Medien diese Ereignisse je als Bestandteile der erzählten Welt bestätigt
werden. Die ursprüngliche Umsetzung zu THE AVENGERS ist zudem durch die
Insolvenz des Unternehmens THQ (bei dem sich der Titel in Produktion befand) nie
erschienen, stattdessen veröffentlichte Marvel zusammen mit Ubisoft 2012 The
Avengers: Battle for Earth, das allerdings nicht mehr auf dem Kinouniversum
basierte, sondern sich direkt an einer Reihe von Comics mit den gleichnamigen
Helden anlehnte. Dieser Umstand gepaart mit dem vorigen wirtschaftlichen
Misserfolg der Sega-Titel legt nahe, dass Marvel aktuell keine transmedialen
Strategien im Bereich der Computer- und Videospiele verfolgt. Zur Vollständigkeit
69
halber sollen die Titel hier trotzdem genannt sein, sie werden aber im weiteren
Verlauf dieser Analyse aufgrund der Unklarheiten ihrer Einordnung in das größere
Erzähluniversum nicht weiter thematisiert werden.
5.2.5 Radikale Intertextualität am Beispiel des Tesseract
Wie bereits zuvor festgehalten, sieht Henry
Jenkins eine radikale Form von Intertextualität,
die sich in multiplen Querverweisen und
narrativen Verbindungen zwischen den einzelnen
narrativen Texten auszeichnet, als eine der
Grundvoraussetzungen für transmediale
Erzählungen (siehe Seite 22). Am Beispiel des
Tesseract (dem außerirdischen Würfel-Artefakt,
das dazu fähig ist, unbegrenzte Mengen von
potentieller Energie zu erzeugen) soll im
folgenden veranschaulicht werden, wie die Filme
des Marvel Cinematic Universe und ihre
Ereignisse rückwirkend miteinander verbunden werden und wie durch die
intertextuellen Verbindungen zwischen den Filmen dem Zuschauer zusätzliches
Wissen über die Filmwelt vermittelt wird, was Jenkins unter dem Begriff des
additiven Verstehens ("additive comprehension") definiert hat.
Als Start einer intertextuellen Kette von diversen Szenen und Einstellungen mit
narrativem Bedeutungszusammenhang soll hier eine zunächst eher unbedeutend
wirkende Szene des Films THE AVENGERS genannt sein. Während einer
Konfrontation zwischen Thor, Iron Man und Captain America attackiert der
Donnergott den stählernen Tony Stark mit der elektrischen Energie seines Hammers.
Stark wird aber nicht verletzt, im Gegenteil scheint sein Anzug die Energie zu
absorbieren bzw. ihn sogar zu stärken (00:48). Explizit erklärt wird dieses Ereignis
im weiteren Verlauf des Films nicht. Wer allerdings allen vorigen Filmen
aufmerksam gefolgt ist, der weiß, dass Tony Stark den Energie-Reaktor in seiner
Brust, der auch seinen Anzug antreibt, basierend auf einer von seinem Vater Howard
70
Abbildung 1: Tony Stark (Robert Downey Jr.) mit einem Hologramm des Tesseract in THE AVENGERS
entwickelten Technologie entworfen hat (IRON MAN, 00:25). Die Geschehnisse von
CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER wiederum implizieren, dass Howard
Stark nicht nur die Energie des außerirdischen Tesseracts erforschte, sondern diesen
auch als Grundlage für seinen später entwickelten Arc Reactor verwendete (01:15,
01:50, Abb. 2). Ein weiterer Hinweis darauf ist in einer Einstellung aus IRON MAN
2 zu finden, in der Tony ein Notizbuch seines Vaters durchblättert und kurz eine
Abbildung des außerirdischen Würfels zu sehen ist (01:14, Abb. 3). Tony selbst
scheint zudem in THE AVENGERS bewusst zu werden, dass er den Tesseract schon
einmal zuvor gesehen hat (nämlich in dem eben genannten Notizbuch), in einem
Moment, in dem er sich den Würfel in Form eines Computerhologramms das erste
Mal genauer anschaut (00:27, Abb. 1).
