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Andrea Gawrich Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens

Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens: Verb¤nde und politische Institutionen

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Page 1: Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens: Verb¤nde und politische Institutionen

Andrea Gawrich Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens

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Politikwissenschaftliche Paperbacks Studien und Texte zu den politischen Problemfeldern und Wandlungstendenzen westlicher Industriegesellschaften

Herausgegeben von

Dieter N ohlen Rainer-Olaf Schultze Wichard W oyke

Band 35

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Andrea Gawrich

Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens Verbände und politische Institutionen

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2003

Page 4: Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens: Verb¤nde und politische Institutionen

Gedruckt auf säurefreiem und alterungs beständigem Papier.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

ISBN 978-3-8100-3775-6 ISBN 978-3-663-10805-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10805-4

© 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2003

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au­ßerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages un­zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Inhalts verzeichnis

Abbildungsverzeichnis ...................................................................... 8

Dank

I.

1. 1.1 1.2 1.3 2. 2.1 2.2

11.

1. 1.1

1.1.1 1.1.2

1.2

1.2.1 1.2.2 2.

............................................................................................. 9

Einführung ......................................................................... 11

Fragestellung - Begriffe - Forschungsstand .......................... 11 Das Erkenntnisinteresse .................. , .... ; ............................... 11 Begriffe ............................................................................... 17 Zum Forschungsstand .......................................................... 20 Polen und seine Minderheiten ............................................... 23 Minderheiten in Polen .......................................................... 23 Polen im Wandel .................................................................. 25

Theoretisches und methodisches Instrumentarium ............ 29

Theoretische Grundlagen ...................................................... 29 Politische Transformation - Institutionensystem in der Demokratisierung ................................................................ 31 Politische Institutionen ......................................................... 32 Institutionenverhalten in Transformation und Konsolidierung .................................................................... 40 Gesellschaftliche Transformation - Interessengruppen in der Zivilgesellschaft ......................................................... 46 Zi vilgesellschaft und Transformation .................................... 46 Interessengruppen in der Transformation ............................... 53 Methodisches Vorgehen ........................................................ 67

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III. Organisierte Interessen ethnischer Minderheiten in Polen .............................................................................. 75

1. Litauische Minderheit .......................................................... 76 1.1 Analyse der litauischen Interessengruppen ............................ 77 1.1.1 Der Verband der Litauer in Polen .......................................... 78 1.1.2 Gemeinschaft der Litauer in Polen ........................................ 85 1.1.3 Litauische Gesellschaft des Heiligen Kasimir ........................ 89 1.1.4 Verband der Lehrer der Litauer in Polen ................................ 90 1.2 Kooperative Verbändebeziehungen -

Die intermediäre Sphäre der litauischen Minderheit.. ............. 94 2. Weißrussische Minderheit .................................................... 97 2.1 Analyse der weißrussischen Interessengruppen ...................... 98 2.1.1 Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft.. ........................ 98 2.1.2 Die Frühphase - gesellschaftliche Pluralisierung

durch freie Wahlen? ........................................................... 107 2.1.3 Weißrussischer Bund in der Republik Polen ........................ 113 2.1.4 Weißrussische Historische Gesellschaft.. ............................. 124 2.1.5 Weißrussische Vereinigung der Studenten ........................... 129 2.1.6 Weißrussischer literarischer Verband "Bialowieza" .............. 133 2.1. 7 Verband der weißrussischen Journalisten ............................. 134 2.1.8 Sonderfall: Programmrat der Wochenzeitung ,,Niwa" ........... 144 2.2 Divergenz und Konvergenz-

Die intermediäre Sphäre der weißrussischen Minderheit ...... 148 3. Ukrainische Minderheit ...................................................... 151 3.1 Analyse der ukrainischen Interessengruppen ....................... 155 3.1.1 Der Bund der Ukrainer in Polen .......................................... 156 3.1.2 Die Mitgliedsverbände des Bundes der Ukrainer ................. 171 3.1.3 Unabhängiger Bund der ukrainischen Jugend ...................... 175 3.1.4 Bund der Ukrainer in Podlachien ........................................ 179 3.2 Die Intermediäre Sphäre der ukrainischen Minderheit.. ........ 186 4. Slowakische Minderheit.. ................................................... 187 4.1 Die Gesellschaft der Slowaken in Polen .............................. 189 5. Synopse - Die intermediäre Landschaft der Minderheiten in

Polen ................................................................................... 198 5.1 Konflikt- und Kooperationsstrukturen ................................. 198 5.2 Vergleich von Genese, Struktur, Programmatik

und Strategien .................................................................... 201

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IV. Minderheitenrelevante politische Institutionen in Transformation und Konsolidierung Polens ..................... 207

1. Minderheiten im Rechtssystem ........................................... 208 1.1. Ostmitteleuropäischer Standard? -

Minderheitenartikel in der Verfassung ................................. 209 1.2 Einzelgesetzliche Regelungen ............................................. 217 1.2.1 Diverse gesetzliche Grundlagen .......................................... 217 1.2.2 Gesetz über die polnische Sprache ...................................... 225 1.2.3 A never ending story? Das Minderheitengesetz .................... 227 1.3 Externe Faktoren ................................................................ 239 1.3.1 Internationale Minderheitenschutzdokumente ...................... 239 1.3.2 Bilaterale Verträge ............................................................. 243 2. Minderheiten und die Legislative ........................................ 247 2.1 Minderheiten-Repräsentation in Sejm und Senat.. ................ 247 2.2 Minderheiten als issue in parlamentarischen

Verhandlungen ................................................................... 256 2.3 Das Zentrum der Minderheitenpolitik - Die Sejm-

Kommission für nationale und ethnische Minderheiten ........ 267 3. Minderheiten und die Exekutive ......................................... 291 3.1 Der Finanzier - das Department für die Kultur

nationaler Minderheiten im Kulturministerium .................... 294 3.2 Schwere Erblast - Die Abteilung für Angelegenheiten

nationaler Minderheiten im Innenministerium ..................... 313 3.3 Neue Chance der Koordination? - Die interministerielle

Arbeitsgruppe für nationale Minderheiten ........................... 323 3.4 Bildungsministerium und Minderheitenschulwesen ............. 333 4. Der Ombudsmann für Menschenrechte ................................ 348 5. Minderheitenrelevante Institutionen auf

regionaler und lokaler Ebene .............................................. 359 5.1 Die Regionalreform ........................................................... 359 5.2 Minderheiten in lokalen und regionalen Wahlen .................. 362 5.3 Die Minderheiten-Beauftragten in den Wojewodschaften ..... 366 5.4 Die Minderheiten-Kommission in der

Wojewodschaft Ermland-Masuren ....................................... 373 6. Das minderheitenrelevante Institutionen-Set Polens ............. 375

V. Bilanz ............................................................................... 383

VI. Literatur- und Quellenverzeichnis ................................... 389

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Jährliche Neuregistrierung von Minderheitenverbänden 75 Abb. 2: Minderheitenrepräsentanz in Sejm und Senat 255 Abb. 3: Ministerpräsidenten seit 1989 291 Abb. 4: Budget des Minderheiten-Departments 1993-1999 308 Abb. 5: Grundschulentwicklung nationaler Minderheiten 337

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Dank

Die vorliegende Veröffentlichung ist als Promotion an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum entstanden. Die Forschungen fanden im Rahmen eines VW-Forschungsprojektes zum Thema "Ethnische Minderheiten im Transformationsprozess Polens" am Lehrstuhl Politische Wissenschaft I an der Ruhr-Universität Bochum statt. Für die mir gewährte finanzielle Unterstützung gebührt mein Dank somit der Volkswagen-Stiftung sowie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der einen meiner Forschungsaufenthalte in Polen finanziert hat.

Sehr herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Wilhelm Bleek für die umfassende Unterstützung meines Promotions­projektes und die denkbar gute Zusammenarbeit am Bochumer Lehrstuhl Politische Wissenschaft 1. Gleichfalls danken möchte ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Ulrich Widmaier für seine innovativen Anmerkungen.

Berlin, im Juli 2003

Andrea Gawrich

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1. Einführung

1. Fragestellung - Begriffe - Forschungsstand

"Warum eigentlich konzentriert sich bei uns alles Interesse auf die west­lichen Nachbarn? ... Kaum einer aber kennt unseren östlichen Nach­barn Polen. " Auch Anfang des 21. Jahrhunderts kommt die vormalige ZEIT-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff zu dieser Feststellung und suggeriert damit, es habe in der Frage der nachbarschaftlichen Bezie­hungen seit Anfang der 90er Jahre keinerlei Veränderung gegeben. So­weit das Urteil der Publizistin auf der ersten Seite einer Schwerpunkt­ausgabe der Wochenzeitung zum Thema Polen.' Gilt diese These auch für die (Politik-) Wissenschaft? Findet sich also eine wissenschaftliche West- statt einer gleichberechtigten Ostorientierung? Nur auf den ersten Blick mag das in dieser Deutlichkeit zutreffen. Vor allem innerhalb der Transformationsforschung - auf der Betrachtung der Systemwechsel­prozesse in Lateinamerika und Südeuropa aufbauend - findet sich eine breitere Rezeption der ostmittel- und osteuropäischen Transformationen. Und auch wenn das Interesse an unseren "östlichen Nachbarn" und so­mit auch an Polen geringer ist als an den westlichen Ländern, so hat es doch einen festen Platz in den Sozialwissenschaften, insbesondere in der Politikwissenschaft.

Diese Forschungsarbeit, die die Analyse von ethnischen Minderhei­ten und dem institutionellen System des Minderheitenschutzes im Transformationsprozess Polens zum Gegenstand hat, versteht sich dem­entsprechend als ein Beitrag zur politikwissenschaftlichen ostmittel­und osteuropabezogenen Transformationsforschung.

1.1 Das Erkenntnisinteresse

Diesem Forschungsprojekt liegt die Annahme zugrunde, dass der Um­gang mit ethnischen Minderheiten bzw. Gruppen einen bedeutenden Teilbereich der politischen und gesellschaftlichen Transformation ost­mittel- und osteuropäischer Staaten darstellt.

Marion Gräfin Dönhoff: Patriotisch und frei, in: Die Zeit vom 13. Juni 2001, S. 1.

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In fast allen Staaten des ehemaligen Ostblocks hatten in den Jahrzehn­ten des "Kalten Krieges" nicht nur die Bevölkerung insgesamt, sondern die ethnischen Minderheiten im Besonderen unter Repressalien zu lei­den. Die Existenz der Minoritäten wurde entweder völlig geleugnet, sie wurden mit repressiven Auflagen belegt, offen diskriminiert oder aber -ganz im Gegenteil - als "politische Vorzeigegruppe" instrumentalisiert. Diese jahrzehntelange negative Minderheitenpolitik rief in den ver­schiedenen ostmittel- und osteuropäischen Staaten sehr unterschiedliche und vielschichtige Folgen hervor. Deren Bandbreite reicht nach dem Zusammenbruch der alten politischen Systeme vom Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien über die Konstituierung einer multinationalen Föderation in Russland bis hin zu jenen ostmitteleuropäischen Staaten, für die ein vergleichsweise toleranter Umgang mit ethnischen Minder­heiten charakteristisch ist.

Polen gilt in der Reihe dieser Länder als weithin ethnisch homoge­ner Staat. Der Anteil der Minderheiten liegt nach den vorliegenden Schätzungen zwischen zwei und vier Prozent,' in der Slowakei hingegen bei ca. 14 Prozent,' in Tschechien bei rund 19 Prozent.4 Dennoch stellt Polen einen ostmitteleuropäischen Sonderfall dar, weil es trotz dieser Homogenität das vergleichsweise stärkste Maß an ethnischer Intoleranz aufweist.' So wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass nicht nur die dramatischen und offenkundigen Ausprägungen von Minderheiten­konflikten von wissenschaftlichem Interesse sind, sondern dass sich aus der Analyse der Entwicklung ethnischer Minderheiten und von Minder­heitenpolitik im Transformations- und Konsolidierungsprozess Erkennt­nisse über den Demokratisierungsprozess gewinnen lassen.

In dieser Arbeit wird das Agieren von ethnischen Minderheiten und die Herausbildung eines minderheitenrelevanten Institutionensystems innerhalb des Transformations- und Konsolidierungsprozesses Polens untersucht. Hierfür sind zwei Untersuchungsebenen vorgesehen: Erstens werden die Interessenverbände der ethnischen Minderheiten als politi­sche Akteure und als neue Bestandteile einer entstehenden Zivilgesell­schaft analysiert, zweitens werden die einzelnen minderheitenrelevanten

2 Vgl. Zahlenangaben in Sakson Andrzej: Die Nationalitätenpolitik der III. Republik, in: Welttrends (2000) Nr. 27, S. 61-78, hier S. 62.

3 Vgl. Hoskova, Mahulena: Der Minderheitenschutz in der Slowakischen Republik, in: Mohlek, Peter: Der Minderheiten-Schutz in der Republik Polen, in der Tschechi­schen und der slowakischen Republik, Bonn 1994, S. 119-158, hier S. 126.

4 Vgl. Hoskova, Mahulena: Der Minderheitenschutz in der Tschechischen Republik, in: ebda., S. 83-117, hier S. 91.

5 Weiss, Hilde; Reinprecht, Christoph: Demokratischer Patriotismus oder ethnischer Nationalismus in Ost-Mitteleuropa? Wien 1998, S. 87.

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politischen Institutionen (die die institutionellen Strukturen des alten Systems ablösten) auf ihre Entstehung und ihre institutionelle Konfigu­ration hin untersucht. Für den Bereich der Minderheitenverbände stellt sich die Frage, welche Rolle sie in der neuen Zivilgesellschaft Polens einnehmen, wie sie sich als intermediäre Instanzen definieren und wie sie innerhalb der polnischen Mehrheitsgesellschaft und gegenüber den politischen Institutionen agieren.

Innerhalb der Verbändeanalyse werden - einer später erläuterten De­finition von Zivilgesellschaft folgend - solche Organisationen in die Betrachtung einbezogen, deren Tätigkeiten im weiteren Sinne als politi­sche Aktivitäten zu verstehen sind, die also als Interessengruppen am politischen Gestaltungsprozess teilhaben wollen. Dabei wird untersucht, welche Selbstidentität diese Gruppen sich zuschreiben, wie sie ihre gesellschaftliche und politische Rolle definieren und mit welchen Stra­tegien sie ihre gesetzten Ziele gegenüber den politischen Entschei­dungsträgern, der Gesellschaft und der eigenen Minderheit verfolgen. Es sollen die je eigenen Gruppenstrukturen der diversen Minderheiten herausgearbeitet werden. So kann in einem abschließenden Schritt ein Gesamtbild des intermediären Systems dieser vier Minderheiten erstellt werden.

Für dieses Projekt wurde aus der Gesamtheit der Minderheiten Po­lens eine begründete Auswahl getroffen. Untersucht werden solche Mi­noritäten, die im polnischen Sprachgebrauch auch als nationale Minder­heiten bezeichnet werden, weil sie in ethnischer Hinsicht mit einer "Ti­tularnation" verbunden sind. Aus der Gruppe der nationalen Minderhei­ten Polens wurden wiederum jene ausgewählt, deren Patronagestaaten sich ebenfalls - wie Polen selbst - in einem Transformationsprozess befinden und die somit zu den ostmittel- und osteuropäischen Transfor­mationsstaaten zählen. Analysiert werden dementsprechend die Interessenverbände der litauischen, der weißrussischen, der ukra­inischen und der slowakischen Minderheit. Dieser Überlegung liegt die Annahme zugrunde, dass die Patronagestaaten zwar prinzipiell durch bilaterale wie internationale Politik Einfluss auf die Situation der ihnen zuzuordnenden Minderheiten in Polen nehmen können, gleichzeitig jedoch selbst große Transformationsanstrengungen im eigenen Land unternehmen müssen. Dazu zählt auch die Suche nach einem neuen Weg einer demokratischen Minderheitenpolitik gegenüber den eigenen nationalen Minderheiten.

Aus diesen Überlegungen resultiert, dass die deutsche Minderheit in Polen nicht in das Forschungsprojekt einbezogen wird. Denn hinter dieser steht mit der demokratisch und ökonomisch gefestigten, europä-

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isch und international einflussreichen Bundesrepublik Deutschland ein Patronagestaat, der starken Einfluss auf die deutsche Minderheit und auf Polen selbst ausüben kann und dies auch tut. Aus forschungsstrategi­scher Perspektive kommt die Tatsache hinzu, dass die deutsche Minder­heit bereits in vielfacher Qualität Gegenstand zahlreicher (zumeist juris­tischer, soziologischer und historischer) Forschungsarbeiten in Deutsch­land und Polen ist.

Weiterhin unberücksichtigt bleiben ethnische Minderheiten ohne Patronagestaat (wie die Sinti und Roma, die Kaschuben oder Tataren) sowie quantitativ zu vernachlässigende Gruppen wie die Tschechen und Griechen. Ebenso bleibt durch den hier gewählten Zugriff auch die reli­giöse Minderheit der Juden unberücksichtigt (die in Polen allerdings zu den "ethnischen" Minderheiten gezählt werden). Eine Analyse der Be­deutung der Juden im polnischen Transformationsprozess bedürfte einer eigenen Studie, die die historischen Dimensionen von Antisemitismus, Holocaust und Zweitem Weltkrieg ausführlich berücksichtigen müsste.

Der für die Analyse der staatlichen Seite gewählte institutionelle Zugang soll ermöglichen, die Ver ortung von Minderheitenfragen im polnischen politischen Institutionensystem zu ermitteln. Hierbei finden sich sowohl Institutionen, die gänzlich den Minderheiten gewidmet sind, als auch solche, in deren teilweise Zuständigkeit Minderheitenfra­gen fallen, so dass nur Teilbereiche dieser Institutionen zu analysieren sind. Geht man davon aus, dass die neuen Prinzipien eines demokrati­schen Systems alle politischen Bereiche nach dem Systemwechsel er­fasst haben, so müssten sich auch entsprechende Neuerungen im Be­reich des Minderheitenschutzes zeigen. Es stellt sich demnach die Fra­ge, ob es zu einer gänzlich neuen Etablierung minderheitenrelevanter Institutionen kam oder ob sich noch Kontinuitäten zum Vorläufer­Regime finden lassen. Weiterhin muss gefragt werden, welche Konfigu­rationen die einzelnen Institutionen aufweisen und ob das minderheiten­relevante Institutionensystem insgesamt inzwischen - mehr als eine Dekade nach dem Systemwechsel - als konsolidiert gelten kann.

Die Analyse des minderheitenrelevanten Institutionensystems be­rücksichtigt verschiedene Untersuchungsbereiche. Ein Schwerpunkt liegt auf der Analyse zentralstaatlicher minderheitenrelevanter Instituti­onen, es soll jedoch zugleich versucht werden, regionale institutionelle Entwicklungen (auf Wojewodschafts-, Kreis- und Gemeindeebene) ein­zubeziehen. Auf der Ebene zentralstaatIicher Regelungen gelten - was im späteren theoretischen Abschnitt begründet wird - grundsätzlich auch rechtliche Grundlagen des Minderheitenschutzes als politische Institutionen. Dazu zählen die Verfassung, internationale Verträge und

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Einzelgesetze. Besonderes Gewicht wird jedoch auf die Analyse legisla­tiver und exekutiver Institutionen gelegt. So wird zum einen die Rele­vanz von Minderheitenfragen in der Tätigkeit des Sejm im Zentrum des Interesses stehen, die sich primär in der "Sejm-Kommission für nationa­le und ethnische Minderheiten" bündelt. Zum anderen fokussiert sich das Forschungsinteresse auf die verschiedenen zuständigen Ministerien; ausgewählt wurden dabei das Kultur-, das Innen- und das Bildungsmi­nisterium. Betrachtet wird zudem das minderheitenbezogene Profil der einzelnen Ministerräte sowie weiterer relevanter Behörden wie etwa des Ombudsmanns für Menschenrechte.

Felder des Minderheitenschutzes Für das Verständnis dieser Forschungsarbeit ist ein Blick auf die ver­schiedenen Felder des Minderheitenschutzes von Interesse, die sich aus den diversen juristischen und vor allem völkerrechtlichen Debatten um die Standards des Minderheitenschutzes extrahieren lassen. Dazu zäh­len:

• Möglichkeiten der Vereinigungsjreiheit von Minderheiten, • Möglichkeiten kultureller Aktivitäten, • der Umfang des Gebrauchs der Minderheitensprachen, vor allem

vor Behörden und. Gerichten, bei topographischen Bezeichnungen sowie im Kultur- und Medienbereich,

• Minderheitenschulwesen und Bildung allgemein, • Religionsausübung, • Zugang zu den Medien, • Integration von Minderheiten in den Staatsaufbau: Zentrale bzw.

dezentrale Strukturen, mögliche Autonomieregelungen für Minder­heiten, politische Repräsentation.

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive muss nicht nur die juristische Gewährung dieser Rechte betrachtet werden, sondern vor allem die Art und Weise ihrer Umsetzung. Diese Minderheitenschutzbereiche werden im Rahmen dieser Studie nicht systemisch abgehandelt, sondern er­scheinen von unterschiedlicher Relevanz sowohl für die Analyse der Verbände als auch der politischen Institutionen. Aus diesem Grund wer­den sie im Verlauf der Studie immer wieder Erwähnung finden. Hinter­fragt werden muss hier noch ein weiterer Punkt, die Finanzierung von Minderheitsaktivitäten. Zudem haben Fragen der Vereinigungsfreiheit sowie der kulturellen Aktivitäten von Minderheiten primär im Rahmen der Verbändeanalyse ihren Platz. Fragen des Gebrauchs der Minderhei­tensprache werden vor allem im Bereich der Medien und des Schulwe-

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sens Erwähnung finden. Der Verweis auf letzteres wurde in die Analyse der Institution des Bildungsministeriums inkorporiert. Fragen der Reli­gionsausübung stellen keinen primären Analysebereich dieser Studie dar. Mit Blick auf die beiden Analysebereiche dieser Studie - Verbände und Institutionen - können sich diese Felder des Minderheitenschutzes auch als Arenen politischer Interaktion erweisen; da die Auseinander­setzung zwischen Verbänden und Staat sich vor allem auf nicht selten konfliktträchtigen Feldern vollzieht.

Forschungsjragen und Hypothesen Diese Forschungsarbeit folgt einer induktiven Herangehensweise. So sollen aufgrund der hier aufgestellten empirischen Befunde Aussagen über die intermediären Aktivitäten ethnischer Minderheiten und die Etablierung eines minderheitenrelevanten politischen Institutionen­systems in sich konsolidierenden ethnisch homogenen Demokratien getroffen werden.

Zusammengefasst liegen dieser Studie folgende Forschungsfragen zugrunde:

1. In welcher Intensität wird die durch den Systemwechsel gewonnene Organisationsfreiheit durch die zuvor diskriminierten Minderheiten in der Form von Verbändetätigkeit genutzt?

2. Welches Selbstverständnis, welche Organisationsstrukturen und Handlungsstrategien zeigen sich innerhalb der Minderheitenverbän­de?

3. Auf welche Weise hat der System wechsel zur Schaffung minderhei­tenrelevanter Institutionen geführt?

4. Welche Konfigurationen weisen die minderheitenrelevanten Institu­tionen auf, welches institutionelle System lässt sich mithin erken­nen?

Auf diesen Leitfragen basieren die im Weiteren dargelegten fünf Hypo­thesen:7

6 Diese Formulierung ist übernommen von Peter A. Kraus, der sie für sogenannte Teilregime während des Konsolidierungsprozesses verwendet hat und von Arenen politischer Interaktion bspw. zwischen Wählern und politischen Parteien spricht; Kraus, Peter A.: Assoziationen und Interessenrepräsentation in neuen Demokratien, in: Merkei, Wolfgang; Sandschneider Eberhard: Systemwechsel 4, Die Rolle von Verbänden im Transformationsprozeß, Opladen 1999 (im Folgenden zitiert Kraus in SW 4 1999), S. 23-43, hier S. 30.

7 Hierbei handelt es sich um Existenzhypothesen. Die im Forschungsprozess weit verbreitete Form korrelativer Annahmen kann den bei den - obschon in Beziehung

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1. Die Minderheiten nutzen die durch den Systemwechsel gewonnenen Möglichkeiten der Organisationsfreiheit durch die Bildung von Ver­bänden intensiv.

2. Aufgrund ihrer Erfahrungen im kommunistischen System nutzen sie diese Verbände primär als politische Lobby-Organisationen zur poli­tischen Teilhabe und Durchsetzung eines für sie angemessenen Min­derheitenschutzes.

3. Die repressive Minderheitenpolitik des vorherigen Systems wirft deutlich ihre Schatten auf den Umbau des minderheitenrelevanten Institutionensystems Polens.

4. Dabei unterliegt die Transformation des minderheitenrelevanten Institutionensystems ähnlichen zeitlichen Abläufen wie die des all­gemeinen politischen Institutionensystems Polens.

5. Trotz dieser Hindernisse erweist sich das minderheitenrelevante Institutionensystem als grundsätzlich effektiv.

1.2 Begriffe

Im Folgenden sollen einige Anmerkungen zur Verwendung bestimmter Begriffe gemacht werden sowie auf den Umgang mit polnischen Namen verwiesen werden.

Der Begriff Minderheit ist ein ausgesprochen umstrittener Begriff. Im Umfeld der Vereinigten Nationen wurde durch Francesco Capotorti eine Definition entwickelt, die heute faktisch als weithin anerkannte Definition von Minderheiten gilt. Diese setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. Als Minderheit gilt demnach eine Gruppe,

• die zahlenmäßig kleiner ist als der Rest der Bevölkerung eines Staa­tes und dennoch eine "noteworthy number of persons" darstellt,

• die nicht die Macht im Staat ausübt, • die sich durch Gemeinsamkeiten primär ethnischer, religiöser oder

sprachlicher Natur auszeichnet und durch diese von der sonstigen Bevölkerung unterscheidet,

• deren Mitglieder die Staatsangehörigkeit des Staates besitzt, in dem sie leben

• und deren Angehörige sich solidarisch zu dieser Gruppe bekennen, die sich deshalb durch Stabilität auszeichnet.·

gesetzten - Forschungsbereichen der Verbände und Institutionen nicht gerecht wer­den.

8 Heintze, Hans-Joachim (Hrsg.): Selbstbestimmungsrecht der Völker - Herausforde-

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Diese Definition umfasst vor allem das auch in der Soziologie disku­tierte Kriterium, dass bei einer Minderheit sowohl ein subjektives als auch ein objektives Kriterium der Minderheitenzugehörigkeit vorliegen muss! Zudem sind durch das Kriterium der Stabilität und der Staatsan­gehörigkeit Arbeitsmigranten ausgeschlossen. Vielmehr bezieht sich dieser definitorische Zugriff primär auf autochthone, also traditionell angesiedelte Minderheiten. Insgesamt soll in dieser Arbeit die Capotor­ti-Definition für den Begriff der Minderheit zugrunde gelegt werden.

In juristischen und völkerrechtlichen Zusammenhängen stehen sich vor allem die Begriffe Minderheit und Volksgruppe gegenüber. Die Verwendung des Begriffs Volksgruppe, der bis heute nicht selten in der deutschsprachigen Literatur zu finden ist, wird - in Anlehnung an Aus­führungen von Norman Peach - abgelehnt, da er im deutschsprachigen Zusammenhang vor allem im Rahmen der nationalsozialistischen Geo­und Rassenpolitik benutzt wurde. Allein diese Begriffsgeschichte sowie die Tatsache, dass der Begriff Volksgruppe im Duden nicht mehr aufge­führt ist,1O legen es nahe, auf eine Verwendung dieses Begriffes zu ver­zichten."

Im Weiteren muss in diesem Zusammenhang auf den polnischen Sprachgebrauch verwiesen werden, so wird in Polen unterschieden zwi­schen nationalen und ethnischen Minderheiten, also Minderheiten mit und ohne eine dazugehörige Titularnation. Die vier in dieser Studie untersuchten Minderheiten sind somit nach polnischem Verständnis "nationale" Minderheiten. Im deutschen Sprachgebrauch wird jedoch zumeist für beide Arten von Minderheiten der Begriff ethnische Min­derheit verwendet, so auch in dieser Arbeit. 12

Auch im Rahmen der Transformationsforschung zeigen sich ver­schiedene Begriffe wie etwa Transformation, Transition, Systemwech­sel, Regimewechsel oder auch Kombinationen wie Systemtransformati-

rung der Staaten welt. Zerfallt die internationale Gemeinschaft in Hunderte von Staaten?, Bonn 1997, S. 125-127.

9 Siehe beispielsweise auch Offe, Claus: Ethnic Politics in East European transitions, ZERP-Diskussionspapier, 93,1; Papers on East European Constitution building, Bremen 1993, S. 3.

10 Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache, Mannheim 1996. 11 Paech, Norman: Minderheitenpolitik und Völkerrecht, in: Aus Politik und Zeitge­

schichte, B 46-47, (1998), S. 18-26. 12 Siehe für die in Polen verbreitete Begriffsnutzung beispielsweise Sejm

Rzeczypospolitej Polskiej, Komisja Mniejszosci Narodowych i Etnicznych:

18

Mniejszosci narodowe w Polsce, Informator 1994 (im Folgenden zitiert Informator 1994), Warszawa 1995. Als Beispiel für den deutschen Sprachgebrauch Ludwig, Klemens: Ethnische Minderheiten in Europa. Ein Lexikon, München 1995.

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on. J3 Der Begriff Regimewechsel stammt dabei aus der Beschäftigung mit den lateinamerikanischen Staaten, in denen vor allem die politische, weniger jedoch die sozioökonomische Sphäre transformiert wurde; ein wesentlicher Unterschied zu den ostmittel- und osteuropäischen Staa­ten. l4

Klaus von Beyme und Dieter Nohlen verweisen darauf, dass insge­samt den Begriffen System wechsel, Regimewechsel, Transition und Transformation jeweils "keine wesentlich anderen inhaltlichen Akzente" zukommen. 15 Gemeint sei in allen Fällen faktisch immer die Ersetzung eines totalitären bzw. autoritären Systems durch ein demokratisches. Dieser Position soll hier gefolgt werden.

Des Weiteren stellt sich die Frage der Verwendung des Begriffs Konsolidierung. Grundsätzlich wird Konsolidierung verstanden als Zu­stand in der Demokratie, in dem alle wichtigen Gruppen die Spielregeln der Demokratie als einzig gültige akzeptieren, nach diesen handeln und sich zudem ein gewisses Maß an civic culture herausgebildet hat. l •

Wolfgang Merkel unterscheidet in Bezug auf die Transformationsstaaten Ostmittel- und Osteuropas zwischen konstitutioneller und repräsentati­ver (auf Parteiensysteme und Interessengruppen bezogene) Konsolidie­rung. Beide weisen in Polen einen sehr langsamen Entwicklungsprozess auf, der vor allem durch die späte Verabschiedung einer neuen Verfas­sung und die starken Veränderungen im polnischen Parteiensystem ge­kennzeichnet ist. 17 Ein Konsolidierungsprozess auf der Basis dieser Kri­terien setzt in konstitutioneller Hinsicht spätestens mit der Verfassungs­verabschiedung 1997 ein, innerhalb des Parteiensystems deuten sich allerdings erst langsame Konsolidierungstendenzen an. In dieser For­schungsarbeit, die einen Zeitraum zwischen 1989 und 2001 abdeckt, ist deswegen vom "Transformations- und Konsolidierungsprozess" Polens die Rede.

13 Siehe Merkei, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999.

14 Vgl. beispielsweise Reißig, Rolf: Transformation - Theoretisch-konzeptionelle Ansätze und Erklärungsversuche, in: Berliner Journal für Soziologie, Heft 3 (1994), S. 323-343 hier S. 328.

15 Siehe hierzu beispielsweise die Begriffsbestimmung von Klaus von Beyme und Dieter Nohlen in ihrem Artikel "Systemwechsel" im Lexikon der Politik, Bd. I, hrsg. von Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schulze, München 1995, S. 636-649, hier S.636.

16 Hier nach Schmidt, Manfred G: Wörterbuch zur Politik, Stuttgart 1995, S. 505. 17 Merkei, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und

Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999, S. 485-522.

19

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Zudem sei darauf verwiesen, dass polnische Städtenamen im Rahmen dieser Arbeit bei solchen Städten, deren deutsche Bezeichnung im deut­schen Sprachraum als bekannt vorausgesetzt werden, in deutscher Spra­che verwendet werden (Warschau, Krakau usw.). Alle anderen Ortsna­men, deren deutsche Bezeichnung heute nicht mehr unbedingt als be­kannt vorausgesetzt werden kann (beispielsweise Koszalin == Köstrin), finden unter der polnischen Bezeichnung Verwendung. Auf die in der Literatur verbreitete "Doppellösung" (bspw. Allenstein/Olsztyn) soll in dieser Arbeit verzichtet werden."

1.3 Zum Forschungsstand

Der in diesem Forschungsprojekt zu untersuchende Gegenstand ver­knüpft zwei Themenbereiche, die im Fokus unterschiedlicher Fachrich­tungen gestanden haben und stehen. Zum einen der Gegenstand der Minderheiten und zum anderen der Gegenstand politischer und gesell­schaftlicher Transformation.

In der Minderheitenforschung dominieren vor allem juristische, so­ziologische und historische Forschungen, in denen primär nach interna­tionalen und nationalen Standards des Minderheitenschutzes, nach nati­onalen Identitäten oder den Gefahren des Nationalismus (besonders) in Ostmittel- und Osteuropa gefragt wird. Im Hinblick auf die Untersu­chung der Minderheitensituation in Ostmittel- und üsteuropa existiert insgesamt eine beträchtliche Zahl von Arbeiten, die sich mit der rechts­staatlichen Entwicklung seit 1989 auseinandersetzen. Zum einen findet sich dabei ein rechtsgeschichtlicher Schwerpunkt, in dem die minder­heitenrechtlichen Standards früherer demokratischer Systeme sowie die Verfassungen und Gesetzgebungen aus totalitärer Zeit untersucht wer­den. Zum anderen wird ein Augenmerk auf die heutigen Anpassungen der postsozialistischen Verfassungs- und Gesetzgebung an internationale Standards gelegt und deren Kompatibilität mit internationalen Verträgen im Bereich des Minderheitenschutzes überprüft. 19

18 Zu den in der Literatur gewählten Sprachlösungen siehe beispielsweise Bingen, Dieter: Die Republik Polen. Eine kleine politische Länderkunde, S. 13, der z.B. polnische Städtenamen in Klammern setzt: "Frankenstein (Zl\bkowice SIl\skie)", oder Wöhlke, Wilhelm: Der Raum und seine Gliederungen, in: ders. (Hrsg.): Länderbericht Polen, Bonn 1991, S. 46-80. Dieser wählte die "Schrägstrichlösung", bspw. S. 60: Wloclawek/Leslau, Torunrrhorn. Vgl. zudem S. 69-71 eine Liste pol­nischer und früherer deutscher Bezeichnungen von Kreisen und Städten.

19 Siehe beispielsweise den umfassenden Sammelband Frowein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rainer; Oeter, Stefan (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäischer Staa­ten, Teil 1 und Teil 2, Berlin u.a. 1993 und 1994, zudem Mohlek, Peter: Der Min-

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Innerhalb der soziologischen Forschung existieren zumeist Frage­stellungen zur ethnischen Konfliktforschung, die sich in aller Regel auf die Frage der Integration von Arbeitsmigranten konzentrieren, also auf Minderheiten, die nicht der oben genannten Definition entsprechen.'" Im Zentrum thematisch ähnlich gelagerter soziologischer Beschäftigungen stehen in Bezug auf Ostmittel und Osteuropa vor allem Fragen von Na­tionalismus und nationaler Identität.21

Innerhalb der polnischen Minderheitenforschung nehmen soziolo­gische Fragestellungen einen großen Stellenwert ein, auch wenn die Zahl der Publikationen zu diesem Gebiet nach wie vor überschaubar ist. 22 Bedeutende Erkenntnisse liefern dabei neue empirische Forschun­gen über die regionale Identität und die gesellschaftliche Verankerung der relevanten Bevölkerungsgruppen.23

Neben diesen soziologischen Forschungen zeigt sich ein zweiter Schwerpunkt der polnischen wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Minderheiten, die historischen Darstellungen. Die historiographische Auseinandersetzung entspricht dabei einem großen Bedürfnis nach dem Verständnis der eigenen historischen Identität, so dass beachtliche An­teile der historiographischen Beschäftigung durch professionelle Histo­riker aus den Minderheiten selbst geleistet werden. 24 Zudem existiert in

derheiten-Schutz in der Republik Polen, in der Tschechischen und der slowakischen Republik, Bonn 1994 sowie die auch eher rechtsschutzorientierte Veröffentlichung Heuberger, Valeria: Brennpunkt Osteuropa. Minderheiten im Kreuzfeuer des Nationalismus, Oldenburg, Wien 1996.

20 Heckmann, Friedrich: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter­ethnischer Beziehungen, Stuttgart 1992, Bukow, Wolf D.; Llaryora, Roberto: Mit­bürger aus der Fremde. Soziogenese ethnischer Minderheiten, Opladen, 3. Aufl., 1998.

21 Siehe beispielsweise, Hilde; Reinprecht, Christoph: Demokratischer Patriotismus oder ethnischer Nationalismus in Ost-Mitteleuropa? Wien 1998, zudem Balla, Ba­lint; Sterbling, Anton (Hrsg.): Ethnicity, Nation, Culture. Central and East European Perspectives, Hamburg 1998.

22 Siehe beispielsweise Uniwersytet Warszawski Filia w Bialymstoku (Hrsg.): Polskie badania nad mniejszosciami kulturowymi. Wybrane zagadnienia pod redakcjlt Grzegorza Babiitskiego, Janusza Muchy i Andrzeja Sadowskiego, Pograniczne Studia Spoleczne, Tom VI Numer specjalny, Bialystok 1997, sowie zudem Instytut Archeologii i Etnologii Polskiej Akademii Nauk (Hrsg.): Konflikty Etniczne: Zr6dla - Typy - Sposoby, Rozstrzygania, (Konferenz von 1994), Warschau 1996 sowie Czykwin, Elzbieta: Bialoruska mniejszosc narodowa jako grupa stygmatyzowana, Bialystok 2000.

23 Siehe hierzu beispielsweise für die weißrussische Minderheit: Sadowski, Andrzej; Czerniawska: Tozsamosc Polak6w na pograniczach, Bialystok 1999.

24 Siehe hierzu vor allem: Mironowicz, Eugeniusz: Polityka narodowosciowa PRL, Bialystok 2000, Drozd, Roman: Ukraiitcy w Polsce w okresie przelom6w politycznych 1944-1981, in: Instytut Studi6w Politycznych Polskiej Akademii Nauk

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Polen eine Anzahl eher deskriptiver Veröffentlichungen über Minderhei­ten, die kurze Skizzen der jeweiligen Minderheiten vorlegen!'

Das sozialwissenschaftliche Interesse an dem politischen und ge­sellschaftlichen Systemwechsel in ostmittel- und osteuropäischen Staa­ten hat sich in einer breit gefacherten Transformations- und Osteuropa­forschung niedergeschlagen. Im Zentrum dieser Forschungen stehen Fragen der Herausbildung und Etablierung politischer Institutionen, der Entwicklung einer Zivilgesellschaft sowie einer demokratischen politi­schen Kultur. Für diese Forschungsarbeit waren vor allem die Erkennt­nisse zur Herausbildung intermediärer Systeme und zivilgesellschaftli­cher Prozesse auf der einen sowie politischer Institutionen auf der ande­ren Seite relevant. Somit wurde auf die Forschungsliteratur dieser bei­den Felder der Transformationsforschung umfassend zurückgegriffen. 26

Zudem wurden allgemeine Erkenntnisse der Verbändeforschung und der Erforschung politischer Institutionen genutzt. 27

Innerhalb der politikwissenschaftlichen Transformationsforschung dominiert eine makroperspektivische Herangehensweise. Das Themen­feld der Minderheiten in den Transformationsprozessen und den neuen Demokratien wird hingegen selten eingehender betrachtet und kaum empirisch aufgearbeitet. 28 Diese Forschungsarbeit widmet sich jedoch diesem mesoperspektivischen Bereich der Transformation und wird deswegen als ein Beitrag zur Transformationsforschung der "zweiten Generation" verstanden.

(Hrsg): Mniejszosci narodowe w Polsce. Paiistwo i spoleczeiistwo polskie a mniejszosci narodowe wokresach przelom6w politycznych (1944-1989), Warszawa 1998, S.180-244, beide Autoren haben vielfach über die eigene Minderheit publiziert.

25 Vor allem Centrum Stosunk6w Mi«dzynarodowych Instytutu Spraw Publicznych (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 und Chalupczak, Henryk; Browarek, Tomasz.: Mniejszosci narodowe w Poisce 1918-1995, Lublin 1998.

26 Eine Vielzahl von Anregungen wurde beispielsweise der Serie von Sammelpublika­tionen entnommen, die in den vergangenen Jahren unter dem Herausgeber Wolfgang Merkel und dem Obertitel "Systemwechsel" herausgegeben worden sind. Zudem wurde auch die amerikanischen Beiträge der Transformationsliteratur wie bei­spielsweise von Juan Linz, Alfred Stepan oder Arend Lijphart berücksichtigt.

27 Zu den wesentlichen Autoren, deren Literatur zu diesen beiden Themen rezipiert wurde, zählen vor allem Ulrich von Alemann und Gerhard GÖhler.

28 Siehe für eine allgemeine transformationstheoretische Annäherung an das Minder­heitenthema vor allem Elster, Jon; Offe, Claus; Preuss, Ulrich K.: Institutional De­sign in Post-communist Societies. Rebuilding the Ship at Sea, Cambridge 1998, sowie Linz, Juan 1.; Stepan, Alfred: Problems of democratic transition and consoli­dation, Southern Europe, South Africa, and Post-Communist Europe, Baltimore 1998.

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2. Polen und seine Minderheiten

2.1 Minderheiten in Polen

Polen gilt - im Vergleich zu allen anderen ostmitteleuropäischen Staaten - heute als nahezu ethnisch homogenes Land:

"Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Polen seinen multinationalen Charakter verloren. Dies hatte verschiedene Ursachen: Die Ausrottung der polnischen Juden durch das Dritte Reich, die Verschiebungen der Staatsgrenzen als Folge der Abkommen von Jalta und Potsdam sowie die stalinistische Politik in der Nationalitätenfrage. Dies führte dazu, daß Polen in der Nachkriegszeit zu einem Land wurde, in dem die Polen 97% der ganzen Bevölkerung bildeten. "29

In der ethnischen Struktur des Landes bildet dieser Zustand den vorläu­figen Endpunkt einer langen multinationalen Geschichte. Nach der Ü­berwindung der polnischen Teilungen als Folge des Ersten Weltkriegs war die junge polnische Republik der Zwischenkriegszeit durch einen sehr hohen Anteil an ethnischen Gruppen geprägt. Rund 36 Prozent der Bevölkerung galten als Nichtpolen. 30

Nach der Westverschiebung Polens in Folge des Zweiten Weltkriegs galt ein erheblicher TeiJ der vormals polnischen Ukrainer, Weißrussen und Litauer nun als Bürger der Sowjetunion. Zusätzlich verließen zwi­schen 1944 und 1947 ca. 490.000 Ukrainer und 36.000 Weißrussen Po­len.31 Die Volksrepublik Polen wurde zu einem weitgehend homogenen Nationalstaat. Heute wird der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung - in Ermangelung offizieller Statistiken - auf ein bis vier Prozent geschätzt (bei einer Bevölkerung von rund 38 Millionen zeigt sich somit ein Anteil an Minderheitenangehörigen von 380.000 bis 1,5 Millionen).

Sowohl staatliche Behörden als auch die wissenschaftliche Literatur gehen zumeist von insgesamt 15 relevanten Minderheiten aus. Neben den in dieser Studie analysierten vier Minderheiten sind dies Deutsche, Lemken, Juden, Roma, Russen, Tschechen, Armenier, Tataren, Karaime, Griechen und Makedonier. Im polnischen Verständnis werden somit auch Juden zu den Minderheiten hinzugezählt. Bei den Russen handelt es sich um traditionell auf diesem Gebiet siedelnde sogenannte "alt-

29 Sakson Andrzej: Die Nationalitätenpolitik der III. Republik in Welttrends (2000) Nr. 27, S. 61-78 (im Folgenden zitiert Sakson in Welttrends 2000), hier S. 61.

30 Chalupczak, Henryk; Browarek, Tomasz.: Mniejszosci narodowe w Polsee 1918-1995, Lublin 1998, S. 21-25.

31 Sakson in Welttrends 2000, S. 61.

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gläubige Russen", zu dieser Minderheit zählen somit nicht die in den vergangenen Jahren zugewanderten Russen. Karaime und Tataren stel­len sehr kleine Bevölkerungsgruppen dar, die ebenfalls autochthon sie­deln. Die armenische Minderheit kam zumeist nach dem armenischen Genozid nach dem Ersten Weltkrieg nach Polen, Griechen und Makedo­nier schließlich erst Ende der vierziger Jahre als politische Flüchtlinge. Die Minderheit der Lemken zählt zu den ethnischen Gruppen der Berg­bevölkerung der Karpaten. 32

Der politische Umgang mit den eigenen Minderheiten in der Volks­republik Polen war im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte höchst unter­schiedlich. In der Literatur lassen sich vier Phasen kommunistischer Minderheitenpolitik unterscheiden:

Erstens zeigt sich eine Phase der Zwangsumsiedlungen und Assimi­lierungen vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Mitte der 50er Jahre, in die vor allem eine Vertreibungsaktion an den Ukrainern, die Aktion "Weichsel", fallt. Zweitens zeigt sich eine Phase der Liberalisierung der Nationalitätenpolitik in den 50er und 60er Jahren, als erstmals minder­heitensprachlicher Unterricht in Schulen zugelassen wurde und die in dieser Studie analysierten Minderheiten jeweils einen Verband gründen konnten. Drittens zeigt sich eine Phase erneuter Einschränkungen ge­genüber den Minderheiten von den 60er Jahren bis Anfang der 80er Jahre. Viertens zeigt sich abschließend eine Phase der erneuten Locke­rung der Minderheitenpolitik, die bis zum Systemwechsel 1989 andau­erte und in der die Minderheiten beispielsweise lokale kulturelle Aktivitäten entfalten konnten.33

Somit konnten sich die in dieser Studie ausgewählten Minderheiten erst ab Mitte der 50er Jahre in begrenztem und staatlich kontrolliertem Maße selbst organisieren und eigene Verbände gründen. Dabei galt fak­tisch das politische Prinzip, pro Minderheit eine Organisation zuzulas­sen. Diese kulturorientierten Verbände boten jedoch nicht nur Möglich­keiten kultureller Entfaltung, sondern waren zudem Instrumente staatli­cher Kontrolle über Minderheitenaktivitäten, die in den einzelnen Min­derheitenverbänden jedoch in unterschiedlichem Maße gelang."

32 Siehe zu den Beschreibungen der einzelnen Minderheiten: Sejm Rzeczypospolitej Polskiej, Komisja Mniejszosci Narodowych i Etnicznych: Mniejszosci narodowe w Polsce, Informator 1994, Warszawa 1995, S. 5-31.

33 Sakson in Welttrends, 2000, S.64. Vgl. zudem Janusz, Grzegorz: Status prawny mniejszosci narodowych w Polsce, in: Instytut Europy Srodkowo-Wschodniej (Hrsg): Samoidentyfikacja mniejszosci narodowych i religijnych w Europie Srodkowo-Wschodniej. Problematyka prawna, Lublin 1998 (im Folgenden zitiert Janusz, Status prawny 1998), S. 26-49, hier S. 34-41.

34 Sakson in Welttrends 2000, S. 64.

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Insgesamt galt in der Politik der Volksrepublik, ungeachtet einiger Zu­geständnisse, durchgängig das Postulat eines ethnisch homogenen pol­nischen Staates. Trotz eines verfassungsmäßigen Diskriminierungs­verbotes wurde jedoch beispielsweise die Existenz der deutschen Minderheit gänzlich geleugnet, während andere Minderheiten - wie die vier in dieser Studie untersuchten - zumindest offiziell anerkannt waren.

2.2 Polen im Wandel

Das kommunistische politische System Polens wird in der Literatur eher als autoritäres denn als totalitäres System charakterisiert, so dass es sich beim Systemwechsel in Polen um einen Wechsel von einem eher autori­tären zu einem demokratischen System handelt. Das typische Merkmal der polnischen .Transformation stellt der "ausgehandelte Systemwech­sel" (pacted transition) dar." Ein Ergebnis der Aushandlungsprozesse zwischen alten Machthabern und Oppositionellen am "Runden Tisch" war die Etablierung eines semipräsidentiellen Regierungssystems, das den Kräften des Ancien Regime durch die Einführung des Präsidenten­amtes, das zunächst in den Händen der vormaligen Machthaber blieb, weiterhin einen gewissen Machterhalt ermöglichen sollte. 36

Der Transformationsprozess Polens war - auch als Folge des ausge­handelten System wechsels - durch einen langsamen Aufbau des Institu­tionensystems und somit einen langsamen Konsolidierungsprozess ge­prägt. Ein markantes Indiz hierfür ist die späte Verabschiedung einer neuen Verfassung. Die konkrete Ausprägung des semipräsidentiellen Systems war deswegen einige Jahre lang unklar. 37

In der zivilgesellschaftlichen Entwicklung Polens zeigt sich, dass es auch innerhalb der Volksrepublik deutliche Bestrebungen für den Auf­bau einer Zivilgesellschaft "von unten" gegeben hat. Der Gedanke einer "unabhängigen Öffentlichkeit" war insgesamt in den 80er Jahren bei verschiedenen ostmitteleuropäischen Gegeneliten dominant." Wie von

35 Linz, Juan J.; Stepan, Alfred: Problems of democratic transition and consolidation, Southern Europe, South Africa, and Post-Communist Europe, Baltimore 1998, S.255.

36 Ziemer, Klaus: Die Konsolidierung der polnischen Demokratie in den neunziger Jahren, in: Franzke, Jochen (Hrsg.): Polen. Staat und Gesellschaft im Wandel. Bei­träge zur Debatte, Berlin 1998 (im Folgenden zitiert Ziemer in Franzke 1998), S. 56-73, hier S. 57.

37 Ziemer in Franzke 1998, S. 62. 38 Fehr, Helmut: Das Konzept der Zivilgesellschaft als ost-mitteleuropäische Alterna­

tive, in: Franzke, Jochen (Hrsg.): Polen. Staat und Gesellschaft im Wandel. Beiträge zur Debatte, Berlin 1998, S. 36-55, hier S. 36 f.

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Beyme festgestellt hat, war das Verständnis des Konzeptes der Zivilge­sellschaft als Gegenideologie, bzw. als Antipolitik, konstitutiv für einen Großteil der osteuropäischen Intellektuellen in verschiedenen Ländern.39

Die zivilgesellschaftlichen Tendenzen, die sich bereits unter kommunis­tischer Herrschaft in Polen entdecken ließen, manifestierten sich primär in den Aktivitäten der oppositionellen Großbewegung Solidarnosc. Ein zivilgesellschaftliches Verständnis, das sich als Gegenideologie ver­steht, sehen die amerikanischen Sozial wissenschaftler Jean L. Cohen und Andrew Arato dabei als polnisches Spezifikum: "The opposition of civil society and state made its most dramatic return in East Europe, particularly in the ideology of the Polish opposition from 1976 to the advent of early Solidarity and beyond. "40 Diese Tradition hatte auch nach 1989 nachhaltige Folgen, denn - wie Klaus Ziemer feststellte -eine vorbehaltlose Identifikation mit dem Staat war "abgesehen von der Zwischenkriegszeit eine in Polen seit rund 200 Jahren unbekannte Er­fahrung".41

Neben dieser zivilgesellschaftlichen Tradition zeigt sich in Polen zudem ein weiteres markantes Merkmal: Die vergleichsweise intensive Ausprägung einer nationalen Identität. So hat in Polen der Begriff der Nation auch heute noch sowohl eine kulturelle wie auch eine starke ethnische Komponente. 42 Dies wird in historischer Hinsicht mit der lan­gen Teilungsgeschichte Polens erklärt, die vom Ende des 18. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts dauerte, und durch die sich eine ver­gleichsweise frühe polnische Nationalbewegung herausgebildet hat. Parallel dazu existiert jedoch auch eine historische Identifikation mit der polnischen Adelsrepublik, zu deren Zeit "Nation" weniger primär ethnisch oder sprachlich definiert wurde,43 und die sich vor allem durch die Verfassung von 1791 eher als politische Nation auszeichnete."

39 Beyme, Klaus von: Systemwechsel in Osteuropa, Frankfurt 1994, S. 108 und 116 f. 40 Cohen, Jean L.; Arato, Andrew: Civil Society and Political Theory, Cambridge

1994, S. 31. Arato veröffentlichte bereits Anfang der 80er Jahre eine erste und viel beachtete Analyse zur polnischen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten gegen den Staat (Arato, Andrew: Civil Society Against the State. Poland 1980-1981, in: Telos, 47 (1981), S. 23-47).

41 Ziemer in Franzke 1998, S. 66 f. 42 Mucha Janusz: The Problem of the Cultural Dilemmas of Ethnic Minorities in

Poland, in: Balla, Balint; Sterbling, Anton (Hrsg.): Ethnicity, Nation, Culture. Cent­ral and East European Perspectives, Hamburg 1998 (im Folgenden zitiert Mucha 1998), S. 165-177, hier S. 169.

43 Krasnod~bski, Zdzislaw: Der Nationalismus in Ostmitteleuropa, in: Wollmann, Hellmut; Wiesenthai, Helmut; Bönker, Frank (Hrsg.): Transformation sozialistischer Gesellschaften, Leviathan-Sonderheft 15, Opladen 1995, S. 235-253, hier S. 246 f.

44 Weiss, Hilde; Reinprecht, Christoph: Demokratischer Patriotismus oder ethnischer

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Auf den Einfluss historischer Identitäten auf den Umgang mit Minder­heiten hat Jerzy Jedlicki hingewiesen, indem er feststellte: "Motives and arguments from history play an important, if not crucial role in most conflicts between nations or ethnic groups, and they usually make those conflicts more difficult to resolve than they would be if only definable interests of the present generation were at stake. " Hierzu bezieht sich Jedlicki primär auf die Relevanz der Geschichte der polnisch­ukrainischen Ressentiments für den Umgang mit der ukrainischen Min­derheit. Aufgrund der Unterdrückung der Erinnerung an die Vertrei­bungsaktion "Weichsel" innerhalb der Volksrepublik begann erst nach dem Systemwechsel von 1989 die historische Aufarbeitung der proble­matischen Aspekte des polnisch-ukrainischen Verhältnisses. 4S

Nach dem Systemwechsel hat sich eine Art "Ethnic Revival" der Mehrheitsbevölkerung entwickelt, so dass in den öffentlichen Diskursen die eigenen Minderheiten zuweilen als "Gäste" in einer "gastgebenden polnischen Gesellschaft" und nicht als gleichwertige Mitglieder dieser Gesellschaft gesehen werden."

Empirische Befunde zur nationalen Identität der Polen verdeutlichen auch heute noch, dass das "Polentum" nach wie vor einen wichtigen Bezugsfaktor für" die individuelle Identifikation der Polen darstellt. Dieses Selbstbild basiert auf traditionellen Tugenden, wie beispielswei­se Religiosität und Patriotismus. 47 Da unter Religiosität Katholizismus verstanden wird, ist eine zwingende Folge, dass nicht-katholische Teile der Bevölkerung aus diesem kollektiven Verständnis ausgeschlossen sind. Das Stereotyp "Pole = Katholik" führt dementsprechend zu Aus­grenzungserscheinungen von Minderheiten mit anderer Religion, etwa den orthodoxen Weißrussen.

Interessant ist ein vergleichender Blick auf die nationale Identität der verschiedenen ostmitteleuropäischen Staaten. Im Rahmen einer entsprechenden empirischen Studie der Wiener Soziologen Hilde Weiss und Christoph Reinprecht wurden dabei die Länder Ungarn, Tschechien,

Nationalismus in Ost-Mitteleuropa? Wien 1998 (im Folgenden zitiert Weiss, Reinprecht 1998), S. 27.

45 Jedlicki, Jerzy: Historica1 memory as a source of conflicts in Eastern Europe, in: Communist and Post-Communist Studies, 32, (1999), S. 225-232, hier S. 225 f. und S. 228 f.

46 Mucha 1998, S. 169. 47 Kempny, Marian: Nationale Identität und Staatsbüergerschhaft im postkommunisti­

schen Polen. Überlegungen zur polnischen Identität in einer kleiner werdenden Welt, in: Krasnod~bski, Zdzislaw; Städtke, Klaus; Garsztecki, Stefan (Hrsg.): Kul­turelle Identität und sozialer Wandel in Osteuropa: das Beispiel Polen, Hamburg 1999, S. 195-206, hier S. 204.

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Slowakei und Polen verglichen. Die Studie beschäftige sich vor allem mit der Frage nach den Erscheinungsformen von Patriotismus und eth­nischem Nationalismus in diesen Ländern. Die Ergebnisse zeigen, das Polen als ethnisch weitgehend homogenes Land die stärkste Ausprägung von ethnischer Intoleranz aufweist (der prozentuale Anteil starker Zu­stimmung für ethnische Intoleranz und Antisemitismus liegt in Polen bei 36 Prozent, in Ungarn bei 20 Prozent, in Tschechien bei 22 Prozent und in der Slowakei bei 23 Prozent). Auch bei den Umfrageergebnissen zum Antisemitismus zeigt Polen den höchsten Wert von über 30 Prozent. Dabei handelt es sich faktisch um das Phänomen eines "Antisemitismus ohne Juden", da lediglich 10.000 bis 15.000 Juden in Polen leben."

Somit zeigt sich insgesamt, dass sich Polen sowohl durch eine lang­same politische Konsolidierung als auch durch ein traditionell orientier­tes nationales Verständnis auszeichnet. Vor allem der letzte Faktor ist für eine integrative und auf Partizipation ausgelegte Minderheitenpolitik wenig förderlich.

48 Weiss, Reinprecht 1998, S. 83-87 und Sakson in Welttrends 2000, S. 62.

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11. Theoretisches und methodisches Instrumentarium

In diesem zweiten Kapitel sollen die allgemeinen theoretischen Prämis­sen vorgestellt werden, die dieser Analyse zugrunde liegen. Dabei wird zunächst eine Auswahl der zahlreichen möglichen theoretischen sozial­wissenschaftlichen Herangehensweisen an Systemwechselprozesse ge­troffen. Sodann werden auf der Basis der relevanten theoretischen Grundlagen konkrete Analyseleitfragen für die empirischen Forschungs­gegenstände der Minderheitenverbände und der staatlichen Institutionen entwickelt. Im zweiten Teil dieses Kapitels werden die methodischen Instrumentarien erläutert, mit denen der Forschungsprozess gestaltet wurde.

1. Theoretische Grundlagen

Diese Forschungsarbeit will einen Beitrag zur Transformations- und Konsolidierungsforschung leisten, indem am Beispiel des Transformati­onslandes Polen die Entwicklung eines spezifischen politischen und gesellschaftlichen Teilbereichs untersucht wird:

1. Die Entwicklung ethnischer Minderheiten als intermediäre Akteure in der Zivilgesellschaft sowie

2. die Transformation der minderheitenrelevanten politischen Instituti-onen der Republik Polen seit dem Systemwechsel.

Grundlegend ist die Prämisse, dass beide Teilbereiche der massiven Transformation des polnischen Systemwechsels und der Konsolidierung unterworfen waren und noch sind.

Ad 1) Für die Minderheiten, wie insgesamt für die polnische Gesell­schaft, bietet sich aufgrund der Demokratisierung nach 1989 die bislang verwehrte Möglichkeit, sich in Form von Interessengruppen, Verbänden oder Parteien zu organisieren und somit das Dahlsche Demokratiekrite­rium der Assoziationsfreiheit - eines der gemeinhin als Minimalkonfi-

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guration bezeichneten Elemente seines Demokratiekonzeptes - für sich in Anspruch zu nehmen.' Die Minderheitenorganisationen sind somit selbst erstmals Akteure, befinden sich jedoch gleichzeitig in einem e­benfalls neu entstandenen zivilgesellschaftlichen Umfeld und somit in einem doppelt unsicheren Kontext. Zwar haben sich in Polen bereits seit den 80er Jahren durch das Wirken der Gewerkschaft Solidarnos6 zivil­gesellschaftliche Ansätze entwickelt, doch handelt es sich dabei ledig­lich um erste Schritte hin zu einer Zivilgesellschaft. Die Minderheiten und ihre interessenorganisatorischen Aktivitäten werden in dieser Ana­lyse als eine unter vielen gesellschaftlichen Gruppen in Polen betrachtet (Jugendliche, Umweltschützer usw.), die die neuen zivilgesellschaftli­chen Möglichkeiten nutzen.

Ad 2) Die Demokratisierung des polnischen Regierungssystems be­inhaltet, dass die demokratischen Spielregeln auch im Bereich der Minderheitenpolitik angewendet werden. Diese ist im demokratischen Polen ein weitgehend neuer Politikbereich. Jedoch soll dieser Analyse nicht ein analytischer Fokus auf die policy-Dimension zugrunde liegen, denn dieser scheint angesichts der Herausbildung neuer staatlicher Strukturen zu kurz zu greifen. Sinnvoller erscheint es zu betrachten, wie veränderte oder neugebildete Institutionen den staatlichen Umgang mit Minderheiten prägen (Herausbildung der polity-Dimension), es sollen Institutionen als Rahmen politischer Prozesse betrachtet werden, die als solche ebenfalls die Politikinhalte (policy-Dimension) beeinflussen.2

Unter Anwendung von institutionentheoretischen Annahmen soll vor allem das minderheitenrelevante polity-building bzw. polity-changing oder vielmehr institution building und die institutionelle Konfiguration analysiert werden, die inhaltliche Dimension der Politik jedoch nicht aus dem Blick verloren werden.

Somit liegt auf der Hand, dass im Rahmen dieser Analyse keine spezifisch auf ethnische Minderheiten bezogenen Analysekonzepte zug­rundgelegt werden (wie beispielsweise solche aus der soziologischen ethnischen Konfliktforschung oder Ansätze der Ethnopolitik), sondern vielmehr allgemeine transformations bezogene Fragestellungen an Inte­ressengruppen und an politische Institutionen Anwendung finden.

Hier nach dem Abdruck in Merkei, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einflih­rung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999 (im Folgenden zitiert Merkel Systemtransformation 1999), S. 31.

2 Vgl. zum Verhältnis von Dimensionen des Politikbegriffs und Institutionen Göhler, Gerhard: Einleitung, in: Göhler, Gerhard (Hrsg): Grundfragen der Theorie politi­scher Institutionen: Forschungsstand - Probleme - Perspektiven, Opladen 1987 (im Folgenden zitiert Göhler, Einleitung 1987), S. 7-14, hier S. 8.

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1.1 Politische Transformation - Institutionensystem in der Demokratisie rung

Auch in den Auseinandersetzungen um die bestmögliche Eignung ver­schiedener sozialwissenschaftlicher Theorieansätze, die zur Erklärung der Transformation politischer Systeme herangezogen werden sollen, dreht sich die aktuelle Diskussion primär um die sozialwissenschaftli­chen Paradigmen System und Akteur, deren Leistungsfähigkeit hinter­fragt wird.' Stets wird jedoch auch auf die notwendige Koexistenz ver­schiedener theoretischer Ansätze verwiesen, ausgehend davon,

"dass bestimmte theoretische Konzepte zwar bestimmte Typen (z.B. Zusam­menbruch) und Phasen (Demokratisierung) ein und derselben Transformation erklären können, aber schon in der nächsten Transitionsetappe (demokratische Konsolidierung) oder bei einem abweichenden Transitionsmodus (Revolution) erheblich an Erklärungskraft einbüßen":

Systemtheoretischen Ansätzen wird in diesem Zusammenhang größere Leistungskraft bei der Erklärung von Zusammenbrüchen autoritärer Systeme zugesprochen. Aus einer Makroperspektive soll die Transfor­mation gesamter politischer Systeme erklärt werden.'

Bei Analysen, die zum einen weniger die Prämissen der Demokrati­sierung, sondern vielmehr den Verlauf der Transformationen erklären wollen und zum anderen eher einen "Mikrofokus" auf die handelnden Akteure haben, scheinen im Rahmen der Transformationsforschung in aller Regel akteurstheoretische Ansätze als geeigneter. Zumindest hat die Transformationsforschung mit Bezug auf Ostmittel- und Osteuropa zu einer breiteren Anwendung sowohl "deskriptiv-typologischer" als auch rational-choice-orientierter Ansätze geführt, denn "Akteurstheo­rien waren angesichts der Einmaligkeit der Prozesse in Osteuropa wie­der gefragt".- Diese erlauben es, konkrete Akteurskonstellationen in verschiedenen Phasen der Transformation herauszuarbeiten (klassi­scherweise werden hier die Phasen Liberalisierung, Demokratisierung und Konsolidierung unterschieden).7 So wird beispielsweise davon aus-

3 Vgl. etwa Beyme, Systemwechsel1994, S. 88. 4 Siehe Merkei, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es

einen Königsweg in der sozialwissenschaftlichen Transformationsforschung? , in: Merkei, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzeptionen der Transformationsforschung, Opladen 1994, S. 303-331, hier S. 304.

5 Vgl. Beyme, Systemwechsel 1994, S. 89. 6 Ebda., S. 88 f. (Zitat S. 89.) 7 Adam Przeworski gilt als einer der zentralen Vertreter dieser Strömung und hat die

oben genannte Phasenentwicklung akteurstheoretisch erklärt; vgl. Przeworski,

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gegangen, dass der Demokratisierungsverlauf weniger von objektiven Bedingungen als von subjektiven Bewertungen der strategisch entschei­denden Akteure abhängt.' Da, wie bereits erwähnt, die Ergründung der Voraussetzungen der Demokratisierung weniger eine Rolle spielt als die Beschreibung des Ablaufs der Demokratisierung, gelten einige Ausrich­tungen dieses Ansatzes als deskriptiv-typologische Herangehensweisen! Ein Erklärungspotenzial akteurstheoretischer Ansätze für die Transfor­mation Ostmittel- und Osteuropas scheint vor allem für die Frühphase der Systemwechsel gegeben, da sie spezifische, historisch seltene Situationen, in denen einzelne Akteure besonderen Einfluss nehmen können, zu erklären vermögen. 1O

1.1.1 Politische Institutionen

Die Entscheidung über den theoretischen Zugang zu den Systemwech­selprozessen hängt somit maßgeblich von dem jeweiligen Erkenntnisge­genstand ab, von der Frage, ob eine Mikro- oder Makroperspektive ge­wählt wird und welcher Moment der Transformation in den Blick ge­nommen wird. In dieser Analyse soll weder die Demokratisierung eines gesamten politisches Systems erklärt werden, noch sollen spezifische, akteurstheoretisch zu ergründende Transformationsmomente im Vorder­grund stehen, sondern vielmehr die Entwicklung der minderheitenrele­vanten politischen Institutionen des polnischen Regierungssystems in der Transformation und Konsolidierung. Für diese Analyse eines Teilbe­reichs des politischen Systems scheint ein institutionenorientierter Zugriff geeignet, mit dem die Entstehung, der Wandel sowie das Funkti­onieren von einzelnen Institutionen erklärt werden. Wolfgang Merkel bezeichnete institutionentheoretische Überlegungen für die Transforma­tionsforschung in diesem Sinne auch als eine von verschiedenen mögli­chen "Theoriebrücken " bzw. Verbindungskonzepten zwischen System-

Adam: Democracy and the market: Political and Economic Reforms in Eastern Europe and Latin America, Cambridge 1991, S. 51.

8 Siehe Kar!, Terry Lynn; Schmitter, Philippe C.: Modes of Transition in Latin Ame­rica, Southern and Eastern Europe, in: International Social Science Journal Nr. 128, (1991) S. 269-284, hier S. 271.

9 Nach von Beyme fallen in diese Kategorie vor allem Stepan, Huntington und Schmitter, anders als die rational-choice-orientierten Akteurstheoretiker Przeworski und Offe; siehe Beyme, Systemwechsel 1994, S. 88. Vgl. hierzu auch Bos, Ellen: Die Rolle von Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen, in: Merkei, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzeptionen der Transformationsforschung, Opladen 1994, S. 81-109, hier S. 82.

10 Merkei, Königsweg, S. 325.

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und Akteurstheorien. 11 Mithin können politische Institutionen als mis­sing link zwischen Mikro- und Makroebene, also als Mesoebene ver­standen werden. l2 Auch in allgemeinerer theoretischer Hinsicht (ohne Bezug auf die Transformationsprozesse) existieren ähnliche Hoffnun­gen, denn beispielsweise nach Gerhard Göhler "besteht gerade instituti­onentheoretisch die Aussicht, die Dichotomie von Handlungs- und Sys­temtheorie zu überwinden".l3

Die Entwicklung institutioneller Ansätze unterlag in den vergange­nen Jahrzehnten gewissen Konjunkturverläufen. Innerhalb der Politik­wissenschaft lässt sich nach einem längeren Zeitraum geringerer Beach­tung seit den 80er Jahren eine Renaissance institutionenorientierter Ansätze verzeichnen. 14 Der Impuls für diese, Wiederbelebung' ist nach von Beyme auf die Anwendbarkeit des institutionellen Ansatzes für die vergleichende Systemanalyse zurückzuführen, was zudem zu einer Erweiterung hin zu neoinstitutionalistischen Ansätzen geführt hat. ls Vor allem gab es einen Bruch mit der alten Institutionenlehre der ersten Nachkriegszeit, die sich auf "handfeste" politische Institutionen bezog und der ein "Odium der Konservativität" anhaftete. I. Vielmehr hat sich der institutionelle Ansatz weiterentwickelt (auch bei jenen, die sich nicht explizit zu' seiner "Neo"-Ausprägung bekennen). Er findet An­wendung in Analysen, in denen "statt formaler Regeln institutionelle Praktiken und statt Normen oder Funktionen individuelle Präferenzen im Zentrum stehen".17

11 Als Verbindungskonzepte könnten zudem struktur- und kulturtheoretische Überle­gungen fungieren; siehe Merkel Systemtransformation 1999, S. 107f.

12 Thibaut, Bernhard: Präsidentialismus und Demokratie in Lateinamerika. Argenti­nien, Brasilien, Chile und Uruguay im historischen Vergleich, Opladen 1996, S. 38-44.

13 Göhler, Gerhard: Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzep­tionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen, in: Göhler, Gerhard (Hrsg): Eigenart der Institutionen, Baden-Baden 1994, S. 19-46, hier S. 26. In Be­zug auf die Transformationsanalyse nahm dies auch Reißig auf: Reißig, Rolf: Trans­formation - Theoretisch-konzeptionelle Ansätze und Erklärungsversuche, in: Berli­ner Journal für Soziologie, Heft 3 (1994), S. 323-343, hier S. 335.

14 Göhler, Einleitung 1987, S. 5. 15 Beyme, Klaus von: Institutionentheorie in der neueren Politikwissenschaft, in:

Göhler, Gerhard (Hrsg): Grundfragen der Theorie politischer Institutionen: For­schungsstand - Probleme - Perspektiven, Opladen 1987 (im Folgenden zitiert Bey­me in Göhler 1987), S. 48-60, hier S. 52 und 58.

16 Beyme, Klaus von: Die politischen Theorien der Gegenwart. Eine Einführung, München, 5. Auflage 1984, S. 84.

17 Liebert, Ulrike: Modelle demokratischer Konsolidierung. Parlamente und organi­sierte Interessen in der Bundesrepublik Deutschland, Italien und Spanien (1948-1990), Opladen 1995 (im Folgenden zitiert Liebert, Ulrike 1995), S. 36.

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In den Sozialwissenschaften konkurrieren deswegen auch heute insge­samt verschiedene institutionen theoretische Zugänge, während es an einer einheitlichen Theorie mangelt. l8 Auf der Ebene der älteren Ansätze einer allgemeinen Institutionentheorie stehen verschiedene klassische Ansätze nebeneinander (Maurice Hauriou, Arnold Gehlen, Helmut Schelsky, Ta1cott Parsons), die vor allem auf die Erklärung sozialer Ins­titutionen abzielen und für Forschungsansätze zu politischen Institutio­nen Impulse liefern können. '9 Aus politikwissenschaftlicher Perspekti ve hat es in der Bundesrepublik vor allem unter Federführung Gerhard Göhlers Anstrengungen gegeben, Ansätze einer Institutionentheorie weiterzuentwickeln.20 Dabei soll auf einer analytischen Ebene der Frage nach der Bedeutung von Institutionen für die Politik nachgegangen wer­den und auf einer normativen Ebene sollen institutionelle Arrangements politischer Ordnungen zur Diskussion gestellt werden.2l Auch dem Phä­nomen des Wandels von Institutionen hat sich Göhler im Zuge der Sys­temtransformation Ostmittel- und Osteuropas gewidmet. 22

Jedoch sind viele theoretische Aussagen zu politischen Institutionen für die Analyse des vorliegenden empirischen Gegenstandes kaum ope­rationalisierbar. So drängt sich der Befund Waschkuhns auf, dass die "Defizite bei der ModelIierung politischer Institutionalisierungs- und Entinstitutionalisierungsprozesse" nur zum Teil in der noch fehlenden Empirie, jedoch ebenfalls "im hohen Abstraktionsgrad der institutio­nenthoeretischen Ansätze" begründet liegen. Es fehle etwa an Theorien mittlerer Reichweite. 23 So scheinen beispielsweise Göhlers Thesen zum Institutionenwandel als eine Veränderung der institutionellen Konfigu­ration in den Dimensionen Symbol- und Willensbeziehung hier nur schwer nutzbar." Abgesehen von den schon etwas älteren Überlegungen

18 Waschkuhn, Arno: Institutionentheoretische Ansätze, in Lexikon der Politik, Bd. 2, Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994, S. 188-195 (im Folgenden zi­tiert Waschkuhn Lexikon), hier S. 189.

19 Vgl. hierzu beispielsweise Waschkuhn, Arno: Politische Institutionen und allgemei­ne Institutionentheorie. Allgemeine Institutionentheorie als rahmen für die Theorie politischer Institutionen, in: Göhler, Gerhard (Hrsg): Grundfragen der Theorie poli­tischer Institutionen: Forschungsstand - Probleme - Perspektiven, Opladen 1987, S. 71-97.

20 Vgl. die zahlreichen Veröffentlichungen Gerhard Göhlers zu diesem Thema. 21 Göhler, Gerhard: Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzep­

tionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen, in: Göhler, Gerhard (Hrsg): Eigenart der Institutionen, Baden-Baden 1994, S. 19-46, hier S. 19.

22 Vgl. hierzu das von Göhler herausgegeben Leviathan-Sonderheft: Göhler, Gerhard (Hrsg): Institutionenwandel, Leviathan-Sonderheft, 16, (1997).

23 Waschkuhn Lexikon, S. 194. 24 Vgl. Göhler, Gerhard: Wie verändern sich Institutionen? Revolutionärer und schlei-

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zur Relevanz von Institutionen von Samuel Huntington (für den sich der Grad der Institutionalisierung eines gesamten Systems oder einzelner Institutionen anhand der vier Kategorien Anpassungsfähigkeit, Komple­xität, Autonomie und Kohärenz messen lässt)" wird deswegen im Fol­genden vor allem auf konkretere transformationsbezogene institutionelle Überlegungen rekurriert.

Im Weiteren soll nun zunächst ein kurzer Blick auf die politik­wissenschaftliche Verwendung transformationsbezogener institutioneller Ansätze geworfen werden, wie sie vor allem für die Prozesse Ostmittel­und Osteuropas Anwendung gefunden haben.

Sowohl bei der Betrachtung der Systemwechsel der dritten wie auch der vierten Welle der Demokratisierung wurden vielfach institutioneno­rientierte Herangehensweisen gewählt. Wird ein institutionentheoreti­scher politikwissenschaftlicher Fokus bei der Betrachtung der Trans­formationsstaaten Ostmittel- und Osteuropas zugrundegelegt, so finden sich zumeist Ansätze, die die Entscheidung für ein spezielles Regie­rungssystem im Auge haben (parlamentarisch, semi- oder präsidentiell), also eher auf die Art und Weise der Etablierung oder die Konfiguration eines bestimmten Regierungssystems ausgerichtet sind und ihre Vor­und Nachteile diskutieren.26

Zudem werden vielfach einzelne zentrale Institutionen (nicht selten komparativ) analysiert, die für die Konfiguration der Regierungssyste­me von maßgeblichem Interesse sind. Hier stehen vor allem Wahlsyste­me oder Parlaments- und Parteien systeme im Zentrum des Interesses. v

Bis heute finden sich jedoch selten speziellere Fragestellungen, wie etwa die Frage nach der Verwaltungstransformation28 oder Analysen zur

chender Institutionenwandel, in: ders. (Hrsg.): Institutionenwandel, Leviathan: Sonderheft (im Folgenden zitiert Göhler Institutionenwandel 1997), 16/1997, S. 21-56.

25 Vgl. Huntington, Samuel P.: Political Order in Changing Societies, New Ha­venlLondon 1968, S. 12-32.

26 Siehe hierzu auch die Position von Rüb, Friedbert W: Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen, in: Merkei, Wolfgang (Hrsg.): Sys­temwechsel I. Theorien, Ansätze und Konzeptionen der Transformationsforschung, Opladen 1994 (im Folgenden zitiert Rüb in SWI 1994), S. 111-137, hier S. 111. Zu den wesentlichen Autoren zählen beispielsweise Lijphart und Linz.

27 Beispielhaft zum Thema Wahlsysteme Nohlen, D.; Kasapovic, M.: Wahlsysteme und Systemwechsel in Osteuropa, Opladen 1996, zu Parlamenten Agh, Attila: The Emergence of East Central European Parliament: The first steps, Budapest 1994, zu Parteiensystemen Segert, Dieter; Stöss, R.; Niedermayer, O. (Hrsg.): Parteiensyste­me in Postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas, Opladen 1996.

28 Es ist beispielsweise auf Hellmut Wollmann zu verweisen, der die Wiedereinfüh­rung der kommunalen Selbstverwaltung in einigen Transformationsländern unter-

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(politischen) Neugestaltung militärischer Institutionen. Gleichermaßen mangelt es an politikwissenschaftlichen Untersuchungen zur Etablie­rung und Entwicklung minderheitenrelevanter Institutionen, eine For­schungslücke, die zumindest für das Land Polen mit dieser Untersu­chung gefüllt werden soll. Vor dem Hintergrund der Themenstellungen bisheriger Institutionenanalysen lässt sich diese Arbeit wohl auch als eine Analyse der "zweiten Generation" der Transformationsforschung betrachten, da speziellere Fragestellungen im Zentrum stehen.

Da jedoch nicht selten in Bezug auf die Transformation und Konso­lidierung Ostmittel- und Osteuropas auch das Stichwort der "Ethnopoli­tik" fällt, das den hiesigen Forschungsgegenstand sicherlich berührt, soll hier zunächst ein kurzer Blick auf dieses Konzept geworfen werden. Die Unterdrückung ethnischer cleavages in den kommunistischen Re­gimen,29 und die Tatsache, dass die sozialistischen Ideologien nach dem Systemwechsel häufig von nationalistischen Tendenzen abgelöst wur­den,30 hat ein grundsätzlich hohes Maß an ethnischem Konfliktpotential mit sich gebracht. Hieraus ergeben sich verschiedene Varianten ethni­scher Politik.

Interessante Überlegungen zum Konzept der Ethnopolitik finden sich bei Claus Offe. Er hat versucht, die für ethnische Politik förderli­chen Bedingungen zu skizzieren, wie sie vor allem durch Verteilungs­konflikte (zwischen ethnischen Gruppen) entstehen, die in den (auch ökonomischen) Unsicherheiten der Transformation ohnehin evident sind und zudem ethnische Differenzierung fördern. Die Relevanz ethnischer Komponenten erhöht sich jedoch auch durch rückwärtsgewandte Ro­mantisierung von nationaler Identität, was zum Nationalismus führen kann.3! Diese grundsätzlich interessante Überlegung scheint eher für multiethnische Staaten anwendbar, in denen die Konfliktlage eine ge­wisse Signifikanz aufweist (wie in den meisten Beispielländern auf die sich Offe bezieht, wie Russland, Bulgarien und Ex-Jugoslawien). Weil die ethnischen Konflikte innerhalb Polens jedoch nicht derartig evident

sucht hat, vgl. Wollmann, Hellrnut: Variationen institutioneller Transformation in sozialistischen Ländern: Die (Wieder-) Einführung der kommunalen Selbstverwal­tung in Ostdeutschland, Ungarn, Polen, und Rußland, in: Wollmann, Hellrnut, Wie­senthai, Helmut; Bönker, Frank (Hrsg.): Transformation sozialistischer Gesellschaf­ten, Leviathan-Sonderheft 15, Opladen 1995 (im Folgenden zitiert Wollmann 1995), S.554-596.

29 Offe, Claus: Ethnic Politics in East European transitions, ZERP-Diskussionspapier, 93,1; Papers on East European Constitution building, Bremen 1993 (im Folgenden zitiert Offe 1993), S. 16 f.

30 Vgl. Offe 1993, S. 18 31 Vgl. den gesamten Artikel Offe 1993.

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und dramatisch sind (obwohl auch hier relevante nationalistische Hal­tungen zu finden sind), und es zum anderen ein ethnisch relativ homo­genes Land ist, so dass beispielsweise bestimmte Vereilungsauseinan­dersetzungen gar nicht erst auftreten, scheinen diese konzeptionellen Überlegungen rür diesen empirischen Gegenstand nicht anwendbar. 32

Erwähnenswert sind zudem minderheiten bezogene Überlegungen, die sich aus einem institutionellem Blickwinkel in der Veröffentlichung von Elster/OffelPreuss u.a.: "Institutional Design in Post-communist Societies" finden. 33 Hier wird sich dieser Fragestellung unter dem As­pekt der Relevanz von ,identity-based cleavages' genähert (unter ihnen die ,ethnic cleavages') und diese anhand von vier Beispielländern über­prüft (Bulgarien, Slowakei, Tschechien, Ungarn). Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass in Ostmittel- und Osteuropa Klassenkonflikte - anders als in den Transformationen Lateinamerikas - gegenüber ideo­logie- oder identitätsorientierten Konfliktlinien geringere Bedeutung haben. Die Existenz solcher Cleavages wirke sich negativ auf die Kon­solidierung aus, da sie wenig für Kompromisse geeignet seien.34 Nimmt man Mehr- und Minderheit in den Blick, bedeutet dies auch: "Democra­cy ist good for ethnic mobilization, but not so vice versa".35

Linz und Stepan nähern sich den ethnischen Fragen in der Trans­formation in einem weiteren Sinne, indem sie die Variable der stateness als komplexes Beziehungsgeflecht zwischen Staat, Nation(en) und De­mokratisierung entwickeln. Jedoch dreht es sich auch hierbei vorrangig um eher "dramatischere" Fälle, in denen die territorialen Grenzen und die Frage, wer das Recht hat Bürger eines Staates zu sein, stark umstrit­ten sind.36 Für Staaten mit weitgehender ethnischer Homogenität - wie

32 Andere ethnopolitische Konzepte scheinen eher deskriptiv und sind daher analy­tisch wenig hilfreich, wie beispielsweise das von Janusz Bugajski, der fünf Formen von Ethnopolitk unterscheidet (kulturelle Wiederbelebung, politischer Autonomis­mus, territoriale Selbstbestimmung, Separatismus, Irredentismus), wobei politische Bestrebungen der Minderheit selbst und des Staates analytisch nicht getrennt wur­den; Bugajski, Janusz: Ethnic Politics in Eastern Europe. A Guide to Nationality Policies, Organizations, and Parties, Armonk NY 1994, S. XXIIf.

33 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Kap. 7 Consolidation and the cleavages of ideology and identity, in: Elster, Jon; Offe, Claus; Preuss, illrich K.: Institutional Design in Post-communist Societies. Rebuilding the Ship at Sea, Cambridge 1998 (im Folgenden zitiert Elster/Offe/Preuss 1998), S. 247-270.

34 Erweitert man diese Überlegung zu der allgemeinen These, die für Osteuropa viel­fach in Anspruch genommen wird, dass nämlich nationalistische Haltungen der Konsolidierung im Wege stehen, so kann dies sicherlich auch für Polen angenom­men werden.

35 Elster/Offe/Preuss 1998, S. 254, Hervorhebung im Original. 36 Linz, Juan Jose: Problems of democratic tranisition and consolidation: Southern

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etwa Polen -, in denen die Nation weitgehend mit dem Staat überein­stimmt, werden Streitigkeiten um das Nationsverständnis entsprechend als geringe Gefahr für die Demokratisierung gesehen. Demnach taucht auch die stateness-Variable im Kapitel über die polnische Konsolidie­rung nur als Verweis auf die Teilungsgeschichte Polens vom 18. bis 20. Jahrhundert auf." Weitergehende analytische Überlegungen zum Um­gang mit Minderheiten in Demokratisierungsprozessen finden sich le­diglich in Bezug auf multinationale Staaten. So wurde für Estland und Lettland eine Typologie der Staats-, Nations- und Demokratiebildung unterschieden.38

Nach diesem kleinen Exkurs über ethnopolitische Aspekte in Trans­formationssituationen sollen im Folgenden jene Analyseaspekte erarbei­tet werden, die für die vorliegende Institutionenanalyse Anwendung fin­den und die - wie oben bereits angedeutet - allgemeinen transformati­onsbezogenen institutionellen Überlegungen entnommen werden sollen.

Für eine erste Definition von Institutionen ist ein Vorschlag Gerhard Göhlers hilfreich, der im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms zur "Theorie politischer Institutionen" entstanden ist. Hierbei werden politi­sche Institutionen in den Kontext sozialer Institutionen gestellt. Soziale Institutionen werden verstanden als "relativ auf Dauer gestellte, durch Internalisierung verfestigte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit regu­lierender und orientierender Funktion". Politische Institutionen werden als Sonderfall sozialer Institutionen gewertet und sind nach Göhler "Re­gelsysteme der Herstellung und Durchführung verbindlicher, gesamtge­sellschaftlich relevanter Entscheidungen und Instanzen der symboli­schen Darstellung von Orientierungsleistungen einer Gesellschaft". 39 In früheren Versionen dieser Definitionen kommt ein Verweis auf die Symbol-Bedeutung von Institutionen noch nicht vor. Für den vorliegen­den Forschungsgegenstand sollen deswegen politische Institutionen gemäß einer früheren Definitions-Version schlicht als Regelsysteme der

Europe, South America, and post-communist Europe, Baltimore/London 1996 (im Folgenden zitiert LinzlStepan), S. 16.

37 Ebda., S. 25 und S. 258 f. 38 Es wurde zwischen Ausweisung bzw. Ermutigung zur Emigration (Typ 1), Isolie­

rung vom politischen Prozess bei Garantie ziviler Freiheiten (Typ 2), Assimilie­rungsstrategien (Typ 3) und Gewährung von Minderheitenrechten (Typ 4) unter­schieden. Allen liegen verschiedene Nationsbildungsideologien zugrunde, Linz/Stepan S. 428-431.

39 Aus Göhler Institutionenwandel 1997, S. 28 f. Beide Definitionen veränderten sich im Gegensatz zu frühren Fassungen leicht.

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Herstellung und Durchführung verbindlicher, gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen verstanden werden.40

Diese Begriffsbestimmung soll konkretisiert werden anhand einer weiteren älteren Definition Göhlers, die Institutionen im engeren Sinne identifiziert als "den Staat mit Regierung (Staatsoberhaupt, Kabinett, Ministerien), Parlament, Verwaltung, Gerichten, föderativen und kom­munalen Einrichtungen H. Im weiteren Sinne sind sie "gesellschaftliche Organisationen (Parteien, Verbände, Massenmedien) sowie verbindli­che, insbesondere rechtlich normierte gesellschaftliche Verhaltensmus­ter (Verfassung, Gesetze, Wahlen, Mehrheitsprinzip usw. H). 41

Obwohl sich Göhler später von dieser Definition distanziert hat und sie als "Behelf' bezeichnete:' scheint diese - wenn auch deskriptive -vielfach verwendete Definition dennoch hilfreich, um den konkreten Forschungsgegenstand festzulegen.

Für die vorliegende Fragestellung bedeutet ein Vorgehen nach dieser Definition, dass vor allem engere politische Institutionen Gegenstand der Analyse sind, denn gesellschaftliche Organisationen können nicht als Institutionen berücksichtigt werden. Weil jedoch - was vielleicht ein Widerspruch in Göhlers Definition darstellt - gerade die Verfassung die Form des Regierungssystems festlegt, hat Friedbert Rüb in seiner trans­formationsbezogenen Interpretation der Göhlerschen Definition die Verfassung, sowie des weiteren die Grundrechte und die Wahlgesetze, zum engeren Kreis politischer Institutionen hinzugezählt (so dass vor allem gesellschaftliche Organisationen und Parteien unter einen weite­ren Institutionenbegriff fallen). Diesem Vorschlag Rübs soll hier gefolgt werden; gleichwohl ergänzt durch die Berücksichtigung gesetzlicher Grundlagen des Minderheitenschutzes.

Demnach gelten als zu untersuchende politische Institutionen in die­ser Forschungsarbeit prinzipiell die Grundzüge des Regierungssystems (Staatsoberhaupt, Kabinett, Ministerien, Parlament), Verwaltung, regi­onale und kommunale Einrichtungen sowie die Verfassung und minder­heitenrelevante Einzelgesetze. 43

40 Göhler, Gerhard: Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzep­tionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen, in: Göhler, Gerhard (Hrsg): Eigenart der Institutionen, Baden-Baden 1994, S. 19-46 (im Folgenden zi­tiert Göhler 1994), hier S. 22.

41 Göhler, Gerhard: Institutionenlehre und Institutionentheorie in der deutschen Poli­tikwissenschaft, in: Ders. (Hrsg): Grundfragen der Theorie politischer Institutionen: Forschungsstand - Probleme - Perspektiven, Opladen 1987, S. 15-47, hier S. 18.

42 Göh1er 1994, S. 21. 43 Im Unterschied zu Rüb wurden zudem die Gerichte weggelassen, die in diese Studie

nicht mit einbezogen wurden, sowie die .. föderative Ebene", die in Polen nicht

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Als politische Institutionen in Polen, die es unter minderheiten orientier­tem Blickwinkel zu erforschen gilt, ergibt sich somit zunächst der Mi­nisterrat," das Handeln der relevanten Ministerien (Kultur-, Innen-, Bildungsministerium) sowie weiterer zentraler Behörden (Ombudsmann für Menschenrechte), das Parlament (wobei nicht das gesamte parla­mentarische Handeln seit 1989 untersucht werden soll, sondern viel­mehr die ständige Kommission für nationale und ethnische Minderhei­ten des Sejm) und relevante Aspekte regionaler und lokaler Administra­tion. Überdies werden die rechtlich normierten Verhaltensmuster, also die Verfassung und die allgemeinen Gesetze betrachtet. Untersucht wer­den im Folgenden also formelle politische Institutionen, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen, in solche "mit" und solche "ohne" Akteure. Letztere stellen die Normsysteme dar, deren Geltung für die Adressaten nicht vom Handeln bestimmter Akteure abhängt, erstere hingegen schon.'s Nicht in die institutionelle Betrachtung mit einbezogen werden gesellschaftliche Organisationen der polnischen "Mehrheitsbevölke­rung", also Parteien, Verbände, Massenmedien oder Kirchen.

1.1.2 Institutionenverhalten in Transformation und Konsolidierung

Im Folgenden soll erläutert werden, auf welche Weise in dieser For­schungsarbeit eine Institutionen-Analyse vorgenommen werden soll. Hierbei stellt sich das Problem, dass die relevanten Institutionen ausge­sprochen heterogen sind. Dennoch wird ein analytisches Grundgerüst entwickelt, auf dem die Institutionenanalyse sämtlicher Institutionen basieren wird. Bei der Analyse der minderheiten bezogenen rechtlichen Regelungen sollen vor allem die Entstehung (institution building) und die Umsetzung untersucht werden. Bei den anderen Institutionen finden sich solche, die ausschließlich Minderheiten gewidmet sind, sowie all­gemeine Institutionen, bei denen lediglich das minderheitenrelevante Handeln untersucht werden kann. Hier sollen drei verschiedene Analy­sebereiche unterschieden werden: Ihre Entstehung, ihre institutionelle Konfiguration sowie in einem dritten Schritt das gesamte minder­heitenrelevante institutionelle Set im politischen System Polens.

existiert, Rüb in SWI 1994, S. 116. 44 Der Staatspräsident als zweiter Teil der polnischen "doppelten Exekutive" Polens

findet keine Berücksichtigung. 45 Diese Unterscheidung Göhlers folgt der Überlegung Haurious, der in "institutions­

personnes" und "institutions-choses" unterteilt. Göhler 1994, S. 23.

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Institutionen-Entstehung Die Einschätzungen der Instituionenentstehung bzw. Umwandlung in Ostmittel- und Osteuropa variieren in der Literatur. So gehen etwa Els­ter/OffelPreuss davon aus, dass nach dem Systemwechsel in Ostmittel­und Osteuropa in institutioneller Hinsicht eine tabula-rasa-Situation erkennbar und somit "the poor institution al legacy of the old regime" charakteristisch sei.46 Hingegen unterscheidet Friedbert Rüb vier ver­schiedene mögliche Strategien des Institutionenaufbaus in der Demokra­tisierung, die sich auch auf Vorläuferinstitutionen beziehen. Neben der Anwendung demokratischer Prinzipien auf bereits bestehende Institutio­nen (beispielsweise Parlamente) findet sich die Ausdehnung von Institu­tionen auf Personen und Gruppen, die zuvor nicht von der Staatsbürger­rolle erfasst worden sind (worunter Rüb auch die ethnischen Minderhei­ten subsumiert). Weitere Strategien sind die der Erweiterung von demo­kratischen Institutionen auf bisher anders kontrollierte Bereiche wie beispielsweise das Militär und schließlich die der Neugründung von Institutionen:7 Die Strategien der Erweiterung und der Ausdehnung erscheinen jedoch wenig nachvollziehbar, denn letztlich agierten die Institutionen vor ,dem Systemwechsel insgesamt gemäß der Logik eines undemokratischen bzw. autoritären Regimes und nicht nur in bestimm­ten Bereichen bzw. gegenüber bestimmten Bürgergruppen. Zwar wur­den, um auf den hier behandelten Forschungsgegenstand zurückzukom­men, die Minderheiten in der Volksrepublik wesentlich stärker einge­engt als die polnische Mehrheitsbevölkerung, den polnischen Bürgern insgesamt jedoch das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Vereini­gungsfreiheit gleichermaßen verwehrt.

Somit verbleiben aus der Rübschen Position zwei relevante Strate­gien, die der Anwendung demokratischer Prinzipien und die der Neu­gründung von Institutionen. Dies führt unmittelbar zur Position Klaus von Beymes, der lediglich Wandlung und Neugründung von Institutio­nen im Systemwechsel unterscheidet. Anders als Elster/Offe/Preuss geht von Beyme nicht von einem Institutionenvakuum aus, sondern von der Erbschaft eines hochkomplexen Institutionengefüges.48 Dabei unter­scheidet er zwischen Institutionen, die den Systemwechsel im Prinzip überlebten, solchen, die nicht überlebten und schließlich jenen, die erst

46 Elster/Offe/Preuss 1998, S. 18. 47 Rüb in SW 1 1994, S. 115. An anderer Stelle unterscheidet er fünf Modi der Entste­

hung von Institutionen, die er jedoch nicht mit den Strategien in Verbindung bringt. Diese Modi (Pakt, Kompromiss, Konkurrenz, Kapitulation, Sezession) beziehen sich jedoch auf gesamtsystemische Entscheidungen der ersten Stunde, S. 119 f.

48 Beyme, Systemwechsel 1994, S. 229.

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im Systemwechsel entstanden. Unter den fortexistierenden Institutionen fanden sich jedoch im Moment des Systemwechsels zunächst viele tote Formen (Parlamente Justiz USW.):9 die erst nach dem System wechsel "wiederbelebt" wurden.

Hellmut Wollmann legt zur Erklärung institutioneller Trans­formationsprozesse (am Beispiel der kommunalen Selbstverwaltung einiger ostmittel- und osteuropäischer Länder) einen stark historischen Schwerpunkt und zieht maßgeblich Faktoren der jeweiligen Institutio­nengeschichte der vorkommunistischen, kommunistischen und spät­kommunistischen Periode heran (was er als "endogene Pfadabhän­gigkeit" bezeichnet). Zudem legt er ein Augenmerk auf die machtpoliti­sche Konstellation in der Gründungsphase der Institutionen.5o Sowohl die Ermittlung der historischen Dimension als auch vor allem die Be­rücksichtigung der Machtkonstellation scheinen hilfreiche Hinweisgeber für die Zusammenhänge der Institutionenentstehung zu sein. Auch Offe bezieht in eine 1994 erschienene Skizze zum Institutional Design in Osteuropa historische Vorläufersituationen mit ein. Er sieht zwei Vor­aussetzungen für die Neugründung von Institutionen: Die Diskredi­tierung der alten Institutionen sowie das Vorhandensein von Modellen für einen Neuentwurf. Diese sind zumeist importiert oder aus der Ge­schichte genommen (was er jedoch als "imaginary transplantation of institutions across time and space" bewertet, da ein tatsächliche Über­tragung meist nicht stattfindet). Wo sie gänzlich neu geschaffen wurden, leugnen ihre Designer nicht selten ihre Autorenschaft zugunsten der als legitim angesehenen Importe oder historischen Vorbilder."

Diese hier vorgestellten Überlegungen zur Institutionengenese fo­kussieren (abgesehen von Wollmann) eher die "großen Würfe" des insti­tution building, also die Entstehung von Verfassungen, Wahlsystemen usw. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wird es nur sinnvoll sein, die Genese von spezielleren "kleineren" Institutionen zu erläutern, die letzt­lich ganz den Minderheiten gewidmet sind, wie etwa die Parlaments­kommission oder auch die entsprechenden Abteilungen für Minderhei­ten in den Ministerien. Alle anderen für Minderheiten relevanten Institu­tionen sollen hingegen nicht genetisch erklärt werden, sondern lediglich

49 Ebda. S. 230 f. 50 Wollmann 1995, S. 556. Für Polen sieht er hier die Institutionalisierungslogik des

dilatorischen Kompromisses als relevant für die kommunale Selbstverwaltung an, S.574.

51 Offe, Claus: Designing Institutions for East European transitions, Institut für Höhe­re Studien, Reihe Politikwissenschaft Nr. 19, Wien 1994 (im Folgenden zitiert Offe Designing Institutions 1994), S. 8 f.

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auf ihr minderheitenrelevantes Institutionenhandeln hin überprüft wer­den.

Im Rahmen der Betrachtung der Institutionenentstehung bzw. der Umwandlung jener Institutionen im polnischen politischen System, die ausschließlich für Minderheiten zuständig sind, sollen deswegen fol­gende Analyseleitfragen zugrundegelegt werden:

1. Wie und wann verlief die Genese der Institutionen und welche mög­lichen Vorläuferinstitutionen gab es?

2. Welcher politischen Machtkonstellation unterlag der Gründungs­prozess der Institution, existierten erkennbare Vorbilder?

Institutionen-Konfiguration und Institutionen-Set Im Folgenden sollen die zentralen Analysepunkte der Institutionen­Konfiguration erarbeitet werden sowie auf die analytische Abschluss­frage des Institutionellen Set eingegangen werden. Unter dem Stichwort der Institutionen-Konfiguration" wird versucht, den Charakter der ein­zelnen Institutionen herauszuarbeiten. Dies soll in zwei Schritten ge­schehen. In einem ersten Schritt wird die Gestalt der jeweiligen Institu­tion dargelegt. In einem zweiten Schritt soll versucht werden, ein Legi­timitäts- und Effektivitätsprofil der Institution herauszuarbeiten.

Zur Ermittlung der Gestalt einer Institution sollen fünf Elemente untersucht werden: Die formale Struktur der Institution (Aufbau, forma­le Kompetenzen, Position innerhalb des Institutionensystems), die Funktionsweise (faktische Kompetenzen), ihre Akteurskonstellation, ihre Selbstpräsentation sowie ihre Interaktion mit ihren Adressaten und anderen Institutionen.53 Diese eher empirisch-deskriptive Vorgehenswei­se erscheint notwendig, um ein Profil der minderheitenrelevanten politi­schen Institutionen deutlich werden zu lassen.

Die Kategorien der Legitimität und Effektivität gelten vielfach als zentrale institutionelle Faktoren, und es finden sich in der Literatur verschiedene Charakterisierungen dieser dualen Merkmalspaare von

52 Die Bezeichnung Institutionen-Konfiguration bzw. institutionelle Konfiguration wird vielfach verwendet, vgl. beispielsweise Rüb in SW I 1994, S. 119. Bei Göhler hat dieser Begriff eine eigene institutionentheoretische Bedeutung, die hier nicht gemeint ist, vgl. Göhler, Gerhard: Zusammenfassung und Folgerungen: die institu­tionelle Konfiguration, in: ders.: Institutionen - Macht - Repräsentation: wofür po­litische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden 1997, S.579-598, hier S. 580.

53 Diese Auswahl ist angelehnt an ein sogenanntes Set von Bestimmungsfaktoren, das Gerhard Göhler als institutionelle Konfiguration bezeichnet hat. Es ist jedoch leicht abgewandelt, und der Faktor der Symbole, die eine Institution verwendet, ist weg­gelassen worden. Siehe Göhler, Institutionenwandel 1997. S. 24 f.

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Institutionen.54 Legitimität und Effektivität werden für die vorliegende Analyse als Operationsmodi von Institutionen verstanden, die beide zum institutionellen Funktionieren notwendig sind." Mit Lipset kann Le­gitimität folgendermaßen definiert werden: "Legitimacy involves the capacity of the system to engender and maintain the belief that the ex­isting political institutions are the most appropriate ones for the soci­ety. "56 Zum einen halten die Beteiligten das institutionelle Gefüge für geeignet und normativ wünschenswert, zum anderen halten sie sich bei der Durchsetzung ihrer Interessen an die entsprechenden Regeln.57 Dem­nach kann Legitimität in diesem Sinne auch als subjektive Legitimität verstanden werden.58 Indem sich jedoch - vor allem in dieser Analyse -die an einer Institution Beteiligten in zwei Gruppen trennen lassen, die Akteure auf der einen und die Adressaten des Institutionhandelns auf der anderen Seite, erscheint es naheliegend, zwei Varianten subjektiver Legitimität zu unterscheiden: die Akteurslegitimität und die Adressaten­legitimität; eine analytische Trennung, die in Bezug auf die Adressaten­legitimität auch eine input-Dimension eröffnet. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Akteurslegitimität im Rahmen dieser Studie nur selten messbar sein wird. Somit können in erster Linie Erkenntnisse von der Adressatenlegitimität erwartet werden, also den Auffassungen, die seitens der Minderheiten gegenüber den politischen Institutionen artiku­liert werden. Zudem soll jedoch nach der Dimension der formalen Legi­timität gefragt werden. Hierunter soll die formale Einbindung der min­derheitenrelevanten Institutionen in das Institutionensystem verstanden werden. So kann beispielsweise danach gefragt werden, ob minderhei­tenrelevante rechtliche Regelungen per Gesetz oder per Regierungser­lass legitimiert sind.59

54 Vgl. hierzu Offe Designing Institutions 1994, S. 2 55 Dies verstanden im Sinne der institutionellen Kategorien Lipsets, in: Lipset, Sey­

mour Martin: Political Man. The Social Bases of Politics, New York 1963, S. 64-70 (im Folgenden zitiert Lipset, Political Man 1963).

56 Ebda., S. 64. 57 Rüb in SW 1 1994, S. 117. 58 Ähnlich betont Lipset den subjektiven Charakter von Legitimität, indem er diese als

"evaluativ" ansieht. Lipset, Political Man 1963, S. 64. 59 Vgl. zum Begriff der formalen Legitimität beispielsweise Wolfgang Merkei, der in

Anlehnugn an Jon Elster im Zuge der Bewertung von Verfassungsgebungsprozessen Legitimität von oben, von unten sowie interne Verfahrenslegitimität unterschieden hat. Merkei, Wolfgang: Theorien der Transformation: Die demokratische Konsoli­dierung postautoritärer Gesellschaften, in: Beyme, Klaus von; Offe, Claus (Hrsg.):

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Politische Theorien in der Ära der Transformation, in: PVS Sonderheft 26/1995 (im Folgenden zitiert Merkel in Beyme/Offe 1995), S. 30-58, hier S. 41 f.

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Effektivität wird primär output-orientiert verstanden. Diese ist zum ei­nen erkennbar, wenn Institutionen in der Lage sind, Entscheidungen in angemessenen Zeiträumen (oder etwas zugespitzter: "zügig")'" zu tref­fen. Zum zweiten, wenn diese Entscheidungen "auch tatsächlich und wirkungsvoll implementiert werden". 61 Dieser letzte Faktor kann jedoch nur auf Institutionen zutreffen, in deren Kompetenz auch die Implemen­tation ihrer Entscheidung liegt. So kann die Parlamentskommission für Minderheitenfragen zwar Gesetzesvorlagen entwickeln, jedoch nicht den Gesetzgebungsprozess steuern. Drittens misst sich die Effektivität einer Institution. daran, ob sie in der Lage ist, einen sichtbaren Beitrag zur Problemlösung in ihrem Handlungsbereich zu leisten.

Den Abschluss der Institutionen-Analyse bildet die Skizzierung ei­nes gesamten minderheitenrelevanten Institutionen-Set in Polen. Hierbei stellt sich zum einen die Frage, ob das Set "appropriate" erscheint. 62

Also ob die Institutionen en gros angemessen sind und rollengemäß handeln. Zum Zweiten muss erläutert werden, welche Kooperationen und Konflikte zwischen den Institutionen charakteristisch sind. Hierbei lässt sich auch die Frage stellen, ob ein" institutional garantismo" nach Di Palma vorliegt, indem die Institutionen von keiner politischen Kraft dominiert werden, und nicht eine politische Institution das outcome des gesamten minderheiten bezogenen Institutionengefüges maßgeblich be­einflusst. 6' Zum Dritten muss beantwortet werden, ob das minderheiten­relevante Institutionensystem bereits als konsolidiert angesehen werden kann oder weitere institutionelle Transformationsschritte zu erwarten sind. In diesem spezifischen institutionenbezogenen Kontext wird Kon­solidierung als Zustand verstanden, in dem die einzelnen Institutionen nicht bestandsgefährdet sind, erwartbare neue entstehende Institutionen das bisherige Gefüge nicht nachhaltig erschüttern können und die ein­zelnen Akteure sich an die institutionellen Regeln halten."

60 Wolfgang Merkel bezeichnet dies als institutionelle Effizienz im Rahmen empiri­scher Institutionenlegitimität, siehe Merke!, Wolfgang: Theorien der Transformati­on: Die demokratische Konsolidierung postautoritärer Gesellschaften, in: Beyme, Klaus von; Offe, Claus (Hrsg.): Politische Theorien in der Ära der Transformation, in: PVS Sonderheft 26/1995, S. 30-58, hier S. 45.

61 Rüb in SW 1 1994, S. 117. 62 Siehe March, James G.; Olsen, Johan P.: Rediscovering Institutions. The Organiza­

tional Basis of Politics, New York 1989, S. 160 f. 63 These Di Palmas hier nach Rüb, Friedbert W.: Zur Funktion und Bedeutung politi­

scher Institutionen in Systemwechselprozessen. Eine vergleichende Betrachtung, in: Merkei, Wolfgang; Sandschneider, Eberhard; Segert, Dieter (Hrsg.): Systemwechsel 2. Die Institutionalisierung der Demokratie, Opladen 1996, S. 37-72, S. 55.

64 Dieser Aspekt spielt eigentlich auch sehr in dem Bereich des "institutional garan­tismo" hinein, siehe die Interpretation von Rüb, ebda.