Diese Kette von intertextuellen
Verweisen impliziert demnach, dass die
Technologie hinter Starks Kampfanzug
letztendlich außerirdische Wurzeln hat,
denn wie ebenfalls in CAPTAIN
AMERICA: THE FIRST AVENGER
von Red Skull bei seinem Fund des
Würfels zu Filmbeginn angedeutet
(00:06), stammt der Tesseract wie
natürlich auch Thors Hammer aus Odins Reich Asgard. Das würde erklären, warum
es bei der Konfrontation zwischen Iron Man und Thor zu der oben beschriebenen
Patt-Situation kommt. Eine weitere (oder alternative) Erklärung wäre, dass es sich
bei dem ungenannten Element, das Tony Stark in IRON MAN 2 zum weiteren
Betrieb seines Anzugs mit Hilfe der Aufzeichnungen seines Vaters generiert, um das
gleiche Element handelt, das Howard Stark einst zur Konstruktion von Captain
Americas unzerstörbarem Schild verwendete (CAPTAIN AMERICA: THE FIRST
AVENGER, 01:18). Denn wie ebenfalls in der hier zu Beginn beschriebenen
Konfrontation zwischen den Helden zu sehen ist, ist das Schild ebenfalls gegen die
Macht von Thors Hammer immun, was auch wiederum die Immunität von Iron Man
erklären könnte.
71
Abbildung 2: Howard Stark birgt den Tesseract vom Meeresgrund in CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER
Anhand dieser Bedeutungsketten
von auf den ersten Blick nicht
zusammenhängenden, filmüber-
greifenden Szenen und
Einstellungen werden durch die
intertextuellen Verbindungen
zusätzliche Informationen über die
Filmwelt und die Konsequenzen
bestimmter ihr innewohnender Ereignisse vermittelt. Es handelt sich in diesem Sinne
also wirklich um eine die kognitiven und assoziativen Fähigkeiten des Rezipienten
fordernde, radikale Form der Intertextualität zwischen den verschiedenen Filmen.
Die Zuschauer, die diesen zunächst unsichtbar scheinenden Referenzen folgen,
können so allein aus den Primärtexten (den Kinofilmen) mehr über die erzählte Welt
erfahren. Nämlich indem Sie auf narrative Lücken in einem Text achten und diese
mit passenden Informationsteilen aus den anderen Filmtexten füllen.
5.2.6 Multimodalität am Beispiel der Figur Phil Coulson
Die oben beschriebene
intertextuelle Verknüpfung
von einzelnen Szenen und
Bildinformationen findet
nicht nur alleine zwischen
den Kinofilmen, sondern
auch zwischen ihnen und den
Inhalten der anderen Medien wie den Kurzfilmen und Comics statt. Die radikale
Intertextualität existiert so auch zwischen den diversen Darstellungsformen und
Erzähltechniken der verschiedenen Medien (Multimodalität) und eröffnet dem
Rezipienten neue Informationen und Sichtweisen auf die erzählte Welt – was laut
Jenkins den Kern einer transmedialen Erzählung ausmacht (siehe S. 22f). Als Träger
dieser intertextuellen Verbindungen zwischen den Inhalten der verschiedenen
Medienarten treten im Marvel Cinemtic Universe zumeist die Figuren rund um den
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Abbildung 3: Tony Stark blättert im Notizbuch seines Vaters in IRON MAN 2
Abbildung 4: Phil Coulson und Nick Fury in dem Comic „Fury's Big Week“
Geheimdienst S.H.I.E.L.D. auf. Als Beispiel soll hier ein transmedialer
Nebenhandlungsstrang über die Figur des Agenten Phil Coulson angeführt werden.
So zeigt das Comic Fury's Big
Week (Abb. 4) den Agenten bei
dem vergeblichen Versuch die
Aufmerksamkeit seines Chefs
auf ein merkwürdiges
Wetterphänomen in der Wüste
New Mexicos zu lenken, für das
sich Nick Fury allerdings erst
bei einem weiteren Gespräch
am Haus von Tony Stark interessiert. Hier überschneidet sich das Geschehen mit
dem Plot aus IRON MAN 2, in dem Coulsons Auftritt zunächst damit endet, dass er
sich auf den Weg nach New Mexico macht (01:24). Der Kurzfilm A Funny Thing
Happenend On The Way To Thor's Hammer thematisiert daran anknüpfend Coulsons
Fahrt zu seinem Zielort (Abb 5.), den er schließlich in einer Szene in THOR erreicht
(00:36), die wiederum auch bereits als Bonusszene nach dem Filmabspann in IRON
MAN 2 zu sehen war. Diese zunächst eher nichtsequentiell wirkenden Elemente
werden durch den größeren Bedeutungszusammenhang entlang an der Figur Phil
Coulson zu einer intertextuellen Sequenz von Handlungen verknüpft. Solche
transmedialen Erzählzweige bieten dem aufmerksamen Rezipienten zusätzliche
Informationen über Bewegungen bestimmter Figuren zu bestimmten Zeitpunkten
innerhalb des größeren Erzähluniverums und werfen zudem Licht auf konsequente
Zusammenhänge von zunächst autonom erscheinenden Ereignissen.
Die S.H.I.E.L.D.-Agenten funktionieren als Träger dieser intertextuellen
Verknüpfungen, weil sie in den Kinofilmen (die ohne Zweifel die Rolle der
Primärtexte des transmedialen Erzähluniversums einnehmen) zwar immer wieder
auftauchen, aber grundsätzlich nie von entscheidender Bedeutung für den kompletten
Verlauf des jeweiligen Plots sind. Sie treten viel mehr an bestimmten Stellen in die
Handlung ein und dann ebenso wieder aus, weswegen diese Leerstellen, in denen sie
nicht im Film zu sehen sind, leicht mit Inhalten aus den transmedialen Erweiterungen
gefüllt werden können. Die Kurzfilme, Comics (und vermutlich auch die TV-Serie)
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Abbildung 5: Coulson als Protagonist des Kurzfilms „A Funny Thing Happened On The Way To Thor's Hammer“
geben dem Rezipienten die Möglichkeit zu erfahren, was Phil Coulson gerade macht,
wenn er nicht auf der Leinwand zu sehen ist. In ihrer Kombination konstruieren die
einzelnen Medientexte so transmediale Handlungsstränge, die parallel zu den
primären Handlungssträngen der Kinofilme verlaufen.
5.2.7 Hyperserialität
Wenn man im Sinne einer Erzählwelt, in der eine Vielzahl von möglichen
Erzählungen stattfinden (können), von einer Hyperdiegese spricht, ist es nur
konsequent den Fortsetzungscharakter des Marvel Cinematic Unvierse als
Hyperserialität zu bezeichnen. "Hyper" deswegen, weil hier nicht einfach mehr eine
Geschichte bzw. die einzelnen Teile einer Geschichte über mehrere individuelle
Filme einer Franchise ausgebreitet werden, sondern eine Vielzahl von Geschichten
präsentiert werden, die größtenteils in beliebiger Reihenfolge rezipiert werden
können, dabei aber trotzdem Teil einer großes Fiktion sind.