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Die einzelnen Institutionen sollen anhand folgender Leitfragen analy­siert werden:

Institution building 1. Wie und wann verlief das Institution building und welche möglichen

Vorläuferinstitutionen gab es? 2. Welcher politischen Machtkonstellation unterlag der Gründungspro­

zess der Institution und welche möglichen externen Einflussfaktoren existierten?

Institutionelle Konfiguration 3. Welche institutionelle Gestalt hat sich entwickelt (Struktur, Position

innerhalb des Institutionensystems, Arbeitsweise, Akteurskonstella­tion, Selbstpräsentation, Interaktion mit Adressaten und mit anderen Institutionen)?

4. Welche formale und welche subjektive Legitimität (bei Akteuren und Adressaten) ist erkennbar?

5. Welcher ,,Entscheidungsoutput", welche Implementationsleistung und welche Problemlösungskapazitäten lassen sich beobachten (Ef­fektivität)?

Das gesamte minderheitenrelevante Institutionensystem soll anhand folgender Fragen charakterisiert werden:

Institutionelles Set 1. Können die Institutionen als angemessen für Schutz und Förderung

der Minderheiten gelten? 2. Welche Kooperationen und Konflikte sind charakteristisch? 3. Kann das minderheitenrelevante Institutionensystem als konsolidiert

angesehen werden?

1.2 Gesellschaftliche Transformation - Interessengruppen in der Zivilgesellschaft

1.2.1 Zivilgesellschaft und Transformation

Bei der Analyse von Systemwechselprozessen muss notwendigerweise auch die gesellschaftliche Entwicklung einbezogen werden. Dem Auf­bau der Zivilgesellschaft wird in diesem Zusammenhang prinzipielle Bedeutung für Transformationsprozesse zugeschrieben. 6S In den politi-

65 VgJ. Lauth, Hans-Joachim; MerkeI, Wolfgang: Einleitung, S.I-14, hier S. I,

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sehen und wissenschaftlichen Debatten nach 1989 erfuhr das Konzept der Zivilgesellschaft wieder verstärktes Interesse. Zugleich kam es in der wissenschaftlichen Rezeption der "dritten Welle" und "vierten Wel­le" der Demokratisierung zu einer Renaissance dieses Konzeptes, um sowohl Demokratisierungspotenziale wie -verläufe zu erklären. Für Südamerika und Südeuropa wurde das Erstarken von Zivilgesellschaft als Zeichen für die Krise der autoritären Systeme gewertet. Ähnliches galt für die Länder Osteuropas, in ihnen existierte ein zivilgesellschaft­liches Selbstverständnis lange vor dem Wandel von 1989, welches durch oppositionelle intellektuelle Eliten getragen und gegen die kommunisti­schen Machthaber gerichtet war. 66 Gerade Polen war durch die Rolle der Solidarnosc ein prominentes Beispiel für diese Entwicklung:7

Dennoch wird den postkommunistischen Gesellschaften als Folge der jahrzehntelangen autoritären Herrschaft, während der alle Bereiche des Gemeinwesens unter staatliche Kontrolle gebracht wurden," insge­samt zivilgesellschaftliche Schwäche zugesprochen. Das heißt, dass es -dem Wortsinne nach: civilis = öffentlich oder auch bürgerlich - eine nur gering ausgebildete öffentliche Sphäre der Gesellschaft gegeben hat. Der intermediäre Bereich zwischen dem einzelnen Bürger und dem Staat war geprägt durch eine nur gering strukturierte Interessenrepräsen­tation, die zudem durch systemstabilisierende Zwangsorganisationen (als Gliederungen der kommunistischen Einheitsparteien) und das Ver­bot unabhängiger Organisationen geprägt war.69 Vor allem in der Phase der Demokratisierung kam es dann zu einem Machtvakuum, in dem ein

in: dies. (Hrsg.): Zivilgesellschaft im Transformationsprozeß. Länderstudien zu Mittelost- und Südeuropa, Asien, Afrika, Lateinamerika und Nahost, Mainz 1997 (im Folgenden zitiert Lauth/Merkel: Einleitung 1997), siehe ebenso Diamond, Lar­ry: Toward Democratic Consolidation, in: Journal of Democracy, Vol. 5, no.3, S. 4-17, hier S. 4. Er spricht von einer "resurrection of civil society", was einen Stimu­lus für Demokratisierungsprozesse darstelle.

66 Kraus, Peter A.: Assoziationen und Interessenrepräsentation in neuen Demokratien, in: Merkei, Wolfgang; Sandschneider Eberhard: Systemwechsel 4, Die Rolle von Verbänden im Transformationsprozeß, Opladen 1999 (im Folgenden zitiert Kraus in SW 4 1999), S. 23-43, hier S. 24.

67 Vgl. Veser, Reinhard: Zivilgesellschaft im polnischen Transformationsprozeß: Die Rolle der Solidarnosc, in: Lauth, Hans-Joachim; Merkei, Wolfgang (Hrsg.): Zivil­gesellschaft im Transformationsprozeß. Länderstudien zu Mittelost- und Südeuropa, Asien, Afrika, Lateinamerika und Nahost, Mainz 1997, S. 248-271, hier S. 248.

68 Michalski, Krzysztof: Vorwort, in: ders. (Hrsg.): Europa und die Civil Society, Stuttgart 1991, S. 7-10, hier S. 8.

69 Siehe Widmaier, Ulrich; Gawrich, Andrea; Becker, Ute: Regierungssysteme Zentral­und Osteuropas. Ein einführendes Lehrbuch, Opladen 1999, S.42 sowie S. 51 (im Folgenden zitiert Widmaier/GawrichlBecker 1999).

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breiter Handlungskorridor auch für noch schwache Zivilgesellschaften bestand.'o

Im analytischen Konsolidierungsmodell, das Wolfgang Merkel (ba­sierend auf Linz/Stepan) vorgelegt hat, stellt die hier angesprochene gesellschaftliche Transformation einer zumeist schwachen Zivilgesell­schaft zu einer Gesellschaft mit intermediären Strukturen die mittlere Konsolidierungsebene (zwischen der Makroebene konstitutioneller Strukturen und der Mikroebene des zivilgesellschaftlichen Bürgerbe­wußtseins gelegen), die Mesoebene dar. Diese sogenannte repräsentati­ve Konsolidierung zeichnet sich durch die Herausbildung von Parteien­systemen und durch die Entwicklung organisierter Interessen aus. 71 Or­ganisierte Interessen bzw. Verbände stellen dabei "den sogenannten intermediären Raum zwischen der Lebenswelt des einzelnen ... einer­seits und den Institutionen des politischen und ökonomischen Systems wie Verwaltungseinheiten ... andererseits" 72 dar.

Grundsätzlich wirft die Verwendung des Konzeptes der Zivilgesell­schaft prinzipielle Fragen auf. Wenngleich hier kein weiterer Beitrag zur derzeitigen theoretischen Debatte um dieses Konzept" entwickelt werden soll, so sollen doch einige zentrale Argumente skizziert werden. Seit der seit Ende der 80er Jahre anhaltenden Konjunktur des Zivilge­sellschafts-Konzepts sind zahlreiche Arbeiten vorgelegt worden, in de­nen zunächst dieser Ansatz durch osteuropäische Intellektuelle als Kon­zept gegen den kommunistischen und totalitären Staat seit Anfang der 80er Jahre verwendet wurde. Nach 1989 wurde das Konzept der Zivil­gesellschaft auch in westeuropäischen Debatten erneut aufgegriffen. Der Begriff tauchte (wie es Krzysztof Michalski 1991 anschaulich be­schrieb) "auf im Kampf um die Freiheit, der in den Gesellschaften der

70 Vgl. hierzu die idealtypische Einordnung von Zivilgesellschaften in den Phasenver­lauf von Systemwechseln bei Merkel, Wolfgang; Lauth, Hans-Joachim: System­wechsel und Zivilgesellschaft: Welche Zivilgesellschaft braucht die Demokratie?, in: APuZ B 6-7/1998, S. 3-12, hier S. 8 (im Folgenden zitiert Merkel!Lauth, APuZ 1998).

71 Merkei, Wolfgang: Theorien der Transformation: Die demokratische Konsolidierung postautoritärer Gesellschaften, in: Beyme, Klaus von; Offe, Claus (Hrsg.): Politi­sche Theorien in der Ära der Transformation, in: PVS Sonderheft 26/1995, S. 30-58, hier S. 39,46 und 49 (im Folgenden zitiert Merkei, in Beyme 1995).

72 Schmid, J osef: Verbände: Interessenvermittlung und Interessenorganisationen. Lehr­und Arbeitsbuch, München 1998 (im Folgenden zitiert Schmid, Verbände, 1998), S. 16.

73 Aufgrund der starken Ausdifferenzierung des zivilgesellschaftlichen Ansatzes lässt sich eigentlich nicht von dem Konzept der Zivilgesellschaft sprechen, hingegen ist damit eine Vielzahl von Konzepten impliziert. Siehe auch LauthlMerkel: Einleitung 1997, S. 1.

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sterbenden kommunistischen Imperien geführt wird - und ebenso im Kampf der westlichen Gesellschaften um mehr Selbstbestimmung. Er wird wieder zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analysen - und zum Namen für Träume. "74 Dabei wurde der in Ostmittel- und Osteuropa verwendete Ansatz jedoch - wie es Arpad Sölter zeigte - unvermittelt im Westen und für die westlichen Demokratien übernommen.'s Dies führte zum einen dazu, dass - so Sölters Kritik - dieses Konzept unge­achtet des spezifisch osteuropäischen Zusammenhangs in den westli­chen Kontext übertragen wurde. So wurde zugleich die Intention osteu­ropäischer Intellektueller, die Idee der Zivilgesellschaft als "Anti­Politik" gegen den totalitären sozialistischen Staat zu verstehen, in den 80er Jahren im Westen beibehalten.'· Zum anderen wurde versäumt, dieses Konzept auch für die Transformationsforschung fruchtbar zu machen."

In der Debatte .um die Relevanz von Zivilgesellschaft in Demokra­tien werden derzeit - abseits der Transformationsforschung - zwei gro­ße Theoriestränge unterscl].ieden. In seinem theoretischen Überblick un­terscheidet Arpad Sölter eine "emphatische" und eine "moderate" Vari­ante zivilgesellschaftlicher Theoriebildung.78

Die emphatische Richtung, getragen von der Kritischen Theorie na­hestehenden Vertretern, geht von einer Zivilgesellschaft aus, die durch "selbstorganisierte Aktivitäten und Assoziationen gegenüber dem Staat als Ort der Macht" charakterisiert wird.79 Dieser Ansatz ist mit einer

74 Michalski, Krzysztof: Vorwort, in: ders. (Hrsg.): Europa und die Ci vii Society, Stuttgart 1991, S. 7-10, hier S. 8.

75 Sölter, Arpad: Zivil gesellschaft als demokratietheoretisches Konzept, in: Jahrbuch flir Politik, 3, (1993), S. 145-180, hier S. 146 und S. 149 (im Folgenden zitiert Söl­ter 1993).

76 Sölter 1993, S. 149. Intellektuell reflektiert durch oppositionelle Eliten wurde dies vor allem in Polen (Kuron, Mazowiecki, später Michnik) und der CSSR (Havel).

77 Bendel/Kropp 1998, S. 40. 78 Auch Bendei und Kropp unterscheiden zwei verschiedene Richtungen, jedoch unter

Zugrundelegung der in lateinamerikanischen und osteuropäischen Transformations­regionen selbst geführten Debatten. Sie identifizieren zum einen eine antietatisti­sehe bzw. antiautoritäre Richtung sowie zweitens eine .. intermediäre" integrative Richtung. Diese Differenzierung ähnelt Sölters Strukturierung des westeuropäi­schen Diskurses. Sie selber präferieren letzteren Ansatz, denn sie sehen eine norma­tive und analytische Trennung von Staat und Gesellschaft als rur ihre Forschungs­zusammenhänge empirisch nicht haltbar (Bendel/Kropp 1998, S. 42 und 60).

79 Zitat aus Rödel, Ulrich; Frankenberg, Günter; Dubiel; Helmut: Die demokratische Frage, Frankfurt am Main 1989, S. 56, hier nach Sölter, 1993, S. 151, im Weiteren S. 154. Vor allem die amerikanischen Sozialwissenschaftler Andrew Arato und Jean L. Cohen stehen in dieser Theorietradition, ebenso Johne Keane und Jürgen Habermas, mit dem sich Sölter ausgiebig auseinandersetzt und dem er eine eigene

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grundlegenden Kritik am Zustand der westlichen Demokratien verbun­den. Beispielsweise diagnostiziert Frank Rödel eine Gefahrdung der li­beralen Demokratien aufgrund ihrer mangelnden Fähigkeit, auf die Her­ausforderungen von Globalisierung und internationalem Wettbewerb adäquat zu reagieren. Deshalb sollten die in diesen Gesellschaften Aus­gegrenzten ihre Rechte im Rahmen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten vom Staat einfordern.so Soziale Bewegungen sollten dementsprechend die Katalysatoren des gesellschaftlichen Protestes sein. 81

In der moderaten Variante des Zivilgesellschafts-Konzeptes wird von einem integrativen Ansatz ausgegangen, in dem die Zivilgesell­schaft nicht vom Staat trennbar ist, sondern, nach Dahrendorf,"2 eng mit der Verfassungsdemokratie verzahnt ist. Im Sinne von Edward Shils stellt Zivilgesellschaft dabei ein ziviles kollektives Bewusstsein dar. Gemäß seinem integrativen Ansatz betrachtet er auch zentrale politische Institutionen, wie z.B. die Gesetzgebung oder die richterliche Gewalt, als Bestandteil der civil society.83

Für den hier untersuchten Forschungsgegenstand stellt sich die Fra­ge, wie diese theoretischen Ansätze in die Transformationsforschung eingebettet werden können. Trotz der umfassenden Renaissance des Konzeptes im Osten wie im Westen und der teilweisen Stilisierung zur Beschwörungsformel für osteuropäische Transformationsprozesse fehlt es an theoretischen Versuchen sowie empirischen Studien über diesen Aspekt."

Hans-Joachim Lauth und Wolfgang Merkel sehen die oben skizzier­te "emphatische" Variante zivilgesellschaftlicher Theoriezugänge (mit ihren Vertretern Habermas, Keane und Arato) als eine "Verengung der

Theorie-Variante innerhalb der emphatischen Richtung zuschreibt. 80 Rödel, Ulrich: Vom Nutzen des Konzepts der Zivilgesellschaft, in: Zeitschrift ftir

Politikwissenschaft, 6 (1996), S. 669-677, hier S. 675. 81 Nach Sölter 1993, S. 154, ursprünglich aus Rödel, Frankeberg, Dubie11989, S. 92. 82 Dahrendorf, Ralf: Moralität, Institutionen und die Bürgergesellschaft, in: Merkur,

46,557-568 (1992), S. 564 ff, zitiert nach Sölter, S. 168. 83 Shils, Edward: Was ist eine Civil Society?, in: Michalski, Krzysztof (Hrsg.): Europa

und die Ci vii Society, Stuttgart 1991, S. 13-51, hier S. 15. 84 Hierauf verwiesen haben vor allem Petra Bendei und Sabine Kropp, in: Zivilgesell­

schaft - ein geeignetes Konzept zur Analyse von Systemwechseln? Ergebnisse eines interregionalen Vergleichs: Lateinamerika und Osteuropa, in: Zeitschrift ftir Poli­tikwissenschaft, 1 (1998), 8. Jg., S.39-67 (im Folgenden zitiert Bendel/Kropp 1998), hier S. 40, sowie Lauth, Hans-Joachim; Merke!, Wolfgang (Hrsg.): Zivilge­sellschaft und Transformation, in: dies. (Hrsg.): Zivilgesellschaft im Transformati­onsprozeß. Länderstudien zu Mittelost- und Südeuropa, Asien, Afrika, Lateinameri­ka und Nahost, Mainz 1997, S. 15-49, hier S. 15 (im Folgenden zitiert Lauth/Merkel 1997).

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Zivilgesellschaftsdebatte auf die Theoriebestände einer voraussetzungs­voll konzeptualisierten Zivilgesellschaft", die für "reife" repräsentative Demokratien angewandt wird. Dieser Fokus auf entwickelte Demokra­tien habe zu einer mangelhaften Verknüpfung von Zivilgesellschafts­und Transformationsforschung beigetragen.8S

In Bezug auf das engere Konzept von Zivilgesellschaft, das für Transformationsgesellschaften zunächst angemessener scheint, wird nicht selten auf eine Formulierung von Larry Diamond verwiesen, der Zivilgesellschaft folgendermaßen verstanden hat:

"Ci viI society is conceived here as the realm of organized social life that is voluntary, self-generating, (largely) self supporting, autonomous from the state, and bound by a legal order or set of shared rules ... Actors in civil society need the protection of an institutionalized legal order to guard their autonomy and freedom of action. Thus civil society not only restricts state power but legiti­mates state authority.when that authority is based on the rule of law. "8"

Damit steht Diamond eher in der Lockeschen Tradition, bei dem eine negative Freiheitsfunktion, also der Autonomieschutz vor staatlichen Eingriffen Relevanz hat.81

Hans-Joachim Lauth und Wolfgang Merkel haben den Versuch un­ternommen, durch eine für die Transformationsforschung verwendbare Definition sowie durch die Ermittlung möglicher Funktionen von Zivil­gesellschaften in Transformationssituationen und durch die Entwicklung idealtypischer Zivilgesellschaften in bestimmten Transformationsphasen einer Verknüpfung beider sozialwissenschaftlichen Felder voranzubrin­gen. Sie haben somit ein "offenes und dynamisches Konzept von Zivil­gesellschaft" entwickelt, welches jedoch eher dem Konzept einer enge­ren Zivilgesellschaft entspricht und folgendermaßen definiert wird:

"Die Zivilgesellschaft befindet sich in einer vorstaatlichen oder nicht­staatlichen Handlungssphäre und besteht aus einer Vielzahl plural er (auch kon­kurrierender), auf freiwilliger Basis gegründeter Organisationen und Assoziati­onen ... , die ihre spezifischen materiellen und normativen Interessen artikulie­ren und autonom organisieren ..... In ihr artikulierte Zielsetzungen betreffen immer auch die res publica. Akteure der Zivilgesellschaft sind damit in die Politik involviert, ohne jedoch nach staatlichen Ämtern zu streben. Entspre­chend sind Gruppen, die ausschließlich private Ziele verfolgen ... ebenso wenig Teil der Zivilgesellschaft wie politische Parteien, Parlamente oder staatliche Verwaltungen ... [Die Zivilgesellschaft] ist kein homogener "Akteur". Vielmehr

85 LauthJMerkel 1997, S. 15. 86 Diamond, Larry: Toward Democratic Consolidation, in: Journal of Democracy,

(1994) Vol. 5, Nr. 3, S. 4-17, hier S. 5. 87 Siehe MerkellLauth APuZ 1998, S. 4.

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ist sie insofern heterogen strukturiert, als sie ein pluralistisches Sammelbecken höchst unterschiedlicher Akteure darstellt, die allerdings einen bestimmten normativen Minimalkonsens teilen. Dieser beruht im Kern auf der Anerkennung des Anderen (Toleranz) und auf dem Prinzip der Fairness. Ausgeschlossen ist die Anwendung physischer Gewalt. Da ... [diese] Prinzipien ... allenfalls in demokratischen Herrschaftsordnungen verwirklicht werden können, ist das zivilgesellschaftliche Handeln, zumindest implizit, immer auch an der Demo­kratisierung des Gemeinswesens orientiert. Doch dieser Grundkonsens hebt die bestehende interne Konkurrenz nicht auf. "88

In gewisser Hinsicht stellt diese Definition eine Verknüpfung der beiden oben skizzierten Varianten des Verständnisses von Zivilgesellschaft dar. Zwar unterscheidet sie sich von den Theoretikern aus dem Umfeld der Kritischen Theorie dadurch, dass sie wie diese lediglich freie Assoziati­onen zur Zivilgesellschaft zählt, jedoch sieht sie die civil society in keinster Weise als Gegensatz zur liberalen Demokratie, sondern geht von einer "Involvierung" zivilgesellschaftlicher Akteure in die Politik aus. Trotz dieses integrativen Aspekts werden dennoch - wie bspw. bei Edward Shils - keine Institutionen des Regierungssystems mit zur Zi­vilgesellschaft gezählt, denn ausgeklammert werden nicht nur Parla­mente und Verwaltungen, sondern ebenso Parteien. Somit handelt es sich eher um ein engeres Verständnis von Zivilgesellschaft, wie es sich auch bei der Position des oben zitierten Transformationsforschers Dia­mond gezeigt hat. Lauth und Merke! zählen folgerichtig Verbände, Inte­ressengruppen, kulturelle und religiöse Vereinigungen, Bildungs- und Informationseinrichtungen, Entwicklungsorganisationen, Bürgerinitiati­ven und Bürgerrechtsgruppen zur Zivilgesellschaft.89

Drei zivilgesellschaftliche Merkmale dieser Definition sollen hier herausgegriffen werden, um die in dieser Arbeit vorgenommene Aus­wahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen der ethnischen Minder­heiten Polens zu begründen:

1. Bei den ausgewählten Interessengruppen muss es sich um auf frei­williger Basis gegründete Organisationen handeln, die ihre spezifi­schen Interessen artikulieren sowie autonom organisieren und die unter Umständen in Konkurrenz zueinander stehen können.

2. Ihre artikulierten Zielsetzungen betreffen immer auch die res publi­ca.

88 Vgl. Lauth, Hans-Joachim; Merkei, Wolfgang: Zivilgesellschaft und Transformati­on, in: dies. (Hrsg.): Zivil gesellschaft im Transformationsprozeß. Länderstudien zu Mittelost- und Südeuropa, Asien, Afrika, Lateinamerika und Nahost, Mainz 1997 (im Folgenden zitiert Lauth, Merkel 1997 Einleitung), S. 15-49, hier S. 22 f.

89 Ebda. S. 23.

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3. Es wird von einer impliziten Orientierung an der Demokratisierung des Gemeinwesens ausgegangen.

1.2.2 Interessengruppen in der Transformation

Die zivilgesellschaftliche Schwäche, die die postkommunistischen Ge­sellschaften charakterisiert, lenkt den Blick geradewegs auf den Zustand der intermediären Ebene, wo sich bislang keine "stabilen Muster der Interessenartikulation" herausgebildet haben,'" sondern eine unterentwi­ckelte Struktur zu verzeichnen ist!l Dennoch ist es verfehlt anzuneh­men, es würde sich in Ostmittel- und Osteuropa um eine interessenorga­nisatorische tabula-rasa-Situation handeln, denn vielfach haben alte Systemverbände, wie etwa Gewerkschaften, in Teilen überlebt oder zumindest organisatorische Ressourcen hinterlassen.92 Somit existieren -anders als beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg - Verbände des alten Systems auch in der Demokra­tie weiter!3

Für das hiesige Forschungsthema ist grundsätzlich danach zu fra­gen, was unter Interesse bzw. organisiertem Interesse zu verstehen ist. Aus der Vielfalt möglicher Definitionen wurde die hiesige Begriffsbe­stimmung angelehnt an Ulrich von Alemanns Definition (aus seinem Lehrbuch über organisierte Interessen in Deutschland), die er von Caro­la Schulz übernommen hat. Hier wurde zudem eine darauf aufbauenden Formulierung von Dieter Rucht mit einbezogen. Interessen werden dementsprechend verstanden als handlungsrelevant gewordene Verfesti­gungen von Bedürfnissen, die aus dem subjektiven Empfinden von Man­gellagen beziehungsweise von Notwendigkeiten zur Wahrung oder Er­langung eines für erstrebenswert erachteten Gutes oder Zustands resul­tieren.94

90 Kraus in SW 41999, S. 34. 91 Merkel in Beyme/Offe 1995, S. 49 und S. 51. 92 Wiesenthai, Helmut: Interesssenverbiinde in Ostmitteleuropa - Startbedingungen

und Entwicklungsprobleme, in: Merkei, Wolfgang; Sandschneider Eberhard: Sys­temwechsel 4, Die Rolle von Verbänden im Transformationsprozeß, Opladen 1999 (im Folgenden zitiert Wiesenthai in SW 41999), S. 83-113, hier S. 83 u. 98 f.

93 Ebda, S. 99. 94 Die Definition von Carola Schulz (zitiert aus Alemann, Ulrich von: Organisierte

Interessen in der Bundesrepublik, Opladen 19892 (im Folgenden zitiert Alemann, Interessen 1989) hier S. 29) wurde hier ergänzt durch Dieter Ruchts Erweiterung der Schulz-Definition, um seine Kritik zu berücksichtigen, dass die Interessenent­wicklung nicht unbedingt aus Mangellagen resultieren müsse (wie Schulz an­nimmt). Anders als bei Rucht wurde jedoch der Begriff der Mangellage beibehalten, weil er für den hiesigen Forschungsgegenstand der Minderheitenorganisationen be-

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Interesse im Sinne des hiesigen Forschungsgegenstandes bedeutet, dass zum einen die subjektiv empfundene Mangellage eines nicht ausrei­chenden Minderheitenschutzes, zum anderen das Ziel der Wahrung der Minderheitenkultur als erstrebenswertes Gut unter den Minderheitenan­gehörigen gesehen wird, was zu einem handlungsrelevanten Bedürfnis führt.

Nun gilt es einen Blick zu werfen auf den Aspekt der Organisierung von Interessen, und es ist definitorisch festzulegen, was unter Interes­sengruppen, organisierten Interessen, Interessenorganisationen bzw. Interessenverbänden verstanden werden soll. Diesen Begriffen werden in dieser Arbeit keine großen Bedeutungsunterschiede zugemessen, weshalb sie weitgehend synonym verwandt werden. Die Politikwissen­schaft lenkt bei der Analyse organisierter Interessen den Fokus vor al­lem auf interne politische Prozesse sowie auf die nach außen gerichteten politischen Funktionen und Wirkungsweisen dieser Organisationen. 95

Definitorisch drückt sich dies folgendermaßen aus: Organisierte Inte­ressen sind dauerhafte Zusammenschlüsse gesellschaftlicher Gruppen mit bestimmten Zielen und arbeitsteiliger Gliederung, die die Interessen ihrer Mitgleider zu verwirklichen suchen. Dabei koordinieren und ag­gregieren sie die Mitgliederinteressen innerhalb der Gruppe und bemü­hen sich gegenüber anderen Gruppen, Organisationen oder Institutio­nen um die Realisierung der Gruppeninteressen. %

Der Aspekt der formalen Mitgliedschaft, der auch als Kriterium für Verbände gesehen wird, wurde hier bewusst ausgeklammert. Obschon es sich in dieser Hinsicht sicherlich bei der Mehrheit der Minderheitenor­ganisationen um Verbände handelt, zählen jedoch ebenso Organisatio­nen ohne formale Mitgliedschaft dazu, was sich vor allem dadurch er-

sonders zutrifft. Alemann entnahm sein Zitat aus: Schulz, Carola: Der gezähmte Konflikt. Zur Interessenverarbeitung durch Verbände und Parteien am Beispiel der Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik (1966-1976), Opladen 1984. S. 15. Das Rucht-Zitat stammt aus: Rucht, Dieter: Parteien, Verbän­de und Bewegungen als Systeme politischer Interessenvermittlung, in: Niedermay­er, Oskar, Stöss, Richard (Hrsg.): Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, Opladen 1993, S. 251-275, hier S. 257.

95 Alemann, Interessen 1989, S. 26. 96 Diese Definition basiert zum einen auf Ulrich von Alemanns Begriffsbestimmung in

Alemann, Interessen 1989, S. 30, der für diesen Zweck die verschiedenen Interes­sen-Dimensionen umfassend einbezog. Zum anderen liegt ihr die Begriffsbestim­mung von "Interessengruppen/Interessenverbände" des Lexikons der Politik, Bd. 7, S. 281 zugrunde, in der jedoch die Außenwirkung von Interessengruppen lediglich auf politische Entscheidungsprozesse begrenzt gesehen wurde, was zu kurz greift, weil bspw. die konkurrierende Einflussnahmen zwischen Interessengruppen aus­klammert wird.

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klärt, dass in postkommunistischen Transformationsgesellschaften auf­grund der kommunistischen Erfahrungen mit zwangsweiser Organisie­rung von weiten Teilen der Bevölkerung (in Einheitspartei, Einheitsge­werkschaft usw.) heute eine große Distanz zu Verbandmitgliedschaften existiert. In der vorliegenden Arbeit werden alle untersuchten Minder­heitenorganisationen analytisch wie Interessengruppen bzw. Interessen­verbände behandelt.

Im Weiteren stellt sich nun die Frage der Interessenvermittlung, also die Frage danach, welche Relevanz Interessengruppen in ihrer Position zwischen dem einzelnen Individuum und dem Staat haben. Dies soll unter Einbeziehung der Transformationsbedingungen beleuchtet werden. Bei der Erforschung organisierter Interessen in postkommunistischen Gesellschaften zeigen sich insgesamt ähnliche Problemlagen wie im zivilgesellschaftlichen Forschungsfeld. Auch hier besteht zum einen ein substantieller Mangel an Verbindungen zwischen der Transformations­forschung und der klassischen Verbändeforschung.91 Zum anderen sind die empirischen Forschungen über diese sogenannte funktionale Interes­senrepräsentation in Transformationsgesellschaften - im Unterschied zur vermehrt im Blickfeld der Forscher stehenden territorialen Interes­senrepräsentation98 der Parteien - bis heute noch nicht sehr umfang­reich.99

Wie Peter A. Kraus in einem Aufsatz über die Relevanz von inter­mediären Gruppen in Transformationssituationen bzw. beim Aufbau von Demokratien darlegte, fokussierten sich bislang die meisten Untersu­chungen auf das Beziehungsgeflecht von Kapital und Arbeit, also auf die Rolle der in diesen beiden Bereichen relevanten intermediären "Groß akteure" Gewerkschaften und Unternehmerverbände. 1oo Letztere verfügten zumeist über systemtreue Vorläuferorganisationen und weisen aus diesem Grund gegenüber neu gegründeten Organisationen umfas­sende Vorteile durch ihre "ererbten" Strukturen auf, wie beispielsweise größere Mitgliederzahlen. 101 Trotz des bisherigen Mangels an empiri-

97 Croissant, Aurel; Merkei, Wolfgang; Sandschneider, Eberhard: Verbände und Verbände systeme im Transformationsprozeß: ein zusammenfassender Vergleich, in: Merke!, Wolfgang; Sandschneider Eberhard: Systemwechsel 4, Die Rolle von Ver­bänden im Transformationsprozeß, Opladen 1999, S.329-355, hier S.331 (im Folgenden zitiert Croissant/MerkellSandschneider 1999).

98 Die Begriffsunterscheidung der funktionalen und territorialen Interessenrepräsenta­tion wurde in den 60er Jahren von Stanislaw Ehrlich eingebracht.

99 Criossant/MerkellSandschneider 1999, S. 330. 100 Kraus in SW 4 1999, S. 24 f. Kraus selber legt in seinen Überlegungen ebenfalls

den Schwerpunkt auf Gewerkschaften und Arbeitgeber. 101 Wiesenthai in SW 4 1999, S. 99.

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sehen Erkenntnissen geht eine verbreitete These über den Einfluss der intermediären Ebene in den Demokratisierungsprozessen davon aus, dass

"associations will not be a major factor in determining whether democracy as a general mode of dornination will succeed authoritarian rule and persist far the near future; rather, their (delayed) impact will be significant in determining what type of democracy will eventually be consolidated." 102

Hingegen geht beispielsweise Peter A. Kraus davon aus, dass die Idee der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung sowohl für die östlichen als auch für die südlichen Transformationsprozesse in ihrer Wirkung eher überschätzt worden ist. Recht widersprüchlich stellt er jedoch umge­kehrt auch fest, dass das Fehlen dieses differenzierten Systems der Inte­ressenvermittlung prinzipiell die wirkungsmächtige Gefahr einer "dele­gierten Demokratie" mit sich bringe. 103

Die Schwäche der intermediären Ebene in Transformationsgesell­schaften begründet sich beispielsweise in den transformations bedingten Unsicherheiten, die "der Wahrnehmung stabiler Interessenlagen entge­genstehen".l'" Denn das besondere Merkmal von Verbändelandschaften im Transformationsprozess ist nicht nur ihre schwache Ausprägung, sondern überdies, dass nicht nur sie, sondern auch die Demokratien, innerhalb derer sie existieren, relativ jung sind,lOs und dass diese durch den gleichzeitigen Aufbau der staatlichen, ökonomischen und territoria­len Strukturen (das sogenannte Dilemma der Gleichzeitigkeit nach Claus Offe)l06 und die damit einhergehenden Unsicherheiten geprägt sind.

Die positiven Effekte einer funktionierenden intermediären Ebene bestehen zum einen in ihrem Ordnungspotential, weil es durch die Selbstorganisation zur Reduzierung steuerungspolitischer Unsicherhei­ten beiträgt. Zum anderen kann ein intermediäres System, wenn es re­präsentativ ist, inklusiv wirken. Es reduziert somit die gesellschaftli­chen Konfliktpotentiale und erhöht gleichzeitig die Unterstützung der Bevölkerung für das demokratische System. 107 Für die Konsolidierungs-

102 Schmitter, Philippe C.: Interest Systems and the Consolidation of Democracies, in: Marks, Gary; Diamond, Larry (Hrsg.): Examining Democracy. Essays in Honor of Seymour Martin Lipset, Newbury Park u.a. 1992 (im Folgenden zitiert Schmitter in Marks 1992), S. 156-181, hier S. 166.

103 Kraus in SW 41999, S. 24 f. 104 Wiesenthai in SW 4 1999 S. 97 f. 105 Croissant/MerkellSandschneider, S. 330 f. 106 Offe, Tunnel S. 64 ff. 107 V gl. beispielsweise Merkel in Beyme S. 50 sowie CroissantlMerkel/Sandschneider

1999, S. 346.

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prozesse Osteuropas bedeutet die Existenz einer nur schwachen inter­mediären Ebene nach den Befunden des ungarischen Trans­formationsforschers Attila A.gh bislang eine transformationsbedingte Funktionsüberlastung der Parlamente, die er als over­parliamentarization und over-particization bezeichnet.'08

Ein weiterer Faktor, der zu einer langsamen Entwicklung von Inte­ressenorganisationen beiträgt, ist zudem eine für postsozialistische Gesellschaften spezifische Interessentypik, die sich in Ostmitteleuropa nach Helmut Wiesen thaI dadurch charakterisiert, dass die Organisierung individueller Par,tikularinteressen gemeinhin als wenig notwendig ange­sehen wird, hingegen allgemeine bzw. Kollektivinteressen bevorzugt werden. Er geht jedoch von einer erwartbaren nachholenden Entwick­lung im Bereich der Partikularinteressen aus. '0>

Die grundsätzlichen Forschungsfragen zur intermediären Ebene in Transformationsgesellschaften unterscheiden sich nicht unbedingt a priori von denen, die für bereits etablierte Demokratien relevant sind."° Trotzdem bleibt die Frag~, welche Leistungsfähigkeit Ansätze, die für den westlichen Demokratietypus entwickelt wurden, bei der Erklärung von Verbändesystemen in der Transformation aufweisen. In Bezug auf die westlichen Demokratien hat die Debatte um sogenannte verbändere­levante Theorien und ihre Strömungen wie Pluralismus, Neokorporatis­mus oder konflikttheoretische Ansätze großen Raum eingenommen so­wie zu einer grundsätzlich problematischen Gegenüberstellung vor al­lem von Pluralismus und Neokorporatismus"' geführt. Vor dem Hinter­grund des hiesigen Forschungsthemas soll im Folgenden ein kurzer Blick auf die Eignung von konflikttheoretischen, neokorporatistischen sowie pluralismustheoretischen Fragestellungen für die hiesige Verbän­deanalyse geworfen werden.

Claus Offe hat sich innerhalb seiner konflikttheoretischen Fragestel­lungen an Verbände'l2 beachtenswerter Weise explizit auf die fehlende Konfliktfähigkeit der Interessen ethnischer Minderheiten bezogen. Der konflikttheoretische Ansatz geht bekanntermaßen davon aus, dass sich

108 Agh, Attila: The Politics of Central Europe, London 1998, S. 88. 109 WiesenthaI in SW 4 1999, S. 88. 110 Croissant/MerkellSandschneider, S. 330f. 111 Schubert, Klaus: Pluralismus versus Korporatismus, in: Nohlen, Dieter; Schulze

Rainer-Olaf (Hrsg): Lexikon der Politik, Bd. 1 Politische Theorien, München 1995, S. 407-423 (im Folgenden zitiert Schubert 1995), hier S. 407.

112 Offe, Claus: Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. Zur Analyse spätkapita­listischer Gesellschaftssysteme, in Kress, Gisela; Senghaas, Dieter: Politikwissen­schaft. Eine Einführung in ihre Probleme, Frankfurt am Main 1972, (im Folgenden zitiert Offe, 1972, Politische Herrschaft) S. 135-164.

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nicht alle existenten Interessen organisieren lassen, sondern dass es zweierlei Voraussetzungen bedarf: Erstens der Organisationsfahigkeit, die dann gegeben ist, wenn Interessen "in ausreichendem Umfang die­jenigen motivationalen und materiellen Ressourcen mobilisieren kön­nen, die zur Etablierung eines Verbandes oder eines ähnlichen Instru­mentes der Interessenvetretung erforderlich sind", abhängig davon "ob es bestimmte deutlich abgrenzbare Gruppen von Personen gibt, die aufgrund ihrer besonderen sozialen Position an der politischen Vertre­tung spezifischer Bedürfnisse interessiert sind. "lll Dass dieses Kriterium auf ethnische Minderheiten als abgrenzbare Gruppe mit besonderer Position in einer Gesellschaft und eigenem Vertretungsinteresse zutref­fen kann, ist leicht denkbar. Zweitens bedarf es nach Offe der Konflikt­fähigkeit, die darauf beruht, "kollektiv die Leistung zu verweigern bzw. eine systemrelevante Leistungsverweigerung glaubhaft anzudrohen "."4

Nicht konfliktfahig wären die Bedürfnisse solcher Gruppen, die am Rande des Leistungsverwertungsprozesses stünden, so dass ihr Drohmit­tel der Leistungsverweigerung nicht ins Gewicht fiele. Zu diesen zählt Offe u.a. neben Hausfrauen und Arbeitslosen auch "ethnische Minoritä­ten". Wenn diese eigene Verbände gründeten, setzten sie sich lediglich die Mitglieder-Disziplinierung sowie eine symbolhafte Integration als Ziele."s Dieses Kriterium Offes scheint in meinen Augen überholt, seit­dem in westlichen Demokratien Bürgerbewegungen zum Erscheinungs­bild gehören, die in verschiedenen Fragen (von örtlichen Straßenbau­projekten bis hin zu Kindergartenplätzen) gezeigt haben, dass organi­sierte Interessen auch ohne ein Leistungsverweigerungspotential durch­gesetzt werden können, nicht zuletzt durch die zunehmende Bedeutung entsprechender Medienberichterstattung, was somit auch ethnischen Minderheiten gelingen könnte. Eine Verwendung dieses Ende der 60er Jahre entwickelten Ansatzes für die Analyse postkommunistischer Transformationsstaaten scheint darüber hinaus deswegen schwierig, weil hier eine grundsätzliche Schwäche intermediärer Organisationen existiert, zu deren Erklärung es weitergehender Faktoren bedarf, als die der Organisations- und Konfliktfähigkeit von Interessen.

Der neokorporatistische Ansatz verweist vor allem darauf, dass in­termediäre Organisationen zwei Umwelten verpflichtet sind, einerseits ihren Mitgliedern und andererseits den institutionellen Bedingungen, die ihr Handeln erst ermöglichen. Daraus folgen zwei eigentlich inkom­patible Handlungslogiken, die auch als Mitgliedschafts- sowie als Ein-

113 Ebda., S. 145. 114 Ebda., S. 146. 115 Ebda., S. 146 f.

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flusslogik bezeichnet werden und deren Balance es zu halten gelte. Das Verbandshandeln ist aus dieser neokorporatistischen Perspektive nach Wolfgang Streeck ein permanenter Versuch "einer bei aller Anstrengung immer nur provisorischen und hoch unstabilen Versöhnung zwischen prinzipiell inkompatiblen Handlungs- und Organisierungsimperati­ven ".116 Idealtypischer Weise verfügen neokorporatistische Verbände nach Philippe C. Schmitter über staatliche Anerkennung, sind eventuell auf dessen Betreiben hin gegründet worden, erfüllen vom Staat auf sie übertragene Aufgaben und bilden Monopole in ihrem Handlungsfeld. 117

Auf die hier zu I,lntersuchenden Minderheitenverbände, soviel lässt sich hier bereits absehen, trifft keines der drei letzten idealtypischen Merk­male Schmitters zu.

Näher kommt man dem hiesigen Forschungsfeld mit der Aussage des Neokorporatisten Streeck über das theoretische "Gegenstück", die pluralistischen Verpände. Diese hätten typischerweise kleine und homo­gene Mitgliedschaften und erscheinen als im Wesentlichen von ihrer Mitgliedschaftslogik geprägt."· Es ist naheliegend, dass in dem weitge­hend ethnisch homogenen Staat Polen Minderheitenverbände für ge­wöhnlich nur als kleine, in sich homogene Einheiten bestehen können, so dass es sich nach dieser Definition beim hiesigen Forschungsgegens­tand nur um pluralistische Verbände handeln kann. Dementsprechend sollen die hier untersuchten Interessenorganisationen als pluralistische Verbände verstanden werden.

Im Weiteren stellt sich jedoch die Frage, ob diese pluralistischen Minderheitenverbände womöglich in einem weitgehend neokorporatisti­schen Umfeld handeln oder ob die intermediäre Ebene Polens pluralisti­sche Züge aufweist. Nach Schmitter wäre Pluralismus im idealtypischen Sinne zu verstehen als ein

"System der mteressenvermittlung, dessen wesentliche Bestandteile in einer nicht näher bestimmten Anzahl verschiedener, freiwilliger, in Wettbewerb ste­hender, nicht hierarchischer und autonomer (was die Art und den Umfang des Interesses betrifft) Gruppen organisiert sind"."9

116 Streeck, Wolfgang: Staat und Verbände: Neue Fragen. Neue Antworten?, in: ders. (Hrsg): Staat und Verbände, PVS-Sonderheft 25, Opladen 1994 (im Folgenden zi­tiert Streeck 1994), S. 7-34, Zitat S. 14, weiteres S. 14-16.

117 Schmitter, Phi lippe C.: Interessenvermittlung und Regierbarkeit, in: Alemann, Ulrich von; Heinze, Rolf G.: Verbände und Staat. Vorn Pluralismus zum Korpora­tismus. Analysen, Positionen, Dokumente, Opladen 1979, S. 92-114 (im Folgenden zitiert Schmitter in Alemann 1979), hier S. 94 f.

118 Streeck 1994, S. 14 f. 119 Schmitter in Alemann 1979, S. 94.

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Bei dem hier notwendigen Versuch einer Anwendung der "westlichen" Modelle auf die europäischen Transformationsgesellschaften soll auf Überlegungen Helmuth Wiesenthais zurückgegriffen werden. Wiesen­thai hat versucht, die Relevanz der westlichen verbandstheoretischen Ansätze für Transformationsgesellschaften zu überprüfen. Aus seinen Ausführungen scheint sich abzuzeichnen, dass das, was in der westli­chen Verbändeforschung in jüngster Zeit versucht wird - eine stärkere Integration der diversen Theoriemodelle zu erreichen _120 für eine Ver­bände-Diskussion in Bezug auf die Transformationsgesellschaften eben­falls naheliegend ist. Wiesenthal kommt zu folgendem theoretischem Resümee:

"In Mittelosteuropal2J oszilliert die politische und die wissenschaftliche Kon­zeptualisierung des Verhältnisses von Verbänden und Staat vielmehr zwischen dem klassischen Pluralismuskonzept und der von Mancur Olson forcierten Kritik an kompetitiven "special-interest organizations" (Olson 1982). Das Des­interesse an den potentiellen Steuerungs beiträgen hochintegrierter ("umfassen­der") Großverbände korrespondiert [mit] einer zunehmend skeptischeren Beur­teilung korporatistischer Arrangements. "122

Demnach wäre die neokorporatistische Intention, Fragen der politischen Steuerung in den Vordergrund zu stellen123 und dem Staat eine konstitu­tive Rolle bei der Organisierung kollektiver gesellschaftlicher Interes­sen zuzuschreiben,I24 für die ostmitteleuropäischen Transformationsstaa­ten insgesamt und somit auch für den Forschungsgegenstand dieser Analyse kaum anwendbar. Dies bedeutet für die dabei gestellten For­schungsfragen jedoch nicht, dass der Interaktion zwischen Interessenor­ganisationen und dem Staat keine Beachtung geschenkt werden soll, sie werden hingegen unter pluralistischen Vorzeichen als Lobbying­Aktivität verstanden. So soll nach Interaktionen und Kooperationen zwischen Minderheitenorganisationen und Staat gefragt werden und auch danach, inwieweit dies überhaupt eine explizite Handlungsstrate­gie der ausgewählten Verbände ist. Dieser Aspekt soll vor dem Hinter­grund gesehen werden, dass es in Polen zwar eine Vielzahl von Nichtre­gierungsorganisationen gibt, sich deren Existenz jedoch noch nicht auf der Ebene der politischen Interessenvertretung niederschlägt. I2S Dieser

120 Schmid, Verbände 1998, S. 63. 121 Der Autor meint hier wohl üstmitteleuropa. 122 WiesenthaI in SW 4 1999, S. 108. 123 Schubert 1995, S. 407 f. 124 Streeck 1994, S. 9. 125 Siehe dazu Garsztecki, Stefan: Die polnische politische Kultur - Kontinuität und

Wandel, in: Krasnod~bski, Zdzislaw; Städtke, Klaus; Garsztecki, Stefan (Hrsg.):

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Aspekt führt zu der Vermutung, dass Interessenorganisierung und Inte­res sen vertretung vor dem Hintergrund postkommunistischer Politikein­stellung nicht unbedingt zusammenfallen müssen.

Auch wenn Wiesenthai grundsätzlich zugestimmt werden kann, so bedürfen seine Ausführungen doch einiger Spezifizierungen. Beispiels­weise äußert sich der Autor nicht dazu, was er unter einem "klassischen Pluralismuskonzept" versteht. Es kann vermutet werden, dass er sich damit zum einen auf die normative demokratietheoretische Bedeutung im Sinne des späten!2. Ernst FraenkeP27 bezieht, der darauf verwies, dass

"durch aktive Mitarbeit in den Verbänden und Parteien das Gefühl der passiven Hilflosigkeit überwunden werden [soll A.G.], das den einzelnen befallen muß, wenn er keinen Ausweg aus dem Prozeß der Vermassung sieht, die uns alle tagtäglich bedroht."

Die Verminderung eines Gefühls der passiven Hilflosigkeit, welches sicherlich in europäischen Transformationsgesellschaften existiert, kann somit positive Effekte für das demokratische System haben, indem seine Akzeptanz erhöht wird und somit eine integrierende Wirkung ausgelöst wird. Zum anderen findet man unter denkbaren "klassischen" Pluralis­muskonzepten auch die des eher empirisch-analytisch ausgerichteten Jürgen Weber, der die pluralistische Verbändetheorie definierte, nach der

"sich demokratische Politik als ein Prozeß der Interessenvermittlung zwischen Staat und Gesellschaft [vollzieht] auf der Grundlage der Legitimität von Grup­peninteressen und Gruppenkonkurrenz unter maßgeblicher Mitwirkung freier Verbände, die aufeinander auf den verschiedenen Politikfeldern in Konkurrenz zueinander oder als faktische Monopolorganisation den politisch­administrativen Entscheidungsprozess beeinflussen, je nach Lage der Dinge durch geregelte Kooperation oder punktuelle Konfrontation mit den jeweiligen Adressaten der Verbandspolitik, die ihrerseits den Kontakt mit den Verbänden zur Sicherung der staatlichen Steuerungs fähigkeit suchen".128

Sowohl die normative als auch die deskriptive Variante eines Pluralis­musverständnisses scheinen gut geeignet, für ein Verständnis verbandli-

Kulturelle Identität und sozialer Wandel in Osteuropa: das Beispiel Polen, Hamburg 1999, S. 131-168, hier S. 147, in Bezug auf die hier untersuchten Minderheitenver­bände zeigte sich diese Tendenz in vielfacher Hinsicht.

126 V gl. zur pluralistischen Position des "späten" Ernst Fraenkel die kurzen Anmerkun­gen in Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Eine Einführung, 3. überarb. und erw. Auflage, Opladen 2000, S. 232 f.

127 Die er vor allem in seinem Sammelband "Deutschland und die westlichen Demokra­tien" entwickelt hat, erstmals erschienen 1964, in erweiterter Form erschienen in Franfurt am Main 1991.

128 Zitiert nach Schmid Verbände 1998, S. 36.

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cher Prozesse in Transformationsgesellschaften. Wiesenthais Verweis auf Olson zielt auf dessen Ausführungen in "The Rise and Decline of Nations",129 wo Olson darlegt, dass kleine Organisationen mit Sonderin­teressen - im Unterschied zu großen umfassenden (encompassing) Or­ganisationen, die es in den ostmittel- und osteuropäischen Gesellschaf­ten lediglich als "ererbte" postkommunistische Verbände gibt - als "Verteilungskoalitionen" negative Auswirkungen auf den Staat und die Gesellschaft haben können, indem sie Verteilungsfragen in den Vorder­grund rücken und bei Durchsetzung ihrer Sonderinteressen zur Vermin­derung des volkswirtschaftlichen Wachstums und zu erhöhtem politi­schen Regulierungsbedarf bis hin zur Unregierbarkeit einer Gesellschaft führen können. 1JO

Auch wenn dieser Ansatz hilfreich ist, um in zugespitzter Form auf den möglichen Einfluss von spezielleren Interessengruppen auf die poli­tischen Systeme der Transformationsstaaten zu verweisen,13l so lässt er sich für den Gegenstand dieser Analyse kaum anwenden, weil Olson sein Konzept vor allem für ökonomische Zusammenhänge entwickelt hat, um beispielsweise die Auswirkungen des Agierens von spezifischen Gewerkschafts- und Unternehmerverbänden zu erklären, die den Staat zu bedenklichen Ressourcenumverteilungen zwingen. In der Olsonschen Logik wäre es im weitesten Sinne denkbar, abseits der wirtschaftlichen Sphäre auch die hier gewählten Interessengruppen der ethnischen Min­derheiten Polens als "special-interest organizations" zu betrachten. Ihnen fehlt jedoch- auch bei der denkbaren Bildung von Verteilungs­koalitionen - eine relevante Verhandlungsmacht (was nach Offe wieder­um als mangelnde Konfliktfahigkeit verstanden werden könnte), um ihr Anliegen, einen verbesserten Minderheitenschutz, gegenüber den politi­schen Entscheidungsträgern durchzusetzen. Doch auch wenn sie Erfolg hätten: Zusätzlicher Minderheitenschutz würde kaum eine erhebliche Schwächung des staatlichen Systems bedeuten. So scheint dieser Ansatz für den hiesigen Gegenstand wenig ertragreich zu sein.

In dieser Forschungsarbeit wird somit eine empirisch-analytische pluralistische Perspektive auf das noch schwache intermediäre System Polens zugrundegelegt. Dabei wird davon ausgegangen, dass in der in­termediären Sphäre - aufgrund der spezifischen postsozialistischen Inte­ressentypik - Partikularinteressen bislang kaum organisiert sind. In

129 Olson, Mancur: The Rise and Decline of Nations. Economic Growth, Stagflation, and social Rigidities, New Haven 1982.

130 Ebda., S. 47 und S. 73 f. 131 Siehe dazu die Beziehung dieses Ansatzes auf Ostmittel- und Osteuropa in Widmai­

er/Gawrich/Becker 1999, S. 42 ff.

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welchem Umfang die Partikularinteressen der Minderheiten organisiert sind, wird sich im Verlauf der Analyse zeigen. Hier kann jedoch nicht danach gefragt werden, welche Relevanz die Minderheitenorganisatio­nen Polens insgesamt für die Entwicklung der polnischen Demokratie haben, sondern vielmehr, inwieweit sich die ethnischen Minderheiten als zivilgesellschaftliche Akteure an sich organisieren. Somit wird hier nur ein kleiner Teilbereich der polnischen Zivilgesellschaft betrachtet: die organisierte Interessenrepräsentation ethnischer Minderheiten. Diese sollen erstens einzeln analysiert werden, zweitens innerhalb der einzel­nen ethnischen Gruppen und drittens miteinander verglichen werden.

Unter Zugrimdelegung der zuvor vorgenommenen theoretischen Einordnung können nun die Kriterien der Verbändeanalyse elaboriert werden. Sie basieren zum einen auf den Leitfragen, die Eberhard Sand­schneider in seiner Einleitung zum Sammelband über Verbände im Transformationsprozess entworfen hat und die die dortigen empirischen Beiträge strukturieren sollten,132 sowie auf den Analyse-Leitfragen, die Ulrich von Alemann in seinem Lehrbuch über Interessenverbände in der Bundesrepublik formuliert hat. l3l Alemann hat im wesentlichen vier Leitfragen entwickelt, die hier als Grundstruktur dienen sollen: Erstens die Frage nach der Genese von organisiertem Interesse, zweitens nach ihrer Struktur und Programmatik (letzteren Aspekt hat Alemann zwar nicht in seinen Grundlagen-Katalog aufgenommen, ihn jedoch in seine anschließenden Beispielanalysen einbezogen), drittens nach der Strate­gie einer Interessenorganisation sowie viertens nach ihrer Funktion. 134

Dem Aspekt der Genese kommt in diesem Zusammenhang nochmals besondere Bedeutung zu, weil er die Frage aufwirft, ob es sich um Ver­bände handelt, die bereits im alten kommunistischen System existent waren und sich in die Demokratie "hinüberretten" konnten,l3S oder um neue Verbände. Zudem ist zu fragen, in welchem Augenblick der Trans­formation sich die neuen Verbände gründeten und welche Relevanz dem

132 Sandschneider, Eberhard: Einleitung, in: Merkei, Wolfgang; Sandschneider Eber­hard: Systemwechsel 4, Die Rolle von Verbänden im Transformationsprozeß, Opla­den 1999 (im Folgenden zitiert Sandschneider in SW 4 1999), S. 9-21, hier S. 11. Sandschneider betont vor allem Aspekte von alten Systemverbänden und Neugrün­dungen, von Konflikt- und Kooperationsstrukturen zwischen Interessengruppen so­wie von Repräsentativität und Fragmentierung sowie De- und Zentralisierung.

133 Alemann Interessen 1989, S. 52 f. 134 Den Funktions-Aspekt entwickelte Alemann zwar als Analyse-Frage, bezog ihn

jedoch nicht in seine Anwendungsbeispiele ein. Demnach hat die Verbändefunktion in seinen Ausführungen eher normativen Charakter, und es bleibt unklar, wie diese Frage ftlr eine empirische Verwendung operationalisiert werden könnte.

135 Sand schneider in SW4 1999, S. 11.

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Gründungsdatum zukommt. Mit Blick auf die Struktur stellt sich vor allem die Frage, welche regionale Ausdehnung die Verbände aufweisen, welches Mitglieder- und Führungsgruppenprofil sie zeigen und welche Formen innerverbandlicher Demokratie erkennbar sind. Der innerver­bandlichen Demokratie hat beispielsweise Fraenkel allgemeine demo­kratietheoretische Relevanz zugeschrieben, 136 jedoch muss berücksichtigt werden, dass ein demokratischer Erfahrungsmangel in den Transforma­tionsgesellschaften in allen Bereichen vorhanden war und ist - und so­mit auch im zivilgesellschaftlichen Bereich der Interessenorganisatio­nen. 137 StrategieJragen betreffen das Verbandshandeln, die Frage, welche Aktionsformen und Mittel gewählt werden und welche Adressaten aus­zumachen sind, seien es die polnische Gesellschaft, die staatliche Ad­ministration oder die eigenen Mitglieder bzw. im hiesigen Falle die ei­gene Minderheit. Der letzte Aspekt soll im Sinne des Konzeptes der "Selbsthilfe", das primär für den Bereich der Neuen Sozialen Bewegun­gen (NSB) und weniger in der Verbändeforschung von Relevanz ist, Berücksichtigung finden. Raschke differenziert für die NSB zwischen Widerspruchs- und Selbsthilfegruppen. Selbsthilfe gilt hier als Versuch, "durch eigene Aktivitäten in kleinen Gruppen bei bedrängenden Prob­lemen Abhilfe zu schaffen".l3" Im hiesigen Forschungszusammenhang soll Selbsthilfe als eine von verschiedenen parallelen Aktionsformen der untersuchten Minderheitenverbände verstanden werden und somit in den Strategienkatalog mit aufgenommen werden. Denn Selbsthilfe scheint als Strategie in Transformationsgesellschaften, in denen in vielen Berei­chen über Jahre noch großer Regelungsbedarf besteht, eher einen Platz einzunehmen als im Verbändespektrum der westlichen Demokratien. So zeigt sich insgesamt am Strategien-Spektrum bei von Alemann, dass dieses für westliche Verbändesysteme gedacht war (beispielsweise bei der Betonung von Medien-"pressure" und interner Beeinflussung von Ministerien USW.).'39

Die Frage nach der Verbände-Funktion ist schwieriger zu opera­tionalisieren. Folgerichtig bezieht sie Alemann auch kommentarlos nicht in seine empirischen Beispiele ein. In der vorliegenden Arbeit soll eben­falls eine weitgehende Beschränkung auf Genese, Struktur und Pro­grammatik sowie Strategie stattfinden, dennoch bedarf die Frage nach

136 Fraenkel, Ernst: Reformismus und Pluralismus, Hamburg 1973, S. 402 f., zudem Alemann Interessen 1989, S. 164-168.

137 MerkellLauth APuZ 1998, S. 9. 138 Raschke, J oachim: Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß,

Frankfurt am Main 1985, S. 329. 139 Siehe Alemann Interessen 1989, S. 172 ff.

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der Funktion weiterer Spezifizierungen. Ulrich von Alemann erkennt eine Art pluralismus- und systemtheoretisches Minimum des Funktions­verständnisses von Interessengruppen.''''' Hiernach untergliedert sich die Funktion in Interessenaggregierung, Interessenartikulierung, Rekrutie­rung und Sozialisation von zukünftigen Verbandsspitzen sowie System­erhalt durch politische Integration.'4l Hier soll unter Verbands­Funktionen folgendes verstanden werden: 1. Die Interessenaggregierung als innerverbandliche Interessenartikulation und -selektion.'42 2. Die Interessenartikulation (nach außen). 3. Die politische Integration, die in der Unsicherheit einer Transformationssituation besonders bedeutsam ist. Nach Merkel ist ein inklusives (= repräsentatives) und effizientes (= kooperativ agierendes) Verbändesystem förderlich für die Konsoli­dierung eines Systems. l4' Aussagen zu Funktionen der hier untersuchten Verbände sollen resümierend, als Ergebnisse der Teilanalysen, getroffen werden, und sich insofern aus der Betrachtung von Struktur, Programm und Strategie ableiten.

Somit lassen sich hier vier Analysebereiche ausmachen: erstens die historischen Organisationslinien, zweitens die Struktur, drittens die Programmatik und sowie viertens die Strategie von Interessenorganisa­tionen polnischer Minderheiten. Daraus ergeben sich folgende Frage­stellungen, die hier skizziert werden sollen:

1. Welche historischen Entwicklungslinien (alte oder neue Verbände?) zeigen sich, wie und zu welchem Zeitpunkt verlief die Genese der Verbände?!44

2. Welche Programmatik weisen die Verbände auf? 3. Welche Strategien!45 verfolgen die Verbände? 4. Welche Organisations struktur ist erkennbar?

140 Alemann Interessen 1989, S. 187. 141 Dies basiert z.T. auf den Verbandsfunktionen, die Jürgen Weber unterscheidet:

Interessenartikulation (Einbringen von Mitgliederwünschen), -aggregation (Bünde­lung zu verbandspolitischen Zielen), -selektion (in Bezug auf das politische System) und politischen Integration (Gruppen in das politische System), siehe Weber, Jür­gen: Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1977, S. 346-356.

142 Als Zusammenfassung von Webers erster und dritter Funktion. 143 Merkei, Wolfgang: Theorien der Transformation: Die demokratische Konsolidierung

postautoritärer Gesellschaften, in: Beyme, Klaus von; Offe, Claus (Hrsg.): Politische Theorien in der Ära der Transformation, in: PVS Sonderheft 26/1995~ S. 30-58, hier S. 50.

144 V gl. Schmitter in Marks S. 170. Schmitter fragt vor allem danach, ob die Gründung zu einem frühen oder späten Zeitpunkt der Transformation geschieht.

145 Vgl. Alemann Interessen 1989, S. 172 ff.

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Zusätzlich zur Analyse der einzelnen Verbände soll auf das Verbände­system innerhalb einer einzelnen Minderheit und auf alle vier analysier­ten Minderheiten zusammen jeweils ein abschließender vergleichender bzw. synoptischer Blick geworfen werden. Dieses Vorgehen hat eher resümierenden Charakter und ist somit nicht - gemäß eines Vorschlags von Lijpart - "the first stage of research", sondern in diesem For­schungs-Zusammenhang eher als "the second stage "146 zu verstehen. Dementsprechend wurde auch die Auswahl der in dieser Studie analy­sierten cases, also der Verbände, nicht nach den Kriterien ihrer Kompa­rabilität getroffen,I47 sondern nach den oben dargelegten zivilgesell­schaftlichen und interessenorganisatorischen Merkmalen. Jedoch soll eine vergleichende Betrachtung Aussagen über mögliche Uniformitäten und Typologien der analysierten Verbände ermöglichen. I4' Durch einen synoptischen Blick auf die jeweiligen intermediären Systeme der ein­zelnen Minderheiten soll ermittelt werden, welche Charakteristika diese aufweisen, ob bspw. dominante Verbände existieren oder ob kooperati­ves oder konfliktives Handeln zwischen diesen vorherrschend ist.

Bei einem synoptischen Blick auf das intermediäre System der je­weiligen Minderheit stellen sich deswegen folgende Fragen:

1. Welche Verbändekonfiguration zeigt sich innerhalb der einzelnen Minderheiten?

2. Welche Konflikt- und Kooperationsstrukturen 149 zeigen sich zwischen den Interessenverbänden einer Minderheit?

Im Rahmen einer abschließenden Synopse der Interessenorganisationen der vier analysierten Minderheiten insgesamt stellen sich folgende Fra­gen:

1. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zeigen sich zwischen den Verbändelandschaften der litauischen, weißrussischen, ukraini­schen und slowakischen Minderheiten in Bezug auf Genese, Pro­grammatik, Struktur und Strategie?

146 Lijphart, Arend: Comparative Politics and the Comparative Method, in: The Ameri­can Political Science Review, Vol. LXV (1971), S. 682-693, hier S. 685.

147 Siehe ebda., S. 686. Vergleichbarkeit stellt sich als eines von vier Grundkategorien der vergleichenden Methode dar.

148 Siehe hierzu: Doeker, Günther: Einführung in die Methodik der vergleichenden Analyse politischer Systeme, in: Doeker, Günther (Hrsg.): Vergleichende Analyse politischer Systeme, Freiburg 1971, S. 15-53, hier S. 22.

149 Vgl. Schmitter in Marks 1992, S. 172 f. Dieser bezieht sich vor allem auf Konkur­renz und Kooperation.

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2. Welche Konflikt- und Kooperationsstrukturen zeigen sich zwischen den verschiedener Minderheiten und wie unterscheiden sich ihre Strategien?

3. Wie charakterisiert sich die Verbändelandschaft der hier ausgewähl­ten ethnischen Minderheiten Polens insgesamt?

2. Methodisches Vorgehen

Nach der Darlegung der in dieser Arbeit verwandten theoretischen In­strumentarien soll im Folgenden ein Blick auf das methodische Vorge­hen geworfen werden. Grundsätzlich handelt es sich bei dieser Studie um eine qualitative Forschungsarbeit, in der die ausgewählten Verbände und politischen Institutionen einer Analyse unterzogen werden. Die Kriterien zur Auswahl der Verbände und Institutionen resultieren dabei aus den oben dargelegten theoretischen Prämissen zu Interessenorgani­sationen und politischen Institutionen.

Für beide Forschungsbereiche stellen sowohl Interviews als auch schriftliche Quellen, die einer Dokumentenanalyse unterzogen wurden, die zentralen Instrumente der Informationsbeschaffung dar. Für die Ver­bändeanalyse wurden Eliteninterviews vorgenommen, die mit Vor­standsmitgliedern oder Mitgliedern von Regionalvorständen geführt wurden, 'so also mit Verbandsvertretern, die über eine zentrale Funktion in ihren Verbänden verfügen.

Bei der Analyse der politischen Institutionen wurde die Methode der Experteninterviews gewählt. Als Experte wird hierbei nach Meu­ser/Nagel verstanden, "wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlö­sung; wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Per­sonengruppen oder Entscheidungsprozeße verfügt".'" Somit handelt es sich bei den ausgewählten Interviewpartnern um Personen, die innerhalb der ausgewählten minderheitenrelevanten politischen Institutionen über eine entsprechende Verantwortung verfügen und zur Problemlösung von Problemen des Minderheitenschutzes beitragen können. Dabei wurde

150 Siehe dazu Alemann, Ulrich von; Tönnesmann, Wolfgang: Grundriß: Methoden in der Politikwissenschaft, in: Alemann, Ulrich von (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden. Grundriss ftir Studium und Forschung, Opladen 1995 (im Folgenden zi­tiert Alemann in Alemann 1995), S. 17-140, hier S. 97.

151 Lexikon der Politik, Politikwissenschaftliche Methoden, Band 2, München 1994, Meuser, Michael; Nagel, Ulrike: Experteninterviews, S. 124 f.

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jedoch berücksichtigt, dass der Expertenstatus "in gewisser Weise vom Forscher verliehen" wird, denn wer als Experte gilt, hängt vom jeweili­gen Forschungsinteresse ab. 152

Für beide Interviewformen wurde jeweils die Form eines offenen leitfragengestützten Interviews gewählt. 153 Diese Interviewform ist vor allem damit zu begründen, dass es der Interviewerin möglich sein muss­te, als ausländische Forscherin eine offene und entspannte Gesprächssi­tuation zu ermöglichen, was sich am ehesten in einer offenen Ge­sprächsform realisieren lässt. Denn stets musste von einer gewissen Zurückhaltung bzw. Skepsis seitens der Interviewpartner gegenüber der ausländischen Forscherin ausgegangen werden. Die Interviewerin muss­te sich zudem dem jeweiligen Maß der Gesprächsbereitschaft des Interviewpartners anpassen, so dass die Dauer der Interviews zwischen einer halben und zwei Stunden schwankte. Auch musste sich die Interviewerin darauf einstellen, sehr unterschiedliche Gesprächs­situationen vorzufinden. Fanden die Experteninterviews zumeist am jeweiligen Arbeitsplatz der Interviewpartner statt, wurden bei den Eliteninterviews mit den Verbändevertretern Gespräche aufgrund der vielfach ehrenamtlichen Struktur und mangelnder räumlicher Infrastruktur zuweilen auch in Cafes geführt. Beide Umgebungsarten haben sich dabei gleichermaßen positiv als auch negativ auf die Gesprächssituation ausgewirkt.

Zusätzlich zu den Interviews wurden ebenfalls zahlreiche Informa­tionsgespräche geführt, verstanden als wenig strukturierte und informel­le Form der mündlichen Datenermittlung. l54 Die Informationsgespräche fanden zumeist bei einem zweiten und dritten Besuch bei den Ge­sprächspartnern statt und waren deutlich zeitlich versetzt zur ursprüng­lichen Interviewsituation. Sie boten den Vorteil, dass das Vertrauen und die Offenheit gegenüber der ausländischen Forscherin deutlich gestie­gen waren.

Die schriftlichen Quellen setzten sich in bei den Analysebereichen sowohl aus Primär- als auch aus Sekundärquellen zusammen, so haben beispielsweise auch amtliche Statistiken, Zeitungsberichte usw. Ver-

152 Meuser, Michael; Nagel, Ulrike: ExpertInneninterviews - vielfach erprobt, wenig bedacht, in: Garz, Detlef; Kraimer, Klaus (Hrsg.) Qualitativ-empirische Sozialfor­schung: Konzepte, Methoden, Analysen, Opladen 1991, S. 441-471, hier S. 443.

153 Schmid, J osef: Expertenbefragung und Informationsgespräch in der Parteienfor­schung: Wie föderalistisch ist die CDU?, in: Alemann, Ulrich von (Hrsg.): Politik­wissenschaftliche Methoden. Grundriss für Studium und Forschung, Opladen 1995 (im Folgenden zitiert Schmid in Alemann 1995), S. 293-326, hier S. 309-312.

154 Alemann, Ulrich von; Forndran, Erhard: Methodik der Politikwissenschaft, Berlin, Köln 1995 (5. Auflage), S. 169.

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wendung gefunden. Das Gros der jeweiligen Quellen bildeten jedoch Primärdaten. Zur Auswertung der schriftlichen Quellen wurde in erster Linie eine qualitative Dokumentenanalyse vorgenommen. Die methodi­sche Ausprägung der Dokumentenanalyse orientiert sich an Vorschlägen für eine politikwissenschaftliche Quellenanalyse von Werner Reh. Wie bereits im obigen Abschnitt angekündigt, ist das gesamte Untersu­chungsverfahren dieser Forschungsarbeit induktiv angelegt. Gleicher­maßen ist auch der Umgang mit den vorhandenen Dokumenten von einem induktiven, offenen Verfahren gegenüber dem Untersuchungsge­genstand geprägt. Bei der Auswertung der vorliegenden Dokumente wird versucht, auf deren "Konsistenz", also deren innere Logik und Schlüssigkeit, sowie ihre "Korrespondenz", also die "Übereinstimmung von Äußerungen mit der objektiven Welt", zu achten.

Das Ziel der qualitativen Auswertung der vorhandenen schriftlichen Dokumente best.eht zum einen in ihrer "sachlichen Aufschlüsselung", verstanden als einer Auswertung des Informationsgehaltes der Doku­mente, sowie der Erschließung und Zusammenfassung der beschriebe­nen Sachverhalte, Tatsachenbehauptungen und Bewertungen. Zum ande­ren wird teilweise auch eine qualitative "sprachlichen Aufschlüsselung" der Dokumenteninhalte durch eine Analyse von Schlüsselthemen und Schlüssel be griffen vorgenommen. ISS

Methodisches Vorgehen in der Verbändeanalyse Es wurde eine Auswahl der vorhandenen Minderheitenorganisationen vorgenommen, die sich primär auf eigentliche Interessenverbände fo­kussiert, Stiftungen, Tanz-, Theater- oder Gesangsgruppen blieben unbe­rücksichtigt. Zudem mussten die ausgewählten Verbände auf eine sicht­bar kontinuierliche Arbeit hinweisen können.

In Bezug auf die vorgenommenen Eliteninterviews wurde folgender­maßen vorgegangen. Die Auswahl der Interviewpartner richtete sich primär nach ihrer formalen Position innerhalb der jeweiligen Verbände. So wurden prinzipiell haupt- oder ehrenamtliche Vorstandsmitglieder als zentrale Funktionsträger der Verbände ausgewählt. Bei größeren Ver­bänden wurden zuweilen mehrere Vorstandsmitglieder befragt, in einem Fall auch regionale Vorstandsmitglieder (weil der betreffende Verband über eine ausgeprägt regionale Struktur verfügt).

155 Reh, Werner: Quellen- und Dokumentenanalyse in der Politikfeldforderung: Wer steuert die Verkehrspolitik?, in: Alemann, Ulrich von (Hrsg.): Politikwissenschaftli­che Methoden. Grundriss für Studium und Forschung, Opladen 1995 (im Folgenden zitiert Reh in Alemann 1995), S. 201-259, hier S. 210 f. und 215 f.

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Die offenen leitfaden gestützten Interviews verfolgten mehrere Ziele. Zum einen sollten Sachinformationen über den jeweiligen Verband er­mittelt werden, die sich auf Zielsetzungen, Struktur und Tätigkeiten bezogen. Diese Sachinformationen waren insofern von Bedeutung, da manche Verbände nur über wenig schriftliches Material verfügen. Hier unterscheidet sich die Forschungssituation für eine Verbändeanalyse in Polen nachhaltig von der beispielsweise in Deutschland, wo auch in kleineren Verbänden ein gewisses Maß an schriftlicher Selbstdarstellung erkennbar ist. Zum zweiten sollte das Selbstbild des Verbandes und das Selbstbild der eigenen Minderheit innerhalb der polnischen Gesellschaft ermittelt werden, das sich bei den Verbandseliten zeigt. In einem dritten Schritt sollten zudem Einstellungen der Vorstandsmitglieder als Ver­bandsrepräsentanten gegenüber politischen Institutionen und der Min­derheitenpolitik ermittelt werden. Dieser dritte Interviewschritt dient nicht der Verbändeanalyse, sondern vielmehr der Ermittlung der Legiti­mität der minderheitenrelevanten politischen Institutionen. In der Aus­wertung der Interviews wurden somit sowohl Sachinformationen, In­formationen zur Selbsteinschätzung des Verbandes, Einstellungen zu politischen Institutionen sowie das Selbstbild der eigenen Minderheit in der polnischen Mehrheitsgesellschaft ermittelt. Der Interview-Leitfaden enthielt dementsprechend folgende Aspekte:

Interview-Leitfaden

I. Minderheitenorganisation (Ermittlung von Sachinformationen und des Selbstbildes des Verbandes)

1. Haupttätigkeit des Verbandes. 2. Hauptziel des Verbandes. 3. Unterschied zu anderen Minderheitenverbänden (der eigenen Min­

derheit). 4. Beteiligung des Verbandes an Minderheitenpolitik. 5. Struktur des Verbandes.

II. Minderheiten (Ermittlung des Selbstbildes der Minderheit)

1. Lage der heutigen Situation von Minderheiten in Polen. 2. Lage der eigenen Minderheit im Unterschied zu den anderen Min­

derheiten. 3. Auffassung von der Meinung der Mehrheitsbevölkerungen über Min­

derheiten insgesamt.

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4. Auffassung von der Meinung der Mehrheitsbevölkerung über die eigene Minderheit.

III. Politik (Ermittlung der Legitimität minderheitenrelevanter Institutionen)

1. Lage der staatlichen Politik gegenüber Minderheiten. 2. Welche Regierung hat bisher die erfolgreichste Minderheiten-Politik

betrieben? 3. Wie beurteilen Sie die Arbeit der parlamentarischen Minderheiten­

kommission? 4. Welche Bedeutung hat die Verwaltungsreform für Minderheiten in

Ihren Augen? 5. Wie beurteilen Sie das gerade entstehende Minderheitengesetz?

IV. Welches ist derzeit das größte Minderheitenproblem? ("Push-Frage" mit dem Ziel, dem Interviewpartner zum Abschluss die Möglichkeit freier Argumentation zu geben)

Das Spektrum der ausgewählten Dokumente zur Verbändeanalyse er­streckte sich primär auf Statuten, Jahresberichte, Wahlaufrufe, Ver­bandszeitschriften u.ä .. Hierdurch sollten "charakteristische Struktur­und Entwicklungsdaten" der Verbände ermittelt werden.ts6 Eine wesent­liche Quelle bildeten die Verbandsstatuten, da sie Erkenntnisse über die formale Struktur sowie die Programmatik und der fixierten Strategien der jeweiligen Verbände erlauben. Alle anderen Quellen dienten der Erfassung der realen Strategien des Verbandes, beispielsweise der Aus­wertung der von ihnen publizierten Zeitschriften.

Methodisches Vorgehen in der Institutionenanalyse Die Auswahl der ,,Experten" in den analysierten politischen Institutio­nen richtete sich, wie bereits erwähnt, danach, ob sie in formaler Hin­sicht eine gewisse Verantwortung für die Problemlösung minderheiten­relevanter Probleme tragen. So wurden beispielsweise im Bereich der Ministerien jeweils Mitarbeiter der minderheitenbezogenen Abteilungen interviewt. Im Bereich der parlamentarischen Minderheitenkommission konnten jedoch nicht mit allen Mitgliedern Interviews geführt werden, sondern lediglich mit dem Vorsitzenden Jacek Kuron sowie mit Miros­law Czech als ukrainischem Repräsentanten der Kommission. Da sich der Untersuchungszeitraum über die vergangene Dekade erstreckt, wur­den zum Teil auch ehemalige Funktionsträger als Experten interviewt,

156 Alemann in Alemann 1995, S. 96.

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so eine frührere Leiterin der Minderheitenabteilung im Kulturministeri­um und ein ehemaliger Ministerpräsident.

Ziele dieser Interviews waren folgende: Erstens sollte ermittelt wer­den, welches Bild von den Minderheitenverbänden bei den (zum guten Teil auch für diese zuständigen) Experten vorherrscht. Zum zweiten sollte ermittelt werden, welches Bild die befragten Experten von den minderheitenrelevanten politischen Institutionen allgemein und von der eigenen Institution im Besonderen haben. Zum dritten sollte ihre Auf­fassung über die Lage der Minderheiten in der polnischen Mehrheitsge­sellschaft ermittelt werden. Viertens wurde nach der Tätigkeit, der for­malen Kompetenz, der Akteurskonstellation und dem selbst empfunde­nen Maß an Effektivität der eigenen minderheitenrelevanten Institution gefragt. Lediglich dieser letzte Aspekt diente somit der Ermittlung von Sachinformationen, alle übrigen Leitfaden-Fragen dienten eher der Er­mittlung des Selbstverständnisses der Experten bezüglich ihres Han­delns, des Handeins anderer Institutionen und der Minderheitenverbän­de.

Interview-Leitfaden

I. Minderheitenorganisation (Bild der Minderheitenverbände)

1. Wie bewerten Sie die Aktivitäten der Minderheitenverbände? 2. Welche Minderheit beurteilen Sie als besonders aktiv?

lI. Politische Institutionen (Auffassung vom Institutionen-Set)

1. Wie beurteilen Sie die Minderheitenpolitik der Regierung? 2. Welche Regierung hat in den vergangenen zehn Jahren die er­

folgreichste Minderheitenpolitik betrieben? 3. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Sejm-Kommission für Minderhei­

ten? 4. Welche Bedeutung hat die Verwaltungsreform für Minderheiten in

Ihren Augen? 5. Wie beurteilen Sie das gerade entstehende Minderheitengesetz?

III. Minderheiten in der polnischen Gesellschaft

1. Wie denken und verhalten sich in Ihren Augen die polnischen Mit­bürger in Bezug auf die Minderheiten Polens?

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IV. Erklären Sie mir bitte die Aufgaben und das Funktionieren Ihrer Institution.

V. Was sehen Sie als derzeit größtes Minderheitenproblem an? ("Push-Frage")

Die ausgewählten schriftlichen Quellen zur Analyse der politischen Institutionen setzen sich folgendermaßen zusammen: Zum einen handelt es sich dabei maßgeblich um Gesetzestexte, Regierungsverordnungen oder Ministerialerlasse, die zumeist Sachinformationen über das formale Grundgerüst der einzelnen Institutionen liefern sollen. Zum anderen handelt es sich bei den Quellen der ausgewählten Institutionen vor al­lem um Sitzungsprotokolle und -dokumentationen. Dazu zählen bei­spielsweise Protokolle der Sitzungen der Sejm-Kommission für Minder­heiten, die in Form von Bulletins publiziert werden. Dabei muss jedoch darauf verwiesen werden, dass diese Bulletins zumindest für die erste untersuchte Legislaturperiode lediglich in unautorisierter Form vorlie­gen. Diese Bulletins sind in dieser Forschungsarbeit insgesamt nicht nur wesentliche Quellen zur Erfassung der Tätigkeit der Kommission selbst, sondern stellen zudem eine zentrale Quelle zur Ermittlung von weiteren Sachinformationen in Bezug auf das Handeln anderer Institutionen so­wie der Minderheitenverbände dar. Diese Quellen erfüllen insofern eine doppelte Funktion. Die stenographischen Berichte des Sejm, die zur Analyse von minderheitenrelevanten Sejm-Debatten genutzt wurden, wurden zudem auch einer sprachlichen Analyse von Schlüsselbegriffen unterzogen. Auch wurden zahlreiche einzelne Dokumente wie ministe­rielle Vorlagen u.ä. berücksichtigt.

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III. Organisierte Interessen ethnischer Minderheiten

in Polen

Im Folgenden wird eine empirische Analyse der Interessenorganisatio­nen der litauischen, weißrussischen, ukrainischen und slowakischen Minderheiten in Polen vorgenommen. Im Theoriekapitel wurde bereits hergeleitet, dass dieser Analyse eine empirisch-analytische Sichtweise zugrunde liegt.. Es soll versucht werden, ein Bild der intermediären Systeme in den vier Minderheiten zu entwerfen und diese abschließend miteinander zu vergleichen.

Die Minderheitenverbände werden dabei als Teil der sich nach dem Systemwechsel pluralisierenden Zivilgesellschaft Polens verstanden, denn die ethnischen Minderheiten Polens haben - entsprechend anderer gesellschaftlicher Gruppen - die Möglichkeiten der Vereinigungsfreiheit seit 1989 nachhaltig genutzt. Dies umso mehr, als sie innerhalb der Volksrepublik Polen entweder lediglich einen Verband pro Minderheit oder - im Falle der deutschen Minderheit - gar keinen Verband unter­halten durften.

Jährliche Neuregistrierung von Minderheitenverbänden

25

- Jährliche Registrierung

20~-----f~----~----------------

15~----+---------~--r-~--------

10~---+------------------~------

Abb.l'

Quelle: GI6wny Urz1\cd Statystyczny: Wyznania religijne. Stowarzyszenia narodowosciowe i etniczne w Polsee 1997·1999, Warschau 2000, S. 170.

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Der Betrachtung der Minderheiten liegt folgendes Muster zugrunde: Nach einer kurzen Vorstellung der jeweiligen Minderheit werden die einzelnen Verbände in den entsprechenden Minderheiten untersucht, dabei handelt es sich um die Mehrheit aller bestehenden Verbände in den vier Minderheiten. Diese Analyse der einzelnen Minderheiten bildet den Kern dieses empirischen Kapitels. In einem zweiten Schritt wird ein Gesamtbild des intermediären Systems jeder Minderheit entworfen, um Erkenntnisse über die Beziehungen der Verbände untereinander sowie ihre Konflikt- und Kooperationsstrukturen zu gewinnen. In einem drit­ten Schritt werden in Form einer Synopse die intermediären Systeme der vier ausgewählten Minderheiten insgesamt miteinander verglichen.

Das grundlegende Analyseinteresse dieser Arbeit bezieht sich somit - wie im Theoriekapitel dargelegt - auf folgende Bereiche: Bei der Ana­lyse der Einzelverbände wird nach Genese und historischen Entwick­lungslinien gefragt. Zudem wird die Programmatik der Verbände unter­sucht. Des Weiteren sind die fixierten und realen Strategien der Verbän­de, ihr Tätigkeitsprofil sowie ihre Organisationsstruktur von Interesse. Im Rahmen der vergleichenden Analyse der intermediären Sphären soll vor allem nach der Verbändekonfiguration sowie nach ihren Konflikt­und Kooperationsstrukturen gefragt werden. Innerhalb der abschließen­den Synopse wird zudem ein Vergleich von Genese, Programmatik, Struktur und Strategien vorgenommen.

1. Litauische Minderheit

Wie bereits oben skizziert, besteht die litauische Minderheit aus rund 25.000 Personen, die vorwiegend geschlossen in einem Gebiet im nord­östlichen Teil der Wojewoschaft Podlachien, nahe der litauischen Gren­ze, siedeln. Die höchsten Anteile der litauischen Bevölkerung finden sich im Kreis Sejny und dort in den Gemeinden Punsk (mehr als 75 Prozent der Bevölkerung), Sejny (zwischen 50 und 75 Prozent), Kras­nopol (25 bis 50 Prozent), Giby (bis zu 25 Prozent) sowie im benach­barten Kreis Suwalki mit drei Gemeinden mit einem litauischen Bevöl­kerungsanteil von bis zu 25 Prozent. 2 Die litauische Minderheit in dieser

2 Da in Polen - wie bereits an anderer Stelle erwähnt - keine staatliche Minderhei­tenstatistik existiert, wurde diese Verteilung entnommen: Sadowski, Andrzej:

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Mieszkancy p61nocno-wschodniej Polski. Sklad Wyznaniowy i Narodowosciowy, in: Kurcz, Zbigniew (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce, Breslau 1997. S. 17-41 (im Folgenden zitiert Sadowski in Kurcz 1997), hier S. 24 f.

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Region gilt als autochthon. Sie siedelt bereits seit Jahrhunderten in den Gebieten des heutigen Nordostens Polens. Historisch war die Region stets Gegenstand von Grenzkonflikten zwischen Polen und Litauen. Insgesamt war der Anteil der litauischen Minderheit zwischen den Weltkriegen wesentlich größer als dies heute (nach der Westverschie­bung Polens nach 1945) der Fall ist. Damals lebten zwischen 70.000 und 80.000 Litauern im Lande. Durch die traditionelle Ansiedlung der Litauer in dieser Region ist ihr Bezug zu ihrem Siedlungsgebiet ent­sprechend intensiv, anders als beispielsweise in der nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb Polens vertriebenen ukrainischen Minderheit.'

Die litauische Minderheit gehört zum allergrößten Teil der römisch­katholischen Kirche an und entspricht damit in religiöser Hinsicht der polnischen Mehrheitsbevölkerung: Entsprechend der Siedlungslage besteht sie mehrheitlich aus ländlicher Bevölkerung, die ihr Auskom­men in der Landwirtschaft findet.' Dementsprechend zählen nicht weni­ge Angehörige der Minderheit in ökonomischer Hinsicht zu den Verlie­rern der polnischen Systemtransformation.

1.1 Analyse der litauischen Interessengruppen

Im Rahmen dieser Analyse sollen vier litauische Interessengruppen analysiert werden. Dies sind die 1993 registrierte Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wspolnota Litwinow w Polsce), der 1992 reformierte Verband der Litauer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsce), der bereits seit 1956 als Litauische sozio-kulturelle Gesellschaft (Litewskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) bestanden hat. Zudem die Litaui­sche Gesellschaft des Heiligen Kasimir (Litewskie Towarzystwo sw. Kazimierza), gegründet 1990, sowie der Verband der Lehrer der Litauer in Polen (Stowarzyszenie Nauczycieli Litwinow w Polsce), der erst im Jahr 2000 entstanden ist.

Wie bei den anderen hier untersuchten Minderheiten, so hat sich auch die hier betrachtete Verbändelandschaft bereits in den ersten Jah­ren der Transformation ausdifferenziert: Neben dem reformierten Alt­verband, dem Verband der Litauer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsce), bildeten sich also diverse neue Organisationen. Anders als in

3 Chalupczak 1998, S. 203 f., Szamel, Dariusz: Litwini w Polsce, in: Centrum Stosunk6w Mi\;dzynarodowych Instytutu Spraw Publicznych (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 (im Folgenden zitiert Szamel in Centrum 1998), S. 209-230, hier S. 209 f.

4 Ebda. S. 221. 5 Chalupczak 1998, S. 204.

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der ukrainischen und weißrussischen Minderheit - was später noch aus­geführt wird - existiert hier jedoch kein Dachverband, so dass alle Or­ganisationen als Einzelverbände operieren.

1.1.1 Der Verband der Litauer in Polen

Genese Wie oben bereits angedeutet wurde, handelt es sich bei diesem Verband um eine Organisation, die bereits in der Zeit der Volksrepublik im No­vember 1956 als Litauische sozio-kulturelle Gesellschaft (Litewskie Towarzystwo Spoleczno- Kulturaine ) gegründet und staatlicherseits re­gistriert worden war." Dies war auf das politische Tauwetter jener Jahre zurückzuführen, das sich auch als Politikwechsel gegenüber den Min­derheiten niederschlug und sich zu Beginn der 50er Jahre zunächst in Bezug auf das Schulwesen abzeichnete. Die möglichen Tätigkeiten jener Zeit reduzierten sich vor allem auf den Aufbau und die Förderung der litauischen Kultur. In einer kurzen Verbandsvorstellung für das Kultur­ministerium durch den bis 2000 amtierenden Vorsitzenden Maksimo­wicz skizziert dieser, dass bis 1989, gemäss der äußeren Bedingungen in der Volksrepublik, ein fast ausschließlich kulturelles Engagement der Litauischen sozio-kulturellen Gesellschaft möglich gewesen ist. Gleichwohl sei jedoch nicht an eine politisch-gesellschaftliche Interes­senvertretung der Litauer zu denken gewesen, da dafür die rechtlichen und politischen Bedingungen fehlten.'

Die Bewertung der Aktivitäten und der Rolle der Monopolorgani­sationen in der kommunistischen Zeit ist insgesamt schwierig; ihre Ar­beit glich aufgrund des engen Handlungsspielraums immer einer Grat­wanderung zwischen Anpassung an die staatlichen Vorgaben und best­möglichem Schutz der eigenen Minderheit. Die aktuelle wissenschaftli­che Literatur über die litauische Minderheit weist große Lücken auf. Für die vorliegende Betrachtung kann im wesentlichen nur auf eine wissen­schaftliche Position zurückgegriffen werden: Krzysztof Tarka charakte­risierte in der einzigen umfassenden Monographie über die Litauer in Polen (von 1944-1997) die Tätigkeit der litauischen Monopolorganisati­on im kommunistischen System folgendermaßen: "In der Geschichte ihrer Gemeinschaft spielte sie eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhal­tung der eigenen nationalen Identität. Trotz der Notwendigkeit, sich an die äußere Situation anzupassen, bemühten sich die Führungspersonen,

6 Tarka, Krzysztof: Litwini w Polsce, 1944-1997, Oppeln 1998 (im Folgenden zitiert Tarka 1997), S. 77.

7 Maksimowicz, Piotr: Informacja Przewodniczllcego Stowarzyszenia Litwin6w w Polsce o. J. (im Folgenden zitiert Maksimowicz-Papier).

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den Prozess der Assimilation der litauischen Bevölkerung zu bremsen. Verwickelt in die offizielle Struktur des politischen Lebens der Volksre­publik Polen, wirkten sie dennoch nicht gegen ihre Mitbürger. Der Schutz der litauischen Enklave vor Entnationalisierung, obgleich nicht niedergeschrieben in ihren Statuten, blieb das wichtigste Ziel der Orga­nisation. "8

Der Wandel der Gesellschaft (Towarzystwo) zum Verband (Stowar­zyszenie) vollzog sich 1992. In Bezug auf die Identifikation mit dem historischen Vorgängerverband, der ein Monopolverband war, zeigen sich Unterschiede zwischen den hier untersuchten Minderheiten, die auch in Bezug auf die Beibehaltung oder Änderung der alten (staatlich verordneten) Namensgebung aus der Zeit der Volksrepublik deutlich werden. Sowohl Ukrainer, Slowaken als auch Litauer entschieden sich für eine Namensänderung und verdeutlichten somit eine stärkere Dis­tanz zu ihrer Vergangenheit." Einzig der weißrussische "Altverband" bekennt sich bewusst zu dieser Kontinuität und nennt sich nach wie vor Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne). Als die litauische Gesellschaft (Towarzystwo) 1992 ihre Bezeichnung änderte, war sie bereits kein Monopolverband mehr, denn schon im Januar 1990, also mitten im Systemwechsel, hatte sich aus Teilen des Vorstandes der Litauischen sozio-kulturellen Gesell­schaft (Litewskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) heraus eine weite­re Organisation gegründet, die Litauische Gesellschaft des Heiligen Kasimir (Litewskie Towarzystwo sw. Kazimierza) gegründet. 1o

Somit hatte innerhalb der litauischen Minderheit schon bald nach dem politischen Umbruch ein organisatorischer Differenzierungsprozess durch diese Abspaltung vom alten Monopolverband eingesetzt. Der Wandel der Litauischen sozio-kulturellen Gesellschaft (Litewskie To­warzystwo Spoleczno-Kulturalne) ging in mehreren Schritten vor sich, indem sich die Mitgliederversammlung 1990 zunächst für eine umfas­sende Änderung des Statuts (in organisatorischer und inhaltlicher Hin­sicht) aus kommunistischer Zeit entschloss, die Mehrheit der Delegier­ten jedoch zunächst für die Beibehaltung des Verbandsnamens votierte. Erst zwei Jahre später fiel die Entscheidung zur Änderung des Namens in Verband der Litauer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsce).ll

8 Tarka 1997, S. 200. 9 Die vormals Ukrainische sozio-kulturelle Gesellschaft nennt sich heute Bund der

Ukrainer in Polen, die slowakische Organisation heißt Gesellschaft der Slowaken in Polen.

10 Tarka 1997, S. 198. 11 Ebda. S. 199 f.

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Programmatik Der Verband der Litauer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsce) hat sich in seinem Statut insgesamt neun Zielen verpflichtet. 12 An erster Stelle steht dabei die "Festigung der brüderlichen Bindung im Zusam­menleben der litauischen Bevölkerung mit der polnischen Bevölke­rung", das zweite Ziel fokussiert die "Gewöhnung der polnischen Be­völkerung an die litauische Kultur". Misst man der Rangfolge der Ziele eine gewissen Bedeutung zu, so ist es auffällig, dass hier zuerst ein strategisches Vorgehen formuliert wird, das sich nicht in erster Linie auf die eigene Minderheit als Adressaten orientiert, also weniger nach innen ausgerichtet ist (im Sinne einer Aktionsform der Selbsthilfe nach Raschke)13 als vielmehr auf die Beziehung zwischen polnischer Mehr­heits- und litauischer Minderheitsbevölkerung, sowie - man könnte es fast als pädagogische Intention bezeichnen - auf die Aufklärung der Polen über die litauische Minderheit. Der Blick auf die realen Strate­gien des Verbandes offenbart jedoch eine andere Handlungspriorität. Zum einen betonte der damalige Vorsitzende Piotr Maksimowicz im durchgeführten Experten-Interview - gefragt nach Haupttätigkeit und Hauptziel seiner Organisation -, das primäre Ziel des Verbandes (Sto­warzyszenie) sei die Kultur- und Bildungstätigkeit, und die primäre Arbeit bestünde in der Organisierung verschiedener Kulturveranstaltun­gen für die Litauer (obwohl er ebenfalls darauf hinwies, dass die Veran­staltungen des Verbands auch für die polnische Bevölkerung von Inte­resse sein können).t< Zum anderen zeigt sich die Dominanz kultureller Aktivitäten und somit der Unterschied zwischen im Statut verankerten Zielen und faktischem Vorgehen. 1s Ein weiteres Beispiel hierfür ist, dass die vom Verband herausgegebene zwei wöchentliche Zeitschrift Ausra gänzlich in litauischer Sprache veröffentlicht wird und somit primär zur Information der Minderheit dient und wohl kaum zum Austausch mit der polnischen Bevölkerung beitragen kann.

Somit zeigt sich, dass die primären statutenmäßigen Ziele des Ver­bandes und faktischen Strategien einige Diskrepanzen aufweisen, denn die tatsächliche Tätigkeit des Verbandes ist weniger auf die polnische Bevölkerung ausgerichtet als vielmehr auf Angehörige der litauischen

12 Statut Stowarzyszenia Litwin6w w Polsee (im Folgenden zitiert Statut Verband). S.2.

13 Raschke. Soziale Bewegungen. S. 121 und S. 329. 14 Interview mit Piotr Maksimowicz. dem damaligen Vorsitzenden des Verbandes der

Litauer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsce) am 12. März 1999 in Sejny (im Folgenden zitiert Interview mit Maksimowicz).

15 Maksimowicz-Papier. S. 2.

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Minderheit. Dies scheint vor allem auf eine transformations bedingte Unerfahrenheit im Umgang mit der Erstellung von Statuten zurückzu­führen zu sein. Denn das gesamte Handeln des Verbandes (Stowarzysze­nie) ist doch sehr stringent auf Förderung und Organisierung von Kul­turveranstaltungen ausgerichtet. Ein weiteres Ziel benennt schlicht die Verbreitung der litauischen Kultur und ist somit ebenfalls eher nach außen orientiert. Folgende Ziele sind hingegen auf die Minderheit hin ausgerichtet: die "Initiierung und Förderung litauischer kultureller und Bildungs-Tätigkeiten", die "Pflege litauischer Sprache und Folklore" sowie die" Fürsorge für litauische Denkmäler in Polen" .'.

Der gesamte Zielkatalog zeichnet sich dadurch aus, dass hier kein politischer Auftrag für den Verband der Litauer in Polen (Stowarzysze­nie Litwinow w Polsce) formuliert wird. Dennoch öffnet der letztge­nannte Punkt zumindest prinzipiell den Weg zu einem politischen Hand­lungsauftrag durch die Zielsetzung des" Schutzes des Rechts der litaui­schen Minderheit". Im Zuge der Demokratisierung Polens und des neu geschaffenen Rechtssystems könnte hierin potenziell eine originäre Aufgabe eines Minderheitenverbandes liegen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass politische Aktivitäten nur eine äußerst geringe Rolle in der Tätigkeit des Verbandes (Stowarzyszenie) spielen. So verwies Maksi­mowicz im Sinne einer in der Praxis klar entwickelten Arbeitsteilung darauf, dass sein Verband politische Tätigkeiten der Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wspolnota Litwinow w Polsce) überlasse, um sich lediglich bei Bedarf Aktivitäten dieses Verbandes anzuschließen."

Strategien und Aktivitäten Der Verband hat in seinem Statut ebenfalls Strategien zur Realisierung der oben angeführten Ziele festgeschrieben." Zu diesen fixierten Strate­gien zählt zunächst die Kooperation mit all jenen staatlichen Stellen (auf zentraler und regionaler Ebene), die für das litauische Schulwesen, litauische Kulturhäuser, Museen, Bibliotheken und Denkmäler zustän­dig sind. Hier wird eine dezidierte, auf den Staat hin ausgerichtete Lob­by-Tätigkeit formuliert. Denn angestrebt wird die minderheitenbezoge­ne Einflussnahme auf die Politikfelder der Kultur-, Bildungs- und Schulpolitik.

In den weiteren fixierten Strategien wird zudem auf das Vorhaben der Errichtung von Schulen verwiesen. Auch der Verbandsvorsitzende

16 Statut Verband. 17 Interview mit Maksimowicz, März 1999 Sejny (im Folgenden zitiert Interview mit

Maksimowicz). 18 Statut Verband, S. 2.

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Maksimowicz benannte derartige Bemühungen als wesentliche Tätig­keit. l ' Weitere dieser Strategien betreffen die faktisch zentralen Tätig­keitsfelder des Verbandes und benennen die Organisierung von litaui­schen Sprachkursen, Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Kursen, Ausstellungen, Konzerten und weiteren künstlerischen Veranstaltungen, vor allem die Bildung von Amateur-Künstlergruppen. Hinter dem Beg­riff Amateur-Künstlergruppen verbergen sich primär Theater- oder folk­loristische Musikgruppen. So genannte Amateur-Gruppen sind für das kulturelle Leben aller in dieser Arbeit betrachteten Minderheiten von Bedeutung: Sie stellen zentrale Träger der Minderheitenkultur dar, weil keine professionellen Ensembles existieren.

In den Strategien finden sich ebenfalls Verweise auf eine Presse­und Verlagstätigkeit des Verbandes. Die maßgebliche Pressetätigkeit besteht in der Herausgabe der bereits erwähnten zweiwöchentlich er­scheinenden litauischen Traditionszeitschrift Ausra ("Morgenröte"), die bereits seit 1960 existiert. 20 Durch die Weiterführung der Zeitschrift auch nach dem Systemwechsel in ausschließlich litauischer Sprache wird deutlich, dass sich Ausra lediglich an litauischsprachige Leser richtet. Damit wird nicht die polnischsprachige Bevölkerung als mögli­cher Adressat dieser Verbandstätigkeit in Betracht gezogen (denkbar wären polnischsprachige Anteile in der Zeitschrift). Hier steht also nicht das oben erwähnte Ziel der "Gewöhnung der polnischen Bevölkerung an die litauische Kultur" im Vordergrund. Vielmehr erfüllt Ausra als größte und zentrale Zeitschrift der litauischen Minderheit mit einer Auf­lage von 1.600 Exemplaren eine wesentliche identitätserhaltende Funk­tion.21 Die Zeitschrift präsentiert sich dementsprechend als "Zeitschrift der Litauer in Polen", die sich mit "informatorischen, historischen und kulturellen Themen" beschäftigt.22 Diese Schwerpunktsetzung entspricht in der Tat der inhaltlichen Ausrichtung von Ausra, in der Berichte über kulturelle Ereignisse aus der Minderheit (Theaterauffuhrungen, Folklo­reveranstaltungen) ebenso Berücksichtigung finden wie lokale und regi­onale historische Themen. Politische Themen sind von geringerer Be­deutung, was der wenig politisch bzw. interessenorganisatorisch ausge-

19 Interview mit Maksimowicz. 20 Der Titel bezieht sich auf eine litauische Zeitschrift, die von 1883 bis 1886 existier­

te, und von Bedeutung rür die litauische nationale Bewegung war. Tarka 1997, S. 141.

21 Auflagenstärke gemäss Aussage der Chefredakteurin vor der Parla­mentskommission, vgl. Komisja Mniejszosci Narodowych i Etnicznych, Biuletyn Nr. 13,31.3.1998,3. Kadenz.

22 Vgl. Strona internetowa Litwin6w w Polsce, http://www.punskas.pl/pllindex.html (28.3.91).

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richteten Zielsetzung des Verbandes entspricht. Obwohl es sich bei die­ser Zeitschrift um das zentrale Organ des Verbandes der Litauer in Po­len (Stowarzyszenie Litwinow w Polsce) handelt, ist Ausra damit eben­falls nicht als primäres Medium für Verbandstätigkeiten zu sehen. Viel­mehr stehen die eher seltenen Berichte über den Verband gleichberech­tigt neben der Berichterstattung über Ereignisse in den anderen litaui­schen Organisationen."

Der verbandseigene Verlag "Ausra" macht die primäre wirtschaftli­che Tätigkeit des Verbandes (Stowarzyszenie) aus. Er ist als GmbH or­ganisiert, deren Aktien zu 100 Prozent im Besitz des Verbandes sind.24

Der Verlag hat seinen Sitz in Punsk und veröffentlicht ein kleines Sor­timent litauischsprachiger Einzelpublikationen. Dazu zählen vor allem litauische Gedichtbände, Kinderliteratur, regionale historische Skizzen sowie Lehrbücher (wofür es Zuwendungen seitens des Bildungsministe­riums gibt), eine eigene litauische Zeitschrift für die Region Suwalki (in der die Litauer nur eine kleine Minderheit darstellen) und jeweils eine Kinder- und Jugendzeitschrift als Beilage zur Ausra.25 Diese Skizze der Publikationstätigkeit des Verbandes erlaubt zum einen die Feststellung, dass sie spezifisch auf die Bedürfnisse der Minderheit zugeschnitten ist und ihre maßgebliche Funktion in der Erhaltung der litauischen (Sprach-)Kultur durch die Etablierung einer - wenn auch kleinen - li­tauischen Publikationslandschaft hat. Zum anderen zeigt sich, dass das Publikationswesen der litauischen Minderheit fest in den Händen eines Verbandes liegt und externe Anbieter (seien es kommerzielle Verlage oder Anbieter aus dem Titularstaat Litauen) nicht auftreten.

Struktur Im Unterschied zur Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wspolnota Lit­winow w Polsce) verfügt der Verband (Stowarzyszenie) über registrierte Mitglieder, insgesamt 1.600.'6 Der Verband mit Sitz in Sejny verfügt über mehr als 40 Regionalgruppen, von denen allein schon über 30 in den Gemeinden von Punsk und Sejny existieren.'7 Weitere Regional­gruppen befinden sich vor allem in den polnischen Großstädten Danzig,

23 Diese Charakterisierung basiert auf der Durchsicht einer Anzahl vorliegender und im Internet verftigbarer Exemplare von Ausra aus den letzten Jahren.

24 Interview mit dem Vizekreisvorsitzender von Sejny Romuald Witkowski, der gleichzeitig leitender Redakteur der "Ausra" ist, am 5. und 6. Juli 2000 in Punsk (im Folgenden zitiert Interview mit Witkowski).

25 Interview mit Witkowski, Selbstdarstellung des Verlags im Internet http://www. Punskas. plIplI aktualij. html (28.3.2001).

26 Informator 1994, S. 106. 27 Ebda., S. 160 und 273.

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Breslau und Warschau28 oder anderen Städten wie beispielsweise Stet­tin. 29 Damit gibt es eine gewisse Repräsentanz des Verbandes in ver­schiedenen Regionen Polens, jedoch handelt es sich in erster Linie um einen regionalen Verband, dessen primärer Tätigkeitsbereich sich mit den Siedlungsgebieten der Litauer in der Region von Punsk und Sejny deckt. Dies zeigt sich allein schon an der regionalen Verteilung dieser doch vergleichsweise kleinen Minderheit, deren zahlenmäßiger Anteil wie bereits oben beschrieben nur in diversen Gemeinden im litauisch­polnischen Grenzgebiet im Nordosten Polens nachweisbar ist. Die groß­städtischen Regionalgruppen, auf die der Verbandsvorsitzende mit Nachdruck verwies, bestehen aus eher kleinen Kreisen von in die Städte abgewanderten Litauern.

Gemäss Statut bilden die Regionalgruppen prinzipiell die grundle­gende organisatorische Einheit des Verbandes.30 Sie entsenden Delegier­te zum höchsten beschlussfassenden Gremium des Verbandes - der jähr­lichen Nationalen Delegiertenversammlung, die die Richtung der Ver­bandsarbeit festlegt und den Verbandsvorsitzenden wählt. Hinzu kom­men als leitende Gremien der Rat des Verbandes, der mit 21 Mitgliedern ein vergleichsweise großes Gremium darstellt, sowie ein siebenköpfiger Vorstand, der die Verbandsgeschäfte zwischen den Ratssitzungen führt. Der Rat hat hierbei jedoch eine zentrale Führungsposition, denn er kann bspw. Entscheidungen des Vorstandes widerrufen. Auch übt er die ver­bandliche Kontrolle der Zeitschrift Ausra aus, denn er trifft Entschei­dungen über die Zusammensetzung der Redaktion. Dem Vorstand ver­bleiben lediglich exekutive Aufgaben."

Obwohl innerhalb des litauischen Verbände wesens kein führender Dachverband existiert, ist der Verband der Litauer in Polen (Stowarzys­zenie Litwinow w Polsce) zum einen aufgrund seiner größten Mitglie­derzahlen, zum anderen aufgrund seiner führenden Rolle auf dem Publi­kationsmarkt als eine Art Hauptverband in der Minderheit anzusehen. Insofern irrt sich Dariusz Szamel, der in einer der wenigen aktuellen und wie üblich knappen Beschreibung über die Organisations struktur der Litauer in Polen davon ausgeht, dass vielmehr die Gemeinschaft

28 Interview mit Maksimowicz. 29 Interview mit der dortigen langjährigen Regionalgruppen-Vorsitzenden Julija Zele­

piiniene, 11.5.2000 Stettin. Dort scheinen Aktivitäten eher sporadisch zu sein. Auch existieren erhebliche Nachwuchsprobleme, vor allem Angehörige älterer Generatio­nen zählen zu den Aktiven.

30 Statut Verband, S. 7 f 31 Ebda., S. 6f.

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(Wsp6Inota) eine Art übergeordnete Organisation innerhalb der Minder­heit darstellt. 32

1.1.2 Gemeinschaft der Litauer in Polen

Die Gemeinschaft (Wsp6Inota) entstand 1992. Im Statut dieses Verban­des wird festgestellt, dass sie sich internationalen Organisationen an­schließen kann, was konkret bedeutet, dass sie Mitgliedsorganisation des Weltverbandes der Gemeinschaft der Litauer ist und sich in seinen Gremien engagiert.3J Dies hat zur Folge, dass sich die Gemeinschaft (Wsp6Inota) in ihren Zielen und Hauptaufgaben am Weltverband orien­tiert.:>! Somit hat sich drei Jahre nach dem Systemwechsel auch ein pol­nischer Zweig dieses Weltverbandes gegründet.