So sind die drei Teile von IRON MAN sowohl als in sich geschlossene Trilogie zu
sehen (Tony Starks Reise zum Superhelden, die darauf folgende Auseinandersetzung
mit seiner Sterblichkeit und die Symbiose mit seiner Heldenidentität sowie
abschließend das Ablegen dieser Identität und Bewältigung seiner Angstzustände) als
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Abbildung 6: Thor (Chris Hemsworth), Jane Foster (Natalie Portman) und Dr. Erik Selvig (Stellan Skarsgård) treffen auf Agent Coulson in THOR
auch als der erste, dritte und siebte Teil des größeren Erzähluniversums, das sich alle
Helden teilen. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER ist sowohl der sechste
Teil des Erzähluniverums und beinhaltet in dieser Funktion bereits narrative
Hinweise auf den direkten Nachfolger THE AVENGERS, er funktioniert aber
gleichzeitig auch als Prequel zu allen anderen Filmen, da er Ereignisse in deren
Vergangenheit thematisiert. Die Filme THE INCREDILBE HULK, IRON MAN 2
und THOR spielen mehr oder weniger parallel zueinander (in der erzählten Zeit) und
können dementsprechend in beliebiger Reihenfolge rezipiert werden – das Marvel
Cinematic Universe hebt die klassische, einseitig laufende Kontinuität des seriellen
Erzählens auf und bietet überall Einstiegs- und Ausstiegspunkte, die individuell vom
jeweiligen Rezipienten genutzt und verknüpft werden können.
Jedem Rezipient steht es im Marvel Cinematic Universe potentiell frei, seine eigene
mediale Erfahrung zu konstruieren, egal ob es sich dabei nur um die Rezeption
einzelner Kinofilme, aller Filme mit dem Bewusstsein der intertextuellen
Beziehungen oder dem Ausschöpfen der transmedialen Erweiterungen handelt – der
Rezipient entscheidet selber, wie tief er in die erzählte Welt vordringen will, ohne
dieses aber gezwungener Maßen tun zu müssen, da die einzelnen Inhalte in erster
Konsequenz gewöhnlich nicht von einander abhängen. Sie sind ganze Teile als auch
Teile eines Ganzen.
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6. Fazit – Ein Universum der narrativen Möglichkeiten
Was unterscheidet die Filme des Marvel Cinematic Universe von anderen
vergleichbaren Blockbuster-Filmen? In erster Konsequenz eigentlich nichts. Sie
erzählen universelle Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse, in denen
ein auserkorener Held sich den inneren und äußeren Dämonen seiner Realität stellen
muss, um an der Herausforderung zu wachsen und das Gleichgewicht in Form von
Frieden und Ordnung wieder herzustellen. Begleitet werden diese existentiellen
Abenteuer von spektakulären Schauwerten und den neuesten Entwicklungen der
Visual-Effects-Industrie. In dieser Hinsicht orientieren sich die Marvel Studios an
den seit Jahrzehnten klassischen, mythologisch verwurzelten Erzählstrukturen des
populären Unterhaltungskinos.
Eine neuartige Form der intertextuellen Vernetzung weisen sie dagegen erst in
zweiter Konsequenz auf; durch das vernetzende, narrative Gewebe, das an den
Rändern der jeweiligen Filmplots beginnt und sich dann kontinuierlich mit jeder
neuen Kino-Geschichte ausbreitet und schließlich als tragende Kraft für ein cross-
narratives Aufeinandertreffen wie in THE AVENGERS fungiert. Unterstützt wird
dieses narrative Gewebe zusätzlich durch die Mittel des transmedialen Erzählens,
durch die alternative Blickwinkel auf Figuren und Handlungen sowie zusätzliche
Querverbindungen zwischen verschiedenen Punkten im Raum-Zeit-Geschehen der
erzählten Welt eröffnet werden. So wird in letzter Konsequenz beim Zuschauer das
Bewusstsein für ein fiktives Handlungsuniversum geschaffen, das weit über die
Grenzen der einzelnen Erzählung hinaus geht, und das potentiell die Möglichkeit
einer Vielzahl von weiteren möglichen Geschichten in sich trägt, die bereits davor
stattgefunden haben, währenddessen stattfinden oder noch danach stattfinden
werden.