Als ihre dezidierten Ziele benennt die Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wsp6lnota Litwin6w w Polsce) drei Aspekte. An erster Stelle steht der Erhalt der nationalen Identität. Durch dieses primäre Ziel soll nach dem Willen der Vorsitzenden der allgemeine Assimilierungspro­zess, durch den alle Minderheiten gefährdet seien, möglichst aufgehal­ten werden. Dies ist somit ein Anliegen, dass sich nach innen, an die Minderheit, richtet und dabei ein strategisches Vorgehen in verschiedene Richtungen offen lässt. Das zweite Ziel, die Propagierung der nationa­len Kultur, richtet sich dezidiert nach außen, also an Adressaten außer­halb der litauischen Minderheit, ebenso wie das dritte Ziel, die Beteili­gung am gesellschaftlich-politischen Leben des Landes. 3S Durch diese dezidiert politische Zielsetzung unterscheidet sich die Gemeinschaft (Wsp6Inota) von allen anderen litauischen Organisationen, was bereits im Abschnitt zum Verband (Stowarzyszenie) angedeutet wurde und einer Arbeitsteilung entspricht. Ihre spezifische Funktion wird seitens der Gemeinschaft (Wsp6Inota) in der Koordination der Arbeit aller litaui­scher Organisationen sowie der Repräsentanz der Litauer auf verschie­denen Ebenen gesehen.3• Hieraus resultiert auch, dass die Gemeinschaft (Wsp6Inota) in verschiedenen Kurz-Darstellungen über die MinderheiP' als Organisation mit "übergeordneter Funktion gegenüber den in Polen bestehenden Institutionen des gesellschaftlich kulturellen Lebens der

32 Szamel in Centrum 1998, S. 210. 33 Statut Wsp61noty Litwin6w w Poisce (im Folgenden zitiert Statut Gemeinschaft),

S. 1,3. 34 Interview mit der Vorsitzenden der Ws61nota Litwin6w w Polsce Irina Gasperowicz,

am 12.3.1999 in Punsk (im Folgenden zitiert Interview mit Gasperowicz). 35 Statut Gemeinschaft, S. 2. 36 Interview mit Gasperowicz. 37 Informator 1994, S. 11, Szamel in Centrum 1998, S. 210.

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Litauer" gesehen wird, die die Litauer gegenüber der polnischen Admi­nistration repräsentiere und die politischen, gesellschaftlichen und kul­turellen Tätigkeiten der Litauer in Polen koordiniere. Gerade aus der Perspektive der anderen Verbände scheint es sich jedoch weniger um eine hierarchische Auf teilung, wie dies vielleicht bei einem Dachver­band der Fall wäre, als vielmehr um den Ausdruck einer arbeitsteiligen Struktur zu handeln."

Strategie Im Statut der Gemeinschaft (Wsp6Inota) sind verschiedene fixierte Stra­tegien festgelegt, durch die obige Ziele realisiert werden sollen. Die erste Strategie ist auf infrastrukturelle Verbesserungen innerhalb der Minderheit ausgerichtet, durch die Schaffung von Institutionen in den Bereichen Erziehung, Kultur, Religion und Soziales. An zweiter Stelle steht die Kooperation mit und Unterstützung von bereits bestehenden Organisationen und litauischen Institutionen. Diese Strategien zeigen demnach eine starke Orientierung auf die institutionelle Infrastruktur innerhalb der litauischen Minderheit Polens. Somit ist die Gemeinschaft bestrebt, die Erfolge ihres Handeins nicht primär (im Sinne Olsons) eigenen Mitgliedern zukommen zu lassen, sondern sie verfolgt vielmehr innerhalb der Minderheit eine altruistische bzw. soziale Intention, indem die Initiativen anderer in der litauischen Minderheiten initiiert und ge­stärkt werden sollen.

Eine weitere Strategie fokussiert sich auf die Bindung an die Bevöl­kerung in Litauen sowie eine Verknüpfung mit den Strukturen des Welt­verbandes der Litauer. Wenn man so will, zeigt sich in dieser Strategie eine "außenpolitische" Zielrichtung des Verbandes. Frappierend ist die Tatsache, dass die Pflege der Beziehungen zur Bevölkerung Litauens lediglich in dieser Organisation, jedoch nicht im oben vorgestellten "Altverband" Verband der Litauer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsee ) ein strategisches Ziel darstellt.

Eine weitere Strategie umfasst die Sorge um die Bewahrung und den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte. Anders als beispielsweise in den Zielsetzungen des Verbandes (Stowarzyszenie), in denen explizites Ziel der rechtliche Schutz der litauischen Minderheit ist, wird hier le­diglich im allgemeinen Sinne der Fokus auf Menschen- und Bürgerrech­te gelegt. Einen klaren politischen Auftrag beinhaltet die Strategie, Kan­didaten für politische Wahlen vorzuschlagen. Damit ist ein expliziter Auftrag verbunden, bei den Wahlen auf verschiedenen politischen Ebe­nen als Minderheit aktiv aufzutreten - hier ist als Strategie die Partizi-

38 Ebda., Interview mit Maksimowicz.

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pation am demokratischen Staatsleben erkennbar.39 Die sich hierdurch zugleich abzeichnende loyale Haltung gegenüber dem polnischen Staat bekräftigt die Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wspolnota Litwinow w Polsce) überdies durch einen eigenen Paragraphen, indem sie ihre "volle Loyalität gegenüber dem Staat, in dem sie heute tätig ist" er­klärt.40 Diese explizite Erwähnung ist vor dem Hintergrund der juristi­schen bzw. völkerrechtlichen Debatten über Möglichkeiten der (morali­schen) Einforderung von Staats-Loyalität vor allem deswegen bemer­kenswert, weil zwar alle Verbände der vorliegenden Analyse sich in unterschiedlichen Ausprägungen zur Rechtstaatlichkeit bekennen, je­doch kein anderer Verband dieses explizite Loyalitäts-Bekenntnis zum polnischen Staat abgelegt hat.41

Struktur Die Gemeinschaft (Wspolnota) weist eine andere Struktur auf als der Verband der Litduer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsce). Zu­nächst vor allem dadurch, dass sie keine regionalen Gliederungen auf­baut und keine Mitgliederregistrierung vornimmt:2 Ihre Struktur basiert nicht auf solchermaßen registrierten Mitgliedern, denn diesen steht kein eigenes Organ zu. Die Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wspolnota Litwinow w Polsee ) unterscheidet satzungsgemäß vier Organe: den Rat, den Vorstand, eine Kontrollkommission (zur Finanzkontrolle) sowie einen Ehrenrat (mit einer jeweils dreijährigen Amtszeit). Das höchste Gremium ist der Rat der Gemeinschaft (Wspolnota), der - ähnlich der Funktion von Mitgliederversammlungen in den anderen Verbänden - die Richtung der Tätigkeit des Verbandes bestimmt, die Mitglieder von Kontrollkommission und Ehrengericht sowie den Vorsitzenden wählt. Die weiteren Mitglieder des Vorstands werden hingegen lediglich vom Vorsitzenden vorgeschlagen und durch den Rat bestätigt. Diese sind somit nicht auf gleiche Weise demokratisch legitimiert. Der Rat setzt sich zusammen aus Organisationen, Institutionen und Einzelmitgliedern und entscheidet selbst über weitere Aufnahmen in die eigenen Reihen. Dies bedeutet, dass sich im Rat der Gemeinschaft die institutionelle Landschaft der litauischen Minderheit in Polen widerspiegelt."

39 Statut Gemeinschaft, S. 2. 40 Edba. 41 Vgl. zur Loyalitäts-Diskussion: Luchterhandt, Otto: Nationale Minderheiten und

Loyalität, Köln 1997, insbesondere seine Thesen zur ,Loyalitätspflicht', S. 123-125. 42 Statut Gemeinschaft, S. I. 43 Ebda., S. 4 f.

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Ein besonderes Augenmerk ist noch auf das Verbands gremium des Eh­rengerichtes zu legen, denn seine Aufgabe besteht darin, "entstehende Konflikte zwischen einzelnen Organisationen, Institutionen oder einfa­chen Mitgliedern zu überprüfen "44 und Entscheidungen hierzu zu fällen. Hinzugefügt wird dabei, dass die Entscheidungen des Ehrengerichts endgültig sind, die Rats-Mitglieder also verpflichtet sind, sich an die über ihre Konflikte ausgesprochenen Entscheidungen zu halten. Durch ihr Ehrengericht kann die Gemeinschaft (Wsp6Inota) gegenüber allen litauischen Institutionen, Organisationen etc., die in diesem Verband mitarbeiten, faktisch eine gewisse strukturierende Funktion wahrneh­men, weil ihr durch die Tätigkeit des Ehrengerichts die Befugnis zu­kommt, schlichtend und ordnend in die organisierte Landschaft der Minderheit einzugreifen. In der Praxis hatte diese Institution bislang jedoch kaum Relevanz.

Im Weiteren soll ein kurzer Blick auf das Elitenprofil sowohl von Gemeinschaft (Wsp6Inota) als auch des Verbandes (Stowarzyszenie) geworfen werden. In bei den Verbänden zeigte sich im Verlauf der 90er Jahre ein Generationswechsel; besonders deutlich anhand der Wahl jüngerer Vorsitzender. Innerhalb des Altverbandes wurde dies bereits 1995 durch die Wahl des damals 25-jährigen Piotr Maksimowicz" deut­lich. Dieser Schritt manifestierte sich in der Folgezeit als Trend, so dass sein Nachfolger ebenfalls zur Generation der 20- bis 30-Jährigen zählt. Ende der 90er Jahre zeigte sich ein Generationswechsel ebenfalls in der Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wsp6lnota Litwin6w w Polsce), als der Vorsitzende Sygit Foronczewicz (ein kurz vor der Pensionierung stehender Lehrer) von der ebenfalls zur jüngeren Generation zählenden Irina Gasperowicz abgelöst wurde.

Ein weiteres markantes Merkmal des Elitenprofils der organisierten Sphäre der litauischen Minderheit ist eine gewisse Vernetzung der Füh­rungsspitzen zwischen diesen beiden zentralen Verbänden. So ist die Vorsitzende der Gemeinschaft (Wsp6Inota) gleichzeitig Chefredakteurin der Zeitung Ausra und somit Angestellte des Verbandes (Stowarzysze­nie). Hierdurch zeigt sich zweierlei: Zum einen wird neuerlich die ko­operative Grundstruktur zwischen diesen Minderheitenverbänden und somit die Abwesenheit von sichtbarer Konkurrenz deutlich (andernfalls wäre es nicht denkbar, dass eine derart sensible Position, die einen gro­ßen Einfluss auf das äußere Bild des Verbandes (Stowarzyszenie) er­laubt, durch eine hohe Entscheidungsträgerin einer anderen Organisati-

44 Ebda., S. 6. 45 Tarka 1997, S. 202.

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on besetzt wird). Zum anderen bieten sich nur wenige mit der Minder­heit verbundene Erwerbsmöglichkeiten in der Gegend von Punks und Sejny (sei es als Lehrer an den litauischen Schulen oder als Angestellte in den Gemeindeverwaltungen oder in den Kulturhäusern).46

1.1.3 Litauische Gesellschaft des Heiligen Kasimir

Genese Die Kasimir-Gesellschaft entstand, wie bereits erwähnt, als erster neu­gegründeter Verband bereits im Januar 1990. Dies war das Resultat einer Initiative vormaliger Vorstandsmitglieder der Litauischen sozio­kulturellen Gesellschaft (Litewskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne), also der vormaligen Monopolorganisation. 47 Das Gründungsinteresse lag in der Anknüpfung an eine historische Organisation aus der polnischen Republik der Zwischenkriegszeit. So bezieht sich die neue Gesellschaft explizit auf die von 1925 bis 1937 existierende Kasimir-Stiftung, die sich primär Bildungsfragen widmete, Lesungen oder Theaterveranstal­tungen organisierte und vpr allem innerhalb der Landbevölkerung popu­lär war." Die Gesellschaft verweist durch ihre historische Identifikation zurück auf die vielfach von Minderheitenforschern betonte multikultu­relle Tradition Polens vor dem Zweiten Weltkrieg.

Hier zeigt sich somit ein spezifischer Typus eines historischen Ver­bands, der bei den Analysen postkommunistischer Demokratien insge­samt weniger in der Verbände-, als in der Parteienforschung Relevanz hat, da fast alle ostmittel- und osteuropäischen Parteiensysteme auch von Parteien diesen Typs geprägt sind. In der Verbändeanalyse ostmit­tel- und osteuropäischer Gesellschaften scheint der Typus historischer Verbände bislang selten beobachtet worden zu sein. Innerhalb aller in der vorliegenden Arbeit untersuchten Minderheitenverbände bildet die Litauische Gesellschaft des Heiligen Kasimir (Litewskie Towarzystwo sw. Kazimierza) somit die Ausnahme.

Programmatik und Strategien Das Ziel dieses Verbandes besteht vor allem darin, das kulturelle Erbe der litauischen Minderheit in Polen zu bewahren. Besonders augenfällig

46 So war der frühere Vorsitzende der Gemeinschaft (Wsp6/nota) Lehrer am örtlichen Lyzeum. Auch der Vorsitzende des Verbandes (Stowarzyszenie) arbeitet hauptberuf­lich als Lehrer in der Region. Sein Vorgänger hatte die Möglichkeit, seinen Lebens­unterhalt im litauischen Konsulat von Sejny zu verdienen.

47 Tarka 1997, S. 198, Initiator war Olgierd Skrzypko, der heute stellvertretender Vorsitzender der Kasimir-Gesellschaft ist, und mit dem das Eliten-Interview flir die­se Arbeit geflihrt wurde.

48 Chalupczak S. 207.

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ist, dass sich in der Programmatik des Verbandes ein expliziter Bezug zur katholischen Kirche findet. So soll vor allem das (römisch­katholische) religiöse Erbe der Minderheit erhalten werden. Die beson­dere religionsbezogene Ausrichtung zeigt sich in der fixierten Strategie, sich um die Abhaltung litauischsprachiger Messen zu bemühen:· Deren Zahl wurde in den vergangenen Jahrzehnten stets als zu gering angese­hen.50 Gemäss dem Verständnis des Vorsitzenden des Verbandes handelt es sich bei der Kasimir-Gesellschaft nicht erklärtermaßen um einen Verband mit politikbezogenen Strategien. 51 Vielmehr dominieren bil­dungsbezogene Vorhaben, die sich vor allem auf das litauische Minder­heitenschulwesen beziehen.

1.1.4 Verband der Lehrer der Litauer in Polen

Genese Wie bereits erwähnt, sticht dieser Verband unter allen in dieser Arbeit untersuchten Minderheitenorganisationen hervor, weil er sich wesent­lich später als das Gros der Organisationen gegründet hat. Es ist der einzige derartige Verband in den hier untersuchten Minderheiten, der sich erst im Jahr 2000 bildete. Aufgrund der kürzlichen Entstehung dieses Verbandes ist das empirische Material über ihn eher gering. Im Rahmen dieser Analyse lagen in erster Linie das Statut des Verbandes sowie das Experteninterview mit der Vorsitzenden vor.

Die Frage nach der Gründungmotivation dieses Verbandes stellt sich nochmals auf andere Art, weil es sich hier nicht, wie bei allen anderen Verbänden, um eine Gründung als unmittelbare Reaktion auf den Sys­temwechsel handelt. Vielmehr ist sie als Reaktion auf ein spezifisches Transformationsproblem zu sehen: Die polnische Bildungsreform von 1999, die vor allem die Dezentralisierung von Kompetenzen für das Schulwesen zur Folge hatte. Der Gründungsimpuls ist in diesem Fall interessanterweise von einer weiteren Organisation innerhalb der Min­derheit ausgegangen, von der Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wspolnota Litwinow w Polsce). Denn, wie die Vorsitzende Anastasia Sidor betonte, hat diese erstmals alle Lehrer zur Debatte über Schwie­rigkeiten des litauischen Minderheitenschulwesens versammelt.52

49 Statut Litewskiego Towarzystwa sw. Kazimierza. 50 Interview mit Witkwoski. 51 Interview mit dem Vorsitzenden der Kasimier-Gesellschaft, Piotr Skrzypko, März

1999 Sejny. 52 Interview mit der Vorsitzenden des Lehrer-Verbandes Anastazja Sidor am

4. Juli 2000 in Puitsk (im Folgenden zitiert Interview mit Sidor).

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Programmatik In seinem Statut bezieht sich der Verband auf vier Ziele: Das erste Ziel gilt "der Sorge um die Entwicklung der Bildung der polnischen Litauer, das Heben des Niveaus an litauischen Schulen, die Sorge um die Erzie­hung von Kindern und Jugendlichen". Das zweite Ziel gilt der "Sorge um die Hebung des Niveaus professioneller Lehrer in den litauischen Schulen in Polen ". Nun ließe sich hier vermuten, dass dieses Ziel sei­tens einiger Lehrer auch als Kritik an ihrer Tätigkeit gesehen werden könnte. Da jedoch die Initiative zur Verbandsgründung aus der Lehrer­schaft der litauischen Minderheit selbst hervorging, ist davon jedoch weniger auszugehen. Vielmehr drückt sich hierin die Sorge um die Qua­lität des minderheitensprachlichen Unterrichts aus. So müssen Lehrplä­ne hierfür von den Lehrern selbst entwickelt werden. Durch den Lehrer­verband soll dafür nun ein organisatorischer Rahmen geschaffen wer­den, wobei vor <;lllem die Entwicklung lokaler und regionaler litauisch­sprachiger Lehrbücher (und somit also Lehrstoff, der auf die Lebenssi­tuation der Minderheit in Nordostpolen zugeschnitten ist) geplant ist."

Das dritte Ziel bezieht sich auf die "Sorge der Bewahrung und Ent­wicklung der Kultur und Tradition in den litauischen Schulen in Polen ". An diesem Ziel des Lehrerverbandes fällt vor allem auf, dass sich daran der ansonsten selten zu findende Aspekt der Entwicklung von Minder­heitenidentität zeigt; ein Aspekt, der in den meisten Postulaten von Minderheiten selber, jedoch auch in politischen und wissenschaftlichen Debatten über der Forderung der Bewahrung von Minderheitenidentität vergessen wird. Darüber wird jedoch nicht selten übersehen, dass es sich keineswegs um kulturellen Stillstand handelt.54

Das vierte Ziel des Verbandes betont die Kooperation mit anderen Institutionen und Organisationen, die sich in beiden Ländern (also in Polen und Litauen) mit dem Bereich der "nationalen Bildung" beschäf­tigen und intendiert somit eine infrastrukturelle Verbesserung des litauischsprachigen Schulwesens durch bisher mangelnde Koordination und Kooperation.

Alle vier Ziele weisen eine deutliche altruistische Intention auf. Dies bedeutet, dass keine Aspekte aufgeführt werden, die nur den eige-

53 Interview mit Sidor. 54 Auf das Phänomen von Kontinuität und Wandel hat Wolfgang Kaschuba für das

Fach der europäischen Ethnologie anschaulich hingewiesen, indem er für ältere Ausprägungen seines Faches das Problem zu großer volkskundlicher Kontinuitäts­orientierungen ausmachte. Kaschuba plädiert stattdessen für eine Ethnologie des kulturellen Wandels, vgl. Kaschuba, Wolfgang: Einführung in die Europäische Eth­nologie, München 1999, hier S. 165-184.

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nen Verbandsmitgliedern Nutzen verschaffen. Es überwiegt - bezogen auf Bildungsfragen - der Charakter einer Gemeinwohlorientierung.

Strategie In seinem Statut gibt sich der Lehrerverband eine lange Liste von fixier­ten Strategien. Sie wirken aufgrund des Umfangs eher wie ein "Wunsch­zettel" denn wie eine Abgrenzung der Verbandsvorhaben. 55 Dennoch sollen diese Punkte hier einer kurzen Deutung unterzogen und dazu in fünf inhaltliche Gruppen eingeteilt werden.

So zeigen sich erstens Strategien mit der Intention der didaktischen und organisatorischen Verbesserung des litauischen Minderheiten­Schulunterrichts. Dies soll mittels der Entwicklung von Lehrplänen, di­daktischen Materialien, der Organisierung didaktischer Konferenzen, der Herausgabe von Lehrbüchern sowie der selbständigen Gestaltung von zusätzlichem Unterricht in litauischer Sprache, von Geschichte und Geographie in litauischen Schulen oder durch Wochenendunterricht geschehen. Zudem ist als eine weitere Strategie die eigene Errichtung von litauischen Schulen in Polen formuliert. Damit ist im Verbands­handeln eine deutliche Dimension der Selbsthilfe vorhanden. Adressat dieser ersten Strategiegruppe ist demnach sowohl die litauische Minder­heit als auch die litauische Lehrerschaft.

Zweitens wurden Strategien hinsichtlich der Einflussnahme auf po­litische Prozesse festgeschrieben. Dazu soll zum einen mit staatlichen Organen, die auf verschiedenen Ebenen für die litauischen Schulen zu­ständig sind, kooperiert werden. Zum anderen sollen Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben, geplanten Veränderungen oder Schließungen von litauischen Schulen abgegeben werden. Damit formuliert der Lehrerver­band eine explizite Strategie der politischen Interessenvertretung. In einem traditionellen Verbände-Verständnis zählt diese Form von "pres­sure" gegenüber politischen Entscheidungsträgern zu den zentralen Strategien von Verbänden. Hierin unterscheidet sich der Lehrerverband von anderen hier analysierten Verbänden.

Eine dritte Gruppe von Strategien hat weder die Lehrenden noch die Politik zum Adressaten, sondern das Freizeitleben der Schüler und sieht die Förderung kultureller, künstlerischer und freizeitgestaltender Aktivi­täten an den Schulen vor. Dies soll etwa durch Ausrichtung von sportli­chen Wettkämpfen, Ausflügen, Theaterveranstaltungen oder Sommer­camps erfüllt werden. Die vierte Strategiegruppe betrifft die soziale Fürsorge für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Famili-

55 V gl. zu den Strategien Statut des Stowarzyszenie Nauczycieli Litwin6w w Polsee (im Folgenden zitiert Statur Lehrerverband), S. 3.

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en. Eine weitere Strategiegruppe bilden Vorhaben zur besseren Vernet­zung innerhalb des Schulwesens in Polen sowie zur Förderung interna­tionaler Schul partnerschaften. Derzeit besteht beispielsweise eine Schulkooperation des einzigen litauischen Lyzeums in Polen mit einem litauischen Gymnasium in Deutschland.

Struktur Die organisatorische Struktur des Verbandes weist ein durchaus typi­sches Bild auf. Auf zentraler Ebene existieren Mitgliederversammlung, Vorstand, Revisionskommission sowie ein sogenanntes Kollegialgericht. Das höchste Organ stellt die Allgemeine Mitgliederversammlung dar, die das Tätigkeitsprogramm des Verbandes beschließt und über die Be­setzung der anderen Organe entscheidet. Alle Organe haben eine zwei­jährige Amtszeit. Auch der Vorstand verfügt über die üblichen Kompe­tenzen, etwa zur Einberufung der jährlichen Allgemeinen Mitgliederver­sammlung, der Führung der laufenden Tätigkeiten zwischen den Ver­sammlungen oder die Außenrepräsentation. Neben der Revisionskom­mission, die als KontroUgremium für die Verbandstätigkeit gedacht ist, stellt das Kollegialgericht ein weiteres Organ dar. Die Aufgabe des Kol­legialgerichts besteht in der Lösung strittiger Probleme zwischen den Mitgliedern. So kann sich jedes Mitglied mit schriftlichen Anträgen, die Verbandsfragen betreffen, an dieses Gremium wenden. 56

Auch die Einrichtung von Regionalabteilungen ist innerhalb des Lehrerverbandes möglich. Diese sollen regulär an Schulen angesiedelt sein. Zwar richtet sich die Option einer Verbandsmitgliedschaft vor al­lem an Lehrer, jedoch können auch andere interessierte Personen Mit­glied werden, weswegen die Möglichkeit besteht, ebenfalls Regional­gruppen in Orten zu gründen, in denen keine Schulen bestehen. Diese Regionalgruppen, über deren Einrichtung der Vorstand entscheidet, ver­fügen über eine eigene Mitgliederversammlung und einen eigenen Vor­stand und können sich ein eigenes Tätigkeitsprogramm geben.57

Der Lehrerverband ist zudem einer der wenigen Minderheitenver­bände, bei denen sich Aussagen zum Organisationsgrad treffen lassen, weil die Gesamtmenge des potenziellen Mitgliederkreises bekannt ist. Von den insgesamt 100 Lehrern im litauischen Minderheitenschulbe­reich in Polen sind im Zuge der Verbands grün dung 30 dem Verband beigetreten.58

56 Statut Lehrerverband, S. 6-8. 57 Ebda., S. 8 f. 58 Interview mit Sidor.

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An dem litauischen Lehrerverband zeigt sich deutlich, dass die späte Verbandsgründung den bereits zurückgelegten Weg des Transformati­onsprozesses in Polen reflektiert. D.h., anders als in vielen anderen Minderheitenverbänden zeigt sich hier nicht mehr der Wunsch nach Abgrenzung vom Politischen, sondern, wie seitens der Verbandsvorsit­zenden formuliert, die politische Intention, mit dem Verband interessen­organisatorisch auf ein konkretes staatliches Reformprojekt zu reagieren - ein Merkmal einer späten Verbandsgründung.

1.2 Kooperative Verbändebeziehungen - Die intermediäre Sphäre der litauischen Minderheit

Die Analyse hat deutlich gemacht, dass sich die Verbändelandschaft der Litauer vor allem durch ein überschaubares Maß an Interessengruppen auszeichnet, es jedoch aufgrund der geringen Größe der Minderheit als pluralisiert angesehen werden kann. Denn im Unterschied zur zahlen­mäßig ähnlich großen slowakischen Minderheit, die nur über einen Ver­band verfügt, handelt es hier immerhin um eine eigenständige Verbände­landschaft. Ein weiteres bedeutendes Charakteristikum ist die Zeitspan­ne der Genese des Verbändesystems, die sich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckt. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Entwicklung durch die Gründung der Litauischen Gesellschaft des Heiligen Kasimir (Litewskie Towarzystwo sw. Kazimierza) als Abspaltung vom Monopol­verband bereits im Jahr 1990. Der Endpunkt liegt in der außerordentlich späten Verbandsgründung des Lehrerverbandes im Jahr 2000.

Das dritte Merkmal der litauischen Verbände ist ihre markante Ko­operationsstruktur, die sich vor allem dadurch zeigt, dass die zwei als solche identifizierten Hauptverbände Gemeinschaft (Wsp6Inota) und Verband (Stowarzyszenie) in keiner Weise in Konkurrenz zueinander stehen. Vielmehr hat sich eine klare Arbeitsteilung durch die Übernah­me politischer Funktionen seitens der Gemeinschaft der Litauer in Po­len (Wsp6lnota Litwin6w w Polsee ) für alle anderen Verbände herausge­bildet. Hingegen betont der Verband (Stowarzyszenie), dass er sich pri­mär auf kulturelle Arbeit konzentriert. Es lässt sich somit keine klare Dachverbandsstruktur erkennen, zumal die Gemeinschaft (Wsp6Inota) keine eigenen Mitglieder registriert.

Ein anschauliches Beispiel der gemeinsamen politischen Aktion al­ler litauischen Organisationen stellt die Vorbereitung für die ersten Wahlen zu den neugeschaffenen Selbstverwaltungsorganen in den eben-

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falls neugeschaffenen Kreisen dar, zu denen 1998 aufgerufen wurde. Für die Wahlen zum Kreisrat von Sejnys· stellte die Minderheit erstmalig eine eigene Wahlliste auf (Wahlliste Nr. 8), auf der Kandidaten des "Wahlkomitees der litauischen Verbände" plaziert waren, nachdem bis­lang Angehörige der litauischen Minderheit lediglich als "normale" Kandidaten verschiedener Parteien aufgestellt wurden.'" Um explizite Kandidaten der Minderheit in diesem Selbstverwaltungsorgan repräsen­tiert zu sehen, entschlossen sich die Verbände zu einer konzertierten po­litischen Aktion. Die insgesamt 16 Kandidaten präsentierten sich dem­entsprechend auch mit der Angabe, in welchen Minderheitenverbänden sie Mitglied sind. Der oben bereits skizzierte Charakter einer problem­freien Koexistenz der litauischen Verbände wird hier nochmals dadurch deutlich, dass verschiedene Kandidaten auf ihre Doppelmitgliedschaften hinwiesen, was augenscheinlich sogar als positives Wahlwerbeelement verstanden wurd~. 61

Im Rahmen ihrer Wahlinitiative haben die litauischen Organi­sationen als inhaltliches Programm ein Zehn-Punkte-Programm aufge­stellt, das sie in ihrem Wahlaufruf veröffentlichten. Das als Adressaten dieser politischen Verbands-Initiative lediglich die Litauer im Kreis Sejny angesehen wurden, zeigt sich daran, dass das Wahlprogramm in litauischer Sprache verfasst wurde, obwohl diese im fraglichen Kreis nur 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Das politische Programm zeichnet sich durch folgende Aspekte aus: Zu Beginn wird auf die Besonderheit der geographischen Lage des Kreises Sejny in der polnisch-litauischen Grenzregion verwiesen. Politi­sche Hoffnungen werden an den EU-Beitritt Polens geknüpft. Zusätzlich wird konkret auf Kooperationschancen mit zwei litauischen Nachbar­kreisen jenseits der Grenze verwiesen, was wirtschaftliche und kulturel­le Impulse bieten solle. Insgesamt wird die Grenzlage eher als Vorteil dargestellt, der ausländische Investoren anlocken soll, weil der Kreis über zwei Grenzübergänge verfügt. Dabei soll ein kleines Wunder voll­bracht werden, in dem zum einen so viele Investoren wie möglich ange­zogen werden sollen, diese zum anderen dem einheimischen Kapital jedoch nicht schaden dürfen. Markant ist an diesen bei den ersten Pro-

59 Der Kreis Sejny umfasst die Gemeinden Puitsk, Krasnopol, Giby und Sejny (Stadt­und Landgemeinde), in denen, wie oben beschrieben, zwischen 25 und 80 Prozent der Bevölkerung zur litauischen Minderheit gehören.

60 Interview mit Gasperowicz. 61 Lietuviu Draugiju rinkimu komitetas, Rinkimu Lapas Nr. 8, 1998 (im Folgenden

zitiert Litauischer Wahlaufruf).

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gramm-Punkten vor allem der internationale Bezug, indem die Grenz­nähe als vermeintlicher Vorteil präsentiert wird. 62

In einem nächsten Schritt bezieht sich das Programm auf die Landwirtschaft, die Haupteinnahmequelle des Kreises ist, und diesen stark prägt. An diesem Punkt wird das Programm - verständlicherweise - sehr vorsichtig und verspricht lediglich die Modernisierung dieses Wirtschaftszweigs, schweigt jedoch zur unausweichlichen Umstruk­turierung der Landwirtschaft, also der notwendigen Schließung zahl­reicher Höfe. Als möglicher Ausweg wird der Aufbau von Agro­tourismus gesehen. 63

Dieses Wahlprogramm zeichnet sich dadurch aus, dass es zwischen sehr allgemein gehaltenen und spezifischen Wahlzusagen schwankt. So wurde einerseits versucht, der in Wahlprogrammen größerer Parteien üblichen (aber von einer aus Verbänden bestehenden Wahlliste augen­scheinbar nicht leistbaren) Einbeziehung von vielen zentralen Politik­feldern Rechnung zu tragen (hier: Wirtschafts-, Sozial-, Agrar-, Ge­sundheits-, Bildungs- und Strukturpolitik). Diese wirken jedoch mit Ausnahme einiger strukturpolitischer Überlegungen wenig elaboriert. Andererseits findet sich beispielsweise in der Forderung nach einem Kulturhaus in Punsk ein lokales Thema. Insgesamt ergibt sich somit ein uneinheitliches Bild, und so zeigt sich am Programm dieser (von in Wahlfragen recht unerfahrenen Verbänden aufgestellten) Wahlliste ein ähnliches Phänomen wie bei zahlreichen Parteien in den ostmittel- und osteuropäischen Transformationsgesellschaften. Diese formulierten ebenfalls ihre Partei- und Wahlprogrammen vergleichsweise unscharf oder sogar widersprüchlich, so dass diese zuweilen zu einem profillosen politischen "Wunschzettel" mutierten.

Das Ergebnis dieser konzertierten Aktion zur Wahl des Kreisrats wurde seitens der Vorsitzenden der Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wsp6lnota Litwin6w w Polsce), Irina Gasperovicz, als politische Nie­derlage gewertet, da nur zwei der 18 auf der Liste aufgestellten litaui­sche Kandidaten gewählt wurden. Gasperovicz hält deshalb einen Stra­tegie- Wechsel der Verbände für die nächste Wahl für erforderlich. 64

Es hat sich insgesamt gezeigt, dass sich das litauische Verbändewe­sen durch einen Zustand kooperativer Koexistenz auszeichnet und dass ein Prinzip der Arbeitsteilung zwischen den Verbänden erkennbar ist. Dieses Prinzip überlässt der Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wsp6lnota Litwin6w w Polsce) die politische Initiative in eigentlichen

62 Ebda. 63 Interview mit Witkowski. 64 Interview mit Gasperowicz.

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interessenpolitischen Fragestellungen (eine Beteiligung der anderen Verbände an diesen Initiativen findet hingegen statt). Dadurch über­nimmt die Gemeinschaft immer wieder Repräsentationsfunktionen für die gesamte Minderheit gegenüber staatlichen Organen. Diese Arbeits­teilung basiert somit nicht auf formalen Regelungen, sondern auf prakti­schen Rollenzuweisungen zwischen den Verbänden.

2. Weißrussische Minderheit

Die weißrussische Minderheit zählt zu den größten in Polen. Die Anga­ben zu ihrer Größe schwanken zwischen 200.000 und 300.000. 65 Die weißrussische Minderheit zeichnet sich durch eine relativ geschlossene Siedlungsweise im Nordosten Polens aus. In dieser Region an der Gren­ze zu Weißrussland existieren einige Gemeinden, in denen nach den Forschungen von Andrzej Sadowski die Bevölkerung zu mehr als 75 Prozent weißrussisch ist. 66 Das Gros der weißrussischen Minderheit sie­delt traditionell in diesen Gebieten und besteht primär aus ländlicher Bevölkerung und der kleinen Gruppe einer "Intelligenz", die sich stark mit der weißrussischen Identität identifiziert. Hingegen fehlt es fast völlig an städtischer Bevölkerung mit weißrussischer Identität.

Insgesamt geht man davon aus, dass nahezu alle Mitglieder der weißrussischen Minderheit der Polnischen Autokephalen Orthodoxen Kirche angehören, die als selbstständige orthodoxe Kirche in Polen agiert.67 Damit weist diese Minderheit eine andere Religion als die pol­nische Mehrheitsbevölkerung auf. Somit unterscheidet sich ihre Situati­on in dieser Hinsicht von der der litauischen oder slowakischen Minder­heit. Zudem zeichnet sich diese Minderheit durch ein insgesamt gerin­ges Maß an nationaler Identität aus: Viele Personen weißrussischer Her­kunft bekennen sich nicht oder nicht offen zu ihrer weißrussischen Iden­tität und werden gemäß der gängigen Definition von Minderheit somit auch nicht zur weißrussischen Minorität gerechnet.68

65 Zahlen aus Sakson, Welttrends 2000, S. 62. 66 Sadowski in Kurz 1997, S. 24 f. 67 Kazanecki, Pawel: Mniejszosc bialoruska, in: Centrum Stosunk6w

Mi«dzynarodowych Instytutu Spraw Publicznych (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 (im Folgenden zitiert Kazanecki in Centrum 1998), S. 178-208, hier S. 179 und S. 201.

68 Kazanecki in Centrum 1998, S. 203.

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2.i Analyse der weißrussischen interessengruppen

Die Verbändelandschaft der vergleichsweise großen weißrussischen Minderheit ist vielfältiger als die der anderen hier untersuchten Minder­heiten; insgesamt sechs verschiedene Minderheitenorganisationen wur­den in die Analyse einbezogen. Dazu zählen als größere Verbände die Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) als frühere Monopolorganisation sowie zum anderen der Weißrussische Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialo­ruski w Rzeczypospolitej Polskiej) als Dachverband nahezu aller neu gegründeten Organisationen. Zu diesen zählen die weiteren fünf hier untersuchten Interessengruppen Weißrussische Historische Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Historyczne), Weißrussische Vereinigung der Studenten (Bialoruskie Zrzeszenie Student6w), Weißrussischer literari­scher Verband "Bialowieza" (Bialoruskie Stowarzyszenie Literackie "Bialowieta"), Verband der weißrussischen Journalisten (Stowarzysze­nie Dziennikarzy Bialoruskich) und Programmrat der Wochenzeitung "Niwa" (Rada Programowa Tygodnika "Niwa").

Innerhalb der weißrussischen Minderheit hat es in den ersten Mona­ten und Jahren der Transformation eine schnelle Pluralisierung der Inte­ressen gegeben. In interessenorganisatorischer Hinsicht lässt sich eine Frühphase mit Organisationsformen erkennen, die nur kurze Zeit exis­tierten oder vor allem vor und während der Parlamentswahlen von 1989, 1991 und 1993 von Bedeutung waren.'" Diese organisatorische Entwick­lung soll in Form eines kleinen Exkurses der Analyse des Weißrussi­schen Bundes in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczy­pospolitej Polskiej) vorangestellt werden, weil sie - ex post gesehen -eine Vorphase zur späteren Bildung dieses Dachverbandes darstellt.

2.1.1 Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft

Auch innerhalb der weißrussischen Minderheit gab es vor 1989 eine staatlicherseits geduldete "Gesamtorganisation", die bis heute existiert und neben der seit 1989 eine Anzahl neuer Verbände gegründet wurde. Diese hat als einzige der vier in dieser Analyse vorkommenden Altorga­nisationen bis heute ihren alten Namen beibehalten: Weißrussische so­zio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-

69 Gespräch mit S!awomir Iwaniuk, stellv. Vorsitzender des Weißrussischen Bundes in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej), Vorsitzender des Verbandes der weißrussischen Journalisten (Stowarzyszenie Dziennikarzy Bia­loruskich), Organisator des Privatarchivs der Weißrussischen Vereinigung der Stu­denten (Bialoruskie Zrzeszenie Studentow), am 14. Dezember 2000 in Bia!ystok.

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Kulturalne}. Die Gesellschaft wurde 1956 gegründet und blieb bis 1988 die einzige weißrussische Organisation in Polen. 70 Sie ist die einzige der hier untersuchten Organisationen, die nur geringe Unterschiede in ihrer Verbandstätigkeit während der Zeit der Volksrepublik und der Arbeit in der jetzigen Demokratie sieht. Die Tatsache, dass die Gesellschaft in­nerhalb der Volksrepublik die einzige geduldete und staatlich kontrol­lierte Monopolorganisation der weißrussischen Minderheit war, weil keine Assoziationsfreiheit existierte, scheint demnach für die historische Identität des Verbandes keine oder nur eine geringe Rolle zu spielen. Vielmehr erklärte der seit 1993 amtierende Verbandsvorsitzende und SLD-Parlamentarier Jan Syczewski, dass die Transformation kein Grund für seine Organisation gewesen sei, den Namen, die Ziele oder Schwer­punkte des Verbandes zu verändern.71

Doch dieser historischen Bewertung des Verbandes schließen sich nicht alle Betrachter an. Dazu zählt etwa Eugeniusz Mironowicz, der zentrale Forschungen zur Geschichte der Weißrussen in der Volksrepu­blik vorgelegt72 hat und zudem als Vorsitzender des Programmrates ,,Ni­wa" fungiert; somit geschichtswissenschaftliches und politisches Enga­gement für diese Minderheit miteinander verbindet. Nach seiner Ansicht kontrollierte die Gesellschaft vor 1989 das gesellschaftliche Leben der weißrussischen Minderheit. Und nicht zuletzt wegen ihres kommunisti­schen Charakters sei die Organisation heute nicht Mitglied des Pro­grammrats. 73

Programmatik Obwohl der Vorsitzende des Verbandes betont, dass der Verband keiner­lei inhaltliche Veränderungen nach dem Systemwechsel durchlaufen habe, wurde dennoch auf der Hauptversammlung von 1993 ein verän­dertes Statut verabschiedet. Nach den alten Zielsetzungen von 1956 wurde die Fortentwicklung der weißrussischen Kultur und Bildung so­wie die Belebung des weißrussischen Bewussteins angestrebt. Postuliert wurden überdies die Festigung der brüderschaftlichen Bindung mit dem polnischen Volk, die Popularisierung des Wissens über die weißrussi­sche Sowjetrepublik und schließlich die Rolle der weißrussischen Min-

70 Informator 1994, S. 101 71 Interview mit Jan Syszewski, März 1999 Warschau (im Folgenden zitiert Interview

mit Syszewski). 72 E. Mironowicz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für weißrussische

Kultur der Universität von Bialystok. 73 Interview mit Eugeniusz Mironowicz, März 1999, Bialystok.

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derheit beim Aufbau des Sozialismus in Polen." Es zeigt sich also, dass die Ziel formulierungen sehr allgemein blieben und überdies von der offiziellen Völkerfreundschaft zwischen der Volksrepublik Polen und der "Titularnation", also der weißrussischen Sowjetrepublik, geprägt waren.

Seit 1993 unterscheidet die Gesellschaft 14 verschiedene Ziele. 75 In dieser vergleichsweise langen Liste finden sich vor allem Ziel vorgaben, die sich auf die kulturelle Entwicklung der weißrussischen Minderheit beziehen. So soll das weißrussische Bewusstsein weiter entfaltet wer­den, das kulturelle Niveau im weißrussischen Milieu gehoben, weißrus­sische künstlerische, kulturelle, wissenschaftliche und literarische Akti­vitäten initiiert und gefördert, weißrussische Folklore und Sehenswür­digkeiten gepflegt werden. Diese Dominanz kultureller Ziele, die im Sinne der in dieser Arbeit entwickelten Kategorien nach innen, auf die eigene Minderheit im allgemeinen ausgerichtet sind, entspricht zum einen dem Verbands verständnis, das sich in den Aussagen der interview­ten Führungseliten zeigte, wonach die Gesellschaft sich vor allem als Kulturorganisation versteht.'· Zum anderen entspricht es dem tatsächli­chen Stellenwert kultureller Arbeit im jährlichen Tätigkeitsprogramm des Verbandes.

Wie auch in anderen Statuten, so findet sich hier ebenfalls eine kon­krete Zielsetzung, indem der Bau eines weißrussischen Museums in der kleinen Gemeinde Hajn6wka angestrebt wird." Zum Verständnis dieser Forderung - die sich ebenfalls, allerdings ohne Festlegung auf einen Ort, auch im Statut des Weißrussischen Bundes in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) findet - muss man auf die historische Dimension dieses Themas verweisen. In der Volksrepu­blik existierte zunächst ein Regionales Weißrussisches Ethnographi­sches Museum (Regionalne Bialoruskie Muzeum Etnograficzne) in Bia­lowieza (einem kleinen Ort nahe an der weißrussischen Grenze, der mitten im gleichnamigen Bialowieza-Urwald gelegen ist), das jedoch

74 Informator 1994, S. 101, hier zudem Chalupczak 1998, S. 104. 75 Statut Bialoruskiego Towarzystwa Spoleczno-Kulturalnego (im Folgenden zitiert

Statut der Gesellschaft), S. 2 f. 76 Siehe Interview mit Syszewski und Interview mit Valentina Laskiewicz, März 1999,

Bialystok (im Folgenden zitiert Interview mit Laskiewicz). 77 Eine kleine Gemeinde südöstlich von Bialystok, die nach den Forschungen von

Andrzej Sadowski mehr als 75 Prozent weißrussische Bevölkerung aufweist, aus:

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Sadowski, Andrzej: Mieszkancy p6lnocno-wschodniej Polski. Sklad Wyznaniowy i Narodowosciowy, in: Kurcz, Zbigniew (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce, Breslau 1997 (im Folgenden zitiert Sadowski in Kurcz 1997), S. 17 -41, hier Grafik S. 24 f.

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1976 geschlossen worden war.'· Bemühungen hierzu hatte es seitens des Wojewodschaftskomitees der Vereinigten polnischen Arbeiterpartei (PZPR) nach den Forschungen des Historikers Eugeniusz Mironowicz bereits seit 1967 gegeben, was damals pikanterweise vom Vorstand der weißrussischen Monopolorganisation Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) mit un­terstützt worden war.79 Nach der Schließung des Museums, so der Histo­riker Mironowicz, "gab es keine Institution mehr, welche sich mit dem Schutz der verloren gehenden Gegenstände beschäftigte, welche vielfach durch Jahrhunderte der örtlichen weißrussischen Gesellschaft in ihrem alltäglichen Leben diente".80 Somit kann dieses heutige Bemühen seitens der Gesellschaft (Towarzystwo) unschwer auch als eine Art Wiedergut­machung interpretiert werden. Faktisch existiert inzwischen zwar ein entsprechendes Gebäude in Hajn6wka, das gleichzeitig Begegnungs­zentrum und Museum sein soll, als Museum lässt sich dies jedoch noch nicht bezeichnen. Hingegen gibt es vor allem eine Bibliothek sowie mehrere Seminarräume, zudem residiert dort auch die örtliche SLD. Insgesamt ist vor allem die räumliche Situation für kulturelle Aktivitä­ten aufgrund der restriktiven Politik in der Volksrepublik geprägt von einem großen Defizit im Bereich der raumbezogenen Infrastruktur, sei es für Museen, Kulturhäuser oder Verbandszentralen.

Eine weitere erkennbare thematische Gruppe von Zielen bezieht sich auf wirtschaftliche Fragen. So findet sich das Ziel, zwischen den Weißrussen eine "aktive Einstellung zur Teilnahme an der wirtschaftli­chen Entwicklung Polens" zu verbreiten, die Absicht, "Unternehmer­geist und wirtschaftliche Aktivitäten zwischen den Weißrussen" zu pro­pagieren und zu unterstützen sowie die Absicht zur Förderung weißrus­sischer finanzieller Aktivitäten. Diese Vorgaben finden jedoch keinerlei Niederschlag in den realen Strategien des Verbandes.·1

Weitere Ziele beziehen sich auf die Beziehungen zwischen polni­scher Mehrheits- und weißrussischer Minderheitsbevölkerung. Vorran­gig genannt wird dabei die "Festigung der freundschaftlichen Bindung des Zusammenlebens der weißrussischen Bevölkerung mit der polni-

78 Mironowicz, Eugeniusz: Bialorusini, in: Instytut Studi6w Politycznych Polskiej Akademii Nauk (Hrsg): Mniejszosci narodowe w Polsce. Pailstwo i spoleczeilstwo polskie a mniejszosci narodowe wokresach przelom6w politycznych (1944-1989), Warszawa 1998, S. 11-65, hier S. 60 (im Folgenden zitiert Mironowicz 1998).

79 Ebda., S. 50. 80 Ebda., S. 60. 81 Weder in den Jahresberichten noch in den Aussagen ihrer Repräsentanten finden

sich entsprechende Hinweise.

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sehen Nation und anderen Nationalitäten H. Dieses im Tenor bei nahezu allen Organisationen zu findende Ziel stellt in diesem Fall eine seman­tisch "entrümpelte" ("freundschaftliche Bindung" statt "Brüderlich­keit") und inhaltlich erweiterte (Freundschaft nicht nur mit dem polni­schen Volk, sondern auch mit anderen Nationalitäten, was hier wohl vorrangig andere Minderheiten in Polen bedeutet) Version aus dem Sta­tut der Epoche der Volksrepublik dar. Im Weiteren will der Verband in der Mehr- und der Minderheitsbevölkerung das Wissen über den jeweils anderen fördern sowie besonders das Wissen über die Republik Belarus und über Geschichte, Wirken und Kultur der weißrussischen Nation verbreiten. Das Ziel, die eigene "Titularnation" zu popularisieren, ist ein gängiges Motiv in den Minderheitenverbänden.

Auch eine politische Dimension lässt sich im Zielkatalog des Ver­bandes finden, obwohl ihr Stellenwert eher sekundär erscheint. So ist die Teilnahme des Verbandes an Wahlkampagnen explizites Ziel. Eben­so soll der Verband gegenüber den lokalen Selbstverwaltungen auf Hil­fen für die Entwicklung weißrussischer Kultur hinwirken sowie mit jenen Institutionen kooperieren, die für die Entwicklung des weißrussi­schen Schulwesens verantwortlich sind. Zudem lässt sich als weiteres Ziel das nach außen gerichtete Kooperationshandeln ausmachen: die Zusammenarbeit mit der griechisch-orthodoxen Kirche (der fast alle Weißrussen angehören)·2 sowie anderen "Kirchen und Bekenntnissen", in denen Weißrussen Mitglieder sind.

Strategien Obwohl politischen Aktivitäten, also der Interessenvertretungsarbeit im klassischen Sinne, nicht sehr große Bedeutung zugemessen wird, steht dennoch bei den im Statut der Gesellschaft fixierten Strategien die Ko­operation mit dem Parlament, der staatlichen Administration und kultu­rellen und gesellschaftlichen Institutionen an erster Stelle bei den aufge­führten Mitteln zur Realisierung der Ziele. Abgesehen von diesem As­pekt dominieren auch hier kulturelle Zielsetzungen.·3 Neben sehr allge­meinen Formulierungen zum Beitrag des Verbandes zur Verbreitung weißrussischer Kultur oder zur Unterstützung künstlerischer Unterneh­mungen durch den Verband liegt ein besonderer Schwerpunkt in der Förderung von sogenannten Amateur-Künstlergruppen (ein Aspekt, der neben anderen auch bei der litauischen Lehrerorganisation zu finden ist). Dazu zählen vor allem Gesangs- und Theatergruppen, die in allen hier untersuchten Minderheiten zentrale und von großer Resonanz be-

82 Siehe Kazanecki in Centrum 1998, S. 201. 83 Statut der Gesellschaft.

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gleitete Träger der jeweiligen Minderheitenkultur darstellen." Der Ver­band sieht seine besondere Aufgabe darin, für diese Gruppen Konzerte, Auftritte und Wettbewerbe zu organisieren sowie zu ihrer Professionali­sierung beizutragen. Dies soll auch durch das Engagement sogenannter "Instrukteure" aus Weißrussland geschehen, die den Amateur-Gruppen in Polen künstlerische Hilfestellungen leisten sollen (wohl um der "wahren" weißrussischen Kultur Rechnung zu tragen). In der Praxis ist dies dem Verband jedoch nur in wenigen Fällen möglich.85 Aus verbän­detheoretischer Perspektive bedeutet diese starke Orientierung auf die Amateurgruppen, dass der Verband, um seine Ziele Pflege der Kultur und Hebung des 'kulturellen Niveaus zu verfolgen, "Servicemaßnahmen" für Gruppen bereitstellt, die zwar der Minderheit angehören, jedoch nicht unbedingt Verbands-Mitglieder sein müssen. Dies widerspricht den klassischen Annahmen von vorrangigem Verbandshandeln zum Wohl der eigene.n Mitglieder und deren exklusiver Teilhabe an "Service­Anreizen".

Kulturelle Tätigkeit Kein anderer der hier untersuchten Verbände legt auf diese Art kulturel­ler Arbeit ein derart starkes Gewicht. So rühmte sich die Generalsekre­tärin der Gesellschaft, ihr Verband sei Trägerin von 90 Prozent aller kultureller Veranstaltungen innerhalb der weißrussischen Minderheit Polens, eine Angabe, die schwerlich falsifizierbar, noch verifizierbar ist, jedoch einen Blick auf das Selbstverständnis als Verband erlaubt.'· Von den jährlich ca. 80 Veranstaltungen des Verbandes" ist das wichtigste und größte beispielsweise ein traditionsreiches jährliches Weißrussi­sches Liederfestival (Og6lnopolski Festiwal Piosenki Bialoruskiej), sicherlich eine typische Veranstaltungsform. Auch existiert seit einigen Jahren eine ähnliche Veranstaltung, die sich dadurch auszeichnet, dass dort nicht nur Liedkultur der weißrussischen Minderheit in Polen, son­dern gleichermaßen der polnischen Minderheit in Weißrussland präsen­tiert wird: das Festival weißrussischer und polnischer Lieder (Festiwal Piosenki Polskiej i Bialoruskiej). Ebenso wie dieses Festival wird zu­dem regelmäßig eine wissenschaftliche Konferenz (Droga ku wzajem-

84 In der weißrussischen Minderheit existieren nach Auskunft des Verbandes davon ca. 50 (Interview mit Laskiewicz).

85 Ebda. 86 Ebda. 87 Angabe Syszewskis als Gesellschaftsvorsitzender in der Sitzung der Parlamentari­

schen Minderheitenkommission vom 4.2.1998, aus: Bulletin der Kommission Nr. 8, m. Kadenz.

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nosci-Weg zur Gegenseitigkeit) gemeinsam mit dem Bund der Polen in Weißrussland abgehalten. Beide Veranstaltungen finden im jährlichen Wechsel jeweils im anderen Land statt." Entsprechend dieser Zusam­menarbeit zwischen Gesellschaft und dem Bund der Polen in Weißruss­land verweist letzterer in seinem Gratulationsschreiben zum 40-jährigen Bestehen der Gesellschaft 1996 auf die wertvollen Beziehungen zwi­schen beiden Verbänden und die fruchtbare Zusammenarbeit in diesen beiden Veranstaltungen.S9 In ihrer Kooperation mit der polnischen Min­derheit Weißrusslands zielt die Verbandstätigkeit keineswegs nur auf den Erhalt der Kultur der eigenen Minderheit, sondern zudem auch auf den Erhalt der polnischen Kultur in Belarus. Dass eine Minderheitenor­ganisation nicht nur eine enge kulturelle Verbindung zu seiner "Titular­nation" unterhält, sondern zudem quasi zu seiner "Komplementär"­Minderheit, zeigt sich im Rahmen der hier untersuchten Verbändeland­schaft nochmals bei der ukrainischen Minderheit.

Im Gesamtrahmen der Verbandstätigkeit hat jedoch nicht nur die Kooperation mit der polnischen Minderheit in Weißrussland, sondern die enge kulturelle Zusammenarbeit mit Weißrussland, vielmehr mit Gruppen aus der weißrussischen Gesellschaft, große Bedeutung für den Verband!" So findet beispielsweise eine weitere größere Veranstaltung des Verbandes, das Kulturfestival Weißrussisches Volksfest (Festyn Lu­dowy), in Kooperation mit diversen Gemeinden der Region Bialystok und mit zahlreichen Gastgruppen aus Weißrussland statt!' Die Haupttä­tigkeiten des Verbandes sind fortlaufend über das Jahr stattfindende, ähnlich gelagerte Kultur- und Folkloreveranstaltungen wie auch Ge­sangs- und Rezitierwettbewerbe,92 die sich maßgeblich auf den Raum Bialystok, bzw. die südliche Hälfte der Wojewodschaft Podlachien konzentrieren.

Neben diesem bedeutendsten Tätigkeitsfeld des Verbandes wird in den fixierten Strategien noch auf zwei weitere Bereiche verwiesen: Zum einen auf eine Veröffentlichungstätigkeit, wobei der vom Verband pub­lizierte weißrussische Kalender (Belaruskie Kalendar) im Mittelpunkt stehen soll. Der Kalender gilt zugleich als umfassender Jahresbericht der Gesellschaft und erscheint in weißrussischer Sprache. Dadurch wird deutlich, dass das Ziel dieser Veröffentlichung keineswegs die Außen-

88 Interview mit Laskiewicz. 89 Schreiben des Prezes ZwillZku Polak6w Tadeusz Gawrin an Jan Syczewski als

Vorsitzenden, abgedruckt in: Belaruskie Kalendar 1997, Minsk 1997, S. 51. 90 Interview mit Syszewski. 91 Interview mit Laskiewicz. 92 Ebda.

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repräsentation des Verbandes gegenüber der Öffentlichkeit sein kann, sondern die Adressaten vielmehr die Verbandsmitglieder sowie die weißrussische Minderheit insgesamt sind. In ihm finden sich neben einer Chronologie der Verbandstätigkeiten, Hinweisen auf Verbandsent­scheidungen und dem Abdruck einzelner für den Verband wichtiger Dokumente auch kürzere historische Artikel und Gedichtsammlungen, die für die kulturelle Identität der Minderheit von Bedeutung erschei­nen.93 Als eine sehr spezifische Strategie will sich der Verband zudem für die Möglichkeit des Auslandsstudiums von Studierenden aus der Minderheit in Weißrussland sowie für die Fortbildung weißrussischer Lehrer in Belarus einsetzen.

Strategien interner Politikbeeinflussung Durch die Parlamentsmitgliedschaft ihres Vorsitzenden Syczewski für die SLD ist die Gesellschaft der einzige weißrussische Verband, dem tatsächlich die Möglichkeit der internen Politik-Beeinflussung als Ver­bandsstrategie im Sinne von Alemanns gegeben ist, weil ihm als einzi­gem Verband dieser Zugang zur Legislative offen steht, da Syszewski zudem Mitglied der parlamentarischen Minderheitenkommission ist. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Syszweski im Experten­Interview versucht hat, diese politischen Möglichkeiten seiner parla­mentarischen Arbeit zu marginalisieren.94 Faktisch nutzt er die ihm ge­gebenen parlamentarischen Möglichkeiten jedoch auf intensive Weise, um zum einen seine spezifischen Verbandsinteressen zu verfolgen sowie zum anderen allgemeinen Minderheiteninteressen nachzugehen. Ein anschauliches Beispiel zur Vertretung spezifischer Verbandsinteressen zeigte sich bei einer Diskussion der Sejmkommission für Minderheiten­fragen in Bezug auf die Berufung von Bogumila Berdychowska als ex­terner Expertin in die Kommission. Hier begründete Syszewski seine Ablehnung weniger unter Bezugnahme auf die Kompetenzen Berdy­chowskas als vielmehr mit den in seinen Augen negativen Erfahrungen seines Verbandes mit ihr. Auffallend ist zudem Syszewskis intensive parlamentarische Interpellationsaktivität. So waren von den 26 Interpel­lationen, die in zehn Jahren parlamentarischer Arbeit zwischen 1991 und 2001 zu Fragen von "nationalen Minderheiten" abgegeben wurden, allein neun von Syszweski gestellt worden.9S Hierbei bezog er sich bei-

93 Vgl. die Kalender-Ausgaben 1997 bis 2000. 94 Interview mit Syszewksi. 95 Dies ergab eine Dokumenten-Auflistung zu Interpellationen von 1991 bis 2001, die

sich auf Minderheiten beziehen. Interpelacje i zapytania poselskie - lista rezultat6w, <http://ks.sejm.gov.pl: 8009/search97cgi/vtopic> (16.4.01).

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spielsweise auf das von seinem Verband geplante weißrussische Muse­um in Hajnowka. In seiner Anfrage hierzu versuchte er (zusammen mit einem weiteren Abgeordneten) noch im Juli 1998 Haushaltsreserven aus dem laufenden Regierungshaushalt bewilligt zu bekommen sowie zu­dem das Kulturministerium um Mittel für Mitarbeiter des Museums zu bitten." Da es dem Verbandsvorsitzenden bekannt sein musste, dass das Kulturministerium grundsätzlich keine Personalkosten übernimmt, er­scheint diese Anfrage als rein taktisches Vorgehen, um lediglich die Aufmerksamkeit auf seinen Verband und dessen Aktivitäten zu lenken.

Da sich in den anderen Tätigkeitsbereichen der Gesellschaft (To­warzystwo) keine ausgeprägt politischen Strategien zeigen, sondern vielmehr kulturelle Arbeit dominiert,9' zeigt sich insgesamt eine Diskre­panz zwischen einer eher apolitischen Alltagsstrategie des Verbandes und der intensiven Nutzung der Legislative als Forum für Verbandsinte­ressen durch den Verbandsvorsitzenden Syszewski, dem als SLD­Parlamentarier diese Strategie der internen Politikbeeinflussung mög­lich ist.

Struktur Die Struktur der Gesellschaft unterlief in den letzten Jahren eine mar­kante Änderung in ihrer regionalen Auf teilung. Existierten früher drei Ebenen (Kreise, Regionalabteilungen und zentrale Ebene), so reformier­te sich der Verband parallel zur polnischen Gebietsreform Anfang 1999. Die Ebene der Kreise wurde aufgelöst und die Regionalabteilungen wurden den neugeschaffenen polnischen Landkreisen angeglichen. Der Verband verfügt heute über zehn solcher Regionalabteilungen, die sich mit Ausnahme von Abteilungen in Warschau und in Danzig alle in der Region von Bialystok befinden!'

Die leitenden Organe der Gesellschaft auf zentraler Ebene bestehen aus einer sogenannten Nationalen Versammlung als höchstem beschluss­fassenden Organ sowie den von ihr gewählten Gremien Hauptvorstand und Revisionskommission.99 Da die National-Versammlung regulär nur alle vier Jahre tagt und somit nur die Richtlinien der Verbandstätigkeit festlegen kann, agiert der Verband insgesamt recht "führungslastig", denn auch in den langen Zeiträumen zwischen den Versammlungen

96 Interpelacja do Prezesa Rady Ministr6w, Interpelacja Nr. 240, Poslowie Siergiej Plewa i Jan Syszewski, 3 kadencja sejmowa, Warschau 18. Februar 1998.

97 Ähnlich skizzierte auch die Generalsekretärin den Charakter des Verbandes, Inter­view mit Laskiewicz.

98 Interviews mit Laskiewicz und Syszweski. 99 Eine spiegelbildliche Struktur existiert in den Regionalabteilungen: Regional­

Konferenz, Vorstand, Revisionskommission, Statut der Gesellschaft, S. 6.

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müssen Richtungsentscheidungen getroffen werden. Jedoch ist nicht der Vorstand das laufend agierende Führungsgremium der Gesellschaft (denn dieses 30- bis 40-köpfige Gremium muss sich laut Satzung nur einmal im Jahr treffen). Vielmehr wird die reguläre Führungsarbeit durch ein Präsidium erbracht, das der Vorstand aus seinen Reihen wählt. Der Revisionskommission kommen ähnliche Aufgaben zu wie in ande­ren Minderheitenverbänden, indem sie das statutengemäße Handeln des Verbandes auf zentraler und regionaler Ebene, die Vorstands berichte sowie deren Entlastungsanträge überprüft. HXJ Als abschließende Bemer­kung zur Verbands struktur sei noch ein Blick auf die Altersstruktur der Verbandseliten geworfen. Hierbei fällt auf, dass das Durchschnittsalter der Eliten vergleichsweise hoch ist. Der im Jahresbericht 2000 vorge­stellte Vorstand (24 Vorstandsmitglieder, davon zehn gleichzeitig Präsi­diumsmitglieder) weist ein durchschnittliches Alter von 60 Jahren auf, wobei das jüngste Vorstandsmitglied 34, das älteste 78 Jahre ist. Zu­meist hatten die Vorstandsmitglieder auch bereits vor dem Systemwech­sel bestimmte Funktionen innerhalb des Verbandes. Es zeigt sich also eine hohe Elitenkontinuität, jedoch eine geringe Einbeziehung jüngerer Nach wuch seli ten. 101

Es konnte gezeigt werden, dass sich der Verband vor allem durch vier Aspekte auszeichnet: Erstens durch eine schwerpunktmäßige Tätig­keit im Bereich kultureller Veranstaltungen mit einem Schwerpunkt im folkloristischen Bereich. Zweitens durch eine Mitgliederstruktur, die maßgeblich aus der Zeit als Monopolverband herrührt, also eher "ver­bliebene" Mitglieder umfasst. Drittens durch eine klare Abgrenzung von allen anderen Verbänden in der weißrussischen Minderheit, was sich organisatorisch durch die Nichtmitgliedschaft im Programmrat Niwa ausdrückt und inhaltlich an der scharfen Kritik des Vorsitzenden Sys­zewski an den anderen Verbänden deutlich wird. Viertens durch ihre engen Austauschbeziehungen mit Weißrussland und der polnischen Minderheit in Belarus.

2.1.2 Die Frühphase - gesellschaftliche Pluralisierung durch freie Wah­len?

Wie bereits oben angemerkt wurde, soll an dieser Stelle ein kurzer Blick auf die Frühphase der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung innerhalb der weißrussischen Minderheit geworfen werden. In dieser Phase kommt den Bemühungen zur Teilnahme der Minderheit an den Wahlen

100 Vgl. die Angaben zur Struktur, ebda. S. 6-11. 101 Weißrussischer Kalender 2000, S. 35-49.

107

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in der Zeit der ersten Transformationsepoche besondere Bedeutung zu. Diese Aktivitäten verliefen parallel zu den Verbandsgründungsprozes­sen und begünstigten sich wechselseitig. Als Wahlen der interessenor­ganisatorischen "Frühphase" werden die ersten "halbfreien" Parla­mentswahlen vom Juni 1989 sowie die Sejm- und Senatswahlen von 1991 sowie von 1993 angesehen. 102

Zur Beleuchtung der Frühphase bietet sich ein chronologischer Zugriff an. So soll zunächst ein Blick auf das Jahr 1989 geworfen wer­den. In der Zeit des Runden Tisches 1989 haben Intellektuelle der -nach Chatupczak - "neuen weißrussischen nationalen Strömung" (paral­lel zur Gesellschaft (Towarzystwo» den informellen Bialystoker We~­russischen Klub gegründet, um eine Wahlkampagne für die Parlaments­wahl im Juni 1989 zu initiieren.103 Hierzu wurde im April 1989 ein Weij]­russisches Wahlkomitee ins Leben gerufen, das je einen Kandidaten für den Sejm und für den Senat aufstellte. H>I Im Vorfeld der Wahl hatte es das nationale Solidarnosc-Bürgerkomitee versucht, eine Kooperation zwischen der lokalen Solidarnosc und dem weißrussischen Klub anzu­regen, worauf sich jedoch beide lokalen Gruppen nicht einließen. Pri­mär scheiterte eine Kooperation daran, dass es die Minderheitenvertre­ter vorzogen, diese erstmalige Möglichkeit einer eigenen Wahlbeteili­gung seit mehreren Jahrzehnten zur eigenen Aufstellung ihrer Kandida­ten zu nutzen. Damit gaben sie faktisch die Chancen eines gemeinsamen Wahlerfolgs auf, denn an der Popularität der So lidarnosc , die für alle frei wählbaren Mandate Kandidaten benannt hatte, kam die Minderheit in dieser nach dem Prinzip der absoluten Mehrheitswahl durchgeführten Wahl nicht vorbeLI05 Und so wurden in dieser semi-kompetitiven Wahl alle frei wählbaren Mandate beider Kammern (bis auf einen Senatoren­posten) von der Solidarnosc errungen. 106

Dieses erste Wahlprogramm der weißrussischen Minderheit umfass­te lediglich fünf Programmpunkte mit jeweils nur einem Satz, wobei die

102 Zwar fällt die Kommunalwahl von 1990 auch in diesen Zeitraum, jedoch soll diese hier nicht berücksichtigt, sondern unter dem Abschnitt zu politischen Institutionen betrachtet werden.

103 Czalupszak 1998, S. 105, Gespräch mit Iwaniuk, Bialystok, Dezember 2000. 104 Dies waren der Historiker Eugeniusz Mironowicz und der Schriftsteller Sokrat

Janowicz. Vgl. Wahlplakat "HAIIIbI KAH~bI~ATbI" zur Sejm- und Senatswahl 1989, o. D., Bialystok 1989.

105 Immerhin wird das erzielte Stimmenkontingent bei der Minderheitenkandidaten (22.500 für Janowicz und 14.400 für Mironowicz) als beachtlicher Erfolg angese­hen; vgl. Kazanecki S. 186.

106 Vgl. zu den Kooperationsbemühungen Kazanecki S. 185 f., zu den ersten halbfreien Wahlen Grotz 2000, S. 102-107.

108

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Interessen der weißrussischen Minderheit erst an vierter Stelle genannt wurden. Hingegen beziehen sich die drei ersten Programmpunkte auf die notwendige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Region Bialystok, die Wahrung ihrer ökologischen Bedeutung und - etwas pa­thetisch und unklar formuliert - auf die Sorge um die Wahrung allge­meiner humaner moralischer Werte, die Würde des Menschen und die Achtung seiner Arbeit. Dieser Punkt bezieht sich auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen Mehr- und Minderheit. Interessant ist auch, dass der entsprechende Wahlaufruf zweisprachig gehalten ist. So erfolg­te die Programmpräsentation auf Polnisch und die Kandidatenaufstel­lung auf Weißrussisch, so dass ein potenzieller Wähler auch des Weiß­russischen mächtig sein musste, um sich über die Kandidaten zu infor­mieren. 107 Auch daran wird die transformationstypische, geringe Profes­sionalität der Wahlkampagne deutlich.

Bereits bei dieser ersten Wahl zeigte sich, dass sich insgesamt zwei weißrussische Minderheiten-Gruppen am Wahlkampf beteiligten, denn auch eine zweite Gruppe, die sich vor allem auf ihre orthodoxe Religion berief, hatte ein Wahlkomitee gegründet, auf deren Liste ein orthodoxer Ukrainer kandidierte. Obwohl diese Liste offiziell von der Polnischen Orthodoxen Autokephalen Kirche unterstützt wurde, lag dieser Kandidat noch hinter dem Ergebnis des Weißrussischen Wahlkomitees. 108

Nach der gescheiterten Wahl wandelte sich das weißrussische Wahl­komitee bereits im September 1989 zum Weißrussischen Gesellschaftli­chen Komitee "Hromada" (Bialoruski Komitet Spoleczny "Hroma­da "),If1' und im Juli 1990 wurde aus dem Komitee heraus die weißrussi­sche Minderheitenpartei Weißrussische demokratische Vereinigung (Bia­loruskie Zjednoczenie Demokratyczne) gegründet."° In ihr verbanden sich "alte" und "junge" Akteure, so fungierte beispielsweise Sokrat Janowicz, der von 1988-1991 Präsidiumsmitglied der Gesellschaft (To­warzystwo) gewesen war, nun als Vorsitzender der Partei (1990-92).111 Jedoch wurde die Partei maßgeblich getragen von den neuen Eliten, die z.T. ebenfalls in den schon 1988 gegründeten Studentenverband invol-

107 Wahlplakat "HAIIIhI KAH)J;hI)J;AThI" zur Sejm- und Senatswahl 1989, o. Datum, Bialystok 1989.

108 Er erzielte lediglich 11.000 Stimmen, Kazanecki S. 186. 109 "Hromada" bedeutet sinngemäß "die Gruppe". Diese Namensgebung enthält eine

historische Dimension, weil bereits in den 20er Jahren eine sozialistische Partei mit ähnlicher Bezeichnung existiert hatte, die nach zweijähriger Existenz unter dem Vorwurf der Zusammenarbeit mit kommunistischen Strömungen verboten worden war, Chalupczak 1998, S. 98-100.

110 Chalupczak 1998, S. 105. 111 Informator 1994, S. 166.

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viert waren und später auch zu den Trägern des Bundes (Zwiqzek) insge­samt zählten. 1l2

Die "Bewährungsprobe" weißrussischer Wahlaktivitäten sollte die Parlamentswahl von 1991 werden. Diese Gründungswahlen /J3 fanden nach dem Verhältniswahlprinzip statt, was sich günstig für kleine regio­nale Splittergruppen wie die Minderheiten auswirkte (zudem existierte eine Fünf-Prozent-Hürde nur für den geringen Anteil von landes weiten Listenmandaten). Zudem wurden die Minderheiten durch gelockerte Zulassungsvoraussetzungen begünstigt.1I4 Innerhalb der weißrussischen Minderheit, die erneut in zwei verschiedenen Lagern angetreten war, dem "Weißrussischen Wahlkomitee" (das von der Weißrussische demo­kratische Vereinigung gestellt wurde) und dem "Orthodoxen Wahlkomi­tee" war lediglich letzteres mit 13.788 errungenen Stimmen erfolgreich. Ihr Kandidat Eugeniusz Czykwin zog mit 10.224 Stimmen ins Parla­ment ein. l15 Das Orthodoxe Wahlkomitee zählte somit zu den elf Gruppierungen, die jeweils nur über einen Sitz im Sejm verfügten und somit zur starken Fragmentierung des parlamentarischen Parteien­systems nach den Gründungswahlen beitrugen. 116 Das Orthodoxe Komitee war zunächst ein Zusammenschluss von einer orthodoxen Laienbruderschaft, der Gesellschaft (Towarzystwo) sowie dem orthodoxen Bund der Ukrainer "Podlasia" (Zwiqzek Ukrail1cow Podla­sia), jedoch hatte sich die Gesellschaft (Towarzystwo) aufgrund von Streitigkeiten um Listenplatzierungen aus dem Komitee zurückgezo­gen. 1I7

112 Hierzu zählen beispielsweise Oleg Latyszonek, Partei-Vorsitzender von 1992-1993, Informator 1994, S. 175, sowie auch Eugeniusz Mironowicz, Eugeniusz Wappa, Slawomir Iwaniuk, Aleksander Maksymiuk, Mikolaj Wawrzeniuk, die alle auf dem zweiten Kongress der Partei im Januar 1992 in den Vorstand gewählt wurden; vgl. Informator Rady GI6wnej Bialoruskiego Zjednoczenia Demokratycznego "Racja", Bialystok-Bielsk Podlaski, April 1992, S. 1 (einmalige Ausgabe einer Partei zeitschrift mit Titel "Racja", im Folgenden zitiert "Racja" 1992). Daneben gab die Partei in den Jahren 1990-1993 viermalig ein weißrussisches Bulletin unter dem Titel "Belaruskiya Naviny" (Weißrussische Nachrichten) heraus, in dem über die Partei über ihre Arbeit informierte.

113 Als solche gelten die ersten freien und demokratischen Wahlen im Transformations­prozess.

114 3.000 statt 5.000 Unterschriften für die Zulassung in einem Wahlkreis, 5.000 Unter­schriften in zwei Wahlkreisen statt 5.000 in fünf Wahlkreisen für eine nationale Zu­lassung, vgl. Grotz 2000, S. 129.

115 Eugeniusz Czykwin war bereits von 1985 bis 1991 im alten System Sejmabgeordne­ter gewesen, vgl. "Bylem prawoslawnym Poslern" , z Eugeniuszem Czykwinem rozmawia Michal Boltryk, Bialystok 1997 (im Folgenden zitiert Czykwin 1997).

116 Vgl. zur Gründungswahl Grotz 2000, S. 127-136. 117 Zu den Hinweisen über der orthodoxe Wahlkomitee vgl. Kazanecki in Centrum

1998, S. 186,

110

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Das "Weißrussische Wahlkomitee" als Arm der Weißrussischen demo­kratischen Vereinigung (Bialoruskie Zjednoczenie Demokratyczne) hatte für den Wahlkreis Bialystok-Suwalki elf Sejm-Kandidaten sowie den Senat-Kandidaten Jan Czykwin aufgestellt. Lediglich dieser war als weißrussischer Schriftsteller vielleicht von gewisser Popularität inner­halb der weißrussischen Minderheit. 1I8 So errang Jan Czykwin ca. 27.000 Stimmen, was jedoch für einen Einzug in den Senat nicht ausrei­chend war, alle anderen Komitee-Kandidaten gewannen nur 4.435 Stimmen."9 Unter dem Titel "Eigenes Land, Arbeit und Glaube" hatte das Komitee für sein Wahlprogramm geworben, in dem - ähnlich wie im Programm von 1989 - das Thema der ökonomischen und ökologischen Entwicklung der Region zu den ersten Programmpunkten zählte und das im Weiteren die zu fördernden Beziehungen zwischen Polen und Bela­rus sowie die zu sichernde kulturelle, religiöse und sprachliche Ent­wicklung der Weißrussen in Polen betonte. 12Q Trotz der Chancen auf­grund des Verhältniswahlrechts dieser Gründungswahl offenbarte sich somit eine herbe Niederlage für die Weißrussische demokratische Verei­nigung (Bialoruskie Zjednoczenie Demokratyczne).

Aus der Ex-Post-Perspektive war die Partei zum einen mehr von or­ganisationsbildender Bedeutung als eine organisatorische Vorstufe zur späteren Gründung des Bundes (Zwiqzek), als dass sie als Partei Rele­vanz gehabt hätte. Zum anderen verhalf sie in manifester organisatori­scher Form zur weiteren Auflösung des Monopols der Gesellschaft (To­warzystwo). Ihre Bedeutung beschränkte sich jedoch - anders als die der Interessengruppen - lediglich auf Wahlaktivitäten; nach ihrer Wahlnie­derlage von 1991 verlor sie schließlich zunehmend an Bedeutung. 121

Dennoch hielt sich auch nach dieser Niederlage noch eine gewisse poli­tische Aufbruchstimmung, die sich im Rahmen des zweiten Kongresses der Weißrussischen demokratischen Vereinigung (Bialoruskie Zjednoc­zenie Demokratyczne) im Januar 1992 anhand der Neubesetzung des Parteivorstands und eines neu verabschiedeten Parteiprogramms zeigte. Dieses behielt die thematische Trias von Regionalförderung (Industrie, Selbstverwaltung u.ä.), Minderheitenschutz (diesmal erleichtert durch

118 Vgl. Wahlwerbeheft Bialoruski Komitet Wyborczy Lista 48, HAllibI KAH):(bI):(ATbI, Okf\lg bialostocko-suwalski, wybory do Sejmu i Senatu 27 pazdziernika 1991.

119 Zu den Hinweisen über das weißrussische Wahlkomitee vgl. Kazanecki in Centrum 1998, S. 186,

120 Wahlplakat zur Parlamentswahl 1991 "Wlasna Ziemia, Chleb i Wiara" , Program Bialoruskiego Komitetu Wyborczego, Bialystok 1991.

121 Gespräch mit Iwaniuk, Dezember 2000 und Maksymiuk, Jan dan [email protected]> 28.02.01. "from Prague" Persönliche E-Mail (3.3.2001).

111

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einen Verweis auf KSZE-Dokumente zum Minderheitenschutz) und allgemeinen Bürgerrechten des ersten Wahlprogramms bei. Statt des Aspekts der Minderheits-Mehrheitsbeziehungen fand sich jedoch ein Verweis auf die Relevanz von guten Beziehungen zwischen Polen und Weißrussland, weil das Los der Minderheit mit dem der Republik Bela­rus verbunden sei. 122

Dass der Bund (Zwiqzek) zunehmend an Bedeutung gewann, zeigte sich daran, dass er bei der Parlamentswahl von 1993 antrat und nicht mehr die Weißrussische demokratische Vereinigung (Bialoruskie Zjed­noczenie Demokratyczne). Dementsprechend wird diese Wahl als End­punkt dieser Frühphase angesehen, weil es zu diesem Zeitpunkt bereits zur Gründung eines Großteils der Minderheitenorganisationen gekom­men war und diese sich im Weißrussischen Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) zusammengeschlossen hatten, der sich im selben Jahr seiner Gründung mit einer eigenen Liste an der Parlamentswahl beteiligte. Da die Weißrussische demokratische Vereinigung (Bialoruskie Zjednoczenie Demokratyczne) selbst als Mit­glied dem Bund (Zwiqzek) angehört, war sie somit über ihren Dachver­band an den Wahlen beteiligt. Diese Wahl trug erstmals den Charakter gemeinsamer weißrussischer Wahl-Aktivitäten, weil keine weitere orthodoxe Gruppe angetreten war. Somit kandidierten auf der "Liste Nr. 25 des Wahlkomitees des Vorstandes des Bundes (Zwiqzek)" Vertreter verschiedener weißrussischer Gruppen. So präsentierten sich sowohl Vertreter orthodoxer Laienbruderschaften als auch der Gesellschaft (Towarzystwo) (darunter der kurz zuvor zum Vorsitzenden gewählte Jan Syszewski) wie gleichermaßen Repräsentanten anderer Organisationen und des Bundes (Zwiqzek) selbst. Das Wahlprogramm war dementspre­chend breit angelegt und es galt das Motto "Orthodoxe gemeinsam". Auch dieses Motto zeugt von der Integration verschiedener Gruppen für diese Wahl, denn es entspricht nicht gerade dem Profil des Bundes (Zwiqzek), der das orthodoxe Element der Minderheitenidentität selten betont. 123 Jedoch war auch der Bund (Zwiqzek) nicht erfolgreich mit

122 Deklaracja programowa II Kongresu Bialoruskigo Zjednoczenia Demokratycznego vom 26.1.1992, abgedruckt in: "Racja", S. 1. Der Aspekt der Beziehungen zu Weiß­russland lässt sich vermutlich auch dadurch erklären, dass dieses Land erst wenige Monate zuvor unabhängig geworden war. Polen hatte es im September 1991 aner­kannt, vgl. hierzu Mironowicz, Eugeniusz: Bialorus, Warszawa 1999, S. 274 f.

123 Das Motto entsprach viel eher der Politik des Kandidaten auf Platz 1, Antoni Miro­nowicz, der als Vertreter einer orthodoxen Laienbruderschaft kandidierte; vgl. "Czasopis Wyborczy", Wahl zeitung des Vorstandes des Zwil\czek Bialoruski w Rzec­zypospolitej Polskiej zur Sejm-Wahl, Bialystok 1993, S. 2 f, sowie Wahlhandzettel zur Sejmwahl "Prawoslawni!", Bialystok 1991.

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seinen Wahlkampfbemühungen und konnte trotz der Befreiung von der nun geltenden Fünf-Prozent-Hürde (auf Wahlkreisebene) mit den erziel­ten 10.164 Stimmen kein Mandat erringen. l24

Es hat sich gezeigt, dass die neugewonnenen Möglichkeiten einer Wahlbeteiligung unmittelbar nach dem Systemwechsel 1989 zur Grün­dung wahlrelevanter Organisationen geführt haben, so etwa im Jahr 1990 zur Etablierung einer eigenen Partei. Deren wahlkampfbezogene Aktivitäten wurden jedoch nach einer gescheiterten Wahl in die Hände eines Interessenverbandes gelegt. Dabei kam es zwar innerhalb dieser Frühphase für die Wahl von 1993 zu einer konzertierten Liste beider Strömungen der Minderheit (der Gesellschaft sowie der neu gegründe­ten Verbände unter Führung des Bundes), jedoch war auch diese Kräfte­konzentration nicht erfolgreich.

2.1.3 Weißrussischer Bund in der Republik Polen

Genese Neben den oben dargestellten wahlbezogenen institutionellen Formen zeigten sich auch im verbandlichen Bereich nur kurzzeitig existierende Formen interessenorganisatorischer Zusammenschlüsse. So ist der Weißrussische Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzec­zypospolitej Polskiej) als Dachverband von Einzelorganisationen im Unterschied zu den anderen neugegründeten Minderheitenverbänden aus einer nur kurzzeitig existierenden organisatorischen Vorläuferinstitution entstanden, dem Rat der weißrussischen Organisationen in Polen (Rada Organizacji Bialoruskich w Polsce). Hierzu fand Anfang 1991 eine Ver­sammlung der damals bereits existierenden weißrussischen Partei Weiß­russische demokratische Vereinigung (Bialoruskie Zjednoczenie De­mokratyczne), der Weißrussischen sozio-kulturellen Gesellschaft (Bialo­ruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne), der Weißrussischen Vereini­gung der Studenten (Bialoruskie Zrzeszenie Studentow), des Weißrussi­schen literarischen Verbandes "Bialowieta" (Bialoruskie Stowarzysze­nie Literackie "Bialowieza") sowie Vertretern des Gesellschaftlichen Komitees zum Bau eines Museums und Weißrussischen Kulturzentrums in Hajnowka (Spoleczny Komitet Budowy Muzeum i Osrodka Kultury Bialoruskiej w Hajnowce)125 statt, auf der man sich die Gründung eines

124 Siehe zu den Stimmangaben Kazanecki in Centrum 1998 S. 187, zur ParJaments­wahl 1993: Grotz 2000, S. 149.

125 Dieses Komitee war bereits 1984 registriert worden und ist mit der Weißrussischen sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) ver­bunden. Bis heute existiert jedoch noch kein Museum, sondern lediglich eine Art Kulturzentrum; Gespräch mit 01eg Latyszonek, Dezember 2000 Hajn6wka.

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Rates der weißrussischen Organisation in Polen (Rada Organizacji Bialoruskich w Polsce) zum Ziel setzte. Konstituiert wurde dieses Gre­mium im 12. April 1991.126 Es stellt eine erste koordinierende Institution zwischen den zu der Zeit noch wenigen Verbänden dar. Aus heutiger Sicht kann es somit als Vorstufe zum später gegründeten Bund (Zwiq­zek) gesehen werden. Auffallend ist zudem aus heutiger Perspektive, dass in dieser ersten Phase der Pluralisierung der weißrussischen Ver­bändelandschaft durch die gemeinsame Mitgliedschaft im Rat (Rada) eine institutionelle Kooperation zwischen den Verbandsneugründungen und der vormaligen Monopolorganisation existierte. Jedoch verließ die Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) den Rat (Rada) , nachdem ihr Repräsentant bei den Vorstandswahlen unterlegen war. I27 Da der Rat keine formal organi­sierte Form hatte, existieren auch keine entsprechenden Statuten oder ähnliche Unterlagen. Deswegen sind auch im Archiv der Weißrussischen Vereinigung der Studenten (Bialoruskie Zrzeszenie Studentow) , die im­merhin Gründungsmitglied war, keine Dokumente über den Rada ent­halten.

Da bereits im Sommer 1992 auf einer Gründungsversammlung eine erste Fassung des Statuts des Weißrussischen Bundes in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) verabschiedet wurde,I28 wird deutlich, dass die Überlegungen innerhalb des Rates rasch auf die Gründung eines neuen Dachverbandes zielten. Die offizielle Registrierung des Bundes erfolgte im März 1993.'29 In der knappen pol­nischen Literatur über die Minderheitenorganisationen in Polen findet sich der treffende Hinweis, dass sich nach 1989 als Folge der Entfaltung "politischen und gesellschaftlich-kulturellen Lebens in der weißrussi­schen Minderheit" neben der Gesellschaft (Towarzystwo) eine neue Strömung der "weißrussischen Nationalbewegung" erkennen lässt, wel­che seit seiner Gründung vom Weißrussischen Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) angeführt wird. "130

126 Vgl. Bialoruskie Zrzeszenie Student6w (Hrsg.): Bialoruski ruch studencki w Poisce 1981-1992. Wyb6r dokument6w, (opracowanie Slawomir Iwaniuk, Eugeniusz Wappa) Bialystok 1995 (im Folgenden zitiert Iwaniuk, Wappa), S. 281.

127 Informator 1994 S. 167 und Gespräch mit Slawomir Iwaniuk am 14. Dezember 2000 in Bialystok.

128 Siehe Hinweis hierzu im Statut des Weißrussische Bundes in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) über die ersten Statut-Fassungen vom 5.8.1992 und 26.10.1992.

129 Informator 1994, S. 104. 130 Chalupczak 1998, S. 105.

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Struktur Im Folgenden soll ein kurzer grundsätzlicher Blick auf die Organisati­onsebene von Verbänden geworfen werden. Die Frage der Organisati­onsebene verhilft zur Unterscheidung von Strukturtypen. Hierbei wird zum einen primär danach gefragt, ob ein Verband lokal, regional, natio­nal oder gar international agiert und ob er zum anderen aus Einzelmit­gliedern besteht oder es sich um einen Dachverband handelt. l3l

An dieser Stelle soll es um den Strukturtyp des Dachverbandes ge­hen, der einen seltenen Typus unter den hier analysierten Minderheiten­verbänden darstellt. Innerhalb der hier ausgewählten Verbände existie­ren insgesamt zwei Dachverbände. Zum einen der Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrainc6w w Polsce), zum anderen der Weißrussische Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej). Letzterer ist demnach der einzige Dachverband innerhalb der weißrussischen Verbändelandschaft. In ihm sammelt sich ein großer Teil der vorhandenen Organisationen. Mitglieder sind der 1990 gegründete Literatenverband, der im November 1993 registrierte Historikerverband, der im April 1992 gegründete Journalistenverband, der 1988 gegründete Studentenverband, der im Juni 1992 gegründete Programmrat Niwa, ein weißrussischer Danziger Verband "Chatka" sowie die im März 1990 gegründete Partei Weißrussische demokratische Vereinigung (Bialo­ruskie Zjednoczenie Demokratyczne). 132 Bis 1996 gehörte dem Bund zudem der im April 1992 gegründete Bund der weißrussischen Jugend (Zwiqzek Mlodziezy Bialoruskiej) an, der 1996 austrat. 133

Insgesamt zeigt sich somit ein Sammelbecken verschiedenster Ver­bände, die vor allem ein gemeinsames Merkmal haben: Es handelt sich um neu gegründete weißrussische Minderheitenverbände. Ein weiteres verbindendes Kriterium, das in der eher knappen Literatur zu finden ist, ist der Hinweis von Kazanecki, dass es sich um "schöpferisch­berufsmäßige" Verbände handele, die sich im Bund (Zwiqzek) zusam­mengeschlossen hätten. l34 Dies trifft zwar im Großen und Ganzen zu, suggeriert jedoch unzutreffender Weise, dass es parallel dazu noch wei­tere Verbändegruppen gibt, die nicht im Bund (Zwiqzek) organisiert sind. Nichtmitglieder sind hingegen lediglich der weniger aufgrund grundsätzlicher Erwägungen als vielmehr aufgrund konkreter Streitig-

131 Vgl. dazu Alemann 1989, S. 161. 132 Kazanecki in Centrum 1998, S. 181 f. 133 Ebda. S. 184. Obwohl in den zahlreichen Eliteninterviews verschiedene zwischen­

verbandliche Probleme zur Sprache kamen, wurde dieser Austritt weder vom Bund­noch vom Jugendverbandsvorsitzenden erwähnt.

134 Kazanecki in Centrum 1998, S. 181.

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keiten 1996 ausgetretene Bund der weißrussischen Jugend135 sowie die Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne), deren Beziehung mit dem Bund von beiderseiti­ger Distanz geprägt ist. I "

Ein Blick auf die demokratische Verfasstheit des Weißrussischen Bunds in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) zeigt: Die Entscheidung über die Aufnahme von Mitgliedsver­bänden trifft die Delegiertenversammlung, die aus Repräsentanten der Mitgliedsorganisationen besteht und als sogenannter Rat der weißrussi­schen Organisationen in der Republik Polen (Rada Organizacji Bialo­ruskich w Rzeczypospolitej Polskiej) das höchste Organ des Verbandes darstellt. 137 Dieser Rat verfügt über die gängigen Funktionen, die in an­deren Verbänden die Mitgliederversammlung hat. Auffallend ist, dass im Statut explizit betont wird, dass die Delegiertenversammlung des Ver­bandes Rat der weißrussischen Organisationen in der Republik Polen (Rada Organizacji Bialoruskich w Rzeczypospolitej Polskiej) genannt wird. Daraus ergibt sich zweierlei: Zum einen wird begrifflich an den von 1991 bis 1993 existierenden "Weißrussischen Rat" (Rada) ange­schlossen, in dem sich die weißrussischen Organisationen zusammenge­schlossen hatten. Zum anderen zeigt sich, dass die Struktur des Bundes (Zwiqzek) gänzlich auf Mitgliedsverbände ausgerichtet ist. Das Statut sieht vor, dass der Rat sich durch jeweils drei Repräsentanten jeder weißrussischen Organisation, die Mitglied im Bund (Zwiqzek) sind, zusammensetzt. 138 Da der Rat sich mindestens halbjährlich trifft, ist die Arbeitsintensität dieses Gremiums größer als die der verschiedenen Mitgliederversammlungen anderer hier untersuchter Verbände, in denen der Sitzungszyklus zwischen einem und vier Jahren beträgt. I39

Neben den Rats-Kompetenzen zur Wahl, Entlastung und Abberufung von Vorstand und Revisionskommission liegt es in der Hand des Rates, die Hauptrichtungen der Verbandstätigkeit festzulegen sowie das Statut zu verändern. I40 Auffallend ist, dass dieses Gremium - und nicht etwa

135 Differenzen existierten über Zeitungsberichte der, in denen sich die Jugendorganisa­tion zu sehr kritisiert sah, Gespräch mit Oleg l:..atyszonek Dezember 2000 Hajn6wka und Eugeniusz Mironowicz Dezember 2000 Bialystok.

136 Siehe zur Beziehung zwischen Gesellschaft (Towarzystwo) und Bund (Zwiqzek) zudem den Abschnitt zur Beziehung zwischen den Verbänden.

137 Statut ZwilloZku Bialoruskigo w Rzeczypospolitej Polskiej (im Folgenden zitiert Statut Bund), S. 2.

138 Ebda., S. 3. 139 Ebda. 140 Zudem fallen ihm weitere Aufgaben zu, etwa die Festlegung des Mitgliedsbeitrags

und Beschlüsse über die Auflösung des Verbandes. Ebda., S. 4.

116

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der Vorstand - über maßgebliche Außenvertretungskompetenzen ver­fügt. !41

Der Vorstand als Leitungsorgan zwischen den Delegiertenversamm­lungen hat - wie oben bereits angedeutet wurde - weniger Außenvertre­tungsfunktionen als vielmehr die Aufgabe der Ausführung beschlossener Aktivitäten, der Verwaltung des Vermögens, der Erstellung eines Fi­nanzplans und eines jährlichen Tätigkeitsberichts. Letzterer wird - wie in den meisten anderen Minderheitenverbänden - jedoch selten veröf­fentlicht. Zudem wird auch in diesem Verband der Vorstandsvorsitzende nicht direkt durch die Delegiertenversammlung (also den Rat), sondern innerhalb des bis zu sieben Personen zählenden Vorstands aus den eige­nen Reihen heraus gewählt. Obwohl der Verbandsvorsitzende nicht durch das höchste Verbandsorgan der Delegiertenversammlung direkt legitimiert wurde, ist er dennoch in doppelter Verantwortlichkeit sowohl an das Vertrauen des Rates als auch an das seiner Vorstandskollegen gebunden, denn beide Gremien können sämtliche Vorstandsmitglieder von ihren Ämtern abberufen.!42

Neben der Revisionskommission, die über die gängigen Funktionen der Kontrolle der Finanzen und des statutengemäßen Verbandshandelns verfügt, existiert im Weißrussischen Bund in der Republik Polen (Zwiq­zek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) ein zusätzliches Gremium, das den Dachverbandscharakter des Verbandes unterstreicht, eine soge­nannten GeneralkonJerenz, die sich aus den Vorsitzenden der einzelnen Mitgliedsverbände und den Gründungsmitgliedern des Bundes (Zwiq­zek) zusammensetzt. Seine Funktion liegt darin, die "strategischen Auf­gaben des Verbandes festzulegen".!43 Somit existiert zusätzlich zum Rat der weißrussischen Organisationen in der Republik Polen ein paralleles Arbeitsgremium zur Kooperation zwischen den Mitgliedsverbänden, wobei sichergestellt wird, dass wenigstens einmal jährlich auch die Spitzenvertreter der Verbände (falls diese nicht mit den Ratsdelegierten identisch sind) in die Arbeit des Bundes (Zwiqzek) eingebunden sind. Da dieses Gremium solche strategischen Aufgaben festlegen soll, die der besonderen Kooperation zwischen den Verbänden bedürfen, hat die Generalkonferenz somit eine präventive Funktion, um möglichen Kon­flikten vorzubeugen. Der Rat und die Generalkonferenz haben überdies die Möglichkeit, für bestimmte Themen Kommissionen mit entspre­chender AufgabensteIlung ins Leben zu rufen. In eingeschränkter Form steht dieses Recht auch dem Vorstand zu, der eine sogenannte "Prob-

141 Ebda., S. 4 f. 142 Ebda., S. 4. 143 Ebda., S. 5.

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lemkommission" initiieren kann, die eine begrenzte Aufgabenstellung erhält. '44

Exkurs - der Dachverband Da es sich hierbei um einen Dachverband handelt, orientiert sich dieser nicht an einer Bündelung der Einzelinteressen individueller Mitglieder, sondern vor allem an einer Zusammenfassung unterschiedlicher Ver­bandsinteressen. Indem Verbände einen Teil ihrer Souveränität aufgeben und sich unter einem "Dach" subsumieren, sollen hierbei zumeist Funk­tionen erfüllt werden, die Einzelverbände nicht leisten können. Ange­strebt ist zunächst eine bessere Durchsetzungsfahigkeit gegenüber poli­tischen Entscheidungsträgern. Dies gelingt durch Kräftebündelung und Schaffung entsprechender gemeinsamer Ressourcen. Das strukturelle Merkmal einer Dachorganisation schlägt sich insofern auf die inhaltli­chen Zielsetzungen nieder, da besonders die Außen vertretung von ge­meinsamen Interessen im Vordergrund steht. Dennoch zeigen sich auch mögliche "Binnenfunktionen" durch einen entsprechenden Informati­onsfluss zwischen den Mitgliedsverbänden sowie durch mögliche Ar­beitsteilung, die zu Infrastrukturbildung und Ressourcenschaffung bei­tragen kann. Neben der besseren Interessenvertretung können Dachver­bände zudem nach außen zur Reduktion von Komplexität für staatliche und andere Ansprechpartner beitragen, so dass beispielsweise die Par­laments-Kommission für Minderheitenfragen bereits mit einer Anfrage beim Weißrussischen Bund in der Republik Polen über die Position ei­nes Großteils der weißrussischen Verbände informiert wird.'45

Programmatik Im hier zu analysierenden Weißrussischen Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) zeichnet sich die Pro­grammatik entsprechend den oben festgestellten Dachverbandsfunktio­nen durch eine deutliche Orientierung auf politische Interessenvertre­tung aus. In seinem Statut hat sich der Bund in dem Kapitel "Ziele und Mittel ihrer Realisierung" insgesamt drei Ziele gesetzt. Auffallig ist, dass es sich hierbei nicht, wie in den meisten anderen hier analysierten Statuten, um positive Zielvorgaben in Bezug auf einen anzustrebenden

144 Ebda. 145 Zu Funktion von Dachverbänden vgl. Brendle, Uwe; Hey Christian: Umweltverbän­

de im internationalen Vergleich, in: Wechselwirkung 55 (1992), S. 6-11, hier zitiert nach Schmid, Verbände S. 299-301. Die Überlegungen der Autoren waren eher spe­zifisch auf Umweltverbände auf europäischer Ebene zugeschnitten, so dass nur ei­nige Aspekte hier übernommen wurden.

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Zustand handelt,146 ebenso wenig um eine Kombination aus positiven Ziel vorgaben und weiteren Anliegen. Vielmehr werden lediglich "Tätig­keitsbereiche" des Bundes (Zwiqzek) festgelegt und somit seine Zielset­zungen nicht als solche benannt.

In diese Tätigkeitsbereiche fallen alle öffentlichen Angelegenheiten, "die für Weißrussen von Relevanz sind, aber nicht in der Verfassung erfasst wurden, die sich jedoch aus dem ethnischen Charakter des Ge­bietes ergeben, in dem die Weißrussen leben sowie alle öffentlichen Angelegenheiten, die nationale und lokale Bedeutung haben und deren Durchführung die Zusammenarbeit mit den staatlichen Organen ver­langt". Hierauf folgt eine Liste von 23 Aspekten, die diesen Bereich konkretisiert und etwa Bildungs-, Selbstverwaltungs-, politische, sprachliche, wirtschaftliche, touristische oder ökologische Angelegen­heiten aufführt.

Auch anhand des weiteren Ziels wird ein dezidiertes Dachverbands­anliegen deutlich, indem die "Vorbereitung gemeinsamer Standpunkte für Gespräche mit der staatlichen Administration über die Lösung von Problemen, die die Weißrussen betreffen, sowie über Fragen der Reprä­sentation im Sejm, Senat und in den lokalen Organen" angestrebt wird. Dem genauen Wortlaut nach hat dieses Ziel eine innerverbandliche Aus­richtung, indem eine Abstimmung über dezidiert politische Positionen angestrebt wird. D.h., hier steht weniger die Interessenvertretungstätig­keit im Vordergrund als die Interessenabstimmung innerhalb des Dach­verbandes.

Ein weiteres Ziel weist in eine ähnliche Richtung und befasst sich mit innerer Konfliktbearbeitung. So sollen innerverbandliche Streitfra­gen zwischen den Mitgliedern geschlichtet werden. Streitfragen mit anderen Organisationen sollen dem Schiedsgericht des Bundes (Zwiq­zek) übergeben werden. 147 Insgesamt sind der Tenor der Ziele und die fixierten Strategien weniger durch Positivvorgaben als durch Formulie­rungen geprägt, die eher auf Problem vermeidung bzw. Problemlösung abzielen. Dies hat seine Gründe jedoch weniger darin, dass es zur Grün­dungszeit aktuelle Konflikte zwischen den Gründungsmitgliedern gege­ben hätte, als vielmehr darin, dass das Statut von einem dem Verband nahestehenden Juristen entworfen wurde, der in diesem Bereich beson­ders vorbeugen wollte. 148

146 Wie beispielsweise die mehrfach vorkommende Zielvorgabe der Verbesserung der Beziehungen zwischen der eigenen Minderheit und der polnischen Mehrheits­bevölkerung.

147 Statut Bund, S. 2. 148 Gespräch mit Vorstandsmitglied Oleg I:.atyszonek, Dezember 2000 Hajn6wka.

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Die fixierten Strategien des Bundes (Zwiqzek) fielen mit 15 Punkten vergleichsweise umfangreich aus und zeigen sehr verschiedenartige Elemente. l49 Insgesamt lassen sich fünf unterschiedliche Arten von Stra­tegien erkennen: Am ausgeprägtesten sind solche, die sich auf den kul­turellen Erhalt der weißrussischen Minderheit beziehen; des weiteren finden sich politisch orientierte Strategien sowie solche, die auf die Medien ausgerichtet sind. Thematisiert werden auch die Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden sowie das wirt­schaftliche Engagement der Weißrussen. l5o

Den größten Umfang nehmen innerhalb der vom Bund formulierten Strategien diejenigen zum Erhalt der weißrussischen Kultur ein. Neben dem grundsätzlichen Aspekt von Tätigkeiten für die Entfaltung weißrus­sischer nationaler Identität sowie der Initiierung und Unterstützung des weißrussischen wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Lebens finden sich hier Vorhaben zur Fortbildung diverser Berufsgrup­pen (Lehrer, Wissenschaftler, Ärzte, Künstler, Journalisten und Ge­schäftsleute).151 Hinzu kommt das Engagement für das weißrussische Minderheitenschul wesen. 152

Bestandteil der selbstgesetzten Aufgaben ist zudem der Schutz weißrussischer Denkmäler. Dazu zählen neben dem Einsatz für den Erhalt der traditionellen Holzhäuser vor allem Aktionen zum Schutz alter orthodoxer Kreuze. 153 In diese Richtung weist sicherlich auch die Herausgabe einer Monographie über orthodoxe Holzkirchen in der Re­gion Bialystok. In ihrer Einleitung verweisen die Autoren auf die Prob­lematik der Gefährdung dieser Zeugnisse orthodoxer Kultur in Ostpo­len, denn "villages and their wooded graveyards are the last refuge of wooden Orthodox churches which are rapidly disappearing from the landscape being ruined by time, natural calamities, war disasters and human carelessness. "154

Teilnahme an Wahlen Wie bereits festgestellt, hat sich der Bund bereits unmittelbar nach sei­ner Gründung an den Parlamentswahlen beteiligt. Nach dem Scheitern

149 Statut Bund, S. 2. 150 Ebda. 151 Gespräch mit Vorstandsmitglied Oleg Latyszonek, Dezember 2000 Hajn6wka. 152 Statut Bund, S. 2. 153 Gespräch mit Vorstandsmitglied Oleg Latyszonek, Dezember 2000 Hajn6wka. 154 Keczynscy, Ewa; Keczynscy, Andrzej: Drewniane Cerkwie Bialostocczyzny.

}:(PAYJBlHbHI l(3PKBbI EEJIACTOqqEIHbI. Wooden orthodox Churches of Bialystok Region (herausgegeben vom Zwi'lzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej), Bialystok, Bialowieza, 1999, S. 10.

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dieses Versuchs wurde für die folgende Parlaments wahl von 1997 der Schluss gezogen, dass eine eigene Wahlliste und eine Vielzahl von Kan­didaten kaum erfolgversprechend sein konnten. So änderte der Bund (Zwiqzek) sein Vorgehen und entschied sich für zwei neue Strategien: Zum einen wurde lediglich ein Kandidat benannt (der Bund-Vorsitzende Eugeniusz Wappa), zum anderen kandidierte dieser auf der Liste einer anderen Partei, der Arbeitsunion (UP). Diese 1992 gegründete Partei entstammte zwar dem vormaligen Oppositionslager der Solidarnosc, konnte jedoch mit linksorientierten politischen Inhalten auch Mitglieder aus dem "postkommunistischen" Lager an sich binden. In der entspre­chenden Kooperationsvereinbarung zwischen den Vorsitzenden von Bund und Arbeitsunion wurde festgehalten, dass beide Kooperations­partner "sich zur gemeinsamen Tätigkeit beim Bau der Zivilgesellschaft entschließen, in welcher alle Bürger gleich sind und ihr Recht der Ach­tung einer nationalen und kulturellen Identität respektiert wird. Für den Bau eines demokratischen und gerechteren Polens und die Realisierung gemeinsamer Ziele sollte der weißrussische Bund als Organisation einer nationalen Minderheit im Parlament vertreten sein".1SS

Im Weiteren wurde ein gemeinsames Vorgehen für die wirtschaftli­che Stärkung der Region Bialystok und die Förderung der Grenzregion sowie der Situation der Weißrussen vereinbart. Der weißrussische Kan­didat begründete seine Kandidatur auf einer Liste der Arbeitsunion da­mit, dass diese sich als eine Partei der linken Mitte im Sejm immer für die gleichen Rechte aller Bürger eingesetzt habe. 156 Doch anders also noch 1993 scheiterte die Arbeitsunion 1997 an der Fünf-Prozent-Hürde und somit auch der Versuch des Bundes (Zwiqzek), einen Kandidaten ins Parlament wählen zu lassen. 157 Bei der Betrachtung dieser Kooperation einer Partei und einem Minderheitenverband muss man darauf verwei­sen, dass diese erstmals 1993 zwischen der Freiheitsunion (UW) und dem Bund der Ukrainer vereinbart wurde.

Ebenso wie in den Zielen kommt auch im Strategienkatalog den Be­ziehungen zwischen verschiedenen Gruppen und Verbänden und der Abhilfe bei möglichen Streitigkeiten Bedeutung zu. So befasst sich eine Strategie damit, dass der Verband Streitigkeiten durch die Organisierung

155 Vereinbarung zwischen den Vorsitzenden von Arbeitsunion (UP) und Weißrussi­schem Bund in der Republik Polen (Zwil\czek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) zur Kooperation bei den Parlamentswahlen 1997, Warschau, 15.6.1997.

156 Lista Nr. 1, Eugeniusz Wappa, von Belaruski Sojus und Unia Pracy, Handzettel zur Sejm-Wahl 1997.

157 Vgl. zu den Hinweisen über die Arbeitspartei Widmaier/Gawrich/Becker 1999, S. 131.

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entsprechender schlichtender Verhandlungen und durch Kompromisse lösen will. Neben dieser unklaren Formulierung findet sich noch das Anliegen, Kontakte zwischen den Verbandsmitgliedern sowie den Mit­gliedsorganisationen und weiteren Verbänden zu erleichtern. IS.

Abschließend lässt sich noch auf die sehr allgemeinen medienbezo­genen Strategien verweisen, die sich auf die Herausgabe eigener Zeit­schriften in weißrussischer Sprache sowie das Verlegen periodischer Informationsmagazine über die Tätigkeit des Verbandes beziehen. Durch die Beteiligung des Bundes am Programmrat der Minderheiten­zeitung Niwa ist dieser Verband zudem als faktischer Mitherausgeber maßgeblich in die Gestaltung der größten und wichtigsten weißrussisch­sprachigen Zeitung in Polen involviert.

Faktisch betätigt sich der Bund (Zwiqzek) über diese fixierten Stra­tegien hinaus immer wieder auch verlegerisch durch die Herausgabe von diversen Monographien zu verschiedenen weißrussischen kulturel­len Themen. Beispielsweise werden die Werke verschiedener Schrift­steller aus Weißrussland ins Polnische übersetzt publiziert, so in jünge­rer Zeit "Requiem dIa Pily Motorowej" von Uladzimier Arlou!5. oder das Werk Scania des berühmten weißrussischen Schriftstellers Vasyl By­kau.!60 Die Zusammenarbeit mit Schriftstellern aus Weißrussland hat eine unmittelbar politische Bedeutung, wenn diese in ihrem Heimatland aufgrund ihrer Arbeiten staatlichen Repressionen ausgesetzt sind. Eine seit 1996 jährlich stattfindende Schriftstellertagung des Bundes, auf der sich sowohl weißrussische Schriftsteller aus der Minderheit als auch aus dem Nachbarland treffen, hat somit nicht nur die Funktion, den literari­schen Austausch mit der Schriftstellern der eigenen Titularnation zu suchen, sondern zugleich einen repressionsfreien Raum zur Diskussion zu eröffnen. Diesen nutzte etwa der in Minsk lebende Schriftsteller Slavamir Adamovicz, der vor einigen Jahren - bereits unter Lukaschen­kas Herrschaft - für ein Gedicht mit dem Titel "Tötet den Präsidenten" zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. 161 In diesem Kontext zeigt sich, dass der Bund (Zwiqzek) mit seiner Publizierung aktueller weißrussischer Literatur weit über die Strategie verlegerischer Tätigkeit hinausgeht und durch seine umfassende Kooperation mit

158 Statut Bund, S. 2. 159 Arlou, U1adzimier: Requiem dia Pily Motorowej, Bialystok 2000 (herausgegeben

vom Zwi'lzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej). 160 Bykau, Vasyl: Scania, Bialystok 2000. Bykau ist Vorsitzender des weißrussischen

PEN-Clubs und lebt im Exil. 161 Maksymiuk, Aleksander <[email protected]>. 26.1.2001. Persönliche E-Mail

(26.1.2001) und Gespräch mit Oleg Latyszonek, Dezember 2000 Hajn6wka.

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Schriftstellern aus Weißrussland seiner fixierten Verbandsstrategie der "Initiierung ... und Unterstützung weißrussischen ... kulturellen Le­bens" eine klare politische Dimension verleiht.

Radio Radzia Im Jahr 2000 hat der Bund den Sendebetrieb für das weißrussischspra­chige Privatradio "Radzia" aufgenommen. Dieses ist zum einen von Führungsspitzen des Bundes maßgeblich mitinitiiert worden,'62 zum anderen haben sie selbst zentrale Funktionen in diesem Radio inne. So ist beispielsweise der Bund -Vorsitzende gleichzeitig Präsident der Fir­ma, die das Radlo betreibt. Zudem ist der Bund maßgeblicher Anteils­eigner der Firma. So handelt es sich bei diesem ersten privaten Minder­heitenradio in Polen zwar um eine private Initiative, sie ist jedoch orga­nisatorisch und personell faktisch eng mit diesem Verband verknüpft und kann somit. als eine neue Aktionsform, als neue reale Strategie im Medienbereich interpretiert werden. Zu verweisen ist dabei auf die dop­pelte Intention, die dem Radio zugrunde liegt: Zum einen hat dieses Radio zum Ziel, für die eigene Minderheit zu senden, um den als äu­ßerst knapp empfundenen Anteil am öffentlichen Radioprogramm aus­zugleichen. Zum anderen richtet sich das Programm auch an die Bevöl­kerung in Weißrussland, um ihr einen Zugang zu freien Informationen zu ermöglichen. Damit richtet sich der Sender auch gegen das politische Regime Weißrusslands. 163

An dieser Stelle soll ein Blick auf die Struktur der Funktionseliten innerhalb des Dachverbandes und seiner Mitgliedsverbände geworfen werden. Charakteristisch für die Struktur der Führungsspitzen des Bun­des und seiner Mitgliedsverbände sind vielfache Zuständigkeiten sowie Zugehörigkeiten eines eher kleinen Kreises von maßgeblichen Funkti­onseliten. Somit verfügt eine kleinere Personengruppe über verschiede­ne Führungspositionen und Mitgliedschaften in diversen Verbänden sowie in dem Bund (Zwiqzek) nahestehenden Institutionen (wie im Ra­dio Radzia). Zur Veranschaulichung soll im Weiteren eine kleine Aus­wahl solcher "verwobenen" Zuständigkeiten folgen: So ist der stellver­tretende Vorsitzende des Bundes (Zwiqzek) (Slawomir Iwaniuk) gleich­zeitig Präsident des Verbandes der weißrussischen Journalisten (Sto­warzyszenie Dziennikarzy Bialoruskich) und zudem Vizepräsident der Weißrussischen Historischen Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Historyczne). Der Vorsitzende der Historischen Gesellschaft (Oleg La­tyszonek) ist gleichzeitig Vorstandsmitglied des Bundes, Vertreter dieses

162 Gespräch mit Eugeniusz Wappa Februar 2000, Bialystok. 163 Gespräche mit Wappa und Latyszonek Dezember 2000, Bialystok.

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Verbandes bei Radio Radzia und Mitglied im lournalistenverband sowie im Programmrat von Niwa. Der Vorsitzende des Bundes (Eugeniusz Wappa) hat gleichzeitig die Funktion des Vizepräsidenten des ,,Niwa"­Programmrates inne und fungiert als Präsident von Radio Radzia. 164

Welche Erkenntnisse sind nun aus diesem Befund eines engen eh­renamtlichen Führungszirkels zu ziehen, der maßgebliche Teile der Ver­bändelandschaft des Bundes (Zwiqzek) anführt? Dass dieses Merkmal unter dem Blickwinkel einer älteren Verbändetypologisierung in Anleh­nung an Max Webers Parteienanalyse eine Charakterisierung als Hono­ratio ren verbände nahe legt, die sich dadurch auszeichnen, dass ihre Spitzen ehrenamtlich und zeitlich begrenzt agieren (zum Unterschied zum Funktionärsverband, der von hauptamtlichen Mitarbeitern ange­führt wird), hilft nur in der Deskription weiter. '6S Auch Robert Michels '66

"Ehernes Gesetz der Oligarchie", das er für Großorganisationen ent­warf, lässt sich auf die hier diskutierten personellen Verflechtungen '67

nicht anwenden, da es sich um vergleichsweise kleine Verbände handelt. Es darf zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass die vorgestellten Funktionseliten allesamt zu den Gründern der erwähnten Verbände zäh­len und selbst maßgeblich zur Pluralisierung der Verbändelandschaft nach 1989 in der weißrussischen Minderheit beigetragen haben. Deswe­gen ließe sich erst nach weiteren Elitenwechseln absehen, ob diese enge Elitenverflechtung für die neu gegründeten Verbände konstitutiv ist.

2.1.4 Weißrussische Historische Gesellschaft

Die Weißrussische Historische Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Historyczne) wurde im September 1993 registriert. l6• Das Gründungsin­teresse lag darin, die Geschichte der eigenen Minderheit zu erforschen. Entsprechend formulierte der Verbands-Vorsitzende Oleg Latyszonek: " Wir wissen einfach, niemand wird für uns unsere Vergangenheit doku­mentieren. Die Polen mögen natürlich das eine oder andere Thema zur

164 Gespräche mit Latyszonek, Dezember 2000. 165 Typisierung hier nach Jürgen Weber (1977), S. 79 sowie Schmid 1998, S. 18. 166 Robert Michels entwickelte 1911 einen Ansatz über innerparteiliche Demokratie,

das "eherne Gesetz der Oligarchie". Hier nach Alemann 1989 S. 166. 167 Sie trifft nicht rur den Studenten- und den Jugendverband zu, in denen die Vor­

standsgenerationen insgesamt schneller wechseln, ebenso wenig rur den Literaten­verband.

168 Siehe zur staatlichen Genehmigung; Statut Bialoruskiego Towaszystwa Historycz­nego (im Folgenden zitiert Statut Historiker), S. 5.

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Sprache bringen. Systematisch aber hat sich damit bisher kein polni­scher Wissenschaftler beschäftigt. "169

Die Gesellschaft hat sich in ihrem Gründungsstatut drei Ziele ge­setzt: 170 Erstens die Entwicklung der wissenschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Aktivitäten von weißrussischen Historikern. An dieser Formulierung zeigt sich, was auch seitens des Vorsitzenden Latyszonek besonders betont wurde, dass diese Organisation lediglich professionel­le Historiker umfasst17l und somit eine Berufsorganisation darstellt. Gleichwohl wurden keineswegs nur berufsbezogene Aktivitäten geplant; die Historiker sind zudem angehalten, auch eigene kulturelle und gesell­schaftliche Aktivitäten in ihrer Minderheit zu entfalten. Im interessen­organisatorischen Sinne ist dieses Ziel somit nicht nur auf die eigenen Mitgliedern ausgerichtet, sondern soll auch insgesamt weißrussische Historiker ansprechen.

Das zweite :(:iel besteht in der Förderung der Verbreitung des histo­rischen Wissens über Weißrussen und der Unterrichtung über weißrussi­sche Traditionen. Da dafür kein Adressat festgelegt wurde, ist von ei­nem sehr allgemeinen Bifdungs-Vorhaben seitens des Verbandes auszu­gehen, das sich sowohl auf die eigene Minderheit als auch auf die polni­sche Bevölkerung insgesamt bezieht. Der Aspekt der Verbreitung von Wissen über die eigene Minderheit ist ein gängiges Bildungsanliegen, das in zahlreichen Statuten formuliert wird. Es zielt häufig gleicherma­ßen auf die eigene Minderheit sowie die polnische Mehrheit und hat nicht selten - im Hinblick auf die Beziehung zwischen beiden - zusätz­lich eine versöhnende Konnotation. Dieser Gesichtspunkt zeigt sich im dritten Ziel des Statuts, in dem für "nationale Toleranz" (im deutschen Sprachgebrauch würde dies "ethnische Toleranz" bedeuten) geworben werden soll, welche die freundschaftlichen Beziehungen zwischen weiß­russischer Minderheit und polnischer Mehrheit sowie zu anderen Min­derheiten in Polen begünstigen soll. Diese Charakteristika beider Ziele sind, da sie bislang in nahezu allen Statuten zu finden waren, demnach kennzeichnend für die hier zu untersuchenden Interessenorganisationen. Solche Ziele, die sich aus Bildungs- und/oder Versöhnungs-Elementen zusammensetzen, sollen deswegen an dieser Stelle typologisch als auf­klärende Ziele bezeichnet werden.

Da im Zielekatalog dieses Verbandes das aufklärende Ziel eine gro­ße Rolle spielt, zeigen sich auch hier die im Rahmen der Verbändeana-

169 Interview mit dem Vorsitzenden Latyszonek März 1999 in Bialystok (im Folgenden zitiert Interview mit Latyszonek).

170 Statut Historiker, S. 1. 171 Interview mit Latyszonek.

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lysen gängigen Intentionen. Zudem wird eine zweifache Interessenlage deutlich, die sich zum einen auf geschichtswissenschaftliche und somit berufsbezogene Forschungsvorhaben bezieht. Diese stehen jedoch kei­neswegs im Vordergrund. Hingegen wird zum anderen ein größerer Schwerpunkt auf gesellschaftlich-kulturelles Engagement gelegt, das insgesamt eher langfristigen Zielen folgt.

Auch die im Statut fixierten Strategien, mit denen obige Ziele reali­siert werden sollen, nehmen primär gesellschaftliche Aktivitäten in den Blick. So sollen vor allem öffentliche Aktivitäten in den Bereichen Wis­senschaft, Kultur und Bildung entfaltet werden. Neben Verlags-, Veröf­fentlichungs- und Schulungstätigkeit fällt der Anspruch von "touris­tisch-Iandeskundlichen" Initiativen auf. In der Praxis wird dies bei­spielsweise durch Camps für Jugendliche realisiert, wie beispielsweise im Jahr 2000 durch ein "Historisch-Ethnographisches Sommercamp.172 Die publizistische Tätigkeit nimmt einen wesentlichen Stellenwert in den realen Strategien des Verbandes ein. Von größter Bedeutung ist hierbei die Gründung einer historischen Fachzeitschrift des Verbandes, die halbjährlich erscheinenden "Bialoruskie Zeszyty Historycz­ne "(Weißrussische historische Hefte). Sie widmen sich zumeist Themen der weißrussischen Geschichte, selten auch aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Problemen. Zudem werden regelmäßig wissenschaft­liche Monographien publiziert. 173

Im Folgenden soll ein kurzer analytischer Blick auf die "Bialo­ruskie Zeszyty Historyczne" (Weißrussische historische Hefte) vorge­nommen werden. Von den bis zum Ende des Analysezeitraums veröf­fentlichten 14 Heften (Anfang 2001) wurden vier Hefte beispielhaft herangezogen. 174 In ihren "Grundsätzen zur Publikation von Texten", die sich an potenzielle Autoren richten, finden sich die Hinweise, dass in dieser Zeitschrift Veröffentlichungen zu den verschiedenen Facetten der weißrussischen Geschichte publiziert werden. 175 Besondere Berücksich­tigung finden dabei Darstellungen zum polnisch-weißrussischen Grenz­gebiet.!7.

Bei einem quantitativen inhaltsanalytischen Zugang zeigt sich, dass rund ein Drittel der wissenschaftlichen Aufsätze in weißrussischer bzw.

172 "Report on Belarussian Historician Association Activities in 2000", in: Latyszonek, Oleg, [email protected] 9.1.2001. Persönliche E-Mail (12.1.200 I) (im Fol­genden zitiert Jahresbericht 2000).

173 Vgl. Verlagsverzeichnis in Heft 10 (1998) sowie Jahresbericht 2000. 174 Die Hefte H 3 (1995) H5 (1996), H 9 (1998) und H 10 (1998). 175 Ebda. 176 Heft 10, 1998.

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russischer Sprache publiziert wurden. Somit ist zum einen auch auslän­dischen Autoren aus Belarus bzw. Russland die Möglichkeit zur Publi­kation gegeben. Zum anderen zeigt sich, dass eine gewisse Erwartung an die Mehrsprachigkeit der Leser der Hefte gestellt wird bzw. sicherge­stellt werden soll, dass bestimme Artikel auch im östlichen Ausland rezipiert werden. Im Unterschied zur vollständig in weißrussischer Sprache publizierten Minderheitenzeitung Niwa, deren Leserschaft und Rezeption damit vorrangig auf die eigene Minderheit beschränkt bleibt, sollen die zweisprachig erscheinenden Historischen Hefte aus der Min­derheit heraus in eine größere Leserschaft hineinwirken.

Auch eine weitere fixierte Strategie nimmt einen erheblichen Stel­lenwert in der faktischen Verbandstätigkeit ein: Die Organisierung von Seminaren oder historischen Werkstätten. Zumindest einmal im Jahr werden wissenschaftliche Symposien veranstaltet, auf denen weißruss­landbezogene Themen diskutiert werden (wie beispielsweise der "Kampf um weißrussische Eigenstaatlichkeit im 20. Jahrhundert" im Oktober 2000). in

Im Rahmen der realen Strategien des Verbandes hat sich ein weite­rer Arbeitsschwerpunkt herausgebildet, der einer aktuellen politischen Notwendigkeit geschuldet und ursprünglich nicht intendiert gewesen ist: Hilfestellungen für polnische Historiker in Weißrussland, die innerhalb dieses diktatorischen Systems nur unter großen Schwierigkeiten for­schen und publizieren können. Der Vorsitzende der Gesellschaft beton­te, dies geschehe auf nachhaltige Bitten der dortigen Minderheit. Deren Historiker verfügten nur über geringe Forschungsmöglichkeiten und vor allem über keine freien Publikationsmöglichkeiten, da auch wissen­schaftliche Literatur der staatlichen Propagandalinie folgen müsse. Die Hilfe seitens der Weißrussischen Historischen Gesellschaft besteht maßgeblich aus einer Einbeziehung der Geschichte der polnischen Min­derheit im heutigen Weißrussland in die eigenen Forschungsgebiete. Somit zeigt sich, dass dieser Verband in der Lage war, relativ flexibel auf diese nachhaltigen Bitten um Unterstützung zu reagieren und Akti­vitäten zu entfalten, die sich eigentlich nur am Rande mit seinen statu­tenmäßigen Aufgaben deckt.

Struktur Der Verband verfügt über die klassische Organisationsstruktur einer Mitgliederversammlung als dem höchsten Gremium, eines Vorstands und der Revisionskommission. Die Kadenz aller Gremien beträgt je­weils drei Jahre, in diesem Rhythmus tagt auch die reguläre Mitglieder-

177 Interview mit Latyszonek, Jahresbericht 2000.

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versammlung. Der von dieser gewählte fünfköpfige Vorstand führt die Tätigkeit des Verbandes zwischen den Versammlungen, wozu er nicht weniger als viermal im Jahr zu Vorstandssitzungen zusammenkommt. Die Revisionskommission verfügt über die gängige Kompetenz der Kontrolle von Finanzen und Tätigkeit des Verbandes. 178

Nach eigenen Angaben handelt es sich bei der Weißrussischen Historischen Gesellschaft um einen eher kleinen Verband mit ca. 20 bis 30 Mitgliedern. 179 Obwohl die einzigen formalen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft lediglich die polnische Staatsangehörigkeit und die Volljährigkeit sind, spricht die Gesellschaft dennoch als berufsbezogene Organisation nur Historiker an und unter ihnen jene, die sich mit Weiß­russland beschäftigen, so dass der potenzielle Mitgliederkreis ohnehin eher gering ist. Dennoch verfügt die Gesellschaft nach eigenen Aussa­gen über regionale Gliederungen, obwohl diese nicht im Statut vorgese­hen sind und demnach keine Regelungen über die Repräsentanz regiona­ler Gruppen in den Verbandsgremien getroffen wurden. Demnach exis­tieren abseits des Verbands-Sitzes in Bialystok jeweils eine Abteilung in den Gemeinden Hajnowka und Bielsk Podlaski. Diese liegen in unmit­telbarer Umgebung von Bialystok und zählen zu den polnischen Ge­meinden mit dem höchsten Weißrussen-Anteil. Beide Gemeinden neh­men ohnehin eine Sonderstellung ein, da sie von weißrussischen Bür­germeistern geführt werden. Die dritte Abteilung befindet sich in Dan­zig, wo es ebenfalls eine kleinere Gruppe von Weißrussen gibt. 180

Neben diesen Führungsorganen verfügt der Verband noch über ein beratendes Gremium, den sogenannten Wissenschaftsrat. Seine Mitglie­der werden durch die Hauptversammlung gewählt. Seine Aufgabe be­steht darin, sich um das "grundlegende Niveau der wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit" des Verbandes zu bemühen.'''

Somit handelt es sich bei diesem Verband zwar um eine Art Berufs­organisation. Jedoch hat dieser nicht die Intention, sich auf das berufli­che Leben seiner Mitglieder zu beziehen, sondern verbindet das Ziel wissenschaftlicher Arbeit maßgeblich mit dem Ansinnen gesellschaftli­cher, hier bildendender bzw. aufklärender Tätigkeit. Damit handelt es

178 Statut Historiker, S. 3 f. 179 Die mündlichen Angaben schwanken hier seitens der Vorstandsmitglieder, schriftli­

che Angaben hierzu konnte der Verband nicht vorlegen, Angaben aus Interview mit l.atyszonek und Vorstandsmitglied Mironowicz, Dezember 2000.

180 Vgl. zur Situation der Weißrussen in Danzig: Glogowska, Helena: Bialorusini w Gdansku i okolicy po 1945 r. [Weißrussen in Danzig und Umgebung nach 1945] in: W starej i nowej Ojczyznie. Mniejszosci narodowe w Gdansku po drugiej wojnie swiatowej, Interview mit l.atyszonek und Statut Historiker, S. 2.

181 Ebda. S. 4 f.

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sich um eine Organisation, die in ihren Strategien weniger nach innen -auf die eigenen Mitglieder - zielt, sondern sich unter Zuhilfenahme professioneller Kompetenz um die Aufarbeitung der Geschichte der eigenen Minderheit bemüht.

2.1.5 Weißrussische Vereinigung der Studenten

Genese und Programmatik Die Weißrussische Vereinigung der Studenten (Bialoruskie Zrzeszenie Student6w) ist sowohl für die weißrussische Verbändelandschaft wie für das hier untersuchte Verbändespektrum von besonderer Bedeutung, weil sie unter den neugegründeten Verbänden als erster Verband gegründet worden war. Dieser Organisation war es gelungen, bereits Ende Novem­ber 1988 offiziell registriert zu werden. l82 Dieser Schritt läutete glei­chermaßen das Ende des Monopols der Weißrussischen sozio-kulturellen Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) und die organisatorische Interessen-Pluralisierung innerhalb der Weißrussischen Minderheit ein. l83 Die Genese dieses Verbandes ist vor allem deswegen von besonderem Interesse, weil sie bis in das Jahr 1981 zurückreichL 184

Um die Hintergründe dieser ersten Bemühungen um eine Verbandsgrün­dung zu verstehen, ist es notwendig, sich die historische Situation Po­lens und das Verhalten der Studenten zu dieser Zeit zu vergegenwärti­gen. Seit den 70er Jahren existierten in Polen keine freien studentischen Zusammenschlüsse mehr, sondern lediglich die staatlich kontrollierte Sozialistische Vereinigung polnischer Studenten (SZMW). 1977 gehörten ihr 75 Prozent der polnischen Studierenden an, jedoch zeigte sich be­reits in Umfragen Ende 1978, zwei Jahre vor dem Ende ihres Monopols, dass ein Großteil der Studenten dieser kritisch gegenüberstanden. Die umfassende Streikwelle im Sommer 1980 mündete in die Anerkennung der Solidarnosc als erster freier Gewerkschaft im Ostblock. An den Streikaktionen hatten auch viele Studenten teilgenommen, woraus auch die Forderung nach der Zulassung freier Studentenorganisationen resul-

182 Dokument Nr. 104, 1988 listopad, Warszawa - Decyzja dyrektora Wydzialu Spoleczno-Administracyjnego Urz~du Miasta Stolecznego Warszawy Jana Hordejuka 0 wpisaniu BZS do rejestru stowarzyszeti i zwilloZk6w, in: Iwaniuk; Wappa S. 170.

183 Chalupszak 1998, S. 105. 184 Iwaniuk; Wappa S. 275, Chalupczak 1998, S. 105. Die Quellenlage zu den Jahren

der illegalen Arbeit und den ersten Jahren der offiziellen Arbeit ist deswegen ver­gleichsweise gut, weil der Verband selbst eine Dokumentensammlung über die weißrussische Studentenbewegung in Polen 1981-1992 herausgegeben hat, siehe Iwaniuk; Wappa.

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tierte. In der Folge der Sommerstreiks und -proteste entstanden derarti­ge freie Studentenverbände zu Beginn des akademischen Jahres 1980 an den Universitäten. Der inhaltliche Protest dieser Zeit, der sich vom Herbst 1980 bis Februar 1981 hinzog, war seinem Charakter nach nicht auf den politischen Umsturz des Systems ausgerichtet, sondern auf Re­formen innerhalb des sozialistischen Systems, vor allem innerhalb der Universitäten. 185

Die Gründungsbemühungen der Weißrussischen Vereinigung der Studenten fielen somit in die kurze Zeit gesellschaftlicher Pluralisie­rung, als auch an den Hochschulen eine Interessenorganisierung durch verschiedene Gruppen möglich wurde. Dennoch gelang es damals nicht, den Verband offiziell registrieren zu lassen. Ein entsprechender Antrag wurde im Juli 1981 durch das Wissenschaftsministerium unter anderem mit der Begründung abgelehnt, dass die geplante Propagierung weißrus­sischer Kultur in keinem Zusammenhang zu Problemen von Hochschu­len stehe und überdies bereits im bestehenden Monopolverband reali­siert werden könnte. 186

Die erneuten Bemühungen um eine Registrierung fielen in das Jahr 1988, in eine Zeit, in der sich bereits zahlreiche unabhängige politische Initiativen und Klubs gegründet hatten, die in er Öffentlichkeit präsent waren und auch Einfluss auf die Studenten hatten. Im April/Mai und August 1988 kam es erneut zu Streikwellen, die der Führung deutlich machten, dass sie mit den Trägern der Opposition in ernsthafte Verhand­lungen treten musste. So gab es bereits im September 1988 Vorberei­tungsgespräche für den später von Februar bis April 1989 stattfindenden "Runden Tisch". Mit ihrer Registrierung im November 1988 gelang der Weißrussischen Vereinigung der Studenten dieser Schritt somit einige Monate bevor durch die Ergebnisse des "Runden Tisches" ein neuer gesellschaftlicher Pluralismus garantiert wurde. 1S7

Im Dezember 1988 fand die erste Hauptversammlung der Organisa­tion statt, an der ca. 70 Studenten teilnahmen und die in Bialystok tagte - obwohl als Sitz des Verbandes Warschau festgelegt worden war - und auf der die diversen Gremien gewählt wurden. 1S8 Am gleichen Tag fand

185 Siehe zu den Entwicklungen an den Universitäten: Fehr, Helmut: Unabhängige Öffentlichkeit und soziale Bewegungen in Polen und der DDR, Opladen 1996.

186 Dok. Nr. 5 in: Iwaniuk; Wappa, S.42: 1981 lipiec 20, Warszawa. - Pismo podsekretarza stanu MNSzWiT Jerzego Sabilka do pelnomocnika Komitetu Zalozycielskiego BZS w Poisce J. Goworko odmawiajlloce zarejestrowania organizacji.

187 Bingen, Dieter: Innenpolitik und Außenpolitik, in: Wöhlke, Wilhelm (Hrsg.): Län­derbereicht Polen, Bonn 1991, S. 176-239, hier S. 206-208.

188 Dok. Nr. lOS, 1988 grudzien 17, Bialystok - Protok61 I Walnego Zgromadzenia

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sich der frisch gewählte Vorstand zur Planung der ersten Arbeitsschritte zusammen. Oberste Priorität hatte hierbei die Festlegung von zentralen Arbeitskommissionen. Zudem wurde beschlossen, eine eigene Biblio­thek in Warschau und Bialystok aufzubauen, ein eigenes Informations­bulletin herauszugeben sowie regionale Strukturen - neben Bialystok und Warschau - auch in Lublin und Allenstein zu etablieren."9

Struktur Nach eigenen Angaben verfügt der Verband über ca. 70 Mitglieder. Nachdem es seit der Registrierung 1988 zunächst noch Regional­abteilungen in Allenstein und Danzig geben hatte, existieren inzwischen lediglich Gruppen in Bialystok und in Warschau.!90 Wie großzügig sol­che Angaben gehandhabt werden, zeigt sich beispielsweise daran, dass in einem Sponsorenaufruf zur Feier des zehnjährigen Bestehens des Verbandes darauf verwiesen wurde, dass der Verband an "vielen akade­mischen Zentren Polens, hauptsächlich in Bialystok und Warschau, aber auch in Danzig, Allenstein und Lublin" weißrussische Studenten vertre­te.!9!

Tätigkeit und Strategien In einer kurzen Selbstdarstellung wurde vor allem auf das Ziel der För­derung der weißrussischen Kultur verwiesen.!92 Die zentrale praktische Tätigkeit des Verbandes in dieser Hinsicht stellt die Veranstaltung des jährlichen Musikfestivals des jungen Weißrussland "Basowiszcza" (Festiwal Muzyki Mlodej Bialorusi) dar. Ein Ereignis, das zumindest 1999 - als es zum zehnten Mal stattfand - ein beachtliches Presseecho hervorrief. Der Beschluss zur Ausrichtung eines solchen Rockkonzertes fiel im Rahmen der zweiten Hauptversammlung des Verbandes im De­zember 1989.!93 Das Konzert findet in der Nähe des kleinen Ortes Grodek (vierzig Kilometer von Bialystok entfernt) statt und zieht nach

Czlonk6w BZS, in: Iwaniuk; Wappa, S. 170 f. 189 Dok. Nr. 109, 1988 grudzien 17, Bialystok - Protok61 pierwszego posiedzenia Rady

GI6wnej BZS, in: Iwaniuk; Wappa, S. 173 f. 190 Interview mit Jerzy Szulski als Vorsitzender der BZS, März 1999 Bialystok (im

Folgenden zitiert Interview mit Szulski). 191 Schreiben BZS (Vorsitzender Jerzy Szulski) an Fundacja im. Stefana Batorego, vom

8.12.1998 sowie identisches Schreiben an Fundacja Polska Praca, vom 10.12.1998 ("Wniosek 0 dotacjll").

192 Ebda. 193 Dok. Nr. 158, 1989 grudzien 16, Bialystok. - Uchwaly II Walnego Zgromadzenia

Czlonk6w BZS opublikowane w dodatku studenckim "Prysutnas6" w tygodniku "Niwa", nach "Niwa" 21.1.1990 Nr. 3, in: Iwaniuk; Wappa, S. 215 f.

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Angaben der Veranstalter jährlich rund 5.000 Fans an. l94 Für die Tages­zeitung Rzeczpospolita galt Basowicza 2000 als "die größte Präsentation weißrussischen Rocks auf der Welt". 19S Diese findet somit nicht in Weiß­russland selbst statt, sondern vielmehr in der polnischen Provinz. Die Mehrheit der Rockgruppen, die sich im Jahr 2000 präsentierten, waren aus Belarus angereist,'96 so dass die Veranstaltung in der Tat mehrheit­lich eine Präsentation der Rockkultur aus dem östlichen Nachbarland darstellte.

Welche Bedeutung dieses Festival für die belarussische Rockmusik besitzt, lässt sich anhand einiger Berichte zum 10. Festival 1999 er­schließen. So schrieb ein Rockfan, der aus Minsk angereist war, in sei­nem anschaulichen Internetartikel über das "Belarusian Woodstock -Basovishcha '99": "It's one of the very few opportunities to hear our own national stars, to wave the white-red-whites [in Weißrussland ver­botene Flagge mit den alten Nationalfarben, A. G.] and yell "Zyvie Bie­larus" [es lebe Belarus] without bothering and dangerous presence of KGB and special forces all around." Weiterhin war er beeindruckt über die polnische Anteilnahme am Schicksal seines Landes: "Still, I was deeply touched when one Polish Punk took a white-red-white band·from me and kept pulling it out from his pocket and kissing it from time to time. "197 Ohnehin gibt es nur Schätzungen, wie sich das Publikum zu­sammensetzte. Der Minsker Rockfan schätzte die Zahl der aus Weiß­russland angereisten Fans auf rund 200;198 angesichts der insgesamt meh­reren Tausend Teilnehmer wäre dies ein äußerst geringer Anteil. Immer­hin scheint das Festival für einige Jugendliche aus der Minderheit ein Anlass zu sein, sich ihrer weißrussischen Wurzeln zu besinnen, wie einer der Organisatoren feststellte: "Manche Darsteller, die in Podla­chien leben, polieren extra für das Festival ihr Weißrussisch auf. Es ist gut, wenn sie sehen, dass ihre zweite Muttersprache sich auch für etwas

194 Schreiben BZS (Vorsitzender Jerzy Szulski) an Fundacja im. Stefana Batorego, vom 8.12.1998 ("Wniosek 0 dotacjf').

195 Rzeczpospolita vom 17.7.2000. Auch in der Berichterstattung des Prager RFE/RL­Reports "Poland, Belarus and Ukraine" wird "Basowiszcza" als größtes und be­kanntestes Festival des weißrussischen Rocks bezeichnet. Der Verantwortliche des Prager Reports, Jan Maksymiuk, war Mitbegründer des BZS. "Poland, Belarus, and Ukraine Report" RFE/RF vom 3. August 1999, Vol. 1, Number 10, http://www.rferl.org/pbu-report/1999/08110-030899 .html (24.1.01).

196 Rzeczpospolita vom 15.7.2000. 197 Katkouski, Uladzimir L.: Belarusian Woodstock Basovishcha '99,

http://www.belarusian.com/music/woodstock0799.htm (24.1.1.01). 198 Ebda.

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anderes eignet als für ein Gespräch mit der Großmutter oder den El­tern. "199

Demnach zeigt diese Verbandsinitiative eine mehrfache Funktion: Sie trägt zum einen zum Erhalt der kulturellen Identität der teilnehmen­den weißrussischen Jugendlichen bei, indem ein bedeutender Faktor der Minderheitenidentität, die weißrussische Sprache, gepflegt und als Be­standteil der eigenen Jugendkultur erlebt wird. Zum Zweiten verhilft sie zu Kontakten und Beziehungen zwischen Jugendlichen aus der weißrus­sischen Minderheit in Polen und Jugendlichen aus Weißrussland. Diese beiden Funktionen wirken somit in die eigene Klientel des Verbandes hinein, also in die jüngere Generation der weißrussischen Minderheit. Wiederum zeigt sich auch hier (wie in anderen Verbänden), dass diese identitätsfördernde Aktivität der Organisation nicht nur die eigenen Mitglieder als Adressaten hat, sondern vielmehr insgesamt in die Min­derheit hineinwirken soll.

2.1.6 Weißrussischer literarischer Verband "Bialowieza"

Genese und Programmatik Diese Organisation gehört zu den frühen Neugründungen innerhalb der Minderheit. Sie wurde bereits 1990 registriert und entstand aus einer Gruppe von Literaten, die in den Jahrzehnten zuvor bereits in einer gleichnamigen Gruppe innerhalb der Weißrussischen sozio-kulturellen Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) tätig waren. Sie verfügt über rund 30 Mitglieder, darunter auch der berühmte weißrussische Schriftsteller Sokrat Janowicz. Der Vorsitzende sieht die Hauptaufgabe des Verbandes darin, Schriftsteller zu versammeln und ihnen die Möglichkeiten für ihr künstlerisches Arbeiten zu verschaffen. Primär geschieht dies dadurch, dass versucht wird, Autorentreffen zu organisieren und die Werke der Autoren der Öffentlichkeit zugängig zu machen.200

Mitgliede rp rofil Weil dieser Verband vergleichsweise klein ist, verfügt er über keine regionalen Gliederungen. Auch bei dieser weißrussischen Organisation befindet sich der Sitz in Bialystok. 201 Dieser Verband hat dem Namen nach bereits als Gruppe innerhalb der Weißrussischen sozio-kulturellen Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) seit 1958

199 Rzeczpospolita vom 19.7.1999. 200 Interview mit dem Vositzenden Jan Czykwin, März 1999 Bielsk Podlaski. 201 Informator 1994, S. 102.

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eXIstIert. Ein Kern seiner heutigen Mitglieder war bereits in diesem Kreis aktiv. Die heute führenden Mitglieder gehören einer älteren Gene­ration der zwischen 60- und 75-Jährigen an. Dieser Kern besteht aus der literarischen Prominenz der weißrussischen Minderheit wie Sokrat Ja­nowicz (geb. 1936) und Aleksander Barszczewski (geb. 1930). Letzterer war während der Volksrepublik viele Jahre Vorsitzender des damaligen Monopolverbands.202

Hingegen zählen eher jüngere Mitglieder wie Jan Maksymiuk (geb. 1958) zu der vormals Solidarnosc-nahen politischen Gruppe in der weißrussischen Minderheit. Somit umfasst dieser Verband Schriftsteller verschiedener Generationen und politischer Ausrichtung. Damit über­nimmt der Verband eine integrierende Funktion zwischen vormaligen Führungsspitzen der Gesellschaft und ihren politischen Gegnern in der weißrussischen Minderheit.

2.1. 7 Verband der weißrussischen Journalisten

Genese Der Verband der weißrussischen Journalisten (Stowarzyszenie Dzienni­karzy Bialoruskich) zählt zu den nach 1989 gegründeten Organisatio­nen, die einen berufsbezogenen Charakter aufweisen. Der Verband wur­de im April 1992 registriert.203 Dies war zeitgleich mit dem Jugendver­band und einige Monate bevor die Gründungsbestrebungen für den Bund (Zwiqzek) konkrete Gestalt annahmen. Seine Registrierung fiel somit mitten in die Gründungswelle der Minderheitenorganisationen in der ersten Hälfte der 90er Jahre. Die Entstehung des Verbandes ist eng mit der Entwicklung der Minderheiten-Zeitschrift Czasopis verbunden, deren Herausgabe bis heute die Hauptaktivität dieser Organisation dar­stellt und die eine im Zuge der Pluralisierung des Medienmarktes nach dem Systemwechsel (zuvor gab es nur eine Minderheitenzeitschrift, die Wochenzeitung Niwa) neu gegründete Zeitschrift ist. Wie sich anhand einer kleinen Chronik zum zehnjährigen Bestehen von Czasopis im Jahr 2000 gezeigt hat, beginnt deren Geschichte nach dem Selbstverständnis eines heutigen Redakteurs, der bereits zur Gründungs-Redaktion zählte, mit einem Beschluss der Vollversammlung der Weißrussischen Vereini­gung der Studenten (Bialoruskie Zrzeszenie Student6w) aus dem Jahre 1989 zur Gründung einer zweisprachigen Zeitschrift. 204 Das erste Redak-

202 Ebda., 1994, S. 146 f. 203 Ebda., 1994 S. 103. 204 Iwaniuk, Slawomir: Kalendarium "Czasopisu", in: Czasopis 9/2000 (im Folgenden

zitiert Iwaniuk-Chronik), S. 30-32, hier S. 30. Der entsprechende Beschluss ist ab-

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tionsteam von 1990 setzte sich dementsprechend mehrheitlich aus Mit­gliedern zusammen, die zu dieser Zeit Funktionen in den Gremien des Studentenverbandes innehatten.205 •

Zur Gründung des Verbandes der weißrussischen Journalisten (Sto­warzyszenie Dziennikarzy Bialoruskich) kam es zwei Jahre später, weil die Redaktionsmitglieder dem Kreis der Studenten "entwachsen" waren und sich entschlossen hatten, zusätzlich zu ihrer Arbeit an der Zeit­schrift eine eigene Organisation zu gründen.2!l6 Dies bedeutete interes­senorganisatorisch, dass die Vorgeschichte zur Genese des Journalisten­verbandes mit einer Initiative innerhalb einer anderen, jugendbezogenen Minderheitenorganisation verbunden ist und die Redakteure der Zeit­schrift Czasopis diese weiterführen wollten, obwohl sie sich nicht mehr zur Klientel des Studentenverbandes zählten. Somit kam es zur Grün­dung des Journalistenverbandes primär aus der Motivation, der Zeit­schrift Czasopis einen neuen organisatorischen Rahmen zu geben. Da vorrangig eine konkrete Aktivität durch die Gründung einer Organisati­on weitergeführt werden ,sollte, handelt es sich hier um ein sehr spezifi­sches Gründungsinteresse, als handlungsrelevant gewordene Verfesti­gung des Bedürfnisses, die Zeitschrift Czasopis als zu wahrendes Gut zu erhalten (vgl. entsprechende Interesse-Definition im Theoriekapitel). Im Folgenden soll deswegen geprüft werden, ob es sich um einen Interes­senverband im entsprechenden interessenorganisatorischen Sinne han­delt. 207

Struktur Es handelt sich um einen vergleichsweise kleinen Verband mit lediglich ca. 20 Mitgliedern, deren maßgebliche Tätigkeit die Herausgabe der Monatszeitschrift Czasopis - weißrussische gesellschaftlich-kulturelle

gedruckt in: Dok. Nr. 158, 1989 grudzien 16, Bialystok. - Uchwaly 11 Walnego Zgromadzenia Czlonk6w BZS opublikowane w dodatku studenckim "Prysutnasc" w tygodniku "Niwa", nach "Niwa" 21.1.1990 Nr. 3, in: Iwaniuk; Wappa, S. 215 f. Ne­ben der hier im Titel des Dokuments erwähnten geplanten Beilage zur Niwa wurde in dieser Versammlung ebenfalls die Etablierung einer zweisprachigen Zeitschrift beschlossen.

205 Es gab vier Redaktionsmitglieder (Czasopis 9/00 S. 30), drei davon hatten Funktio­nen in BZS-Gremien: Jerzy Chmielewski und Wieslaw Choruzy, Mitglieder des Ra­da Gl6wna, 16.12.89-22.12.90; Slawomir Iwaniuk: Mitglied der Gl6wna Komisja Rewizyjna, 16.12.89-22.12.90, aus: Aneks 2, Wladze Bialoruskiego Zrzeszenia Stu­dent6w w Polsce, in: Iwaniuk, Wappa, S. 283 f.

206 Gespräch mit Slawomir Iwaniuk Februar 2000, Bialystok. 207 Impressum von Czasopis, Numer Signalny, kwiecien 1990, S. 8 und Impressum von

Czasopis 12/00, S. 40.

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Zeitschrift isCZ08 Aufgrund der geringen Mitgliederzahl hat der Verband eine einheitliche Struktur und verfügt über keine regionalen Gliederun­gen, obwohl diese im Statut vorgesehen sind."" Bei einem Blick auf die Mitgliederstruktur zeigt sich, dass die Verbandsmitglieder primär aus den weißrussischen Medien stammen, die alle in Bialystok angesiedelt sind. Somit gehören dem Verband Journalisten der Minderheitenzeitung Niwa, den staatlichen Radio- und Fernsehredaktionen sowie einige Journalisten des privaten Radios Radzia an.2lO Da sich vor allem das Spektrum der Autoren, die für die Wochenzeitung Niwa schreiben, auch aus freien Autoren zusammensetzt, die hauptberuflich einer anderen Tätigkeit nachgehen, finden sich unter den Mitgliedern des Verbandes (Stowarzyszenie) sowohl hauptberufliche als auch nebenberufliche Jour­nalisten.211 Die Zusammensetzung der Redaktion von Czasopis spiegelt diese Struktur wider, da dort lediglich der Chefredakteur hauptberuflich beschäftigt ist. 212

Im Bereich der Printmedien existieren in der weißrussischen Me­dienlandschaft neben der Wochenzeitung Niwa und der Monatszeit­schrift Czasopis noch zwei bekanntere Zeitschriften.213 Dabei fallt auf, dass beispielsweise die regionale polnisch-weißrussisch-sprachige Mo­natszeitung Wiadomosci Gr6deckieiHaradockija Nawiny (Neuigkeiten aus Gr6dek) mit Jerzy Chmielewski vom gleichen Chefredakteur ge­führt wird wie Czasopis. 214 Dies scheint ein Zeichen dafür zu sein, dass die plurale Struktur der weißrussischen Printmedien heute noch nicht auf sehr vielen Schultern verteilt ist, sondern vielmehr Einzel-Akteuren große Bedeutung zukommt.

Bei einem Blick auf weitere strukturelle Merkmale des Verbandes fällt zunächst auf, dass das höchste Gremium des Verbandes als Mit­gliederversammlung und nicht als Delegiertenversammlung konzipiert

208 Interview mit Chmieliewski März 1999 Bialystok (im Folgenden zitiert Interview mit Chmie1iewski) und Gespräch mit Chmie1iewski Dezember 2000, Bialystok (im Folgenden zitiert Gespräch mit Chmieliewski), Titel in dieser Form seit Februar 1999, vgl. Iwaniuk-Chronik, S. 32.

209 Statut Stowarzyszenia Dziennikarzy Bialoruskich, Kapitel IX, S. 6 (im Folgenden zitiert Statut SDB) Gespräch mit dem Vorsitzenden (seit 1999) Slawomir Iwaniuk, Februar 2001.

210 Interview und Gespräch mit Chmieliewski, Gespräch mit Iwaniuk Februar 2001. 211 Gespräch mit t.atyszonek Dezember 2000 Hajn6wka. 212 Zesp61 redakcyjny: u.a. Slawomir Iwaniuk, Sokrat Janowicz, Helena Kozlowska­

Glogowska, in: Impressum von Czasopis 1212000, S. 40. 213 Kazanecki in Centrum 1998, S. 192 f, Chalupczak 1998, S. 110 ff. 214 Neben dem Chefradakteur Jerzy Chmielewski besteht das Redaktionsteam noch aus

drei weiteren Redakteuren, Impressum von Wiadomoscie Gr6deckiIHaradockija Nawiny, Luty 1999, Nr.1-2 (40-41), S. 27.

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ist, obwohl gleichzeitig statuten gemäß auch eine regionale Struktur, also die Bildung von Regionalgruppen vorgesehen ist. 2lS Dies bedeutet, dass bei Gründung des Verbandes für die Zukunft kein starker Anstieg der Mitgliederzahlen erwartet wurde. Die Aufgaben der Mitgliederver­sammlung liegen in der Bestimmung der Tätigkeiten des Verbandes, der Wahl von Mitgliedern in weitere Verbandsgremien und eines sogenann­ten Obersten Journalisten-Gerichts (Naczelny Sqd Dziennikarski).216 Im Weiteren zählt es zu den Aufgaben der Versammlung, Statutenänderun­gen zu beschließen. Dazu hat sie sich im Rahmen einer außerordentli­chen Versammlung im Juni 1999 entschlossen, als die Kompetenzvertei­lung bezüglich der Entscheidungen über die Zusammensetzung der Cza­sopis-Redaktion verändert wurde. So wurde vor allem die Auswahl und Abberufung des Chefredakteurs von Czasopis in die Kompetenzen der Versammlung aufgenommen217 und dem Vorstand ein Bestätigungsrecht bei der Berufung von Redaktionsmitgliedern eingeräumt.218

Bei einem Blick auf die innerverbandliche Kompetenzv~rteilung fällt auf, dass hier die Einberufung der Mitgliederversammlung regulär in einem vierjährigen Turnus vorgesehen ist. 219 So kommt dem Vorstand auch in diesem Verband, ebenso wie etwa in der Weißrussischen sozio­kulturellen Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno­Kulturalne), eine umso größere Bedeutung für die Lenkung des Verban­des zu.

Bezüglich der innerverbandlichen Willensbildung bzw. Partizipati­onsmöglichkeiten bedeutet der vierjährige Turnus der Mitglieder­versammlung, dass das einzelne Mitglied selten im institutionellen und aushandlungsfähigen Rahmen seine Ideen über das verbandliche Han­deln einbringen kann und dass somit institutionell ein geringes Maß an Interessenaggregierung vorgesehen ist. Für die innerverbandliche De­mokratie resultiert aus dieser Regelung zudem, dass alle von der Ver­sammlung gewählten Gremien (zudem noch Revisionskommission und Oberstes Journalistengericht) sich im Regelfall während der gesamten Dauer ihrer Wahlperioden nicht vor der Versammlung für ihre Tätigkei­ten verantworten müssen und somit eine geringe Rückbindung an die, die sie demokratisch legitimiert haben, existiert. Da jedoch in der Ver­bandsrealität die Zahl der Mitglieder so gering ist, dass rein rechne­risch, um alle Wahlpositionen der Gremien besetzen zu können, fast

215 Statut SDB S. 3f. und S.6. 216 Ebda. 217 Ebda. 218 Ebda. 219 Ebda.

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jedes Mitglied eine Funktion erfüllen müsste220 und ohnehin in kleinen Gruppen kurze Kommunikationswege anzunehmen sind, dürften diese theoretischen statutenmäßigen geringen Partizipations- und Kontroll­möglichkeiten praktisch keine Relevanz haben. Sie sagen somit weniger über den verbandlichen Alltag als mehr über das verbandsdemokratische Bewusstsein zum Zeitpunkt der Entstehung des Verbandes (und des Statuts) aus.

Programmatik Als vorrangiges Ziel strebt der Verband die Interessenrepräsentierung des "Milieus weißrussischer Journalisten und Publizisten in der Öffent­lichkeit" an. Sprachlich auffallend ist hierbei die bei den anderen Min­derheitenverbänden Polens nicht vorkommende explizite Erwähnung von "Interessenrepräsentation", die ein Verständnis von Interessengrup­pe andeutet, das bei den anderen Minderheitenorganisationen faktisch vorliegt, aber kaum als solches empfunden wird. Zudem soll das Milieu repräsentiert werden, also nicht nur die eigenen Mitglieder, sondern die im weißrussischen Journalismus Polens Tätigen insgesamt. Im Weiteren ist die Initiierung und Förderung von weißrussischer Publizistik und Journalismus angestrebt, es soll also die weißrussische Veröffentli­chungslandschaft insgesamt gefördert werden. Ein weiteres Ziel widmet sich überdies rechtlichen Aspekten, so soll der Verband sich an der Schaffung von rechtlichen Regelungen für Journalisten beteiligen. Überdies sieht der Verband es als seine Aufgabe an, sich um den Rechtsschutz von Journalisten aus der weißrussischen Medienlandschaft zu bemühen. Eine konkrete Strategie hierzu soll in (Protest­)Erklärungen im Fall von Entlassungen von Mitgliedern bestehen. 221

Diese Betonung rechtlicher Fragen steht sicherlich im Zusammenhang mit dem Gründungszeitpunkt des Verbandes nur drei Jahre nach dem Systemwechsel, als die Erinnerungen an eine unfreie Medienlandschaft und an Entlassungen missliebiger Journalisten noch frisch waren.

Außerdem wird die Wahrung der journalistischen Ethik als Ziel be­nannt. Mit der Beteiligung an der Entwicklung eines Journalisten­Schulwesens für Weißrussen findet zudem ein eher konkretes Vorhaben Erwähnung, wofür jedoch keine nachdrücklichen Aktivitäten entfaltet wurden und das bislang nicht realisiert werden konnte. ru

220 So setzt sich der Vorstand aus fünf bis neun Personen zusammen (Statut § 19), die Revisionskommission und das Oberste Journalistengericht aus je drei bis fünf Per­sonen (Statut § 21), was bei maximaler Besetzung aller Gremien 19 zu besetzende Positionen bedeuten würde. Ebda.

221 Ebda. 222 Ebda., Gespräch mit Iwaniuk Februar 2000 Bialystok.

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Strategien Zur Realisierung dieser Ziele finden sich im Statut diverse fixierte Stra­tegien. Zunächst ist ganz allgemein von Aktivitäten innerhalb des weiß­russischen publizistischen und journalistischen Milieus die Rede. Im Weiteren wird angemerkt, dass der Verband sowohl verlegerische wie auch publizistische Akti vitäten entfalten will. In einer weiteren Strate­gie wird ein konkretes Lobbying-Engagement angesprochen, indem der Verband versuchen will, sich beim Staat für Stipendien für weißrussi­sche Journalisten sowie für die staatliche Förderung von verlegerischer Tätigkeit des Verbandes einzusetzen. Zumindest im letzten Bereich erhält der Verband für die Zeitschrift Czasopis, wie alle anderen hier relevanten Minderheitenzeitschriften auch, regelmäßig Zuschüsse vom Kultusministerium.li Czasopis lässt sich - vor allem im Unterschied zu den anderen größeren Minderheitenzeitschriften der hier analysierten Minderheiten .- als anspruchsvolle intellektuelle Zeitschrift mit kulturellen bzw. kulturhistorischen Schwerpunkten bezeichnen.'24

Insgesamt gesehen sind Ziele und fixierte Strategien innerhalb die­ses Verbandsstatuts nicht sonderlich differenziert. So fallt auf, dass zwei Ziele derart allgemein formuliert sind, dass sie inhaltlich eigentlich eine Doppelung darstellen. Zudem zeigt sich, dass die Herausgabe der Zeit­schrift Czasopis, die im Selbstverständnis des Verbandes als Haupttätig­keit gesehen wird, weder in Zielen noch in Strategien explizit herausge­stellt wird.225

Um die Bedeutung der zentralen realen Strategie des Verbandes zu ermessen, soll im Folgenden kurz die Monatszeitschrift Czasopis cha­rakterisiert werden. Von wesentlicher Bedeutung für die Zielsetzung dieser Zeitschrift ist die Tatsache, dass sie - im Unterschied zur weiß­russischsprachigen Wochenzeitung Niwa - zweisprachig ist und sowohl polnische als auch weißrussische Beiträge enthält. Bei den sechs vorlie­genden (von zwölf) Ausgaben des Jahres 2000 liegt beispielsweise der

223 Aussage Chmielewskis vor der Parlamentskommission f1ir Minderheitenfragen, in: Komisja Mniejszosci Narodowych i Etnicznych, 11. Kadenz, Bulletin Nr. 13, 31.3.1998.

224 Diese Einschätzung beruht auf der Einsicht in die vorliegenden Hefte. Sie deckt sich mit dem Selbstverständnis des Chefredakteurs, der Czasopis gegenüber der Parlamentskommission f1ir Minderheitenfragen entsprechend darstellte, vgl. Komis­ja Mniejszosci Narodowych i Etnicznych, 11. Kadenz, Bulletin Nr. 13, 31.3.1998. Vgl. auch die positive Beurteilung von Czasopis in einem Artikel über die Medien­landschaft der Minderheiten in: Wielopolska, Anna: Tradycja, wi\?z, tozamosc. Prasa mniejszosci narodowych, Rzeczpospolita (16.6.1995).

225 Statut SDB.

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Anteil der weißrussischen Beiträge im Durchschnitt bei einem Drittel.226

Auch einzelne vorliegende Ausgaben der vorhergehenden Jahre zeigen eine ähnliche sprachliche Aufteilung.217 In der Erstausgabe, der soge­nannten Numer Signalny vom April 1990, wurde dementsprechend dar­auf verwiesen, dass die Zeitschrift ihrer Intention nach "grundsätzlich auf Polnisch verfasst" werden soll, denn der "Einsatz einer polnisch­sprachigen Version ist die Folge eines assimilatorisch-polonisierenden Prozesses, welchem die weißrussische Bevölkerung auf unserem Gebiet fortwährend unterliegt". Weißrussische Beiträge sollten aus speziellen Gründen - beispielsweise auf Wunsch eines Autors - Bestandteil der Zeitschrift sein. Einhergehend mit der Sprachenregelung begründet die Redaktion auch ihre grundlegende minderheitenbezogene Intention: "Die Thematik, die Czasopis zur Sprache bringt, hat auf der einen Seite zur Aufgabe, manche nachteilige Prozesse zu bremsen und auf der ande­ren Seite dennoch die Wahrung der eigenen Kultur und Identität zu be­günstigen. "228 Ziel ist es somit, die weißrussische Identität auch jener zu erhalten, die nicht mehr der Minderheitensprache mächtig sind (hierauf bezieht sich der einleitende Artikel in der ersten Czasopis-Ausgabe explizit) und somit deren weitere "Assimilierung" zu verhindern. Mit diesem Zugang hat sich die Zeitschrift somit - anders als die weißrus­sischsprachige Wochenzeitung Niwa - für einen möglichst breiten Ad­ressatenkreis entschieden.229 Dass durch diese Zeitschrift jedoch nicht nur Leser aus der weißrussischen Minderheit, sondern ebenfalls die polnische Bevölkerung der Region angesprochen werden soll, die Zeit­schrift somit einen integrativen Ansatz verfolgt, wird ebenfalls in der Eröffnungsnummer thematisiert. Demnach richtet sich Czasopis an die Bewohner der östlichen Region von Bialystok, in der nicht nur Polen lebten, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen, unter ihnen vor al­lem Weißrussen.230

226 Czasopis-Ausgaben: 512000: 6 w. (weißrussisch) von 19 Beiträgen insgesamt: 31 Prozent, 6/2000: 5 w. von 17: 29 Prozent, 912000: 6 w. von 17: 35 Prozent, 1012000: 7 w. von 21: 33 Prozent, 1112000: 8 w. von 21: 38 Prozent, 1212000: 6 w. von 18: 33 Prozent.

227 Czasopis-Ausgaben: Numer Signalny, kwiecien 1990,9/1997; 10/1977; 3/1999.

228 Eröffnungsartikel der Redaktion: "Oddajemy da rll.k czytelnik6w", in: Czasopis, Numer Signalny, kwiecien, 1990, S. 1.

229 Vgl. hierzu auch Kazanecki in Centrum 1998, S. 192 und Einschätzung dazu in Wielopolska, Anna: Prasa mniejszosci narodowych, in: Rzeczpospolita, 16.6.1995. Jedoch verfügen beide Zeitschriften über eine fast identische Auflagenstärke (Niwa nach eigenen Angaben 2.050, Czasopis nach eigenen Angaben 2.000, vgl. Aussagen der jeweiligen Chefredakteure vor der Parlamentskommission für Minderheitenfra­gen am 31.3.1998, in: Bulletin Nr. 13).

230 Eröffnungsartikel der Redaktion: "Oddajemy do rll.k czytelnik6w", in: Czasopis,

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Im Frühjahr 1999 wurde Czasopis zum Gegenstand scharfer Angriffe seitens eines Parlaments abgeordneten, der der Zeitschrift die Veröffent­lichung antipolnischer Texte vorwarf'31 und sich deswegen beim Kultur­ministerium für die Einstellung der finanziellen Förderung von Czasopis einsetzte. Der konservative Abgeordnete Krzysztof Jurgiel von der Wahlaktion Solidarnosc (A WS) hatte Anstoß genommen an Formulie­rungen des Redaktionsmitglieds Sokrat Janowicz (der, wie bereits mehr­fach angemerkt, als angesehener Schriftsteller gilt), der in der März­Ausgabe 1999 einen literarischen Text mit einer von Schimpfwörtern gespickten Bem~rkung über die polnische Untergrundarmee im Zweiten Weltkrieg beendet hatte.232 Weil das Kulturministerium diesen Vorgang an die parlamentarische Minderheitenkommission weiterleitete, be­schäftigte sich auch diese mit der Angelegenheit in ihrer Sitzung vom 4.11.1999. In dieser Sitzung traf die Kritik der Kommissionsmitglieder jedoch vor allem den Direktor des Minderheitendepartements im Kul­turministerium, der die Redaktion aufgefordert hatte, sich von diesem Artikel zu distanzieren. Die Kommissions-Aussprache sowie der Kon­flikt blieben jedoch ohne weitere Folgen.233

Czasopis ist jedoch nicht die einzige Minderheitenzeitschrift, auf die sich entsprechende Anfragen aus dem konservativen Lager des Par­laments beziehen. Auch die ukrainische Zeitschrift Nasze Slowo war bislang zweimal Gegenstand ähnlicher Anfragen. Auch wenn die Regie­rung in beiden Fällen u.a. mit dem Hinweis auf das Ende der Zensur in Polen reagierte,234 so zeigen diese Vorfälle doch, dass die Minderheiten­zeitungen vor allem aufgrund ihrer staatlichen Subventionen unter miss­liebiger "Beobachtung" einiger konservativer Parlamentarier stehen.

In seinem Vorwort zur Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Beste­hen von Czasopis bezieht sich Chefredakteur Chmielewski in interes­santer Weise auf den zu diesem Zeitpunkt bereits eineinhalb Jahre zu-

Numer Signalny, kwiecien, 1990, S. 1. 231 Vgl. Iwaniuk, Slawomir: Kalendarium "Czasopisu", in: Czasopis 912000, S. 30-32,

hier S. 32. 232 In dem entsprechenden Passus wurde festgestellt: "Die Polnische Heimtatarmee ist

jedoch vom Abschaum aus Dörfern und kleinen Städten faschisiert worden, was ich mit eigenem Auge sah. Kleinbürgerliche Hungerleider. Nutten. Lumpensammler aus der Repatriierung", in: Czasopis 3/1999 S. 6.

233 Bulletin der Minderheitenkommission, Nr. 54, 4.11.1999, III. Kadenz. 234 Odpowiedz Ministra Kultury i Sztuki na interpelacj,. Nr. 565, Minister Joanna

Wnuk-Nazarowa, 3 kadencja Sejmu, Warschau, 20. Mai 1998; Odpowiedz Ministra Spraw Wewn,.trznych i Administracji - z upowaznienia Prezesa Rady Ministr6w na interpelacj,. Nr. 4613,3 kadencja sejmowa, Warschau, 20. Oktober 2000. Zur weite­ren Analyse dieses Vorfalls, siehe weiter unten den Abschnitt zum Bund der Ukrai­ner.

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rückliegenden Konflikt, indem er den Charakter der Zeitschrift aus sei­ner Sicht darlegte. Demnach würde Czasopis seiner Auffassung nach zwar nicht vermeiden, sich mit wichtigen politischen Themen zu befas­sen, sie hätte sich jedoch in ihrer zehnjährigen Geschichte immer be­müht, eine ,apolitische Zeitschrift' (pismo apolityczne) zu sein.'" Dieser mit zeitlichem Abstand zum Konflikt abgegebene Kommentar zeigt eine nicht untypische Grundhaltung in den postkommunistischen Gesell­schaften Ostmittel- und Osteuropas. Gerade für die politische Kultur Polens wird das Fortbestehen alter Muster der politischen Kultur kons­tatiert, indem nach wie vor die alte Polarisierung in "My ioni" ("wir und sie"), ein Gegensatz zwischen Gesellschaft und Regierenden exi­stent ist und mit politischer Passivität einhergeht, wobei die Bevölke­rung den politischen Institutionen nach wie vor skeptisch gegenüber­steht. Diese starke Distanz zum "Politischen" zeigt sich ebenfalls daran, dass es zwar eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen gibt, diese jedoch selten als politische Interessenvertretung agieren. Garszte­cki lässt seinen Befund über die politische Kultur Polens 1999 in der Feststellung gipfeln, dass sogar noch ein Jahrzehnt nach beginnender Transformation eine Tendenz zur Ent- oder Depolitisierung sichtbar ist. 236 Chmielewskis Äußerung befindet sich somit im mainstream polni­schen politischen Denkens und Agierens, obschon dies für die Person eines langjährigen Verbandsvorsitzenden und Chefredakteurs einer in­tellektuellen Zeitschrift erstaunlich ist. Dennoch lässt sich Czasopis keineswegs als apolitische Zeitschrift bezeichnen, denn faktisch spielt Politik vor allem im Zusammenhang mit Wahlen eine Rolle. So findet sich beispielsweise nicht nur eine auf die Region bezogene Wahlanalyse zum zweiten Wahlsieg des Präsidenten Aleksander Kwasniewski bei den Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000. 231 Vielmehr fungierte Czasopis auch direkt als Wahlkampfhelfer, indem Wahlwerbungen von weißrussi­schen Kandidaten für die Sejm- und Senatswahlen 1997 abgedruckt wurden. 23'

Abschließend sei noch auf einen interessanten weiteren Aspekt ver­wiesen, den Chefredakteur Chmielewski vor der Parlamentskommission für die Minderheitenpresse an sich formulierte. Er sieht eine Aufgabe

235 Czasopis 10/2000, S. 5. 236 V gl. Garsztecki, Stefan: Die polnische politische Kultur - Kontinuität und Wandel,

in: Krasnod<ebski, Zdzislaw; Städtke, Klaus; Garsztecki, Stefan (Hrsg.): Kulturelle Identität und sozialer Wandel in Osteuropa: das Beispiel Polen, Hamburg 1999 (im Folgenden zitiert Garszetcki 1999), S. 131-168, hier 144-150.

237 Vgl. Czasopis11/2000: I po wyborach, von JerzySulzyk, S. 11 f. 238 Czasopis 9/1997, eingeheftete Wahl werbungen o. Seitenangaben.

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der Zeitschriften-Redaktionen auch darin, dass sie faktisch "Kulturräu­me" (dies ist örtlich gemeint) für die kulturellen Tätigkeiten von Min­derheiten seien, weil sie Orte von Begegnungen und zur Gruppenbil­dung darstellten. Damit sie diese Rolle jedoch auch weiterhin ausüben könnten, müssten sie neue Überlegungen und Initiativen entwickeln.239

Der Gedanke, dass Zeitschriftenredaktionen Orte gesellschaftlicher Tätigkeit sein sollen, mag aus der für freie Initiativen in postkommunis­tischen Gesellschaften knappen räumlichen Infrastruktur resultieren. Ob eine so formulierte Rolle von Zeitschriftenredaktionen innerhalb der Minderheiten erfolgversprechend und sinnvoll ist, mag einmal dahinge­stellt sein, jedoch zeugt dieser Gedanke, wenn er nicht nur von einem Chefredakteur, sondern in Personalunion auch von einem Verbandsvor­sitzenden formuliert wird, aus interessenanalytischer Perspektive von einem geringen Bewusstsein für die interessenorganisatorischen Funkti­onen des eigenen Verbandes oder der Relevanz eines funktionierenden pluralen intermediären Systems. So wird ein - aus westeuropäischer Perspektive - Transformationsprovisorium als konstitutive Regelung angesehen.

Bei einem resümierenden Blick auf die Aktivitäten des Verbandes der weißrussischen Journalisten (Stowarzyszenie Dziennikarzy Bialo­ruskich) fällt vergleichend zu anderen weißrussischen Organisationen vor allem auf, dass die Kooperation mit der eigenen Titularnation kaum eine Rolle spielt. Gerade die Zusammenarbeit mit Journalisten aus Weißrussland bzw. dem durch die diktatorischen Maßnahmen des dorti­gen Regimes massiv eingeschränkten Pressewesen könnte eine nahelie­gende Beschäftigung für den Journalistenverband bilden. Anders als beispielsweise im Berufsverband der Historiker beschränkt sich das Wirken jedoch auf die eigene Region (siehe Czasopis). Somit lässt sich keine binationale Dimension der Arbeit erkennen.

Insgesamt liegt mit dem Verband der weißrussischen Journalisten (Stowarzyszenie Dziennikarzy Bialoruskich) ein kleiner Verband vor, in dem sich zudem einige Diskrepanzen zwischen statutengemäßen Vorga­ben und Verbandsrealität zeigen, weil ihre Haupttätigkeit, die Heraus­gabe der Zeitschrift Czasopis, explizit nicht als Zielsetzung des Verban­des formuliert wurde. Jedoch weist die Zeitschrift hohe Professionalität auf, und Czasopis nimmt auf dem kleinen weißrussischen Medienmarkt eine bedeutende Stellung ein.2<O

239 Chmielewiski vor der Kommission, in: Komisja Mniejszosci Narodowych Etnicznych, 11. Kadenz, Bulletin Nr. 13,31.3.1998.

240 Vgl. Kazanecki in Centrum 1998, S. 192.

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Da dieser Verband lediglich die Zeitschrift Czasopis herausgibt, jedoch keine weiteren interessen organisatorischen Aktivitäten entfaltet, handelt es sich im Sinne eines breiteren zivilgesellschaftlichen Verständnisses einer intermediären Organisation, deren Zielsetzungen - angesiedelt zwischen Individuum und Staat - immer auch die res publica betreffen (vgl. obige Definition von Merkel und Lauth), aus pluralismustheoreti­scher Perspektive normativ betrachtet nicht um eine ausgereifte Interes­sengruppe. 241 Um das Transformationsspezifische an diesem Befund zu erläutern, ließe sich analog zu dem Begriff der Sofapartei, der sich in der polnischen politischen Öffentlichkeit für einige Parteien entwickelt hat, der Begriff des Sofaverbandes für diese Organisation verwenden. Der Begriff Sofapartei verweist auf das Merkmal sehr geringer Mitglie­derzahl, thematischer Inkonsistenz und geringer Aktivitäten.242 Die hier festgestellten Charakteristika des lournalistenverbandes werden somit als transformations bedingt und als eine nicht untypische Folge der ge­sellschaftlichen Transformation postkommunistischer Gesellschaften angesehen.

2.1. 8 Sonderfall: Programmrat der Wochenzeitung ,,Niwa"

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, verfügt auch die weißrussische Minderheit über eine größere (in diesem Fall Wochen-)Zeitung, die bereits auf eine Geschichte vor 1989 zurückblicken und als primäres Printmedium innerhalb der gesamten Minderheit gesehen werden kann. Mit einer Auflagenstärke von ca. 2.000 Exemplaren243 zeigt sich eine relevante Reichweite der Zeitung innerhalb der Minderheit. 244 Wie be­reits im Kapitel zum lournalistenverband angemerkt wurde, handelt es sich um eine rein weißrussische Zeitung. Diese professionelle Wochen­zeitung hat einen wöchentlichen Umfang von zwölf Seiten, wozu eine zwei- bis dreiseitige Kinder- und lugendbeilage zählt. Die Themen der

241 Vgl. auch die Thesen von Garzstecki zu polnischen intermediären Organisationen, Garszetcki 1999, S. 147.

242 "Alle Mitglieder passen auf ein Sofa", im polnischen partie kanapowe vgl. hierzu Mildenberger, Markus: Die Transformation des politischen Systems Polens am Bei­spiel der Parteien, in: S. 25-40, hier S. 29, in: WeltTrends, Nr. 27, Sommer 2000 (im Folgenden zitiert Mildenberger 2000). Für Polen könnten als anschauliche Beispiele für Sofaparteien so interessante Parteigründungen der frühen Transformationszeit gelten wie die "Partei der Videogerätebesitzer" oder die "Union des gesunden Men­schenverstandes", vgl. Grotz 2000, S. 123.

243 Aussage der Chefredakteurin vor der Parlamentskommission für Minderheitenfra­gen am 13.3.1998, Bulletin Nr. 13,3. Kadenz.

244 Zum Vergleich: in der Zeit der Volksrepublik hatte die damals einzige Wochenzei­tung eine Auflage von 6-10.000, Chalupczak 1998, S. 111.

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Zeitung sind prinzipiell solche, die die weißrussische Minderheit betref­fen bzw. für sie von besonderem Interesse sind. So wird über Neuigkei­ten aus der Minderheit berichtet, vor allem über kulturelle Ereignisse wie Konzerte oder Buchveröffentlichungen. Zudem sind vielfach histo­rische Themen über die Geschichte der Weißrussen in der Region Ge­genstand der Berichterstattung, ebenso politische Fragen der Minderheit in der Region Bialystok oder zur politischen Entwicklung der diktato­risch geprägten "Titularnation" Weißrussland.245

Obwohl der Programmrat dieser Wochenzeitung kein Verband im ei­gentlichen Sinne ist, sondern ein Zusammenschluss aus einigen Minder­heitenverbänden, wurde er aus verschiedenen Gründen in diese Auflis­tung der Interessengruppen aufgenommen. Zum einen ist er in formaler Hinsicht als eigene Minderheitenorganisation registriert und wird in verschiedenen anderen Übersichten zu diesen hinzugezählt.246 Zum ande­ren ist der Programmrat eine Mitgliedsorganisation des Dachverbandes Weißrussischer Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) und somit integraler Bestandteil der weißrus­sischen Verbändelandschaft. Aus interessenorganisatorischer Perspekti­ve ist diese Organisation jedoch vor allem deswegen zu berücksichtigen, weil sie - neben dem Bund (Zwiqzek) - einen zweiten Zusammenschluss von Verbänden innerhalb des weißrussischen intermediären Systems darstellt.

Der Programmrat wurde 1992 registriert und fungiert als Verleger und Herausgeber der Niwa. 2A7 Diese wurde 1956 gegründet und von der damaligen Monopolorganisation Weißrussische sozio-kulturelle Gesell­schaft herausgegeben.2A8 Im Zuge der Demokratisierung Polens und der Ausdifferenzierung von Gruppeninteressen innerhalb der Minderheit wurde diese Zeitschrift Anfang der 90er Jahre von der Gesellschaft ab­getrennt. Es wurde nun das Gremium des Programmrates geschaffen, um die Zeitschrift weiterzuführen. Diese Abtrennung der vormals einzi­gen Minderheitenzeitung vom Altverband unterscheidet die weißrussi­sche Presselandschaft von jeder anderen hier analysierten Minderheit. Denn sowohl die litauische Ausra als auch die ukrainische Nasze Slowo und die slowakische Zivot sind in den Händen der vormaligen Mono­polorganisationen verblieben und bilden ebenfalls nach wie vor das zentrale Printmedium innerhalb der jeweiligen Minderheit.

245 Diese Charakterisierung konnte aus einem Blick in zahlreiche vorliegende Ausga-ben von Niwa aus den letzten Jahren gewonnen werden.

246 Siehe beispielsweise Informator 1994, S. 103 f. 247 Vgl. z.B. Impressum in Niwa vom 31. Januar 1999 (Nr. 5), S. 11. 248 Chalupczak 1998, S. 104.

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Die Herauslösung von Niwa aus dem Altverband entwickelte sich in der Zeit des Systemwechsels im Zuge der Auflösung der kommunistischen Verlagsgenossenschaft RSW (Robotnicza Sp61dzielnia WYdawnicza) "Prasa, Ksiqtka, Ruch ", in deren Händen sich als monopolistischer Einheitspressekonzern in der Zeit der Volksrepublik nahezu alle Presse­titel befanden.24' Seit Frühjahr 1990 begann RSW mit dem Verkauf seiner Zeitungen und Zeitschriften,250 und anders als in den anderen Minderhei­ten ging die weißrussische Traditionszeitschrift nicht problemlos in den Besitz der traditionellen Monopolorganisation über. Vielmehr gab es Versuche der neuen gesellschaftlichen Kräfte in der weißrussischen Minderheit, Niwa vom Altverband zu lösen.

Dabei entbrannten Streitigkeiten zwischen "alten" und "neuen" Kräften (zu letzteren zählten vor allem auch jüngere Niwa-Redakteure). Anlass war der Vorschlag zur Bildung des Programmrats der Wochen­zeitung "Niwa" als neuem Herausgebergremium von Niwa. Dieser Vor­schlag stammte von Bogumila Berdychowska, der damaligen Leiterin des Büros für Minderheitenfragen im Kulturministerium. 251 Damit wurde eine breite Trägerschaft der Zeitschrift garantiert. Der Programmrat war von Beginn an eindeutig ein Gremium der neu gegründeten Verbände.

In den Programmrat kann nach wie vor rein formal jede weißrussi­sche Organisation ihre Delegierten entsenden.252 Faktisch nutzen fast alle neu gegründeten Verbände diese Möglichkeit. 253 Die Ziele des Rates bestehen in der Unterstützung der Redaktion bei der Schaffung der Pro­grammstruktur der Wochenzeitung Niwa, der Ausweitung der Leser­schaft sowie der Initiierung verschiedener Formen publizistischer Tä­tigkeit im weißrussischen Umfeld. 254 Die fixierten Strategien zur Reali­sierung dieser Ziele sollen vor allem in wirtschaftlichen und verlegeri­schen Tätigkeiten bestehen, jedoch soll auch explizite Interessenvertre­tung gegenüber staatlichen Organen stattfinden, vor allem in Bezug auf die finanzielle Unterstützung der verlegerischen Tätigkeit des Rates, also der Zeitung Niwa. Die Redaktion der Wochenzeitung selbst ist

249 Vgl. hierzu Knobelsdorf, Wladimir N.: Abschnitt 8 Medien, in: Kap. VIII.: Bildung, Wissenschaft und Kultur, in: Wöhlke, Wilhelm (Hrsg.): Länderbericht Polen, Bonn 1991, S. 427-447, hier S. 433f., S. 437, und S. 447.

250 Ebda. 251 Gespräch mit Mironowicz 14.12.2000, Gespräch mit Oleg Latyszonek, 16.12.2000,

Aleksander Maksymiuk <[email protected]>. 14.3.2001. "Niva's "Separati­on" from BTSK". Persönliche E-Mail (14.3.2001).

252 Statut Rady Programowej Tygodnika Niwa (im Folgenden zitiert Statut Programm­rat) S. 2, Gespräch mit Mironowicz Dezember 2000, Bialystok.

253 Interview mit Moronowicz März 1999, Bialystok. 254 Statut Programmrat S. 1.

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ebenfalls Mitglied im Rat und hat somit Einfluss in eigener Sache. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Rates auf die Redaktionstätigkeit beste­hen organisatorisch in der Einsetzung des Chefredakteurs.2SS

Die Zusammensetzung der Organisationen, die Mitglied im Pro­grammrat sind, deckt sich mit der des Dachverbandes Weißrussischer Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej). Dieser ist selbst Mitglied, zudem der weißrussische Journalis­ten-, Studenten-, Historiker- und Literatenverband sowie die weißrussi­sche Partei. Dennoch ergeben die Mitglieder des Programmrat der Wo­chenzeitung "Niwa" kein einheitliches Bild der neu gegründeten Ver­bände, denn der weißrussische Jugendverband hat nach Aussage des Programmrats-Vorsitzenden nach zwischenverbandlichen Streitigkeiten um eine Darstellung der Jugendorganisation in der Niwa den Programm­rat verlassen.2S6

Obwohl innerhalb des Programm rates der Wochenzeitung "Niwa" die im Bund (Zwiqzek) zusammengeschlossenen Verbände vertreten sind, stellt dieser keine Konkurrenz zum Dachverband dar. Dies vor allem, weil der Programmrat sich auf seine Herausgeber-Tätigkeit be­schränkt und kaum weitere Aktivitäten entfaltet.m Organisatorisch führt diese kooperative Parallelstruktur der weißrussischen Minderheitenver­bände jedoch zu der eigentlich paradoxen Verflechtung, dass der Pro­grammrat eine Mitgliedsorganisation des Bundes ist, obwohl er selbst lediglich aus Repräsentanten von Bund-Organisationen besteht. Genau betrachtet sind die Mitgliedsorganisationen des Programmrats damit doppelt im Dachverband vertreten. Dies zeigt einmal mehr das Bild einer organisatorisch fest verwobenen Verbändegruppe von neu gegrün­deten Organisationen innerhalb der weißrussischen Minderheit. 2S8

Für die weißrussische Verbändekonfiguration bedeutet der Pro­grammrat der Wochenzeitung "Niwa" jedoch auch, dass sich die Tei­lung des weißrussischen intermediären Systems, also die konfliktiven Beziehungen zwischen den neuen Organisationen auf der einen Seite und dem alten Verband auf der anderen Seite hier institutionell manifes­tieren. Programmrats-Vorsitzender Eugeniusz Mironowicz (der zudem

255 Statut und Regulamin Wewn\?trzny Redakcji "NIWA" (Innere Ordnung der Reaktion "Niwa").

256 Interview mit Mironowicz März 1999 Bialystok, zudem Gespräch mit Oleg Latys­zonek, 2000 Hajn6wka. Der Jugendverband hatte auch den Bund (Zwiqzek) 1996 verlassen und sich somit als einziger neu gegründeter Verband innerhalb des intermediären Systems eher separiert, vgl. Kazanecki in Centrum 1998, S. 184.

257 Gespräch mit Mironowicz Dezember 2000 Bialystok. 258 Auch Czasopis sowie das private Radio Radzia sind mit dieser Verbändegruppe

verbunden.

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von 1992 bis 1997 Chefredakteur der Zeitung war),2S9 betonte hierzu, dass die Gesellschaft (Towarzystwo) als Organisation" kommunistischen Charakters "2.0 nicht Mitglied im Programmrat sei, weil sie sich mit den anderen nach 1989 gegründeten Organisationen nicht verstehen würde -man spreche schlicht "eine unterschiedliche Sprache".261

2.2 Divergenz und Konvergenz - Die intermediäre Sphäre der weißrussischen Minderheit

Die weißrussische Verbändelandschaft charakterisiert sich bereits auf den ersten Blick durch ihre vergleichsweise große Anzahl von Verbän­den. Dabei zeigt sie sich - dies ist nur ein scheinbares Paradoxon -gleichermaßen fragmentiert wie konzentriert, denn die diversen Einzel­verbände repräsentieren zwar spezifische Interessen, sind jedoch zu einem Großteil in einem Dachverband zusammengefasst. Weitere Er­kenntnisse liefert ein Blick auf die Gründungszeitpunkte der weißrussi­schen Verbände, denn es lassen sich allein aufgrund dieses Merkmals zwei klare Gruppen abgrenzen: Es finden sich auf der einen Seite mit der Gesellschaft (Towarzystwo) ein Altverband, auf der anderen Seite allerdings zugleich neu gegründete Verbände, die fast alle im erwähnten Dachverband zusammengeschlossen sind (abgesehen vom dort ausgetre­tenen Jugendverband). Insgesamt stehen sich in der weißrussischen Verbändekonfiguration somit zwei ungleiche Flügel gegenüber.

Mit Blick auf die Organisationsstruktur dieser Verbände hat sich gezeigt, dass der Altverband mit seiner ererbten Mitgliedschaft als vor­malige Monopolorganisation die einzige größere Organisation darstellt, und der Bund (Zwiqzek) letztlich nur diverse kleine Verbände repräsen­tiert und somit keine großen Gruppen aus der Minderheit an sich binden kann. Diese Erkenntnis deckt sich mit dem Befund, dass innerhalb der Bund-Organisationen vor allem ein kleiner Kreis der intellektuellen weißrussischen Elite - passend wäre hier der im Polnischen häufig ver-

259 Kazanecki in Centrum 1998 S. 192, Informator 1994, S. 181. 260 Beachtenswert ist, dass die Formulierung nicht "früher kommunistisch" o.ä. lautete,

sondern "kommunistisch", was als deutlicher Vorwurf gegenüber diesem Verband bezüglich seiner Nähe zum vormaligen politischen System und einer vermeintlich mangelnden Distanzierung von dieser Vergangenheit gesehen werden kann.

261 Beispielsweise im Przeghtd Prawoslawny vom Oktober 2000, abgedruckt in Czaso­pis 1112000 S. 7, oder vor der Parlamentskommission für Minderheitenfragen, wo sich Syszweski darüber beklagt, dass es keine Ausgabe von Niwa gäbe, in der nicht Vorwürfe gegen seine Organisation erhoben würden, in: Bulletin d. Sejm­Kommission für Minderheiten, Nr. 8, vom 4.2.1998,3. Kadenz.

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wendete Begriff der Intelligenz (inteligencja) - eine Vielzahl von Füh­rungspositionen besetzt. Diese Elitenkonzentration bzw. Elitenengfüh­rung kann als ein Strukturmerkmal der neugegründeten weißrussischen Verbände gesehen werden.

Die Analyse der diversen Programmatiken und Strategien hat erge­ben, dass auch hier markante Unterschiede zwischen den beiden Ver­bändegruppen erkennbar sind. So stehen in den Zielsetzungen und in der Arbeit des Altverbandes vor allem kulturell-folkloristische Aspekte im Vordergrund, hingegen spielen gesellschaftspolitische Fragestellungen eine geringere Rolle. Im Bereich der neu gegründeten Verbände hat eine gesellschaftspolitische Dimension des Verbandshandelns vor allem auf der Ebene des Dachverbandes Bundes (Zwiqzek) neben zahlreichen kul­turellen Aktivitäten Relevanz. Auf der Ebene der Einzel- bzw. Mit­glieds verbände stehen eher klientelbezogene (Studenten) bzw. berufsbe­zogene (Journalisten, Historiker, Schriftsteller) Aktivitäten im Vorder­grund. Das folkloristische Element ist hingegen in keinem dieser Ver­bände besonders ausgeprägt. Da politische Fragestellungen zumeist auf die Ebene des Dachverbandes verlagert werden, zeigt sich in diesem neuen Verbändespektrum eine deutliche Arbeitsteilung zwischen diesen beiden Ebenen.

Diese unterschiedliche programmatische Ausprägung zwischen bei­den Verbändegruppen lässt sich auch in der bilateralen Dimension ihrer Strategien erkennen. Kooperationen mit Partnern aus Weißrussland zeichnen sowohl die neu gegründeten Verbände als auch den Altverband aus. Konzentriert sich dieser Austausch bei der Gesellschaft (Towar­zystwo) primär ebenfalls auf den musikalisch-folkloristischen Bereich, so zeigen sich in den neu gegründeten Verbänden hingegen verschie­denste Formen der Kooperation. Durch die Zusammenarbeit mit Part­nern (seien es Musiker, Schriftsteller, Historiker, Journalisten oder Poli­tiker), deren Aktivitäten im diktatorisch geprägten Weißrussland behin­dert werden, erhalten diese Kooperationen unmittelbar - ob gewollt oder nicht - eine politische Dimension. Die bilateralen Strategien der neu gegründeten Verbände erfüllen somit eine - vermutlich nicht immer intendierte - doppelte Funktion: Nicht nur wird durch den kulturellen Kontakt zu Weißrussland zur Bewahrung der eigenen Minderheitsidenti­tät beigetragen, zudem wird ein Beitrag geleistet zur Stabilisierung von im Nachbarland missliebigen kulturellen Strömungen. Wie bereits dargelegt, gliedert sich das weißrussische intermediäre Sys­tem vorrangig in die zwei Gruppen des alten Verbandes und der neuen Verbände. Zudem wurde gezeigt, dass innerhalb des "Lagers" der neu gegründeten Verbände eine intensive zwischenverbandliche Kooperation

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charakteristisch ist, die sich zum einen in einem konkreten Handlungs­feld in der gemeinsamen Herausgabe der Minderheitenzeitschrift Niwa zeigt und sich zum anderen durch den Zusammenschluss in einem ge­meinsamen Dachverband auch in organisatorischer Form ausdrückt. Zudem wurde gezeigt, dass Dach- und Mitgliedsverbände arbeitsteilig operieren. Aus diesem homogenen Bild fallt jedoch mit dem Austritt des Jugendverbandes aus beiden Gremien ein neu gegründeter Verband her­aus. Abgesehen von diesem Beispiel kann die Gruppe der neu gegründe­ten Verbände jedoch insgesamt als stark kooperativ angesehen werden.

Nach diesem Befund stellt sich nun vor allem die Frage, wie die Be­ziehungen zwischen den beiden Verbände-Lagern gestaltet sind. Im Rahmen der Analyse konnte mehrfach gezeigt werden, dass die Äuße­rungen aus beiden Lagern eine offene Konkurrenz erkennen lässt. Der Antagonismus zwischen beiden Gruppen kann auch aus der unterschied­lichen politischen Orientierung der jeweiligen Eliten resultieren. So ist beispielsweise der Vorsitzende der Gesellschaft (Towarzystwo), Jan Syszewski, SLD-Parlamentarier und repräsentiert somit eine postkommunistische Nachfolgepartei im Sejm. Wesentliche Teile der Eliten der Bund (Zwiqzek)-Organisationen waren vor dem System­wechsel im oppositionellen Lager der Solidarnosc akti v. 262 Somit stimmt die Konfliktlinie zwischen diesen Verbänden mit einem zentralen gesellschaftlichen cleavages Polens in Bezug auf das Verhältnis zur kommunistischen Vergangenheit überein.

Jedoch muss auch darauf verwiesen werden, dass alter Verband und neue Verbände in einem pluralisierten Verbände-"Markt" einander in einer fundamentalen Konkurrenzsituation gegenüberstehen. Denn auch wenn sie eine unterschiedliche Klientel innerhalb der Minderheit "be­dienen", so bemühen sie sich im Prinzip um die gleichen potenziellen Mitglieder. Für den Altverband bedeutet dies das Ende seiner Monopol­stellung und die Existenz neuer Konkurrenten strategisch zu verarbei­ten. Die neuen Verbände konnten hingegen in den Jahren seit dem Sys­temwechsel erkennen, dass sie augenscheinlich nicht an die Mitglieder­zahlen des Altverbandes mit seiner "ererbten" Mitgliedschaft heranrei­chen werden. Die deutlich werdenden Konflikte zwischen bei den La­gern reflektieren somit auch ihre Konkurrenzsituation.

Trotz der insgesamt eher prägenden Divergenzen zwischen diesen bei den Verbändegruppen lässt sich nicht von einer prinzipiellen Nicht-

262 Beispielweise war das Bund (Zwiqzek)-Vorstandsmitglied Oleg Latyszonek für seine Solidarnosc-Aktivitäten 1982 einige Monate in Haft (Informator 1994, S. 174), er hat für seine Oppositionsarbeit im Dezember 2000 einen Orden der Solidarnosc er­halten.

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beziehung zwischen ihnen sprechen. So sind praktische Kooperationen weniger problematisch, so dass beispielsweise der Bund (Zwiqzek) Räumlichkeiten der Gesellschaft (Towarzystwo) für seine Veranstaltun­gen nutzen kann.26' Das markanteste Beispiel einer politischen Koopera­tion zwischen bei den "Lagern" ist die Beteiligung des Bundes und zwei seiner Mitgliedsorganisationen an einer von primär orthodoxen Grup­pierungen initiierten und auch von der Gesellschaft mitgetragenen Pro­testaktion vom November 2000, um auf Missstände in der Wojewod­schaft Podlachien aufmerksam zu machen. Faktisch stellte dies die erste derartige politische Kooperation seit mehreren Jahren dar.264 Mit diesem als "Brief der 14" bezeichneten Protest-Brief wendeten sich die Betei­ligten an verschiedene staatliche Institutionen.265

So hat sich insgesamt gezeigt, dass sich innerhalb der weißrussi­schen Verbändelandschaft sowohl eine deutliche und stark prägende Interessendivergenz zwischen den Interessen des Altverbandes auf der einen Seite und den der neu gegründeten Verbände en bloc auf der ande­ren Seite herausgebildet hat, die ein unterschiedliches Verständnis der Repräsentanz von Minderheiteninteressen aufweisen und sich zuweilen konfliktiv gegenüberstehen. Jedoch ist für das intermediäre System zugleich eine deutliche Interessenkonvergenz des zweiten "neuen" Ver­bändelagers charakteristisch,'66 da sich die Mehrheit der Interessengrup­pen einem gemeinsamen Dachverband angeschlossen und diesem das Mandat zur Führung gemeinsamer gesellschaftlich-politischer Aktivitä­ten übertragen hat.

3. Ukrainische Minderheit

Die oben angeführte Feststellung, dass die Forschungen zu den Minder­heiten in Polen sich erst nach dem Systemwechsel von 1989 entwickelt haben, gilt insbesondere für das wissenschaftliche Interesse an der Lage der ukrainischen Gesellschaft im Nachkriegspolen.267 So blieb bislang

263 Literatentagung Dezember 2000 im KuIturhaus der Gesellschaft. 264 Gespräch mit I:..atyszonek Dezember 2000 Hajn6wka. 265 Jestesmy zaniepokojeni, Apel do najwyzszych wladz panstwowych, abgedruckt in:

Przegl~d Prawoslawny 12/2000, S. 38 f. 266 Mit Ausnahme des Jugendverbands. 267 Vgl. Halagida, Igor: Zycie Ukrainc6w na ziemiach zachodnich w pierwszych latach

po wysiedlenczej akcji "Wisla", in: Biblioteka Fundacji sw. Wlodzimierza (Hrsg.): Problemy Ukrainc6w w Polsee po wysiedlenczej akcji "Wisla" 1947 roku (pod

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eine Aufarbeitung der Vertreibung der Ukrainer während der "Aktion Weichsel" aus. Auch deshalb steht bis heute in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der ukrainischen Minderheit nach wie vor zunächst einmal die historische Betrachtung im Vordergrund. Der 50. Jahrestag der Aktion Weichsel im Jahr 1997 lieferte hierbei den äußeren Anlass zur intensiven Beschäftigung mit der ukrainischen Minderheit.2" Im gleichen Jahr wurde eine Aussöhnungserklärung formuliert, mit der versucht werden sollte, die historische Belastung zwischen Polen und der Ukraine abzubauen. '69

Die unmittelbare Vorgeschichte der Aktion Weichsel findet sich in polnisch-ukrainischen Konfrontationen, die zunächst während des Zwei­ten Weltkriegs entstanden waren, als nach dem Rückzug der deutschen Besatzer aus den wolhynischen Gebieten die ukrainische Aufstandsar­mee (UPA) die Herrschaft übernahm. In dieser Zeit wurden nach heuti­gen, noch sehr vorläufigen Schätzungen zwischen 35.000 und 80.000 Polen ermordet.270 Das nunmehr zu Polen gehörende Gebiet blieb zwi­schen 1945 und 1947 zwischen polnischer Armee und Ukrainischer Aufstandsarmee umkämpft. Während dieser Zeit veränderte sich die ethnische Zusammensetzung: Hatten im letzten Kriegsjahr 1944 auf polnischem Territorium noch rund 700.000 Ukrainer gelebt,271 übersie­delten zwischen Herbst 1944 und Herbst 1946 gemäß eines Abkommens mit der ukrainischen Sowjetrepublik ca. 480.000 in die Ukraine, die meisten davon allerdings gegen ihren Willen.'" Den konkreten Vorwand für die Initiierung einer sich im Jahr 1947 an­schließenden Vertreibungs aktion bildete die Ermordung eines polni­schen Vizeministers und Generals durch die Ukrainische Aufstandsar-

redakcjl\ Wlodzimierza Mokrego), Krak6w 1997 (im Folgenden zitiert Halagida 1997), S. 37-48, hier S. 37.

268 Vgl. bspw. den umfangreichen Konferenzband zum Thema: Biblioteka Fundacji sw. Wlodzimierza (Hrsg.): Problemy Ukrainc6w w Polsce po wysiedlenczej akcji "Wisla" 1947 roku (pod redakcjl\ Wlodzimierza Mokrego), Krak6w 1997 (im Folgenden zitiert Biblioteka 1997).

269 Lesser, Gabriele: Lange Schatten der Vergangenheit, in: TAZ, 20.5.1997, S. 9 (im Folgenden zitiert Lesser) und Bachmann, Klaus: Langer Abschied. Muss Polen sein kulturelles Erbe im Osten aufgeben?, Frankfurter Rundschau, 11.4.2001.

270 Siehe Lesser. 271 Sakson, Andrzej: Stosunki narodowosciowe na Warmii i Mazurach 1945-1997,

Poznan 1998 (im Folgenden zitiert Sakson, 1998), S. 128 f. 272 Wolosiuk S. 23. Vermutlich 70.000 Ukrainer kehrten auf legale oder illegale Weise

wieder nach Polen zurilck. Sakson 1998, S. 128. Drozd bezeichnet diese Aussied­lungsaktivitäten als Deportationen; Drozd, Roman: Ukraincy na Pomorzu Zachod­nim w latach 1947-1952, in: Biblioteka 1997, S. 49-58, hier S. 49 und Lesser 1997.

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mee im März des Jahres. 213 Damit war ein Anlass gefunden, nach den Aussiedlungen der vorangegangenen Jahre möglichst auch die Reste der ukrainischen Siedlungsstruktur in Südostpolen zu zerschlagen.274 Nun sollten die verbliebenen 200.000 Ukrainer vertrieben werden.275 Im Rahmen dieser Aktion "Weichsel", die von April bis Juli 1947 dauerte, wurden rund 140.000 Ukrainer aus dem Südosten Polens in die ehemals deutschen, nun polnischen Gebiete im Nordwesten zwangsumgesiedelt, vor allem in die Regionen Stettin, Koszalin und Allenstein, zum Teil auch nach Niederschlesien."'6 Um eine geschlossene Siedlungsstruktur zu verhindern, durfte die Zahl der Ukrainer in einer Ortschaft einen Bevölkerungsanteil von zehn Prozent nicht übersteigen.277 Ein besonders dramatisches Kapitel im Umgang mit der ukrainischen Minderheit war zudem zwischen 1947 und 1949 die Internierung eines Teils der ukraini­schen Intelligenz in einem Lager in Jaworzno (Kreis Kattowitz) auf einem Lagergelände, das bis 1943 dem NS-Regime als Außen stelle des KZ Auschwitz gedient hatte."'B

Die zerstreute ukrainische Bevölkerung im Nordosten Polens war zahlreichen Problemen ausgesetzt. Eine ablehnende Behandlung seitens der örtlichen Behörden war an der Tagesordnung.279 Zudem durften sie ihren Wohnort nicht wechseln. Ihnen wurden zumeist schlechtere Wohnmöglichkeiten als der polnischen Bevölkerung zugewiesen, die bereits in besser erhaltenen Häusern und Gehöften angesiedelt worden war.280 Auch die kulturellen und religiösen Restriktionen waren scharf.

273 Sakson, 1998, S. 129. 274 Vgl. hierzu Bachmann, Klaus: Polens Ostgrenze in: Transodra. Deutsch-Polnisches

Informationsbulletin, Nr. 19, Februar 1999, S. 38-51, hier S. 44. 275 Zahl aus Drozd in Bibliotheka 1997, S. 48. 276 Wolosiuk, Leszek: Przebieg i Skutki Akcji "Wisla", in: Biblioteka Fundacji

sw.Wlodzimierza (Hrsg.): Problemy Ukrainc6w w Pols ce po wysiedlenczej akcji "Wisla" 1947 roku (pod redakcj/l Wlodzimierza Mokrego), Krak6w 1997, S. 23-35, hier S. 31.

277 Halagida 1997, S. 43. 278 Mokry, Wlodzimierz: Ukraincy w Jaworznie, in: Biblioteka Fundacji sw.

Wlodzimierza (Hrsg.): Problemy Ukrailic6w w Pols ce po wysiedlenczej akcji "Wisla" 1947 roku (pod redakcj/l Wlodzimierza Mokrego), Krak6w 1997, S. 83-89, hier S. 83.

279 Drozd, Roman: Pocz/ltki integracji ludnosci ukrainskiej na Pomorzu Zachodnim, in: Sakson, Andrzej (Hrsg): Pomorze - trudna Ojczyzna?, Poznan 1996, S. 345-354, hier S. 349 (im Folgenden zitiert Drozd, 1996).

280 Drozd, Roman: Ukrailicy w Poisce w okresie przelom6w politycznych 1944-1981, in: Instytut Studi6w Politycznych Polskiej Akademii Nauk (Hrsg): Mniejszosci narodowe w Polsce. Panstwo i spoleczenstwo polskie a mniejszosci narodowe w okresach przelom6w politycznych (1944-1989), Warszawa 1998 (im Folgenden zitiert Drozd 1998), S. 180-244, hier S. 201.

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So durften beispiel weise in Westpommern erst ab 1956 erstmals grie­chisch-katholische Gottesdienste abgehalten werden. 2" Die schulische Situation war schwierig, so konnte ab 1952/53 nur in geringem Maße Ukrainisch als zusätzliche Sprache erlernt werden. Die Zahl der Schulen mit ukrainischer Sprache stieg zwar nach 1956 an, blieb jedoch bis 1989 stark begrenzt.282

Die Aufarbeitung der Ereignisse der Aktion "Weichsel", die erst nach 1989 langsam begonnen hat, wird noch einige Zeit beanspruchen. So schreibt bspw. ein Autor im Rahmen eines Konferenzbandes anläss­lieh des Gedenkens der 50 Jahre zurückliegenden Vertreibung von ,,50 Jahren schamhaftem Schweigen".283 Für die polnisch-ukrainischen Be­ziehungen stellt die Frage der Wiedergutmachung für die Aktion "Weichsel" eines der Hauptprobleme dar. 2M

Da keine Minderheitenstatistik in Polen existiert, kann nur vermutet werden, wie sich die regionale Verteilung der ukrainischen Minderheit in Polen darstellt. Innerhalb der Grenzen der alten (bis Ende 1998 gel­tenden) Wojewodschaftsstruktur geht man von folgender Verteilung aus: Allenstein ca. 50.000 Ukrainer, Koszalin 20.000, Slupsk 20.000, Prze­mysl 20.000, Chelm 10.000, Elbl<tg 7.500, Stettin 7.000, Suwalki ma­ximal 5.000, Breslau 2.500, Grünberg 2.000, Warschau 2.000, Lubelski 2.000, Nowosqdecki 2.000.2'15 Anhand dieser Zusammenstellung zeigt sich, dass die ukrainische Minderheit am gesamten nördlichen Rand Polens siedelt, eine relevante Anzahl von Ukrainern in Niederschlesien sowie nach wie vor in den ursprünglichen Siedlungsgebieten Südostpo­lens lebt.

Insgesamt geht man davon aus, dass die große Mehrheit - rund 70 Prozent - der ukrainischen Minderheit griechisch-katholischen Glau­bens ist, während lediglich 30 Prozent der orthodoxen Kirche Polens angehören. Letztere allerdings bilden eine ukrainische Bevölke-

281 Drozd 1996, S. 352. 282 Chalupszak S. 73 f. 283 So die Formulierung bei Wolosiuk, S. 32. 284 Surmacz, Beata: Mniejszosci narodowe w stosunkach polsko-ukraiilskich, in:

Instytu t Europy Srodkowo-W schodniej (Hrsg): Samoidentyfikacja mniejszosci narodowych i religijnych w Europie Srodkowo-Wschodniej, Problematyka politologiczna, Lublin 1998, S. 64-73, hier S. 67.

285 Hierbei berufe ich mich auf eine Schätzung aus einem nicht veröffentlichten Exper­tenbericht (Raport polskiej cz~sci Komisji Ekspert6w ds. Mniejszosci Narodowych przy Komitecie Konsultacyjnym Prezydent6w RP i Ukrainy), den Bogumila Berdychowska verwendet hat, Berdychowska in Centrum 1998, S. 142 f.

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rungsgruppe, die autochthon, also traditionell im ostpolnischen Podla­chien lebt und nicht von der Aktion "Weichsel" betroffen war.286

Im Folgenden soll noch ein kurzer Hinweis auf die lemkische Min­derheit gegeben werden. Dabei handelt es sich um eine Minderheit, der etwa 60.000 bis 70.000 Menschen angehören und die ebenfalls von der Aktion "Weichsel" betroffen war. Es gibt bezüglich dieser Minderheit in der Forschung zwei koexistierende Auffassungen. Zum einen wird die lemkische Gruppe zur ukrainischen Minderheit hinzugezählt und somit als Teil der ukrainischen Nation gesehen, zum anderen wird sie als ei­genständige ethnische Gruppe betrachtet. Auch die Selbsteinschätzung der Lemken ist nicht einheitlich. So gibt es einen Minderheitenverband, der sich dem ukrainischen Dachverband Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrai1kow w Polsee) angeschlossen hat, sowie eine konkur­rierende Organisation, die sich nicht als Teil der ukrainischen Minder­heit sieht. 287 Auch aus ethnographischer und soziologischer Perspektive ist die Zuordnung der Lemken - ursprünglich eines der verschiedenen ruthenischen Bergvölker der Karpathen - umstritten.288 In dieser For­schungsarbeit werden die Lemken Polens, einer Auf teilung der Sejm­Kommission für Minderheiten aus dem Jahr 1994 und des Innenministe­riums aus dem Jahr 2000 folgend,289 als eigene ethnische Minderheit ge­sehen und deswegen in der folgenden Analyse der ukrainischen Minder­heit nicht berücksichtigt.

3.1 Analyse der ukrainischen Interessengruppen

Die ukrainische Verbändelandschaft ist ambivalent. Zum einen findet sich ein gewisser Pluralismus verschiedener kleiner Verbände, zum anderen dominiert der große Verband Bund der Ukrainer in Polen (Zwi­qzek Ukraineow w Polsee) als Dachverband die Aktivitäten der Minder­heit. In der folgenden Analyse soll zunächst dieser Dachverband analy-

286 Bogumila Berdychowska: Mniejszosc ukraiiIska, in: Centrum Stosunk6w Mi\;dzynarodowych Instytutu Spraw Publicznych (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 (bearbeitet von Bogumila Berdychowska), S. 142-177, hier S. 169 (im Folgenden zitiert: Berdychowska in Centrum 1998).

287 Informator 1994, S. 28 f. und 108 f. 288 Dziewierski, Marek: Lemks as an Ethnic Group, in: SzczepaiIski, M.: Ethnic Mi­

norities and Ethnic Majority. Sociological Studies of Ethnic Relations in Poland, Kattowitz 1997, S. 324-332, hier S. 324 f.

289 Wydzial do Spraw Mniejszosci Narodowych (Ministerstwo Spraw Wewn~trznych i Administracji): Mniejszosci narodowe w Polsce, Warschau 2000, S. 8, Informator 1994, S. 28 f. und 108 f.

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siert werden, in einem weiteren Abschnitt wird ein Überblick über die Mitgliedsverbände des Dachverbands gegeben. Anschließend wird mit dem Unabhängigen Bund der ukrainischen Jugend (Zwiqzek Ukraiflskiej Mlodziezy Niezaleznej) ein Mitgliedsverband des Dachverbandes exem­plarisch dargestellt. Zudem wird mit dem Bund der Ukrainer in Podla­chien (Zwiqzek Ukraiflc6w Podlasia) die einzige ukrainische Minderhei­tenorganisation einer Analyse unterzogen, die nicht dem Dachverband angehört. So wird abschließend eine kurze Charakterisierung des inter­mediären Systems der ukrainischen Minderheit möglich sein.

3.1.1 Der Bund der Ukrainer in Polen

Genese Der Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrainc6w w Polsce) nimmt in doppelter Hinsicht eine wichtige Funktion innerhalb der ukrainischen Minderheit ein. Zum einen stellt er - darin vergleichbar dem Weißrussi­schen Bund - einen Dachverband dar, in dem ein erheblicher Teil der ukrainischen Verbände Mitglied ist. Zum anderen ist er zugleich der Altverband der ukrainischen Minderheit. Seine Vorgängerorganisation Ukrainische Sozio-kulturelle Gesellschaft (Ukraiflskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne) war 1956 gegründet worden und hatte in der Zeit der Volksrepublik bis zu 10.000 Mitglieder.290 Auch diese Organisation stand - wie die Verbände der anderen Minderheiten - unter Kontrolle des Innenministeriums.29l

Struktur Die Angaben zu den Mitgliederzahlen des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraiflc6w w Polsce) schwanken zwischen 7.500 und 10.000.292 Der Verband selbst unterschied 1993 6.700 eigene Mitglieder und rund 800 Mitglieder, die in einem Mitgliedsverband im Bund (Zwi­qzek) organisiert sind, wodurch sich eine Gesamtmitgliedszahl von 7.500 ergebe. 293 Geht man von dieser Zahl aus, so zeigt sich, dass zwi­schen der früheren Monopolorganisation und dem heutigen Nachfolge-

290 Drozd 1998, S. 206 u. 209 f. 291 Chalupczak 1998, S. 67. 292 Die Minderheitenexpertin Berdychowska ging 1998 von 10.000 Mitgliedern aus,

Berdychowska in Centrum 1998, S. 145. Der Verband selbst hat für 1998 gegenüber dem Zentralen Statistikamt Polens 7.500 angegeben, Gl6wny Urzltd Statystyczny: Wyznania religijne. Stowarzyszenia narodowosciowe i etniczne w Polsee 1997-1999, Warschau 2000 (im Folgenden zitiert GUS Wyznania 2000), S. 300.

293 Zwiltzek Ukrainc6w w Polsee (Hrsg.): Ukraincy w Polsee 1989 - 1993.

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Kalendarium. Dokumenty. Informacje (Redaktion: Miroslaw Czech) Warszawa 1993 (im Folgenden zitiert Zwiltzek: Ukraincy 1993), S. 291.

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verband von einem Mitgliederverlust von gut einem Drittel auszugehen ist. Dennoch verfügt auch dieser Altverband nach wie vor über eine große "ererbte" Mitgliederzahl. So dominiert der Altverband fraglos das ukrainische intermediäre System.

Der Bund hat seinen Sitz in Warschau, wo bereits seine Vorgänger­organisation Ukrainische Sozio-kulturelle Gesellschaft gegründet wur­de. 294 Bei einem vergleichenden Blick auf die örtliche Ansiedlung der Verbands sitze verschiedener in dieser Arbeit analysierten Minderheiten­verbände fällt hingegen auf, dass nur wenige ukrainische Minderheiten­organisationen in Warschau angesiedelt sind (neben diesem Dachver­band ein Jugend-, ein Frauen- und ein Rechtsanwaltsverband). Die meisten ukrainische Verbände sind vor allem in Nordwestpolen, wohin die Ukrainer vertrieben worden sind, sowie in Südostpolen angesiedelt, dem ursprünglichen ukrainischen Siedlungsgebiet.29s Vor dem Hinter­grund dieser regionalen Verteilung der ukrainischen Verbände sei daran erinnert, dass kein einziger Verband aus anderen in dieser Arbeit unter­suchten Minderheiten seinen Sitz in der Hauptstadt hat. So haben alle anderen Altverbände ihre Sitze in den traditionellen Minderheitenterri­torien. Dies wurde auch nach dem Systemwechsel beibehalten. Auch keiner der neu gegründeten Verbände wählte Warschau als Sitz.

Unter den Minderheitenverbänden Polens zeigt sich somit keine zentripetale Orientierung, wie sie Martin Sebaldt in einer Studie über die bundesdeutsche Verbändelandschaft und ihre Nähe zum Bonner Regierungssitz ausgemacht hat296 und die sich nach der Verlegung des deutschen Regierungssitzes nach Berlin durch den Nachzug zahlreicher Verbände erneut zeigt. Da die ukrainische Minderheit als einzige der vier in dieser Studie untersuchten Minderheiten als Folge der Vertrei­bung nicht mehr in einem originären Siedlungsgebiet siedelt und die jetzigen Gebiete vielfach nicht als "Heimat" gesehen werden (anders als bei Weißrussen, Litauern und Slowaken),297 zeigt sich als Folge dieser Vertreibung eine gewisse "Hauptstadtisierung" bzw. "Capitalization" ihrer Interessenorganisationen.