Demnach lässt sich Henry Jenkins Definition von transmedia storytelling als die
Kunst, Geschichten mit einem hohen Maße von medienübergreifender Intertextualiät
zu erzählen, durch die der Rezipient neues Wissen über die dargestellte Welt erlangt,
und deren einzelne Geschichten sowohl separate Entitäten als auch Fragmente einer
größeren Erzählung darstellen, tatsächlich am Marvel Cinemtic Universe
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exemplifizieren. Eine nicht zu unterschätzende Dimension der transmedialen
Geschichten stellt zudem die Rolle des Rezipienten dar. Diverse Autoren, die sich
mit dem Thema auseinander gesetzt haben (wie etwa Frank Rose oder Tyler Weaver)
betonen immer wieder die Bedeutsamkeit des aktiven Zuschauers/Hörers/Lesers, der
selber entscheidet, wie tief er in ein transmediales Erzähluniversum vordringen
möchte und dementsprechend seine Medienerfahrung mit den ihm präsentierten
Texten und narrativen Puzzleteilen selber gestaltet. Im Sinne der modernen
Fragmentierung des Publikums gibt es nicht mehr den einen, ununterbrochenen
Medientext mit Anfang und Ende. Eine "Leserichtung" ist nicht länger vorgegeben
("Hyperserialität"), der Rezipient steigt da ein, wo er mit dem Stoff in Berührung
kommt und dringt an den Stellen tiefer in die narrative Materie ein, die er für
interessant hält. Der Kinogänger, der kurzfristig auf der Suche nach Unterhaltung für
den Moment ist, findet seine Bedürfnisse in einem Kino-Blockbuster der Marvel
Studios genauso wieder, wie der Zuschauer, der sich auf längere Sicht auch für die
seriellen Aspekte und narrativen Verbindungen der Filme interessiert. Der Fan, der
sein Hintergrundwissen über die dargestellte Welt zudem jenseits der Filme noch
vertiefen will, wird sich früher oder später der transmedialen Erweiterungen und
ihrer narrativen Stellenwerte bewusst werden. Fans der Kinofilme werden den Start
der TV-Serie verfolgen, so wie die TV-Serie auch wieder rückwirkend Zuschauer zu
den Kinofilmen führen kann. Die Marvel Studios haben mit ihrem Kino-Universum
weniger die eigentliche Erzählstruktur oder die präsentierten Inhalte revolutioniert,
sondern vielmehr eine neue Optionalität der Rezeption und Individualität der
Auseinandersetzung von bzw. mit diesen Strukturen und Inhalten eingeführt,
basierend auf den gleichen Gestaltungsprinzipien, die seit Jahrzehnten auch schon in
der Welt der (Superhelden-)Comics Gang und Gebe sind. Wie viele Entwicklungen
und Innovationen der populären Unterhaltung zuvor gehen diese Neuerungen vor
allem auch auf ein sich veränderndes Publikum zurück und beweisen einmal mehr,
dass wirtschaftliche Faktoren und kreative Impulse in der Populärkultur Hand in
Hand gehen. Der Kreis schließt sich so wieder im Kinosaal, in dem ein modernes
Publikum bestehend aus Menschen mit verschiedensten Erwartungen und
Ansprüchen an ihre medialen Unterhaltungswelten darauf wartet, dass sich das Licht
wieder dimmt.
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Abbildung 2:http://images1.wikia.nocookie.net/__cb20121007112520/marvelcinematicuniverse/images/e/ee/Cube_ocean.png [Stand: 17.07.2013]
Abbildung 3:http://www.blastr.com/sites/blastr/files/images/assets_c/2012/05/Cosmic-Cube-Iron-Man-2-thumb-330x143-90329.jpeg [Stand: 17.07.2013]
Abbildung 4:http://i.annihil.us/u/prod/marvel/i/mg/a/20/4f2c59b388ec7.jpg [Stand: 17.07.2013]
Abbildung 5:http://www.ifc.com/wp-content/uploads/2011/10/101711-funny-thing-thors-hammer.jpg [Stand: 17.07.2013]
Abbildung 6:http://www.joblo.com/newsimages1/avengers-thor-coulson.jpg [Stand: 17.07.2013]
Schriftliche Versicherung
Hiermit versichere ich, dass ich diese Masterarbeit selbstständig verfasst habe und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht.
Berlin, 26.07.2013
Unterschrift