294 Drozd 1998, S. 209 f. 295 Vgl. zu den Angaben Zwi~zek: Ukraincy 1993, S. 290-304. 296 Sebaldt, Martin: Verbände und Demokratie: Funktionen bundesdeutscher Interes­

sengruppen in Theorie und Praxis, in: APuZ, B 36-37/1997, S. 27 -37, hier S. 29. 297 Diese Unterscheidung ist in verschiedenen Interviews deutlich geworden, bei­

spielsweise mit dem Vorsitzenden des unabhängigen Bundes der ukrainischen Ju­gend Piotr Pawliszcze, März 1999 Danzig, oder dem Bund-Vorsitzenden der Regio­nalgruppe Stettin Henryk Kolodziej, Mai 2000 Stettin.

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Wie oben bereits angedeutet wurde, lässt sich die Mitgliederstruktur des Verbandes in "eigene" Mitglieder und solche von Mitgliedsorganisatio­nen unterteilen. Erstere gelten statutengemäß als "ordentliche" Mitglie­der im eigentlichen Sinne, letztere als "unterstützende" Mitglieder. Die demokratischen Prozesse und Strukturen innerhalb des Verbandes be­ziehen sich jedoch vorrangig auf die ordentlichen Mitglieder, wohinge­gen sich die Mitwirkungsmöglichkeit der Mitgliedsverbände auf die Entsendung von Delegierten in eine zentrale Verbandsversammlung beschränkt. 298

Zunächst soll ein Blick auf die innerverbandlichen Ebenen und Le­gitimierungsprozesse geworfen werden, die sich auf die ordentlichen Mitglieder beziehen. Der Bund weist eine dreistufige Struktur auf. Die Basis-Einheit bilden die rund 150 Kreise, die in ganz Polen agieren. 299

Sie sind in ihren Programmen und Tätigkeiten autonom und entscheiden selbst über die Aufnahme neuer Mitglieder in den Verband. 300 Die Wahl der Führungsgremien des Kreises (Kreisvorstand und Revisionskommis­sion) findet innerhalb von Mitgliederversammlungen statt.

Die nächst höhere Ebene des Verbandes ist die der (Regional-) Ab­teilungen. Diese umfassen mehrere Kreise, mindestens jedoch fünf. In den letzten Jahren existierten zehn solcher Regionalabteilungen, vor allem in Nordwest- und Ostpolen. Dabei galten die Abteilungen von Stettin (14 Kreise), Allenstein (18 Kreise) und Przemysl (sieben Kreise) als die aktivsten Gruppierungen.301 Die Verteilung der Abteilungen zeigt, dass die größten Gruppierungen des Verbandes in den Ansiedlungsregi­onen der Ukrainer in Nordwestpolen zu finden sind, während in Südost­polen lediglich vergleichsweise kleine Gruppen existieren. Die Abtei­lungen sollen dem Ziel dienen, "die Arbeit der Kreise zu inspirieren und zu koordinieren" sowie nach außen zu repräsentieren.302 So sollen die Regionalabteilungen zwar durchaus eigene Aktivitäten entfalten, ihrer

298 Zwiltzek Ukrainc6w w Polsce. Statut, Warschau 1996 (im Folgenden zitiert Statut zwiltzku), Artikel 47.

299 Zahl entnommen den Hinweisen zum Jahresbericht 1997 (Sprawozdanie dzialalnosci kulturalnej i oswiatowej Zwiltzku Ukrainc6w w Polsce za 1997 r.). In diesen Hinweisen ist zudem von 1.000 Mitgliedern die Rede. Da jedoch in den ver­schiedensten Angaben aus unterschiedlichen Quellen zumeist eine Zahl von 7-10.000 zu finden ist (bspw. Berdychowska in Centrum 1998, S. 145, Interview mit Abteilungsvorsitzendem von Koszalin Roman Drozd), ist anzunehmen, dass es sich bei obiger Angabe um schlicht um einen Tippfehler handelt.

300 Statut zwiltzku, Artikel 26 und Artikel 14. 301 Interview mit Tyma, GUS Wyzanaia 2000, S. 300. Weitere Abteilungen existieren in

Elbl<t,g (24 Kreise), Gorz6w Wielkopolski (acht), Koszalin (16), Legnica (fünf), Sa­nok (zehn), Slupsk (elf), W,<gorzewo (16).

302 Statut zwi<tzku, Artikel 34.

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Intention nach jedoch der Förderung der Kreise dienen. In der Ver­bandspraxis sind allerdings auch die Abteilungen eigenständige Akteure mit je unterschiedlichen Aktivitätsprofilen. So gelten beispielsweise die Abteilungen Stettin und Przemysl als die aktivsten innerhalb des Ver­bandes, sowohl was die Vermittlung ukrainischer Sprache als auch die Beschaffung von Finanzmitteln und die Aktivitäten bei Wahlen anbe­langt.103 Auch die Verbandsebene der Abteilungen verfügt über eine de­mokratische Legitimationsstruktur. So setzt sich die sogenannte Abtei­lungskonferenz aus gewählten Delegierten der Kreisversammlungen zusammen. Die Konferenz wählt Repräsentanten aller Kreise in einen Abteilungsrat, ein mindestens einmal jährlich tagendes Gremium. An der Spitze der Abteilungen steht jedoch der Abteilungsvorstand, gewählt durch den Rat. Somit ist über dem Rat, der bereits ein zwischen den Konferenzen führendes Gremium ist, mit dem Vorstand die eigentliche Abteilungsspitze angesiedelt, die führen, repräsentieren und koordinie­ren sol1.304

Die bisherigen Regionalabteilungen entsprachen ihrem Zuschnitt nach der bis Ende 1998 geltenden Wojewodschaftsstruktur, so dass pro Wojewodschaft eine Abteilung existierte. Die Verwaltungsreform und die Schaffung größerer Wojewodschaften führten dazu, dass nun mehre­re verbandliche Regionalabteilungen in einer Wojewodschaft existier­ten.lOS Die Existenz mehrerer Regionalabteilungen in einer Wojewod­schaft führte bereits unmittelbar nach der Reform im Verband zu Dis­kussionen und Plänen über entsprechende Anpassungsprozesse der Ver­bandsstruktur an die staatliche administrative Struktur. Eine Anpassung war für Anfang 2001 vorgesehen. 306 Dass diese verbandliche Zwischen­ebene an die neuen administrativen Strukturen angepasst werden soll, macht vor allem deutlich, welche interessenpolitische Bedeutung den eigenen regionalen Strukturen innerhalb dieses Verbandes zugemessen wird. So muss sich die Minderheit innerhalb der einzelnen Wojewod­schaften geschlossen gegenüber den Behörden präsentieren, um bei­spielsweise in den Genuss regionaler Fördermittel zu kommen.307

303 Interview mit Generalsekretär Tyma. 304 Statut Zwi~zek, Artikel 36 bis 42. 305 Vergleiche Interviews mit dem Generalsekretär Piotr Tyma und dem Vorsitzenden

der Koszaliner Abteilung, Roman Drozd, März 1999. 306 Vgl. Interviews vom März 1999 mit Tyma und Drozd. Beide sprachen bspw. ftir

Koszalin und Stettin davon, dass diese Abteilungen zu einer neuen Wojewodschafts­region zusammengefasst werden sollen, jedoch Koszalin auf einer niedrigeren Ebe­ne eine eigene Einheit bleiben soll.

307 Vgl. hierzu auch Interview mit Roman Drozd.

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Auf der zentralen Ebene des Verbandes zeigt sich folgende Struktur: Als höchstes Organ gilt die sogenannte Verbandsversammlung, die im Nor­malfall alle vier Jahre einberufen wird. Daneben existieren mit dem sogenannten Hauptrat, dem Hauptvorstand, der Revisionskommission und einem Kollegialgericht vier weitere führende Gremien. Die Ver­bandsversammlung verfügt über "klassische" Kompetenzen, indem sie die Richtung des verbandlichen Handeins festlegt, Entscheidungen über die Änderung des Statuts trifft und gängige Wahl- und Kontrollfunktio­nen hat (Wahl der Vorsitzenden von Hauptrat und Hauptvorstand, der Mitglieder der Revisionskommission, des Kollegialgerichts und eines Teils des Hauptrates). Zwar kontrolliert sie die Tätigkeitsberichte aller dieser Gremien, jedoch kann sie lediglich die Arbeit von Hauptrat und Hauptvorstand sanktionieren, denn nur diese müssen durch die Ver­bandsversammlung entlastet werden.

In Bezug auf die Zusammensetzung dieser Verbandsversammlung werden einige Besonderheiten deutlich. Zum einen fällt auf, dass ihre Delegierten nicht nur durch die Regionalabteilungen entsendet werden, sondern auch durch die Kreise. Somit sind an der Spitze des Verbandes beide unteren Ebenen gleichberechtigt nebeneinander vertreten. Die Grundeinheit des Verbandes, der Kreis, ist bis in die Verbandsspitze hinein direkt repräsentiert. Aus interessenorganisatorischer Perspektive lässt sich davon ausgehen, dass diese Repräsentanz der "Basis" an der Spitze, die Partizipationsmöglichkeiten der "einfachen" Mitglieder und somit gleichermaßen die Identifikation mit dem Verband erhöht.

Zum anderen ist die Verbandsversammlung auch das Gremium, in dem der Bund (Zwiqzek) seine Mitgliedsverbände integriert, denn in dieses Gremium entsenden die Verbände ihre Delegierten. Sie gelten innerhalb der Delegiertenversammlung als ordentliche Mitglieder und verfügen somit über das aktive und passive Wahlrecht.308 Damit können sich auch Vertreter der Mitgliedsverbände in die Führungsgremien die­ser zentralen Ebene wählen lassen. Hier zeigt sich ein deutlicher Unter­scheid zum weißrussischen Dachverband, dem Weißrussischen Bund in der Republik Polen. Dessen Organisationsstruktur ist primär auf die Mitgliedsverbände ausgerichtet, die mit dem "Rat der Weißrussischen Organisationen" über ein eigenes Gremium im Verband verfügen, und in dem es keine Struktur für Einzelmitglieder gibt. Im ukrainischen Bund hingegen existiert eine Parallelstruktur, die sowohl dem Charakter eines Mitgliederverbandes wie auch dem eines Verbände-Zusammenschlusses entspricht. Da jedoch die Mitgliedsverbände innerhalb des ukrainischen

308 Siehe zu den Regelungen der Verbandsversammlung: Statut zwil\zku. Artikel 46 bis 48.

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Dachverbandes über kein eigenes Gremium verfügen, sondern lediglich als Delegierte in die zentrale Versammlung des Verbandes integriert sind, dominiert eine strukturelle Ausrichtung auf die ordentlichen Mit­glieder. Vor allem die im Abschnitt zum weißrussischen Bund skizzierte "Binnenfunktion" eines Dachverbands - durch Informationsaustausch, Arbeitsteilung und Ressourcenkonzentration - findet sich in strukturel­ler Hinsicht im Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrai1kow w Polsce) nicht wieder. JOO

Das Bild geringer struktureller Indizien für die Dachverbandsfunk­tion des Bundes zeigt sich auch anhand weiterer führender Gremien: Weder für den Hauptvorstand noch für den Hauptrat ist eine Repräsen­tanz der Mitgliedsverbände vorgeschrieben. Vielmehr setzt sich der Hauptrat durch Repräsentanten aller Regionalabteilungen310 sowie durch 15 von der Versammlung gewählte Vertreter zusammen. Der Hauptrat gilt als beschlussfassendes Zentralorgan zwischen den Verbandsver­sammlungen und verfügt über eine große Palette an Kompetenzen: So entscheidet er beispielsweise über das jährliche Budget des Verbandes, die grundsätzlichen Regelungen der finanziellen Aktivitäten und die Höhe des Mitgliedsbeitrags. Des Weiteren werden hier (und nicht in der Verbandsversammlung) Entscheidungen über den Beitritt zu anderen Organisationen getroffen sowie darüber, wie die Beschlüsse der Ver­sammlung zu realisieren sind. Zudem kann der Rat Kommissionen zur Regelung spezieller Verbandsprobleme ins Leben rufen. Eine klare Doppelung zu den Kompetenzen der Verbandsversammlung ist darin zu finden, dass nicht nur diese, sondern auch der Rat den Vorstand nach Ablauf seiner Amtszeit zu entlasten hat. Auch eine gewisse Verantwort­lichkeit gegenüber der verbandseigenen Zeitschrift Nasze Slowo liegt in den Händen des Hauptrats, denn dieser fällt die Entscheidung über die Besetzung der Funktion des Chefredakteurs. 311 Durch die Zuständigkei­ten im Finanzbereich beherrscht der Rat ein sensibles Feld im Verband, so dass er allein schon deswegen als einflussreiche Institution zu bewer­ten ist. Der Hauptvorstand als "allerhöchstes Durchführungsorgan" zeichnet sich strukturell zunächst dadurch aus, dass zum einen der Vorsitzende direkt durch die Verbandsversammlung gewählt wird, dass jedoch die weiteren Vorstandsmitglieder keiner Wahlentscheidung unterliegen,

309 Struktur der zentralen Ebene und Kompetenzen der Verbandsversammlung: Ebda. Artikel 45-48. Siehe zudem den Abschnitt zum Weißrussischen Bund.

310 Die Abteilungen können ihre Vorsitzenden entsenden. müssen dies jedoch nicht; ebda. Artikel 49.

311 Zu den Regelungen zum Hauptrats ebda. Artikel 49 und 50.

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sondern lediglich (auf Vorschlag des Vorsitzenden) vom Hauptrat be­nannt werden. Damit sind nicht alle Vorstandsmitglieder des Bundes der Ukrainer in Polen durch Wahl legitimiert, was als innerverbandliches Demokratiedefizit zu bewerten ist. 312

Neben der Benennung der Vorstandsmitglieder hat der Hauptrat zu­dem noch Einflussmöglichkeiten auf die Aktivitäten des Vorstandes, indem er die Tätigkeitsbereiche der einzelnen Vorstandsmitglieder fest­legt. Institutionell getrennt sind beide Gremien jedoch dadurch, dass eine Doppelmitgliedschaft nicht möglich ist. Der Vorstand verfügt über typische Leitungsfunktionen, beispielsweise die Außenrepräsentation, die Koordination der verschiedenen Gremien innerhalb der Verbands­struktur, die Realisierung des vom Hauptrat beschlossenen Budgets wie auch das Einwerben von Sponsorengeldern.313

Die bei den weiteren zentralen Gremien des Verbandes stellen ein sogenanntes Kollegialgericht und eine Revisionskommission dar. Letz­tere soll vor allem die Arbeit von Hauptrat und Vorstand kontrollieren sowie insbesondere die finanziellen Aktivitäten des Verbandes überwa­chen. Das Kollegialgericht hingegen soll Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern schlichten. Das Sanktionsinstrumentarium, das ihm zur Verfügung steht, besteht aus Mahnung, Tadelung sowie Ausschluss von Mitgliedern.'14 Abgesehen von der Funktion des Generalsekretärs sind alle Führungspositionen durch ehrenamtlich Tätige besetzt. Dass der Bund (Zwiqzek) als Altverband über einen hauptamtlichen Generalsekre­tär verfügt, deckt sich mit der Situation der vormaligen weißrussischen und slowakischen Monopolverbände. Lediglich der litauische Altver­band Verband der Litauer in Polen verfügt - wie alle neu gegründeten Verbände - über eine vollständig ehrenamtliche Führungsstruktur.

Als einziger ukrainischer Verband Polens hat sich der Bund (Zwiq­zek) dem Weltverband der Ukrainer angeschlossen, dem Ukrainian World Congress (UWC), einer 1967 gegründeten Organisation mit Sitz in Toronto. Diese sieht sich als internationales Koordinierungskomitee und Sprechergremium für die ukrainischen Gruppen in der Diaspora und vertritt nach eigenen Angaben die Interessen von drei Millionen Ukrai­nern in 20 Ländern. Die europäischen ukrainischen Gruppen verfügen über ein eigenes europäisches Gremium, in dem neben dem Bund (Zwi­qzek) aus Polen zudem Organisationen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rumänien vertreten sind.''' Jedoch fällt auf, dass die

312 Ebda. Artikel 51. 313 Ebda. 314 Ebda., Artikel 54 und 55. 3i5 Vgl. hierzu die Homepage des Weltkongresses <http:// ukrainianworld-

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Zugehörigkeit zum Weltkongress weder in den vorliegenden Jahresbe­richten des Bundes (Zwiqzek) noch in den geftihrten Eliteninterviews eine Rolle spielt."6 Dementsprechend ist davon auszugehen, dass diese Einbindung des Verbandes in eine internationale Struktur keine wirkli­che Relevanz für die Aktivitäten des Bundes hat.

Das zentrale Strukturmerkmal dieses Verbandes zeigt sich somit in einer ausgesprochen breiten regionalen Organisationsstruktur und einer direkten Repräsentanz der unteren Organisationseinheit auf zentraler Ebene (der Kreisvertreter in der Delegiertenversammlung). Durch das Fehlen eines speziellen Organs für die Mitgliedsverbände dominieren in struktureller Hinsicht Merkmale eines Mitgliederverbands gegenüber denen eines Dachverbandes.

Programmatik Als sein primäres Ziel formuliert der Bund (Zwiqzek) den Einsatz flir die Realisierung von Bürgerrechten der ukrainischen Minderheit in Polen, die durch internationales Recht, die polnische Verfassung und polnische Gesetze gewährt werden. 3I1 Der Vorsitzende des Verbandes, Myron Ker­tyszak, bezeichnete dies als eine Art "Außenziel". Alle weiteren Zielsetzungen, die sich auf die Tätigkeit innerhalb der Minderheit beziehen, bezeichnete er hingegen als "unmittelbare Ziele".'" Mit diesen Bezeichnungen charakterisierte er auf recht griffige Art die bereits ftir andere Minderheitenorganisationen skizzierte Zweiteilung in Ziele politischer Interessenvertretung einerseits und dem umfassenden Einwirken auf die eigene Minderheit andererseits.'19 Weitere Zielsetzungen beziehen sich auf die ukrainische Minderheit selbst (sind also im Wortsinne des Vorsitzenden "unmittelbare Ziele"). So sollen gesellschaftliche Initiativen innerhalb der Minderheit ange­regt, die Beziehung der Minderheit zu ihrer Titularnation sichergestellt,

congress.org/home Ihome.shtml> (09.04.01). 316 Interviews mit dem Vorsitzenden Myron Kertyczak, dem Generalsekretär Piotr

Tyma (Zwillzek Ukrainc6w w Polsce), dem Regional-Vorsitzenden für Koszalin (Roman Drozd), dem Regional-Vorsitzenden für Danzig (Roman Michalik). Vgl. zudem: Sprawozdanie z dzialalnosci kulturalnej i oswiatowej ZwillZku Ukrainc6w w Polsce za 1997 r. (im Folgenden zitiert Jahresbericht 1997), Sprawozdanie z dzialalnosci kulturalnej i oswiatowej Zwil\zku Ukrainc6w w Polsce za 1998 r. (im Folgenden zitiert Jahresbericht 1998), Sprawozdanie z dzialalnosci ZwillZku Ukraiilc6w w Polsce w 1999 r (im Folgenden zitiert Jahresbericht 1999).

317 Statut zwil\zku, Artikel 8. 318 Interview mit dem Vorsitzenden des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek

Ukraine6w w Polsee), März 1999, Warschau (im Folgenden zitiert Interview mit Kertyszak).

319 Statut zwil\zku, Artikel 8.

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die ukrainische Sprache gepflegt sowie insgesamt die Verbreitung uk­rainischer Kultur in Polen fortentwickelt werden. Zugleich finden sich Zielsetzungen, mit denen Veränderungen für das Land Polen angestrebt werden. So sollen die Integration der Minderheit vorangetrieben und die Minderheits-Mehrheitsbeziehungen intensiver gepflegt werden. Indem sich der Bund für die Verbesserung der polnisch-ukrainischen Bezie­hungen einsetzt, übernimmt er eine doppelte Brückenfunktion, die sich sowohl auf die Beziehung zwischen ukrainischer Minderheit und polni­scher Mehrheit als auch auf die Beziehung zwischen dem eigenen Staat und der eigenen Titulamation bezieht.

Fixierte Strategien In den fixierten Strategien des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrai/kow w Polsce) zeigt sich eine angesichts der übrigen untersuch­ten Verbände durchaus übliche Palette an Strategien. Sie korrespondie­ren mit der festgestellten Zweiteilung der Ziele. So zeigen sich auf der einen Seite Strategien, die sich auf die ukrainische Minderheit beziehen und somit nach innen gerichtet sind, und auf der anderen Seite solche, die auf Interessenvertretung gegenüber politischen Institutionen ausge­richtet, also nach außen gerichtet sind.

Im ersteren Spektrum zeigt sich zunächst die allgemeine Intention, verschiedene kulturelle, wissenschaftliche und Unterhaltungsveranstal­tungen zu organisieren, was auch den faktischen Schwerpunkt der Ver­bandsarbeit darstellt. Zudem will der Verband verlegerisch tätig sein, was vor allem durch die Herausgabe der Zeitung Nasze Slowo realisiert wird. Als typisch kann die Strategie der Initiierung künstlerischer Grup­pen angesehen werden, die in allen Verbänden einen festen Stellenwert hat, wozu zumeist folkloristische Musik-, Tanz- und Theatergruppen zählen. In diesem Fall findet sich jedoch noch der Zusatz, dass "Zentren der Popularisierung ukrainischer Kultur" organisiert werden sollen, also die Schaffung einer kulturellen Infrastruktur angestrebt wird. Da der Verband nach eigenen Angaben insgesamt ca. 25 ukrainische Kultur­zentren im ganzen Land unterhält, handelt es sich hierbei um eine be­reits umfassend realisierte Strategie."" Explizite Erwähnung findet zu­dem das Vorhaben, Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche zu organisieren."!

Die zweite Gruppe fixierter Strategien, die die "Außenziele" des Verbandes realisieren, also den Schutz der Interessen der ukrainischen Minderheit ermöglichen sollen, ist geprägt durch das Vorhaben enger

320 Siehe die Hinweise zum Jahresbericht 1997. 321 Statut zwil\czku, Artikel 9.

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Kooperation mit den Organen der Bildungspolitik und des Schulwesens. Zudem soll mit den staatlichen Radio- und Fernsehsendern kooperiert werden, um die Repräsentanz der Ukrainer in den Medien zu gewähr­leisten. Dieses für alle Minderheiten sensible Themenfeld ist für die ukrainische Minderheit aufgrund ihrer zerstreuten Siedlungsweise umso bedeutsamer. Ein weiteres Feld der Kooperation mit staatlichen Organen stellt das Bemühen um den Erhalt ukrainischer Kulturgüter dar. 322

Zudem zeigen sich Strategien, die zwar nach außen gerichtet sind, sich jedoch nicht auf staatliche Organe als Adressaten beziehen. Dazu zählt das Bemühen um eine Kooperation mit Kirchen und Religions­gemeinschaften, die für die ukrainische Minderheit relevant sind, sowie um den Aufbau wissenschaftlicher Arbeit, die sich mit der ukrainischen Minderheit in Polen beschäftigen sol1. 323

Es ist deutlich geworden, dass beide fixierten Strategien gleicher­maßen Gewicht haben. Jedoch ist auffallend, dass die zweite fixierte Strategie - hinsichtlich der Beziehungen zu staatlichen Institutionen -ihrem Charakter nach eher defensiv ist. Es überwiegt das Bemühen um eine Verteidigung eigener Minderheitenrechte deutlich gegenüber allen Versuchen, welche die politische Partizipation der Minderheit zum Ziel haben.

Tätigkeiten und reale Strategien Anzahl und Art der Aktivitäten des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwi­qzek Ukraincow w Polsee ) sind aufgrund der Größe der Organisation ebenso umfangreich wie vielfältig. Im Folgenden soll an ausgewählten Beispielen analysiert werden, wie die einzelnen fixierten Strategien realisiert werden und welcher Stellen wert ihnen jeweils zukommt.

Zunächst soll ein Blick auf die nach innen - also auf die ukrainische Minderheit - ausgerichteten Verbandsaktivitäten geworfen werden. In dieser ersten Strategiengruppe ist zunächst nach kulturellen Tätigkeiten zu fragen. Hier sind vor allem Aktivitäten zu beobachten, die - wie die Ausrichtung größerer Kulturveranstaltungen - gemeinsam von Vorstand und Regionalabteilungen oder Kreisen unternommen werden. Dazu zählen auf der einen Seite traditionelle Veranstaltungen wie das "Festi­val ukrainischer Kultur" in Przemysl, das 1997 zum 15. Mal stattfand und nach Angaben der Veranstalter rund 4.000 Zuschauer anzog. Auf der anderen Seite existiert inzwischen eine Vielzahl von neu gegründe­ten Kulturveranstaltungen wie der "Tag der ukrainischen Kultur" in

322 Ebda. 323 Ebda.

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Stettin, der seit 1997 jährlich stattfindet. 324 Auch der im Jahr 1999 zum dritten Mal stattfindende "Gesamtpolnische Tag des Ukrainischen Thea­ters" in Allenstein zählt dazu. 325 Das Gros der kulturellen Aktivitäten des Verbandes bilden Musikveranstaltungen,326 so dass davon auszuge­hen ist, dass traditionelle Musik und Tänze als zentrale Kulturelemente der Minderheit bewertet werden.

Anhand der Kulturveranstaltungen zeigt sich auch, dass der Dach­verband und seine Mitgliedsverbände in der konkreten Kulturarbeit auf regionaler Ebene zusammenarbeiten. Beispielsweise beim Kulturfestival "Bytowska Warta", das der örtliche Kreis des Bundes gemeinsam mit dem Mitgliedsverband Unabhängiger Bund der ukrainischen Jugend (Zwiqzek Ukraifzskiej Mlodziety Niezaletnej) organisiert.327 Nicht selten sind ohnehin die jeweiligen örtlichen Eliten von Mitgliedsverbänden, Dachverband und Minderheitenschulen miteinander vernetzt.328 Zudem ist charakteristisch, dass bei zahlreichen Kulturveranstaltungen auch Repräsentanten aus der Ukraine traditionelle kulturelle Elmente quasi "unmittelbar" aus der Titularnation vermitteln.329

Auch die fixierte Strategie der Initiierung und Förderung von Künst­lergruppen geht mit der Organisierung von zahlreichen Kulturveranstal­tungen einher. Zu den unmittelbar mit dem Bund der Ukrainer in Polen in Verbindung stehenden und überregional bekannteren Künstlergruppen zählt der Männerchor ,,Zurawli", der bereits in den 70er Jahren entstan­den war. 330 Innerhalb der kulturellen Arbeit des Verbandes zeigt sich auch ein Schwerpunkt der kinder- und jugendbezogenen Arbeit. Hierzu zählen beispielsweise das bereits seit den 60er Jahren stattfindende "Kinder-Festival ukrainischer Kultur" in Elbing331 sowie das seit den 70er Jahren ausgerichtete "Festival ukrainischer künstlerischer Kinder­gruppen" in Koszalin.332

324 Jahresberichte 1997, S. 2,1998, S. 3 und 1999, S. 2. 325 Jahresbericht 1999, S. 1 f. 326 Vgl. Jahresberichte 1997, 1998, 1999. 327 Jahresbericht 1997, S. 2 f. 328 Beispielsweise hierzu die Position des Vorsitzenden der Gesellschaft "Ukrainisches

Nationales Haus", Miroslaw Sidor, Juli 2001 Przemysl, der auf die Vernetzung der in der Minderheit "Aktiven" in dieser Stadt verwies.

329 Siehe Jahresberichte 1997, 1998, 1999. 330 Berdychowska in Centrum 1998, S. 156, Jahrebericht 1999, S. 1. Interview mit dem

Vorsitzenden der Regionalabteilung Danzig (Roman Michalik) März 1999 Danzig. Michalik ist Mitglied im Männerchor und bezeichnet diesen als einen Mittelpunkt des ukrainischen Lebens in Polen.

331 Jahresbericht 1997, S. 2, Jahresbericht 1998, S. 3, Jahresbericht 1999, S. 2. 332 Jahresbericht 1999, S. 2.

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Den faktischen Schwerpunkt der kinder- und jugendbezogenen Arbeit bildet jedoch das Bemühen um die Vermittlung der ukrainischen Spra­che für Kinder und Jugendliche aus der ukrainischen Minderheit. Dieses Bemühen drückt sich in politischer Lobbyarbeit gegenüber den entspre­chenden Behörden (den "Außenzielen" des Verbandes entsprechend) sowie in der Organisation von ukrainischem Sprachunterricht aus. Die­ser fand Mitte der 90er Jahre an über 70 Orten in ganz Polen statt. Der Unterricht wird zumeist als freiwillige Nachmittags-Veranstaltung von den regionalen und lokalen Gruppen des Bundes ehrenamtlich organi­siert.'" Es zeigt sich darin die Strategie der Selbsthilfe angesichts der in den Augen der Minderheit nicht ausreichenden staatlich gewährten Möglichkeiten schulischen minderheiten sprachlichen Unterrichts. Diese Strategie, nach Raschke eine typische Strategie Neuer Sozialer Bewe­gungen, ist bereits an anderer Stelle dieser Studie als typisches Vorge­hen von Minderheitenverbänden identifiziert worden.

Die Zeitschrift, die der Bund der Ukrainer in Polen herausgibt und die die zentrale verlegerische Tätigkeit dieser Organisation darstellt, ist ebenso wie im litauischen und slowakischen Altverband eine "ererbte" Aktivität des vormaligen Monopolverbandes. Die Wochenzeitung Nasze Slowo wurde 1956 gegründet und hat heute eine Auflage von 4.700 Exemplaren.334 Sie gilt als weitaus einflussreichste ukrainische Zeit­schrift, was sich mit der Funktion von Niwa, Ausra und tivot als den "Altzeitschriften" anderer Minderheiten deckt. Nasze Slowo wird zu­meist vollständig in ukrainischer Sprache publiziert. In der Berichter­stattung lassen sich zwei Schwerpunkte erkennen: Zum einen finden sich zahlreiche Berichte über Kulturveranstaltungen, Tagungen oder sonstige Veranstaltungen der ukrainischen Minderheit, zum anderen werden zahlreiche geschichtsbezogene Beiträge abgedruckt. Zudem existiert eine einseitige Rubik zur "Geschichte der Lemken", die geson­dert dieser ethnischen Gruppe gewidmet ist. Die historischen Beiträge der Zeitschrift sind sowohl auf die Geschichte der ukrainischen Minder­heit in Polen als auch auf die Geschichte der Ukraine selbst bezogen. Nicht selten finden sich auch Beiträge, die sich auf die Politik der Uk­raine oder Polens beziehen. 33S Auch diese Zeitschrift wurde - wie etwa

333 Berdychowska in Centrum 1998, S. 166 sowie Interview mit dem Regionalvorsit­zenden des Bundes von Stettin Henryk Kolodziej Mai 2000, Stettin und Besuch des dortigen ukrainischen Schulunterrichts als freiwillige Nachmittagsveranstaltung im ukrainischen Kulturhaus von Stettin, Mai 2000.

334 Chalupczak 1998, S. 79, GUS Wyznania 2000, S. 300. 335 Siehe hierzu Ausgaben von Nasze Siowo Nr. 23, 4.6.2000, Nr. 26,25.6.2000, Nr. 27,

7.2.2000, Nr. 28, 9.7.2000, sowie zudem Berdychowska in Centrum, S. 153.

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die weißrussische Zeitschrift Czasopis - Gegenstand von Kritik seitens eines nationalistisch orientierten Sejm-Parlamentariers, der der Zeit­schrift separatistische Tendenzen vorwarf. In einer Interpellation forder­te dieser Parlamentarier die Einstellung der staatlichen Subventionen für Nasze Slowo. In ihrer Reaktion vor dem Parlament lehnte die Regierung die Kritik des Abgeordneten jedoch mit dem knappen Hinweis ab, dass in Polen die Zeit der staatlichen Zensur vorbei sei. 336

Der oben erwähnten Strategie einer Initiierung von wissen­schaftlicher Beschäftigung mit der ukrainischen Minderheit kommt der Verband in vielfaltiger Hinsicht selbst nach. So wurden mehrfach Histo­riker-Konferenzen veranstaltet, im Jahr 1997 stand dabei beispielsweise die historische Aufarbeitung der Aktion "Weichsel" von 1947 im Vor­dergrund. 337 Zu den wesentlichen Publikationen eher geschichtswissen­schaftlichen Charakters zählt ein jährlicher ukrainischer "Almanach", der nicht nur die Geschichte der ukrainischen Minderheit in Polen auf­arbeitet, sondern sich gleichermaßen mit der Ukraine befasst. 33' Zudem findet sich auch in dieser Minderheit - ebenso wie in der weißrussi­schen Minderheit - das Phänomen, dass Historiker, die zur Geschichte der Minderheit forschen, selbst aktiv in deren Verbänden organisiert sind. In der ukrainischen Minderheit zählt dazu beispielsweise Roman Drozd, der als Historiker Vorsitzender der Bund-Regionalabteilung von Koszalin ist. 339

In Bezug auf die nach außen gerichteten Strategien des Verbandes fallt vor allem auf, dass der Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraincow w Polsce) auf dem zentralen politischen Parkett zu den ak­tivsten politischen Akteuren der Verbändelandschaft der Minderheiten in Polen zählt. Er ist beispielsweise in der Legislaturperiode zwischen

336 Interpellation Nr. 4613 Andrzej Zapalowski vom 6.9.2000 sowie Antwort des Mi­nisters für Inneres und Verwaltung - im Auftrag des Ministerpräsidenten - auf die Interpellation Nr. 4613 vom 20.10.2000, 3. Kadenz, Stenographische Berichte des Sejm, siehe dazu auch den Abschnitt über parlamentarische Verhandlungen zum Minderheitenthema.

337 Jahresbericht 1997, S. 5-7. 338 Jahresbericht 1999, S.9, Jahresbericht 1997, S. 5 und Berdychowska in Centrum

1998, S. 159. 339 Interview mit Roman Drozd, März 1999 Koszalin, sowie einige seiner

Veröffentlichungen: Drozd, Roman: Poczl\.tki integracji ludnosci ukrainskiej na Pomorzu Zachodnim, in: Sakson, Andrzej (Hrsg): Pomorze - trudna Ojczyzna?, Poznan 1996, S. 345-354 und Drozd, Roman: Ukraincy w Poisce w okresie przelom6w politycznych 1944-1981, in: Instytut Studi6w Politycznych Polskiej Akademii Nauk (Hrsg): Mniejszosci narodowe w Polsce. Panstwo i spoleczenstwo polskie a mniejszosci narodowe wokresach przelom6w politycznych (1944-1989), Warszawa 1998, S. 180-244.

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1993 und 1997 im Vergleich zu allen anderen Minderheitenverbänden Polens mit Abstand häufigster Gast in der Sejm-Kommission gewesen. Zu den Themen, die der Verband als seine "Interessen" in der Kommis­sion artikulierte, zählten neben Regelungen zum ukrainischen Schulwe­sen auch Fragen der Entschädigung von Ukrainern für die Aktion "Weichsel" und Möglichkeiten der Rückgabe enteigneter Besitztümer. Die häufige Anwesenheit dieses Verbandes in der Kommission bot dabei dem Bund auch immer wieder die Möglichkeit, seine Interessen unmit­telbar gegenüber verschiedenen Ministerien zu artikulieren.340 Diese Position des Bundes der Ukrainer in Polen als einer auf zentraler politi­scher Ebene agierender Interessenorganisation war seit 1993 zudem dadurch begünstigt, dass ihr Verbandsmitglied Miroslaw Czech sowohl Mitglied im Sejm als auch in der Minderheiten-Kommission war. Zwar betonte Czech, der als Kandidat der ukrainischen Minderheit durch einen Listenplatz der Freiheitsunion (UW) im Sejm vertreten war, in der Kommission nicht als Bund-Mitglied, sondern als Abgeordneter zu agie­ren341 - wodurch er sich von seinem weißrussischen Kommissions­Kollegen Syszewski unterscheidet, der gleichzeitig Vorsitzender der Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft ist. Jedoch lässt sich davon ausgehen, dass trotz dieses Versuchs einer Rollen-Differenzierung durch Czech für den Bund (Zwiqzek) praktische Vorteile aus seiner Kommissi­ons-Mitgliedschaft resultieren. Man kann somit feststellen, dass auch der Bund (Zwiqzek) über die Möglichkeit direkter interner Einflussnah­me auf die Sejm-Kommission verfügt.

Ein weiteres Indiz für die zentrale Rolle des Bundes der Ukrainer in Polen gegenüber staatlichen Institutionen ist die Tatsache, dass bei der Sitzung einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die der ukrainischen Minderheit gewidmet war, lediglich der Bund (Zwiqzek) und seine Mit­glieds verbände, jedoch nicht der selbständig agierende Bund der Ukrai­ner in Podlachien (Zwiqzek Ukrai/kow Podlasia) vertreten war. 342 Insge-

340 Siehe Bericht der Sejm-Kommission: Sejm Rzeczypospolitej Polskiej II kadencji (Hrsg.): Sprawozdanie Komisji Mniejszosci Narodowych i Etnicznych z dzialalnosci w okresie II kadencji Sejmu RP (1993-1997), Warschau 1997, S. 62-64, sowie beispielsweise Bulletins d. Sejm-Kommission für Minderheiten Nr. 61, 18.2.1997, 2. Kadenz, Nr. 24, 12.5.1995 2. Kadenz, Nr. 25, 18.5.1995, 2. Kadenz, Nr. 39, 32.2.1996, 2. Kadenz.

341 Aussage Czechs vor der Sejm-Kommission, Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 26, 20.6.1996, 2. Kadenz.

342 Siehe Interministerielle Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen, Protokoll der XIII. Sitzung vom 19. Januar 2001. Zwar ist auch möglich, dass der Bund der Ukrainer in Podlachien (Zwiqzek Ukraincow Podlasia) eingeladen war und sich entschuldigen musste, jedoch hat diese Organisation ebenfalls kein Protokoll dieser Sitzung erhal­ten (siehe Verteilerliste des Protokolls der XIII. Sitzung der interministeriellen Ar-

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samt kann jedoch die vorrangige Repräsentanz der ukrainischen Min­derheit durch nur einen Verband unter dem Aspekt möglicher Interes­sendurchsetzung auch zu positiven Effekten führen, indem sie zur Re­duktion von Komplexität in der Beziehung zwischen staatlichen Behör­den und Minderheit führt.

Innerhalb der politbezogenen Strategien spielt - wie bereits ange­deutet - der Aspekt der Medienrepräsentanz der ukrainischen Minder­heit für den Bund (Zwiqzek) eine große Rolle. Seine Versuche der Inte­ressendurchsetzung erstrecken sich dabei vor allem auf eine zentrale Behörde, den Nationalen Radio- und Fernsehrat, zu dessen Aufgaben die Berücksichtigung der Medienrepräsentanz von Minderheiten zählt. So initiierte der Bund beispielsweise 1999 ein Treffen dieser Behörde mit verschiedenen Vertretern von Medien und Minderheiten. Zudem ist der Bund-Generalsekretär gleichzeitig Redakteur des staatlichen ukrai­nischen Fernsehmagazins "Telenowyny".343 Anders als der weißrussische Bund (Zwiqzek), der zum Ausgleich einer defizitären Vertretung in der staatlichen Medienpolitik ein privates Radio gegründet hat, fokussierten sich die Strategien der Ukrainer somit nach wie vor auf Verbesserungen innerhalb des staatlichen Mediensystems.

Internationale Kooperationen stellen eine weitere Tätigkeit des Vor­standes dar. Dazu zählen vor allem Veranstaltungen in und mit der Uk­raine (etwa das Forum ukrainischer Diaspora in Kiew 1997 oder eine Konferenz für Ukrainischlehrer in Polen und der Ukraine 1999). Den­noch zeigt sich insgesamt ein breites Spektrum an Repräsentation des Vorstandes auf verschiedenen Tagungen, das über eine Ukraine­Orientierung hinausgeht, sei es auf Veranstaltungen der Friedrich-Ebert­Stiftung in Polen, der Nichtregierungsorganisation "Minority Rights Group" oder auch der OSZE.344

Der Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrainc6w w Polsce) charakterisiert sich somit durch folgende Faktoren: Der Verband trägt gleichermaßen Merkmale eines Mitgliederverbandes wie eines Dach­verbandes. Er zeichnet sich durch umfassende Aktivitäten seiner unteren Organisationseinheiten (Kreise und Regionalgruppen) aus, deren Tätig­keiten sich primär im Bereich des Erhalts traditioneller folkloristischer Elemente der ukrainischen Kultur bewegen. Durch Strategien der politi­schen Einflussnahme nimmt er Dachverbandsfunktionen wahr. In Er-

beitsgruppe für Minderheitenfragen im Brief von Unterstaatssekretär Stachanczyk Innen- und Verwaltungsministerium vom 7.3.2001).

343 Jahresbericht 1999, S.5, zudem Manuskript Tyma. Piotr: National minorities on public television programs in Poland, Warschau 1996.

344 Jahresbericht 1997. S. 7 f. Jahresbericht 1998, S. 7-11. Jahresbericht 1999. S. 9-12.

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mangelung einer speziellen Struktur für die Mitgliedsverbände zeigt sich diese Organisation jedoch eher als ein nach außen denn als ein nach innen gerichteter Dachverband. Dadurch offenbart sich in der uk­rainischen Minderheit eine gänzlich andere Ausprägung eines Dachver­bands als in der weißrussischen Minderheit mit dem Weißrussischen Bund in der Republik Polen. Zudem zeichnet sich der Bund der Ukrai­ner in Polen dadurch aus, dass sich seine Tätigkeit geographisch über weite Gebiete Polens erstreckt, was - wie bereits mehrfach erwähnt -eine Folge der zerstreuten Siedlungsweise der Minderheit ist und wo­durch er sich von den anderen in dieser Forschungsarbeit untersuchten Minderheiten unterscheidet. Vor diesem Hintergrund fällt besonders deutlich auf, dass diese Minderheit in der politischen Interaktion auf zentraler staatlicher Ebene durch die stärkste verbandliche Konzentrati­on und intensivste Interessenvertretungsarbeit gekennzeichnet ist.

3.1.2 Die Mitgliedsverbände des Bundes der Ukrainer

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Mitgliedsverbände des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraj,kow w Polsee ) gegeben werden. Diese bilden - wie im obigen Abschnitt beschrieben - innerhalb des Bundes sogenannte unterstützende Mitglieder. Unter diesen findet sich auch der einzige Frauenverband der in dieser Forschungsarbeit untersuchten Minderheitenverbände, der Bund der Ukrainerinnen (Zwi­qzek Ukrainek). Diese Organisation wurde 1990 gegründet und hat als primäres Ziel den Erhalt der ukrainischen Kultur, vor allem durch die Weitergabe von Sprachkenntnissen an jüngere Generationen.345 Als ein weiteres Ziel wird die Kooperation mit anderen ukrainischen Gruppen in der Diaspora bezeichnet; so ist der Bund der Ukrainerinnen (Zwiqzek Ukrainek) auch Mitglied im Weltbund Ukrainischer Frauenorganisatio­nen mit Sitz in Toronto.346 Der Verband hat ca. 300 Mitglieder und stellt damit unter den neu gegründeten Verbänden eine vergleichsweise große Organisation dar. Da der Sitz dieser Organisation in Warschau beim Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraifzcow w Polsce) angesiedelt ist, kann diese Organisation von der räumlichen Infrastruktur ihres Dachverbandes profitieren. Die wenig politische Ausrichtung dieses Frauenverbandes wird durch die Aussage der Vorsitzenden Katarzyna Sirocka mit der Feststellung auf den Punkt gebracht: "Politik ist Ange-

345 Interview mit der Vorsitzenden des Bundes der Ukrainerinnen (Zwiqzek Ukrainek), Katarzyna Sirocka, Dezember 2000 Warschau (im Folgenden zitiert Interview mit Sirocka).

346 Informator 1994, S. 136, Interview mit Sirocka.

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legenheit der Männer." So beschränkt sich die Arbeit des Verbandes etwa auf soziale Aktivitäten (beispielsweise die Teilnahme an der Initia­tive "Kinder von Tschernobyl") und überlässt Aspekte der Interessen­vertretung ukrainischer Minderheiteninteressen gänzlich dem Dachver­band. 347

Innerhalb des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraincow w Polsce) sind zudem zwei Jugendorganisationen organisiert, die Organi­sation Junger Ukrainer "Plast" (Organizacja Mlodziezy Ukraiflskiej "Plast") und der Unabhängige Bund der ukrainischen Jugend (Zwiqzek Ukrainskiej Mlodziety Niezaleznej) (letzterer wird im nächsten Ab­schnitt näher dargestellt). Beide Jugendverbände sind im Jahr 1990 registriert worden und zählen somit zu den frühen Neugründungen des intermediären Systems der polnischen Minderheiten. Sie umfassen je­doch eine unterschiedliche Mitgliederklientel. So ist die in Warschau gegründete Organisation "Plast" eine Pfadfinderorganisation, die auch mit dem Dachverband der polnischen Pfadfinder kooperiert. Aus der ukrainischen Pfadfinderorganisation rekrutiert sich zudem einer der zentralen Akteure des Dachverbands, denn ihr ehemaliger Vorsitzender, Piotr Tyma, ist seit einigen Jahren hauptamtlicher Generalsekretär des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraincow w Polsce). 341 Der Unabhängige Bund ist hingegen aus dem Danziger Studentenmilieu heraus entstanden.

Innerhalb des Mitgliederspektrums des Bundes der Ukrainer in Po­len (Zwiqzek Ukraincow w Polsce) finden sich zudem verschiedene sehr kleine, Anfang der 90er Jahre gegründete berufsständische Organisatio­nen, die auf der politischen Bühne der Minderheitenpolitik jedoch nicht eigenständig in Erscheinung treten. Zu diesen zählen ein 1991 gegrün­deter und nur 15 Mitglieder umfassender Klub der Rechtsanwälte (Klub Prawnikow), eine Ukrainische Ärzte-Gesellschaft (Ukrainskie Towar­zystwo Lekarskie) sowie eine Gesellschaft der Unternehmer (Stowarzys­zenie Przedsi'tbiorcow) - beide hatten Mitte der 90er Jahre jeweils ca. 45 Mitglieder.349

Hingegen existiert eine berufsständische Organisation mit einer größeren Mitgliedschaft und umfassenderer Tätigkeit, die Ukrainische Lehrer-Gesellschaft in Polen (Ukrainskie Towarzystwo Nauczycielskie w Polsce). Die Gründung dieser Organisation Anfang der 90er Jahre stellte eine Reaktion auf die neuen Möglichkeiten des minderheitensprachli­chen Unterrichts innerhalb des demokratisierten Polens dar. Das unmit-

347 Zwillzek: Ukrainey 1993, S. 293. 348 Zwillzek: Ukrainey 1993, S. 16,294 und 298. 349 Ebda., S. 294, 299 f. und 302, zudem Informator 1994, S. S. 137 und 139.

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telbare Ziel dieser Organisation war es, durch Selbstorganisation zur Verbreitung des minderheitensprachlichen Unterrichts beizutragen.lSO Zu den formalen Zielsetzungen und fixierten Strategien zählen zudem Fra­gen der Lehrerweiterbildung und der Ausarbeitung von Curricula für minderheitensprachlichen Unterricht sowie die Organisation von Frei­zeitaktivitäten für ukrainische Schüler.351 Faktisch bemüht sich der Ver­band vor allem um die Erstellung von Lehrmaterialien, da es an geeig­neten Lehrbüchern für ukrainischsprachigen Unterricht mangelt. Das zweite zentrale Problem stellt der Mangel an geeigneten Lehrern dar, so dass Weiterbildungsmaßnahmen und das Bemühen um die Beschäfti­gung von Lehrern aus der Ukraine selbst große Bedeutung für die Arbeit der Organisation haben.352 Durch die Herausgabe eines Jahrbuchs mit dem Titel "Pädagogisches Wort" mit einer Auflage von 300 Exemplaren sollen deswegen vor allem pädagogische Materialien für Lehrer des Minderheitenschulunterrichts verbreitet werden. 353

Den Schwerpunkt der Verbandsarbeit bildet Nordpolen, also die Ge­biete, in die die ukrainische Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden war. So hat der Verband seinen Sitz in Koszalin und verfügt über sieben Regionalgruppen, davon eine in dem kleinen Ort Bialy Bor, der eines der Zentren des ukrainischen Minderheitenschul­wesens darstellt. Insgesamt verfügt der Verband über knapp 120 Mit­glieder, ihm können jedoch nicht nur Lehrer beitreten, sondern alle, die sich beruflich oder ehrenamtlich mit Bildungsfragen beschäftigen.354

Neben diesen primär berufs orientierten Verbänden sind zudem ver­schiedene lokale Organisationen Mitglied im Bund der Ukrainer in

350 Interview mit dem damaligen Vorsitzenden der Ukrainischen Lehrer-Gesellschaft in Polen, Jaroslaw Hryckowian, März 1999 Koszalin (im Folgenden zitiert Interview mit Hryckowian).

351 Statut. Ukrainskie Towarzystwo Nauczycielskie w Polsce, Koszalin 1992 (im Fol­genden zitiert Statut Lehrer-Verband), Kapitel 11.

352 Interview mit Hryckowian. 353 GUS Wyznania 2000, S. 298, Aussage des Vorsitzenden Hryckowian vor der Sejm­

Kommission rur Minderheiten, Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 38,22.2.1996,2. Kadenz (im Folgenden zitiert Kommissionssitzung 22.2.1996).

354 GUS Wyznania 2000, S. 298, Statut Artikel 29 und 10. Der Vorsitzende des Verban­des hat jedoch 1996 vor der Sejm-Kommission betont, dass eigentlich alle Mitglie­der Lehrer seien und diese zudem in ca. 100 Schulen mit ukrainischsprachigem Un­terricht tätig seien. Letztere Angabe kann jedoch nicht zutreffen, da das Zentrale Statistikamt Polens für diesen Zeitraum lediglich ca. 70 Schulen mit ukrainischem Schulunterricht verzeichnet. Siehe Aussage des Vorsitzenden Hryckowian vor der Sejm-Kommission, Kommissionssitzung 22.2.1996 sowie Gl6wny Urzlld Sta­tystyczny (Hrsg.): Rocznik Statystyczny Rzeczypospolitej Polskiej 2000, Warschau 2000, S. 228.

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Polen. Zu diesen zählen die Gesellschaft "Ukrainisches Nationales Haus" (Stowarzyszenie "Ukraillski Dom Narodowy"), die in Przemysl angesiedelt ist und sich um die Rückgabe eines früheren ukrainischen Kulturhauses sowie um örtliche Kulturveranstaltungen bemüht,355 sowie eine weitere kleine Organisation, die sich für den Erhalt eines bestimm­ten Heimatmuseums einsetzt."6 Andere Ziele verfolgt hingegen die Ge­sellschaft der Ukrainer - Politische Gefangene der Stalinzeit (Stowar­zyszenie Ukraiflc6w - Wili!-zni6w Politycznych Okresu Stalinowskiego). Hierbei handelt es sich um eine Veteranen organisation ehemaliger Kämpfer der ukrainischen Aufstandsarmee UPA, die wegen ihrer Mit­gliedschaft in Polen später inhaftiert waren. Sie hatten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs für eine selbständige Ukraine gekämpft und waren dabei in Ostpolen auch gegen die polnische Zivilbevölkerung vorgegan­gen. Neben Verbands-Zielsetzungen, die die Pflege ukrainischer Solda­tenfriedhöfe oder die Sorge für kranke Kameraden betreffen, bemüht sich diese 1999 noch knapp 200 Mitglieder umfassende Organisation jedoch auch um das Gedenken an die UPA."7 Es handelt sich somit um einen Verband, der ein zwischen Polen und Ukrainer historisch umstrit­tenes Thema zum Gegenstand hat. Schließlich zählt es zu den negativen Stereotypen gegenüber der ukrainischen Minderheit, sie mit der Auf­standsarmee gleichzusetzen oder ihr die Schuld für die Verbrechen der UPA zuzuschreiben."·

Insgesamt verfügt der Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraiflc6w w Polsce) über fünfzehn ukrainische Mitgliedsverbände sowie einen lemkischen Mitgliedsverband, die Vereinigung der Lemken (Zjednoczenie Lemk6w). "9 Das Spektrum der ukrainischen Organisatio­nen ist somit deutlich größer als das der im weißrussischen Dachver­band organisierten Minderheitenorganisationen. Jedoch zeigen sich in der ukrainischen Minderheit auch einige kleine und lokale Verbände, die nur in sehr begrenztem Rahmen Tätigkeiten entfalten und die in den

355 Interview mit dem Vorsitzenden der Gesellschaft "Ukrainisches Nationales Haus", Miroslaw Sidor, Juli 2001 Przemysl.

356 Zwil\zek: Ukraiilcy 1993, S. 302, GUS Wyznania 2000, S. 297. 357 Zwiltzek: Ukraiilcy 1993, S. 297 f. und Informator 1994, S.141 sowie GUS

Wyznania 2000, S. 296. 358 Siehe die verschiedenen Diskussionen zum Thema in der Sejm-Kommission mit

Vertretern der ukrainischen Minderheit, in Bulletins d. Sejm-Kommission für Min­derheiten, 2. und 3. Kadenz, sowie Berdychowska in Centrum 1998, S. 175, die von einer "diametral entgegengesetzten" Geschichtsinterpretation der UPA durch Polen und Ukrainer ausgehen.

359 Aufzählung der ukrainischen Verbände aus Berdychowska in Centrum 1998, S. 146, sowie zudem Zwil\zek: Ukraiilcy 1993, S. 295 f.

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bei den existierenden offiziellen Auflistungen von Minderheitenverbän­den entweder gar nicht erwähnt sind oder für die keinerlei Tätigkeitsbe­schreibungen vorliegen. 360

3.1.3 Unabhängiger Bund der ukrainischen Jugend

Genese Mit dem Unabhängigen Bund der ukrainischen Jugend (Zwiqzek Ukrainskiej Mlodziezy Niezaleznej) soll eine Mitgliedsorganisation des Bundes der Ukrainer in Polen etwas genauer vorgestellt werden, da sie Tätigkeiten entfaltet, die für breitere Teile der polnischen Minderheiten­szene relevant sind. Der Unabhängige Bund der ukrainischen Jugend wurde bereits unmittelbar während des Systemwechsels im Februar ] 989 gegründet, jedoch erst im Herbst 1990 offiziell registriert. Diese Organisation war von Beginn an eine Initiative Danziger Ukrainer, und so fand auch die Gründungskonferenz vom Herbst 1989 mit ca. 40 Mitgliedern aus dem ukrainischen akademischen Milieu in Danzig statt.36l Es handelt sich bei dieser Organisation somit um einen neu gegründeten Verband, der sich in einem großstädtischen Milieu des ukrainischen Siedlungsgebietes in Nordwestpolen herausgebildet hat.

Struktur Der Verband verfügte Ende der 90er Jahre über rund 160 Mitglieder.362

Insgesamt bildet er damit eine vergleichsweise kleine Organisation, was fur neu gegründete Minderheitenverbände typisch ist. Die Mitglieder müssen zwischen 15 und 35 Jahren alt sein. Der Begriff "Jugend" ist also weit gefasst, und so bietet sich die Möglichkeit für personelle Kon­tinuitäten für ältere Führungseliten, die den Verband über einen länge­ren Zeitraum begleiten können.363 Der Verband verfügt über eine zwei­stufige Struktur von Regionalabteilungen und zentraler Ebene. 1999 existierten sieben Regionalabteilungen in Krakau, Breslau, Przemysl, Bialystok, Allenstein, Bialy Bor und Gorowo Hawiecki. Die letzten fünf Städte zählen zu den typisch ukrainischen Siedlungsgebieten in Polen, die ersten beiden Orte stellen größere Universitätsstädte dar, so dass

360 Siehe Informator 1994 und GUS Wyznania 2000. 361 Informationsblatt des Unabhängigen Bunds der ukrainischen Jugend (Zwiqzek

Ukrainskiej Mlodziezy Niezaleznej) Danzig 1999 (im Folgenden zitiert Informati­onsblatt ukrainische Jugend), Zwi~zek: Ukraincy 1993, S.16, Informator 1994, S. 137.

362 Zwi~zek: Ukraincy 1993, S. 298. 363 Statut ZWillZku Ukrainskiej Mlodziezy Niezaleznej, Danzig 1995 (im Folgenden

zitiert Statut Unabhängiger Bund), Kapitel UI.

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von einer gemischten Mitgliederstruktur von ländlicher und städtischer Mitgliedschaft auszugehen ist. 364 Die Regionalabteilungen verfügen ne­ben der Abteilungsversammlung über einen von dieser gewählten soge­nannten drei köpfigen Abteilungsrat, der de facto die Funktionen eines regionalen Vorstands ausfüllt. 365 Auf zentraler Ebene zeigen sich neben der Delegiertenversammlung ebenfalls ein zwischen dieser und dem Vorstand angesiedelter sogenannter "Rat" (dem jedoch keine Vorstands­funktionen zukommen) sowie eine Revisionskommission. Da die aus den Regionen entsandten Delegierten der Versammlung nicht unbedingt mit den Regionalvorständen identisch sein müssen, soll im Gremium des Rates (eine wortwörtliche Übersetzung wäre "Hauptrat") eine Ver­bindung zwischen dem zentralen Vorstand und den Regionalvorständen (also den sogenannten Abteilungsräten) geschaffen werden, so dass sich der Rat aus beiden Gruppen zusammensetzt. Da zudem auch die Leiter von verbandlichen Projekten und Initiativen in diesen Rat kooptiert werden können, handelt es sich hierbei insgesamt um ein vernetzendes Gremium mit weiten Kompetenzen. So obliegt dem Rat beispielsweise das Recht der Budgetaufstellung.366 Auffallend ist, dass die Amtsperiode aller Organe des Verbandes lediglich auf drei Jahre statt der in den an­deren analysierten Verbänden üblichen vier Jahre begrenzt ist. Es kann angenommen werden, dass dies der größeren Fluktuation in Jugendver­bänden (durch Studienplatzwechsel, Examina usw.) gerecht werden soll.361

Programmatik In den formulierten Zielsetzungen des Unabhängigen Bundes der ukrai­nischen Jugend zeigen sich zwei verschiedene Schwerpunkte von Zie­len. Zum einen will der Verband minderheitenbezogene Aktivitäten entfalten, Projekte für die ukrainischen Jugendlichen Polens und die gesamte ukrainische Minderheiten Polens initiieren. Zum anderen zei­gen sich Zielsetzungen, die nicht auf die eigene Minderheit bezogen sind, sondern auf die polnische Gesellschaft insgesamt. So will diese Organisation Jugendliche in den Prozess der Bildung einer polnischen Zivilgesellschaft einbinden, eine Verbesserung der Lebenssituation aller in Polen lebenden Nationalitäten erreichen und mit anderen Nichtregie­rungsorganisationen kooperieren. 368 Das Ziel ihrer Mitwirkung an der

364 Informationsblatt ukrainische Jugend. 365 Statut Unabhängiger Bund, Kapitel IV. 366 Ebda. Artikel 24. 367 Ebda. Artikel 16. 368 Ebda. Artikel 4.

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Etablierung einer polnischen Zivilgesellschaft bewertet der Verband selbst als eines der wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen der eigenen Organisation und anderen Minderheitenverbänden Polens. 369

Auch die fixierten Strategien zeigen diese Dichotomie von minder­heitenbezogenen und allgemein gesellschaftsbezogenen Vorhaben. Letz­tere erstrecken sich vor allem auf die Planung von Initiativen zur Verbreitung von Wissen über ukrainische Kultur und Geschichte und die ukrainische Minderheit. Die fixierten Strategien, die sich auf die Minderheiten beziehen, sind eher allgemein gehalten. So sollen etwa Kultur- oder Sportveranstaltungen organisiert werden. 370

Tätigkeit und Strategien Eine der zentralen Tätigkeiten des Verbandes bildet die Initiierung und Führung eines sogenannten Zentrums für Information Nationaler Min­derheiten (Osrodek Informacji Mniejszosci Narodowych), welches der Verband 1996 gegründet hat. Diese Einrichtung hat die Förderung zivil­gesellschaftlicher Aktivitäten der Minderheiten Polens, die Schaffung neuer Lobby-Organisationen der Minderheiten, die Artikulierung von Minderheiteninteressen sowie die Einflussnahme auf staatliches Han­deln gegenüber Minderheiten zum Ziel. Dies soll durch verschiedene Methoden erreicht werden: Zum einen durch Beratung und Unterstüt­zung von Nichtregierungsorganisationen (im besonderen von Minder­heitenverbänden), zweitens durch die Organisation von Leiterschulun­gen für Führungspersonen der Minderheitenverbände sowie drittens durch die Verbreitung von Informationen über Minderheiten durch loka­le und regionale Fernsehsender.37' Im Zentrum der Aktivitäten stehen jedoch die Leiterschulungen. So haben nach Angaben des Verbandes an den Veranstaltungen des Zentrums für Information Nationaler Minder­heiten zwischen 1996 und 1998 rund 90 Führungspersonen aus insge­samt 40 Minderheitenverbänden teilgenommen, um sich vor allem im Bereich der Antragstellung und Projektplanung unterweisen zu lassen. Diese Arbeit wird beispielsweise durch EU-Mittel (PHARE-Programm) ermöglicht.372

Es handelt sich bei diesem Zentrum um die einzige Initiative inner­halb der Minderheiten Polens, die versucht, aus einem Verband heraus

369 Interview mit Vorstandsmitglied Piotr Pawliszcze, März 1999 (im Folgenden zitiert Interview mit Pawliszcze), Danzig.

370 Statut Unabhängiger Bund, Artikel 5. 371 Werbeanzeige mit Selbstdarstellung des Osrodek Informacji MniejsZQsci Narodo­

wych in einer Ausgabe der ukrainischen Minderheitenzeitung Nad Buhom i Narwo­ju, Nr. 4-5 (26-27) 1996, S. 61.

372 Informationsblatt ukrainische Jugend.

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und minderheitenübergreifend die Arbeit der Minderheitenverbände zu stärken und somit zu professionalisieren. Denn diese Verbände werden -unter der zivilgesellschafsbezogenen Prämisse, die der Verband zugrun­delegt - als zentrale Träger der Minderheitenkultur und des Minderhei­tenschutzes gesehen. Der Unabhängiger Bund der ukrainischen Jugend stellt somit durch die Initiierung dieses Informationszentrums nicht nur eine Serviceleistung ftir andere Verbände zur Verftigung, sondern er hat damit auch strukturbildende Funktion für das intermediäre System der Minderheiten Polens. Dass eine solche Initiative von einem Jugendver­band ausgeht und nicht etwa von einem Dachverband oder einer min­derheitenübergreifenden Initiative, zeugt von einem ausgesprochen innovativen Strategienpotenzial des Unabhängigen Bundes der ukraini­schen Jugend.

Das Informationszentrum stellt jedoch nicht das einzige zivilgesell­schaftsbezogene Projekt des Verbandes dar. Zugleich hat dieser gemein­sam mit einer örtlichen Stiftung ebenfalls 1996 das Medienprojekt "Bürgerfernsehen" ins Leben gerufen. Dieses verfolgt drei Ziele: Ers­tens die Dokumentation und Verbreitung von zivilgesellschaftlichen und Minderheitenaktivitäten, zweitens die medienbezogene Professionalisie­rung vor allem von Minderheitenvertretern sowie drittens die Unterstüt­zung lokaler Fernsehproduktionen. Zu diesem Zweck hat das Projekt u.a. ein umfangreiches Videoarchiv über die Arbeit von Minder­heitenverbänden und anderen Nichtregierungsorganisationen aufgebaut, das die Entwicklung der Minderheiten Polens seit dem Systemwechsel dokumentieren soll. 373

Neben diesen Großprojekten kommt der Verband jedoch auch seinen kulturbezogenen Zielsetzungen nach und (mit)organisiert beispielsweise einen jährlichen "Jahrmarkt Ukrainischer Jugendlicher", bei dem ukrai­nische Jugendkultur präsentiert wird, das seit 1994 alle zwei Jahre statt­findende "Festival Nationaler Minderheiten", bei dem mehrere Minder­heiten Polens gemeinsam ihre Kultur in Danzig vorstellen, sowie eine jährliche Sommerwanderung durch Südostpolen (dem ursprünglichen Herkunftsgebiet der meisten ukrainischen Familien) ftir bis zu 200 uk­rainische Jugendliche. 37'

Mit diesem Tätigkeitsprofil hebt sich dieser Jugendverband von dem gängigen Strategienspektrum der in dieser Forschungsarbeit analysier­ten Minderheitenverbände ab. Denn die Projekte des Informationszent-

373 Ebda., Interview mit Pawliszcze. 374 Informationsblatt ukrainische Jugend.

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rums und des Bürgerfernsehens zeugen nicht nur von einem innovativen Vorgehen des Unabhängigen Bundes der ukrainischen Jugend, sondern vor allem von einem vergleichsweise hohen Reflexionsgrad innerhalb dieser Organisation hinsichtlich existierender Defizite bei den Minder­heitenverbänden in Polen, die sicherlich auch Folge eines Mangels an Erfahrung in einem noch jungen pluralistischen intermediären System sind.

3.1.4 Bund der Ukrainer in Podlachien

Genese Der Bund der Ukrainer in Podlachien (Zwiqzek Ukraifzc6w Podlasia) ist eine weitere ukrainische Organisation, die nicht Mitglied im Dachver­band Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraifzc6w w Polsee ) ist. Die Gründung dieses Verbandes im Frühjahr 1992 fallt in die Zeit der "Gründungswelle" von Minderheitenverbänden in der ersten Hälfte der 90er Jahre. 37S Seine Wurzeln hat der Verband jedoch - ebenso wie der heutige ukrainische Dachverband - in der vormaligen Monopolorganisa­tion Ukrainische Sozio-kulturelle Gesellschaft (Ukraifzskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne), die in den 50er Jahren in Podlachien eine regio­nale Gruppe dieses Verbandes gründete. 376 Als sich nach dem System­wechsel der Altverband im Sommer 1990 in den Bund der Ukrainer in Polen umgewandelt hatte, bildete sich nur wenige Monate später erneut eine podlachische Regionalgruppe. 377 Unter den neuen freiheitlichen Bedingungen hatte die Einheit dieser Organisation jedoch lediglich bis zum Frühjahr 1992 Bestand. Dann spaltete sich diese Regionalgruppe vom transformierten Altverband ab und gründete mit dem Bund der Ukrainer in Podlachien (Zwiqzek Ukraifzc6w Podlasia) eine eigene Organisation.378 Die heutigen Eliten dieses Verbandes erklären diese Separierung weniger mit interessen organisatorischen oder politischen Konflikten als vielmehr mit kulturellen Unterschieden zwischen den podlachischen Ukrainern und der Mehrheit der ukrainischen Minderheit in Polen, die im Dachverband organisiert ist. Zu diesen Unterschieden zählen die verschiedene religiöse Identität sowie der Umstand, dass

375 Informator 1994, S. 138. 376 Interview mit dem Vizebürgermeister und vormaligen Vorsitzenden des Bundes der

Ukrainer in Podlachien (Zwiqzek Ukrailk6w Podlasia) Jan Kiryziuk, Dezember 2000 Biels Po dia ski (im Folgenden zitiert Interview mit Kiryziuk).

377 Siehe Kalendarium in der Dokumentation, die der Bund (Zwiqzek) herausgegeben hat: Zwi~zek: UkraiIlcy 1993, S. 33 (im Folgenden zitiert Zwi~zek: Ukraincy 1993).

378 Ebda. S. 54.

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diese ukrainische Gruppe nicht von der Aktion "Weichsel" betroffen war. Die Ukrainer in Podlachien sind mehrheitlich orthodox und gehören somit - anders als das griechisch-katholische Gros der ukrainischen Minderheit - der weißrussisch geprägten Polnischen Autokephalen Or­thodoxen Kirche Polens an.'" Schon während der Gründung der podla­chischen Regionalabteilung des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraincow w Polsee ) 1990 zeigte sich anhand eines verabschiedeten Tätigkeitsprogramms dieser Regionalgruppe, dass der griechisch­orthodoxen Identität der dortigen Ukrainer große Bedeutung zugemes­sen wurde. Die Konferenz zur Gründung einer Regionalgruppe unter­strich "die bisherige Bedeutung des griechisch-orthodoxen Glaubens für die Bewahrung des kulturellen Antlitzes und für das Gefühl der Ei­genheit ukrainischsprachiger orthodoxer Bevölkerung in Podlachien ".380

Der Anteil ukrainischer Orthodoxer in Polen ist unklar. Auch die Minderheitenexpertin Bogumila Berdychowska kann hier nur mutmaßen und sich an Schätzwerten orientieren. Diese gehen von maximal bis zu einigen Zehntausend orthodoxen Ukrainern aus."" Der Bund der Ukrai­ner in Podlachien, der sich selbst als Repräsentant aller Ukrainer in Podlachien versteht, spricht insgesamt von bis zu 100.000 Ukrainern in der Region Podlachien, die primär orthodox seien. Diese Zahl scheint jedoch kaum realistisch, da die Ukrainer damit fast zwanzig Prozent aller orthodoxen Gläubigen Polens ausmachen würden (das Zentrale Statistikamt Polens ging für 1999 von 561.400 Orthodoxen in Polen aus).382

In Bezug auf die Region Podlachien vertritt Berdychowska jedoch auch die These, dass in dieser Region, deren Identität eigentlich primär weißrussisch ist, in der Tat seit Mitte der 80er Jahre eine ukrainische Bewegung zu verzeichnen sei. Über die derzeitige (religiöse) Identität dortiger Ukrainer und auch ihre Unterstützung für den Bund der Ukrai­ner in Podlachien ist nach ihren Angaben jedoch heute wenig bekannt.m

379 Interview mit Kiryziuk und mit der Vorsitzenden des Bundes der Ukrainer in Pod­laehien (Zwiqzek Ukraifzeow Podlasia), Maria Ryzyk, Dezember 2000, Bielsk Pod­laski (im Folgenden zitiert Interview mit Ryzyk).

380 Beschlüsse der Gründungskonferenz einer podlachischen Regionalabteilung des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraifzeow w Polsee) vom 23. Dezember 1990, abgedruckt in: Zwillzek: Ukraincy 1993, Dokument Nr. 51, S. 143 ff.

381 Berdychowska in Centrum 1998, S. 172. 382 Interview mit Kiryziuk und mit Ryzyk. Siehe auch Aussage von Kyriziuk vor der

Sejm-Kommission, Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 18, 21.6.1998,3. Kadenz. Zudem GUS Wyznania 2000, S. 38.

383 Berdychowska in Centrum 1998, S. 172.

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Auch der Soziologe Andrzej Sadowski, der durch Umfragen versucht hat, die ethnischen Identitäten in Nordostpolen zu ermitteln, erwähnt zwar die ukrainische Bewegung als neue Strömung in Podlachien, hin­gegen finden sich in seinen quantitativen Angaben zur Siedlungsstruktur dieser Region keinerlei Hinweise auf ukrainische Bevölkerungsanteile in den entsprechenden Gemeinden.38< Dies muss nicht unbedingt bedeu­ten, dass Ukrainer in Podlachien nicht in nennenswerter Anzahl leben, sondern könnte ebenso gut darauf verweisen, dass über die Lage dieser Minderheit im eigentlichen für seine weißrussische Minorität bekannten Gebiet Podlachien ein großes Wissensdefizit existiert.

Das zweite Unterscheidungsmerkmal, das die Vertreter des Bundes der Ukrainer in Podlachien im Unterschied zur Mehrheit der Ukrainer in Polen geltend machen, ist der Umstand, dass sie nicht als Folge der Aktion "Weichsel" in diesem Gebiet siedeln, sondern dort autochthon angesiedelt sind. Dadurch unterscheidet sich die Minderheitenidentität der podlachischen Ukrainer - vor allem ihre Beziehung zu dem Gebiet, in dem sie wohnen - nach Auffassung eines früheren Verbandsvorsit­zenden von der Mehrheit der polnischen Ukrainer, die in den vierziger Jahren innerhalb Polens vertrieben worden waren.385 Die organisatori­sche Einheit der ukrainischen Minderheit im Monopolverband war so­mit - nach dem Bewusstsein der im Bund der Ukrainer in Podlachien organisierten Ukrainer - in der Zeit der Volksrepublik dem repressiven Regime geschuldet, entsprach jedoch nicht der heterogenen Identität innerhalb der Minderheit. Indem der Bund der Ukrainer in Podlachien aus einer Regionalgruppe des Dachverbandes hervorgegangen ist, liegt somit bei diesem Verband eine Gründung durch Abspaltung vor, die innerhalb dieser Verbändeanalyse eine einmalige Form der Genese dar­stellt.

Struktur Der Verband weist eine zweigliedrige Struktur auf. Die unterste, grund­legende Einheit des Verbandes stellen Regionalabteilungen dar, die in ihrer Tätigkeit autonom sind und deren Organe eine Abteilungsver­sammlung und ein Abteilungsvorstand bilden. Letzterer wird von der Abteilungsversammlung gewähl1.386 Die Mitglieder sind in insgesamt fünf Regionalabteilungen organisiert, die sich in der Region von Bia­lystok befinden und somit in den "Kerngebieten" vorrangig weißrussi-

384 Sadowski in Kurz 1997, Graphik S. 24 f. und S. 35 f. 385 Interview mit Kiryziuk. 386 Zwillzek Ukrainc6w Podlasia. Statut. Bielsk Podlaski 2000 (im Folgenden zitiert

Statut Ukrainer Podlachien) Kapitel IV, Abschnitt B.

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scher Siedlungsstruktur liegen.387 Der Verband verfügte nach Angaben gegenüber dem Zentralen Statistikamt Polens im Jahr 1997 über 300 Mitglieder (für die Jahre 1998 und 1999 hatte der Verband gegenüber dieser Behörde keine Angaben mehr gemacht), was einer Verdoppelung der Mitgliederzahlen aus den Gründungsjahren entspräche. Die Minder­heitenexpertin Berdychowska schätzt die Zahl der Mitglieder hingegen lediglich auf 50. 388

Die Struktur des Verbandes besteht auf zentraler Ebene aus einer Versammlung, einem Hauptrat, einem Vorstand und einer Revisions­kommission. Die Versammlung als höchstes Organ des Verbandes, die alle vier Jahre einberufen wird, setzt sich aus Delegierten der fünf Re­gionalabteilungen zusammen. Ein Hauptrat agiert als höchstes Organ zwischen dem vierjährigen Sitzungsturnus der Delegiertenversammlung. Der Hauptrat hat zudem die Kompetenz, die Vorstandsmitglieder (mit Ausnahme des Vorsitzenden, der direkt durch die Versammlung gewählt wird) zu wählen."9

Programmatik Die Zielsetzungen dieses Verbandes lassen sich in kulturelle und poli­tik- bzw. rechtsbezogene Minderheitenschutzbemühungen unterschei­den. So will der Verband etwa erklärtermaßen politische Interessen der Minderheit gegenüber staatlichen Behörden vertreten. Als grundlegende Ziele gelten die Bewahrung des ukrainischen Nationalbewusstseins und die Entwicklung der Kultur der ukrainischen Minderheit in Podlachien. Bezüglich des Ziels der Kulturförderung findet sich im Zielekatalog -wie bei zahlreichen anderen Minderheitenverbänden auch - der Aspekt der Förderung von sogenannten Amateur-Künstlergruppen, die primär folkloristische kulturelle Traditionen der Minderheit pflegen. Zudem will er integrativ auf die ukrainische Bevölkerung in Podlachien wirken, unter anderem auf Basis ihrer orthodoxen Religion. Damit wird das Kriterium der orthodoxen Religionszugehörigkeit automatisch zum Kriterium podlachischer Ukrainer. Im Zusammenhang mit dem Ziel des Erhalts der orthodoxen Identität findet sich auch der Begriff der "ukrai­nischsprachigen Bevölkerung". Eine solche Abweichung von dem gän­gigen Minderheiten-Begriff existiert in keinem anderen der in dieser

387 Eine Abteilung befindet sich in Bialystok, eine in Bielsk Podlaski (wo der Verband seinen Sitz hat), weitere in Hajn6wka, Czeremcha und Orill. Dies sind Ortschaften, flir die Andrzej Sadowski eine mehr als 75-prozentige weißrussische Siedlungs­struktur festgestellt hat. GUS Wyznania 2000, S.38, Sadowski in Kurz 1997, Graphik S. 24 f.

388 Berdychowska in Centrum 1998, S. 146, GUS Wyznania 2000, S. 299. 389 Statut Ukrainer Podlachien, Kapitel IV, Abschnitt C.

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Arbeit analysierten Statuten (beispielsweise "litauischsprachig" oder "weißrussischsprachig"). Letztlich lässt eine solche Formulierung die ethnische Zugehörigkeit der in Frage kommenden Gruppe offen, jedoch kann man davon ausgehen, dass damit nicht gemeint ist, dass die ukrai­nische Bevölkerung in Podlachien durch diesen Verband lediglich als sprachliche Minderheit angesehen wird. Hingegen fällt vor dem Hinter­grund dieser sprachlichen Variante ein weiteres Mal die besondere Situ­ation dieser podlachischen Bevölkerungsgruppe auf. So handelt es sich bei der potentiellen Mitgliedschaft dieses Verbandes im doppelten Sinne um eine "Minderheit in der Minderheit". Nicht nur leben sie zum Teil in einem mehrheitlich von einer anderen Minderheit Polens besiedelten Gebiet, sie sind zudem gleichermaßen Minderheit in der eigenen Min­derheit, also der ukrainischen Bevölkerungsgruppe Polens, weil sie innerhalb dieser nochmals eine religiöse Minderheit darstellen. Sie ent­sprechen also keinem Raster, weder dem Bild eines Orthodoxen (ge­meinhin ein Weißrusse) noch dem Bild eines Ukrainers (zumeist grie­chisch-katholisch) - mithin eine doppelte Zwischenidentität.

In der Programmatik dieses Verbandes schlägt sich nicht nur die religiöse Verbindung zur weißrussischen Minderheit nieder, sondern auch die Ansiedlung der Minderheit nahe der weißrussischen Grenze. So will der Bund (Zwiqzek) nicht nur für das - in den analysierten Minderheitenorganisation verbreitete - Ziel guter Beziehungen Polens zur eigenen Titularnation tätig sein und somit eine Brückenfunktion zwischen dem eigenen Staat Polen und der Ukraine wahrnehmen. Zudem will sich der Bund der Ukrainer in Podlachien für gute ukrainisch-weißrussische Beziehungen einsetzten und sich somit um die Beziehung zu einem dritten Staat bemühen.

In den fixierten Strategien bildet das Vorhaben der Organisierung von kulturellen und anderen Veranstaltungen durch den Verband einen Schwerpunkt. Unter den weiteren kulturbezogenen fixierten Strategien finden sich allgemein gehaltene kulturbezogene Strategien. Sie weisen den typischen altruistischen Charakter von Verbandshandlungen auf, die nicht nur den eigenen Mitgliedern, sondern der gesamten Minderheit zugute kommen sollen. Auf die Erwähnung konkreterer Vorhaben, wie beispielsweise die Heraushabe einer Minderheitenzeitschrift, die zu den zentralen Tätigkeiten des Verbandes zählt, wurde verzichtet. Auffallend ist hingegen, dass der Aspekt der Interaktion mit staatlichen Einrichtun­gen vielfach Erwähnung findet. So will der Verband beispielsweise explizit seine Interessen gegenüber dem polnischen Bildungsministeri­um in Schulfragen wahrnehmen sowie sich beim staatlichen Hörfunk und Fernsehen für die Medienrepräsentanz der Ukrainer einsetzen. Ge-

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sonderte Erwähnung findet außerdem die angestrebte Kooperation mit der orthodoxen Kirche und anderen orthodoxen Organisationen in der Region Podlachien.:I9O

Tätigkeit und Strategien Als zentrales Tätigkeitsfeld zeigt sich auch in dieser Organisation ein­mal mehr die Herausgabe einer Zeitschrift. Seit Gründung des Verban­des 1992 existiert die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift Nad Bu­hom i Narwoju ("An Bug und Narew") mit einer Auflage von 1.700 bis 2.000 Exemplaren.391 Damit übersteigt die Auflage die Mitgliedschaft des Verbandes selbst; so dass die Zeitschrift für ein größeres Publikum gedacht ist - für die gesamte ukrainische Minderheit in Podlachien.

Die durchschnittlich 40 Seiten starke Zeitschrift ist überwiegend in ukrainischer Sprache gehalten, der polnische Sprachanteil beträgt 20 bis 40 Prozent; die ersten Ausgaben zeigten noch einen leicht höheren pol­nischen Sprachanteil. In einer jeweils sehr ausführlichen Rubrik wird primär über Ereignisse aus der Minderheit berichtet, etwa über Kultur­veranstaltungen. Einen großen Stellenwert nimmt auch eine Reihe zur Geschichte der Minderheit ein, die in jeder Ausgabe mehrere Artikel umfasst und sich mit der historischen Darstellung einzelner Ortschaften oder relevanter Personen aus der Minderheit beschäftigt. Diese Beiträge für die Aufarbeitung der eigenen Geschichte (der programmatische Titel der Rubrik heißt "Aus unserer Vergangenheit") gehen über die gängige Vorstellung vom Niveau einer "Heimatgeschichte" deutlich hinaus.

Einen ähnlich wichtigen Stellenwert haben auch Beiträge zur Min­derheiten-Literatur und -Poesie. Der orthodoxen Identität der Ukrainer dieser Region entsprechend wird zudem in jeder Ausgabe über Ereignis­se aus der orthodoxen Kirche berichtet. Insgesamt erscheint Nad Buhom i Narwoju vor allem im Vergleich zur slowakischen Zivot, die im fol­genden Abschnitt analysiert wird, als eine umfassende gesellschaftlich­kulturelle Zeitschrift, die professionell gestaltet ist. 392 Damit existiert innerhalb der ukrainischen Minderheit neben der sicherlich dominieren­den Wochenzeitung "Nasze Slowo", die der Altverband herausgibt, an­ders als in den "kleineren" litauischen und slowakischen Minderheiten

390 Statut Ukrainer Podlachien Kapitel H. 391 GUS Wyznania 2000, S. 299. 392 Siehe folgende Ausgaben von Nad Buhom i Narwoju: Ausgabe Nr. 3 (4) 1992, Nr.

5-6 (9-10) 1993, Nr. 1-2(17-18) 1995, Nr. 6 (22) 1995/1996, Nr. 4-5 (26-27) 1996, Nr. 1 (35) 1998, Nr. 3-4 (37-38) 1998, Nr. 6 (40) 1998, Nr. 1 (41) 1999, Nr. 2 (42) 1999, Nr. 4 (44) 1999, Nr. 5-6 (45-46) 1999, Nr. 1-2 (Nr. 47-48) 2000, Nr. 3 (49) 2000.

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eine weitere relevante Zeitschrift. Durch die Abspaltung des Bundes der Ukrainer in Podlachien ging somit mit der Pluralisierung der ukraini­schen Verbändelandschaft eine Pluralisierung der ukrainischen Presse­landschaft einher.

Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit des Verbandes liegt in der Organisation von Kulturveranstaltungen, im Schnitt liegt deren Zahl bei zehn pro Jahr.103 Gerade die Ausrichtung von Folklorefestivals bewertet die Vorsitzende Maria Ryzyk als ein wesentliches Element zum Kultur­erhalt, da diese die einzigen Möglichkeiten seien, um auch eine größere Anzahl von Interessierten mit der ukrainischen Kultur in Berührung zu bringen. Dies gilt vor allem für Jugendliche. Zudem fördert der Verband diverse sogenannte "Amateurgruppen", die sich mit traditionellem Ge­sang oder mit Instrumentalmusik befassen, und entspricht damit einem seiner wesentlichen kulturbezogenen Zielsetzungen.

Hingegen realisiert der Verband in wesentlich geringerem Maße die deutlich hervorgehobene Zielsetzung politischer Lobbyarbeit. Auf zent­raler Ebene tritt der Bund der Ukrainer in Podlachien kaum als Akteur auf. Innerhalb der Sejm-Kommission wird das Bild der ukrainischen Minderheit maßgeblich durch den Dachverband Bund der Ukrainer in Polen geprägt. So war in der Legislaturperiode von 1993 bis 1997 ein Vertreter des Dachverbandes 20 Mal in der Sejm-Kommission vertreten, nur einmal hingegen ein Vertreter des Bundes der Ukrainer in Podla­chien.394 Größere politische Aktivitäten lassen sich auf lokaler Ebene beobachten: Der Bund der Ukrainer in Podlachien nahm beispielsweise in einer gemeinsamen Wahlkoalition mit der weißrussischen Minderheit, dem Bündnis der demokratischen Linken (SLD) und anderen politischen Gruppen an den Lokalwahlen 1994 und 1998 in der Gemeinde Bielsk Podlaski teil. Der Wahlsieg dieser Initiative 1998 hatte zur Folge, dass der frühere Vorsitzende des Bundes der Ukrainer in Polen in dieser Gemeinde stellvertretender Bürgermeister wurde. lOS Dass sich die poli­tikbezogenen Strategien des Verbandes eher auf die regionale Ebene konzentrieren, zeigt auch die Teilnahme des Bundes der Ukrainer in Podlachien an der weißrussischen Protestaktion gegen die Politik regio-

393 Interview mit Kiryziuk. 394 Siehe Bericht der Sejm-Kommission: Sejm Rzeczypospolitej Polskiej 11 kadencji

(Hrsg.): Sprawozdanie Komisji Mniejszosci Narodowych i Etnicznych z dzialalnosci w okresie 11 kadencji Sejmu RP (1993-1997), Warschau 1997, S. 64.

395 Mironowicz Eugeniusz: Bialorusini w wyborach parlamentarnych i samorzlldowych w Polsee w latach 1989-1994, in: Instytut Europy Srodkowo-Wschodniej (Hrsg): Samoidentyfikacja mniejszosci narodowych i religijnych w Europie Srodkowo­Wschodniej. Problematyka prawna, Lublin 1998, S. 62-68, hier S. 68, Interview mit Kiryziuk.

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naler Behörden im "Brief der 14" vom Herbst 2000, eine Initiative, die im Abschnitt zu den weißrussischen Verbänden erläutert wurde und für den Bund der Ukrainer in Podlachien (Zwiqzek Ukrai1kow Podlasia) eine neue Form politischer Kooperation darstellte. 396 Die Strategien des Verbandes beziehen sich somit insgesamt primär auf die Kulturförde­rung für die ukrainische Minderheit in Podlachien. Politische Interakti­on und Lobbyarbeit fokussieren sich hingegen primär auf den lokalen und regionalen Rahmen.

Es handelt sich somit bei dieser Organisation um einen Verband, der nach eigenem Verständnis faktisch eine "Minderheit in der Minderheit" vertritt und bei dem damit eine spezielle Interessenlage die Basis der Interessenaggregierung bildet. Durch die gemeinsame Religion mit der weißrussischen Minderheit Podlachiens scheint die regionale Identität ebenso von Bedeutung zu sein wie die ukrainische Minderheiten­Identität. Aus diesem Grund beziehen sich auch die kooperativen Stra­tegien des Verbandes eher auf regionale Kooperationspartner als auf die ukrainische Minderheit insgesamt.

3.2 Die Intermediäre Sphäre der ukrainischen Minderheit

Innerhalb der obigen Verbändeanalyse ist deutlich geworden, dass die intermediäre Landschaft der ukrainischen Minderheit durch verschiede­ne Faktoren geprägt ist: Zunächst einmal zeigte sich, dass auch diese Minderheit durch eine parallele Existenz von Altverband und neu ge­gründeten Verbänden gekennzeichnet ist. Anders als in der weißrussi­schen Minderheit hat sich jedoch in der ukrainischen Minorität die vor­malige Monopolorganisation zu einem Dachverband für eine große Zahl von neu gegründeten Verbänden entwickelt. Dies zeigt, dass innerhalb der ukrainischen Minderheit dieser Altverband in keinster Weise diskreditiert ist, sondern über große Akzeptanz verfügt.

Allerdings muss ein genauerer Blick auf den Charakter der plurali­sierten Verbändelandschaft geworfen werden. So haben sich zwar 15 Verbände herausgebildet, die innerhalb des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrai1kow w Polsee ) organisiert sind (zudem existiert mit dem Bund der Ukrainer in Podlachien eine weitere Organisation, die nicht Mitglied ist), jedoch handelt es sich bei den neu gegründeten Verbänden innerhalb der Dachorganisation teilweise um sehr kleine und wenig aktive Gruppierungen. Einige von ihnen entsprechen entweder

396 Jestesmy zaniepokojeni, Ape1 da najwyzszych wladz paitstwowych, abgedruckt in: Przeghld Prawoslawny 12/2000, S. 38 f., Interview mit Ryzyk.

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dem Charakter einer lokalen Initiative (beispielsweise zum Erhalt eines Freilichtmuseums) oder dem eines kaum aktiven "Sofaverbandes" (Klub der Rechtsanwälte). Sieht man von diesen kleinen Initiativen ab, so erscheint auch das ukrainische intermediäre System insgesamt gemäßigt pluralisiert. Dabei fällt auf, dass sich mit der Gründung des Bundes der Ukrainer in Podlachien (Zwiqzek Ukrai1kow Podlasia) eine als solche empfundene ethnische Differenzierung innerhalb der Minderheit in einer Verbands gründung niedergeschlagen hat. Es zeigten sich dabei nicht die "typischen" Verbandsgründungsmotive wie politische Diffe­renzen oder klientelbezogene Gründe, vielmehr war hierbei das Krite­rium einer anderen kirchlichen Zugehörigkeit und der autochthonen Siedlungsweise ausschlaggebend.

Ein weiterer wesentlicher Faktor, der das intermediäre System der ukrainischen Minderheit charakterisiert, ist die vergleichsweise umfas­sende politische Interessenvertretung des Dachverbandes. Durch den relativ professionellen Umgang mit Politik und das intensive interes­senorganisatorische Handeln des Bundes der Ukrainer in Polen wird die ukrainische Minderheit insgesamt als geschlossene Gruppe mit homo­genen politischen Forderungen wahrgenommen. Die zerstreute Sied­lungsweise der Ukrainer bewirkt also in keiner Weise eine Schwächung der interessenpolitischen Geschlossenheit.

4. Slowakische Minderheit

Die slowakische Minderheit siedelt vor allem in ländlichen Gebieten nahe der slowakischen Grenze und unweit der Hohen Tatra. Es existie­ren zwei zentrale Siedlungsgebiete, Spisz und Orawa, in denen jeweils mehrere Dörfer (insgesamt 27) mit relevantem slowakischem Bevölke­rungsanteil bestehen. Die Bevölkerungsstruktur der slowakischen Min­derheit ist der Region entsprechend eher ländlich geprägt.391 Da diese bergigen Gegenden sowohl über keine ertragreichen landwirt­schaftlichen Möglichkeiten verfügen als auch wenig Industrie aufwei­sen, hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine Tendenz zur Emigration (mehrheitlich in die USA) sowie Abwanderungen in andere Regionen innerhalb Polens gegeben, beispielsweise in den 50er und 60er Jahren in

397 Okular, Marta: Zivot - organ Towarzystwa Kulturalnego Czech6w i Siowak6w w Polsce, jako obraz zycia tej mniejszosci narodowej w Polsce Ludowej, in: Towarzystwo Siowak6w w Polsce: Almanach VI, Siowacy w Polsce, Krakau 1999 (im Folgenden zitiert Almanach 1999), S. 87-136, hier S. 101.

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die Industriegebiete Schlesiens und nach Krakau, wo heute die Gesell­schaft der Slowaken in Polen ihren Sitz hat.'98

Das slowakische Siedlungsgebiet gehört erst seit den 1920er Jahren zu Polen. Im Zuge der Nationalstaatsbildungen im Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit entstanden zahlreiche Grenzkonflikte; solche führte das soeben unabhängig gewordene Polen unter anderem mit der Sowjet­union im polnisch-sowjetischen Krieg, in dem Polen territoriale Gewin­ne verbuchte. Die Dörfer, in denen die heutige slowakische Minderheit lebt, gehörten zu dem zwischen der Tschechoslowakei und Polen stritti­gen sogenannten "Teschener Gebiet", auf das beide Staaten Ansprüche erhoben. Im Unterschied zu den polnischen Gebietszuwächsen an der Ostgrenze zählt der Ausgang dieses Grenzstreits jedoch zu den Misser­folgen der polnischen Expansionsbemühungen der Zwischenkriegszeit. Nach dem Ersten Weltkrieg entschied man sich vielmehr (gegen den polnischen Vorschlag eines Referendums der örtlichen Bevölkerung) für eine Teilung des Gebiets, wobei Polen lediglich den kleineren und ärme­ren Ostteil Teschens erhielt (mit den Gebieten Spisz und Orawa) und die Tschechoslowakei den größeren und durch Berg- und Hüttenwerke wertvolleren Westen (indem je ein Viertel der Bevölkerung Polen und polnischsprachige Schlonzaken waren). Historisch wird dieser Grenz­konflikt, der letztlich bis zu einer erneuten Entscheidung der Boschaf­terkonferenz 1924 schwelte, als ein im Verhältnis zum tatsächlichen Umfang der strittigen Gebiete stark aufgeladener Konflikt bewertet. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte Teschen zur Slowakischen Republik, jedoch fiel in den Verhandlungen zwischen Polen und der Tschechoslowakei nach Ende des Zweiten Weltkrieg die Entscheidung für die Beibehaltung der Grenzverteilung aus der Zwischenkriegszeit, so dass die Teilung des "Teschener Gebiets" zum dauerhaften Zustand wurde. 399 Zwar wurde 1947 ein polnisch-tschechoslowakischer Vertrag geschlossen, in dem auch Verbesserungen für die jeweiligen Minderhei­ten im anderen Land (Schulsprachen, Organisationsgründungen etc.) zugestanden wurden, jedoch kam es im polnischen Teil des Gebiets im

398 Lodzinski Slawomir: Siowacy w Polsce, in: Centrum Stosunk6w Miydzynarodowych Instytutu Spraw PubIicznych (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 (im Folgenden zitiert Lodzinski, Siowacy in Centrum 1998), S. 231-250, hier S. 232.

399 Siehe Hoensch, Jörg: Geschichte Polens 1990, S. 256 f. und S. 292 sowie Cill.gwa, J6zef: Siowacka mniejszosc narodowa w Polsce w latach 1920-1996, in: Kurcz, Zbigniew (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce, Breslau 1997 (im Folgenden zitiert Ciltgwa in Kurz 1997), S. 181-204, hier S. 181.

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Verlauf der Jahrzehnte immer wieder zu lokalen Streitigkeiten zwischen Mehr- und Minderheit.400

Bei der slowakischen Minderheit handelt es sich somit, im Vergleich zu den anderen in dieser Studie analysierten Minderheiten, um eine relativ "junge" Minderheit in Polen, die erst (mit Unterbrechung) seit etwa 80 Jahren innerhalb der polnischen Staatsgrenzen siedelt.40! Die Slowaken in Polen stellen trotzdem eine auf ihrem Gebiet autochthone Bevölkerungsgruppe dar, die diese Gegend bereits seit Jahrhunderten besiedelt. 402 Schätzungen zur derzeitigen Gesamtzahl der Slowaken in Polen weisen Schwankungen auf. Die Sejm-Kommission für Minderhei­ten schätzte 1995 die Anzahl auf 10.000 bis 20.000.403 Da zwischen Po­len und der Tschechoslowakei Anfang der 90er Jahre ein Vertrag über gute Nachbarschaft, Solidarität und freundschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen wurde, indem der Schutz der jeweiligen Minderheiten garantiert wird (siehe den entsprechenden Abschnitt über bilaterale Verträge Polens im Kapitel über das Rechtssystem), kann sich die slo­wakische Minderheit in Polen auf bilaterale Minderheitenschutzbestim­mungen berufen.

4.1 Die Gesellschaft der Slowaken in Polen

Obwohl die slowakische Minderheit von ähnlicher Größe ist wie die litauische Minderheit, in der nach dem System wechsel in den 90er Jah­ren eine kleinere Anzahl von Verbänden entstanden ist, existiert inner­halb der slowakischen Minderheit nach wie vor lediglich ein einziger Verband, die Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towarzystwo Slo­wak6w w Polsee ). Damit stellt die slowakische Minderheit eine Aus­nahme innerhalb dieser Studie dar, und es kann in diesem Fall schwer­lich von einem "intermediären System" im eigentlichen Sinne die Rede sein. Bei der im Folgenden zu untersuchenden Gesellschaft handelt es

400 Lodzinski, Slowacy in Centrum 1998, S. 235. 401 Im ungarischen Minderheitenschutz würde eine solche Minderheit beispielsweise

nicht unter das Minderheitenschutzgesetz fallen, weil eine "Mindestsiedlungsdauer" von 100 Jahren Bedingung damr ist. Siehe Nolte, Georg: Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Ungarn, in: Frowein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rainer, Oeter, Stefan (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäischer Staaten, Teil 2, Berlin u.a. 1994, S. 501-536, hier S. 511.

402 Lodzinski, Slowacy in Centrum 1998, S. 232. Siehe auch Cillgwa, Elzbieta; Cillgwa J6zef: ZaIoh spBskych miest, in: Towarzystwo Spoleezno-Kulturalne CzeehOw i Slowakow w Polsee (Hrsg.): Almanach Slowacy w Polsce, Krakau 1993 (im Folgenden zitiert Almanach 1993), S. 24-38.

403 Informator 1994, S. 9.

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sich um den traditionellen Monopolverband der slowakischen und vor­mals auch tschechischen Minderheit.

Genese Obwohl die Slowaken in Polen 1947 und 1949 zunächst verschiedene Verbände in den Gebieten Spisz und Orawa gegründet hatten, waren sie ab 1956 gemäss der staatlichen Regulierungspolitik gegenüber den Minderheiten gezwungen, gemeinsam mit den Tschechen nur noch eine Organisation, die Sozio-Kulturelle Gesellschaft der Tschechen und Slo­waken in Polen zu unterhalten.404 Die Kräfte aus den zwangsweise aufge­lösten slowakischen Organisationen gingen in die Gesellschaft als star­ke Regionalgruppen ein. Ende 1960 umfasste die Organisation ca. 4.900 Mitglieder mit 13 Regionalgruppen. Nach Ansicht des polnischen Min­derheitenexperten Slawomir Lodzinski war dies der Höhepunkt der organisatorischen Entwicklung der tschechischen und slowakischen Minderheit.405

Auch wenn die Organisation sich 1995 auf ihrer IX. Hauptversamm­lung in Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towarzystwo Slowak6w w Polsce) umbenannte, blieb die ethnische Zusammensetzung der Mitglie­der erhalten, weil auch die wenigen Tschechen weiterhin Mitglieder dieses Verbandes bleiben konnten. Ihnen wurde die Möglichkeit gebo­ten, einen sogenannten tschechischen Klub innerhalb des Verbandes zu eröffnen. Die zahlenmäßigen Schätzungen der Mitglieder dieses Ver­bandes variieren. Die Parlamentskommission schätzte deren Zahl Mitte der 90er Jahre auf 3.500 Slowaken und 105 Tschechen.406 Die Selbstan­gaben des Verbandes schwanken. So hat die Gesellschaft gegenüber dem Zentralen Statistikamt Polens 1997 eine Mitgliederzahl von 3.316 Mit­gliedern genannt, ihr Vorsitzender J6zef Cietgwa geht hingegen von 4.000 Mitgliedern aus. 407

Struktur Unabhängig davon, welche dieser Angaben zutreffender ist, weist diese insgesamt hohe Mitgliederzahl auf ein zentrales Charakteristikum des Verbandes hin: Er verfügt über eine "ererbte" Mitgliederstruktur. Wie bereits anhand anderer Verbände gezeigt werden konnte, weisen ledig­lich die vormaligen Monopolorganisationen Mitgliederzahlen auf, die mehrere Hundert übersteigen (eine Ausnahme stellt der weißrussische

404 Lodzinski, Siowacy in Centrum 1998, S. 236 f. 405 Ebda., S 237. 406 Informator 1994, S. 106, Lodzinski, Siowacy in Centrum 1998, S. 237. 407 Cillogwa in Kurz 1997, S. 184, GUS Wyznania 2000, S. 312.

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Bund als neuer Dachverband dar). Die nach 1989 neu gegründeten Ver­bände konnten keine umfassenderen Mitgliederkontingente rekrutieren.

Zudem zeigt sich, dass die Gesellschaft (Towarzystwo) - im Unter­schied zu den vormaligen litauischen und ukrainischen Monopolorgani­sationen - relativ lange an ihrem überkommenen Verbands-Namen fest­gehalten hat und den "Einheitsnamen" aus kommunistischer Zeit ("so­zio-kulturelle Gesellschaft), erst Mitte der 90er Jahre abgelegt hat. Die Gesellschaft verfügt über eine dreistufige Struktur von Kreisen, Regionalabteilungen und einer zentralen Ebene. Die bei den unteren Ebenen sind nach der auch in anderen Minderheitenverbänden gängigen Struktur von Kreis- bzw. Abteilungsversammlung, Kreis- bzw. Abteilungsvorstand und jeweiliger Revisionskommission mit einem jeweils vierjährigen Sitzungs- bzw. Amtszeitturnus strukturiert.408 Trotz der relativ hohen Mitgliederzahl verfügt die Gesellschaft jedoch ledig­lich über zwei Abteilungen, die jeweils die hauptsächlichen Siedlungs­gebiete der Slowaken Spisz und Orawa umfassen. Auch die allergrößte Mehrzahl der Kreise konzentriert sich auf diese Gebiete und befindet sich somit in der heutigen Wojewodschaft Kleinpolen. Jedoch existiert -neben einem Kreis in Krakau - zudem ein Kreis in der Hauptstadt War­schau. Einige Kreise bestehen auch in Schlesien, wo die Ansiedlung von Slowaken eine Folge ihrer Binnenmigration ist. Die insgesamt 36 Kreise verfügen jeweils über durchschnittlich knapp hundert Mitglieder."'" Grundsätzlich hält das Statut zusätzlich zur Mitgliedschaft von Einzelpersonen auch die Option von Gruppenmitgliedschaften offen, die vor allem für den sogenannten "Tschechischer Klub" in der Gesellschaft gedacht ist. 410

Auch die Struktur der zentralen Ebene folgt im Wesentlichen gängi­gen Mustern. So agieren als zentrale Organe eine sogenannte nationale Versammlung, ein Vorstand, eine Revisionskommission und ein Kolle­gialgericht. In die nationale Versammlung als höchstes Organ entsenden sie nicht nur die Abteilungsebene, sondern auch die Kreise ihre Vertre­ter, zudem sind in ihr Repräsentanten des "Tschechischen Klubs" stimmberechtigte Mitglieder. Als gängiges Strukturmerkmal auf zentra­ler Ebene zeigt sich zudem, dass der durch die nationale Versammlung gewählte Vorstand ein größer angelegtes Gremium mit 25 bis 30 Mit­gliedern ist und die laufenden Geschäfte durch ein aus seinen eigenen Reihen gewähltes kleineres Führungsgremium geführt werden, ein ma-

408 Statut Towarzystwa Siowak6w w Polsce, Krakau o. Jahr (im Folgenden zitiert Statut Towarzystwa) Kapitel IV und V.

409 GUS Wyznania 2000, S. 312, Anhang zum Statut towarzystwa, S. 69. 410 Ebda., Kapitel III.

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ximal elfköpfiges Präsidium. Der Vorstandsvorsitzende wird hingegen nicht aus den Reihen des Präsidiums bestimmt, sondern direkt durch die nationale Versammlung legitimiert.4Il Zudem sei noch kurz auf das Eli­tenprofil des Verbandes verwiesen. Ein wesentliches Charakteristikum ist, dass der Verband über die Position eines hauptamtlichen General~ sekretärs verfügt, die bereits seit über acht Jahren mit Ludwig Molitoris besetzt ist. Dadurch ist eine große Kontinuität in der Außenrepräsentati­on des Verbandes gegeben, da die politische Repräsentation des Verban­des primär durch diesen hauptamtlichen Mitarbeiter und weniger durch den ehrenamtlichen Vorstand vorgenommen wird. 4l2

Programmatik Die Gesellschaft der Slowaken hat sich in ihrem Statut folgende Ziel­setzungen gegeben: Zunächst verfolgt sie eine explizite Bündelungs­funktion, indem sie den "Zusammenschluss aller an der slowakischen Kultur Interessierten, insbesondere der Mitglieder der slowakischen Minderheiten" anstrebt. Dieses Ziel entspricht dem Status des Mono­pol verbands, den die Gesellschaft innerhalb der slowakischen Minder­heit einnimmt. Prinzipiell kann ihr die Bündelung solcher Kräfte somit gelingen.

Als "Basis-Ziel" kann sicherlich das Vorhaben gelten, die slowaki­sche Kultur zu erhalten und zu entwickeln. So strebt der Verband die Unterstützung von sogenannten "Amateurgruppen" sowie die Förderung minderheitensprachlichen Unterrichts an. Zudem soll das "slowakische Lesen" innerhalb der Minderheit sowie generell die Erwachsenenbil­dung gefördert werden.4l3 Der Zielekatalog der Gesellschaft weist insge­samt das gängige "Muster" einer wenig politischen und stark kulturbe­zogenen Ausrichtung des Verbandes auf, dabei zeigt sich eine schul­bzw. bildungsbezogene Prioritätensetzung.

Die fixierten Strategien des Verbandes fokussieren sich dementspre­chend auf kulturelle Aktivitäten. So sollen vor allem verschiedene Arten von Kursen (Sprach- und Bildungskursen sowie beispielsweise auch "praktische Kurse für Frauen") organisiert, Vorträge, Diskussionen, Festivals u.ä. zur Pflege der slowakischen (und der polnischen) Kultur veranstaltet werden. Da die Gesellschaft über eine eigene Druckerei

411 Ebda., Kapitel IV. 412 Siehe die Darstellung des Verbandes durch den Generalsekretär Molitoris vor der

Parlamentskommission, Bulletins d. Sejm-Kommission ftir Minderheiten, Nr. 23, 5.4.1995,2. Kadenz; Nr. 22,14.3.1995,2. Kadenz; Nr. 28,15.12.1998,3. Kadenz. Schülerzahlen aus: Statistisches Jahrbuch der Republik Polen 2000, Warschau 2000, S.228.

413 Statut towarzystwa Kapitel H.

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verfügt, finden sich zudem Verweise auf wirtschaftliche und verlegeri­sche Aktivitäten als Strategie.4l4 Obwohl die Herausgabe der 1958 ge­gründeten slowakischsprachigen Zeitschrift Zivot zu den zentralen Tä­tigkeiten des Verbandes zählt, wird sie jedoch - anders als die Heraus­gabe von Minderheitenzeitschriften in anderen Statuten - im Strategien­katalog nicht erwähnt.415 Insofern bleibt die formale Beziehung zwischen Verband und Zeitschrift - beispielsweise Fragen der Einstellung von Redakteuren und der Dienst- und Fachaufsicht - zumindest auf der Ebe­ne des Statuts ungeklärt. Als einzige explizit formulierte politische Stra­tegie findet sich ein Verweis auf die Verpflichtung zur politischen Lob­byarbeit durch Kooperation mit staatlichen Organen und anderen Ver­bänden hinsichtlich des Schutzes der slowakischen Minderheit.416

Die Programmatik der Gesellschaft legt somit einen Schwerpunkt auf den Erhalt der Minderheiten-Identität und Minderheiten-Kultur. Ziele und fixierte Strategien sind insgesamt sehr allgemein gehalten und zeigen dadurch den Charakter eines nicht unmittelbar nach dem Sys­temwechsel entstandenen Statuts, da auf die Einbeziehung sehr spezielle Vorhaben (wie in weißrussischen Statuten beispielsweise der Bau kon­kreter Museen u.ä.) verzichtet wurde. Der wenig politische Charakter der Zielsetzungen entspricht hingegen dem Typus auch der in früheren Demokratisierungsetappen gegründeten Verbände.

Tätigkeit und Strategien Die Tätigkeit des Verbandes lässt sich in zwei Bereiche unterteilen: Zum einen in "typische" Aktivitäten im Kulturbereich und zum anderen in Unternehmungen auf eher konfliktgeladenen Gebieten des Minderhei­tenschutzes, also in Schul- oder Kirchenfragen. Dementsprechend ließen sich diese beiden Tätigkeitsfelder auch als kreative Unternehmungen einerseits sowie als reaktive Aktivitäten andererseits bezeichnen.

Zum ersten Tätigkeitsfeld gehören die zahlreichen Kulturveranstal­tungen, die der Verband vor allem auf lokaler Ebene organisiert. So

414 Sie konnte die Druckerei mit einer einmaligen größeren Fördersumme einrichten, die die Regierung von Tadeusz Mazowiecki 1990 an die Minderheiten zahlte. Da­von kaufte der Verband zudem ein Haus im Zentrum von Krakau, in dem die Verbandszentrale ihren Sitz hat. Molitoris, Eudomfr: Slicasne vydavatel'ske problemy casopisu Zivot, organu Spolku Siovakov v Pol'ski, in: Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towarzystwo Slowak6w w Polsce), Almanach Siowacy w Poisce VI, Krakau 1999 (im Folgenden zitiert Molitoris 1999, der Allmanach wird im Folgenden zitiert Almanach 1999), S. 13-32, hier S. 18 f.

415 Siehe zur Bedeutung von Zivot für den Verband die Ausgabe des slowakischen Almanachs anlässlich des vierzigjährigen Bestehens der Zeitschrift, Slowakischer Almanach VI, 1999.

416 Statut towarzystwa Kapitel H.

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unterhalten die lokalen Kreise des Verbandes verschiedene Musik-, Gesangs- sowie Amateurtheatergruppen, die zumeist die traditionelle Minderheitenkultur pflegen.417 Die Förderung dieser Gruppen und die Beauftragung sogenannter "Instrukteure", die diese Gruppen anleiten, wertet der Generalsekretär Ludomir Molitoris als eine der wesentlichen Kulturaktivitäten des Verbandes. 418 Obwohl auch die Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towarzystwo Slowak6w w Polsce) über räumliche Infrastrukturprobleme klagt, verfügt sie doch über rund zwei Dutzend sogenannte Kulturräume in den beiden Regionen Spisz und Orawa. Auch für diesen Verband ist allerdings der Erhalt einer solchen Infra­struktur schwierig, da Kosten für Miete, Strom usw. nicht durch die Subventionen des Kulturministeriums gedeckt werden, das lediglich die einzelnen Kulturveranstaltungen fördert. 419 Dass diese Förderbestim­mungen zu einem der Grundprobleme der Minderheitenverbände zählen, ist bereits bei anderen Verbände-Analysen deutlich geworden.

Zu den bedeutendsten großen Kulturveranstaltungen, die die Gesell­schaft (Towarzystwo) (mit-)organisiert, zählen ein jährliches Theaterfes­tival, ein Festival für Folkloregruppen sowie ein regelmäßig stattfin­dender "Tag der slowakischen Kultur in Polen".420 Obwohl auch dieser Aspekt im Zielekatalog des Statuts fehlt, wird in einer Selbstdarstellung des Verbandes der Austausch mit der Slowakei ebenfalls als wesentli­cher Aspekt der Arbeit aufgeführt.421 Dies geschieht primär durch eine slowakische Organisation für Auslandsslowaken, die sich "Mutterland Slowakei" nennt und im slowakischen Bratislava angesiedelt ist. Mit ihr bestehen unmittelbare Kooperationen in Fragen der Beschaffung von Lehrbüchern, Hilfen bei kulturellen Veranstaltungen, Vergabe von Sti­pendien u.ä.422

Die Zeitschrift Zivot stellt im Tätigkeitsspektrum des Verbandes -wie bei den anderen Monopolorganisationen auch - ein zentrales Konti­nuum zur Tätigkeit der Monopolorganisation vor dem Systemwechsel dar. Die Gründung von Zivot war eine Folge der Lockerung der staatli-

417 Spolok Siovakov v Pol'sku: Almanach. Siowaci v Pol'ski. Slowacy w Poisce UI (gemeinsam herausgegeben mit Krajanske muzeum Matice slovenskej. Bratislava), Krakau 1995 (im Folgenden zitiert Almanach 1995), S. 90.

418 Aussage Molitoris Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 23, 5.4.1995,2. Kadenz.

419 LodziIlski, Siowacy in Centrum 1998, S. 245 und Aussage Molitoris vor der Parla­mentskommission, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 22, 14.3.1995,2. Kadenz.

420 Lodzinski, Siowacy in Centrum 1998, S. 245. 421 Almanach 1995, S. 85. 422 Lodzinski, Siowacy in Centrum 1998, S. 239.

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chen Minderheitenpolitik in der zweiten Hälfte der 50er Jahre, als neben dem Prinzip "eine Minderheit - eine Organisation" (Andrzej Sakson) jeweils auch die Existenz einer Minderheitenzeitschrift gefördert wur­de. 423 Nach dem Systemwechsel ging auch diese Zeitschrift vom staatli­chen Monopolverlag auf die Gesellschaft (Towarzystwo) über"24 Doch so wenig es zur pluralistischen Entwicklung einer slowakischen Verbände­landschaft gekommen ist, so wenig hat sich die Medienlandschaft der Minderheit nach dem Systemwechsel pluralisiert. Somit ist Zivot bis heute das einzige Presseorgan der slowakischen Minderheit und hat dementsprechend eine zentrale Stellung für den Erhalt der Minderhei­tenkultur . 425

Es handelt sich bei der Zeitschrift Zivot um eine Monatszeitschrift, die fast vollständig in slowakischer Sprache zumeist über Ereignisse aus der Minderheit informiert. Ihre Auflage liegt bei ca. 2.300 Exemplaren, deren Abonnenten zumeist Mitglieder der Gesellschaft sind"26 Zivot zählt damit zu den großen Zeitschriften der in dieser Studie analysierten Minderheiten und konnte stets von der "ererbten" Mitgliedschaft der Gesellschaft profitieren. Der Inhalt der Zeitschrift stellt ein Kaleidoskop von Themen dar, die für die slowakische Minderheit von Interesse sind. So finden sich zwar auch Berichte über Veranstaltungen des Verbandes, über dessen Kulturfestivals oder Konferenzen, diese nehmen jedoch -obwohl sie als einzige farbig gedruckten Teile der Zeitschrift deutlich abgehoben sind - nicht den größten Raum ein. Hingegen dominieren Informationen über gesellschaftliche Ereignisse innerhalb der Minder­heit, etwa über ein neu es Schulgebäude in einer Ortschaft, die Gründung eines neuen Unternehmens, oder auch über eine Goldene Hochzeit, von der durchaus schon einmal auf einer ganzen Seite berichtet wird. Einen festen Platz hat zudem eine zweiseitige Rubrik für Kinder, für die das slowakische Lesen umso bedeutsamer ist, da die Sprachfahigkeit bei den jüngeren Generationen in allen Minderheiten abnimmt. Einen auf­fallenden Unterschied zu anderen Minderheitenzeitschriften bildet eine mehrseitige Rubrik aus "gekauften" Beiträgen, die eher dem Charakter einer Illustrierten entsprechen.

Selten finden sich in der Zeitschrift politikbezogene Beiträge. Ähn­liches gilt für die geschichtliche Aufarbeitung der eigenen Minderheit.427

423 Sakson in Welttrends 2000, S. 64. 424 Molitoris 1999, S. 18 f. 425 Lodzinski, Siowacy in Centrum 1998, S. 244. 426 Aussage des Chefredakteurs lan Szpernoga vor der Parlamentskommission Bulletin

d. Sejm-Kommission für Minderheiten Nr. 13,31.3.1998,3. Kadenz. 427 Siehe folgende Ausgaben von Zivot: Heft 11 (486), November 1998; Heft 12 (487),

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Die Inhalte der Zeitschrift sind gekennzeichnet durch eine wenig poli­tikorientierte Ausrichtung und einen geringen intellektuellen Anspruch. Vielmehr findet sich eher eine "gesellschaftlich-informative" Ausrich­tung. Darin unterscheidet sich Zivot deutlich von den führenden ukraini­schen und weißrussischen Presseorganen der anderen Minderheiten.

Die im Organ Zivot im Vergleich zu anderen Minderheitenzeitschrif­ten "fehlenden" historischen Beiträge finden sich jedoch in einer jährli­chen Publikation der Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towarzystwo Slowak6w w Polsce), dem "Almanach. Slowaken in Polen". Hierbei handelt es sich um ein 1993 erstmals herausgegebenes Jahrbuch, in dem die zentralen Eliten des Verbandes über historische und aktuelle Aspekte der Lage der Slowaken in Spisz und Orawa berichten. Im Jahr 1995 wurde sogar der Versuch einer dreisprachigen Ausgabe unternommen (Slowakisch, Polnisch, Englisch), was zeigt, dass dieses Jahrbuch nicht nur der Minderheit selbst, sondern auch einem breiteren Publikum zu­gänglich gemacht werden soll."8

Innerhalb der Aktivitäten des Verbandes, mit denen auf Probleme des Minderheitenschutzes reagiert wird, steht die Beschäftigung mit slowakischem Schulunterricht im Vordergrund. Der Verband befindet sich seit 1989 in fortlaufender Auseinandersetzung mit zentralen und lokalen Behörden um die Finanzierung von minderheitensprachlichem Unterricht. Im Vergleich zur ähnlich großen litauischen Minderheit ist die Lage des slowakischen Minderheitenschulwesens angespannter, weil die slowakische Minderheit durchgängig über geringere Schülerzahlen verfügt.<29 Zu den zentralen Schwierigkeiten zählen auch die Lehreraus­bildung und das Fehlen von Schulbüchern.430 Das Minderheitenschulwe­sen stellt letztlich das zentrale interessenorganisatorische Feld des Ver­bandes dar. Insgesamt ist die Beziehung zwischen Mehr- und Minder­heit und zu den verschiedenen Gemeinderäten der Gebiete, in denen die Slowaken leben, im vergangenen Jahrzehnt in vielerlei Hinsicht kon­fliktgeladen gewesen. Dies hat nicht zuletzt seinen Grund darin, dass in dieser Gegend seit Beginn der 90er Jahre eine starke polonophile Bewe­gung vor allem durch zwei polnische Organisationen (des "Bundes der

Dezember 1998; Heft 2 (489), Februar 1999; Heft 3 (490), März 1999; Heft 6 (516), Mai 2001; Heft 6 (516), Juni 2001.

428 Almanach 1993, 1995 und 1999. 429 Aussagen des Generalsekretär Molitoris vor der Parlamentskommission, Bulletins

d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 23, 5.4.1995, 2. Kadenz; Nr. 22, 14.3.1995,2. Kadenz; Nr. 28, 15.12.1998,3. Kadenz. Schülerzahlen aus: Statisti­sches Jahrbuch der Republik Polen 2000, Warschau 2000, S. 228.

430 Almanach 1995, S. 85.

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Polen in Spisz" und der "Gesellschaft der Freunde von Orawa") ent­standen ist, die primär die polnische Tradition der Region hervorheben. Nicht selten hat sich die Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towar­zystwo Slowak6w w Polsce) in Folge diverser Streitigkeiten deswegen auch an die Sejm-Kommission gewandt.43'

Einen weiteren Konfliktherd bildete die Auseinandersetzung zwi­schen der slowakischen Bevölkerungsgruppe und der katholischen Kir­che. Ähnlich wie bei der gleichermaßen mehrheitlich katholischen litau­ischen Bevölkerung stehen dabei Fragen um den Anteil der minderhei­tensprachlichen Gottesdienste und die Sprachkenntnisse der entspre­chenden Priester im Vordergrund (die slowakische Minderheit in den Regionen von Spisz und Orawa ist zu 99 Prozent katholisch).432 So hat es permanent Auseinandersetzungen zwischen der slowakischen Minder­heit und dem Erzbischof von Krakau, Kardinal Macharski (in dessen Bistum der Großteil der slowakischen Minderheit lebt), über slowaki­sche Messen gegeben. Die Minderheit hält den Anteil solcher Messen für zu gering (1999 sprach der Vorsitzende der Gesellschaft davon, dass nur in sieben von 40 potentiellen Kirchengemeinden slowakische Got­tesdienste abgehalten werden) und beklagt die Verhinderung des Einsat­zes slowakischer Priester. Die Betreuung durch Priester aus der Slowa­kei ist eine nachhaltige Forderung der Minderheit. Sie begründet diese zum einen damit, dass die katholische Kirche Polens selbst die polni­schen Katholiken in Deutschland durch Priester unterstütze. Zum ande­ren beklagt sie die mangelnden Slowakisch-Kenntnisse der polnischen Priester, die versuchten, Gottesdienste in polnischer Sprache abzuhal­ten. Sie besäßen eben nicht "die sprachliche Begabung wie Papst Johan­nes Paul 11. ", wie der Generalsekretär der Gesellschaft (Towarzystwo) ganz in diesem Sinne vor der Parlamentskommission feststellte. Dieses spezielle Priesterproblem führte Mitte der 90er Jahre auch zu einem Vermittlungsversuch der Parlamentskommission für Minderheiten zwi­schen dem Krakauer Kardinal und der Gesellschaft der Slowaken in Polen, wodurch der Einsatz ausländischer Priester schließlich erreicht wurde.433

431 Lodzinski, Siowacy in Centrum 1998, S. 249, Aussage des Generalsekretärs der Gesellschaft (Towarzystwo) Molitoris vor der Sejm-Kommission, Bulletin d. Sejm­Kommission für Minderheiten, Nr. 28,15.12.1998,3. Kadenz.

432 Aussage des Generalsekretärs der Gesellschaft (Towarzystwo) Molitoris vor der Sejm-Kommission, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 28, 15.12.1998,3. Kadenz.

433 Aussage des Generalsekretärs der Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towarzystwo Slowak6w w Polsce) Ludomir Molitoris und Interview mit dem Vorsitzenden der slowakischen Gesellschaft in Polen J6zef Ci",gwa, März 1999 Kattowitz (im Fol-

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Andere umstrittene Themen, für die der Verband ebenfalls um Hilfen der Sejm-Kommission bat, stellen beispielsweise Fragen zu den Öff­nungszeiten einer polnisch-slowakischen Grenzstation dar, die es man­chen Minderheitenangehörigen, die im Nachbarland arbeiten, nicht er­möglichen, rechtzeitig an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Ein weiteres konkretes Thema betraf erneut die Beziehung zur katholischen Kirche: So stellen in der slowakischen Minderheit - ähnlich wie in der orthodo­xen weißrussischen Minderheit - historische Wege-, Friedhofs- oder Kirchturm-Kreuze (die sich durch einen doppelten Querbalken von der "klassischen" Kreuzform unterscheiden) ein wesentliches identitätsstif­tendes kulturelles Erbe dar. In einem Zivot-Artikel zum Thema wurden diese Kreuze für die Minderheit als "unser nationales Symbol" bezeich­net. Dementsprechend kam es zu Auseinandersetzungen, als 1989 in einigen Fällen solche Kreuze durch katholische Kirchengemeinden de­montiert wurden:"

Da in dieser Minderheit nur eine einzige Organisation existiert, zeigt sich diese aus interessen organisatorischer Perspektive als all­round-Verband bzw. interessenorganisatorisches "Mädchen für alles", denn diese Organisation macht sich in ihrer praktischen Arbeit das ge­samte Spektrum des Minderheitenschutzes der slowakischen Minderheit zu eigen. Dies ist sicherlich das zentrale Merkmal der Gesellschaft der Slowaken in Polen (Towarzystwo Slowak6w w Polsce) als Interessenor­ganisation der slowakischen Minderheit. Die MonopolsteIlung dieses Verbandes bedeutet jedoch auch, dass die staatlichen Institutionen sich an den einzigen Ansprechpartner wenden können, der die Minderheit in politischer Hinsicht vertritt. Widersprüchliche Forderungen unterschied­licher Gruppen finden sich also nicht.

5. Synopse - Die intermediäre Landschaft der Minder­heiten in Polen

5.1 Konflikt- und Kooperationsstrukturen

Die Analyse der Konflikt- und Kooperationsstrukturen der einzelnen Minderheiten haben insgesamt große Unterschiede ergeben. Abgesehen

genden zitiert Interview mit Ciltgwa). 434 Koll<irik, Pet er: Kriz - Symbol Krest'anstva, in: Zivot, Nr. 11 (486), November

1998, S. 8-9, hier S. 9.

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von der slowakischen Minderheit, die nur über einen Verband verfügt, zeigt sich folgendes Bild:

Die litauische Minderheit wird geprägt von einer eher kooperativen zwischenverbandlichen Beziehung, die mit einer gewissen Arbeitstei­lung zwischen verschiedenen Verbänden einhergeht. Diese besteht vor allem darin, dass der Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wsp6lnota Litwin6w w Polsee ) faktisch die Außenrepräsentation aller Verbände überlassen wird, obwohl sie keine Dachorganisation darstellt. Hingegen übernimmt der Altverband dieser Minderheit die Rolle eines primär kulturell arbeitenden Verbandes, der eine größere Zahl von Mitgliedern integriert. Dieser Altverband macht - im Unterschied zur ukrainischen und weißrussischen Minderheit - keinerlei politischen Führungsan­spruch geltend. Das Gesamtverhältnis der Verbände, die in einem klein­räumigen Gebiet in Punsk und Sejny angesiedelt sind, ist insgesamt kooperativ und durchaus harmonisch. Die Arbeitsteilung wird informell ohne Dachverbandsstrukturen organisatorisch umgesetzt.

Die weißrussische Minderheit charakterisiert sich durch eine Tei­lung in zwei Verbändelager, die exakt entlang der Grenze zwischen Altverband und neu gegründeten Verbänden verläuft. Die Beziehungen zwischen diesen beiden Lagern sind von Konkurrenz geprägt und zu­weilen konfliktiv aufgeladen. Das eine "Lager" bildet der Altverband, der nach wie vor über eine große ererbte Mitgliedschaft verfügt. Dieser ist primär Träger traditioneller folkloristischer Kulturformen. Auf der anderen Seite steht eine größere Zahl neugegründeter Verbände, die sich in einem Dachverband zusammengeschlossen haben. Sie stellen eine vergleichsweise intellektuelle und politikorientierte Strömung innerhalb der Minderheit dar. So hat diese Gruppe durch die Gründung einer Min­derheitenpartei auch strukturell versucht, politischen Einfluss zu neh­men. In einer äußeren politischen Wahrnehmung erscheint die Minder­heit als uneinheitlich bis zerstritten.435 Sie verfügt über keine geschlos­sene politische Repräsentation, was sich auf ihre Interessendurchset­zung negativ auswirkt.

Anders ist die Lage in der ukrainischen Minderheit, die durch die Existenz eines umfassenden und weithin akzeptierten Dachverbands geprägt ist. Auch die ukrainische Minderheit hat nach dem Systemwech­sel einen Prozess deutlicher Interessenpluralisierung durchlaufen, insge­samt haben sich fünfzehn neu gegründete Verbände in dem Dachverband zusammengefunden. Diese Dachorganisation ist - anders als in der weißrussischen Minderheit - zugleich der vormalige Monopolverband.

435 Jacek Kuron, Vorsitzender der Sejm-Kommission für Minderheiten, spricht von einer "zerstrittenen Minorität"; Interview mit Jacek Kuron, März 1999 Warschau.

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Aus dessen Struktur hat sich jedoch die Gruppe der podlachischen Uk­rainer nach dem Systemwechsel herausgelöst und sich mit ihrem neuen Verband auch nicht der Dachorganisation angeschlossen. Die Beziehung zwischen dem Dachverband und den selbständig agierenden podlachi­schen Ukrainern lässt sich am ehesten als "friedliche Koexistenz" be­zeichnen. Nach außen wird die ukrainische Minderheit jedoch vorrangig durch den Dachverband vertreten. So stellt sich die ukrainische Minder­heit in der Außensicht durch die Existenz eines starken Dachverbands interessenorganisatorisch homogen dar.

An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass es im Zuge der Systemtransformation auch den Versuch einer institutionalisierten in­terminoritären Kooperation gegeben hat. Dieser bestand in der infor­mellen Einrichtung eines Rates der nationalen Minderheiten (Rada Mniejszosci Narodowych) im März 1991, an dem sich Vertreter weißrus­sischer, litauischer und ukrainischer Organisationen beteiligten. Ziel des Rates war es, die Schaffung von minderheitenrelevanten Regelungen zu beschleunigen. Jedoch löste sich der Rat bereits nach wenigen Monaten wieder auf und blieb somit eine "flüchtige" Transformationserschei­nung:36

Es bleibt somit insgesamt festzuhalten, dass die intermediären Sys­teme aller untersuchten Minderheiten insgesamt eher kooperativ agie­ren, denn auch die weißrussische Minderheit ist nicht nur durch existie­rende Differenzen, sondern auch durch einen funktionierenden Dach­verband geprägt. Zudem findet sich in den intermediären Systemen der einzelnen Minderheiten mindestens jeweils ein Verband, der verstärkt auf die politische Interessendurchsetzung ausgerichtet ist. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um einen Dachverband handeln, wie sich in der litauischen Minderheit zeigt. Versuche einer minderheitenübergrei­fenden Kooperation hingegen waren lediglich eine vorübergehende Transformationserscheinung. Die Interessenlagen der einzelnen Min­derheiten erscheinen diesen augenscheinlich als zu stark ausdifferen­ziert, als dass eine kollektive Interessenaggregierung zwischen den Minderheiten möglich wäre.

In der Verbändeanalyse hat sich zudem gezeigt, dass in den einzel­nen Minderheiten größere "Hauptorganisationen" und "Klientelorgani­sationen", also Organisationen, die auf spezifische Mitgliedergruppen bezogen sind, gleichermaßen existieren. Dabei zeigen sich verschiedene Verbände- Varianten.

436 Bugajski, Janusz: Ethnie Polities in Eastern Europe. A Guide to Nationality Poli­eies, Organiszations and Parties, New York 1994, S. 382 f.

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• Die Variante der kooperierenden Hauptverbände (litauische Minderheit).

• Die Variante des dominierenden Hauptverbandes (ukrainische Minderheit).

• Die Variante der konkurrierenden Hauptverbände (weißrussi-sche Minderheit).

Unter den Klientel-Organisationen zeigen sich zudem verschiedene weitere Variationen. Verbreitet ist vor allem die Form der "berufsbezo­genen" Verbände, also Studenten-, Historiker-, Lehrer-, Rechtsanwalts­verbände. Zudem finden sich Jugendorganisationen sowie ein Frauen­verband.

5.2 Vergleich von Genese, Struktur, Programmatik und Strategien

Genese Die Pluralisierung der Verbändelandschaft der Minderheiten stellt eine unmittelbare Reaktion auf den Systemwechsel dar. So haben die entspre­chenden Minderheiten nach dem Wegfall des Organisationsverbots des kommunistischen Regimes ihren Organisationsbedarf nachgeholt, ähn­lich anderen organisationsfähigen Interessen in der polnischen Gesell­schaft (Umwelt, Frauen etc.). Von dieser Form der Verbändegenese gibt es lediglich zwei Ausnahmen, zum einen die weiter existierenden Alt­verbände und zum anderen den erst im Jahr 2000 gegründeten litaui­schen Lehrerverband.

Wie eingangs zu diesem Kapitel dargestellt wurde (siehe Abbildung 1), zeichnet sich die Entwicklung der Minderheitenverbände Polens nach dem Systemwechsel in den Jahren 1990 bis 1992 zudem durch eine Gründungswelle aus, die sich nochmals in etwas schwächerer Form im Jahr 1995 wiederholte. In den entsprechenden Jahren haben sich pro Jahr ca. 20 Verbände gegründet, so dass das intermediäre System der Minderheit sich abrupt ausdifferenziert hat. Damit entspricht die Genese der Minderheitenverbände Polens der These Schmitters, der davon aus­ging, dass in Zeiten beschleunigter Organisation - und dies waren die Phasen neu gewonnener Vereinigungsfreiheit nach einem Systemwech­sel fraglos - Interessensysteme häufig ruckartig entstehen.437 Auch die

437 Siehe dazu Schmitters Ausführungen in: Schmitter, Philippe C.: Interessenvermitt­lung und Regierbarkeit, in: Alemann, Ulrich von; Heinze, Rolf G.: Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus. Analysen, Positionen, Dokumente, Opladen 1979, S. 92-114.

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Mehrzahl der in dieser Studie untersuchten Interessenverbände entstand unmittelbar nach dem Systemwechsel in den Jahren 1990 bis 1992.

Zudem zeigt sich ein weiteres Spezifikum, das vor allem für post­kommunistische Parteienlandschaften, jedoch auch für Verbändesysteme zutrifft: die parallele Existenz von neu gegründeten Verbänden und solchen, die aus dem vorherigen System "überlebt" haben, also den vormaligen Monopolorganisationen. Die Akzeptanz der Altverbände sowie das Ausmaß der Verbändeneugründungen sind dabei sehr unter­schiedlich. So hat sich vor allem in der ukrainischen Minderheit der Alt­verband als neuer Dachverband behaupten können und erfüllt heute eine positive Funktion. In der slowakischen Minderheit ist der Altverband sogar nach wie vor der einzige Verband. Lediglich in der weißrussi­schen Minderheit zeigt sich eine Pluralisierung der Verbände landschaft, die mit einer konfliktiven Beziehung zum Altverband einherging: Neue Verbände wurden geradezu als Gegengründungen verstanden.

Struktur In formaler Hinsicht erscheint die innere demokratische Verfasstheit (Fraenkel) der in dieser Forschungsarbeit untersuchten Verbände als insgesamt gegeben. Jedoch zeigen sich einige Spezifika: So wird zwar zumeist der Vorsitzende eines Verbandes direkt (durch die Delegierten­oder Mitgliederversammlung) gewählt, jedoch sind nicht alle Vor­standsmitglieder auch durch Wahl demokratisch legitimiert. Zudem besteht ein typisches Merkmal der untersuchten Minderheitenorganisa­tionen in einem vierjährigen Sitzungsturnus der Mitglieder- bzw. Dele­gierten versammlungen als den jeweils höchsten Gremien der Verbände. Dieser - im Vergleich zum Modell der Jahreshauptversammlungen -große Turnus führt zum einen zu einer eher seltenen direkten Kontrolle des Verbands-Vorstandes durch die Mitglieder bzw. Delegierten. Zum anderen vermindert dies die Chancen zur innerverbandlichen lnteresse­naggregierung, denn die Einflussnahme des Einzelmitglieds oder Ein­zeldelegierter auf die programmatische Ausrichtung der Verbandstätig­keit findet in formaler Hinsicht lediglich alle vier Jahre statt.

Ein weiteres Strukturmerkmal der untersuchten Verbände besteht darin, dass sich keine zentripetale Orientierung in Bezug auf die örtli­che Nähe zum polnischen Regierungssitz Warschau feststellen lässt. Eine solche Orientierung, die als typisch etwa für die deutsche Verbän­delandschaft gilt (Selbaldt), hat sich nach dem Systemwechsel insofern nicht herausgebildet, weil keiner der Altverbände seinen Sitz nach War­schau verlegt hat (mit Ausnahme der ukrainischen Minderheit, die be­reits dort ihren Sitz hatte) und auch keiner der neu gegründeten Verbän­de sich in Warschau angesiedelt hat.

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Zudem hat sich im Rahmen der Verbändeanalyse herausgestellt, dass innerhalb der Verbändelandschaft zwei verschiedene Formen von Dach­verbänden existieren. So ist der Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrai1kow w Polsce) zwar ein Dachverband, jedoch ist seine innere Struktur primär auf seine Einzelmitglieder ausgerichtet und nicht auf seine Mitgliedsverbände. Nach außen agiert er hingegen durch seine intensive Lobby tätigkeit durchaus als Dachverband, indem er alle seine Mitgliedsverbände vertritt. Die zweite Form des Dachverbandes stellt der Weißrussische Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) dar, dessen innere Struktur gänzlich auf die Mitgliedsverbände, jedoch nicht auf Einzelmitglieder ausgerichtet ist. Dieser agiert zwar auch umfassend als politische Interessenvertretung, hat jedoch auf zentraler politischer Ebene nicht die gleiche Repräsen­tanz wie der Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraincow w Pols­ce). Somit zeigen sich ein nach innen gerichteter und ein eher nach außen gerichteter Dachverband.

Programmatik Bei einem synoptischen Blick auf die Programmatiken bzw. die fixierten Strategien der untersuchten Verbände sind verschiedene Kategorien programmatischer Ausrichtung erkennbar. Auf dieser Grundlage lassen sich vier Typen einer Programmatik beschreiben.

• Typ A: Kulturelle Förderung der eigenen Gruppe. Adressat -+ die gesamte eigene Minderheit. Dieser Typ kommt in verschiedenen Spielarten bei allen Verbänden vor. Dabei beziehen sich zumeist gleich mehrere Ziele und Strategien in unterschiedlichster Ausprä­gung auf die Förderung, Unterstützung und Initiierung kultureller Aktivitäten in der Minderheit. Markant ist hierbei, dass als Adressat immer die gesamte Minderheit gesehen wird, nicht nur jene Min­derheitenangehörige, die gleichzeitig Verbandsmitglieder sind.

• Typ B: Politische Interessenrepräsentation. Adressaten -+ politische Institutionen. Gleichermaßen typisch zeigen sich Ziele mit explizi­ter interessenpolitischer Konnotation. Dabei zeigt sich primär ein "defensi ver" Charakter von Zielsetzungen, die sich auf den Schutz der Minderheitenrechte beschränken. Die politikbezogenen Ziele und fixierten Strategien sind somit weniger auf die eigene Partizipa­tion im politischen System als vielmehr "output"-orientiert ausge­richtet.

• Typ C: Minderheits-Mehrheitsbeziehungen. Adressaten -+ polnische Mehrheits- und eigene Minderheitsbevölkerung. Zielsetzungen, die auf eine Verbesserung der Mehrheits-Minderheitsbeziehungen aus-

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gerichtet sind, sind fester Bestandteil im Zielekanon der untersuch­ten Verbände. Durch aufklärerische Arbeit gegenüber der Mehr­heitsbevölkerung Polens sollen diese Beziehungen verbessert wer­den.

• Typ D: Beziehung zur Titularnation. Adressaten - eigene Minder­heit, polnischer Staat, Titularnation. Aspekte der Beziehungen zur Titularnation sind konstitutiv für die hiesigen Minderheitenverbän­de. Dieser Typ kommt zumeist in zwei Ausprägungen vor. So be­zieht sich eine Variante auf die Beziehungen zwischen Minderheit und Titularnation, in der zweiten Variante setzen sich die Verbände für eine verbesserte Beziehung zwischen dem polnischen Staat und der eigenen Titularnation ein.

Tätigkeiten und Strategien Die Tätigkeitsfelder und realen Strategien spiegeln in der tatsächlichen Arbeit der Organisationen die oben dargelegte Programmatik wider. Den größten Stellenwert nimmt dabei die Realisierung des Programma­tik-Typs A ein, der in fast allen Verbänden primär durch die Organisie­rung von Kulturveranstaltungen realisiert wird. Dabei steht der Erhalt traditioneller Kultur mit ihren folkloristischen Formen im Vordergrund. Da während der Zeit der Volksrepublik diese eher unpolitische Form des Kulturerhalts in Form begrenzter lokaler Veranstaltungen häufig die einzige zugelassene Tätigkeit war, stand folkloristische Kultur über Jahrzehnte im Zentrum der Minderheitenaktivitäten. Dies mag einer der Gründe sein, warum ihr nach wie vor eine besondere Bedeutung in den Minderheitenverbänden zukommt.

Dennoch haben sich parallel zahlreiche neuere Formen der Ausei­nandersetzung mit der eigenen Kultur herausgebildet. Dies zeigt sich beispielsweise in der weißrussischen Minderheit mit ihrer Beschäfti­gung mit moderner weißrussischer Literatur. Zudem ist es ein zentrales Merkmal, dass die geschichtliche Aufarbeitung der Minderheiten­Vergangenheit inzwischen maßgeblich durch die Minderheiten und durch die Verbände selbst getragen wird (vgl. die Tätigkeit der Weißrus­sischen Historische Gesellschaft) oder dass sie als Veranstalter wissen­schaftlicher Konferenzen auftreten.

Durch die grundlegende Intention der Verbände, ihr verbandliches Handeln potentiell auf die gesamte Minderheit zu richten und nicht nur auf die eigenen Verbandsmitglieder, widersprechen sie den gängigen Vorstellungen interessenverbandlichen Handeins. Dies erklärt sich da­durch, dass das Ziel, die Minderheiten-Identität der Verbandsmitglieder zu erhalten, letztlich nur durch das Einwirken auf die gesamte Minder­heit erreichbar ist. Denn Schutz vor "natürlicher" Assimilierung kann

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nur eine möglichst große Gruppe von Angehörigen der gleichen Min­derheiten-Identität bieten. Dadurch werden die hier untersuchten Min­derheitenverbände zu Dienstleistern für die gesamte Minderheit, anstatt lediglich "selektive Anreize" für die eigenen Mitglieder zu bieten. Es lässt sich also bei den Minderheitenorganisationen durchgängig von einem Typus eines altruistischen Verbandes sprechen.

Vor diesem Hintergrund ist es zudem ein nicht zu vernachlässigen­des Motiv des Einzelnen, sich aus Sorge vor dem Verlust der eigenen Minderheitenidentität in Minderheitenorganisationen zu engagieren. Dieses zunächst individuelle Interesse bündelt sich zum Gruppeninte­resse und führt zur Verbändegründung. Der oben beschriebene altruisti­sche Charakter der Verbändestrategien entwickelt sich - vor diesem Hintergrund rational-choice-bezogener Annahmen - vor allem deswe­gen, weil auch die individuelle Minderheitenidentität nur durch einen Zugriff auf eine möglichst große Gruppe anderer Minderheitenangehö­riger erreicht werden kann. Wenn die Minderheitenkultur erhalten wer­den soll, müssen sich die Verbände unweigerlich in ihren Strategien um den Kulturerhalt der gesamten Minderheit bemühen. Letztlich ist dies zwingend ein konstitutives Element von Minderheitenverbänden an sich.

Ein Blick auf die politikbezogenen Tätigkeiten und Strategien der Minderheitenverbände macht deutlich, dass zum einen die realen politi­schen Strategien der Verbände weitgehend mit dem festgestellten pro­grammatischen Charakter eines defensiv orientierten Versuchs politi­scher Einflussnahme zugunsten des Minderheitenschutzes korres­pondieren. Zum anderen verstehen sich die meisten Verbände als unpoli­tisch, obwohl sie jedoch zum Schutz der Minderheiteninteressen fak­tisch trotzdem in vielfacher Hinsicht auch politisch agieren. So mangelt es ihnen an entsprechenden Strategien, um politischen Einfluss zu ent­falten. Aus diesem Grund zeigt sich, dass sich die Minderheitenverbän­de nicht als "special-interest organizations" im Sinne Olsons charakteri­sieren lassen.

Über diese defensiven politischen Strategien hinaus wurde auf die kontinuierliche Teilnahme der Minderheitenverbände an verschiedenen Wahlen hingewiesen. Diese Strategie war jedoch insgesamt wenig er­folgreich und hat sich lediglich in einem Fall in einer Parteigründung niedergeschlagen. Immer jedoch ging dieses Bemühen um die Teilnah­me an Wahlen über die politische Dimension hinaus, die in den Pro­grammatiken als Ziele formuliert wurden.

Grundsätzlich lassen sich die größeren Verbände, vor allem die "Hauptverbände", in Bezug auf ihr Tätigkeitsspektrum als Allround-

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Verbände bezeichnen, da sie sich um alle Probleme des Schutzes ihrer eigenen Minderheit bemühen. Dazu zählen Fragen des Minderheiten­schulwesens, der Medienrepräsentanz, des Erhalts von Denkmälern, der Rückgabe von Besitztümern usw. Diese Breite des Tätigkeitsspektrums und die Tatsache, dass sich die Verbände grundsätzlich zum "Anwalt" der Probleme ihrer Minderheit machen, entspricht zugleich dem oben festgestellten altruistischen Charakter der Verbände.

Eine wichtige Rolle in den realen Strategien spielt zudem die bilate­rale Dimension (vgl. Typ D der Verbandsprogrammatik). Dabei zeigen sich zwei verschiedene Handlungsvarianten: Zum einen existiert ein intensiver Kontakt mit der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung im eigenen Titularstaat. Zum anderen zeigen sich primär bei Litauern, Ukrainern und Weißrussen jedoch auch nachhaltige Kooperationen mit der jeweili­gen polnischen Minderheit in den eigenen Titularstaaten, also mit dem "minoritären Gegenstück". Deshalb kommt dieser Arbeit der Minderhei­ten bedeutsame Brückenfunktion zwischen den jeweiligen Nachbarstaa­ten zu.

Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass es in den hier untersuch­ten Minderheiten nach 1989 einen interessenverbandlichen take off38 gegeben hat, dem die Herausbildung eines zwar überschaubaren, jedoch pluralen intermediären Systems folgte. Die Pluralisierung führte aller­dings - anders als im Modell von Miroslaw Hroch - nicht zu einer Mas­senbewegung innerhalb der Minderheiten.439 Vielmehr lassen sich ver­gleichsweise kleine Elitengruppen beobachten, die die Verbände prägen. In Anlehnung an Rothschilds Typus des Ethnischen Unternehmers 440

könnte man hier von Ethnischen Sachwaltern sprechen, welche die or­ganisierten Minderheitenaktivitäten prägen. Die Ursache für die ausge­bliebene Massen-Mobilisierung von Minderheiten dürfte in dem niedri­gen Diskriminierungsgrad zu suchen sein (Troebst).441 Dies kann als positives Indiz für die Lage der Minderheiten in Polen gewertet werden.

438 Diesen Begriff verwandte Stefan Troebst für seine Skizze von Regionalismus und Autonomiebestrebungen von Minderheiten in Ostemitteleuropa, er wandte ihn auf die Russinen in der Ukraine an. Troebst, Stefan: Regionalismus und Autonomiestre-

. ben im Ostmitteleuropa der Nach-"Wende"-Zeit: Mährer und Russinen im Ver­gleich, in: Löwe, Heinz-Dietrich; Tontsch, Günter H.; Troebst, Stefan: Minderhei­ten, Regionalbewußtsein und Zentralismus in Ostmitteleuropa, Köln, Weimar, Wien 2000 (im Folgenden zitiert Troebst 2000), S. 67-104, hier S. 72.

439 Hroch, Miroslaw: Die nationalen Formierungsprozesse in Mittel- und Südosteuropa. Ein Vergleich, in: Berliner Jahrbuch für osteuropäische Geschichte (1995), S. 7 -16, hier S. 8.

440 Rothschild, Joseph: Ethnopolitics. A Conceptual Framework. New York 1981. S. 1 ff.

441 Troebst 2000, S. 94.

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IV. Minderheitenrelevante politische Institutionen in

Transformation und Konsolidierung Polens

In einer lexikalischen Skizze über "Systemwechsel", in der Dieter Noh­len politikwissenschaftliche theoretische Implikationen von System­wechselprozessen erläutert, findet sich auch ein kurzer, für die vorlie­gende Analyse interessanter Verweis auf die Relevanz des Umgangs mit Minderheiten in den ostmittel- und europäischen Systemwechselstaaten:

"Die Aussichten der Transformationsregime sind nicht so schlecht, wenn man keine überhöhten Erwartungen an sie heranträgt, die den Sonderaspekt berück­sichtigen, in welchem Ausmaß ein Land die Rechte der ethnischen Minderhei­ten respektiert. Ethnisch relativ homogene Staaten, wie Ungarn und Tschechien, erhielten auf solchen Skalen die günstigsten Werte. "I

In dieser knappen These wird der Minderheitenschutz innerhalb von Transformationsprozessen als "Sonderaspekt" qualifiziert. Die Schluss­folgerung, die dies nahe legt, ist, dass der Minderheitenschutz nicht apriori zu den "Standards" der Transformationsanalyse zählt, anders als die Kernbereiche der politischen oder wirtschaftlichen Konsolidierung. Gilt der Minderheitenschutz in Transformationsregimen somit - olym­pisch gesprochen - in der allgemeinen "Transformationsolympiade" der ostmittel- und osteuropäischen Staaten um die beste Konsolidierung, den schnellsten EU-Beitritt oder den günstigsten IWF-Report womög­lich als "Disziplin außer Konkurrenz", in der es keine Goldmedaillen zu gewinnen gibt, sondern nur Trostpreise? Oder dürfen die Minderheiten als Olympioniken vielleicht gar nicht erst teilnehmen? Nein - sicherlich zielt Nohlens Aussage nicht darauf, den Minderheitenschutz gar nicht in die Transformationsbewertung mit einzubeziehen, sondern die Trans­formationserfolge solcher Staaten, die von machtvollen Minderheiten­konflikten geprägt sind, wie beispielsweise Russland oder Mazedonien, trotz dieser Konflikte dennoch als solche zu bewerten.

Nohlen, Dieter: Systemwechsel, in: Lexikon der Politik, Bd. 1, Theoretische Grundlagen, S. 636-649 hier S. 647.

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Die Prämisse der vorliegenden Analyse ist eine andere: Der Minderhei­tenschutz soll gleichberechtigt als einer der verschiedenen Transforma­tionsbereiche Beachtung finden und deshalb den gleichen Analyseras­tern unterworfen werden.

Im folgenden empirischen Kapitel werden zwei thematische Teile unterschieden. Im ersten Teil soll versucht werden, die Institutionen der zentralen staatlichen Ebene in Polen zu analysieren. In einem zweiten Teil werden ausgewählte Aspekte des minderheitenrelevanten Handeins auf der regionalen und lokalen Ebene behandelt. Wie im entsprechenden theoretischen Abschnitt bereits angedeutet, lassen sich in deskriptiver Hinsicht zwei Unterteilungen von Institutionen in dieser Analyse vor­nehmen: Zum einen finden sich Institutionen "ohne" Akteure (wie Rechtsakte), deren Entstehung und Effektivität untersucht werden soll. Zum andern Institutionen "mit" Akteuren (wie Ministerien), deren insti­tutionelle Konfiguration untersucht werden soll. Zudem lassen sich Institutionen unterscheiden, die nur für Minderheiten zuständig sind (wie die Parlamentskommission für Minderheiten) und solche mit all­gemeiner Zuständigkeit, wie die Ministerräte, die nur ausschnitthaft analysiert werden sollen.

Für die folgende Institutionenanalyse sollen die im theoretischen Kapitel ausgearbeiteten Forschungsfragen zu Grunde gelegt werden. Bei der Analyse wird unterschieden zwischen dem Institution building und der Institutionellen Konfiguration. Zudem soll abschließend das gesam­te Institutionelle Set der minderheitenrelevanten Institutionen ermittelt werden.

1. Minderheiten im Rechtssystem

"Die Gleichheit des Gesetzes ist niemals ausreichend, um die Minder­heit wirklich vor Diskriminierung zu schützen. Die Natur des für alle geltenden Gesetzes bedeutet ja typischerweise, daß es sich an den Ei­genschaften der Mehrheit orientiert. "2 Dieses Zitat spricht eines der zentralen Probleme des rechtlichen Minderheitenschutzes an: Ein all­gemeines Diskriminierungsverbot, das allen Bürgern eines demokrati-

2 Frowein, Jochen A.: Das Recht der Minderheiten als Herausforderung an die Ver­fassungsordnung des freien Europa, in: Frowein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rai­ner; Oeter, Stefan (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäischer Staaten, Teil 2, Ber­!in u.a. 1994, S. V-XIII, hier S. VII.

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schen Staates gleichermaßen zu teil werden sollte, ist in keinster Weise zum Schutz von Minderheiten geeignet. Der im Zitat angedeutete not­wendige besondere rechtliche Schutz von Minderheiten bedarf deswe­gen spezifischer rechtlicher Regelungen, die über das Gleichheitsgebot (auf dem ein Diskriminierungsverbot ja beruht) hinausgeht, sonst wäre beispielsweise eine Vertretung von Minderheiten in Parlamenten nur schwer möglich. Diese Notwendigkeit eines speziellen rechtlichen Schutzes für Minderheiten, der über die allgemeinen Prinzipien des Menschenrechtsschutzes hinausgeht, wird allgemein als positive Dis­kriminierung bezeichnet.3

An dieser Stelle soll ein Überblick über die gesetzlichen Grundla­gen des Minderheitenschutzes in Polen gegeben werden. Zunächst wird dargelegt, welche Relevanz Minderheitenfragen im lang anhaltenden polnischen Verfassungsgebungsprozess hatten. Zweitens wird auf rele­vante einzelgesetzliche Regelungen, drittens auf internationale und bilaterale Verträge verwiesen. Eine juristische Debatte um die polni­schen Gesetze sowie eine völkerrechtliche Diskussion der internationa­len Schutzdokumente, denen Polen beigetreten ist, soll jedoch nicht geführt werden. Vielmehr soll auch an dieser Stelle der im Theoriekapi­tel dargelegte Institutionen-Ansatz aufgegriffen und die rechtlichen Regelungen ebenfalls als eine spezielle Form von Institutionen verstan­den werden. Die einzelnen gesetzlichen Regelungen sind dabei von unterschiedlichem Interesse für diese Analyse. Sie werden deswegen in manchen Fällen lediglich kurz vorgestellt, in anderen Fällen hingegen ist auch der Gesetzgebungsprozess von Interesse, so dass eine ausführli­che Analyse notwendig ist. Ein Schwerpunkt des vorliegenden Ab­schnitts liegt somit auf dem institution building des minderheitenrele­vanten Rechtsschutzsystems. Inwieweit diese Gesetze tatsächlich Prob­lemlösungskapazitäten aufweisen und somit von einer gewissen Effekti­vität sind, zeigt sich vielmehr in einzelnen Fällen im Rahmen der empi­rischen Institutionenanalyse.

1.1. Ostmitteleuropäischer Standard? - Minderheitenartikel in der Verfassung

Zunächst gilt es, einen Blick auf minderheitenrelevante Regelungen in der polnischen Verfassung zu werfen: Die Institutionenbildung der pol-

3 Siehe hierzu beispielsweise Blumenwitz, Dieter: Internationale Schutzmechanismen zur Durchsetzung von Minderheiten- und Volksgruppenrechten, Köln 1997 (im Folgenden zitiert Blumenwitz 1997), S. 81.

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nischen Verfassung ist ein ausgesprochen langwieriger Prozess gewesen, denn Polen hat als einer der letzten der Transformationsstaaten erst 1997 seine endgültige Verfassung erhalten. Bis dahin existierten diverse Provisorien. Die Relevanz von Minderheitenschutzbestimmungen im Verfassungsgebungsprozess sowie in der Verfassung soll im Folgenden nachgezeichnet werden.

Institutionen-Geschichte und institution building Wirft man einen Blick in die polnische Verfassungs geschichte des 20. Jahrhunderts, so zeigt sich, dass bereits die erste Verfassung der jungen (sogenannten zweiten) polnischen Republik der Zwischenkriegszeit von 1921 nicht nur ein allgemeines Diskriminierungsverbot, sondern auch Hinweise zum Minderheitenschutz enthielt. So wurde das Recht der Entfaltung der eigenen Kultur durch sogenannte autonome Minderhei­tenverbände öffentlich-rechtlichen Charakters gewährt und die Schaf­fung spezieller Gesetze hierzu zugesichert. Damit ging die polnische Verfassung über das Diskriminierungsverbot von Minderheiten, das Polen durch den Versailler Vertrag mit den Alliierten auferlegt worden war, hinaus. Auch die Verfassung von 1935, bereits deutlich geprägt vom autoritären Zuschnitt des Staates unter General Pilsudski, ließ die Minderheitenbestimmungen der vormaligen Verfassung grundsätzlich in Kraft:

Die kommunistische Verfassung von 1952 (und ebenfalls ihre geän­derte Fassung von 1976) enthielt keinerlei Minderheitenschutzbestim­mungen, sondern lediglich Verweise auf ein Gleichheitsprinzip und Diskriminierungs ver bot.

"Die Bürger der Volksrepublik Polen haben, unabhängig von Nationalität, Ras­se und Glaubensbekenntnis, die gleichen Rechte auf allen Gebieten des staatli­chen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Die Verletzung dieses Grundsatzes durch irgend welche direkte oder indirekte Bevorzugung oder Beschränkung der Rechte mit Rücksicht auf Nationalität, Rasse oder Glaubensbekenntnis ist strafbar."5

4 Kallas, Marian: Parlamentarische Arbeiten am Status der nationalen und ethnischen Minderheiten in Polen, in: Osteuropa Recht, 3/1995, 41. 19., S. 174-192 (im Fol­genden zitiert Kallas 1995), hier S. 174 f., Sakson, A.: Bestimmungen über nationa­le Minderheiten in polnischen Verfassungsgesetzen, in: Osteuropa-Recht, Nr. 3 (1993), S. 208-213 (im Folgenden zitiert Sakson, 1993), hier S. 208 f.

5 Artikel 81 der Verfassung von 1952. Hier zitiert nach Kallas 1995 S.176. Das Gleichheitsgebot ("Die Bürger der Volksrepublik Polen habe die gleichen Rechte unabhängig von Geschlecht. Geburt. Ausbildung. Nationalität. Rasse. Konfession sowie gesellschaftlicher Herkunft und Stellung ") ist in Artikel 67 festgelegt, hier nach der Fassung von 1976, nach Sakson 1993, S. 210.

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Minderheiten als solche finden keinerlei Erwähnung. Vielmehr bedeutet der Verweis auf das Verbot jedweder direkten oder indirekten Bevorzu­gung (beispielsweise aufgrund einer bestimmten Nationalität) eher die Untersagung jeglicher positiver Diskriminierung.6 Es stellt eine der nicht seltenen Transjonnationsparadoxien in Systemwechselsituationen dar, dass durch diesen Teil der kommunistischen Verfassung, der bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung 1997 Geltung hatte, der Aufbau eines neuen polnischen Minderheitenschutzsystems quasi verfassungs­widrig stattgefunden hat. Denn im Zuge des Verfassungsgebungsprozes­ses wurde 1992 lediglich eine Übergangsverfassung verabschiedet, die zwar die Grundlagen eines neuen demokratischen Regierungssystems, in Form der sogenannten "Kleinen Verfassung", festlegte, jedoch we­sentliche Teile der alten Verfassung weiterhin in Kraft beließ.7 Faktisch galt somit in Polen bis 1997 ein Verbot positiver Diskriminierung von Minderheiten. Das Fortbestehen dieser alten Bestimmungen hatte jedoch keinen direkten Einfluss auf die entsprechenden Debatten sowie die Etablierung minderheitenrelevanter Rechtsakte; der Widerstand gegen solche Regelungen gründete auf ganz anderen Fundamenten.'

Wie der gesamte Verfassungsgebungsprozess Polens, so waren auch die Fragen des in der Verfassung zu verankernden Minderheitenschutzes von starken Kontroversen geprägt. Die zentrale Rolle in der Ausarbei­tung der Minderheitenschutzbestimmungen kam der Sejm-Kommission für Minderheiten zu! Bereits 1989 - also noch während der Legislatur­periode des halbfrei gewählten Sejm - hatte es intensive Arbeiten an einer neuen Verfassung gegeben. Man war zunächst davon ausgegangen, dass die Schaffung einer neuen Verfassung bis zum 3. Mai 1991, dem 200. Jahrestag der Inkraftsetzung der ersten polnischen Verfassung, gelingen könnte. Durch die Zersplitterung der parlamentarischen Kräfte der Gewerkschaft Solidarnosc wurde eine politische Einigung für eine neue Verfassung jedoch unmöglich. lO

6 Vgl. Mohlek, Peter: Der Minderheiten-Schutz in der Republik Polen, in: ders. Der Minderheiten-Schutz in der Republik Polen, in der Tschechischen und der slowaki­schen Republik, Bonn 1994 S. 9-82 (im Folgenden zitiert Mohlek in Mohlek 1994), hier S. 24.

7 Mohlek in Mohlek 1994, S. 24. 8 Siehe vor aIJem BuIJetins d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 1.-3. Kadenz. 9 I:..odzinski, Slawomir: National Minorities and the ,Conservative' Politics of Multi­

culturalism in Poland after 1989, in: Hamilton, lan; Iglicka, Krystyna: From Homo­geneity to Multiculturalism: Minorities Old and New in Poland, SSEES Occasional papers Nr. 45 (2000), S. 34-66 (im Folgenden zitiert I:..odzinski Minorities 2000), hier S. 45.

10 Siehe hierzu: Osiatynski, Wiktor: ABrief History of the Constitution, East Euro-

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Auch die Minderheitenkommission hatte bereits im Sommer 1990 einen ersten Text über mögliche Minderheitenbestimmungen vorgelegt. Ein Teil der damaligen parlamentarischen Verfassungskommission war je­doch gänzlich gegen die Aufnahme solcher Regelungen in die polnische Verfassung und beharrte auf dem "alten" Modell, dem Gleichheits­grundsatz, als ausreichender Version. Dennoch hat die parlamentarische Verfassungskommission einen knappen Hinweis zum Minderheiten­schutz in ihren Entwurf gegen Ende dieser Legislaturperiode des Kon­trakt-Sejms aufgenommen." Folgenreicher war hingegen ein Entwurf, den der Senat im Herbst 1991 vorlegte und den sich die Sejm­Kommission im Großen und Ganzen zu Eigen machte. In der Parla­mentsdebatte hierzu wurde eine Rücküberweisung des Entwurfs an die Minderheiten-Kommission beschlossen, die im Februar 1992 eine ent­sprechende Unterkommission zur Weiterarbeit an diesen Verfassungsar­tikeln bildete, deren Arbeit - wie der gesamte Verfassungsgebungspro­zess - jedoch durch die Auflösung des Parlaments im Mai 1993 unter­brochen wurde. 12

Die Arbeit der Verfassungskommission setzte somit in der folgenden Legislaturperiode erneut ein, als die Verfassungskommission 1994 nach der ersten Lesung von sieben vorliegenden Entwürfen bis 1996 einen einzigen Verfassungstext erarbeitete, der in dritter Lesung im April 1997 von der Nationalversammlung angenommen, durch ein Referendum vom Mai 1997 bestätigt wurde und seit Oktober des Jahres Gültigkeit besitzt.

Institutionelle Konfiguration Der zentrale Minderheitenschutzartikel der polnischen Verfassung ba­siert eindeutig auf dem Ursprungs entwurf des Senats:

"Artikel 35. 1. Die Republik Polen gewährt polnischen Staatsangehörigen, die einer nationalen oder ethnischen Minderheit angehören, die Freiheit der Wah­rung und Entwicklung der eigenen Sprache, der Wahrung von Sitten und Tradi­tionen und der Entwicklung der eigenen Kultur. 2. Die nationalen und ethni­schen Minderheiten haben das Recht auf Gründung eigener Einrichtungen für Erziehung und Kultur sowie von Einrichtungen, die dem Schutz der religiösen Identität dienen, und auf Teilnahme bei der Entscheidung in Fragen, die ihre kulturelle Identität betreffen. "/3

pean Constitutional Review, Vol. 6, Nr.2/3 (1997) (Internet-Ausgabe, o. S.). 11 Kallas 1995, S. 178 f. 12 Ebda. 1995, S. 179 f. 13 Zitiert nach Verfassungsabdruck in: Diemer-Benedict, Tanja: Die neue Verfassung

der Republik Polen, in: Osteuropa-Recht 2/3 (1997),43. Jg., S. 223-264 (Text des

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Damit werden die Minderheitenrechte nicht nur Einzelpersonen ge­währt, sondern gelten auch als Gruppenrechte, was sich in dem Recht zur Gründung eigener Einrichtungen ausdrückt. Dies ist insofern be­merkenswert, weil auf völkerrechtlicher Ebene die Konzeption des Minderheitenschutzes nach wie vor auf das Individualrecht einzelner Angehöriger von Minderheiten ausgerichtet ist. 14 Zudem ist die verfas­sungsmäßige Gewährung einer speziellen Vereinigungsfreiheit für Min­derheiten insgesamt kein verbreitetes Phänomen. I> Die Verpflichtung, hierzu konkrete Ausführungsbestimmungen zu beschließen - etwa in Form eines Minderheitengesetzes -, wie dies in der ersten Zwischen­kriegsverfassung erkennbar war, ist aus diesem Artikel jedoch nicht abzulesen. I. Dementsprechend bleibt auch unklar, was sich hinter dem Recht zur Gründung eigener Einrichtungen für Erziehung, Kultur und Religion verbirgt. Ein Recht zur Gründung eigener privater Minderhei­tenschulen leitet sich beispielsweise daraus nicht ab, wie sich im Ver­lauf der empirischen Analyse der minderheitenbezogenen Tätigkeit des Bildungsministeriums zeigen wird. In einem potenziellen Ausführungs­gesetz müssten sich letztlich auch Hinweise finden, auf welcher Grund­lage polnische Bürger als Angehörige einer nationalen oder ethnischen Minderheit zu bewerten sind, ob also beispielsweise die "klassische" Kombination von subjektivem (Zugehörigkeitsgefühl) und objektivem Kriterium (Sprache, Kultur, Tradition) vorliegen muss.

Die Bewertungen dieser Minderheitenschutzbestimmungen in der Verfassung fallen unterschiedlich aus. Das Büro für Studien und Exper­tisen des Sejm (das eine Vielzahl von soliden Veröffentlichungen vorge­legt hat) bewertet die Minderheitenschutzbestimmungen auch mit zeitli­chen Abstand als "Normierung mit optimalen Mitteln".17 In anderen

Dokuments von S. 227-264, im Folgenden zitiert Verfassung Polens), hier S. 231. Im Ursprungsentwurf des Senats fand sich nicht die Formulierung "polnische Staatsangehörige, die ... ", sondern lediglich "Polen garantiert.. .. den Minderhei­ten ... ", zitiert nach Kallas S. 179. Zudem war in diesem Entwurf von nationalen und sprachlichen Minderheiten die Rede, ebda.

14 Heintze, Hans-Joachim: Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte im Völ­kerrecht, Baden-Baden 1994 (im Folgenden zitiert Heintze 1994) S. 142.

15 Siehe hierzu Blumenwitz, Dieter: Volksgruppen und Minderheiten. Politische Ver­tretung und Kulturautonomie, Berlin 1995 (im Folgenden zitiert Blumenwitz 1995), S.89.

16 Juristische Bewertung des Büros für Studien und Expertisen des Sejm: Szepie­towska, Beata: Status mniejszosci narodowych w swietle Art. 35 Konstytucji, in: Biuletyn Biura Studi6w i Ekspertyz Kancelarii Sejmu, Ekzspertyzy i Opinie Prawne nr. 5 (35) 99, War schau 1999 (Internetfassung o. S.).

17 Szepietowska, Beata: Status mniejszosci narodowych w swietle Art. 35 Konstytucji, in: Biuletyn Biura Studi6w i Ekspertyz Kancelarii Sejmu, Ekzspertyzy i Opinie

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Veröffentlichungen wird vor allem hervorgehoben, dass diese Verfas­sung sowohl Individual- als auch Gruppenrechte für Minderheiten ga­rantiert. '• Zugleich wird jedoch auch darauf verwiesen, dass diese Rege­lungen hinter denen anderer jüngerer Verfassungen zurückbleiben. Bei­spielhaft angeführt wird dabei die Gewährleistung muttersprachlichen Unterrichts für Minderheiten, wie sie beispielsweise in der Verfassung Ungarns zu finden ist. '9 Mehr noch als Ungarn wären jedoch eher die Verfassungen der Tschechischen und Slowakischen Republiken zu be­nennen, in denen weitergehende minderheitenrechtliche Garantien ge­geben werden.20 Die Minderheitenbestimmungen dieser Verfassungen basieren auf der tschechoslowakischen Charta der Grundrechte und Grundfreiheiten von 1991 und wurden nach der Trennung der beiden Staaten in der Tschechischen Republik als Teil der Verfassung dekla­riert, in der Slowakischen Republik in der dortigen Verfassung veran­kert. In dem knappen ungarischen Verfassungsartikel fehlt hingegen das in der polnischen und slowakischen Verfassung garantierte Recht zur Bildung eigener Institutionen.21

Neben diesem zentralen Minderheitenartikel der polnischen Verfas­sung existieren weitere minderheitenrelevante Bestimmungen in der

Prawne nr. 5 (35) 99, Warschau 1999 (Internetfassung o. S.). 18 Diemer-Benedict, Tanja: Die neue Verfassung der Republik Polen, in: Osteuropa­

Recht 2/3 (1997), 43. Jg., S. 223-264 (Text des Dokuments von S. 227-264), hier S.226.

19 Freytag, Georg: Die Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997 im Spiegel des gesamteuropäischen Verfassungsstandards, in: Recht in Ost und West (1998), 42. Jg., Nr. I, S. 1-14 (im Folgenden zitiert Freytag), hier S. 5. In der ungarischen Verfassung wird in Artikel 68, in dem von ethnischen und sprachlichen Minderhei­ten die Rede ist, sowohl muttersprachlicher Unterricht als auch die Nutzung des ei­genen Namens in der Muttersprache gewährt, was in Polen umstritten ist. Abdruck der ungarischen Verfassung in englischer Sprache in: Agh, Attila; Kurtan, Sandor: Democratization and Europeanization in Hungary: The First Parliament (1990-1994), Budapest 1994, Abdruck einer englischen Version der ungarischen Verfas­sung, hier S. 265-307 (im Folgenden zitiert Verfassung Ungarns), hier S. 281.

20 Ihnen wird insbesondere gewährt, "gemeinsam mit den anderen Angehörigen der Minderheiten ihre Kultur zu entwickeln "; Charta der Grundrechte und Grundfreihei­ten vom 9.1.1991, Art. 25. Bestandteil der Verfassung der Tschechischen Republik vom 16.12.1992. Auszüge abgedruckt in: Hoskova, Mahulena: Der Minderheiten­schutz in der Tschechischen Republik, in: Mohlek, Peter: Der Minderheiten-Schutz in der Republik Polen, in der Tschechischen und der slowakischen Republik, Bonn 1994, S.83-117 (im Folgenden zitiert Verfassung Tschechiens), hier S.105 und S. 107. In der slowakischen Verfassung ist dies Art. 34, abgedruckt in: Hoskova, Mahulena: Der Minderheitenschutz in der Tschechischen Republik, in: ebda., S. 119-158 (im Folgenden zitiert Verfassung der Slowakei), hier S. 148.

21 Verfassung Polens, Artikel 35, Verfassung Ungarns, S. 281, Artikel 68, Verfassung der Slowakei Art. 34, S. 148.

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polnischen Verfassung, etwa ein allgemeines Diskriminierungsverbot (Artikel 32). Von Bedeutung ist Artikel 13, in dem ein Verbot von Orga­nisationen mit totalitären Praktiken festgelegt ist. Darunter fallen auch solche Organisationen, die "Rassen- oder Nationalitätenhass" hervorru­fen, was bei negativer Interpretation auf Minderheitenverbände Anwen­dung finden könnte. Diese Regelung ist nicht unüblich und völkerrecht­lich zulässig, umso wichtiger ist es jedoch, dass - wie oben beschrie­ben - an anderer Stelle auch eine besondere Rechtsgewährung von Min­derheitenverbänden Erwähnung findet. 22 Relevant sind zudem Regelun­gen zur Amtssprache, die festlegen, dass zwar Polnisch die Amtssprache ist, dadurch jedoch "die Rechte der nationalen Minderheiten, die sich aus den ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen" ergeben, nicht verletzt werden dürfen (Artikel 27). In dieser Bestimmung fehlt die Ankündi­gung einzelgesetzlicher Ausführungsbestimmungen, zudem finden nur nationale Minderheiten Erwähnung, ethnische Minderheiten bleiben hingegen ausgeklammert.

Eine im katholischen Polen während des Verfassungsgebungspro­zesses umstrittene Bestimmung, die für die nichtkatholischen Minder­heiten von Bedeutung ist, stellt Artikel 25 dar, der die Gleichberechti­gung von Kirchen und Glaubensgemeinschaften regelt." Darin werden staatliche Neutralität, gegenseitige Autonomie sowie gemeinsame Ver­träge vereinbart. Zudem ist die Präambel der polnischen Verfassung erwähnenswert, in deren Formulierung" Wir, das polnische Volk - alle Bürger der Republik"24 gleichermaßen die Nation als auch die Staats­bürgerschaft genannt werden, wodurch sich die nationalen und ethni­schen Minderheiten eingeschlossen fühlen können. Sehr viel deutlicher heißt es in der slowakischen Verfassung: "Wir, das slowakische Volk, ... gemeinsam mit den Angehörigen der nationalen Minderheiten und der ethnischen Gruppen "25 - hier wurde ein deutliches integratives Signal gesetzt. Die tschechische Präambel verzichtet ganz auf einen Verweis auf die Nation (" Wir, die Bürger der Tschechischen Republik in Böhmen, Mähren und Schlesien ").26

Insgesamt steht somit bei einem Vergleich der verfassungsmäßigen Minderheitenschutzbestimmungen der vier genannten ostmitteleuropäi­schen Staaten die polnische Version nicht hinter den anderen Verfassun­gen zurück. Die prinzipielle Gewährung von individuellen und Grup-

22 Artikel 13, Verfassung Polens, S. 228f., Blumenwitz 1995, S. 88 f. 23 Diemer-Benedict, S. 226, Freytag, S. 4. 24 Verfassung Polens, S. 227. 25 Verfassung der Slowakei, S. 145. 26 Verfassung Tschechiens, S. 105.

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penrechten für Minderheiten kann als ostmitteleuropäischer Verfas­sungsstandard bezeichnet werden. 27 Dieser Befund verleitet - ohne einen gesamteuropäischen Diskurs anzustreben - zu einem Blick auf Westeu­ropa. Negativbeispiel ist zunächst Frankreich, das seine Minderheiten in rechtlicher Hinsicht nicht anerkennt,28 In Deutschland existieren Min­derheitenschutzbestimmungen auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht, ebenfalls findet sich keine Erwähnung von Minderheiten im Grundge­setz, obwohl sich mit der Frankfurter Paulskirchenverfassung und der Weimarer Reichsverfassung auf eine solche Verfassungstradition zu­rückschauen ließe. Zudem blieb - trotz entsprechender Debatten - die Chance ungenutzt, dies nach der Vereinigung nachzuholen und die ent­sprechenden Bestimmungen aus der DDR-Verfassung zu übernehmen, in welcher der Schutz der Sorben verankert war. 29 In anderen westeuropäi­schen Verfassungen, beispielsweise in Italien und Österreich, finden sich hingegen solche Bestimmungen.30 Die verfassungsrechtlichen Rege­lungen sind somit in Westeuropa wesentlich heterogener als in Ostmit­teleuropa.

Die neue Verfassung Polens hat in grundsätzlicher Hinsicht die Vor­kriegstradition eines verfassungsmäßigen Minderheitenschutzes aufge­griffen. Auch wenn die Inhalte dieser rund 70 Jahre auseinanderliegen­den Verfassungsgründungen unterschiedlich weit reichen (vor allem durch den Verzicht auf die Ankündigung von Ausführungsgesetzen in der heutigen Version), so zeigt sich dadurch doch eine institutionelle Kontinuität. Zudem ist deutlich geworden, dass der entsprechende Ver­fassungsartikel bereits in einer frühen Phase der Transformation vorge­legt wurde und somit keinen späten "Verfassungskämpfen" mehr unter­lag. Vor dem Hintergrund der ausgesprochen schwierigen Verabschie­dung eines Minderheitengesetzes auf einzelgesetzlicher Ebene - siehe dazu den in diesem Kapitel folgenden Abschnitt - erscheinen diese Ver­fassungsbestimmungen für ein Land wie Polen adäquat, das zwar einen

27 Marko, Joseph: Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Slowenien, in: Frowein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rainer, Oeter, Stefan (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäischer Staaten, Teil 2, Berlin u.a. 1994, S. 320-351, hier S. 325-333.

28 Polakiewicz, Jörg: Die rechtliche Stellung der Minderheiten Frankreich, in: Fro­wein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rainer, Oeter, Stefan (Hrsg.): Das Minderheiten­recht europäischer Staaten, Teil I, Berlin u.a. 1993, S. 126-159, hier S. 126.

29 Hahn, Michael J.: Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Deutschland, in: Ebda. S. 62-107, hier S. 66-73.

30 Oellers-Frahm, Karin: Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Italien, in: Ebda.

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S. 192-224, hier S. 195 f. sowie Marauhn, Thilo: Die rechtliche Stellung der Min­derheiten in Österreich, in: Ebda. S. 225-257, hier S. 226.

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geringen Minderheiten-Anteil, jedoch ein hohes Maß an ethnischer Into­leranz aufweist.

1.2 Einzelgesetzliche Regelungen

1.2.1 Diverse gesetzliche Grundlagen

An dieser Stelle soll ein Überblick über verschiedene gesetzliche Grundlagen gegeben werden, die den Minderheitenschutz betreffen. Diese gesetzlichen Regelungen bilden die einzelgesetzliche Grundlage des minderheitenrelevanten Handeins von politischen Institutionen wie auch der Minderheitenverbände.

Vereinigungsjreiheit Die unmittelbare Folge der mit der Demokratisierung Polens erlangten Vereinigungsfreiheit stellt innerhalb der Minderheiten eine Verbands­gründungswelle in der ersten Hälfte der 90er Jahre dar. Wie bereits im Abschnitt zur Verfassung dargelegt, wurde eine grundsätzliche Vereini­gungsfreiheit gewährt. Insgesamt ist für Minderheiten - wie für minori­täre Interessen an sich - die Gewährung von Vereinigungsfreiheit prin­zipiell von großer Bedeutung, da es sich generell um schwache Interes­sen handelt, die der Organisierung bedürfen. Deswegen wird der beson­dere Schutz von Minderheitenvereinigungen in verschiedenen anderen Transformationsstaaten gesetzlich festgeschrieben (Litauen, Lettland, Ukraine, Ungarn).31

In Polen hingegen fehlen auf einzelgesetzlicher Ebene jegliche Hinweise auf Minderheitenverbände. Die gesetzliche Grundlage, die in Polen allgemein das Recht zur Vereinsgründung festlegt, ist das "Gesetz über Verbände" vom 7.4.1989.32 Bis dahin basierte das polnische Ver­einsrecht noch auf einer restriktiven Verordnung aus den 1930er Jahren. Seitdem kann beispielsweise auch gegen eine Verweigerung der Regist­rierung auf dem Rechtsweg vorgegangen werden. Die Vorbehalte gegen Vereinsgründungen (etwa Störungen der öffentlichen Ordnung) lehnen sich dabei an den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (lPBR) der UNO von 1966 an." Dieses Gesetz genießt bei den Minderheiten eine ausgesprochen hohe Adressatenlegitimität, stellt es

31 Richter, Dagmar: Vereinigungsfreiheit und Parteienrecht, in: Frowein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rainer, Oeter, Stefan (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäi­scher Staaten, Teil 2, Berlin u.a. 1994, S. 450-491, hier S. 454 f.

32 Dz. U. 1989, Nr. 20, Pos. 104, später verändert. 33 Mohlek in Mohlek 1994, S. 45 f.

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doch den Beginn ihrer freien Verbandstätigkeit und ihres zivilgesell­schaftlichen Engagements dar, sowohl für die alten Monopolorganisati­onen als auch für die neugegründeten Verbände. Zudem finden sich beispielsweise auf der Ebene des deutsch-polnischen Vertrags (wie auch in ähnlicher Form in anderen bilateralen Verträgen}l4 rechtliche Zusicherungen für die deutsche Minderheit in Polen. So wird etwa in Artikel 20 den Angehörigen der jeweiligen Minderheit das Recht der Gründung eigener Bildungs- Kultur- und Religionseinrichtun­gen, -organisationen oder -vereinigungen zugestanden.35 Die in der Volksrepublik besonders vom Vereinigungsverbot betroffene deutsche Minderheit hat dieses in der Demokratie gewährte Recht inzwischen am umfassendsten umgesetzt, denn mit ihren rund 80 Verbänden stellt sie den größten Anteil an allen etwa 140 Minderheitenverbänden.36

Bildungssystem Die rechtliche Grundlage der Bildung für Minderheiten ist sowohl auf Gesetzes- als auch auf Erlassebene festgelegt. Eine erste Regelung für das Minderheitenschulwesen findet sich Anfang der 90er Jahre im Ge­setz über das Bildungssystem vom 7.9.1991. Durch dieses Gesetz wird Schulunterricht in der Minderheitensprache an öffentlichen polnischen Schulen gewährleistet. Artikel 13, Absatz 1 dieses Gesetzes sieht vor:

"Schulen und öffentliche Einrichtungen ermöglichen den Schülern die Auf­rechterhaltung des Gefühls der nationalen, ethnischen, sprachlichen und religi­ösen Identität und im besonderen Unterricht in der eigenen Sprache, der eige­nen Geschichte und Kultur. "37

Damit existiert lediglich eine Garantie für minderheitensprachlichen Unterricht in den Bereichen Sprache, Geschichte und Kultur. Für die Einführung eines solchen Unterrichts bedarf es des Antrags der Eltern. Der Unterricht kann in speziellen Klassen, einzelnen Abteilungen oder ganzen Schulen angeboten werden, unter Umständen jedoch auch ledig­lich als zusätzlicher Unterricht. Zudem ist es möglich, Schülergruppen aus mehreren Schulen zu einer minderheitensprachlichen Gruppe zu­sammenzulegen."

34 Ebda. S. 31. 35 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über

gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.6.1991 (im Fol­genden zitiert Deutsch-polnischer Vertrag).

36 Information nach GI6wny Urzllod Statystyczny: Wyznania religijne. Stowarzyszenia narodowosciowe i etniczne w Polsce 1997-1999, Warszawa 2000, S. 171.

37 Gesetz über das Bildungssystem vom 7.9.1991, später verändert, deswegen veröf­fentlicht in Dz. U. 1996, Nr. 67, Pos. 329.

38 Ebda. Artikel 13, Absatz 2.

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Konkrete Regelungen für den minderheiten sprachlichen Unterricht fin­den sich im Erlass des Bildungsministers vom 24.3.1992. 39 Danach un­terliegt die Aufsicht des Minderheitenschulwesens - wie auch das all­gemeine polnische Schulwesen - den in der jeweiligen Wojewodschaft zuständigen Bildungskuratoren. Der minderheitensprachliche Unterricht basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und wird von den jeweiligen Schuldirektoren organisiert. Bei ihnen müssen auch die Eltern ihre An­träge für den Unterricht in der eigenen Minderheitensprache stellen. Welche konkreten Bedingungen für den minderheitensprachlichen Schulunterricht gegeben sind, liegt somit in der Verantwortung der je­weiligen Schuldirektoren.

Insgesamt sind in diesem Erlass somit vier verschiedene mögliche organisatorische Regelungsmodelle vorgesehen.

• Minderheitensprache als Unterrichtssprache (alle Fächer in der Minderheitensprache außer Polnisch, Literatur und polnische Geschichte).

• Zweisprachiger Schulunterricht (gleichberechtigte Nutzung von Mehr- und Minderheitssprache).

• Zusätzlicher Unterricht in der Minderheitensprache (Gesamtes Cur-riculum auf Polnisch).

• Schulübergreifende minderheiten sprachliche Gruppen.

Die minimale Antragszahl, ab der minderheitensprachlicher Unterricht gewährt werden muss, liegt in Grundschulen bei sieben Schülern, in weiterführenden Schulen bei 14 Schülern. Bei Nichterreichen dieser Gruppenstärke besteht zudem ab drei Schülern die Option, minderhei­tensprachlichen Unterricht gemeinsam für mehrere Jahrgänge anzubie­ten. Doch auch in diesem Fall besteht lediglich ein Anspruch für die drei genannten Fächer Minderheitensprache, -geschichte und -kultur.

Dass die Gewährung von minderheitensprachlichem Unterricht an eine bestimmte Schülerzahl geknüpft wird, findet sich auch in verschie­denen anderen europäischen Staaten'", beispielsweise in den rechtlichen Regelungen zum sorbischen Schulunterricht im Bundesland Sachsen. Dieses Prinzip beinhaltet jedoch die Gefahr, dass bei der Unterschrei­tung dieser Zahl einer Gruppe von Minderheitenangehörigen der Erwerb und Erhalt ihrer Minderheitensprache verwehrt oder durch Verteilung der Schüler auf entferntere Schulen erschwert wird. Aus diesem Grund

39 Anordnung des Ministers für nationale Bildung vom 24.3.1992, Dz. U. 1992, Nr. 34, Pos. 150.

40 Siehe hierzu: Marauhn in Frowein 2, S. 417.

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kam es im sorbischen Minderheitenschulwesen im Sommer 2001 zu einem Eklat. Im sächsischen Crostwitz sollte auf die Einrichtung eines neuen fünften Schuljahrgangs verzichtet werden, weil sich lediglich 17 statt der notwendigen 40 Schüler für die fünfte Klasse angemeldet hat­ten. Der Protest von Eltern, Schülern und Dorfbewohnern drückte sich u.a. durch die eigenmächtige Aufrechterhaltung dieser fünften Klasse mithilfe pensionierter Lehrer aus. Der sächsische Bildungsminister be­harrte indes auf der Schließung und drohte mit der Aberkennung des Schuljahres für die protestierenden Schüler.4l Dieses Beispiel zeigt einen der klassischen Konfliktpunkte bei Streitigkeiten um das Minderheiten­schulwesen: drohender Infrastrukturabbau aufgrund geringer Schüler­zahlen. Ähnliche und andere Konflikte zeigen sich ebenfalls im polni­schen Minderheitenschulwesen, dessen nähere Erläuterung soll im Ab­schnitt zum Bildungsministerium vorgenommen werden.42

Minderheiten in der Wahlgesetzgebung Ein wichtiger Bereich des Minderheitenschutzes sind Regelungen zur Repräsentation von Minderheiten in den jeweiligen (Zentral-) Parlamen­ten. Zur Gewährleistung ihrer parlamentarischen Repräsentation bedarf es besonderer Instrumente, die in verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgestaltet sind. Lediglich größeren Minderheiten-Gruppen, die ge­schlossen siedeln, könnte eine entsprechende parlamentarische Reprä­sentation auch ohne besondere Förderinstrumente gelingen.43

Prinzipiell wirken sich - das liegt eigentlich auf der Hand - Ver­hältniswahlsysteme für den Wahlerfolg von Minderheiten günstiger aus als Mehrheitswahlsysteme, da sie kleinere Gruppierungen generell be­günstigen. Auch die Wahl zum polnischen Sejm folgte seit 1991 dem Prinzip der Verhältniswahl. Dennoch ist diese prinzipielle Entscheidung für ein solches Wahl system nicht ausreichend. Als mögliche weitere Instrumente zur politischen Repräsentation von Minderheiten auf zent­raler parlamentarischer Ebene bieten sich vier allgemeine Optionen an:

• eine Begünstigung bei der Kandidatenaufstellung

41 Siehe hierzu: Schneider, Jens: "Das Überleben eines Volkes steht auf dem Spiel", in: Süddeutsche Zeitung, 24.8.2001.

42 Ebenfalls im Abschnitt zum Bildungsministerium wird auf die seit Anfang 1999 geltende Bildungsreform eingegangen, durch die sich für die polnischen Minderhei­ten neue Chancen bei der Nutzung von Minderheitensprachen im Abitur ergeben haben, und die eine umfassende Dezentralisierung der Schulkompetenzen auf kom­munale und regionale Ebene zur Folge hatte.

43 Oeter, Stefan: Minderheiten im institutionellen Staatsaufbau, in: Frowein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rainer, Oeter, Stefan (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäi­scher Staaten, Teil 2, Berlin u.a. 1994, S. 492-522, hier S.505.

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• eine Begünstigung bei den Sperrklauseln • besondere Zuschnitte der Wahlkreise • die Reservierung von Sitzkontingenten im Parlament.44

Um der starken Zersplitterung des Parteien spektrums im polnischen Sejm entgegenzuwirken, wurde für die Sejmwahl von 1993 ein neues Wahlgesetz verabschiedet, das erstmals weitgehende Schutzmechanis­men für die Minderheiten enthielt.45 Im Zuge der neuen Wahlordnung zeigten sich diese für die zur Wahl antretenden Wahlkomitees der Min­derheiten zunächst bei der Registrierung von Kandidaten für eine lan­desweite Kandidatenliste. Dabei mussten die Parteien ihre Listen im Normalfall in mindestens der Hälfte alle Wahlkreise (26) registrieren lassen, die Minderheiten jedoch nur in fünf Wahlkreisen. Zum anderen wurden die Minderheiten bei den Sperrklauseln begünstigt, indem sie sich wahlweise von den Sperrklauseln der einzelnen Wahlkreismandate (fünf Prozent, für Wahlallianzen acht Prozent) oder von der Sperrklausel der 69 nationalen vergebenen Mandate (sieben Prozent) befreien lassen konnten.46 Diese Wahlerleichterungen waren nur nach heftigen Protesten der parlamentarischen Vertreter der deutschen Minderheit im Sejm zu­stande gekommen. Die Befreiung von nur einer Sperr klausel war dabei ein Kompromiss aufgrund des starken Widerstands national-konser­vativer Gruppen.47 Diese Schutzmechanismen wirkten sich jedoch weder in der Parlamentswahl von 1993 noch von 1997 in auffallender Weise positiv für die Vertretung der Minderheiten im Parlament aus" und sind somit aus institutioneller Perspektive von ausgesprochen geringer Effek­tivität, weil sie die politische Repräsentation der Minderheiten auf par­lamentarischer Ebene sehr begrenzt garantierten (die genaueren Ent­wicklungen der parlamentarischen Vertretung von Minderheiten werden im Abschnitt zum Parlament dargelegt).

Im Vorfeld der Parlamentswahl im Herbst 2001 wurde im Frühjahr 2001 eine neue Wahlordnung verabschiedet. Die minderheitenrelevanten Bestimmungen, also die Befreiung der Minderheiten von der Sperrklau­sel, wurde prinzipiell beibehalten:' Für die Wahlen zu den Selbstverwal-

44 Optionen teilweise nach Oeter in Frowein 2, S. 505. 45 Bei der sogenannten Gründungswahl von 1991 bestanden die Begünstigungen für

Minderheiten lediglich darin, dass sie weniger Unterschriften in weniger Wahlkrei­sen sammeln mussten als andere Wahlbewerber, siehe Grotz 2000, S. 129.

46 Gesetz vom 28. Mai 1993, Dz.U. 1993, Nr, 45, Pos. 205, Artikel 3-5 und 91. 47 Mohlek in Mohlek 1994, S. 56. 48 Wahlprivilegien für den Senat waren nicht vorgesehen; LodziIiski: Minorities 2000,

S.55. 49 Gesetz vom 12. April 2001, Wahlordnung zum Sejm und zum Senat, Dz .. U. 2001,

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tungsgremien auf den dezentralen Ebenen existieren keine gesonderten Bestimmungen zur Unterstützung von Minderheiten. So finden sich in der 1998 verabschiedeten Wahlordnung für die Wahlen auf Wojewod­schafts-, Kreis- und Gemeindeebene keinerlei Regelungen, die die Rep­räsentation von Minderheiten erleichtern.50 Minderheitenschutzinstru­mente bei Wahlen zeigen sich somit in Polen lediglich auf zentralstaat­licher Ebene. Die Repräsentanz der Minderheiten auf den unteren Ebe­nen hängt gänzlich von ihrer jeweiligen quantitativen Vertretung und politischen Mobilisierungsfahigkeit in den Gemeinden, Kreisen und Wojewodschaften ab.

Kirchen Im Abschnitt zur Verfassung Polens wurde bereits auf die entsprechen­den Bestimmungen zur staatlichen Neutralität gegenüber den Kirchen verwiesen. Auf einzelgesetzlicher Ebene findet dieses Prinzip bereits in einem sehr früh verabschiedeten Gesetz, dem Gesetz über die Garantien der Bekenntnis- und Glaubensfreiheit vom 17. Mai 1989, seinen Nieder­schlag. Gemäss dem staatlichen Neutralitätsprinzip existieren keinerlei Verweise beispielsweise auf die Nutzung von Minderheiten-Sprachen in der kirchlichen Praxis. Mit gleichem Datum - und umso bedeutsamer für das katholische Polen - wurde ein Gesetz über die Beziehung des Staates zur katholischen Kirche in der Republik Polen verabschiedet. In logischer Konsequenz des vorgenannten Gesetzes wird der katholischen Kirche dabei eine eigenständige Entwicklung zugestanden, so dass eine mögliche Sprachregelung auch in diesem Gesetz nicht enthalten ist. Die Gewährung minderheitensprachlicher Messen bleibt somit der Entschei­dung der kirchlichen Hierarchie vorbehalten.51

Nr. 46, Pos. 499, Artikel 133 und 134. Da das neue Wahlgesetz keine Wahl über nationale Listenmandate mehr vorsieht, fiel dementsprechend auch die Befreiung der Minderheiten von der dortigen Sperrklausel im Gesetz weg.

50 Gesetz vom 16. Juli 1998, Wahlordnung der Gemeinderäte, der Kreisräte und der Wojewodschafts-Sejmiks, geänderte Fassung in: Dz. U. 1998 Nr. 160, Pos. 1060.

51 Gesetz über die Garantie der GJaubens- und Bekenntnisfreiheit vom 17 .5.1989, Gesetz Nr. 155 in: Dz. U. 1989, Nr. 29; Gesetz über die Beziehung des Staates zur Katholischen Kirche in der Republik Polen vom 17.5.1989, Gesetz Nr. 154 in:

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Dz. U. 1989, Nr. 29, hier nach: Hoskova, Mahulena: Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Polen, in: Frowein, Jochen Abromeit; Hofmann, Rainer, Oeter, Ste­fan (Hrsg.): Das Minderheitenrecht europäischer Staaten, Teil I, Berlin 1993, S. 258-307 (im Folgenden zitiert Hoskova in Frowein 1993), hier, S. 283, siehe zu­dem Barcz, Jan: Polen, in: Heuberger, Valeria: Brennpunkt Osteuropa. Minderheiten im Kreuzfeuer des Nationalismus, Oldenburg, Wien 1996, S. 147-167 (im Folgen­den zitiert Barcz in Heuberger 1996), hier S. 164.

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In den in dieser Studie analysierten Minderheiten hatte es in den ver­gangenen Jahren unter anderem Konflikte bei der litauischen Minderheit in Punsk gegeben, die gegen die geringe Zahl litauischsprachiger Mes­sen protestiert hatte.52 Aufgrund dieser polnischen Gesetzeslage wurde auch im deutsch-polnischen Vertrag auf die Einbeziehung des Aspektes deutschsprachiger Messen verzichtet." Anders sieht die Lage hingegen in der Beziehung zur Orthodoxen Kirche aus, die in Polen als eine selbstständige (also nicht dem Moskauer Patriarchen unterstellte) Polni­sche Autokephale Orthodoxe Kirche agiert. Die Staats-Kirchen­beziehung wurde in diesem Fall 1991 gesetzlich geregelt. Dieses Gesetz enthält einen allgemeinen Hinweis darauf, dass die orthodoxe Kirche "in ihrer inneren Tätigkeit die alt-kirchenslawische Sprache, oder die Muttersprache ihrer Gläubigen benutzt". Da es neben den mehrheitlich weißrussischen Orthodoxen Polens auch ukrainischsprachige sowie auch polnischsprachige Gläubige gibt, kommt diese Bestimmung allen Gruppen zugute. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Zusicherung der Befreiung von Arbeit und Schulunterricht an orthodoxen Feiertagen. Im Rahmen dieses Gesetzes wurden sieben relevante Feiertage des juli­anischen Kalenders (etwa das Neujahrsfest am 7. Januar) festgelegt, an denen sich orthodoxe Gläubige von der Arbeit (allerdings unter Lohn­verzicht) sowie vom Schulunterricht befreien lassen können.54

Medien Das Ende des staatlichen Rundfunkmonopols wurde auf rechtlicher Ebene durch die Verabschiedung des Gesetzes über Hörfunk und Fern­sehen vom Dezember 1992 eingeläutet. Zu den in diesem Gesetz festge­legten Aufgaben des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens zählt eben­falls die Berücksichtigung der Belange der nationalen Minderheiten und ethnischen Gruppen Polens.55 Jedoch beschränkt sich das Gesetz auf eine allgemeine Formulierung, genauere Ausführungsbestimmungen oder Regelungen zur Einbeziehung von Minderheitenvertretern in Rundfunk­räte existieren nicht. Die faktische Präsenz der Minderheiten in den öffentlichen Medien zählt zu einem der kontinuierlichen und zentralen Kritikpunkte der Minderheitenvertreter. Eine genauere Diskussion die-

52 Interview mit Wittkowski, Juli 2000 PuIisk. 53 Hierbei handelt es sich um Artikel 20 Absatz 3 des deutsch-polnischen Nachbar­

schaftsvertrags, in dem die Sprachenfrage lediglich in Bezug auf den Religionsun­terricht Erwähnung findet. Siehe hierzu Barcz in Heuberger 1996, S. 164.

54 Gesetz über die Beziehung des Staates zur Polnischen Autokephalen Orthodoxen Kirche vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991, Nr. 66.

55 Gesetz vom 29.12.1992 über Hörfunk und Fernsehen, Dz. U. 1993, Nr. 7, Pos. 34, Artikel 21, Absatz 9.

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ses Aspektes erfolgt im Rahmen der Analyse der Tätigkeit der Parla­mentskommission für Minderheiten.

Namensrecht In den 1950er Jahren wurden zahlreiche Vor- und Familiennamen von Minderheitenangehörigen im Zuge der Ausgabe von Personalausweisen polonisiert. Basis hierfür war eine damals nicht publizierte Anordnung des Ministerrats.'6 Aus diesem Grund ist es seit der Demokratisierung ein Anliegen zahlreicher Minderheitenangehöriger, ihre Namen wieder in ihrer jeweiligen Minderheitensprache registrieren zu lassen. Das Recht zum Gebrauch des eigenen Namens in der Minderheitensprache wird den in dieser Studie analysierten Minderheiten (sowie der deut­schen Minderheit) in erster Linie durch die jeweiligen bilateralen Ver­träge zugesichert, die eine solche Bestimmung enthalten.57 Auf polni­scher einzelgesetzlicher Ebene existiert bislang kein spezielles Gesetz, das diese Option der Namensänderung für Minderheiten garantiert, je­doch ist die eigene Namensänderung grundsätzlich durch ein allgemei­nes Namensänderungsgesetz von 1956 möglich.

Nicht wenige Angehörige der Minderheiten, vor allem die Deut­schen, nutzen diese Option. Innerhalb der litauischen Minderheit haben zwischen 1991 und 1998 jedoch lediglich 23 Minderheitenangehörige von der Möglichkeit der Umschreibung ihres Namens Gebrauch ge­macht." Vielfach wird kritisiert, dass die umfassenden Gebühren, die damit verbunden sind, nicht rückerstattet werden.'9 Spätestens durch die Ratifizierung der Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz von Minderheiten ist das Recht auf die Führung des eigenen Namens in der Minderheitensprache erneut zugesichert. Dieses muss jedoch noch in einem entsprechenden Einzelgesetz umgesetzt werden.

Kulturfärderung Die Grundlage für die Förderung der Aktivitäten von Minderheitenver­bänden sowie die Subvention ihrer Zeitschriften stellt das Prinzip der vom Staat an nichtstaatliche Einrichtungen übertragenen Aufgaben dar. Unter der Vielzahl von Aufgaben, die nichtstaatliche Einrichtungen übernehmen können, finden sich beispielsweise Aspekte der Familien­oder Jugendförderung, jedoch ebenso die "Tätigkeit für den Schutz und

56 Mohlek in Mohlek 1994,S. 53. 57 Ebda. S. 31, Barcz in Heuberger, S. 152. 58 Materialy do II posiedzenia Polsko-Litewskiej Komisji ds. Problem6w Mniejszosci

Narodowych Rady MiClldzyrz'l.dowej, Warszawa, 5.11.1998, S. 24. 59 V gl. beispielsweise für die Proteste aus der litauischen Minderheit: Interview mit

Foroncewicz, März 1999 Punsk.

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die Propagierung der Kultur nationaler Minderheiten". Als ihre Träger sind Minderheitenorganisationen vorgesehen (für die Aufgabe der Ju­gendförderung etwa die Jugendverbände). Diese Regelung wurde bereits 1992 in Form eines Regierungserlasses festgelegt. Sie stellt die rechtli­che Grundlage der Finanzierung der Minderheitenorganisationen durch das Kulturministerium dar. Diese Finanzierung beschränkt sich jedoch grundsätzlich auf die jeweiligen Aktivitäten der Verbände, so dass in­frastrukturelle Subventionen von Mieten oder Personalkosten ausge­schlossen sind,'" was einen der nachhaltigsten Kritikpunkte der Minder­heitenvertreter darstellt.

1.2.2 Gesetz über die polnische Sprache

Für die vorliegende Analyse sind auch Gesetze von Interesse, die keine konkreten minderheitenrelevanten Schutzbestimmungen enthalten. Dazu zählt das Gesetz zur polnischen Sprache vom 7. Oktober 1999, das vor­rangig dem Schutz der polnischen Sprache als grundlegendes Element der nationalen Identität Polens dienen soll. Ein Vorhaben, welches in der Präambel sowohl mit den historischen Erfahrungen Polens durch "Aggressoren und Okkupanten" als auch etwa mit dem Globalisierungs­prozess begründet wird. 61

Das Gesetz enthält Bestimmungen zur Nutzung des Polnischen als Amtssprache (Art. 4) und legt beispielsweise fest, dass Polnisch gene­rell Unterrichtssprache und Examenssprache ist (Art. 9). Zudem werden die Kompetenzen eines "Rates für die polnische Sprache" festgelegt, der sich mit dem Gebrauch der polnischen Sprache beschäftigt und den einzelnen Ministerien zur Seite stehen soll (Art. 12.). Die einzige min­derheitenrelevante Bestimmung findet sich in Artikel 2. Danach tastet dieses Gesetz nicht das Recht der nationalen Minderheiten und ethni­schen Gruppen an. Eine konkrete Klärung des Gebrauchs der Minder­heitensprachen in Verwaltung und Schulwesen ist nicht intendiert gewe­sen.

Obwohl das Gesetz zur polnischen Sprache minderheitenrelevante Lösungen ausgespart hat, ist es hier deshalb von Interesse, weil im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses entsprechende Vorschläge entwi-

60 Siehe Biuro do Spraw Mniejszosci Narodowych przy Ministerstwie Kultury i Sztuki: Biuletyn. Mniejszosci narodowe w Polsce w 1993 roku, Warszawa 1994, S. 89 f. sowie Rozporzlldzenie Rady Ministr6w, 29. Juli 1997, Dz. U. 1997, Nr. 94, Pos. 573 und Beschluss des Ministerrates Nr. 76 vom 9.7.1993, M.P. 1992, Nr. 23, Pos. 169.

61 Präambel zum Gesetz. Gesetz über die polnische Sprache vom 7. Oktober 1999, in: Dz. U. 1999, Nr. 90, Position 999.

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ckelt wurden. Der früheste Gesetzentwurf wurde von der Fraktion der Bauernpartei PSL am 20. Oktober 1997 vorgelegt. Dieser beinhaltete -neben verschiedenen Schutzelementen für die polnische Sprache, die sich letztlich auch in der verabschiedeten Fassung finden - einen weitgehenden Vorschlag zur Verwendung von Minderheitensprachen auf Gemeindeebene: Neben der Anwendung der polnischen Amtssprache sollte es auf Gemeindeebene gestattet sein, per Referendum eine zweite Amtssprache einzuführen, wenn diese der Kultur der Gemeindemitglie­der entspricht.62 Dieses Konzept stellt eine interessante, weil stark sub­sidiär und partizipativ angelegte Variante einer dezentralen Lösung des Verhältnisses von Mehr- und Minderheitssprache dar.

In der Begründung für diesen Teil des Gesetzes berief sich die PSL­Fraktion auf die Zugehörigkeit Polens zum Europarat und der daraus resultierenden Notwendigkeit, die Charta der Regional- und Minderhei­tensprachen zu ratifizieren. 63 Diese Argumentation erstaunt aus zweierlei Gründen: Zum einen hat Polen diese Charta - anders als die Rahmen­konvention zum Schutz von Minderheiten - noch nicht einmal unter­zeichnet.64 Zum anderen finden sich die Anregungen der Charta in die­sem Gesetzentwurf nur sehr bedingt wieder, da diese nur allgemeine Regelungen vorsieht. Zwar liegt somit dieser ersten Initiative zur Schaf­fung eines Sprachengesetzes eine minderheitenfreundliche Intention zugrunde, jedoch bestätigt sich dabei die Feststellung Claus Offes, dass eine Übertragung institutioneller Entwürfe in Transformationssituatio­nen aus anderen Zusammenhängen vielfach lediglich vermeintlich statt­findet, faktisch jedoch selten gelingt. 6S

Der Gegenentwurf der Regierung vom Sommer 1998 enthielt kei­nerlei Hinweise zum Minderheitenschutz. 66 Diese Variante entsprach bereits dem Charakter des später verabschiedeten Gesetzes. In der Be­gründung zum Entwurf wurde das Fehlen solcher Regelungen mit dem

62 Gesetzentwurf der PSL-Fraktion zum Gesetz über die polnische Sprache. Sejm­Drucksache Nr. 10, III. Kadenz, vom 22.10.1997.

63 Ebda. Begründung zum Gesetzentwurf. 64 Vergleiche die Aufforderung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und

Intoleranz des Europarates (ECRI) in ihrem Bericht über Polen vom Dezember 1999, die Charta zu unterzeichnen und zu ratifizieren: ECRI: Drugi Raport dotyczlt­cy Polski, 10. Dezember 1999, Strassburg 27. Juni 2000, S. 5 (im Folgenden zitiert ECRI-Bericht). Die Rahmenkonvention war bereits am l.2.1995 unterzeichnet wor­den.

65 Er stellte zudem fest, dass institutionelle Kopien auch nicht unbedingt wünschens­wert sind, vgl. Offe, Claus: Designing Institutions for East European transitions, In­stitut rur Höhere Studien, Reihe Politikwissenschaft Nr. 19, Wien 1994.

66 Gesetzentwurf des Ministerpräsidenten zum Gesetz über die polnische Sprache vom 24. Juli 1998, Sejm-Drucksache Nr. 561, III. Kadenz, vom 28.7.1998.

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laufenden Gesetzgebungsverfahren zu einem gesonderten Minderhei­tengesetz erläutert.67

Die Minderheitenkommission war nach der ersten und der zweiten Lesung - gemeinsam mit zwei anderen Parlamentskommissionen - in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Jedoch beinhalteten auch die Kommissionsvorschläge keine minderheitenrelevanten Aspekte, so dass auch von dieser Seite die Minderheitenfrage nicht in den Gesetzge­bungsprozess zur polnsichen Sprache eingebunden wurde.68 Einzig auf den Vorschlag der zweiten Parlamentskammer, des Senats, ist es zu­rückzuführen, dass der Verweis auf die von diesem Gesetz nicht berühr­ten Minderheitenregelungen bereits an prominenter Stelle des Gesetzes, in Artikel 2, erscheint.'" Durch die Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates im Jahr 2000 ist eine inhaltliche Anpassung der gesetzlichen Sprachregelungen unum­gänglich.

1.2.3 A never ending story? Das Minderheitengesetz

Im Folgenden gilt das Interesse einem Gesetz, das noch im Entstehen begriffen ist. Noch ist unklar, ob es vom Parlament verabschiedet wird. Deshalb kann hier lediglich eine Analyse eines institution building vor­genommen werden. Der langwierige Entstehungsprozess spiegelt den geringen politischen Willen in Polen wider, ein einheitliches Minderhei­tengesetz zu etablieren. Dieses Faktum gilt in der Literatur vielfach als markantes Phänomen des polnischen Minderheitenschutzes. 7o

Versuche des Institution building Erste Überlegungen zur Etablierung eines Minderheitengesetzes hat es bereits im Jahr 1989 in einer Kommission für Minderheitenangelegen­heiten gegeben, die innerhalb der Solidarnosc (beim Bürgerkomitee

67 Ebda. Begründung zum Gesetzentwurf. 68 Sprawozdanie Komisji Kultury i Srodk6w Przekazu, Komisji Ochrony Konkurencji

Konsument6w, Komisji Mniejszosci Narodowych i Etnicznych, Sejm-Drucksache Nr. 1137, HI. Kadenz vom 19.5.1999 und Dodatkowe sprawozdanie Komisji Kultury i Srodk6w Przekazu, Komisji Ochrony Konkurencji Konsument6w, Komisji Mniejszosci Narodowych i Etnicznych, Sejm-Drucksache Nr. 1137 A, III. Kadenz vom 8.7.1999.

69 Beschluss des Senats vom 5. August 1999 über das Gesetz zur polnischen Sprache. Sejm-Drucksache Nr. 1306, IH. Kadenz, vom 5.8.1999.

70 Siehe hierzu beispielsweise Barcz, Jan: in, Heuberger, Valeria, S. 155 f.; Kallas 1995, S. 184f., oder Mohlek in Mohlek 1994 S. 32, wie auch die zahlreichen in die­ser Arbeit verwendeten Publikationen von Lodzitiski.

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unter Vorsitz Walesas) bereits 1988 gegründet worden war.7l Dieser Entwurf stammte u.a. von der späteren Ministerpräsidentin Hanna Su­chocka. Die Vorbehalte gegen ein solches Gesetz waren jedoch zu stark. So traten in den Folgejahren diese Überlegungen zunächst hinter die Bemühungen um eine neue Verfassung zurück.72

Erst Mitte 1993 wurde ein erneuter Entwurf von der Helsinki­Stiftung für Menschenrechte vorgelegt und zu Beginn der neuen Legisla­turperiode in den Diskussionen der Parlamentskommission für Minder­heiten aufgegriffen.73 Bereits im Januar 1994 wurde zur Erarbeitung eines Gesetzesentwurfes eine fünfköpfige Unterkommission gebildet, die von dem parlamentarischen Vertreter der deutschen Minderheit, Henryk Kroll, geleitet wurde. 74 Damit stammte der erste inhaltliche "in­put", das ursprüngliche institutionelle Design dieses Gesetzes nicht aus dem Parlament, sondern aus einer Interessenorganisation, die zumindest bei der Aufnahme ihrer Interessen in die parlamentarische Arbeit erfolg­reich gewesen war. 7S

Die Arbeit der Unterkommission nahm dreieinhalb Jahre in An­spruch, bis zum Ende der Legislaturperiode im September 1997. Damit war eine zweite Legislaturperiode verstrichen, ohne dass die Kommissi­on den Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht hat. Erst im September 1998 wurde er beim Sejm-Marshall eingereicht.76

Vorgesehene institutionelle Konfiguration Das geplante Gesetz soll 30 Artikel umfassen. Es soll den Gebrauch der Minderheitensprache regeln, Aussagen über das Bildungswesen und die

71 Miroslaw Czech datiert den Anfang des Gesetzes auf die Tätigkeit dieser oppositio­nellen Kommission, Steno Ber. 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999,3. Kadenz.

72 Kallas 1995, S. 178, Lodziitski, Slawomir: Kwestia ochrony mniejszosci narodowych w dyskursie publicznym w Poisce w latach dziewiycdziesilltych. Wstypne rozwaznia, in: Linek, Bernhard; Struve, Kai: Nacjonalizm a tozsamosc narodowa w Europie Srodkowo-Wschodniej w XIX i XX W., Oppeln, Marburg 2000, S. 351-376, hier, S. 367 (im Folgenden zitiert Lodziitski Kwestia 2000).

73 Lodziitski Kwestia 2000, S.368. Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 2, 9.11.1993, 2. Kadenz.

74 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 6,19.1.94,2. Kadenz. 75 Die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte wurde 1989 gegründet und basiert auf

dem nach dem polnischen Kriegszustand 1982 entstandenen Helsinki-Komitee. Die Helsinki-Stiftung fungiert als unabhängige Einrichtung, die sich der politischen Bildung und Forschung im Menschenrechtsbereich widmet; siehe Helsinska Fun­dacja Praw Czlowieka <http://www.hfhrpol.waw.pl> (1.9.01).

76 Entwurf des Minderheitengesetzes, Sejm-Drucksache Nr. 616, 3. Kadenz (im Fol­genden zitiert Entwurf Minderheitengesetz), darin enthalten: Brief J acek Kuron an Sejm-Marschall vom 16.9.98.

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Kulturförderung treffen sowie neue Organe des Minderheitenschutzes etablieren.

Anders als die polnische Verfassung enthält dieser Text mit Blick auf die ethnischen Minderheiten eine definitorische Festlegung. Unter nationalen oder ethnischen Minderheiten werden demnach verstanden:

"Gruppen von Staatsbürgern der Republik Polen von separater Herkunft, die traditionell auf dem Gebiet der Republik Polen leben, die als Minderheit im Verhältnis zum Rest der Staatsbürger gelten, die sich charakterisieren durch ihr Streben nach dem Erhalt ihrer Sprache, ihrer Bräuche, 'ihrer Tradition, Kultur und Religion oder dem nationalen und ethnischen Bewusstsein. "77

Damit fokussiert sich dieser Gesetzentwurf eindeutig auf die Gewäh­rung von Gruppenrechten der Minderheiten." In ihrer Begründung ver­weist die Kommission darauf, dass sie sich bei dieser Definition an eine bereits existierende Definition der Instrumente der Initiative Mitteleu­ropa über den Minderheitenschutz von 1994 angelehnt hat, der Polen im Frühjahr 1995 beigetreten war.'9 Verzichtet wurde damit auch auf eine Aufzählung der in Frage kommenden Minderheiten. Durch die Be­schränkung auf "traditionelle" Minoritäten ist jedoch bereits deutlich, dass neuere Migrantengruppen nicht unter diese Vorgabe fallen sollen.

Worauf jedoch im Gesetzentwurf verzichtet wurde, findet sich in der Entwurfs-Begründung: eine gen aue Auflistung der nach Intention der Verfasser unter dieses Gesetz fallenden Minderheiten. Dabei ist die Unterscheidung von nationalen (mit Titularstaaten) und ethnischen (oh­ne Titularstaaten) Minderheiten aus der Verfassung übernommen wor­den. Gemäß der Begründung der Gesetzesvorlage wird als nationale Minderheit neben der weißrussischen, tschechischen, litauischen, deut­schen, armenischen, russischen, slowakischen und ukrainischen Min­derheit auch die jüdische Minderheit verstanden. Dabei offenbart sich, dass selbst in diesem minderheitenfreundlichen Kontext die jüdische Bevölkerung als eigene ethnische Gruppe angesehen wird. Dies wäre aus westeuropäischer - und gerade aus deutscher - Perspektive kaum denkbar, gilt doch die Zu schreibung von Ethnizität gegenüber dem Ju­dentum als eine Grundkonstante des Antisemitismus. Ähnlich verhält es sich mit der Qualifizierung der Juden als nationale Minderheit. Mit der dabei suggerierten Existenz einer komplementären Titularnation kann nur Israel verstanden werden - eine ebenfalls nicht unproblematische

77 Entwurf Minderheitengesetz, Artikel 2. 78 Siehe auch Kallas 1995, S. 184. 79 Begründung zum Entwurf des Minderheitengesetzes, Sejm-Drucksache 616, 3.

Kadenz, S. 2 (im Folgenden zitiert, Begründung MG).

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Zuschreibung. 80 Die Kategorie der religiösen Minderheit, die an dieser Stelle für die jüdische Bevölkerung hätte gewählt werden müssen, hat allerdings in minderheiten bezogenen Argumentationen in Polen und somit auch an dieser Stelle keinerlei Bedeutung."

Zudem fehlt in dieser Gesetzesbegründung - entgegen der gängigen politischen Praxis in Polen - eine Erwähnung sowohl der griechischen bzw. makedonischen sowie der kaschubischen Minderheit (als sprachli­che Minderheit eingestuft). Beide werden beispielsweise durch die För­derpolitik des Kulturministeriums (letztere sogar durch die Teilhabe am Minderheitenschulwesen) faktisch als Minderheiten behandelt." Den­noch: Da Griechen und Mazedonier erst um die Mitte des 20. Jahrhun­derts nach Polen gekommen sind,83 trifft auf sie im Sinne der Gesetzes­vorlage sicherlich nicht das Kriterium der "traditionellen Siedlungswei­se" zu.

Insgesamt bleibt der Befund, dass in dieser Definition zum einen die "klassischen" Charakteristika von Minderheiten eines objektiven Merkmals (Herkunft) und eines subjektiven Willens bzw. Bekenntnisses (das Streben nach Erhalt der Merkmale) zu finden sind, und dass zugleich ein Gruppenschutz gewährt wird, der weit über den Schutz von Individuen hinausgeht.

Die vorgesehenen konkreten Minderheitenschutzüberlegungen wei­sen folgende markante inhaltliche Aspekte auf:

Im Bereich des Sprachen schutzes wird das Konzept einer Nutzung der Minderheitensprache als sogenannter "Hilfssprache" avisiert, deren Gebrauch den Minderheiten neben der polnischen Amtssprache gestattet werden soll. Dies soll gelten für die Nutzung des eigenen Namens in Personenstandsangelegenheiten und Dokumenten84 sowie auf Antrag der

80 Wie unumstritten eine derartige Zuteilung der jüdischen Bevölkerungsgruppe ist, zeigt sich beispielsweise auch daran, dass der exzellente Minderheiten-Experte Lodziitski in seiner Skizze über diesen Gesetzgebungsprozess zwar das Fehlen di­verser anderer Minderheitengruppen in dieser Auflistung anmerkt, jedoch diesen Aspekt unerwähnt lässt. Lodziitski, K westia 2000, S. 372.

81 Informator 1994, S. 28 sowie Szamel, Dariusz: Spolecznosc zydowska, in: Centrum 1998, S. 251-269, hier S. 252.

82 Siehe Lodziitski, Kwestia 2000, S. 373. 83 Zwischen 1949 und 1951 kamen ca. 15.000 Griechen und Makedonier als

Asylsuchende nach Polen, von denen ein Großteil in den 70er Jahren wieder zurückkehrte; Lodziitski, Slawomir: National Minorities and the ,Conservative' Politics of Multiculturalism in Poland after 1989, in: Hamilton, Ian; Iglicka, Krystyna: From Homogeneity to Multiculturalism: Minorities Old and New in Poland, SSEES Occasional papers Nr. 45 (2000), S. 34-66, hier S. 40.

84 Mit Ausnahme von ukrainischen und weißrussischen Namen, denn es soll sich um die Verwendung des lateinischen Alphabets handeln, so dass in diesem Fall

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Betroffenen für die Nutzung gegenüber Behörden in solchen Gemein­den, in denen eine "bedeutsame" Anzahl von Mitgliedern der traditio­nellen Minderheiten lebt. Eine solche Liste relevanter Gemeinden soll durch die Spitze der Exekutive, den Ministerrat, festgelegt werden. Ebenso können in diesen Gemeinden öffentliche Einrichtungen und Straßen in der Minderheitensprache bezeichnet werden. 8S Mit diesen Regelungen - so argumentert die Kommission - bleibt die verfassungs­mäßige Festlegung des Polnischen als Amtssprache unberührt. Einfluss auf diese Überlegungen hatten internationale Dokumente. Dazu gehören das Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimen­sion von 199086, die Rahmenkonvention des Europarates (Artikel 10, Absatz 2 und 3)87 sowie die bilateralen Nachbarschaftsverträge.

Die Vorlagen des Entwurfs für das Minderheitenschulwesen geben vor allem die in der Frühphase der Transformation getroffenen minder­heitenrelevanten Grundlagen zum Bildungssystem wieder." Dabei man­gelt es nach Slawomir Lodziriski vor allem an drei Punkten: Ausgespart wurden erstens Überlegungen zur uneinheitlichen, ungeklärten und oft auf Privatinitiative beruhenden Lehrerausbildung im Minderheiten­schulwesen. Zweitens fehlen Überlegungen zur institutionalisierten Regelung der bislang ebenfalls zumeist in Eigeninitiative erstellen Lehrmaterialien. Drittens fehlen Überlegungen, den Minderheiten die Möglichkeit der Schaffung von Privatschulen zuzugestehen.B9

Ein wesentlicher Bereich des Minderheitenschutzes, die Medien­und Kulturförderung, wurde in diesem Gesetzentwurf denkbar allge­mein behandelt. Für den Bereich der Medien wird lediglich festgestellt, dass die Verbreitung von Wissen über Minderheiten und die Ausstrah­lung von Programmen in den Minderheitensprachen Bestandteil des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens sein müssen.90 Auf den Aspekt

lediglich eine transkribierte Fassung erlaubt sein soll. 85 Entwurf Minderheitengesetz, Artikel 3 und Artikel 8-12. 86 Inhalt des Artikels 34 ist die Zusicherung, dass die Teilnehmerstaaten sich bemü­

hen, Angehörigen nationaler Minderheiten, wenn möglich und notwendig, den Gebrauch der Muttersprache vor Behörden und Gerichten zu verwenden; hier nach Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Bulletin vom 4.7.1990. Nr. 88/S.765.

87 In diesem Artikel wird zugesichert, dass sich die Vertragsparteien bemühen, in Gebieten, in denen die Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl woh­nen, die Verständigung mit den Behörden in der Minderheitensprache zu ermögli­chen, hier nach: Bundesgesetzblatt 1997, Teil 11, Nr. 31, Bonn, 29.7.1997, S. 1411 f.

88 Entwurf Minderheitengesetz, Artikel 13-17, Begründung Minderheitengesetz S. 4 f. 89 Lodzinski, Kwestia 2000, S. 369. 90 Entwurf Minderheitengesetz, Artikel 19.

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der Kulturförderung, faktisch ein wesentlicher Kernbereich der Minder­heitenpolitik, wird in diesem Entwurf lediglich hinsichtlich der Förde­rung von Kulturaktivitäten wie Festivals, Zeitschriften, Bibliotheken usw. verwiesen. Es fehlen Überlegungen zu neuen Modellen der Kultur­förderung, die auf Probleme der bisherigen Praxis reagieren (siehe dazu den entsprechenden Abschnitt zum Kulturministerium).

Das innovative "Herzstück" dieses Gesetzentwurfes stellen die Ü­berlegungen zur Bildung einer neuen minderheitenrelevanten politi­schen Institution dar. Mit einem Amt für die Angelegenheiten nationaler Minderheiten (UMN) soll ein Zentralorgan der zentralstaatlichen Min­derheitenpolitik geschaffen werden!' Dieses ist als eigenständige Be­hörde konzipiert (in früheren Überlegungen der Kommission sollte eine zentrale Stelle für Minderheitenangelegenheiten beispielsweise im Amt des Ministerrates angesiedelt werden),92 soll jedoch durch Be- und Abberufung des Amts-Vorsitzenden durch den Ministerpräsidenten und eine Berichtspflicht gegenüber diesem unter seiner Aufsicht stehen. Die geplante Kompetenzverteilung konzentriert sich jedoch auf einen Ein­zelakteur, den Vorsitzenden des UMN. So wird auch als zentrales Organ der Regierungsadministration gegenüber den Minderheiten der Vorsit­zende des Amtes für Minderheiten benannt und nicht die geplante Insti­tution selbst. Ein genaueres Profil der Behörde selbst wurde nicht fest­gelegt. 93

Die Kompetenzen des Vorsitzenden des geplanten UMN orientieren sich an einer bereits 1990 eingerichteten interministeriellen Kommissi­on für Minderheitenangelegenheiten, die damals jedoch wenig erfolg­reich gewesen ist. 94 Neu und weitergehender - und einer eigenen Behör­de auch angemessen - ist, dass der Vorsitzende nicht nur die minderhei­tenrelevante Programmatik auf Regierungsebene auszuarbeiten hat, sondern selbst für die politische Umsetzung zuständig sein soll. Parado­xerweise sollen gleichzeitig die Kompetenzen der einzelnen ministeriel-

91 Entwurf Minderheitengesetz, Artikel 20-25. 92 Siehe beispielsweise Überlegungen hierzu in: Bulletin d. Sejm-Kommission für

Minderheiten, Nr. 17, 13.12.94,2. Kadenz. 93 Entwurf Minderheitengesetz, Artikel 20. 94 Diese Kommission war auf Beschluss des Ministerrates eingerichtet worden (Be­

schluss Nr. 12 des Ministerrates vom 7.9.1990). Zwischenzeitlich waren dort ange­legte koordinierende Kompetenzen der minderheitenrelevanten Regierungstätigkeit auf das Büro für Minderheitenangelegenheiten im Kulturministerium übertragen worden und somit in nur einem Ministerium angesiedelt gewesen. Biuro do Spraw Mniejszosci Narodowych przy Ministerstwie Kultury i Sztuki: Biuletyn. Mniejszosci narodowe w Polsce w 1993 roku, Warszawa 1994, S. 215 f.

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len Ressorts erhalten bleiben:s was sich auch anhand der Einrichtung eines Rates für Minderheitenangelegenheitenzeigt, der sich aus den relevanten Ministerien zusammensetzt (Artikel 24). Entscheidend wäre jedoch bei dieser geplanten institutionellen Lösung, dass der Rat ge­meinsam die Höhe und die Auf teilung eines dann erstmals denkbaren Gesamtbudgets für Minderheitenangelegenheiten festlegt, der den bishe­rigen jährlichen "Budgetkampf' um die Finanzierung der minderheiten­bezogenen Aufgaben in den Einzelressorts ablösen könnte.

Innerhalb dieses Gesetzentwurfs mangelt es jedoch an einer ange­messenen institutionellen Integration der Minderheiten selbst. So soll lediglich ein jährliches(!) Treffen mit Minderheitenvertretern (Artikel 25) vorgeschrieben sein, an ein kontinuierliches Konsultationsgremium der Minderheiten wird also nicht gedacht.

Damit handelt es sich bei dem geplanten Amt für Minderheitenange­legenheiten eindeutig um die Idee einer institutionellen Neugründung. Zudem zeigt sich, dass die Kommission damit dem Problem des Min­derheitenschutzes als einer begrenzten Querschnittsaufgabe (die zumin­dest immer die Ressorts Kultur und Bildung betrifft) institutionell ge­recht werden will. Dennoch werden institutionelle Widersprüchlichkei­ten deutlich. Denn die herausragende Stellung des Vorsitzenden des Amtes ergibt letztlich ein Mischprofil zwischen der älteren Forderung der Parlamentskommission nach der Schaffung eines Beauftragten für Minderheitenfragen (also einem tatsächlichen Einzelakteur)96 und der neuen Idee einer Behörde als allgemeiner minderheitenbezogenen Insti­tution. Aus transformationstheoretischer Perspektive wird damit - trotz fortgeschrittener Transformation - in diesem institutionellen Kompro­miss nach wie vor dem Prinzip "Einzelakteur" vor dem Prinzip "Struk­tur" der Vorzug gegeben, nicht beachtend, welche Effektivitätsprobleme eine personelle Fehlbesetzung des Amtvorsitzenden mit sich bringen könnte.

Auch wenn dieser Entwurf eines Minderheitengesetzes somit im Be­reich des Minderheitenschulwesen, der Medien und der Kulturförderung vor allem den bereits existenten juristischen Status quo festschreibt, so könnten sich praktische Verbesserungen doch vor allem durch die Koor­dinationsfunktion des vorgesehenen Amtes für Minderheitenfragen er­geben. Dennoch bleibt der Gesetzentwurf sehr "zentralstaats-" bzw. eher "regierungsfixiert", was sich zum einen daran zeigt, dass sich das vor­gesehene institutionelle Lösungspotenzial stark auf die Koordinierung

95 Begründung Minderheitengesetz S. 6. 96 Dies war bereits im Frühjahr 1992 diskutiert worden. Siehe Verhandlungen hierzu

in: Bulletin Nr. 251/1. Kad., 18.3.1992.

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zentralstaatlicher Bürokratie fokussiert (eine eher horizontale Dimensi­on) und zum anderen dadurch, dass Regelungen zur politische Reprä­sentation von Minderheiten innerhalb des polnischen Staatsaufbaus, also zur eher partizipativen vertikalen Dimension, fehlen.

Im älteren Gesetzentwurf von 1993 fand sich hingegen ein Modell zur parlamentarischen Repräsentanz der Minderheiten. So wurde vorge­schlagen, einen landesweiten Achter-Wahlkreis für Minderheiten einzu­richten, der jeweils der weißrussischen, litauischen, deutschen, lemki­schen, russischen, slowakischen, ukrainischen und jüdischen Minderheit ein Sejm-Mandat garantieren sollte.97 Dieses Modell direkter parlamen­tarischer Repräsentation kann als sehr weitgehend bezeichnet werden, ist doch in den meisten Staaten allenfalls eine Befreiung von der Zu­gangshürde sowie die besondere Zuschneidung von Wahlkreisen ein gängiges Instrument zur Förderung der parlamentarischen Repräsentati­on von Minderheiten!'

Die Kommission begründete den Gesetzentwurf mit verschiedenen Argumenten. Abgesehen vom Minderheitenschutz findet sich in der Argumentation eine historische Dimension, indem auf die Toleranz der ersten polnischen Republik verwiesen wird. Diese polnische Adelsrepu­blik, die von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zu den polni­schen Teilungen währte und an deren Ende 1791 die erste geschriebene Verfassung des modernen Europa stand,99 war ein ethnisches "Gemisch", in dem nicht "das ,Blut' oder die Religion ... einen zum Polen {machte], sondern die Loyalität gegenüber dem Staat ",lflJ und in der sich vor allem ein im europäischen Vergleich eher gemäßigter Umgang mit dem Juden­tum zeigte. 101 So wird zwar mit keiner direkten historischen Vorläuferin­stitution argumentiert, jedoch diese Vergangenheit als wiederzubeleben­de Tradition verstanden. Zudem wird darauf verwiesen, dass mit diesem Vorhaben der Typ eines Gesetzes vorgelegt werde, das bereits in zahlrei­chen anderen europäischen Staaten existent sei. 102 In der Tat hat es An­fang der 90er Jahre in anderen Transformationsstaaten quasi eine Welle solcher Gesetzgebungsinitiativen gegeben. Vorreiter waren dabei die

97 Siehe Lodzinski, Kwestia 2000, S. 368 und 370. 98 Siehe hierzu Oeter in Frowein 1994, S. 505. Ein Sitzkontingent bietet bspw. auch

Rumänien und Slowenien an, Mohlek in Mohlek 1994, S. 54 f. 99 Alexander, Manfred: Geschichtlicher Überblick, in: Wöhlke, Wilhelm (Hrsg.):

Länderbericht Polen, Bonn 1991, S. 17-45, hier S. 19. 100 Krzeminski, Adam: Polen im 20. Jahrhundert. Ein historischer Essay, München

1993, S. 14. 101 Hoensch, Jörg K.: Geschichte Polens, Stuttgart 1990, S. 131. 102 Begründung Minderheitengesetz S. 1.

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baltischen Staaten (1991). Es zeigte sich ein Trend, dem sich 1991 Kro­atien, 1992 die Ukraine und Weißrussland und 1993 Ungarn anschlos­sen. 103 Ungeachtet des realen Minderheitenschutzes in diesen jeweiligen Staaten fällt besonders auf, dass es Polen nach wie vor nicht gelungen ist, ein solches Gesetz zu verabschieden.

Dem geplanten Gesetz liegt demnach - qua Argumentation - sowohl ein historischer als auch ein externer Anreiz zugrunde, somit also zwei gängige Motive zum institution building in Transformationsstaaten (wie im Theoriekapitel dargelegt). In der Begründung zum Gesetzentwurf erstaunt indes, dass jegliche argumentative Verweise auf aktuelle Defi­zite des Minderheitenschutzes fehlen.

Die Regierung unter Jerzy Buzek unterstützte zwar grundsätzlich die Idee eines Minderheitengesetzes, kritisierte jedoch alle im Entwurf vorgesehenen Minderheitenschutzbereiche. Die größte Kritik wurde am Konzept der Hilfssprache geübt, dessen Nutzung sowohl im Personen­standsbereich als auch in den Gemeindeverwaltungen als unpraktikabel zurückgewiesen wurde. Zudem wurden die Kultur-, Bildungs- und Me­dien artikel als zu allgemein kritisiert und ebenfalls auf das Fehlen von Regelungen zur politischen Repräsentanz der Minderheiten verwiesen. Auch das Amt für Minderheiten wird als nicht notwendig angesehen und stattdessen das Konzept eines Beauftragten für Minderheitenfragen favorisiert (ohne dass der Ministerrat seitdem einen solchen Beauftrag­ten eingerichtet hätte). Die Argumentation dieses frühen Entwurfs einer Regierungsposition vom Oktober 199811" wurde auch in der Regierungs­stellungnahme während der ersten Lesung des Entwurfs im Sejm im Frühjahr 1999 beibehalten. 105 Die Regierungsposition gegenüber diesem Gesetzentwurf charakterisiert sich somit durch eine Kombination von zwar formulierter grundsätzlicher Zustimmung, jedoch gleichzeitiger faktischer Generalkritik an dieser Vorlage.

Parlamentsdebatte Die Parlamentsdebatte zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs im März 1999 geriet gleichsam auch zu einer Bilanz der Minderheitenpolitik seit

103 Hier nach Brunner, Georg: Die rechtliche Lage der Minderheiten in Mittel-, Ost­und Südosteuropa, in: Osteuropa Recht, 3/1994, 40. Jg., S. 157-177, S. 162 f.

104 Entwurf einer Regierungs-Stellungnahme zum Abgeordneten-Entwurf des Gesetzes über nationale und ethnische Minderheiten in der Republik Polen, unveröffentlich­tes Manuskript, Warschau Oktober 1998.

105 Stellungnahme des Unterstaatssekretärs im Innen- und Verwaltungsministerium Leszek Burzynski, Stenographische Berichte (im Folgenden zitiert Steno Ber.), 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999,3. Kadenz.

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1989. 106 Jacek Kuron, der als Kommissionsvorsitzender den Gesetzent­wurf vorzustellen hatte, verfolgte eine eher allgemein gehaltene Argu­mentation. Kuron postulierte vor allem, dass dieser Gesetzentwurf einen gewissen Höhepunkt der Bemühungen um Minderheitenschutz der ver­gangene zehn Jahre darstelle. I07 Der Abgeordnete der Wahlaktion Soli­damosc (A WS) und stellvertretende Kommissionsvorsitzende Wojciech Hausner, der sich der schwierigen Lage ausgesetzt sah, gegen die Mehr­heitsmeinung seiner Fraktion den Entwurf zu verteidigen, verwies u.a. auf die östlichen Nachbarländer, die derartige gesetzliche Regelungen bereits zu Anfang der 90er Jahre getroffen hätten. Damit findet sich interessanter Weise nicht das in verschiedenen Politikfeldern der Trans­formationsstaaten verbreitete "Westintegrations"-Postulat, sondern es gilt - selten genug - Osteuropa als Vorbild. I08 Unter den weiteren Argu­menten der Kommissionsmitglieder findet sich beispiel weise der Hin­weis, es handele sich bei dem Entwurf zum Minderheitengesetz primär um eine konkrete Ausgestaltung der Verfassungsregelungen. HJ9 Der zur ukrainischen Minderheit gehörende Abgeordnete der Freiheitsunion (UW), Miroslaw Czech, der im Namen seiner Fraktion für den Entwurf warb, griff zwar ebenfalls die europaorientierte Argumentation Haus­ners auf, fokussierte sich jedoch vor allem auf den inländischen Prozess der vergangenen zehn Jahre, eine Etappe, die in Czechs Augen durch die Verabschiedung des Gesetzes abgeschlossen werden sollte. Seine inhalt­liche Begründung beruht auf der Feststellung eines "großen Chaos", welches sich in der staatlichen Minderheitenpolitik zum damaligen Zeitpunkt zeigte. Zudem betonte Czech, dass dieser Entwurf in Koope­ration mit den Minderheiten entstanden sei und einem breiten Konsens zwischen diesen entspräche. Mit einem Verweis auf die Präambel der polnischen Verfassung bezog Czech eine weitere Legitimation für den Gesetzentwurf aus der dort anklingenden "Idee der Staatsbürgerschafts­nation"."0 Ein Vertreter der deutschen Minderheit im Sejm (ebenfalls Kommissionsmitglied), Henryk Kroll, versuchte vor allem direkt an die ablehnende Wahlaktion Solidamosc (A WS) zu appellieren, indem er darauf verwies, dass die deutsche Minderheit in zahlreichen regionalen und lokalen Zusammenhängen in Schlesien erfolgreich mit der AWS koaliert.

106 Lodzinski, Kwestia 2000, S. 37l. 107 Stellungnahme Jacek Kuron, Steno Ber. 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999, 3. Kadenz. 108 Hausner bezieht sich hier auf Weißrussland, Litauen, Ukraine und Slowakei, Steno

Ber. 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999,3. Kadenz. 109 Jerzy Szteliga SLD, ebda. 110 Miroslaw Czech, ebda.

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Recht widersprüchlich mutet die Argumentation der Fraktion der Bau­ernpartei PSL an, die sich fast geschlossen gegen den Gesetzentwurf stellte. llI Ihr Vertreter Janusz Dobrosz kritisierte vor allem die Regelun­gen zur Zweisprachigkeit in Gemeinden. ll2 Seine Fraktion hatte jedoch in ihrer Vorlage zum Gesetz über die polnische Sprache anderthalb Jah­re zuvor ein ähnliches Konzept entwickelt, was Kommissionsmitglied Jan Byra (SLD) in derselben Debatte dementsprechend kritisierteY3 Die drei kleinen konservativ-nationalistischen Sejm-Fraktionen der Konfö­deration Unabhängiges Polen - Vaterland (KPN-Ojcz) , Bewegung für den Wiederaufbau Polens (ROP) sowie" Unser Kreis" (NK) begründe­ten ihre Ablehnung des Gesetzentwurfs zum einen mit den verfassungs­mäßig festgelegten Rechten, die ausreichend seien, gleichermaßen alle polnischen Bürger zu schützen, sowie damit, dass eine Privilegierung der Minderheiten vermieden werden sollte. Zum anderen wurde ver­langt, in gleichem Maße die Aufmerksamkeit auf die Lage der Polen in allen Nachbarländern zu legen,1I4 ein verbreitetes Argument bei Kriti­kern des Minderheitenschutzes, das zugespitzt auch als "Geiselnahme"­Argument (inländische Minderheiten als "Geiseln" für ausländische Minderheitenpolitik) bzw. "Gegenseitigkeits" -Argument bezeichnet wird. ll5 Auch Gegner aus den Reihen der A WS betonten die verfas­sungsmäßige Gleichheit aller polnischen Bürger, die durch die Verab­schiedung eines Minderheitengesetzes eher zu einer Teilung in Mehr­und Minderheit führen könnte. 1I6

Die Parlamentsabstimmung über den Gesetzentwurf brachte eine mehrheitliche Zustimmung für die weitere Bearbeitung des Entwurfs.

111 Von 20 anwesenden Fraktionsmitgliedern stimmten 19 dagegen, Steno Ber. 46. Sitzung 3. Tag, 19.3 .1999.

112 Janusz Dobrosz PSL, ebda., Abstimmungsergebnis Steno Ber. 46. Sitzung, 3. Tag, 19.3.1999.

113 Jan Byra SLD, Steno Ber. 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999, 3. Kadenz und Gesetzent­wurf der PSL-Fraktion zum Gesetz über die polnische Sprache, Sejm-Drucksache Nr. 10, III. Kadenz, vom 22.10.1997.

114 Stellungnahme Andrzej Zapalowski KPN-Ojcz, 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999, 3. Kadenz, Steno Ber ..

115 Auf die politische Haltung, Minderheiten als eine Art "Geiseln" in der Politik mit den Nachbarstaaten zu sehen, verwies beispielsweise Bogumila Berdychowska, in: Osteuropa-Archiv, S. A 468, im Bericht der Sejm-Kommission über die Legislatur­periode 1997 -200 1 wurde dies als Argumentation der "Gegenseitigkeit" bezeichnet, siehe Sejm Rzeczypospolitej Polskiej III kadencji (Hrsg.): Sprawozdanie Komisji Mniejszosci Narodowych i Etnicznych z dzialalnosci w okresie III kadencji Sejmu RP (1997-2001), Warschau 2001 (im Folgenden zitiert Bericht der Sejm­Kommission, 3. Kadenz), S. 6.

116 Ewa Sikorska-Trela, AWS, 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999, 3. Kadenz, Steno Ber.

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Hierfür stimmten 231 Abgeordnete von 395 Anwesenden. Für die sofor­tige Ablehnung des Gesetzes stimmten 115 Abgeordnete, 49 enthielten sich. Die Zustimmung kam primär aus den Fraktionen vom Bündnis der demokratischen Linken SLD und der UW. Fast geschlossen dagegen stimmten die Bauempartei PSL sowie knapp die Hälfte der A WS­Parlamentarier.1l7

Subjektive Adressatenlegitimität Die innerhalb der Parlamentsdebatte als Argument genutzte Erwähnung der breiten Zustimmung der Minderheitenvertreter zu diesem Gesetz bestätigt sich gleichermaßen anhand der in dieser Studie durchgeführten Interviewbefragungen führender Vertreter der Verbände von Litauern, Weißrussen, Ukrainern und Slowaken. Die überwiegende Mehrheit der befragten Minderheitenvertreter hält das Gesetz für notwendig und er­wartet - vor allem aufgrund der Bündelung aller gesetzlicher Bestim­mungen - umittelbare Verbesserungen durch eine mögliche Verabschie­dung,!IR wenn das Gesetz auch nicht als Allheilmittel gesehen wird."o Ein Teil der weißrussischen Elite aus den Kreisen des Bundes (Zwiqzek) hält hingegen das Gesetz für unnötig. So wird beispielsweise zum einen darauf verwiesen, dass "wenn der Staat und die Gesellschaft wirklich demokratisch wären, wäre das [Gesetz, d. A.] völlig unwichtig", weil die Verfassung doch die gleichen Rechte aller Bürger garantiere. 1'" Zum anderen wird die Gefahr einer Aussonderung der Minderheiten als "Bürger anderer Kategorie" durch das Gesetz gesehen. I2I

Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass der Gesetzentwurf grundsätzlich eine sehr hohe Adressatenlegitimität aufweist. Der lang andauernde Prozess der Verabschiedung wird hingegen als ausgespro­chen negatives Signal für den politischen Willen zu einem solchen

117 Steno Ber. 46. Sitzung, 3. Tag, 19.3.1999. Der entsprechende Antrag zum Minder­heitengesetz lautete auf Ablehnung des Gesetzes bereits nach der ersten Lesung, so dass die Abgeordneten, die dem Gesetzentwurf zustimmten, faktisch gegen den An­trag stimmten und ebenso die Ablehnenden für diesen Antrag.

118 Siehe Interviews mit den Führungseliten der analysierten Minderheitenverbände. Die einzige Ausnahme stellt ein Teil der weißrussischen Elite dar, die die Verab­schiedung eines Minderheitengesetzes als eine Art negative Abgrenzung der Min­derheiten als "andere" Staatsbürger ablehnen; Interview mit Oleg Latyszonek, März 1999 Bialystok.

119 Beispielhaft Valentina Laskiewicz, März 1999 Bialystok und J6zef Ciltgwa, März 1999, Kattowitz.

120 Interview mit dem Vorsitzenden des Programmrates "Niwa" Eugeniusz Mironowicz, März 1999 Bialystok.

121 Interview mit dem Vorsitzenden der Weißrussischen Historischen Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Historyczne) Oleg Latyszonek, März 1999 Bialystok.

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"Grundgesetz für Minderheiten "122 gesehen. Dementsprechend zeigten sich auch resignative Töne. 123

Sicher ist, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes in der geplanten Form zu einer enormen Veränderung des minderheitenrelevanten politi­schen Institutionensystems führen würde. Dass diese vorgesehen ist, ist ein Anzeichen dafür, dass sich dieses Institutionensystem auch mehr als eine Dekade nach dem Systemwechsel im Prinzip noch in einem deutli­chen Transformationsprozess befindet. Mit dem Ende der Legislaturpe­riode im Herbst 2001 ist es innerhalb der dritten Kadenz des Sejm nicht zu einer zweiten Lesung dieses Gesetzes gekommen, und es bleibt of­fen, wann es in der vierten Kadenz, also der Legislaturperiode von 2001 bis 2005, zu einer erneuten Behandlung des Gesetzes kommen wird. Der SLD-Parlamentarier Jan Byra, Mitglied der Sejm-Kommission, stellte bei seinem Versuch, das Parlament von dem Gesetzentwurf zu überzeu­gen, fest, dass das Gesetz für Polen wie ein Test sei, ein Examen in Sachen Toleranz. l24 Ob Polen diesen Test noch besteht, oder ob das Ge­setz tatsächlich nicht verabschiedet wird, wie einige Minderheitenver­treter befürchten, und dieses Vorhaben zu einer never ending story ge­rät, bleibt schwer zu sagen.

1.3 Externe Faktoren

1.3.1 Internationale Minderheitenschutzdokumente

In diesem Abschnitt soll ein knapper Überblick über Polens Teilnahme an internationalen Rechtsschutzdokumenten gegeben werden. Dabei ist es nicht beabsichtigt, die Reichweite der einzelnen Verträge zu diskutie­ren. Es wird lediglich auf die Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates sowie auf einige bilate­rale Verträge näher eingegangen. Polen hat den größten Teil sowohl der völkerrechtlichen als auch der regionalen (sprich der KSZE/OSZE und Europarats-) Dokumente unterzeichnet, welche die Menschenrechte und

122 Interview mit dem Vorsitzenden der Gesellschaft des Heiligen Kasimir, Piotr Skrzypko, März 1999, Punsk.

123 Vor allem der Vorsitzende der Weißrussischen sozio-kulturellen Gesellschaft (Bialo­ruskie Towarzystwa Spoleczno-Kulturalne) und SLD-Parlamentarier Syszewski ging davon aus. Nahezu alle hier in Rede stehenden Interviews wurden im März 1999 absolviert und somit zumeist einige Tage vor der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Sejm. Somit zeigt sich auch, dass auch kurz vor dieser Lesung die Erwartungen nicht besonders groß waren.

124 Jan Byra, SLD 46. Sejm-Sitzung, 18.3.1999,3. Kadenz, Steno Ber.

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den Minderheitenschutz betreffen. l25 Unter den UNO-Dokumenten ist dies vor allem der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, den Polen elf Jahre später, also 1977, ratifizierte. Des Weiteren ratifizierte Polen das Internationale Übereinkommen zur Be­seitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1965 sowie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989. 126 Diese UNO­Verpflichtungen beinhalten in Bezug auf den Minderheitenschutz jedoch primär den Aspekt des Diskriminierungsverbots und sind somit für den Bereich des Minderheitenschutzes nicht weitgehend.

Als KSZE/OSZE-Mitglied hat Polen zudem alle entsprechenden KSZE-Dokumente unterzeichnet,'27 darüber hinaus ist Warschau seit 1992 Sitz des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrech­te der KSZE. Großen Einfluss auf die minderheitenrechtlichen Debatten innerhalb Polens entfaltete das Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE von 1990 (was bei der Ana­lyse des geplanten Minderheitengesetzes bereits erwähnt wurde), das eine Reaktion auf den Wandel in Ostmittel- und Osteuropa darstellt. Die Inhalte dieses Dokuments hatten auch Einfluss auf die Minderheiten­schutzbestimmungen des deutsch-polnischen Vertrags,l28 so dass die KSZE in der Frühphase der Transformation sicherlich den bedeutends­ten externen Faktor für den Minderheitenschutz Polens darstellte.

Von großer Bedeutung sind ebenfalls diverse Bestimmungen des Europarats, dessen Mitglied Polen seit 1991 ist. Dementsprechend hat Polen zwar 1993 die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 unterzeichnet, jedoch - für das vorliegende Thema von Bedeutung - nicht die Europäische Charta der Regional­oder Minderheitensprachen von 1992, die recht weitgehenden Spra­chenschutz festlegt. Hingegen unterzeichnete Polen zwar die Rahmen­konvention zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995, deren Ratifi­zierung benötigte jedoch fünf Jahre und kam erst 2000 zustande.

Rahmenkonvention des Europarates Im Folgenden soll ein Blick auf die Umstände des Ratifizierungsprozes­ses der Rahmenkonvention geworfen werden. Die Gesetzesinitiative zur Ratifizierung des Rahmenübereinkommens ging Ende des Jahres 1999 vom Ministerpräsidenten aus. Der dazu in den Sejm eingebrachte Ge-

125 Auf die Reichweite der einzelnen Dokumente und auf die Rechtsschutzinstrumente soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.

126 Lodzinski in Centrum 1998, S. 44, zudem Barcz in Heuberger 1996, S. 147. 127 Barcz in Heuberger 1996, S. 147 ff. 128 Lodzinski in Centrum 1998, S. 41.

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setzentwurf bestand lediglich aus zwei kurzen Artikeln mit der Feststel­lung der Ratifizierung. 129 Das Gesetz wurde - nach Ablehnung von Än­derungsversuchen der Kommission für nationale und ethnische Minder­heiten - in dieser Form verabschiedeL 130 Somit beinhaltet die polnische Ratifizierung der Rahmenkonvention - anders als beispielsweise das deutsche Ratifizierungsgesetz - keine konkreten Ausführungsbestim­mungen, die auf eine unmittelbare Umsetzung der Konvention hindeu­ten. Die Bundesrepublik hatte sich hingegen in ihrem Ausführungsge­setz für die direkte Umsetzung der Bestimmungen zum Namensrecht entschieden und somit immerhin ein konkretes Minderheitenschutzin­strument aus der Konvention ausgewählL l3l

Da konkretere Minderheitenschutzinstrumente der Rahmenkonvek­tion vorrangig im Ermessen der Unterzeichnerstaaten liegen ("die Ver­tragsparteien bemühen sich"),132 wird es auch für den polnischen Fall noch unmittelbarer Umsetzungsbestimmungen bedürfen. Einige Rege­lungen der Rahmenkonvention würden bei einer entsprechenden Umset­zung für den polnischen Minderheitenschutz beachtliche Neuerungen bedeuten, wie Fragen des Gebrauchs der Minderheitensprache vor Be­hörden, des Namensrechts und topographischer Angaben in den Min­derheitensprachen. Diese drei Aspekte finden sich in sehr ähnlicher Form in dem bereits skizzierten Entwurf zum Minderheitengesetz, wo­bei der Einfluss der Inhalte der Rahmenkonvention deutlich erkennbar ist. Sollte das Minderheitengesetz innerhalb der nächsten Legislaturpe­riode verabschiedet werden, könnte es deswegen faktisch zu einem Aus­führungsgesetz für die Bestimmungen der Rahmenkonvention werden.

Im Rahmen der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs zur Verabschie­dung der Rahmenkonvention wurde die Vorlage des Ministerpräsidenten sowohl an die Minderheiten-Kommission als auch an die Kommission für außenpolitische Angelegenheiten verwiesen, die einen gemeinsamen Änderungsentwurf vorlegten. Da auch in der Rahmenkonvention auf eine definitorische Festlegung des Begriffs "nationale Minderheit" ver-

129 Gesetzentwurf über die Ratifikation der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, Sejm-Drucksache Nr. 1383, 3. Kadenz.

130 Gesetz vom 27.April 2000 über die Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, Dz. U. 2000, Nr. 50, Pos. 579.

131 Vgl. Gesetz zu dem Rahmenübereinkommen des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten vom 22. Juli 1997, Bundesgesetzblatt Jahrgang 1997, Teil II, Nr. 31, Bonn 29. Juli 1997.

132 Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, abgedruckt in Bun­desgesetzblatt Jahrgang 1997, Teil II, Nr. 31, Bonn, 29.7.1997. Diese Formulierung findet sich beispielsweise zum Namensrecht (Artikel 11, Absatz 3), zum Bildungs­system (Artikel 14, Absatz 2) usw.

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zichtet wurde, schlugen beide Kommissionen eine konkrete Festlegung der in Polen in Frage kommenden Minderheiten vor. Erstaunlicherweise wurde seitens der Kommission hierfür kein Einzelgesetz, sondern - in gewissem Sinne die ultima ratio - eine Verfassungsänderung vorge­schlagen. Demnach sollte der auf Minderheiten bezogene Artikel 35 der Verfassung durch Anwendungshinweise ergänzt werden, die sich unmit­telbar auf die Rahmenkonvention beziehen:

"Die Regeln des Minderheitenschutzes werden in Übereinstimmung mit Artikel 30 der Rahmenkonvention auf alle polnischen Bürger mit russischer, ukraini­scher, weißrussischer, slowakischer, tschechischer und deutscher Nationalität angewandt, die in geschlossenen Gebieten siedeln, sowie auf die ethnische Gruppe der Roma. Unverzüglich nach der Ratifizierung sollen, übereinstim­mend mit Artikel 18, Absatz 1 der Konvention, ... Übereinkünfte mit Nachbar­staaten getroffen werden. "133

Diese Vorlage enthält drei bemerkenswerte Aspekte: Zum einen fällt auf, dass die Aufzählung der Minderheiten unvollständig ist, weil die litauische Minderheit fehlt. Zum anderen erscheint die Forderung nach (erneuten) Nachbarschaftsverträgen schlicht überflüssig, weil Polen durch seine Vielzahl an Nachbarschaftsverträgen, die Minderheitenklau­seln enthalten, eine bedeutende Rolle für die Etablierung von bilatera­lem Minderheitenschutz zugesprochen wird. l34 Drittens erscheint es un­gewöhnlich, als Ort für diese Ausführungsbestimmungen die Verfassung zu wählen, sollte doch der Weg einer Verfassungsänderung nicht ohne Not beschritten werden. Die oben vorgeschlagenen Inhalte ließen sich gleichermaßen in einem Ausführungsgesetz festlegen. 135

133 Bericht der Kommission rur nationale und ethnische Minderheiten und der Kom­mission rur außenpolitische Angelegenheiten über den Regierungsentwurf zur Rati­fikation der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, Sejm­Drucksache 1654, 3. Kadenz.

134 Lodziilski Minorities 2000, S. 47, der sich auf eine nicht näher erläuterte These von Jan Barcz bezieht. Dennoch hat sich der Ministerpräsident diese Forderung in einer sogenannten "interpretierenden Erklärung" zur Ratifikation zu eigen gemacht und die Realisierung solcher Verträge angekündigt. Interpretierende Erklärung (II) des Ministerpräsidenten vom 20.4.2000 zum Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Rah­menkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates, Sejm­Drucksache Nr. 1383, 3. Kadenz (hierzu ist anzumerken, dass zwei verschieden "in­terpretierende Erklärungen" des Ministerpräsidenten unter einer Sejm-Drucksachen­Nummer aufgeführt werden, diese sind hier als I und II gekennzeichnet).

135 Interpretierende Erklärung (I) des Ministerpräsidenten vom 7.1.2000 zum Gesetz­entwurf zur Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderhei­ten des Europarates, Sejm-Drucksache Nr. 1383, 3. Kadenz. Dieser Entwurf einer Verfassungsänderung stellt eine ausgesprochen kurzfristige Reaktion auf eine soge­nannte "Interpretierende Erklärung" zur Rahmenkonvention des Ministerpräsiden-

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Der Sejm entschied sich mit einem sehr klaren Abstimmungsergebnis für die Gesetzesversion des Ministerrates und nahm die Rahmenkonven­tion mit 344 Stimmen bei 56 Gegenstimmen und 13 Enthaltungen an. l36

Die subjektive Legitimität der Rahmenkonvention innerhalb ver­schiedener minderheitenrelevanter Institutionen ist als sehr hoch anzu­sehen, denn dem Verabschiedungsprozess wurde nicht nur in der Sejm­Kommission, sondern auch in der interministeriellen Arbeitsgruppe viel Raum gewidmeL 137 Zudem wurde beispielsweise in gemeinsamer Träger­schaft verschiedener Institutionen im Herbst 2000 aus Anlass der Ratifi­zierung eine größere internationale Konferenz zum Minderheitenschutz in Warschau veranstalteL I38 Die Erwartungen an die Effektivität, also die Problemlösungskapazität, der Rahmenkonvention erweisen sich inner­halb verschiedener minderheitenrelevanter Institutionen dementspre­chend ebenfalls als sehr hoch. 139 Die späte Ratifizierung dieses Doku­mentes bedeutet für das minderheitenrelevante Institutionensystem ins­gesamt, dass in verschiedenen Bereichen rechtliche Nachbesserungen und Anpassungen erforderlich sein werden und sich dieses somit nach wie vor in der Transformation befindet.

1.3.2 Bilaterale Verträge

Wie bereits erwähnt, hat Polen in einer vergleichsweise frühen Phase der Transformation verschiedene bilaterale Nachbarschaftsverträge ab­geschlossen, die ebenfalls Bestimmungen zum Minderheitenschutz ent­halten. Dazu zählen vor allem:

ten vom 7.1.2000 dar, die besagt, dass in der Republik Polen Minderheiten im Sinne des Verfassungsartikels 35 verstanden werden (auch wenn dieser faktisch keine Minderheiten-Definition enthält). Da der obige Vorschlag der Kommission bereits am 18.1.2000 vorlag, kann dieser wohl als wenig reflektierter "Schnellschuss" qua­lifiziert werden.

136 Abstimmungsergebnis der 76. Sejm-Sitzung vom 27.4.2000, Abstimmung Nr. 4, Stenographische Berichte des Sejm, 3. Kadenz. Die Gegenstimmen verteilten sich mit 29 (bei 126 Ja-Stimmen) auf die AWS und zehn aus der PSL-Fraktion. Alle an­deren Gegenstimmen stammten aus den kleinen konservativ-nationalistischen Frak­tionen.

137 Siehe Bulletins d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 3. Kadenz, sowie zudem Protokoll der XI. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe fur Minderheiten­fragen vom 28.9.2000.

138 Siehe Berichterstattung Slawomir Lodzinskis vor der Interministeriellen Arbeits­gruppe, Protokoll der XI. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minder­heitenfragen vom 28.9.2000.

139 Interviews mit Hanna Wawrzyk und Bogumila Berdychowska (als externe Expertin der Sejm-Kommission), beide Juli 2001 Warschau.

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• Bundesrepublik Deutschland: Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.6.l99l.

• Tschechoslowakei: Vertrag über gute Nachbarschaft, Solidarität und freundschaftliche Beziehungen vom 6.10.1991 (nach der Staaten­trennung jeweils fortgeHend).

• Ukraine: Vertrag über gute Nachbarschaft, freundschaftliche Bezie­hungen und Zusammenarbeit vom 18.5.1992.

• Russländische Föderation: Vertrag über freundschaftliche und gut­nachbarliche Zusammenarbeit vom 22.5.1992.

• Weißrussland: Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftli­che Zusammenarbeit vom 23.6.1992.

• Litauen: Vertrag über freundschaftliche Beziehungen und gutnach-barliche Zusammenarbeit vom 26.4.1994. 140

Bei dieser Auflistung wird nicht nur augenfällig, dass der deutsch­polnische Vertrag der erste in der Reihe der bilateralen Verträge war, sondern auch, dass der Vertrag zwischen Polen und Litauen erst mit einiger zeitlicher Verzögerung abgeschlossen werden konnte. Eine Eini­gung zwischen diesen beiden Staaten war nur langsam vorangegangen. Um die Bedeutung dieser bilateralen Verträgen zu ermessen, muss man sich vergegenwärtigen, dass nicht nur die polnisch-deutschen Beziehun­gen starken historischen Belastungen unterlegen sind, sondern in ähnli­chem Maße die polnisch-ukrainischen, polnisch-russischen und stärker noch die polnisch-litauischen Beziehungen von Belastungen geprägt waren und zuweilen heute noch sind.

Im Folgenden soll ein kurzer Blick auf den Charakter der Minder­heitenschutzbestimmungen geworfen werden, die in allen hier genann­ten bilateralen Verträgen enthalten sind. Der deutsch-polnische Vertrag, der als erster abgeschlossen wurde, stellt dabei die Vorlage für die Min­derheitenklauseln aller anderen Verträge dar. In den deutsch-polnischen Verhandlungen fiel die Entscheidung dafür, sich in diesem Bereich an das KSZE-Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension von 1990 anzulehnen. 141 Indem die KSZE-Überlegungen auch in den Verträgen mit den östlichen Nachbarn Verwendung gefunden

140 Siehe hierzu Mohlek in Mohlek 1994, S. 30. Minderheitenschutzbestimmungen finden sich ebenfalls in den bilateralen Verträgen mit Ungarn, Lettland und Estland, ebda.

141 Im Dokument des Kopenhagener Treffens sind insgesamt zehn Artikel dem Minder­heitenschutz gewidmet. Dokument des Kopenhagener Treffens tiber die Menschli­che Dimension der KSZE vom 29.6.1990, abgedruckt in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes des Bundesregierung Nr. 88, vom 4.7.1990, S. 765-767.

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haben, haben die bilateralen Verträge faktisch zu einer breiten Rezepti­on dieser KSZE-Bestimmungen geführt. I42

Der Begriff der Minderheiten wird in keinem der Verträge exakt de­finiert (so finden sich Formulierungen wie "Angehörige der ukraini­schen Minderheit in Polen" im polnisch-ukrainischen Vertrag).143 Ledig­lich im deutsch-polnischen Vertrag werden die Kriterien der deutschen bzw. polnischen Abstammung oder eines Bekenntnisses zur deutschen bzw. polnischen Sprache, Kultur oder Tradition angesprochen. Da letz­teres Kriterium nur schwer zu operationalisieren sein wird, bleibt auch in diesem Vertrag die definitorische Festlegung eher unbestimmt. 144

In der Literatur werden für alle diese Verträge vier prägende Prinzi­pien unterschieden: Das Bekenntnisprinzip, ein Assimilierungsverbot, das Gleichheitsprinzip und das Diskriminierungsverbot. 145 Das Bekenntnisprinzip bedeutet (neben dem oben genannten lediglich im deutsch-polnischen Vertrag festgelegten objektiven Kriterium) die subjektive persönliche Entscheidung des Einzelnen über die Zugehörigkeit zu einer Minderheit. Dies ist in den bilateralen Verträgen als negatives Abwehrrecht enthalten. I46

Diese "abwehrbezogene" Tendenz zeigt sich auch in dem im deutsch-polnischen und deutsch-tschechoslowakischen Vertrag enthalte­nen Verbot, die Minderheitenangehörigen gegen ihren Willen zu assimi­lieren, sowie in den Formulierungen verschiedener Verträge zur Gleich­heit vor dem Gesetz und zum Schutz vor Diskriminierung. I• 7 Unter den positiven Schutzelementen (die ebenfalls an die Kopenhagener KSZE­Erklärung angelehnt sind) finden sich die Erwähnung des Rechts auf die Gründung eigener Einrichtungen, die Kontaktpflege mit Minderheiten-

142 Siehe hierzu Barcz in Heuberger 1996, S. 14. 143 Zitiert nach Ebda. 1996, S. 149. 144 Artikel 290, Absatz I, Deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag, siehe zudem

Mohlek in Mohlek 1994, S. 31. Auf die Festlegung, dass es sich jeweils um deut­sche bzw. polnische Staatsangehörige handelt, auf die diese Minderheitenmerkmale zutreffen, hatte die polnische Regierung großen Wert gelegt, um die deutsche Grundgesetzbestimmung zu "neutralisieren", nach der alle Personen, die 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen haben und heute in den Grenzen des Deut­schen Reiches vom 31.12.1937 leben, als "Deutsche" gelten, GG, Artikel 116, Ab­satz I, siehe Barcz in Heuberger 1996, S. 149.

145 Siehe Barcz in Heuberger S. 150. 146 Beispielhaft deutsch-polnischer Vertrag Artikel 20, Absatz 4, "Die Zugehörigkeit, ...

[ist] Angelegenheit der persönlichen Entscheidung eines Menschen, ... die ftlr ihn keinen Nachteil mit sich bringen darf', ähnlich im Vertrag mit der Tschechoslowa­kei, der Ukraine und Weißrussland, siehe dazu Barcz in Heuberger 1996, S. 150, zudem Mohlek in Mohlek 1994,S. 31.

147 Barcz in Heuberger 1996, S. 151.

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angehörigen im In- und Ausland und der Empfang und die Verbreitung von Informationen in der Muttersprache. Auf die Einräumung der eher weitergehenden Rechte des Gebrauchs der Muttersprache vor Behörden wurde jedoch verzichtet. Der Aspekt des muttersprachlichen Unterrichts wird nur in den Verträgen mit der Ukraine und der Tschechoslowakei gewährleistet, die Verträge mit Deutschland und Weißrussland sichern hingegen das Bemühen darum zu. Eine wesentliche Rechtsgewährung in den Verträgen mit Deutschland, Weißrussland und der Ukraine stellt auch das Recht der Nutzung des eigenen Namens in der muttersprachli­chen Version darY'

Man kann sicherlich insgesamt feststellen, dass die bilateralen Ver­träge einen großen Stellenwert für den Minderheitenschutz dieser Län­dergruppe haben. Durch diese eigentlich sehr besonnene - da auf KSZE­Bestimmungen beruhende - Festlegung von Minderheitenbestimmungen wurden zu einem recht frühen Zeitpunkt der Transformation möglicher­weise eskalierenden Konflikten um die jeweiligen Minderheiten schlicht der "Wind aus den Segeln" genommen. Man kann somit einer Bewer­tung aus der Literatur zustimmen, die diese bilateralen Verträge als neue Grundlage des Minderheitenschutzes der geopolitischen Region Ostmit­teleuropa bezeichnet. 149 Jedoch beinhalten diese Abkommen keinerlei Kontroll- oder sogar Sanktionsinstrumente bei Nichtumsetzung der genannten Bestimmungen. Die Verträge weisen somit im Alltag des Minderheitenschutzes eher politische denn juristische Kraft auf.

Die Stellung der Minderheiten im Rechtssystem Polens stellt sich insgesamt ambivalent dar. Zum einen zeigt sich eine angemessene Be­rücksichtigung von Minderheiten innerhalb der polnischen Verfassung. Zudem stellen die bilateralen Verträge Polens eine innovative Regelung von Minderheitenfragen auf zwischenstaatlicher Ebene dar. Im Bereich der internationalen Rechtsschutzdokumente fällt in negativer Hinsicht allenfalls die Nichtunterzeichnung der Europarats-Charta der Regional­und Minderheitensprachen auf. Obwohl jedoch innerhalb der nationalen minderheitenrelevanten Gesetzgebung in verschiedenen Bereichen wie dem Schulsystem oder der Kirchenfrage und vor allem auch auf Verfas­sungsebene adäquate Regelungen getroffen wurden, sind vor allem die stark defizitären rechtlichen Regelungen zum Sprachgebrauch auffal­lend. Zudem fehlen institutionelle Arrangements zur politischen Reprä-

148 Mohlek in Mohlek 1994, S. 31, sowie Barez in Heuberger S. 153. 149 Krzywicka, Katarzyna: Polozenie prawne mniejszosci narodowyeh w Polsce, in:

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Instytut Europy Srodkowo-Wsehodniej (Hrsg): Samoidentyfikaeja mniejszosci narodowych i religijnych w Europie Srodkowo-Wschodniej, Problematyka politologiczna, Lublin 1998, S. 39-45, hier S. 45.

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sentation von Minderheiten auf regionaler und lokaler Ebene. Prägend ist zudem die Nichtverabschiedung eines Minderheitengesetzes, das verschiedene institutionelle Optionen schaffen könnte. Das minderhei­tenrelevante Rechtssystem stellt sich somit im bilateralen Bereich als nahezu vorbildlich dar, im nationalen Bereich zeigt sich hingegen eine nach einigen zurückgelegten Transformationsetappen gebremste Ent­wicklung der rechtlichen Institutionen, auf deren Konsolidierung noch zu warten sein wird.

2. Minderheiten und die Legislative

Der folgende Abschnitt ist der Analyse der Vertretung von Minderheiten in Sejm und Senat sowie der Relevanz von Minderheiten-Themen in­nerhalb der Arbeit des Sejm gewidmet. Dabei stehen lediglich die Ent­wicklungen innerhalb der ersten Parlamentskammer im Vordergrund, der Senat soll hingegen nur unter dem Aspekt der Repräsentanz von Minderheiten berücksichtigt werden. Drei verschiedene Fragestellungen liegen diesem Analysebereich zugrunde:

1. Welche Repräsentation von Minderheiten zeigt sich in Sejm und Senat seit dem Systemwechsel? Welche Entwicklungstendenzen zeichnen sich ab?

2. Welchen Stellenwert hatte das Thema "nationale und ethnische Min­derheiten" in den Sejm-Debatten zwischen 1991 und 2001?

3. Welche institutionelle Konfiguration weist die parlamentarische Kommission für nationale und ethnische Minderheiten auf und wel­che Relevanz kommt ihr im minderheitenrelevanten Institutionen­system zu?

2.1 Minderheiten-Repräsentation in Sejm und Senat

Sejm- und Senatswahlen 1989 Die ersten Wahlen während des Systemwechsels in Polen im Juni 1989 waren aufgrund der kompromisshaften politischen Lösungen, die von den Vertretern des alten Regimes und den Solidarnosc-Oppositionellen am "Runden Tisch" ausgearbeitet worden waren, lediglich semi­kompetitiv. So konnten nur 35 Prozent (161 Mandate) der 460 Sejm­Sitze frei gewählt werden, hingegen wurde der größere Teil der Mandate

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der sogenannten Regierungskoalition überlassen, also der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) und den weiteren Blockparteien. 150

Die Minderheiten beteiligten sich in unterschiedlichem Maße an diesen halbfreien Wahlen. So hatte die deutsche Minderheit nicht durch eigene Aktivitäten an dieser Wahl teilgenommen/51 jedoch wurden vor allem von der ukrainischen und der weißrussischen Minderheit eigene Kandidaten aufgestellt. In dieser Sejmwahl, für die keinerlei Begünsti­gung für Minderheiten vorgesehen war und in der erstmals Minderhei­tenvertreter offiziell als Repräsentanten ihrer Verbände an Wahlen teil­nehmen konnten, gelang jedoch keinem dieser Kandidaten der Einzug in eine der beiden Parlamentskammern. Hingegen konnten jeweils ein ukrainischer und ein weißrussischer Kandidat in den Sejm einziehen, die nicht als Minderheitenvertreter, sondern für die Solidarnosc bezie­hungsweise für eine christliche Partei aus der sogenannten "Regie­rungskoalition" kandidiert hatten.

Die ukrainische Minderheit hatte zwei Sejm- und einen Senat­Kandidaten für die Wahlen aufgestellt, die (entsprechend der zerstreuten Siedlungsweise der Ukrainer) in Wahlkreisen in verschiedenen Regio­nen des Landes kandidierten (in Nord-, Nordost- und Südpolen).152 Aus der weißrussischen Minderheit kandidierte für den Sejm Eugeniusz Mironowicz, der in dieser Studie bereits als Vorsitzender des Programm­rates von "Niwa" Erwähnung gefunden hat, sowie für den Senat der Schriftsteller Sokrat Janowicz. Letzterer lag mit den 22.500 Stimmen in seinem Wahlkreis hinter zwei Solidarnosc- und einem Regierungskoali­tions-Kandidaten an vierter Stelle. 153 Obwohl die weißrussische Minder­heit (insbesondere im Wahlkreis von Mironowicz) eher geschlossen siedelt und somit Chancen für ein größeres Stimmen potential in einem Wahlkreis hat, konnte auch sie mit ihren unabhängigen Kandidaten kei­nen politischen Erfolg erzielen. Im gleichen Wahlkreis, in dem Mirono­wicz vergeblich angetreten war, gewann hingegen jener Kandidat aus der weißrussischen Minderheit ein Sejm-Mandat, der als Vertreter einer christlichen Partei aus der Regierungskoalition angetreten war und so-

150 Siehe bspw. Grotz 2000, S. 100 f. 151 Durch eine Nachwahl konnte sie jedoch 1990 einen Vertreter in den Senat

entsenden; Berliitska, Danuta; Madajczyk, Piotr: Mniejszosc niemiecka w Polsce, in: Centrum Stosunk6w Mi~dzynarodowych Instytutu Spraw Publicznych (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 (im Folgenden zitiert Berliitska in Centrum), S. 83-141, hier S. 101.

152 Berdychowska in Centrum 1998, S. 149. 153 Kazanecki in Centrum 1998, S. 186.

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mit eines der für die vormaligen Machthaber "reservierten" Mandate erringen konnte.'''

War es jedoch im Oppositionslager mit der Kandidatur Wlodzimierz Mokrys für die Liste des Bürgerkomitees der Solidarnosc gelungen, einen ukrainischen Minderheitenvertreter in den Sejm zu entsenden, so waren - worauf bereits im Abschnitt zur Frühphase der weißrussischen Verbandsbildung verwiesen wurde - die Verhandlungen für eine sicher­lich ebenso vielversprechende Kandidatur aus dem Solidarnosc-nahen Teil der weißrussischen Minderheit aufgrund lokaler Konflikte geschei­tert. Für den zu 99 Prozent mit Oppositionskandidaten besetzten Senat war ebenfalls keine Minderheitenrepräsentanz gelungen.

Für die Minderheitenrepräsentanz in diesen ersten halbfreien Wah­len kamen zwei "ungünstige" Faktoren zusammen: Zum einen galt das Prinzip der absoluten Mehrheitswahl mit einer eventuellen Stichwahl in den jeweiligen Wahlkreisen. Dieses Prinzip kann für kleinere politische Kräfte mit geringer Durchsetzungskraft grundsätzlich - und so auch für die Minderheiten - kaum Repräsentationschancen bieten. Zum anderen machte es der durchschlagende Erfolg der Solidarnosc-Kandidaten bei allen kompetitiv gewählten Mandaten beider Kammern jeder anderen oppositionellen politischen Kraft abseits des Bürgerkomitees der Soli­darnosc unmöglich, Mandate zu erringen. Die Bedeutung dieser ersten semi-kompetitiven Wahlen lag deswegen in erster Linie darin, dass sei­tens der beiden größeren Minderheiten der Ukrainer und Weißrussen innerhalb der jeweiligen Minderheiten überhaupt erstmals politische Mobilisierungsversuche durch Kandidatenaufstellungen unternommen wurden.

Sejm- und Senatswahlen 1991 Im Rahmen der sogenannten Gründungswahlen von 1991, also den ers­ten tatsächlich freien Wahlen nach dem Systemwechsel, war die politi­sche Mobilisierung der Minderheiten wesentlich weitgehender. Für die­se Wahl wurde das Verhältniswahlprinzip zugrunde gelegt. Der größte Teil der Sitze (85 Prozent) wurde dabei ohne die Festlegung einer Sperrklausel und zudem in vergleichsweise großen Mehrpersonenwahl­kreisen (durchschnittlich 10,5 Mandate) vergeben. Beide Faktoren för­dern grundsätzlich die kleineren Kräfte. Das Wahlsystem wirkte somit in wahlsystematischer Hinsicht zwar negativ auf jedwede Möglichkeit

154 Janusz, Gzregorz: Status prawny mniejszosci narodowych w Polsce, in: Instytut Europy Srodkowo-Wschodniej (Hrsg): Samoidentyfikacja mniejszosci narodowych i religijnych w Europie Srodkowo-Wschodniej. Problematyka prawna, Lublin 1998 (im Folgenden zitiert Janusz, Status prawny 1998), S. 26-49, hier S. 46.

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einer Konzentration der politischen Kräfte im Parlament, jedoch prin­zipiell positiv auf eine potenzielle parlamentarische Repräsentation von Minderheiten.

Die Wahlen von 1991 fielen in eine Zeit, in der die organisatorische Mobilisierung der Minderheiten (1989 waren fünf neue Verbände regist­riert worden, 1990 bereits 20) soeben begonnen hatte. 15S Eine politische Mobilisierung hatte sich zudem im Rahmen der Lokal wahlen von 1990 gezeigt. Darüber hinaus waren einige Vertreter der weißrussischen, uk­rainischen, litauischen und slowakischen Minderheiten im Frühjahr 1991 zum bereits erwähnten Rat der nationalen Minderheiten zusam­mengekommen. Diese Initiative scheiterte zwar mit ihren ursprüngli­chen Zielen, initiierte jedoch die Schaffung eines gemeinsamen Wahl­blocks Nationale Minderheiten, der von verschiedenen Verbänden der Ukrainer, Litauer, Lemken, Tschechen und Slowaken getragen wurde. Obschon einige der weißrussischen Eliten zuvor den gemeinsamen Rat mitgetragen hatten, entstanden aus dem weißrussischen Milieu heraus eigene Wahlinitiativen, ein sogenanntes Orthodoxes Wahlkomitee, sowie ein Weißrussisches Wahlkomitee aus eher vormals Solidarnosc-nahen Kreisen. Auch die deutsche Minderheit trat nicht homogen zur Grün­dungswahl an, sondern kandidierte ebenfalls mit zwei Wahlkomitees (Wahlkomitee "Deutsche Minderheit" und Wahlkomitee "Versöhnung und Zukunft").'56 Für die Gründungswahlen zeigt sich somit eine breite Beteiligung aller größeren Minderheiten am Wahlkampf, das gleichzei­tige Auftreten von minderheitenübergreifenden Konzentrationstenden­zen sowie parallel von Di versifizierungstendenzen innerhalb der beiden größten Minderheiten - den weißrussischen und den deutschen Grup­pierungen.

Die einzige Bestimmung für eine Minderheitenprivilegierung inner­halb dieser Wahl war eine geringere Hürde bei der Kandidatenaufstel­lung. Danach mussten weniger Unterschriften für eine Registrierung von Wahlkreislisten beigebracht werden als üblicherweise. 157 Aus institu­tioneller Perspektive waren somit zwar die minderheiten spezifischen Regelungen eher schwach, doch die grundsätzliche Entscheidung für ein Verhältniswahlsystem und gegen Sperrklauseln war für Minderheiten prinzipiell von Vorteil. Dementsprechend stellte der gemeinsame Wahl-

155 GUS: Wyznanie 2000, S. 170. 156 Lodziilski, Slawomir: Aktywnosc spoleczno-polityczna i dzialalnosc kulturalno­

oswiatowa mniejszosci narodowych w Polsee w okresie 1989-1992, Kancelaria Sejmu, Biuro Studi6w i Ekspertyz, Raport Nr. 29, November 1992 (im Folgenden zitiert Lodziilski, BSE-Raport Nr. 29), S. 3 f.

157 Grotz, 2000, S. 129.

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block der nationalen Minderheiten 60 Sejm-Kandidaten für 16 Wahl­kreise und für eine nationale Liste auf. Alle Kandidaten zusammen er­reichten jedoch lediglich 29.428 Stimmen; kein Kandidat schaffte den Sprung in den Sejm.!SS Nur um das geringe Ausmaß der politischen Un­terstützung zu verdeutlichen, sei ein vergleichender Blick auf die vorhe­rige Wahl geworfen (obwohl die unterschiedlichen Wahl systeme nur bedingt vergleichende Aussagen zulassen): Ein ukrainischer Kandidat für die Sejmwahl von 1989 hatte allein bereits 11.472 Stimmen auf sich vereinigen können.!59 Das Stimmengebnis von 1991 hingegen ergab im Durchschnitt 490 abgegebene Stimmen pro Sejm-Kandidat - und war somit schlicht ein politisches Desaster. Diese konzertierte Initiative des Minderheitenblocks, der im Wahlkampf auf einer stark politisch­menschenrechtlichen Ebene argumentiert hatte und weniger auf die Belange der einzelnen Minderheiten eingegangen war,"') bewirkte somit bei ihren potenziellen Wählern keine politische Identifikation.

Den größten Wahlerfolg der Minderheiten insgesamt erzielte das Oppelner Wahlkomitee "Deutsche Minderheit", das aufgrund von 136.112 Wählerstimmen sieben Kandidaten in den Sejm und einen in den Senat entsenden konnte. Der Minderheitenexperte Slawomir Lod­zinski führt dies auf eine "Schlagkräftige Mobilisierung" auf der Ebene der deutschen sozio-kulturellen Gesellschaften sowie auf die Strategie eines "stillen" Wahlkampfes zurück.!6! Das zweite Minderheitenkomitee der deutschen Minderheit war hingegen erfolglos geblieben und konnte bei rund 6.000 errungenen Stimmen keinen Kandidaten ins Parlament entsenden.

Dies gilt auch für das weißrussische Wahl komitee, das ca. 6.000 Vo­ten erzielte.!62 Größere Stimmenerfolge verzeichnete hingegen das Or­thodoxe Wahlkomitee, zu dessen Wählerschaft nicht nur Weißrussen, sondern auch orthodoxe Ukrainer aus der Region Podlachien zählten. In diesem Fall zeigte das minderheitenübergreifende Engagement, das auf dem Kriterium der gemeinsamen Religion basierte, Erfolge, indem das

158 Lodziilski, BSE-Raport Nr. 29, S. 4. 159 Janusz, Status prawny 1998, S. 46. 160 Siehe die Deklaration des Wahlblocks der Minderheiten, abgedruckt in: Lodziilski,

Slawomir: Mniejszosci narodowe w Polsce w swiet1e dokument6w i publicystyki, Kancelaria Sejmu, Biuro Studi6w i Ekspertyz, Materialy i dokumenty Nr. 54, Januar 1993, S. 10 f.

161 Lodziilski, BSE-Raport Nr. 29, S. 4. 162 Auf der Ebene der landesweiten Kandidaten hatte das Weißrussische Komitee mit

dem erfolgreichen Deutschen Wahlkomitee koaliert, dessen Kandidat der nationalen Liste in den Sejm gewählt wurde, Kazanecki in Centrum 1994, S. 186, Informator 1994, S. 87.

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Orthodoxe Komitee seinen Kandidaten Eugeniusz Czykwin mit 10.000 Stimmen in den Sejm entsenden konnte. Zu diesem Wahlerfolg ist an­zumerken, dass gerade die Stimmen des Orthodoxen Wahlkomitees auch auf den Mitgliedern des vormaligen Monopolverbandes Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno­Kulturalne) basierten, 163 dessen politische Unterstützungskreise wesent­lich umfassender waren als die der neu gegründeten Verbände, auf die das weißrussische Wahlkomitee aufbaute.

Die Repräsentation der Minderheiten Polens im Sejm von 1991 war somit ausgesprochen uneinheitlich: Dem großen Wahlerfolg der deut­schen Minderheiten standen die Wahlniederlagen aller anderen Minder­heiten gegenüber, deren Ausnahme die Wahl eines aus weißrussisch­ukrainisch-orthodoxen Kreisen gewählten Kandidaten bildete. Dennoch entsprach die Anzahl von acht Minderheiten-Parlamentariern bei 460 Abgeordneten rein quantitativ immerhin annähernd dem geschätzten Anteil von Minderheiten an der Gesamtbevölkerung. l64 Faktisch handelte es sich um eine primäre parlamentarische Präsenz der deutschen Min­derheit, jedoch nicht der Minderheiten insgesamt. Allen anderen Min­derheiten gelang es nicht, von dem Verhältniswahlsystem ohne Sperr­klausel zu profitieren. Damit muss die Bilanz dieser Gründungswahl aus der Perspektive der Minderheitenrepräsentanz insgesamt negativ ausfal­len. Das Bild des polnischen Sejm entsprach insgesamt der erwartbaren Wirkung des Verhältniswahlsystems, denn bei einer starken Fragmentie­rung waren 29 Gruppierungen in den Sejm eingezogen, von denen elf jeweils nur einen Sitz erhalten hatten; dazu zählte beispielsweise der Repräsentant des orthodoxen Wahlkomitees. 165

Sejm- und Senatswahlen 1993 Bis zur Wahl von 1993 war bereits in der Übergangsverfassung festge­legt worden, dass das Prinzip der Verhältniswahl weiterhin zu gelten habe (was später auch in der neuen Verfassung festgelegt wurde). Es wurden jedoch mehrere konzentrationsfördernde Instrumente verwen­det, um der bislang bestehenden Zersplitterung des Sejm, die letztlich auch zum vorzeitigen Ende der vorherigen Legislaturperiode geführt hatte, entgegenzuwirken. So wurde eine Sperrklausel eingeführt - von

163 Kazanecki in Centrum 1998, S. 186, sowie Janusz, Status prawny 1998, S. 47. 164 Der Bevölkerungs-Anteil liegt zwischen einem und vier Prozent, die Zahl der Min­

derheitenparlamentarier betrug 1,7 Prozent der Sejm-Abgeordneten. 165 Grotz 2000, S. 130.

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der Minderheitenvertreter befreit waren - und die Zahl der Mandate pro Wahlkreis reduziert. l66

Zu dieser Wahl kandidierten lediglich die deutsche und die weißrus­sische Minderheit mit eigenen Kandidaten. Innerhalb der weißrussi­schen Minderheit hatte sich der Vorstand des Weißrussischen Bundes in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej) zu einer eigenen Beteiligung an der Sejm-Wahl entschlossen und hierzu auch die Unterstützung eines Teils der Orthodoxen Kirche erhalten, da kein separates orthodoxes Wahlkomitee zur Wahl angetreten war. Trotz dieser Kräftekonzentration konnte die weißrussische Initiative lediglich rund 10.000 Stimmen erzielen, also nur etwa die Hälfte des Stimmenan­teils, der bei der vorherigen Wahl insgesamt aus dem weißrussischen Milieu (also von beiden Wahlkomitees) erzielt wurde. 1.7

Die deutsche Minderheit war mit fünf unterschiedlich erfolgreichen Minderheitenlisten zur Wahl angetreten. Diesmal kandidierten die Min­derheitenverbände direkt (ohne die Bildung von Wahlkomitees). Auch bei dieser Wahl waren die Kandidaten der Oppelner Repräsentanten der deutschen Minderheit am erfolgreichsten und konnten drei Sejm­Mandate erringen und einen Kandidaten in den Senat entsenden. Ein weiteres Sejm-Mandat der deutschen Minderheit konnte die sozio­kulturelle Gesellschaft der deutschen Minderheit in Gleiwitz erringen. 1"

Die ukrainische und litauische Minderheit hatten aufgrund der schlechten Ergebnisse der vorherigen Wahl Abstand davon genommen, mit eigenen Wahlinitiativen in den Wahlkampf zu ziehen. Beide Min­derheiten entschieden sich, mit anderen Parteien zu koalieren. Die litau­ische Minderheit stellte ihren Kandidaten zusammen mit dem Liberal­Demokratischen Kongress (KLD) auf, hatte damit jedoch "auf das fal­sche Pferd" gesetzt, denn der Kongress zählte zu den zahlreichen Oppo­sitionsparteien, die die erstmalige Sperrklausel nicht überwinden konn­ten. Erfolgreicher war dagegen die ukrainische Minderheit bei ihrer Kooperation mit der Demokratischen Union (UD): Zwar war ihr Kandi­dat Miroslaw Czech nicht auf Wahlkreisebene erfolgreich, seine Reprä­sentanz im Sejm wurde jedoch durch einen zusätzlichen Listenplatz auf der landesweiten Liste der Partei garantiert. 169 Dieses Mandat war fak­tisch ein von einer Partei getragenes reserviertes Mandat für einen Min­derheitenvertreter, um den Misserfolg auf Wahlkreisebene aufzuheben.

166 Ebda., S. 148. 167 Informator 1994, S. 88, Janusz, Status prawny 1998, S. 47 f. 168 Ebda. 1998, S. 48 f. 169 Informator 1994, S. 88 und 90, zudem Grotz 2000, S. 152.

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Das Wahlergebnis der Minderheitenvertreter bei der Sejm- und Senats­wahl von 1993 ist somit von der Tatsache charakterisiert, dass aus eige­ner Kraft lediglich vier Sejmkandidaten und ein Senat-Kandidat in die beiden Parlamentskammern einzogen. Zudem war ein Ukrainer durch eine andere Partei vertreten. Obwohl die Wahlbeteiligung zwischen 1991 und 1993 insgesamt zugenommen hatte (1991 43,2 Prozent, 1993 52,1 Prozent),170 war die politische Mobilisierung der Wählerschaft aus den Minderheiten erheblich zurückgegangen. So lag der Anteil der Stimmen, die auf die Minderheitenvertreter entfallen waren, 1991 insge­samt bei 187.400, 1993 jedoch nur bei 120.618 Stimmen,171 was einen Rückgang von 36 Prozent bedeutete. Drei minderheitenrelevante Fakto­ren prägten demnach die Parlamentswahlen von 1993:

• Die Minderheiten hatten Abstand genommen von minder­hei ten übergreifenden Wahl-Koalitionen,

• der nominale Anteil der Stimmen für Minderheitenkandidaten war um 36 Prozent zurückgegangen und

• die Minderheiten waren mit vier (bzw. fünf) Vertretern im Sejm prozentual deutlich geringer vertreten, als ihr relativer Bevölke­rungsanteil vermuten ließe.

Sejm- und Senatswahlen 1997 Bei den Sejm- und Senatswahlen von 1997 zeigte sich für die Minder­heiten eine ähnliche Entwicklung wie schon 1993. Lediglich die deut­sche Minderheit beteiligte sich mit eigenen Wahllisten. 172 Der Weißrussi­sche Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospoli­tej Polskiej) hatte hingegen für diese Wahl ebenfalls die Strategie der litauischen und ukrainischen Minderheit übernommen und mit der Ar­beitsunion (UP) koaliert, bei der der weißrussische Kandidat sowohl auf Wahlkreisebene als auch auf nationaler Ebene kandidieren konnte. 173 Jedoch war diese weißrussische Initiative ähnlich erfolglos wie der Ver­such der litauischen Minderheit bei der vorherigen Parlamentswahl: Die Arbeitsunion überwand die Fünf-Prozent-Hürde nicht. 174

Die deutsche Minderheit konnte bei dieser Parlamentswahllediglich zwei Parlamentarier in den Sejm entsenden. Insgesamt lag das Stim-

170 Ziemer in Franzke 1998, S. 59. 171 Janusz, Status prawny 1998, S. 47 und S. 49. 172 Lodzinski: Minorities 2000, S. 56. 173 Lista Nr. 1, Eugeniusz Wappa, von Be1aruski Sojus und Unia Pracy, Handzettel zur

Sejm-Wahl1997. 174 Grotz 2000, S. 175.

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menkontingent der Minderheiten bei 93.595 und ging gegenüber 1993 um ein Fünftel zurück. Die ukrainische Minderheit konnte jedoch auch bei dieser Wahl einen Kandidaten über die Freiheitsunion (UW) (ein Zusammenschluss der vormaligen Demokratischen Union und des Libe­ral-Demokratischen Kongresses) in den Sejm entsenden. Zwar gehören beispielsweise ebenfalls zwei SLD-Parlamentarier der weißrussischen Minderheit an,175 jedoch repräsentieren sie mit ihrer Kandidatur nicht offiziell ihre Minderheit. Hingegen ist die Aufstellung des ukrainischen Repräsentanten auf der Liste der Freiheitsunion eine explizite Vorge­hensweise der Partei, um die parlamentarische Repräsentanz der Ukrai­ner zu ermöglichen. 176 Zusammenfassend zeigt sich, dass lediglich zwei Sejm-Parlamentarier mit aus eigener Kraft errungenen Mandaten die Minderheiten Polens im Sejm repräsentieren.

1989

1991 1993 1997

Minderheitenrepräsentanz in Sejm und Senat­die Wahlen 1989 bis 1997177

Seim Senat (1 U (frei)), 1 D, (1 W (res.)) 1990 nachgewählt

6 D 1 W 1 D 4 D, (1 U) 1 D

2 D (1 U) [2 Wl 0

Abbildung Nr. 2: Hinweise: D = deutsche Minderheit, U = ukrainische Minderheit, W= weißrussische Minderheit, res. = nicht frei gewähltes Mandat, ( ) = über andere Parteien errungene Mandate, [ 1 = nicht explizite Minderheitenvertreter.

Bei einer resümierenden Betrachtung der parlamentarischen Repräsen­tanz von Minderheiten im polnischen Parlament seit 1989 lassen sich folgende Entwicklungslinien erkennen:

• Innerhalb des Kontraktsejms hat - trotz erster politischer Aktivitä­ten - für die Minderheiten aufgrund der absoluten Dominanz der Solidarnosc-Gruppierungen keine Chance bestanden, eigene Vertre­ter zu entsenden.

• Während der Gründungswahl von 1991 war der Grad der politi schen Wahlmobilisierung bei den Minderheiten innerhalb der 90er

175 Lodzinski: Minorities 2000, S. 56; Gespräch mit Hanna Wawrzyk, Kulturministeri­um, Juli 200l.

176 Interview mit Jacek Kuron, UW-Parlamentarier und Vorsitzender der Parlaments­kommission für Minderheiten, März 1999 Warschau.

177 Zahlenangaben aus: Lodzinski: Minorities 2000, S.56 und Janusz, Status prawny 1998, S. 46-49.

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Jahre insgesamt am höchsten. Die parlamentarische Repräsentanz erreichte zum ersten und bislang letzten Mal annähernd die Stärke ihrer relativen Bevölkerungsanzahl. Dies war jedoch lediglich auf die Erfolge der deutschen Minderheit zurückzuführen. Dabei halfen jedoch kaum minderheitenfördernde Instrumente, sondern die gene­relle Berücksichtigung kleinerer politischer Kräfte durch das Ver­hältniswahlsystem.

• Im Zuge der starken politischen Mobilisierung wurde für die Wahl von 1991 von einem großen Teil der anderen nationalen Minderhei­ten die - jedoch gescheiterte - Wahlkampfstrategie der minderhei­tenübergreifenden Koalitionsbildung verfolgt.

• Seit der Wahl von 1993 zeigt sich eine Abkehr von der Strategie der minderheitenübergreifenden Koalitionsbildung hin zu einer Strate­gie der Parteien-Koalition. Dies geschah trotz der erstmaligen Ge­währung minderheitenfördernder Instrumente, deren erwartbare Ef­fektivität somit bei den Adressaten nicht hoch gewesen sein kann.

• Die politische Mobilisierung der Minderheiten qua Wahlbeteiligung war seit 1991 kontinuierlich regressiv. Für die zentralstaatliche E­bene kann somit eine "ethnische Kategorie" seitens der Minderhei­ten nicht als wahlrelevantes cleavage angenommen werden.

• Die Entwicklung der ersten Dekade nach dem Systemwechsel hat gezeigt, dass eine eigene parlamentarische Repräsentanz lediglich für die deutsche und die weißrussische Minderheit erreichbar ist. Für die kleineren litauischen und slowakischen Minderheiten und die verstreut siedelnde ukrainische Minderheit war eine solche nicht möglich. Sollte somit auch deren parlamentarische Repräsentanz politisch gewollt sein, ist dies nur durch weitergehende institutio­nelle Förderinstrumente denkbar.

2.2 Minderheiten als issue in parlamentarischen Verhand­lungen

Im Folgenden soll untersucht werden, welcher Stellenwert dem Thema Minderheiten in parlamentarischen Verhandlungen des Sejm in den vergangenen drei Legislaturperioden zukam. Es soll deutlich werden, welche inhaltlichen Bereiche des Minderheitenschutzes Gegenstand der Debatten waren, welche Akteure dieses issue thematisierten und welche Bedeutung die entsprechenden Debatten-Beiträgen hatten. Da die De­batten über minderheitenrelevante Gesetzgebungsprozesse bereits im obigen Abschnitt zum Rechtssystem berücksichtigt wurden, bezieht sich

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die folgende Analyse vor allem auf Interpellationen und Anfragen sowie weitere Stellungnahmen der Sejm-Abgeordneten. Berücksichtigt werden die Diskussionen der Legislaturperioden von 1991 bis 2001.

Legislaturperiode 1991 bis 1993 Die Parlaments zusammensetzung, die aus den Gründungswahlen her­vorgegangen war, war durch eine extreme Fragmentierung gekennzeich­net und ließ keine stabilen Mehrheiten zu. Größere Fraktionen bildeten liberale Gruppierungen, die postkommunistischen Parteien sowie ver­schiedene konservativ-nationale Gruppen. Die Gewerkschaft Solidar­nose; selbst zählte nicht zu den größten Fraktionen. l78

Die stenographischen Berichte der ersten Kadenz des polnischen Sejml7' zeigen, dass es in dieser kurzen Epoche keine umfassende Debat­te über Minderheitenfragen gegeben hat. Vielmehr wurden lediglich Randaspekte aufgegriffen. Die gut ein Dutzend Redebeiträge, in denen Minderheiten Erwähnung fanden, verweisen dabei deutlich auf zwei Gruppen von Rednern: Zum einen meldeten sich parlamentarische Min­derheitenvertreter selbst zu Wort, die diverse Verbesserungen für ihre jeweiligen Minderheiten forderten. Zum anderen traten Parlamentarier unterschiedlicher Parteien auf, die den Blick vor allem auf die Lage der polnischen Minderheiten im benachbarten Ausland richteten. Die Forde­rung eines angemessenen Minderheitenschutzes für die polnischen Min­derheiten im Ausland findet sich dabei sowohl im Rahmen allgemeiner außenpolitischer Debatten - teilweise in Übereinstimmung mit der Ab­lehnung einer Westorientierung Polens -, unter Verweis auf den Besuch des damaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Krawczuk im Mai 1992 oder auch im Zusammenhang mit der Verabschiedung des polnisch­tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrags, wobei eine stärkere Be­tonung des Minderheitenschutzes für die polnische Minderheit in der damaligen Tschechoslowakei gefordert wurde. ISO In einer Regierungsre­aktion auf eine offizielle parlamentarische Anfrage zu diesem bilatera­len Vertrag verteidigte ein Staatssekretär im Außenministerium die Minderheitenbestimmungen des polnisch-tschechoslowakischen Vertra­ges durch einen Verweis auf die Orientierung des Vertrags am Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE.

178 Grotz 2000, S. 146, Ziemer in Franzke 1998, S. 60. 179 Stenographische Berichte des Sejm, 1. Kadenz. 180 Aussage Zygmunt Berdychowski, 8.5.1991, 14. Sitzung, 3. Tag, 9. Tagesordnungs­

punkt, 1. Kadenz, Steno Ber. d. Sejm; Kazimierz Wilk, ebda.; Marian Pilka, ebda; Zygmunt Mogila-Lisowski, ebda., 6. Tagesordnungspunkt, 1. Kadenz, Steno Ber. d. Sejm.

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Somit wurde diese institutionelle Ausgestaltung des polnisch­tschechoslowakischen Vertrags durch eine im obigen Abschnitt zum Rechtssystem bereits für verschiedene andere Gesetzgebungsprozesse als gängig bezeichnete externe Argumentation gegenüber parlamentari­scher Kritik verteidigL l81 Der Aufbau des Minderheitenschutzes in Polen war vor diesem Hintergrund kaum Gegenstand der Diskussion. Vielmehr zeigte sich ein vorrangiges Interesse an den eigenen Minderheiten in den Nachbarstaaten. Innerhalb minderheitenbezogener Stellungnahmen dieser Legislaturperiode zeigt sich somit primär das Argument von der "Priorität der Auslandspolen ".

In den Wortbeiträgen der Minderheitenvertreter selbst finden sich verschiedenartige inhaltliche Anliegen. So forderte beispielsweise der einzige weißrussische Vertreter im Parlament, Eugeniusz Czykwin, größere Minderheiten-Subventionen aus dem laufenden Staatshaushalt. Die Forderungen der Parlamentarier aus der deutschen Minderheit er­streckten sich von der Aufforderung an den konservativen Ministerprä­sidenten Jan Olszewski, die positive Rolle von Minderheiten als bilate­rale Brückenfunktion in seiner Regierungspolitik zu berücksichtigen bis hin zum Plädoyer für eine Art Minderheitenschutz-Klausel in der Sejm­Geschäftsordnung, die es den wenigen Minderheitenabgeordneten er­möglichen sollte, trotz zahlenmäßig geringer Vertretung den Fraktions­statuts zu erlangen. 182 Die Forderung blieb indes ohne Erfolg, denn in der Geschäftsordnung des Sejm existiert keine gesonderte Bestimmung für Minderheiten. Immerhin zeigt sich jedoch neben der Möglichkeit der Fraktionsbildung (ab 15 Abgeordneten) die Option, einen Abgeordne­ten-"Kreis" zu gründen, was bereits mit drei Parlamentariern möglich ist. Zwar sind bestimmte parlamentarische Rechte (beispielsweise die Kandidatenaufstellungen für den Sejm-Marshall) an die Fraktionsstärke gebunden, jedoch hat ein Abgeordneten-Kreis beispielsweise ebenfalls das Recht, einen Vertreter in den parlamentarischen Ältestenrat zu ent­senden. l83 Die Option der Gründung eines Kreises bot sich der deutschen Minderheit bis 1997, denn bis dahin verfügte sie über vier Abgeordnete,

181 Stellungnahme des Unterstaatssekretärs im Außenministerium Andrzej Kostarczyk, 30.1.1992, 7. Sitzung, 1. Tag, 4. Tagesordnungspunkt, 1. Kadenz, Steno Ber. d. Sejm.

182 Eugeniusz Czykwin, 3.4.1992, 12. Sitzung, 2. Tag, 7. Tagesordnungspunkt, ebda.; Henryk Kr61, 32.12.1991,4. Sitzung, 1. Tag, 1. Tagesordnungspunkt, ebda.; Erhard Bastek, 2.4.1992, 12. Sitzung, 1. Tag, 1. Tagesordnungspunkt, ebda.; Brunon Ko­zak, 28.2.1992, 9. Sitzung, 3. Tag, 10. Tagesordnungspunkt, ebda.

183 Artikel 3 und Artikel 9, Regulamin Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej, M.P. 1992, Nr. 26, Pos. 185, später verändert u.a. M.P. 2000, Nr. 9, Pos. 177, Nr. 21, Pos. 428.

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zwischen 1997 und 2001 konnten ihre zwei Abgeordneten jedoch ledig­lich den Status zweier unabhängiger Parlamentarier wahrnehmen.

Legislaturperiode 1993 bis 1997 Die Legislaturperiode von 1993 bis 1997 war durch den Wahlsieg der postkommunistischen Parteien und die parlamentarische Nichtvertre­tung der Solidarnosc sowie zahlreicher konservativer Post-Solidarnosc­Gruppen geprägt. 1" Somit waren vor allem zahlreiche national­konservative Gruppierungen nicht im Parlament vertreten.'" Innerhalb dieser Legislaturperiode lassen sich Wortbeiträge, in denen auch das Thema Minderheiten zur Sprache kommt, in drei Gruppen einteilen: In Debatten über die Verabschiedung des polnisch-litauischen Nachbar­schaftsvertrags, in Wortbeiträge, die von einer Argumentation der "Aus­landspolen-Priorität" gekennzeichnet sind und in Beiträge von parla­mentarischen Minderheitenvertretern.

Während der Debatten zur Ratifizierung des polnischen-litauischen Nachbarschaftsvertrags wurden in Bezug auf Minderheiten Stimmen laut, die durch den Vertrag positive Wirkungen gleichermaßen für die polnische Minderheit in Litauen und die litauische Minderheit in Polen erwarteten. Die Befürworter stammten sowohl aus den eher "linken" postkommunistischen Koalitionsparteien SLD und PSL, aus der soeben durch einen Zusammenschluss zweier anderer Parteien entstandenen liberalen Freiheitsunion (UW) sowie der politisch links gerichteten Ar­beitsunion (UP). Der Aspekt des Minderheitenschutzes war jedoch nicht von zentraler Bedeutung, sondern wurde als einer unter mehreren Fakto­ren argumentativ herangezogen. I'.

Die Argumentation der "Auslandspolen-Priorität" zielte sowohl auf die Lage der polnischen Minderheiten in Tschechien als auch in Litauen

184 Ziemer, Klaus: Das Parteiensystem Polens, in: Segert, Dieter; Stöss, R.; Nieder­mayer, O. (Hrsg.): Parteiensysteme in Postkommunistischen Gesellschaften Osteu­ropas, Opladen 1996, S.39-89 (im Folgenden zitiert Ziemer, Parteiensystem 1996), hier S. 59 und n.

185 Dies waren aus dem vormaligen Solidarnosc-Lager vor allem die Christlich­Nationale Wahlaktion (ZChN) , die 1993 als Wahlkoalition .. Ojczyzna" ( .. Vater­land") angetreten war, wie auch die Zentrumsallianz (PC), siehe Ziemer, Parteien­system 1996, S. 73-75. Zu den allgemeinen Charakterisierungen der Parteien in die­sem Abschnitt siehe insgesamt Ziemer, ebda. und Mildenberger 2000.

186 Wortbeiträge der 25. Sitzung, 1. Tag, 2. Tagesordnungspunkt, 6.7.1994,2. Kadenz, Steno Ber. d. Sejm, Tadeusz Iwiitski SLD, Adam Dobroitski PSL, Maria Nowa­kowska UP, Andrzej Lipski PPS. Zudem 31. Sitzung, 2. Tag, 12. Tagesordnungs­punkt, 13.10.1994, ebda. Sowie Longin Pastusiak SLD und Bronislaw Geremek UW, sowie Jerzy Wiatr SLD in der 50. Sitzung, 2. Tag, 2. Tagesordnungspunkt, 25.5.1995, ebda.

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und Deutschland. Von den insgesamt vier Beiträgen dieser Art (von insgesamt knapp 40 parlamentarischen Beiträgen, die den Minderhei­tenbereich zum Thema hatten), wurden zudem zwei von nur einem Ab­geordneten vorgetragen, der zur als konservativ-populistisch geltenden Konfäderationfür ein unabhängiges Polen (KPN) gehörte und bereits in der vorherigen Legislaturperiode mit einer entsprechenden Argumenta­tion hervorgetreten war. l87

Es zeigt sich somit, dass bei der insgesamt eher geringen Zahl par­lamentarischer Beiträge zu diesem Thema die aktive Debatten­Teilnahme einzelner Abgeordneter unmittelbar Gewicht hat. Dieses Phänomen zeigt sich auch im Spektrum der expliziten Befürworter des Minderheitenschutzes. Dabei fällt ein Abgeordneter des kurz vor der Wahl von Lech Walesa ins Leben gerufenen, jedoch später bedeutungs­los gewordenen sogenannten Parteilosen Blocks zur Unterstützung der Reformen (BBWR) auf, der sich mehrfach als dezidierter Befürworter des Minderheitenschutzes an den Parlaments debatten beteiligte. 188

Die Debattenteilnahme der Minderheitenvertreter selbst lässt sich nach zwei verschiedenen Merkmalen unterscheiden. Zum einen finden sich Wortbeiträge, die darauf zielen, sich gegen bestimmte als für die Minderheiten negativ empfundene Ereignisse zu verwahren, also eher defensive Argumentationen. Dies war stets eine Verteidigung der Inte­ressenlagen der Minderheiten, also eine lobbyistische Argumentation. So richtete beispielsweise der führende parlamentarische Vertreter der deutschen Minderheit, Henryk Kroll, eine Anfrage an den Verteidi­gungsminister bezüglich der These eines polnischen Generals, lokale Nationalitätenkonflikte könnten zu Gefährdungen führen, die unter Um­ständen militärischer Antworten bedürften. Die Replik des Verteidi­gungsministers, es handele sich um allgemeine wissenschaftliche The­sen, die beispielsweise auf das ehemalige Jugoslawien bezogen seien, ließ Kroll nicht gelten und stellte eine erneute Interpellation unter Be­zugnahme auf ein Armeemanöver in der damaligen Wojewodschaft Al­lenstein im Jahr 1993, in dessen Verlauf die dort lebenden Minderheiten (vorwiegende Ukrainer) in den Manöverplänen als potenzielle Feinde

187 Kazimierz Wilk KPN, 49. Sitzung, 2. Tag, 10. Tagesordnungspunkt, 11.5.1995 sowie 50. Sitzung, 2. Tag, 9. Tagesordnungspunkt, 25.5.1995, 2. Kadenz, Steno Ber. d. Sejm. Zudem Tadeusz Samborski PSL 15. Sitzung, 2. Tag, 9. Tagesordnungs­punkt, 18.3.1994, ebda.

188 Jerzy Wuttke BBWR, 44. Sitzung, 4. Tag, 17. Tagesordnungspunkt, 4.3.1995, 2.

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Kadenz, Steno Ber. d. Sejm, sowie ebenfalls Wuttke in 24. Sitzung, 1. Tag, 4., 5. und 6. Tagesordnungspunkt, 30.6.1994, ebda. Zudem Wuttke in 17. Sitzung, 1. Tag, 1. Tagesordnungspunkt, 7.4.1994, ebda. und 17. Sitzung, 2. Tag, 5. Tagesordnungs­punkt, 18.3.1994, ebda.

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gekennzeichnet worden waren. Der Verteidigungsminister bezog sich in seiner Antwort darauf, dass es eine offizielle Entschuldigung hierfür gegenüber dem Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukraifzc6w w Polsee ) gegeben habe.

In ähnlicher Weise verwehrte sich Kroll beispielsweise auch gegen eine Interview-Aussage des damaligen Innenministers in seiner Funkti­on als Chef des Geheimdienstes in der angesehenen Wochenzeitschrift "Polityka", dass Minderheiten als potenzielle Gefahrdungen des Staates gesehen werden müssten. Neben der Verfolgung dieser defensiven Ar­gumentationsstrategie beteiligte sich die deutsche Minderheit jedoch auch an allgemeinen Themen, etwa an Debatten um Regierungserklä­rungen und die Haushalte. Maßgeblich prägte jedoch der Einzelakteur Henryk Kroll die parlamentarische Beteiligung der deutschen Minder­heit.

Folgende Faktoren charakterisierten insgesamt die minderheiten­relevanten Parlamentsdebatten dieser Legislaturperiode:

• Anhand der Parteienzuordnung der minderheitenbezogenen Wort­beiträge der Parlamentarier zeigt sich, dass aus den im Parlament dominierenden linken und liberalen Parteien heraus eher "minder­heitenfreundlich" argumentiert wurde. Diese Parteien sind in Bezug auf die von Klaus Ziemer als spezifisch polnisch bezeichnete Kon­fliktlinie "Verteidigung nationaler Werte versus Öffnung hin zum westlichen Europa" eher dem letzteren Pol zuzuordnen. l " Die "min­derheitenfreundlichen" Argumentationen wurden in den Parteien vorgetragen, die einer Westintegration Polens positiv gegenüberste­hen.

• Innerhalb dieser Legislaturperiode lassen sich keinerlei explizite Attacken gegen Minderheiten bzw. gegen einen zu etablierenden Minderheitenschutz erkennen.

• Minderheiten wurden insgesamt - abgesehen von einzelnen parla­mentarischen Anfragen - nicht zum expliziten Gegenstand der par­lamentarischen Debatte erhoben. Vielmehr findet dieser Aspekt Er­wähnung im Rahmen anderer parlamentarischer Themen. Minder­heitenschutz wird dabei in den Diskussionen dieser Legislaturperio­de weniger als innere Angelegenheit bewertet sondern vielmehr als ein Element der außenpolitischen Diskussion.

189 Siehe Ziemer in Franzke 1998, S. 64 und Graphik in Ziemer, Parteiensystem 1996, S.55.

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• Die Bezugnahme auf das Minderheitenthema ist zudem auffallend durch einzelne Akteure geprägt, die jedoch nicht Mitglieder der Par­lamentskommission für Minderheiten sind. l90

Legislaturperiode 1997-2001 Die Parlamentszusammensetzung der Legislaturperiode von 1997 bis Herbst 2001 zeichnete sich durch den Sieg der erst ein Jahr vor der Wahl gegründeten Sammelbewegung verschiedener Mitte-Rechts­Organisationen Wahlaktion Solidarnosc (A WS) aus, die 201 Sejm-Sitze (von 460) erringen konnte. Damit waren die in der vorherigen Wahl gescheiterten kleinen Gruppierungen aus dem ehemaligen Solidarnosc­Lager unter dem Dach der AWS wieder im Parlament vertreten. l9l Da die AWS jedoch ein sehr heterogener Zusammenschluss war, verlor sie innerparlamentarisch vorrangig im rechten politischen Spektrum im Verlauf der Legislaturperiode insgesamt knapp 60 Abgeordnete, die sich entweder in anderen parlamentarischen Kreisen zusammenschlossen od­er als unabhängige Parlamentarier agierten. l92

Auch die SLD war relativ erfolgreich und entsandte 164 Abgeordne­te ins Parlament, die Freiheitsunion (UW) errang 60 Mandatel93 und war bis zum Verlassen der Regierung im Frühjahr 2000 Koalitionspartner der AWS. Insgesamt war das parlamentarische Parteiensystem nach dieser Wahl von einer Stärkung der formalen Parteienkonzentration geprägt, denn es waren - abgesehen von den zwei Mandaten der deut­schen Minderheit - lediglich fünf statt zuvor sechs Parteien im Sejm vertreten. Dies waren neben der vormaligen Regierungspartei Polnische Bauernpartei (PSL) die konservativ-rechte Bewegung für den Wieder­aufbau Polens (ROP) mit sechs Parlamentariern. l94 Die in der vorherigen Legislaturperiode für die Minderheitendebatte relevante Konföderation Unabhängiges Polen (KPN) war hingegen nicht mehr vertreten. Insge­samt trat deutlich die "Bipolarisierung" des Parteiensystems hervor, da sich die Post-Solidarnosc-Gruppierungen in der AWS und die post­kommunistischen Gruppierungen in der SLD als jeweils starke Gruppen gegenüber standen. Hierdurch wurde das cleavage der Positionierung

190 Sejm Rzeczypospolitej Polskiej II kadencji (Hrsg.): Sprawozdanie Komisji Mniejszosci Narodowych i Etnicznych z dzialalnosci w okresie II kadencji Sejmu RP (1993-1997), Warschau 1997, (im Folgenden zitiert Kommissions-Bericht, 2. Kadenz), S. 18 f.

191 Ziemer in Franzke S. 65 und 61. 192 Auflistung der Fraktionen und parlamentarischen Kreise, <http://www.sejm.gov.pll

poslowiefkluby/pos_aws.htm>, (25.9.2001). 193 Ziemer in Franzke 1998, S. 61. 194 Grotz 2000, S. 174, Ziemer in Franzke 1998, S. 61.

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gegenüber der kommunistischen Vergangenheit (zuungunsten etwa so­zio-ökonomischer Konfliktlinien) nochmals verfestigt. [95

Innerhalb der Parlamentsdiskussionen dieser Legislaturperiode zei­gen sich folgende Entwicklungslinien:

Nach wie vor hatten Interpellationen und Wortmeldungen von Min­derheitenrepräsentanten auch zwischen 1997 und 2001 einen wesentli­chen Anteil an den Parlamentsbeiträgen zum Minderheitenthema. Je­doch hat sich die Gewichtung hierbei verschoben: Stimmen aus der nur noch zwei Parlamentarier umfassenden deutschen Minderheit waren eher selten,[96 der Abgeordnete Henryk Kroll (der bereits seit 1991 Par­lamentsmitglied war) war nicht mehr die aktivste Stimme der im Sejm vertretenen Minderheiten. Hingegen begab sich in dieser Legislaturperi­ode der SLD-Parlamentarier Jan Syszewski, der auch Mitglied der Min­derheitenkommission war (und zugleich Vorsitzender der Weißrussi­schen sozio-kulturellen Gesellschaft ist), aus der weißrussischen Min­derheit in die Rolle des aktiven parlamentarischen "Lobbyisten" für seine Minderheit. Syszewski verfolgte dabei für die weißrussische Min­derheit intensiver noch als in der vormaligen Legislaturperiode die Rep­räsentanten der deutschen Minderheit primär lobbyistische bzw. defensi­ve Vorgehensweisen. So wandte er sich beispielsweise in über längeren Zeitraum ungeklärten Fragen an den Ministerrat, beispielsweise bezüg­lich der Errichtung eines Denkmals auf einem Soldatenfriedhof in der mehrheitlich weißrussischen Gemeinde Bielsk Podlaski zum Gedenken an weißrussische Opfer, die im Januar 1946 von einer polnischen Unter­grundeinheit ermordet worden waren. [97 Gemeinsam mit einem weiteren weißrussischen SLD-Parlamentarier, Sergiej Plewa, forderte Syszewski außerdem mehrfach weitere Subventionen für das in der obigen Verbän­deanalyse bereits erwähnte weißrussische Museum in Hajn6wka, für das der Ministerrat 1997 eine weitreichende Finanzzusage gegeben hatte. [98

Auch zur Minderheitenfinanzierung aus dem Kulturhaushalt 1999 oder zu den Folgen der Bildungsreform desselben Jahres für das Minderhei­tenschulwesen sowie zur Minderheitenrepräsentanz in den staatlichen

195 Grotz 2000, S. 178, 181 und 184. 196 Siehe Stenographische Berichte der 3. Kadenz. 197 Unter den verschiedenen Untergrundgruppen, die nach Kriegsende gegen die kom­

munistische Regierung in Polen ankämpften, gab es militärische Einheiten, die auch gegen die Zivilbevölkerung vorgingen. In der Region von Bialystok waren 1946 von einer dieser Gruppen insgesamt 87 der weißrussischen Bevölkerungsgruppe ermordet worden; siehe hierzu Mironowicz 2000, S. 45.

198 Anfrage Nr. 115, von Sergiej Plewa und Jan Syszewski vom 16.10.1998, Interpelac­je i zapytania poselskie (im Folgenden zitiert Anfragen und Interpellationen), 3. Kadenz; Interpellation Nr. 240 von Sergiej Plewa und Jan Syszewski, ebda.

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Medien stellte Syszewski Interpellationen,l99 womit er eine Kernpalette von Minderheitenschutzthemen abdeckte. Ähnlichen Charakter wiesen die Wortbeiträge und Interpellationen seines Partei- und "Minderhei­ten"-Kollegen Plewa auf, der sowohl allgemeinere finanzielle Fragen200

als auch konkrete Aspekte ansprach, beispielsweise die in seinen Augen unzureichende finanzielle Unterstützung der Zeitschrift Przeglqd Pra­woslawny (Orthodoxe Rundschau).20I

Erstmalig machten sich in dieser Legislaturperiode jedoch auch Nicht-Angehörige von Minderheiten zu einem direkten Sprachrohr für konkrete Minderheitenprobleme. So trug eine SLD-Parlamentarierin die Forderung eines Verbandes der Lemken nach höheren Subventionen für ihre Verbandstätigkeit vor,202 ein weiterer Abgeordneter dieser post­kommunistischen Oppositionspartei verlangte weitere Finanzmittel für das ukrainische Schulzentrum in Bialy B6r.203 Ein Abgeordneter der liberalen Freiheitsunion (UW) bezog sich in seiner Interpellation auf eine Resolution der Gemeinschaft der Litauer in Polen (Wspolnota Lit­winow w Polsce) gegen die geplante Einrichtung eines polnischen Grenzpostens in der Nähe von Punsk, wogegen Vertreter der litauischen Minderheit seit Jahren protestieren.2O<

Somit wurden in dieser Legislaturperiode durch das Mittel parla­mentarischer Interpellationen erstmals auch dezidiert litauische und lemkische Interessen angesprochen, obwohl diese Minderheiten nicht in dieser und auch in keiner vorherigen Legislaturperiode im Parlament repräsentiert waren. Es zeigt sich somit eine Art Sprachrohr-Funktion, indem Parlamentarier eine Mittlertätigkeit für die konkreten Interessen einzelner Minderheitenverbände übernehmen. Offen bleiben muss je­doch die Frage, ob dies entweder auf eine stärkere Sensibilisierung der Parlamentarier gegenüber dem Minderheiten-issue oder auf eine inten­sivierte Nutzung "klassischer" Lobbying-Methoden (im Sinne einer konkreten Beeinflussung von Abgeordneten) seitens einiger Minderhei­tenverbände zurückzuführen ist. Auch muss sich erst in einer nächsten Legislaturperiode zeigen, ob es sich bei dieser neueren Entwicklung womöglich um eine nachhaltige Tendenz handelt.

199 Jan Syszewski, Interpellation Nr. 2362 vom 23.8.1999, Interpellation NT. 3728 vom 6.4.2000, Interpellagion 3872 vom 28.4.2000 sowie Interpellation Nr. 6700 vom 12.6.2001, ebda.

200 Sergiej Plewa: 92. Sitzung, 2. Tag, 15. Tagesordnungspunkt, 29.11.2000, ebda. 201 Interpellation Nr. 4362 vom 5.10.2000, ebda. 202 Anfrage NT. 1975 von Bronislawa Kowalska vom 5.10.1999, ebda. 203 Interpellation Nr. 6627 von Ryszard Ulicki vom 29. Mai 2001, ebda. 204 Interpellation Nr. 6244 von Jan Kr61 vom 6.4.2001, ebda.

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Weiterhin bleibt auch während der Jahre 1997 bis 2001 das bereits be­kannte Argumentationsmuster der Auslandspolen-Priorität erkennbar. Träger dieser Argumentation waren - wie in den vorherigen Legislatur­perioden auch - primär konservative bis nationalkonservative Gruppie­rungen, etwa Parlamentarier aus der A WS oder aus kleinen rechten par­lamentarischen Abspaltungen der AWS. Jedoch verfolgten auch SLD­Parlamentarier diese Argumentation.20S Nur in einem Fall ist eine Art konkreter parlamentarischer "Angriff" auf Minderheiten erkennbar, als ein ehemaliger AWS-Abgeordneter gegen die Zeitschrift "Nasze Slowo" der ukrainischen Minderheit interpellierte. Er warf der Zeitschrift revi­sionistische und separatistische Inhalte in Bezug auf die ostpolnische Grenze und die Schaffung einer "separatistischen Atmosphäre" vor. Diese Beschuldigung wurde mit einer Regierungsanfrage verbunden, weshalb derartige Tätigkeiten gefördert würden. In seiner Antwort auf diese Interpellation nutzte der Innenminister mehrere Argumentations­strategien. Zum einen bezog er sich auf die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit sowie auf die dort festgelegten Minderheiten­schutzbestimmungen. Zum anderen berief er sich auf Artikel 6 der Rahmen-Konvention zum Minderheitenschutz des Europarates (Förde­rung von Toleranz und interkulturellem Dialog, Schutz der Minderhei­tenangehörigen vor Diskriminierungen), deren Ratifizierung ein halbes Jahr zuvor vom Parlament eingeleitet worden war. Damit wurde die Rahmenkonvention seitens der Regierung schon bald nach ihrer Ratifi­zierung auch argumentativ zur Verteidigung des Minderheitenschutzes eingesetzt. Süffisant fügte der Innenminister übrigens hinzu, dass es seit 1989 in Polen schließlich keine Zensur mehr gäbe - sie sei sogar verfas­sungsgemäß verboten. 206

Folgende Tendenzen sind für Legislaturperiode von 1997 bis 2001 erkennbar geworden: • In dieser Legislaturperiode setzte sich die Tendenz einer lobbyisti­

sehen Aktivität der Minderheitenvertreter im Parlament fort. Diese wurde jedoch nun weniger von den Vertretern der deutschen Min-

205 Antoni Szymanski, AWS, Anfrage Nr. 2612, 12.10.2000; Jan Kulas AWS, Anfrage Nr. 4021, 3.7.2001, Halina Nowina-Konopka NK (in den Sejm gewählt für AWS), Interpellation 2099, 17.6.1999; Andrzej Zapalowski (für die AWS in den Sejm ge­wählt, zwischenzeitlich im "Alternativen Parlamentarischen Kreis", gegen Ende der Kadenz unabhängig), Anfrage Nr. 2468, o. Datum (Antwort des Außenministers darauf am 9.10.2000); Bogdan Lewandowski SLD, Interpellation Nr. 1073, 28.10.1998; Izabella Sierakowska SLD, Anfrage Nr. 2184, 26.6.2000, ebda.

206 Interpellation Nr. 4613 Andrzej Zapalowski vom 6.9.2000, sowie Antwort des Ministers für Inneres und Verwaltung - im Auftrag des Ministerpräsidenten - auf die Interpellation Nr. 4613 vom 20.10.2000,3. Kadenz, Steno Ber. d. Sejm.

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derheit als von den weißrussischen Repräsentanten innerhalb der SLD-Fraktion wahrgenommen.

• Die parlamentarische Repräsentanz zahlreicher konservativ-rechter Gruppierungen innerhalb der AWS führte nicht zu einer auffallend negativen Argumentation in Bezug auf Minderheiten.

• Die primäre Bezugnahme auf die Lage der Auslandspolen war als gängige Argumentation insgesamt (nicht nur von konservativen Gruppierungen) nach wie vor evident und bildete somit das domi­nante Minderheiten-issue, das insgesamt nach wie vor allerdings unbedeutend blieb.

• Als neues Phänomen zeigt sich in der zweiten Hälfte dieser Legisla­turperiode eine Sprachrohr-Funktion seitens einzelner Sejm­Abgeordneter, die konkrete Belange einzelner Minderheitengruppen in den Sejm transportierten.

Zusammenfassend lassen sich für die drei Legislaturperioden zwischen 1991 und 2001 folgende Erkenntnisse festhalten:

• Das Minderheitenthema stellte in allen drei Legislaturperioden durchgehend kein zentrales issue dar. Innerhalb der Parlamentsde­batten spielten Minderheitenthemen vor allem in außenpolitischen Diskussionen eine Rolle, sei es in Bezug auf Polens Integration in den Europarat, die EU oder hinsichtlich der Beziehungen zu den polnischen Nachbarstaaten.

• Die Minderheitenvertreter der deutschen, weißrussischen und uk­rainischen Minderheiten nahmen durchweg Lobby-Aktivitäten für ihre Minderheiten wahr, nicht selten in Bezug auf konkrete Einzel­probleme.

• Minderheitenprobleme werden insgesamt entweder in sehr konkre­ten Einzelaspekten oder in eher allgemeinen "Absichtsbekundun­gen" formuliert, verbunden mit Demokratie-, Menschenrechts-, oder Westintegrationspostulaten. Es fehlt hingegen an Überlegungen prinzipieller Natur zu einzelnen Minderheitenschutzbereichen, etwa zu Fragen der politischen Integration von Minderheiten oder ihrer Partizipation in Medien und Schulfragen.

• Die sich auf Minderheiten beziehenden Parlamentarier deckten zumindest in den vergangenen bei den Legislaturperioden das breite Spektrum der im Parlament vertretenen Parteien ab. Ebenfalls für die letzten bei den Legislaturperioden lässt sich eine deutliche Über­einstimmung eines pro-westlichen cleavage der Parteien mit einer eher "minderheitenfreundlichen" Argumentation ihrer Parlamenta­rier erkennen, sowie vice versa mit einer eher kritischen bzw. pri-

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mär auf Auslandspolen ausgerichteten Argumentation in solchen Gruppierungen, die stärker traditionell-national bzw. anti-westlich orientiert sind.

2.3 Das Zentrum der Minderheitenpolitik - Die Sejm­Kommission für nationale und ethnische Minderheiten

Den institutionellen Ort der Beschäftigung mit Minderheitenfragen in­mirhalb des Parlaments stellt die Sejm-Kommission flir nationale und ethnische Minderheiten dar. Als ständige Kommission existiert sie seit Beginn des Transformationsprozesses. Im Folgenden soll sie einer um­fassenden Institutionenanalyse unterzogen werden. Dabei wird die Ent­wicklung der Kommission seit 1989 nachvollzogen.

Institution building Die Parlamentskommission stellt die erste institutionelle Neugründung des minderheitenrelevanten Institutionensystems nach dem System­wechsel dar. Sie konstituierte sich am 17.8.1989 und entstand damit quasi in der "Stunde des Systemwechsels", also in den ersten Tagen der Tätigkeit des Kontrakt-Sejms und noch vor der Wahl Tadeusz Mazowie­ckis zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Polens. Gleichzeitig war dies das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass das Minderheiten-issue überhaupt einen festen Platz in der parlamenta­rischen Arbeit Polens erhielt.2Jl7 Die Gründungs-Bemühungen waren aus den Reihen des Bürgerkomitees gekommen und vor allem von Jacek Kuron, einem bekannten Bürgerrechtler, und Wlodzimierz Mokry, dem ukrainischen Vertreter aus den Reihen des Bürgerkomitees, initiiert worden. 208

Institutionelle Konfiguration

Struktur und Kompetenzen Die Parlamentskommissionen des Sejm zählt ebenso wie der Sejm­Marschall, das Präsidium und der Ältestenrat zu den Parlamentsorga­nen. Ihre Aufgaben bestehen in der Überprüfung und Vorbereitung von Fragen, die Gegenstand der Parlamentsarbeit sind, sowie in der Erarbei­tung von Stellungnahmen in Angelegenheiten, die das Plenum, der Mar-

207 Lodzinski in Centrum 1998, S.48, Biuro do Spraw Mniejszosci Narodowych przy Ministerstwie Kultury i Sztuki: Biuletyn. Mniejszosci narodowe w Polsee w 1993 roku, Warszawa 1994, S.89, Mazowiecki wurde am 24.8.1989 gewählt, Bingen 1998, S. 64.

208 Zwil\zek: Ukraincy 1993, S. 272.

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schall oder das Präsidium an sie überweist. Zudem gelten sie als Gre­mien der parlamentarischen Kontrolle."" Die Kommission "Nationale und ethnische Minderheiten" (so die wörtliche Übersetzung) ist eine von mehr als zwei Dutzend ständigen Sejm-Kommissionen. Diese sind in der parlamentarischen Praxis unterteilt in kleine, mittlere und große Kommissionen. Nach dieser Größe richtet sich auch die maximale An­zahl der Parlamentarier, die die Fraktionen und Kreise in die jeweiligen Kommissionen entsenden können. Die Minderheiten-Kommission zählt zu den "kleinen Kommissionen". In der jüngsten Legislaturperiode be­deutete dies, dass beispielsweise die A WS maximal acht, die SLD sechs, die UW zwei und alle anderen Fraktionen und Gruppierungen jeweils einen Parlamentarier in diese Kommission entsenden konnten. Dieses Kontingent wurde jedoch von der A WS und den kleineren abgespaltenen rechten Gruppierungen nicht ausgenutzt, was den im obigen Abschnitt zu den Parlamentsdiskussionen deutlich gewordenen Eindruck eines geringen Interesses dieser konservativ bis nationalistischen Gruppierun­gen am Minderheitenschutz sicherlich nochmals bestätigt.2lO

Die konkrete Aufgabenbeschreibung der Minderheiten-Kommission sieht Folgendes vor:

"Zum Tätigkeitsbereich der Kommission ... ,Nationale und ethnische Minder­heiten' gehören Angelegenheiten, die mit der Aufrechterhaltung des kulturellen Erbes nationaler, ethnischer und sprachlicher Minderheiten und dem Schutz ihres Rechtes verbunden sind."211

Dieses Kompetenzprofil zeigt erstens eine für den polnischen Institutio­nen-Kontext erweiterte Begriffsfassung von Minderheiten, indem neben der in Polen typischen Unterscheidung zwischen nationalen und ethni­schen Minderheiten auch die Einbeziehung sprachlicher Minderheiten vorgesehen ist. Dies bedeutet in concreto die Berücksichtigung der ka­schubischen Minderheit. Diese begriffliche Öffnung bleibt dennoch begrenzt, weil religiöse Minderheiten keine Erwähnung finden. Zwei­tens zeigt sich ein sehr breit angelegter inhaltlicher Auftrag der Kom­mission. Unter dem Aspekt der Aufrechterhaltung der Minderheitenkul­tur und des minderheitenbezogenen Rechtsschutzes lassen sich bei ent­sprechender Auslegung letztlich alle Bereiche des Minderheitenschutzes fassen, da nicht nur Fragen der Schul- und Kulturförderung, sondern

209 Geschäftsordnung des Sejm vom 30. Juli 1992 (Sejm-Geschäftsordnung) mit späte­ren Veränderungen, hier Artikel 10 und 18.

210 Die Zahl der ständigen Sejm-Kommissionen unterlag zahlreichen Veränderungen; http://www.sejm.gov.pl/prace/kom/liczba_miejsc.htm. (26.9.2001) und Bericht der Minderheitenkommission 3. Kadenz, S. 15.

211 Anhang zur Sejm-Geschäftsordnung, Punkt 12.

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auch der politischen Partizipation von Minderheiten dem Erhalt der kulturellen Tradition dienen können.

Die Minderheiten-Kommission des Sejm weist somit folgende Kompetenzen auf:

• Zum einen hat sie eine kreative Funktion, indem die Kommission Anregungen, Vorlagen und Stellungnahmen zur parlamentarischen Auseinandersetzung um den kulturellen und den rechtlichen Schutz von Minderheiten entwickeln soll.

• Zum zweiten nimmt sie als Teil der Legislative - wie alle Kommis­sionen - eine parlamentarische Kontrollfunktion wahr.

Arbeitsweise

Legislaturperiode 1989 bis 1991 In den ersten Jahren ihrer Existenz hat die Minderheiten-Kommission bereits eine intensive Tätigkeit entfaltet. In der Legislaturperiode des sogenannten Kontrakt-Sejm (von August 1989 bis Oktober 1991) tagte die Kommission 39 Mal, häufiger als einmal monatlich.212

Der Kommission gehörten bei ihrer Gründung 24 Abgeordnete an, unter denen auch die parlamentarischen Repräsentanten der Minderhei­ten vertreten waren. Dazu zählten beispielsweise Eugeniusz Czykwin (weißrussische Minderheit) und Wlodzimierz Mokry (ukrainische Min­derheit), ebenso weitere an der Problematik interessierte Politiker wie beispielsweise die spätere Ministerpräsidentin Hanna Suchocka, die bereits vor dem Systemwechsel an Überlegungen zum Minderheiten­schutz innerhalb der Solidarnosc mitgewirkt hatte, und der spätere Mi­nisterpräsident Wlodzimierz Cimoszewicz (aus der Koalition der vorma­ligen Machthaber), dem durch seine Herkunft aus der Region Bialystok Probleme der weißrussischen Minderheit vertraut waren.213 Vorsitzender war in dieser ersten Legislaturperiode zunächst Jacek Kuron, nach sei­ner Berufung zum Arbeits- und Sozialminister übernahm Jerzy Wuttke das Amt, der ebenfalls für das Bürgerkomitee der Solidarnosc im Sejm saß.

Die Arbeit der Parlamentskommission in den ersten zwei Jahren ih­rer Existenz war vor allem von zwei Faktoren geprägt: Zum einen da­von, Kontakt zu verschiedenen Minderheiten aufzubauen und sich einen Überblick über die jeweiligen spezifischen Problemlagen zu verschaf-

212 Lodziilski in Centrum 1998, S. 48. 213 Zwillzek: Ukraiilcy 1993, S. 15, zudem Interview mit Cimoszewicz, Dezember 2000

Warschau.

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fen. Zum anderen von dem Bemühen, die Grundlagen eines rechtlichen Minderheitenschutzes in der neuen Demokratie zu schaffen.

Eine der ersten Initiativen bildete ein Treffen mit Vertretern der deutschen Minderheit, welches noch im August 1989 und somit im Gründungsmonat der Kommission stattfand. Diese erste Begegnung mit potenziellen Adressaten der Kommission führte rasch zu der Überle­gung, den direkten Kontakt auch zu den weiteren relevanten Minderhei­ten zu suchen.2l< Insgesamt unternahm die Kommission in dieser Legis­laturperiode vier "Vor-Ort-Besuche" bei unterschiedlichen Minderhei­ten, um sich über deren Lage zu informieren.2lS

Jedoch wurden Minderheitenvertreter nicht nur zu diesen outdoor­Sitzungen geladen. Auch bei der Debatte spezifischer Probleme, wie der Diskussion um die Finanzierung der Minderheitenverbände im Novem­ber 1989, wurden beispielsweise ukrainische Vertreter geladen. 216 Dieses Thema zählt - wie sich im weiteren Verlauf der Analyse zeigen wird -zu den zentralen issues der in der Kommission diskutierten Problemla­gen. Auch andere spätere Kernthemen wurden bereits in den ersten Mo­naten kontrovers diskutiert, beispielsweise der Zugang der Minderheiten zu den staatlichen Medien.217

Die Aktivitäten der Kommission in dieser Legislaturperiode im Be­reich der Schaffung von Rechtsschutzinstrumenten erstreckte sich pri­mär auf drei Bereiche: Zum einen arbeitete die Kommission intensiv an der Entwicklung minderheitenrelevanter Verfassungsbestimmungen, zweitens an einem Konzept für ein Minderheitengesetz sowie drittens an einem Gesetz über die Beziehungen zur orthodoxen Kirche Polens.

Wie im obigen Abschnitt zum Rechtssystem gezeigt worden war, zählte die Arbeit an einem Minderheitengesetz zu den ersten Aktivitäten der Minderheitenkommission.218 Überlegungen hierzu waren eng ver­knüpft mit der Debatte um mögliche Minderheitenschutzbestimmungen in der Verfassung.219 Beide Initiativen konnten jedoch im Verlauf dieser Legislaturperiode nicht zu einem Abschluss gebracht werden.

Erfolgreicher war hingegen der dritte gesetzgeberische Arbeitsbe­reich der Kommission, das Gesetz über die Beziehungen des Staates zur Polnischen Autokephalen Kirche von 1991. In einer von der Minderhei-

214 Zwi,\zek: Ukraincy 1993, S. 15. 215 Lodzinski in Centrum 1998, S. 48. 216 Zwi,\zek: Ukraincy 1993, S. 17, über die Sitzung der Minderheiten-Kommission am

25.11.1989. 217 Sitzung am 26/27.7.1990, Zwi,\zek: Ukraincy 1993, S. 27. 218 Zwi,\zek: Ukraincy 1993, S. 15. 219 Kallas 1995, S. 178.

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tenexpertin Bogumila Berdychowska zu verantwortenden Veröffentli­chung des Kulturministeriums aus dem Jahr 1993 wird dieses Gesetz als eines der zentralen Resultate der Arbeit der Parlamentskommission in dieser Legislaturperiode bezeichnet.220 Trotz des hohen Gesetzes-ouptuts des Sejm in diesen ersten Jahren nach dem Systemwechsel (zu der Zeit ungefähr 100 laufende Gesetzgebungsverfahren) gelang es noch vor Ablauf der Legislaturperiode 1991, dieses Gesetz zu verabschieden.221

Insgesamt war somit die Minderheiten-Kommission in den ersten zwei Jahren ihrer Tätigkeit unterschiedlich erfolgreich: So ist es zwar auf der einen Seite gelungen, erste Kontakte zu verschiedenen Minder­heiten aufzubauen. Weniger erfolgreich war die Kommission hingegen im Bereich des Rechtsschutzes, denn vor allem das Minderheitengesetz und die Verfassung blieben unvollendete Projekte.

Legislaturperiode 1991 bis 1993 Die Tätigkeit der Kommission in dieser verkürzten Legislaturperiode nach den Gründungswahlen erstreckte sich lediglich über anderthalb Jahre, von Ende 1991 bis Mai 1993. In diesem Zeitraum kam die Kom­mission zu 18 Sitzungen zusammen, somit durchschnittlich einmal im Monat und seltener als in der vorherigen Kadenz.222

Die politisch stark fragmentierte Parlaments situation spiegelte sich in der Kommissionszusammensetzung, in die sieben Parteien sowie die deutsche und weißrussische Minderheit ihre Vertreter entsandt hatten. Neben den postkommunistischen Parteien SLD und PSL sowie der libe­ralen Post-Solidarnosc-Partei Demokratische Union (UD) und der Soli­darnosc hatten auch die stark vertretenen national orientierten Gruppie­rungen ihre Vertreter in die Kommission entsandt, so die Christlich­nationale Vereinigung (ZChN) , die Konföderation Unabhängiges Polen (KPN) und die Zentrumsallianz (PC).223 Auch der Vorsitzende der Kom­mission, Jan Pi&tkowski, war für die ZehN Sejm-Abgeordneter. Auch unter den drei stellvertretenden Vorsitzenden fand sich ein Parlamenta­rier aus den eher rechten Gruppierungen, der traditionell-national ge­sinnten KPN. Mit den beiden weiteren Stellvertretern jeweils aus der deutschen (Henryk Kr61)224 und aus der weißrussischen Minderheit (Eu-

220 Biuro do Spraw Mniejszosci Narodowych przy Ministerstwie Ku1tury i Sztuki: Biuletyn. Mniejszosci narodowe w Po1sce w 1993 roku, Warszawa 1994, S. 91.

221 Czykwin 1997, S. 14-35, Lodziitski in Centrum 1998, S. 48. 222 Lodziitski in Centrum 1998, S. 49. 223 Bulletins der Sejm-Kanzlei zu den Sitzungen der Kommission Nationale und Ethni­

sche Minderheiten, 1. Kadenz. 224 Henryk Kr61 nutzte später die Möglichkeit, seinen Nachnamen wieder in deutscher

Schreibweise zu verwenden und wird deshalb im Folgenden ab einem bestimmten

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geniusz Czykwin) stellte das Präsidium der Minderheiten-Kommission somit eine erstaunliche Akteurskonstellation aus Minderheitenvertretern und Angehörigen rechter national, gesinnter Parteien dar.225

Den Auftakt der Kommissionsarbeit bildete zunächst eine Anhörung der Kandidaten für die Posten des Kulturministers und des Chefs des Ministerrats-Amtes in der Regierung des kurz zuvor gewählten Minis­terpräsidenten Jan Olszewski von der konservativen Zentrumsallianz (pe). Im Weiteren setzte die Kommission vor allem die Arbeit an den Kernthemen der vorherigen Legislaturperiode fort. So standen vor allem Überlegungen zum rechtlichen Status von Minderheiten im Vordergrund (sowohl in Bezug auf Verfassungsregelungen als auch auf ein separates Minderheitengesetz). Ebenfalls von großer Bedeutung waren Debatten zur Haushaltslage von Kultur- und Bildungsministerium im Bezug auf die Finanzierungsgrundlage der Minderheiten sowie die Diskussion von Einzelproblemen verschiedener Minderheiten. Vor allem zu den letzten beiden Punkten wurden zahlreiche Gäste aus den Ministerien und Be­hörden oder Vertreter der Minderheiten geladen.

Ein Themenkomplex, der intensiv mit Behörden und Minderheiten­repräsentanten zugleich diskutiert wurde, war der Zugang der Minder­heiten zu den staatlichen Hörfunk- und Fernsehprogrammen; ein Thema, das erst im Dezember 1992 gesetzlich geregelt worden war.226 Ein neue­rer Aspekt, der in der Tätigkeit der Kommission dieser Kadenz einigen Raum einnahm und bis ins Jahr 2001 ein dauerhaftes Thema blieb, war die Diskussion um die Schaffung eines zentralen Beauftragten für Min­derheitenfragen, der die staatliche Minderheitenpolitik koordinieren sollte. 227

Die inhaltliche Arbeit der Kommission im Rechtsschutzbereich wurde mit einem Blick auf den Minderheitenschutz in anderen Ländern eröffnet. In der weiteren Debatte forcierte vor allem der Vertreter der deutschen Minderheit, Henryk Kr61 (dessen Minderheit erstmals im Parlament vertreten war), eine Wiederaufnahme der Kommissions­bemühungen um das zuvor gescheiterte Minderheitengesetz. Die Auf­fassung über dessen Notwendigkeit und überhaupt der Wissensstand der

Zeitpunkt als Henryk Kroll bezeichnet. 225 Siehe Bulletin der Sejm-Kanzlei Nr. 19, Kommission Nationale und ethnische

Minderheiten (im Folgenden zitiert Minderheiten-Kommission) vom 11.12.1991, 1. Kadenz.

226 Bulletin der Sejm-Kanzlei, Minderheiten-Kommission 14.10.1992. 227 Bulletins der Sejm-Kanzlei zu den Sitzungen der Minderheiten-Kommission,

1. Kadenz.

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Kommissionsmitglieder zu diesem Thema war jedoch sehr heterogen. 22ß

Nach intensiven Diskussionen zur Rechtslage des Minderheitenschutzes waren in einer Sitzung vom März 1992 zahlreiche Minderheitenvertreter (sowie auch Behördenvertreter) konsultiert worden. Es ergab sich das Bild, dass nahezu alle Minderheitenvertreter sowohl spezielle Verfas­sungsbestimmungen als auch ein separates Minderheitengesetz für not­wendig hielten. Und doch hatte keiner dieser Repräsentanten konkrete Vorstellungen von einem möglichen Inhalt solcher Bestimmungen. Ihre Stellungnahmen waren zwar sehr nachdrücklich, hatten jedoch lediglich den Charakter allgemeiner Postulate. 219 Es ist also zu konstatieren, dass zu diesem Zeitpunkt, über zwei Jahre nach Beginn der Transformation, unter den Repräsentanten verschiedener Minderheiten zwar der Wille zu solchen rechtlichen Regelungen vorhanden war, dass es jedoch an Wis­sen mangelte, wie ein differenzierter Rechtsschutz aussehen sollte.

In der folgenden Debatte der Kommissionsmitglieder über das wei­tere Vorgehen wurden Differenzen innerhalb der Kommission sowohl über die Notwendigkeit eines Minderheitengesetzes als auch grundle­gend über die Funktion der Kommission deutlich. So argumentierte der Kommissionsvorsitzende Jan Pi&.tkwoski aus der rechtskonservativen ZChN, die Kommission sei nicht - wie der Parlamentarier der deutschen Minderheit glaube - lediglich zur Erarbeitung von Regelungen des Minderheitenschutzes da, sondern müsse vielmehr auch als Teil des Sejm auf die Wahrung der polnischen Staatsräson achten. Zum Wohle dieser Staatsräson müsse die Arbeit an einem Minderheitengesetz einst­weilen verschoben werden. Ein Minderheitengesetz lief also den Inte­ressen des damaligen Kommissionsvorsitzenden zuwider.

Die Proteste Jacek Kurons und Eugniusz Czykwins gegen diese Po­sition verdeutlichen den starken politischen Riss, der durch die Kom­mission lief: Es zeigte sich die gleiche politisch-argumentative Auftei­lung bezüglich des Minderheiten-issue zwischen liberalen und rechts­konservativen Parteien, wie sie bereits in der obigen Analyse der Parla­mentsdebatten deutlich geworden war. Diese konfliktive Situation wur-

228 Bulletin der Sejm-Kanzlei Nr. 138, Kommission Nationale und Ethnische Minder­heiten vom 29.1.1992.

229 Bulletin der Sejm-Kanzlei, Nr. 251, Kommission Nationale und Ethnische Minder­heiten, 18.3.1992. Die Befürworter waren Vertreter der deutschen, tschechischen, slowakischen, jüdischen, weißrussischen, ukrainischen, litauischen Minderheiten sowie der Minderheit der Roma. Der einzige Minderheitenvertreter, der sich sowohl gegen gesonderte Verfassungsbestimmungen als auch gegen ein eigenes Minderhei­tengesetz aussprach, war Oleg Latyszonek, der die Partei "Weißrussische demokra­tische Vereinigung" vertrat und bis heute als prominenter Gegner eines Minderhei­tengesetzes gilt.

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de gelöst durch einen Antrag Jacek Kurons, die Kommission möge un­mittelbar entscheiden, ob sie in dieser Legislaturperiode sowohl an Ver­fassungs bestimmungen als auch an einem Minderheitengesetz arbeiten will, was beides positiv entschieden wurde. Trotzdem verlief die be­schlossene Arbeit an einem Minderheitengesetz nur schleppend, denn eine hierfür geplante eigene Unterkommission wurde erst mehr als ein Jahr nach dem entsprechenden Beschluss eingesetzt; der Kommissions­Vorsitz war inzwischen bereits an einen Abgeordneten aus der liberalen UW übergegangen.230 Da das Parlament jedoch kurze Zeit später aufge­löst wurde, konnten die Arbeiten an einem Minderheitengesetz nicht mehr aufgenommen werden.

Wie bereits angedeutet, zählte auch die Einsetzung eines Beauftrag­ten für Minderheitenfragen zu den Forderungen der Kommission. Nach der Vorstellung der Kommission sollte diese Position unmittelbar beim Premierminister angesiedelt sein. Die Kommission richtete dazu im Frühjahr 1992 eine sogenannte offizielle Forderung (ein "Desiderat") an den Ministerrat. Die geplante Ansiedlung beim Ministerpräsidenten sollte dem Charakter des Minderheitenschutzes gerecht werden, der sich über mehrere Politikfelder erstreckt. Als die Kommission in einer ihrer Sitzungen eine ausstehende Antwort auf ihren Vorschlag forderte, war bereits die neue Regierung unter Hanna Suchocka im Amt. Doch auch die Regierungschefin, früher selber Mitglied der Kommission, sah kei­nerlei Möglichkeit, eine solche Institution zu sch affen. 231

Die Tätigkeit der Minderheiten-Kommission dieses ersten frei ge­wählten Sejm ergibt insgesamt folgendes Bild:

• Zentrale Minderheitenschutzthemen wurden unter Teilnahme so­wohl von zahlreichen Vertretern staatlicher Behörden als auch der jeweiligen Minderheiten diskutiert. Die Kommission entwickelte somit eine Strategie der Adressaten- und Institutioneneinbindung.

• Das Bild der Effektivität der Kommission in dieser verkürzten Le­gislaturperiode ist ambivalent: Zwar gelang es, für verschiedene Minderheitenthemen ein Forum zu schaffen und die Einrichtung ei­nes Minderheitenbeauftragten zu fordern, die Erarbeitung einer Vor­lage für ein Minderheitengesetz wurde jedoch durch die späte Ein­setzung einer Unterkommission stark verzögert.

230 Ebda. sowie Bulletin der Sejm-Kanzlei Nr. 1354, Kommission Nationale und Ethni­sche Minderheiten 18. Sitzung, 14.5.1993, Lodziilski in Centrum 1998, S. 49.

231 Ebda. Der ursprüngliche Begriff des Beauftragten wurde jedoch in der Schlussfas­sung durch die Forderung nach einer "Regierungsinstitution" für Minderheitenfra­gen ersetzt. Zudem: Bulletin der Sejm-Kanzlei Nr. 1354, Minderheiten­Kommission, 14.5.1993.

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• Durch die politisch sehr heterogene Akteurskonstellation der Kom­mission waren die Interesselage der Mitglieder sehr divergent und einige Auseinandersetzungen ausgesprochen konfliktiv. Es zeigen sich jedoch keine deutlichen Anzeichen dafür, dass die Schwächen in der Effektivität unmittelbar auf diese Akteurskonstellation zu­rückzuführen sind.

Legislaturperiode 1993 bis 1997 Die Akteurskonstellation der Kommission in dieser Legislaturperiode unterschied sich - entsprechend den veränderten Parlamentsmehrheiten - deutlich von der Zusammensetzung in der vorherigen Kadenz. Ent­sprechend der Parlamentsmehrheit postkommunistischer Parteien hatten zu Beginn der Legislaturperiode SLD und PSL jeweils fünf Abgeordnete in die Kommission entsandt, die UW vier Abgeordnete und die deutsche Minderheit einen Parlamentarier. Aus dem rechten politischen Spektrum war lediglich ein Abgeordneter vertreten. Zudem war als Abgeordneter der UW auch ein Angehöriger der ukrainischen Minderheit in der Kommission vertreten, sowie durch die SLD ein weißrussischer Vertre­ter. Zwar zeigt sich eine starke Akteursfluktuation innerhalb der Kom­missions-Zusammensetzung (neun Parlamentarier verließen den Aus­schuss, sechs kamen hinzu), die jedoch das Parteien-Verhältnis nicht wesentlich veränderte.232

Obwohl SLD und PSL eine starke Mehrheit innerhalb der Parla­mentskommission besaßen, wurde in dieser Legislaturperiode Jacek Kuron von der UW zum Vorsitzenden gewählt. Henryk Kroll von der deutschen Minderheit begründete diesen Kandidaten-Vorschlag damit, dass Kuron als "bekannter Freund der nationalen Minderheiten" gelte und zudem die Gründung der Kommission ursprünglich initiiert habe. Kuron wurde als einziger Kandidat (bei einer Enthaltung) nahezu ein­stimmig gewählt, so dass von einer großen Unterstützung des Vorsitzen­den durch die Kommission ausgegangen werden kann. Doch aufgrund seiner erfolglosen Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen von 1995 und einer längeren Krankheit übte er dieses Amt nicht während der ge­samten Legislaturperiode aus. 233

232 Sejm Rzeczypospolitej Polskiej II kadencji (Hrsg.): Sprawozdanie Komisji Mniejszosci Narodowych i Etnicznych z dzialalnosci w okresie II kadencji Sejmu RP (1993-1997), Warschau 1997 (im Folgenden zitiert Bericht der Minderheiten­Kommission, 2. Kadenz), S. 18 f.

233 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. I, 2. Kadenz, 21.10.1993, Lodziitski in Centrum, S. 49.

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Innerhalb dieser Legislaturperiode lässt sich die Tätigkeit der Kommis­sion deutlich in vier Bereiche unterteilen: Erstens in den Bereich der Rechtsschutzaktivitäten. Dazu zählt vor allem die Weiterarbeit an Ver­fassung und Minderheitengesetz sowie an verschiedenen anderen Geset­zen, die Minderheiten betreffen. Zweitens in den Bereich eines kreativen Bemühens um geeignetere minderheitenrelevante institutionelle Lösun­gen. Diese Arbeit konzentrierte sich vor allem auf Forderungen zur Einsetzung eines Beauftragten für Minderheiten, erstreckte sich jedoch auch auf andere Aspekte. Drittens zeigt sich das Bemühen um eine Ver­besserung in den diversen Feldern des Minderheitenschutzes, etwa in der Kulturförderung oder dem Minderheitenschulwesen. Neben diesen Bereichen, in denen die Kommission zumeist selbst agierte, zeigt sich viertens eine Auseinandersetzung mit den Problemlagen einzelner Min­derheiten.

Ad 1: Im Bereich der Rechtsschutzaktivitäten beendete die Kom­mission zunächst innerhalb des ersten Dreivierteljahres ihre Überlegun­gen zu minderheitenrelevanten Verfassungsbestimmungen.234 Bei den Bemühungen um ein Minderheitengesetz wurde am Stand der vorheri­gen Legislaturperiode wieder angeknüpft und erneut eine Unterkommis­sion gegründet, die von Anfang 1994 bis zum Ende der Legislaturperio­de an einem Entwurf für ein Minderheitengesetz gearbeitet hat, das -wie im Abschnitt zum Rechtssystem erläutert worden war - erst in der folgenden Legislaturperiode zur ersten Lesung in den Sejm eingebracht wurde. Auch diese Unterkommission hat, ebenso wie die Kommission selbst, intensiven Austausch mit zentralen Behörden gepflegt, jedoch nur in begrenzterem Maße auch die Minderheitenverbände in ihre De­batten eingebunden.23S

Ein weiterer Aspekt der Rechtsschutztätigkeit der Kommission be­stand in der Befassung mit Gesetzes-Projekten, welche die Wiedergut­machung der Opfer von Repressionen der Nachkriegszeit ermöglichen sollte. Vor allem Bemühungen um Wiedergutmachung für die ukraini­schen und lemkischen Opfer der Aktion "Weichsel" standen hier im Vordergrund. Diesem historischen Erbe gerecht zu werden, hatte die Kommission bereits während des Kontrakt-Sejms versucht, indem sie sich um eine offizielle Entschuldigung des Sejm bemühte. Zwar war

234 Verabschiedung des Vorschlags für eine minderheitenbezogene Verfassungsbestim­mung in der Sitzung vom 8.6.1994, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 11, 2. Kadenz.

235 Bericht der Minderheiten-Kommission, 2. Kadenz, S. 3, 21 und 59-64.

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dies nicht erfolgreich, führte jedoch zumindest zu einer entsprechenden Erklärung des Senats, der zweiten Parlamentskammer.236

Ad 2: In ihren institutionen bezogenen Überlegungen verfolgte die Kommission nach wie vor das Ziel einer verbesserten Koordinierung der zentralstaatlichen Minderheitenpolitik und griff zu Beginn der Le­gislaturperiode ihre Forderung nach der Installierung eines zentralen Beauftragten für Minderheitenfragen beim Amt des Ministerrates wieder auf, mit der ihre Arbeit in der vorherigen Legislaturperiode geendet hatte. 237 Dieses Thema wurde in verschiedenen Variationen diskutiert, die alle zum Ziel hatten, die minderheitenbezogenen institutionellen Kompetenzen aus der Ministerialstruktur herauszulösen und die Min­derheitenpolitik überministeriell zu gestalten238 (dieses Postulat der Kommission schlug sich auch im geplanten Minderheitengesetz nieder, in dem ein eigenes Amt für Minderheitenfragen vorgesehen war).239

Die kurze Amtszeit des Ministerpräsidenten Wlodzimierz Cimosze­wicz brachte rür die Kommission tatsächlich einen vorübergehenden Erfolg, denn Cimoszewicz schuf die Position eines zentralen Minderhei­tenbeauftragten. Aus der Perspektive der Kommission war dies jedoch nur eine halbherzige institutionelle Neugründung, denn diese neue Insti­tution zeigte zwei deutliche Mängel: Zum einen musste der neue Min­derheitenbeauftragte sein Amt zusätzlich zu seiner bisherigen Beschäf­tigung als Unterstaatssekretär im Kulturministerium ausfüllen, zum anderen war er mit seiner neuen Aufgabe dem Innen- und Verwaltungs­ministerium zugeordnet, so dass er zwei Ministerien gleichzeitig ver­antwortlich war.240 Letztlich existierte diese Position jedoch nur wenige Monate, denn mit dem Regierungswechsel von 1997 verschwand auch der Beauftragte für Minderheitenfragen. Auch in einem zweiten Aspekt ihrer institutionellen Überlegungen zur Koordinierung der Minderhei­tenpolitiker erzielte die Kommission einen gewissen Erfolg: Die Cimo­szewicz-Regierung entsprach ihrer "Forderung Nr. 10" nach der Ein­richtung einer koordinierenden interministeriellen Kommission für Minderheitenfragen und richtete diese 1997 ein. Doch für diese neue

236 Ebda., S. 3, LodziIiski in Centrum 1998, S. 49. 237 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 9.11.1993, Nr. 2, 2. Kadenz. 238 Sitzung vom 13.12.1994, Bulletin d. Sejm-Kommission f1ir Minderheiten, Nr. 17,

2. Kadenz, in einem "Desiderat" an den Ministerpräsidenten forderte die Kommis­sion die Verlegung des Minderheitenbfiros des Kulturministeriums in das Amt des Ministerrats; Bericht der Minderheiten-Kommission, 2. Kadenz, S. 36.

239 Siehe den obigen Abschnitt zum Minderheitengesetz. 240 Siehe die Debatte um diese neue Position in der Sitzung vom 18.3.1997, Bulletin d.

Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 62, 2. Kadenz.

277

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Institution bedeutete der folgende Regierungswechsel zunächst eine längere Arbeitspause. 241

Ad 3: Als dauerhaftes Thema - das in jeder Begegnung mit Minderheitenvertretern zur Sprache kam - zeigte sich nach wie vor die Frage der Kulturförderung der Minderheitenverbände. Im Zentrum stand dabei eine häufiger im Jahr (nicht nur zur Haushaltsdebatte) stattfindende Diskussion um das Minderheiten-Budget des Kulturministeriums. Es zeigt sich, dass die Kommission ihrer parlamentarischen Kontroll-Funktion intensiv nachging, beispielsweise führte die Unzufriedenheit mit dem Minderheiten-Etat von 1995 zu einem offiziellen "Desiderat" gegenüber dem Kulturminister, das Budget zu erhöhen.2' 2

Der Aspekt des Minderheitenschulwesens war innerhalb dieser Le­gislaturperiode konfliktiv aufgeladen, was sich u.a. daran zeigte, dass allein fünf der insgesamt elf von der Kommission verabschiedeten "De­siderate" an den Bildungsminister gerichtet waren. Da sich das Instru­ment der "Desiderate" als eine Art ultima ratio der parlamentarischen Kommission bezeichnen lässt, zeigt dies das Ausmaß der Probleme im Minderheitenschulwesen. Diese Desiderate bezogen sich - ebenso wie im Kulturbereich - auf die Finanzierungsprobleme. So wurden vor al­lem bessere Förderungen konkreter Minderheiten-Schulprojekte gefor­dert. Insgesamt war die Kommission mit diesem Instrument sehr erfolg­reich, denn nahezu alle Forderungen wurden positiv beschieden.243

Einen ähnlich sensiblen Bereich des Minderheitenschutzes stellte der Zugang der Minderheiten zu den Massenmedien dar. Die Kritik der Minderheitenvertreter in den Kommissionssitzungen richtete sich nach­haltig auf den Umfang, in dem die staatlichen Hörfunk- und Fernsehan­stalten ihrer gesetzlichen Pflicht zur Berücksichtigung von Minderhei­tenthemen nachkamen. Der stärkste Protest diesbezüglich kam während dieser Legislaturperiode vom Weißrussischen Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej), der dem staat­lichen Regionalfernsehen von Bialystok vorwarf, die Belange der weiß­russischen Minderheit zu ignorieren. Problematisch blieb auch die me-

241 Bericht der Minderheiten-Kommission. 2. Kadenz, S. 38. Siehe zudem den Ab­schnitt zur Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen.

242 Ebda. S. 36 und 44. Auf die Debatten um die Minderheitenförderung in den Kultur­etats wird zudem im Abschnitt über das Kulturministerium eingegangen.

243 Ebda. S. 36 f. Neben der Option, "Desiderate" zu beschließen, hat die Kommission die Möglichkeit, sogenannte Stellungnahmen abzugeben, diese können sich eben­falls an Ministerien oder als "innere" Stellungnahmen an andere Parlamentskom­missionen richten. Von bei den Instrumenten hat die Kommission Gebrauch ge­macht. Ebda, S. 40-42.

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diale Versorgung der ukrainischen Minderheit, die sich wegen ihrer verstreuten Siedlungs weise um Sendemöglichkeiten in verschiedenen regionalen Radio- und Fernsehstationen bemühen musste. Eine Lösung dieses Problems durch die Sejm-Kommission ist in diesem Bereich je­doch nur schwer möglich, da die Entscheidungen in den Regionen nur begrenzt durch Warschauer Behörden beeinflusst werden können.'44 Die potenzielle Effektivität als die gegebene Möglichkeit einer Einflussnah­me seitens der Kommission ist somit unterschiedlich. Sie wird geringer, wenn entsprechende Kompetenzen nicht unmittelbar in einzelnen Minis­terien angesiedelt sind.

Ad 4: Die Befassung mit der Lage einzelner Minderheiten war in dieser Legislaturperiode eng verbunden mit "Vor-Ort-Besuchen" der Kommission. Diese Möglichkeit der unmittelbaren Information wurde wesentlich intensiver genutzt als in den vorherigen Legislaturperioden (im Kontrakt-Sejm hatte die Kommission vier Reisen veranstaltet, in der vorherigen Legislaturperiode keine). Nun hielt die Kommission 18 (von insgesamt 71) Sitzungen "vor Ort" ab und besuchte dabei alle wesentli­chen Siedlungsgebiete der verschiedenen Minderheiten."5

In Bezug auf konkrete Minderheitenprobleme nahm die Kommissi­on nicht selten die Rolle eines Mediators246 für konkrete Minderheiten­probleme ein, die an sie herangetragen worden waren. Auch im außer­parlamentarischen Bereich entschied sie sich für zahlreiche schriftliche Interventionen in konkreten Minderheitenfragen. In dieser Legislaturpe­riode bezogen sich diese Interventionen häufig auf den oben skizzierten Aspekt der Berücksichtigung von Minderheitenthemen in den staatli­chen Medien und die infrastrukturelle Förderung von Schulen vor allem für die weißrussische und ukrainische Minderheit. Jacek Kuron betonte in seinem Bericht über diese Legislaturperiode, dass seitens des Kom­missions-Vorstandes fortwährend nicht dokumentierte intervenierende Initiativen, Gespräche mit Behörden usw. stattgefunden hätten.247

Jedoch zeigt allein schon ein Blick auf die Interaktion der Kommis­sion mit anderen Institutionen innerhalb der Kommissionssitzungen, dass in dieser Legislaturperiode die direkte Konsultation relevanter Behörden ein wesentliches Instrument der Minderheitenkommission war. So nahmen allein die Vertreter des Kulturministeriums an 64 von 71 Sitzungen teil, das Bildungsministerium hatte zu 58 Sitzungen Mit­arbeiter entsandt, und vom Amt des Ministerrates sowie des Außenmi-

244 Ebda. S. 9 und 66 f. 245 Ebda. S. 5 und 24-34. 246 Lodzinski in Centrum 1998, S. 49. 247 Bericht der Minderheiten-Kommission, 2. Kadenz, S. 12-15.

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nisteriums waren zu mehr als der Hälfte aller Sitzungen Vertreter anwe­send.2"

Ein ähnliches Bild zeichnet die Anwesenheit von Repräsentanten diverser Minderheitenorganisationen und -einrichtungen. So begann die Tätigkeit der Kommission zunächst mit einem Einladungszyklus gegen­über den einzelnen Minderheiten, so dass innerhalb der ersten sechzehn Sitzungen nacheinander Litauer, Ukrainer, Weißrussen, Roma, Deut­sche, Kaschuben, Tschechen und Slowaken sowie Juden zu jeweiligen thematischen Sitzungen geladen wurden. Insgesamt waren über fünfzig Minderheitenverbände wenigstens einmal zu Gast innerhalb der Kom­mission. Die in dieser Studie analysierten Minderheitenverbände zählen dabei zu den häufigsten Gästen. Der Bund der Ukrainer in Polen nahm mit 20 Besuchen am häufigsten an Kommissionssitzungen teil, mit grö­ßerem Abstand gefolgt von der Weißrussischen sozio-kulturelle Gesell­schaft und Gesellschaft der Slowaken in Polen,24' die acht Mal vertreten waren, und den beiden litauischen Verbände Verband der Litauer in Polen und Gemeinschaft der Litauer in Polen sowie der Weißrussische Bund in der Republik Polen, die jeweils sechs Mal in der Kommission zu Gast waren. Die meisten anderen Verbände hatten nur ein bis zwei Mal an Kommissionssitzungen teilgenommen. 250 Es zeigt sich somit zum einen, dass die Kommission die Strategie der direkten Adressaten­Kommunikation, die bereits während des Kontrakt-Sejms seit 1989 auf­genommen worden war, intensiv fortgesetzt hat. Zum anderen zeigt sich, dass die in dieser Studie analysierten Minderheitenverbände den intensivsten Kontakt zur Minderheitenkommission hatten.

Der umfassende kommunikative und konsultative Charakter der Tä­tigkeit der Parlamentskommission zeigt sich zudem an zwei weiteren Varianten des Austauschs: Zum einen legte die Kommission Wert auf die kontinuierliche Einbeziehung von externen Experten in ihre Bera­tungen. Sie hat zudem mit Bogumila Berdychowska (die zuvor das Minderheitenbüro im Kulturministerium geleitet hatte) eine sogenannte ständige Expertin berufen. Zum anderen zählte die Begegnung mit Par­lamentariern aus anderen Staaten nun zum Handlungs-Repertoire der Kommission. Dies waren zumeist Vertreter aus Staaten, mit denen Polen

248 Ebda. S. 59-61. 249 Die Gesellschaft wird hier zunächst noch als Tschechische und slowakische sozio­

kulturelle Gesellschaft (Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne Czech6w i Slowak6w) geführt.

250 Bericht der Minderheiten-Kommission, 2. Kadenz, S. 24 fund S. 62-64.

280

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bilaterale Verträge abgeschlossen hatte und mit denen somit gegenseiti­ge Minderheitenschutzregelungen beschlossen worden waren.2S1

Die Arbeitsweise der Minderheiten-Kommission ergibt für diese Legislaturperiode folgendes Bild:

• In institutioneller Hinsicht konnte die Kommission die Einrich­tung eines Beauftragten für Minderheitenfragen erreichen, auch wenn dieser nicht dem gewünschten Zuschnitt einer solchen In­stitution entsprach.

• Die Kommissions-Arbeit weist deutlich eine intensive kommu­nikative und konsultative Strategie auf sowohl in Bezug auf die eigentlichen Adressaten (die Minderheitenverbände) als auch auf Behörden und staatliche Institutionen.

Charakteristisch ist zudem eine ebenfalls intensive intervenierende Stra­tegie, die zum einen - der formalen Kompetenz der Kommission ent­sprechend - gegenüber exekutiven Institutionen ausgeübt wurde und zum anderen - über die formalen Kompetenzen weit hinausgehend -gegenüber weiteren Einrichtungen, Behörden, lokalen Organen usw. Anwendung gefunden hat.

Legislaturperiode 1997 bis 2001 Entsprechend den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen hatten in der Kommission dieser Legislaturperiode SLD und AWS die größten Sitzkontingente. Die einzige rechte Gruppierung, die eigenständig ins Parlament eingezogen war, die ROP, war nicht in der Kommission ver­treten. Bei den Repräsentanten der Minderheiten zeigen sich personelle Kontinuitäten. So wurde die deutsche Minderheit nach wie vor durch Henryk Kroll repräsentiert, der seit 1991 im Sejm vertreten war. Auch der ukrainische Repräsentant der UW (Miroslaw Czech) nahm bereits zum zweiten Mal an der Kommissionsarbeit teil. Aus den Reihen der SLD war neben dem bisherigen Repräsentanten der weißrussischen Minderheit, Sergiusz Plewa,252 ein zweiter weißrussischer Abgeordneter vertreten, der Vorsitzende der Weißrussischen sozio-kulturellen Gesell­schaft, Jan Syszewski. Damit verfügte erstmals neben dem Bund der Ukrainer in Polen, in dem Czech mitarbeitete, auch ein weiterer Ver­band aus dem Kreis der in dieser Arbeit analysierten Interessenorganisa-

251 Ebda. S. 45-58. 252 Die Schreibweise des Vornamens dieses Abgeordneten variiert in verschiedenen

Sejm-Dokumenten. In den Stenographischen Berichten findet sich der Vorname des Abgeordneten Plewa nicht in dieser polnischen Form (Sergiusz), sondern in der russischen Variante (Sergiej).

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tionen über einen direkten Repräsentanten im Sejm und in der Minder­heitenkommission. 253 Auch an der Spitze der Kommission blieb eine deutliche Kontinuität erhalten, da Jacek Kuron erneut zum Vorsitzenden gewählt wurde. 2S4

Die für die vorherige Legislaturperiode erkennbar gewordene Unter­teilung in vier unterschiedliche Arbeitsbereiche der Kommission kann auch für diese Legislaturperiode als zutreffend angesehen werden. So zeigt sich zum einen nach wie vor eine intensive Arbeit der Kommission im Rechtsschutzbereich, zum zweiten hat die Kommission nach wie vor ihre institutionellen Überlegungen zur Zentralisierung der Minderhei­tenpolitik (primär zur Schaffung eines Minderheitenbeauftragten) wei­terverfolgt. Drittens blieb die Befassung der Kommission mit den zent­ralen Feldern des Minderheitenschutzes, vor allem mit der Kulturförde­rung, dem Schulwesen und den Medien von Bedeutung. Viertens blieb nach wie vor die Befassung mit Einzelproblemen diverser Minderheiten ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit der Kommission.

Ad 1,' Nachdem die neue Verfassung Polens 1997 in Kraft getreten war, blieb für die Kommission die Arbeit an einem Minderheitengesetz als zentrales Thema bestehen. Zu Beginn der Legislaturperiode ent­schied sie einmütig, dass sie die Weiterarbeit an diesem Gesetz verfol­gen wolle. 215 Aufbauend auf der intensiven Arbeit ihrer Unterkommissi­on in der vorherigen Legislaturperiode befasste sich die Kommission in dieser Kadenz selbst in acht Sitzungen intensiv mit dem Gesetz, ehe es im Herbst 1998 beim Sejm-Marschall eingereicht wurde. 256 Das Gesetz nahm somit innerhalb des ersten Jahres dieser Legislaturperiode großen Raum in der Kommissionsarbeit ein. Die Kommission konsultierte vor allem das Bildungs- und Kulturministerium zu dieser Gesetzesvorlage, nahm jedoch wesentliche Hinweise beider Behörden nicht in den Ent­wurf auf, zumal das Kulturministerium sich gänzlich gegen die Idee eines Amtes für Minderheitenfragen aussprach.257 Nachdem das Gesetz erstmalig im Sejm behandelt worden war, wurde es an mehrere Kom­missionen zurücküberwiesen, so dass sich eine gemeinsame Unterkom­mission aus den Kommissionen für Minderheiten, Kultur, Bildung und

253 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 15. 254 Siehe die Sitzung der Kommission in dieser Legislaturperiode vom 19.11.1997,

Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 3. Kadenz. 255 Sitzung vom 7.1.1998, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 5,

3. Kadenz. 256 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 5. 257 Sitzung vom 28.9.1998, Bulletin d. Sejm-Kommission ftir Minderheiten, Nr. 20,

3. Kadenz.

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Verwaltung gebildet hatte, die sich jedoch bis zum Ende der Legislatur­periode nicht auf einen weiterentwickelten Entwurf einigen konnte, da die Debatten der Unterkommission erneut von prinzipiellen Vorbehalten gegen verschiedene im Gesetz vorgesehene Minderheitenschutzinstru­mente geprägt waren.2S8

Auch innerhalb des Gesetzgebungsprozesses des Gesetzes über die polnische Sprache war die Minderheiten-Kommission in einer Unter­kommission mit mehreren Parlamentsausschüssen aktiv. Dass dieses Gesetz - das keinerlei minderheitenspezifische Regelungen vorsieht -zumindest den Passus enthält, das Minderheitenfragen nicht durch diese gesetzlichen Bestimmungen berührt werden, beschreibt die Kommission selbst als Erfolg ihrer Bemühungen.2S9 Nachweislich weniger erfolgreich war die Kommission bei ihrer Beteiligung an einem weiteren Gesetzge­bungsverfahren: dem Ratifizierungsprozess zur Europarats-Rahmen­konvention zum Minderheitenschutz. Dabei scheiterte sie - worauf im Rechtssystem-Kapitel bereits genauer eingegangen wurde - mit ihrem ambitionierten Bemühen, diese Ratifizierung an eine Verfassungsände­rung zu knüpfen.:zro

Ad 2: Die Anstrengungen der Kommission um eine institutionelle Neugestaltung zentralstaatlicher Minderheitenpolitik mündeten in ins­gesamt zwei "Desideraten" der Kommission. Zum einen forderte sie erneut die Einrichtung eines Beauftragten für Minderheitenfragen, zum anderen die Schaffung eines die Minderheitenpolitik koordinierenden Zentrums innerhalb der Regierungsadministration. Auf die erste Forde­rung erhielt die Kommission keine Reaktion, die zweite Forderung führ­te hingegen zu institutionellen Neu- bzw. Wiedergründungen und war insofern erfolgreich. So wurde Anfang des Jahres 2000 zum einen die interministerielle Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen, die es formal bereits seit 1997 gegeben hatte, wiederbelebt, zum anderen wurde in­nerhalb der Struktur des Verwaltungs- und Innenministeriums eine neue Abteilung für Minderheitenangelegenheiten geschaffen. 261 Die institutio­nelle Konfiguration und vor allem die Effektivität dieser Institutionen werden in einem der weiteren Abschnitte analysiert. Zwar entsprach diese institutionelle Zuordnung zum Innenministerium nicht der Forde­rung der Kommission, Minderheitenpolitik aus den einzelnen Ministe­rien herauszulösen, dennoch hat die Kommission Einfluss auf die Re­gierungsorganisation genommen.

258 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 6. 259 Ebda. S. 6. 260 Siehe dazu den obigen Abschnitt zur Ratifizierung der Rahmenkonvention. 261 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 7.

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Ad 3: Bei den Aktivitäten der Minderheiten-Kommission in dieser Le­gislaturperiode nimmt der Aspekt der Kulturförderung erneut breiten Raum ein. Das Dauerthema der Höhe des Minderheiten-Etats und der Kriterien der Mittelvergabe262 führte gegen Ende der Legislaturperiode zu entsprechenden "Desideraten". Zum einen wurde gegenüber dem Finanzminister die termingerechte Mittelfreigabe für die Minderheiten­subventionen zu Anfang eines Haushaltsjahres mit der Begründung gefordert, dass vor allem die Minderheitenzeitschriften bei einer mehr­monatigen Verzögerung der Mittel aus dem Kulturministerium in ihrer Existenz bedroht seien. Zum anderen wurde gegenüber dem Kulturmi­nisterium ein finanzieller Ausgleich für eine seit Beginn des Jahres 2001 geltende 22-prozentige Steuer für Druckerzeugnisse gefordert, die dazu führte, dass einige Minderheitenzeitschriften ihre Produktionskosten nur noch schwer decken konnten.263

Im Bereich des Minderheitenschulwesens blieb zwar auch der As­pekt der Schulbuch- und Curricula-Erstellung für den Minderheiten­schulunterricht wesentlich, jedoch waren die Debatten dieser Legisla­turperiode vor allem geprägt von den Folgen einer 1999 begonnenen Bildungsreform (worauf im Abschnitt über das Bildungsministerium genauer eingegangen wird). Die Folgen der Bildungsreform bestanden vor allem in der Dezentralisierung von Kompetenzen auf Gemeinde­und Kreisebene und einer entsprechenden Abhängigkeit der Minderhei­tenschulen von den zumeist knappen Etats der Gemeinden und Kreise. Gerade auf den "outdoor"-Sitzungen der Kommission in den verschie­denen Siedlungs gebieten der Minderheiten war der Kommission deut­lich geworden, dass die Dezentralisierung auch bestimmte Gefahren für den Erhalt der Minderheitenschulen mit sich gebracht hat. 264 Anders als in der vorherigen Kadenz, in der die Kommission sich gegenüber dem Bildungsministerium umfassend der Strategie der "Desiderate" bedient hatte, hat sie jedoch in dieser Legislaturperiode nicht zu diesem Instru­ment gegriffen. Welche Bedeutung das Minderheitenschulwesen einge­nommen hat, wird auch daran deutlich, dass einzelne Kommissionsmit­glieder zusätzlich zu den "outdoor"-Sitzungen die Möglichkeit von

262 Allein zehn der 81 Sitzungen waren explizit diesem Thema gewidmet; Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 20-28. Jedoch wurde auch in zahlreichen anderen Sitzungen über die Subventionen diskutiert; siehe Bulletins d. Sejm­Kommission für Minderheiten, 3. Kadenz. Die Haushaltsdiskussionen sind genauer im Abschnitt zum Kulturministerium dokumentiert.

263 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 7. Siehe zudem die Sitzung vom 27.3.2001 in der ein entsprechendes "Desiderat" verabschiedet wurde, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 74, 3. Kadenz.

264 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, 8-11 und S. 20-28.

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Besuchen außerhalb der Sitzungstermine wahrgenommen haben. Nahezu alle 18 Besuche dieser Art hatten Minderheitenschulen zum Ziel und die Subventions-Problematik zum Thema.26S

Die Diskussion um die Repräsentation der Minderheiten in den Me­dien richtete sich in dieser Legislaturperiode weniger auf die Problema­tik des Zugangs zu den staatlichen Medien als vielmehr auf die Lage der von den Minderheiten selbst herausgegebenen Zeitschriften. So wurden zweimal die Chefredakteure verschiedener Minderheitenzeitschriften in die Kommissionssitzungen gebeten, um über die Lage ihrer Zeitschrif­ten zu berichten.266

Ad 4: Unter den einzelnen Minderheiten-Problemen, mit denen sich die Kommission befasst hat, dominierte das bereits erwähnte Konflikt­feid der Subventionen für Minderheitenschulen. In einem konkreten Fall formulierte die Kommission deswegen eine sogenannte "interne Stel­lungnahme" an die Parlamentskommission für Bildung, um den Finanz­bedarf für Baurnaßnahmen an drei ukrainischen Schulen im Haushalt des Jahres 1998 sicherzustellen. 267 Weitere einzelne Aspekte, mit denen sich die Kommission in dieser Legislaturperiode beschäftigte, betrafen die Folgen der Regionalreform von 1999 und damit die Lage der Min­derheiten in einzelnen Gemeinden, Kreisen und Wojewodschaften. Auf­fallend ist dabei jedoch, dass die Regionalreform lediglich unter dem Gesichtspunkt der Folgen für die Bildungs- und Kulturförderung disku­tiert wurde, jedoch nicht nach den Implikationen für die politische Par­tizipation der Minderheiten in den neuen Selbstverwaltungsstrukturen gefragt worden ist.26"

Zu den markantesten Konflikten zählte die Auseinandersetzung um die Einrichtung eines Grenzpostens auf dem Gebiet der mehrheitlich litauisch besiedelten Gemeinde Punsk an der in unmittelbarer Nähe verlaufenden Grenze zu Litauen. So wehrten sich die Vertreter der litau­ischen Minderheit gegen die Einrichtung einer Grenzstation in ihrer Gemeinde mit der Begründung, die dauerhafte Stationierung von etwa 60 "polnischen" Grenzbeamten mit ihren Familien würde in dieser länd­lichen und zu 80 Prozent litauischen Gemeinde die Bevölkerungsstruk-

265 Ebda., Liste der Visitationen, S. 29 f. 266 Sitzung vom 31.3.1998 (Nr. 13) und Sitzung vom 27.2.2001 (Nr. 73), Bulletins d.

Sejm-Kommission flir Minderheiten, 3. Kadenz. Die Repräsentanz der Minderheiten in den staatlichen Medien wurden in einer weiteren Sitzung debattiert, Sitzung vom 14.12.1999 (Nr. 56), ebda.

267 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 32. 268 Sitzung zum Thema vom 27.3.2001, Bulletin d. Sejm-Kommission flir Minderhei­

ten, Nr. 74, 3. Kadenz.

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tur dieser "litauischen Enklave" nachhaltig verändern. Zudem hatte der Stadtrat von PUIisk 1995 eine Protest-Resolution gegen die Grenzstation verabschiedet, so dass diese Diskussion die Minderheiten-Kommission bereits seit einigen Jahren begleitet hat. 2f" In dieser Legislaturperiode hatte sich zudem der Ombudsmann für Menschenrechte in dieser Ange­legenheit an die Kommission gewandt,270 Trotz der intensiven Beschäfti­gung der Kommission mit diesem Thema hat sie sich jedoch nicht zu einer deutlichen Intervention entschlossen.

Die Intensität des Austauschs und der Interaktion der Sejm­Kommission mit zahlreichen anderen Institutionen war auch in dieser Legislaturperiode von ähnlicher Intensität wie in der vorherigen Ka­denz. Vor allem Vertreter des Kulturministeriums und des Bildungsmi­nisteriums nahmen an den meisten Sitzungen teil. Die Kommunikation mit den Repräsentanten des Kulturministeriums hatte sich jedoch von einem in den ersten Legislaturperioden verstärkt konsultativen hin zu einem kritisch-kontrollierenden Umgang gewandelt. 271

Im Kontakt mit den Adressaten der Kommission, den Minderheiten selbst, bildete nach wie vor die Reisetätigkeit der Kommission ein we­sentliches Instrument. Die Reisen waren in dieser Legislaturperiode mit 16 outdoor-Sitzungen (von insgesamt 81 Sitzungen) ähnlich umfang­reich wie in der vorherigen Sejm-Kadenz. Erneut hatte die Kommission dabei die wesentlichen Siedlungsgebiete der "größeren" Minderheiten bereist. 272 Da ein großer Teil der Kommissions-Sitzungen in dieser Le­gislaturperiode jedoch von den Debatten um die oben beschriebenen Gesetzgebungsprozesse in Anspruch genommen wurde, waren die Min­derheitenverbände und -vertreter insgesamt seltener zu Gast auf den Kommissi onssitzungen. 273

Die Tätigkeit der Kommission in dieser Legislaturperiode lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

269 Siehe zur Position der litauischen Minderheit beispielsweise das Interview mit dem litauischen Vize-Landrat von Sejny Wittkowski, Juli 2000 Puitsk. Zudem Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 3.1.1995, Nr. 17,2. Kadenz, sowie Sitzung vor Ort vom 26.5.1999, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten Nr. 41, 3. Kadenz.

270 Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 38. 271 Siehe Bulletins d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 3. Kadenz. 272 Die Kommission besuchte die weißrussische und litauische Minderheit in der Wo­

jewodschaft Podlachien in zwei getrennten Reisen sowie in mehreren Reisen die uk­rainische und lemkische Minderheit in Nordwest-, Nord- und Südostpolen; Bericht der Minderheiten-Kommission, 3. Kadenz, S. 4 fund S. 19.

273 Siehe Bulletins d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 3. Kadenz.

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• Im Rechtsschutzbereich blieben die Erfolge der Kommission eher gering. Erneut gelang es nicht, das Minderheitengesetz zu etablie­ren. Auch beim Sprachengesetz und der Ratifizierung der Rahmen­konvention konnte der Ausschuss seine institutionellen Überlegun­gen nicht durchzusetzen.

• Im Bereich der institutionellen Strukturierung der Minderheitenpo­litik ist es der Kommission jedoch erneut gelungen, Einfluss auf die Regierungsorganisation zu nehmen und somit weit über ihre forma­len Kompetenzen hinaus erfolgreich zu agieren.

• Nach wie vor blieb die Kommission Vermittlerin in zahlreichen einzelnen Minderheitenkonflikten. Die geringere Anzahl von "Desi­deraten" und Stellungnahmen lässt dabei nicht auf eine geringere Intensität dieses charakteristischen Merkmals der Minderheiten­Kommission schließen.

Gesamtbewe rtung

Interaktion mit Adressaten und Institutionen Charakteristisch für die Tätigkeit der Minderheitenkommission ist ihre kontinuierliche Kooperation mit anderen minderheitenrelevanten Insti­tutionen sowie mit den Minderheiten selbst. Diese Kooperationsvarian­ten lassen sich somit in Institutionen- und Adressatenkooperation unter­teilen. Im Bereich der Institutionenkooperation stehen vor allem die Institutionen des Kultur- und des Bildungsministeriums im Vordergrund. Die Art und Weise der Beziehung zwischen Kommission und den Minis­terien changiert dabei zwischen einem eher kooperativ-konsultativen Umgang und einer "klassischen" parlamentarischen Kontrollfunktion.

Beim Austausch mit den Minderheitenvertretern ist deutlich gewor­den, dass ein direkter intensiver Austausch mit den Minderheitenvertre­tern ein wesentliches Merkmal der Kommissionstätigkeit darstellte. Dabei bildeten primär die Minderheitenverbände das "kommunikative Gegenstück" zum Institutionenhandeln der Minderheitenkommission. Durch ihre intensive Reisetätigkeit hat die Kommission zudem vielfach ihr eigenes "Terrain" verlassen und in den Begegnungen mit den Adres­saten nicht nur die Rolle des Warschauer Gastgebers, sondern auch des Gastes eingenommen, wodurch einer hierarchischen Kommunikationssi­tuation prinzipiell vorgebeugt werden konnte. Zudem stellte die Kom­mission den zentralen Ort des Austauschs zwischen Minderheitenvertre­tern und den exekutiven Behörden dar, sie hatte demnach die Funktion einer "kommunikativen Achse".

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Akteurskonstellation In ihrer Akteurskonstellation weist die Kommission in einer Hinsicht ein typisches Transformationsphänomen auf: Ihre Tätigkeit und vor allem ihre äußere Wahrnehmung ist deutlich mit einem individuellen Akteur verbunden, mit dem mehrmaligen Vorsitzenden Jacek Kuron. Dass seine Führungsrolle vor allem seit 1993 unbestritten war, zeigte sich u.a. daran, dass er zwei Mal ohne Gegenkandidaten und mit denk­bar einmütigem Ergebnis zum Vorsitzenden gewählt wurde. Dies geht zudem mit dem hohen Ansehen einher, dass Kuron in Polen genießt (zudem gilt er auch im Ausland als eine bekannte Figur, zuweilen sogar als "einer der herausragenden Akteure der polnischen Transformati­on").274

Dies geht einher mit dem umfassenden Lob für die Tätigkeit und die Rolle Jacek Kurons seitens einer großen Mehrheit der für diese Studie interviewten Minderheitenvertreter. So wird die positiv bewertete Arbeit der Kommission häufig auf die Person Kurons zurückgeführt.Z7S Ein früherer Vorsitzender der Gemeinschaft der Litauer in Polen brachte diese Einstellung vielleicht am anschaulichsten mit der Feststellung auf den Punkt: "Wir glauben an den guten Willen des Vorsitzenden Jacek Kuron, das ist ein richtiger Demokratie-Mensch."276

Subjektive Legitimität Abgesehen vom Ansehen Jacek Kurons zeigt sich innerhalb der Minder­heiten eine ambivalente Haltung gegenüber der Minderheiten­Kommission. Zwar wird die Leistung der Kommission nicht durchgän­gig, jedoch mehrheitlich positiv bewertet.277 Ihre faktische Gestaltungs­macht wird vor allem im Zusammenhang mit der bislang gescheiterten Verabschiedung des Minderheitengesetzes als begrenzt angesehen. 278 Kritisch gegenüber der Arbeit der Kommission zeigten sich zudem vor allem weißrussische Repräsentanten aus dem Verbändespektrum des

274 Sandschneider, Eberhard: Einleitung, in: Merkei, Wolfgang; Sandschneider Eber­hard: Systemwechsel 4, Die Rolle von Verbänden im Transformationsprozeß, Opla­den 1999, S. 9-21, hier S. 9.

275 Siehe die Interviews mit Kertyszak, Ci~gwa, Gasperowicz, Laskiewicz, Syszewski., Hryckowian.

276 Interview mit Jozef Sygit Foroncewicz, März 1999 Punsk. 277 Interviews mit Kertyszak, Tyma, Syszewski (der zum Zeitpunkt des Interviews

jedoch selbst seit eineinhalb Jahren Mitglied der Kommission war), Laskiewicz, Foroncewicz, Jan Czykwin, Maksimowicz, Hryckowian, Chmielewski.

278 Interview mit Gasperowicz und Ci~gwa.

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Weißrussischen Bundes in der Republik Polen sowie Vertreter von Ju­gendverbänden.279

Interessant ist auch ein Blick auf das Selbstbild der Kommissionsmit­glieder. So sieht Miroslaw Czech, der 1993 bis 2001 als ukrainischer Repräsentant für die UW in der Kommission war, die Bedeutung der Minderheiten-Kommission "fast wie die einer Feuerwehr, die ständig hin und her gefahren ist und Konflikte gelöst hat".280 Jacek Kuron sieht die Kommission als wichtigstes staatliches Organ im Bereich der Min­derheitenpolitik überhaupt, sähe diese Rolle jedoch gleichzeitig lieber in den Händen eines Beauftragten für Minderheitenfragen.281 Mit der Wie­derbelebung der Institution der interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen zu Beginn des Jahres 2000 entstand in der Tat eine neue Institution, die langsam begonnen hat, ähnliche Funktionen wie die Minderheitenkommission wahrzunehmen (siehe den entsprechenden Abschnitt zu dieser Institution). Selbst innerhalb der Kommission wurde schnell deutlich, dass die eine (Transformations-)Dekade währende zentrale institutionelle Bedeutung der Kommission durch die Reaktivie­rung der interministeriellen Gruppe für Minderheitenfragen geschwächt wird. 282

Effektivität Die Tätigkeit der Parlamentskommission umfasste insgesamt vier Berei­che: Zum einen die Beschäftigung mit Rechtsschutzfragen, zum zweiten die Befassung mit und die Kontrolle von exekutiver Minderheitenpoli­tik, zum dritten die Bemühungen um koordinierte institutionelle Lösun­gen in der Minderheitenpolitik und zum vierten die mediatorische Be­fassung mit konkreten Problemen einzelner Minderheiten mit staatli­chen Behörden. Allen vier Bereichen kommt jeweils die gleiche Bedeu­tung zu, jedoch reichen vor allem die letzten beiden Aspekte weit über die formalen Kompetenzen der Kommission im Bereich des Rechts­schutzes und der Kulturwahrung hinaus. Die tatsächliche Problemlö­sungskapazität der mediatorischen Tätigkeit kann zwar nicht bemessen werden, jedoch bleibt aus institutioneller Perspektive dennoch bemer­kenswert, dass die Kommission quasi die Rolle einer landes weiten Ver-

279 Interview mit Latyszonek und Wappa. aus dem Jugendverbandsbereich mit Paw­liszcze und Lakaszuk aus der ukrainischen, litauischen und weißrussischen Minder­heit.

280 Interview mit Miroslaw Czech, Juli 2000 Gyzicko. 281 Interview mit Jacek Kuron, März 1999 Warschau. 282 Position des stellv. Vorsitzenden Wojciech Hausner, siehe BulJetin d. Sejm­

Kommission für Minderheiten Nr. 66, Sitzung vom 27.9.2000, 3. Kadenz.

289

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mittlerin für Minderheitenkonflikte eingenommen hat (vor allem seit der zweiten Kadenz ab 1993) und sie somit abseits ihrer tatsächlichen insti­tutionellen Aufgabe als eine Art "Über-Instanz" für Minderheitenfragen in Polen agierte. Indem sie sich somit zahlreiche Forderungen der ver­schiedenen Minderheiten zu Eigen gemacht hat, erfüllte die Kommissi­on in der Praxis Lobbying-Funktionen für die Minderheiten Polens. Dies mag sich auch durch die stetige Mitarbeit der parlamentarischen Min­derheitenrepräsentanten in der Kommission erklären lassen, wodurch eine Verschränkung parlamentarischer Interessen mit Minderheiteninte­ressen gegeben war.

Die rechtsschutz- und institutionen bezogenen Bemühungen der Kommission waren von unterschiedlicher Effektivität. So war die Kommission in ihren Bemühungen um eine adäquate rechtliche Grund­lage des Minderheitenschutzes insgesamt nicht überaus erfolgreich. Ihre institutionellen Bemühungen zeigten hingegen in einer späteren Phase der polnischen Konsolidierung gewisse Erfolge. Zwar war die Einrich­tung eines Minderheitenbeauftragten nur von kurzer Dauer, jedoch konnte die Kommission zur Wiederbelebung einer interministeriellen Institution für Minderheitenfragen beitragen.

Das Vorgehen der Kommission in diesem rechtlichen und institutio­nenbezogenen Bereich zeigt sich jedoch insgesamt ausgesprochen regie­rungs- und zentralstaatsfixiert. Deutlich hat sich dies im Entwurf des Minderheitengesetzes niedergeschlagen, in dem Überlegungen zu einer stärkeren politischen Repräsentation von Minderheiten gänzlich fehlen und die institutionellen Pläne auf eine neue zentrale Behörde zielen, in der eine dauerhafte Konsultation der Minderheiten nicht vorgesehen ist. Auch die starke Fokussierung auf eine Bündelung zentralstaatlicher Minderheitenpolitik durch die jahrelange Forderung nach einem Beauf­tragten für Minderheitenfragen zeigt dieselbe Denkrichtung. So offen­bart sich im kreativen Ideenspektrum der Kommission eine überhöhte Erwartung an Lösungen auf der horizontalen Regierungsebene, jedoch eine Vernachlässigung der vertikalen Dimension, also von Fragen der partizipativen Einbindung der Minderheiten in die staatlichen Struktu­ren. Zwar zeugen die Kommissions-Ideen durch die Überbetonung der Rolle des Zentralstaates von einem primär output-orientierten Staats­verständnis, das als Bestandteil der Politischen Kultur in postsozialisti­schen Staaten - und ebenso in Polen - vielfach evident ist.

Weitere Erkenntnisse zum Forschungsgegenstand Minderheiten­Kommission erlaubt die Bezugnahme auf Attila Aghs These der over­parliamentarization von Transformationsparlamenten. Agh geht davon aus, dass für viele dieser Parlamente durch das Fehlen intermediärer

290

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Instanzen eine Funktionsüberlastung existiert, die er als overparliamen­tarization bezeichnet. Für die Minderheiten-Kommission als einem parlamentarischen Ausschuss lässt sich jedoch feststellen, dass eine intensive vertikale Interaktion stattfindet und an organisierten Interes­sen im Minderheitenbereich insgesamt kein Mangel zu bestehen scheint. Die Übernahme von Funktionen anderer Instanzen zeigt sich für die Minderheitenkommission vielmehr in horizontaler Perspektive, indem die Kommission die Minderheitenpolitik exekutiver Institutionen über das Maß ihrer formalen Kompetenzen hinaus koordiniert und mitgestal­tet. Eine Funktionsüberlastung im Sinne einer Überforderung lässt sich allerdings nicht erkennen, vielmehr zeigt sich eher eine - weit über die formalen Kompetenzen hinausreichende - Funktionspotenzierung. So scheint sich die Parlamentskommission für nationale und ethnische Minderheiten im Verlauf der vergangenen Dekade erfolgreich in ihre zentrale Rolle in der Minderheitenpolitik eingefunden zu haben - ohne diese selbst aus institutioneller Perspektive gut zu heißen.

3. Minderheiten und die Exekutive

"Minderheitenprofile " der Ministerpräsidenten Die nur langsame Konsolidierung des polnischen politischen Systems, die sich u.a. an der vergleichsweise späten Verabschiedung einer neuen Verfassung sowie einem bis heute stark in Bewegung befindlichen Par­teiensystem zeigte, führte zu unsicheren Regierungskoalitionen und demzufolge zu einer hohen Zahl an vorzeitigen Regierungswechseln. So gab es zwischen 1989 und 1997 allein neun Ministerpräsidenten. Zwar hielt sich der letzte Ministerpräsident Jerzy Buzek eine gesamte Legis­laturperiode im Amt, jedoch ist auch seine Regierungskoalition mit dem Austritt der Freiheitsunion (UW) im Jahr 2000 zerbrochen, so dass diese Amtszeit lediglich mit einer Minderheitsregierung zu Ende geführt wur­de.

Ministerpräsidenten seit 1989283

Tadeusz Mazowiecki (UD) Jan Krzysztof Bielecki (KLD) Jan Olszewski (PC) Waldemar Pawlak (PSL)

283 Tabelle aus: Bingen, Polen 1998, S. 68.

8/1989 -1/1991 -

12/1991 -6/1992 -

1/1991 12/1991

6/1992 7/1992

291

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Hanna Suchocka (UD) Waldemar Pawlak (PSL) J6zef Oleksy (SLD) Wlodzimierz Cimoszewicz (SLD) Jerzy Buzek (A WS)

Abbildung Nr. 3

7/1992 -10/1993 -

3/1995 -2/1996 -

10/1997 -

10/1993 3/1995 2/1996

10/1997 1012001

Diese zahlreichen Regierungswechsel bedeuten - wie für andere Politik­felder auch - die Gefahr geringer Kontinuität in der Minderheitenpoli­tik. Inwieweit sich derartige Prozesse erkennen lassen, wird vor allem anhand der anschließenden Analyse des minderheitenbezogenen institu­tionellen Handeins einzelner Ministerien deutlich, denen das primäre Interesse der Analyse exekutiver Institutionen gilt. Doch zunächst soll eine kurze Skizze des minderheitenbezogenen Profils einiger Minister­präsidenten und Ministerräte vorgenommen werden.

Von besonderer Bedeutung ist dabei in vielfacher Hinsicht die erste demokratische Regierung unter Tadeusz Mazowiecki. Ihm werden vor allem drei Aspekte zugute gehalten: Zum einen, dass er bereits in seiner Regierungserklärung vor dem Sejm im September 1989 als erster polni­scher Staatschef nach dem Zweiten Weltkrieg die Frage der Minderhei­ten überhaupt thematisiert hat,284 Sein damaliger Ausspruch, der vielfach zitiert worden war, markiert aus der Ex-Post-Perspektive den Auftakt zu einem Wandel der Minderheitenpolitik. Und nur vor dem Hintergrund einer jahrzehntelang diskriminierenden und negierenden Minderheiten­politik ist die Bedeutung von Mazowieckis Aussage entsprechend ver­ständlich. Sein Postulat lautete, dass Polen eine Heimat für die Minder­heiten sein müsse. 285

Zum Zweiten hatte die Übertragung der Zuständigkeit für die Min­derheiten vom Innenministerium auf das Kulturministerium 1989 große Bedeutung als Symbol für das Ende staatlicher Überwachung und Re­pression der Minderheiten. Mazowiecki hatte innerhalb des Kulturmi­nisteriums zunächst eine sogenannte Gruppe für Minderheitenangele­genheiten etabliert, später wurde daraus das Büro für Minderheitenfra­gen. 286 Drittens schuf Mazowiecki 1990 ein die Minderheitenpolitik des

284 Siehe dazu Lodziilski in Centrum 1998, S. 13. 285 Aussage von Berdychowska in einem Interview, abgedruckt in: Franaszek, Andrzej:

Raport w sprawie mniejszosci, in: Tygodnik Powszechny Nr. 1 1995, S. 3, hier nach Osteuropa-Archiv in Osteuropa (1996), 46. Jg. Heft 9, S. A 467-A 471, hier S. 468.

286 Janusz, Gregosz: Status prawny mniejszosci narodowych w Polsce wsp6lczesnej, in:

292

Instytut Europy Srodkowo-Wschodniej: Samoidentyfikacja mniejszosci narodowych i religijnych w Europie Srodkowo-Wschodniej, Lublin 1998, S. 26-49, hier S. 42.

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Ministerrates koordinierendes Gremium, die Kommission beim Kultur­ministerium.287 Diese war indes nur wenig erfolgreich und agierte nur kurze Zeit.

Einhergehend mit diesen institutionellen Neuerungen, die während des Systemwechsels unter der Regierung Mazowiecki realisiert wurden, ist auch eine entsprechend positive subjektive Adressatenlegitimität erkennbar. Auf die Frage gegenüber Minderheitenvertretern in den Jah­ren 1999 und 2000, welche der bisherigen neun Regierungen die beste Minderheitenpolitik zu verantworten habe, wurde in einem Fünftel aller Interviews und Hintergrundgespräche die Regierung Mazowiecki ge­nannt. Im größten Teil der Antworten wurde jedoch keiner der neun Regierungen eine besonders positive Minderheitenpolitik unterstellt. Nur in einem Fall wurde die SLD-PSL-Koalition genannt (allerdings von einem SLD-Politiker), in einem weiteren gleichermaßen die Regie­rungen Mazowiecki und Cimoszewicz. 288

Verwiesen werden muss noch auf Hanna Suchocka aus dem libera­len Post-Solidarnosc-Spektrum. Die Amtszeit ihrer Regierung dauerte von Juli 1992 bis Oktober 1993. Zwar galt Suchocka auch international als anerkannte Juristin und Expertin für Menschenrechte289 und war zu­dem innerhalb des Kontrakt-Sejms Mitglied der Minderheiten­Kommission, ihre Regierungskoalition, die eine Minderheitenregierung darstellte, war jedoch zu heterogen und ihre Amtszeit zu kurz, als dass wesentliche Minderheitenschutzinstrumente in ihrer Amtszeit hätten implementiert werden können. 290

Die nächste Etappe einer markanten minderheitenpolitischen Entwick­lung bildete die zweite Regierungszeit von Waldemar Pawlak (10/93 bis 3/95). Die Budgetvorhaben seiner Regierung für das Jahr 1995 und das minderheitenbezogene Vorgehen seines Kulturministers führten zum negativen Einschnitt der minderheitenpolitischen Entwicklung in der ersten Dekade der polnischen Demokratie durch den Rücktritt der Leite­rin des Minderheitenbüros im Kulturministerium.

287 Beschluss des Ministerrates Nr.14l vom 7.9.90: Einrichtung einer Kommission für Nationale Minderheiten als staatliches Beratungsorgan zur Ausarbeitung eines Re­gierungsprogramms für Minderheiten; Kallas, Marian: Parlamentarische Arbeiten am Status der nationalen und ethnischen Minderheiten in Polen, in: üsteuropa Recht, 3/1995, 41. Jg., S.174-l92 (im Folgenden zitiert Kallas 1995, S. l77f.

288 Auswertung der Interviews und Hintergrundgespräche dieser Studie. 289 Czykwin 1997, S. 33. 290 Wie im obigen Abschnitt zur Minderheiten-Kommission erläutert wurde, hatte auch

ihre Regierung beispielsweise die Einführung eines Beauftragten für Minderheiten­fragen abgelehnt.

293

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Noch während der Regierungszeit dieser postkommunistischen Koaliti­on trat mit Wlodzimierz Cimoszewicz ein in Minderheitenfragen ausge­sprochen interessierter Ministerpräsident auf. Er hat nicht nur eine in­terministerielle Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen geschaffen, son­dern während seiner kurzen Amtszeit (2/1996 bis 10/1997) die Instituti­on eines zentralen Beauftragten für Minderheitenfragen ins Leben geru­fen. Beide Einrichtungen entstanden jedoch nur wenige Monate vor dem Ende der Legislaturperiode (und dem Wechsel der Regierung) und blie­ben faktisch kaum mehr als kurzzeitige institutionelle Experimente. Im Fall dieses Ministerpräsidenten scheint sein Regierungshandeln auch durch seine persönliche Biographie beeinflusst gewesen zu sein. Cimo­szewicz stammt aus Ostpolen und ist vor allem mit einigen Gruppen aus der weißrussischen Minderheit eng verbunden. 291

In der folgenden Legislaturperiode zeigten sich institutionelle Neue­rungen erst wieder in der zweiten Hälfte der Amtszeit der Regierung Buzek. So reagierte der Ministerrat auf eine Forderung der Parlaments­kommission zur Wiederbelebung der seit 1997 inaktiven interministe­riellen Gruppe und belebte diese Anfang des Jahres 2000 neu. Seitdem entfaltet diese Gruppe umfassendere Aktivitäten. Dennoch zeigt sich, dass die nachhaltigsten institutionellen minderheitenbezogenen Ent­scheidungen der Ministerräte vor allem in der unmittelbaren Frühphase des Systemwechsels gefallen sind. Die folgenden Ministerräte lieferten nur geringe institutionelle Impulse.

Die Institution des Präsidenten findet in dieser Studie keine Berück­sichtigung, weil weder Walesa noch Kwasniewksi als minderheitenrele­vante Akteure in Erscheinung getreten sind. Sie finden dementsprechend auch in diversen Skizzen zur Minderheitenpolitik und staatlichen Insti­tutionen, die sich mit Minderheiten beschäftigen, keine Erwähnung.292

3.1 Der Finanzier - das Department für die Kultur nationa­ler Minderheiten im Kulturministerium

Bei der Analyse minderheitenrelevanter Aspekte im Kulturministerium wird ein Schwerpunkt auf die Entwicklung der entsprechenden Abtei­lung gelegt. Die Politik der Führungsspitze soll jedoch immer dann mit

291 Interview mit Cimoszewicz Dezember 2000, Warschau. 292 Beispielsweise nicht in der Aufzählung von Lodziilski, in Centrum S. 50-55, zudem

nicht in der Skizze zur polnischen Minderheitenpolitik von Sakson; Sakson in Welt­trends 2000, S. 66-70.

294

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in den Blick genommen werden, wenn sie für die Minderheitenpolitik von Bedeutung war.

Institution building Unmittelbar nach dem Systemwechsel kam es zu einem Wechsel der formalen Zuständigkeit für Minderheitenangelegenheiten innerhalb des polnischen administrativen Systems. Bis dahin lag die Verantwortlich­keit für Minderheitenfragen innerhalb des Innenministeriums der Volks­republik. 1989 wechselte die administrative Zuständigkeit in das Kul­turministerium.293 Diesem Ressort-Wechsel wird auch seitens der Min­derheiten immer wieder große Bedeutung zugemessen.294 Er bedeutete das Ende der Zugehörigkeit zu einer Institution, die ihre Zuständigkeit für die Finanzierung und Aufsicht der Minderheitenverbände gleicher­maßen zur Kontrolle der Minderheiten und zu einer starken Begrenzung ihrer Aktivitäten genutzt hatte. 295 Somit wurden die Minderheiten im Zuge des Systemwechsels von einer "inneren Angelegenheit" des In­nenministeriums (was beispielsweise in den 60er Jahren im Zuge der Idee der homogenen Nation Polens296 auch im Sinne einer "inneren Be­drohung" verstanden wurde)291 zu einem förderungswürdigen Teil der Kultur Polens, weil Aufgabe des Kulturministeriums.29'

293 V gl. beispielsweise Lodziitski, Slawomir: Struktura narodowosciowa Pol ski i polityka wobec mniejszosci w latach 1989-1992, Kancelaria Sejmu, Biuro Studi6w i Ekspertyz, Raport Nr. 22, Juli 1992, S. 11 (im Folgenden zitiert Lodziitski 1992).

294 V gl. beispielsweise für die weißrussische Minderheit das Interview mit dem Vorsit­zenden des Programmrates "Niwa", Eugeniusz Mironowicz, oder für die litauische Minderheit die kurze Selbstdarstellung des Verbandes der Litauer gegenüber dem Kulturministerium. Hier verwies der Verbandsvorsitzende auch auf das Ende der "Kuratel" des Innenministeriums 1989. Maksimowicz, Piotr: Informacja przewodnicz~cego Stowarzyszenie Litwin6w w Polsce o. J., Kopie aus den Beständen des Kulturministeriums. Siehe zudem Kritik des Vorsitzenden des Bun­des der Ukrainer in Polen an der Arbeit des Innenministeriums vor 1989, Interview mit Kertyszak, März 1999, Warschau.

295 Lodziitski in Centrum 1998 S.28. Siehe hierzu etwas ausführlicher im Abschnitt zum Innenministerium.

296 Ebda. S. 27 f. 297 V gl. zur These, dass Minderheiten vor 1989 auch als Bedrohung gesehen wurden:

Franaszek, Andrzej in: Raport w sprawie mniejszosci, in: Tygodnik Powszechny, Nr. 1, 1995 hier nach Osteuropa-Archiv September 1996, S. A 467-A 472 (im Fol­genden zitiert Franaszek in Osteuropa-Archiv 1996).

298 Im Zuge dieser Analyse wird durchgängig die Bezeichnung Kulturministerium verwendet. Es soll jedoch darauf verwiesen werden, dass das Ministerium bis Okto­ber 1999 Ministerium für Kultur und Kunst hieß, ab diesem Zeitpunkt "Ministerium für Kultur und nationales Erbe", vgl. Erlass des Ministerrates vom 26. Oktober 1999 über die Schaffung des Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe, Dz. U. 1999, Nr. 91, Pos. 1014.

295

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Die institutionelle Ausgestaltung des Minderheitenressorts war jedoch damit nicht abgeschlossen, sondern unterlag auch innerhalb des Kultur­ministeriums einem weiteren Wandel. Zunächst wurde im Kulturminis­terium eine sogenannte "Gruppe für Angelegenheiten nationaler Min­derheiten" errichtet, der nun vor allem die Aufgabe der Finanzierung kultureller Aktivitäten oblag.299 Diese Gruppe agierte bis April 1992 und wurde dann im Zuge der Reorganisation des Kulturministeriums in ein "Büro für die Angelegenheiten nationaler Minderheiten" umgewandeIt300 sowie Ende 1994 nochmals in ein Büro für die Angelegenheiten der Kultur der nationalen Minderheiten umbenannt.301 Erst 1998 ist dieses Minderheitenbüro in den Rang eines Departments hochgestuft worden. 302

Gleichwohl hält die Diskussion um die geeignete Position eines Min­derheitenbüros bzw. -Departments innerhalb der Regierungsadministra­tion an.303

Institutionelle Konfiguration

Struktur Das heutige Department für die Kultur Nationaler Minderheiten ist eines von neun Departments innerhalb des Kulturministeriums.3OI Es verfügt über Aufgaben, die sich sowohl auf die Minderheiten als auch auf die Regierungsadministration beziehen: Grundsätzlich soll es ganz allgemein Organisationen unterstützen, die sich der Aufrechterhaltung von Traditionen und Kultur der Minderheiten widmen. Zudem soll es Minderheitenverbände bei der Realisierung kultureller Veranstaltungen unterstützen sowie Minderheiten-Publikationen fördern. 30S Diese bei den formalen Kompetenzen, bei denen die Verteilung von Finanzmitteln im Vordergrund steht, bilden auch die wesentlichen faktischen Kompeten­zen des Departments.306 Zudem findet sich noch eine dritte Aufgabe: Das

299 Siehe Tarka 1998, S. 190 sowie Lodzinski 1992 S.12. 300 Biuro do Spraw Mniejszosci Narodowych przy Ministerstwie Kultury i Sztuki:

Biuletyn mniejszosci narodowych w Polsce w 1993 roku, Warszawa 1994 (im Folgenden zitiert Biuro: Bulletin 1993).S. 215.

301 Tarka 1998 S. 190. 302 Kaczynski, Andrzej: Ta sama polityka, za te same pienil\.dze, Rzeczpospolita,

23.4.1998 (im Folgenden zitiert Kaczynski, Rzeczpospolita, April 1998). 303 Beschluss der Sejm-Kommission für Minderheiten, in: Bulletin Nr. 1354,

14.5.1993, Sitzung Nr. 18, I. Kadenz S. 13. Siehe zur Bewertung auch Lodzinski Raport 1994, S. 6.

304 Siehe Dziennik UrzC(dowy MKiDN, 2000, Nr. 1. Pos. 1-2, § 14 ,§ 17 und 18. 305 Ebda. § 15. 306 Dieser Befund basiert auf verschiedenen Quellen: V gl. Interview mit dem damali­

gen Department-Direktor Jerzy Zawisza, Warschau 9.11.1999, sowie Hintergrund-

296

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Department soll mit den Minderheiten-Verbänden in Fragen der kultu­rellen Bildung von Kindern und Jugendlichen kooperieren. Diese drei Kompetenzzuschreibungen sind die einzigen, die sich direkt auf die Unterstützung der Minderheiten beziehen.

Überdies finden sich Aufgaben, die sich eher auf die interne Regie­rungsorganisation beziehen. So soll das Department erstens internatio­nale Dokumente zum Minderheitenschutz sammeln und analysieren, zweitens minderheitenbezogene Gesetzentwürfe, Konventionen, Verträ­ge u.ä. bewerten und drittens Aufgaben übernehmen, die sich aus der Zusammenarbeit mit der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minder­heiten (siehe zur Arbeitsgruppe den entsprechenden Abschnitt weiter unten) ergeben.307 Eine weitere Aufgabe des Departments bezieht sich auf die polnische Mehrheitsbevölkerung, indem das Department Aktivi­täten unterstützen soll, die die Toleranz und das Wissen in der polni­schen Bevölkerung gegenüber Minderheitenfragen fördern sollen. 308

In diesem Kompetenzzuschnitt des Departments lassen sich somit zwei prägende Faktoren erkennen: Die primären formalen Funktionen des Departments liegen zum einen in der Förderung kultureller Minder­heitenaktivitäten, zum anderen in einer Art ministerratsbezogenen juris­tischen "Servicefunktion ", indem das Department die Auswertung von Gesetzen, internationalen Dokumenten u.ä. vornehmen soll.

Die formalen Kompetenzen der Vorläuferinstitution, des zwischen 1992 und 1994 agierenden Büros für Minderheitenfragen, zeichneten sich hingegen dadurch aus, dass sie wesentlich weitreichender waren. So lassen sich insgesamt zehn Basisfunktionen des Büros ausmachen: Zunächst einmal zeigt sich eine umfangreiche Informationsaufgabe, indem das Büro nicht nur Informationen über die Minderheiten und über internationale Abkommen sammeln, sondern sich zudem auch mit der Lage von Minderheiten in anderen Ländern beschäftigen sollte. Hinzu kamen vor allem zahlreiche Kooperationsaufgaben. So sollte das Büro sowohl mit ausländischen Institutionen des Minderheitenschutzes als auch mit der territorialen Selbstverwaltung und mit Senat und Sejm (insbesondere mit der Sejm-Kommission) kooperieren. Zudem sollte es nicht nur mit anderen Regierungsinstitutionen und Verwaltungseinheiten in Bezug auf Minderheiten zusammenarbeiten, sondern diese Zusam­menarbeit koordinieren. Ausdrücklich erwähnt sind hierbei das Außen-, das Innen-, das Bildungs-, das Justiz- und das Kulturministerium sowie

gespräche mit Hanna Wawrzyk, Department-Mitarbeiterin, Warschau 12.12.00 und 2.7.01.

307 Dziennik Urz .. dowy MKiDN, 2000, Nr. 1. Pos. 1-2, § 15. 308 Ebda.

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die Wojewodschaftsverwaltungen.309 Dies bedeutet, dass das Büro in formaler Hinsicht die Koordinationsstelle für minderheitenbezogene Regierungsaktivitäten war. Es hat somit Funktionen übernommen, die ursprünglich der ebenfalls im Kulturministerium angesiedelten, 1990 ins Leben gerufenen interministeriellen Kommission für Minderheitenange­legenheiten zugedacht gewesen waren.3lO Zudem sollte das Büro, glei­chermaßen wie das Department, vor allem auch mit den Minderheiten­verbänden kooperieren und deren kulturelle Aktivitäten finanzieren. Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass der Begriff der "Finanzierung" in der Tätigkeitsbeschreibung des späteren Departments nicht mehr auftaucht, sondern durch die allgemeine Formulierung "Organisierung von Hil­fen", bzw. "Unterstützung" der Verbände ersetzt wurde. 311 Weitere Funk­tionen des Büros decken sich weitgehend mit denen des späteren De­partments sowohl in der Frage der Popularisierung des Minderheiten­themas als auch in der Vorbereitung von minderheitenrelevantem Mate­rial für Regierungsinstitutionen und andere Einrichtungen. Jedoch sollte das Büro zusätzlich selber Vorschläge zur Realisierung des Minderhei­tenrechts unterbreiten.3l2

Als wesentlicher Unterschied in der Kompetenzgestaltung von Büro und Department zeigt sich somit eine stärker intendierte aktive Rolle des Büros im Unterschied zu einem stärker reaktiven Charakter der Kompetenzzuschreibungen des Departments. Die aktive Rolle des Büros galt sowohl bei der rechtlichen Gestaltung des Minderheitenschutzes (Formulierung von Vorschlägen) als auch in der Zusammenarbeit mit verschiedensten Institutionen innerhalb des Regierungssystems. In letz­terem Fall lässt sich zudem davon ausgehen, dass mit einer koordinie­renden Funktion des Büros im Prinzip auch eine führende Rolle im Min­derheitenbereich innerhalb der Exekutive einhergeht. Kontinuitäten zeigen sich hingegen in der Frage des Umgangs mit den Minderheiten selbst sowie in der Informationsfunktion von Büro und Department. Die institutionelle Konfiguration dieser Institution zeigt somit im strukturel­len Bereich zwar keinen grundlegenden, jedoch einen gemäßigten Wan­del innerhalb des letzten Jahrzehnts, der aus der Perspektive der min-

309 Es sei kurz darauf verwiesen, dass dies vor Einführung der regionalen Selbstverwal­tung war.

310 Siehe zur Gründung der Kommission 1990 Uchwala Nr. 143 Rady Ministr6w z dnia 7.9.1990 w sprawie powolania Komisji do Spraw Mniejszosci Narodowych, M.P. 90.34.274 vom 20.9.90. Vgl. zudem den folgenden Abschnitt über die interministe­riellen Gruppe für Minderheitenfragen.

311 Dziennik Urz~dowy MKiDN, 2000, Nr. 1. Pos. 1-2, § 15. 312 Vgl. die Darstellung der Büro-Aufgaben in: Biuro: Bulletin 1993, S. 215 f.

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derheitenrelevanten Kompetenzen in formaler Hinsicht eher regressiven Charakter hatte. Die personelle Ausstattung dieser Institution hat sich innerhalb des letz­ten Jahrzehnts nicht wesentlich verändert und bestand auch Mitte der 90er Jahre bereits aus lediglich sechs Mitarbeitern.313 Dies sind im Jahr 2001 drei Fachreferenten, die sich die Zuständigkeiten für die einzelnen Minderheiten untereinander aufteilen, sowie zwei Schreibkräfte und der Department-Direktor. 314

Arbeitsweise Da die finanzielle Unterstützung der Minderheiten die Kernaufgabe des Büros bzw. Departments darstellt, soll im Folgenden ein Schwerpunkt auf diesen Aspekt gelegt werden. Zur Erfassung der Tendenzen und Probleme der jährlichen Budgetentwicklung und der Förderungstätigkeit werden vor allem die umfangreichen Diskussionen hierzu innerhalb der Parlamentskommission für Minderheiten nachvollzogen. Denn sowohl die Tätigkeit des Büros bzw. Departments wie auch dessen Haushalts­entwicklung waren unmittelbarer Gegenstand parlamentarischer Kon­trolle. Im Rahmen der entsprechenden Sitzungen mussten sich die Rep­räsentanten des Kulturministeriums dementsprechend den kritischen Fragen der Kommissionsmitglieder stellen. Dies war jedoch zugleich der Ort, an dem zudem die Vertreter der Minderheiten selbst ihre Erfah­rungen im Umgang mit dem Kulturministerium schilderten. So lässt sich eine Vielzahl von Standpunkten gegenüber der minderheitenbezogenen Tätigkeit des Kulturministeriums erkennen. An dieser Stelle der For­schungsarbeit soll somit die Analyse einer minderheitenrelevanten Insti­tution im Spiegel der Debatten innerhalb einer anderen Institution vor­genommen werden.

Was in den oben skizzierten formalen Kompetenzzuschreibungen von Department bzw. Büro nicht festgehalten worden war, ist die ge­setzliche Maßgabe, nach der sich die Minderheitenförderung richten soll. Diese orientiert sich an dem Gesetz zur Organisierung und Durch­führung kultureller Tätigkeiten aus dem Jahr 1991.315 Hierbei ist festge­legt, dass lediglich eine Finanzierung von Aktivitäten, jedoch keine personenbezogene Finanzierung (etwa dauerhafte Gehälter) oder infra-

313 Zur personellen Ausstattung des Biiros siehe Aussage von JagieUo in: Bulletin d. Sejm-Kommission fiir Minderheiten, 29.11.94, Nr. 16,2. Kadenz.

314 Hintergrundgespräch mit Wawrzyk 2. Juli 2001. 315 Ustawa 0 organizowaniu i prowadzeniu dzialalnosci kulturalnej, vom 25. Oktober

1991 (Dz.U. 1991, Nr. 114, Pos. 494), zuletzt verändert am 29.1.2001 (Dz.U. 2001, Nr. 13, Pos. 123).

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strukturelle Unterstützung (wie Raummieten der Verbändebüros) geleis­tet werden dürfen. 316 Somit verbleiben zwei Arten von Finanzierungen: 1. Die Unterstützung von Publikationen der Minderheiten, gleich ob Periodika oder Monographien. 2. Die Förderung kultureller Veranstal­tungen.

Diese Einschränkung wird seitens der Minderheiten immer wieder als problematisch eingeschätzt, weil gerade infrastrukturelle Kosten ftir sie häufig nur schwer zu leisten sind. Beispielhaft zeigt sich die Kritik in einer knappen Selbstdarstellung des Verbandes der Litauer in Polen (Stowarzyszenie Litwinow w Polsee ) gegenüber dem Minderheitende­partment im Kulturministerium. Darin wird unter anderem dezidiert auf die Nichtfinanzierung von Raummieten und Telefonkosten durch das Ministerium eingegangen, "ganz zu schweigen von Geldern ftir die Be­zahlung von Mitarbeitern".317

Der Systemwechsel Polens hatte sich auch unmittelbar im für Min­derheiten bereitgestellten Budget niedergeschlagen. Lag die Zuwendung noch 1988 (also noch verteilt durch das Innenministerium) bei 119 Mil­lionen Zloty und 1989 bei 160 Millionen Zloty, so erreichte das Budget 1990 die Summe von 16,5 Milliarden Zloty,318 was jedoch bei einer In­flationsrate von 586 Prozent im Jahr 1990319 kein wesentlicher Anstieg war. 3W Diese Summe war vor allem dem Sejm zu verdanken, der ftir 1990 den Etat um 100 Milliarden Zloty ftir wissenschaftliche und kultu­relle Organisationen erhöhte, was auch den Minderheitenverbänden zugute kam. Hier sollte den Verbänden die Grundlage gegeben werden, selber Investitionen zu tätigen, um ökonomische Tätigkeiten zu entfal­ten. 321 Bereits 1991 verringerte sich der Etat ftir Minderheiten wiederum drastisch auf lediglich 5,9 Milliarden Zloty, (bei einer Inflationsrate von immerhin 71 Prozent)/22 was zur Folge hatte, dass das Minderheitenbüro

316 Siehe beispielsweise die Aussage des Department-Direktors Ryszard Switrtek hierzu vor der interministeriellen Arbeitsgruppe, Protokoll der XIII. Sitzung der intermi­nisteriellen Gruppe ftir Minderheitenangelegenheiten, 19. Januar 2001.

317 Maksimowicz, Piotr: Informacja Przewodniczl\.cego Stowarzyszenia Litwin6w w Pols ce 0.J., Kopie aus den Beständen des Kulturministeriums.

318 Lodzinski, Raport 1992, S. 12. 319 Siehe Juchler, Jakob: Zehn Jahre Transformation in Polen, in: Osteuropa (2000), 50.

Jg. Nr. 2, S. 189-200, hier S. 191, (im Folgenden zitiert Juchler 2000). 320 Zur Veranschaulichung: Der Kurs von DM und Zloty lag 1990 durchschnittlich bei

1 zu 5883, so dass der Minderheitenetat des Kulturministeriums ca. 2,8 Millionen DM umfasste.

321 Aussage Berdychowskas Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten Nr. 99, 11.1.92, 1. Kadenz, S. 6.

322 Lodzinski Raport 1992, S. 12 sowie Juchler2000, S. 191.

300

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den Verbänden lediglich ein Drittel bis ein Viertel ihrer Kosten erstatten konnte. 323 1992 lag der Anteil bei 5,7 Milliarden324 und die Inflation bei 43 Prozent. 325 Jedoch wären allein für die Minderheitenzeitschriften ein Zuschuss von 5 Milliarden Zloty notwendig gewesen, für die geplanten Ausgaben des Büros weitere ca. 10 Milliarden.326 So war nur die Hälfte der geplanten Ausgaben gedeckt, so dass sich für die neuen und die sich reformierenden Minderheitenzeitschriften gerade die Anfangsjahre der Transformation als ökonomisch ausgesprochen schwierig erwiesen. Angesichts der absehbar knappen Mittel für das laufende Jahr stellte denn auch ein PSL-Abgeordneter in der Parlaments-Kommission die Frage, ob dieser Etat denn nicht ein politischer Fauxpas sei, fordere man selbst doch gegenüber den eigenen Minderheiten im Ausland stets tole­rantes Handeln ein.327 Die außenpolitische Argumentation, die hier zur Begründung innenpolitischer Vorgänge Verwendung findet, ist sicher­lich vor dem Hintergrund zu verstehen, dass gerade die "Ära" der Ab­schlüsse von Nachbarschaftsverträgen in Polen begonnen hatte, die bis 1994 andauerte. So war im Juni 1991 der deutsch-polnische Vertrag abgeschlossen worden, den man sicherlich als Grundstein bilateraler Minderheitenschutzbestimmungen in Ostmitteleuropa bezeichnen kann und der, wie oben dargelegt, Vorbild für entsprechende bilaterale Ver­träge wurde. 32'

Das Budget des Kulturministeriums machte im Verlauf der polni­schen Transformation zumeist nur einen sehr kleinen Teil des Staats­haushaltes aus. So lag das Kultur-Budget beispielsweise 1994 mit 4,5 Billionen Zloty bei 0,65 Prozent des Staatshaushaltes. Ein Jahr zuvor lag der Anteil noch ein wenig höher, bei 0,71 Prozent. Auch in den fol­genden Jahren blieb dieser Prozentsatz gering. So lag er 1997 und 1998 bei 0,8 Prozent, 1999 sank er sogar auf 0,4 Prozent.329 Im Jahr 1993 stand dem Büro für Minderheitenfragen ein Etat von ungefähr 14 Milli­arden Zloty zu, also ca. 9 Mrd. Zloty mehr als im Vorjahr, jedoch bei

323 Aussage Berdychowskas in Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten Nr. 99, 11.1.92, 1. Kadenz S. 6.

324 Lodzinski 94 S. 6. 325 Juchler 2000, S. 191. 326 Aussage Berdychowskas, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten Bulletin

Nr. 285, 1.4.1992, 1. Kadenz, S. 4. 327 Aussage von Andrzej Borowski, PSL, Ebda. S. 5 328 Zwischen 1991 und 1994 waren bilaterale Verträge mit der Deutschland, der Tsche­

choslowakei, der Ukraine, Weißrussland, Russland und Litauen geschlossen wor­den, vgl. Mohlek in Mohlek, 1994, S. 30.

329 Statistische Jahrbücher der Republik Polen: Rocznik Statystyczny Rzeczypospolitej Polskiej 1998, S. 471, 1999 S. 501 und 2000 S. 486.

301

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einer Inflationsrate von 35 Prozent. Als Hauptausgabenposten hatte sich die Unterstützung der Minderheitenzeitungen herauskristallisiert. So wurden damals elf Zeitschriften mit ca. 6,5 Milliarden Zloty unterstützt, weitere 1,6 Mrd. flossen in die Finanzierung von Einzelpublikationen (Bücher usw.), der verbleibende Teil von rund 40 Prozent wurde für die Finanzierung von kulturellen Veranstaltungen verwendet. 1993 zeigten sich Minderheitenvertreter erstmals nicht gänzlich unzufrieden mit der damaligen Lage, so dass bei einem Gespräch im Kulturministerium nicht die Klagen über mangelnde Finanzen im Vordergrund standen.330

In der Diskussion um die Finanzlage des Büros für Minderheiten wurde im Verlauf der 90er Jahre sowohl durch das Kulturministerium als auch durch Kommissionsmitglieder festgestellt, dass es inzwischen "gute Tradition" sei, den Etat des Büros noch durch weitere Mittel zu ergänzen, weil das vorgesehene Budget stets als zu gering angesehen wurde. 33' In der im Vorfeld geführten Debatte um die absehbar knappe Haushaltslage des Jahres 1995 entstand seitens des Kommissionsmit­glieds Jacek Kuron die - aus der Finanznot geborene - Überlegung, die Minderheiten selbst in die Frage einzubinden, ob im Folgejahr eine oder mehrere Zeitschriften pro Minderheit unterstützt werden sollten und somit der Spielraum zur Unterstützung von Kulturveranstaltungen ent­sprechend höher oder niedriger ausfallen sollte. 332 Dieser Vorschlag ist insofern verständlich, weil eine ministerielle Entscheidung über nur eine geförderte Zeitschrift pro Minderheit Erinnerungen an die Minderheitenpolitik der Volksrepublik hervorrufen könnte. Eine Partizipation von Antragstellern an der Entscheidung über die Mittelvergabe war jedoch für das Ministerium erwartungsgemäß undenkbar. 333 Die Debatte um die Haushaltsentwürfe für 1995 waren auch deswegen umso intensiver, weil seitens der Büro-Führung bereits 1994 als ein dramatisches Jahr für die Verbändefinanzierung eingeschätzt wurde und zwei problematische Jahre in Folge die Lage der Minderheitenverbände dramatisieren würde. 334

330 Aufschlüsselung nach Cieslak, Jacek: Mniejszosci narodowe - szczeg61na normalnosc, in Rzeszpospolita, 12.10.1993. Inflationsrate 1993 aus Juchler 2000, S. 191.

331 Dies Leistung nahm sowohl die Kommission für sich in Anspruch (Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 41, 14.3.1996, 2. Kadenz) als auch der damalige Unterstaatssekretär des Kulturministeriums JagieBo, Bulletin d. Sejm­Kommission für Minderheiten, Nr. 14,21.9.94,2. Kadenz.

332 Aussage Kurons in der Kommission, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderhei­ten, Nr. 14,21.9.1994,2. Kadenz.

333 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, ebda. 334 Aussage Berdychowskas in Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 14,

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Nachdem die Direktorin des Minderheitenbüros, Bogumila Berdy­chowska, Ende 1994 aus Protest gegen das geringe Minderheitenbudget und gegen die Minderheitenpolitik der postkommunistischen SLD-PSL­Koalition von ihrem Posten als Direktorin des Minderheitenbüros zu­rückgetreten war, und somit eine prägende Akteurin und Integrationsfi­gur der Minderheitenpolitik Polens335 der ersten Hälfte der 90er Jahre die minderheitenrelevante Institutionenlandschaft (zumindest hauptberuf­lich)3J6 verlassen hatte, wurde in der Parlamentskommission erneut die Frage nach einer ressortübergreifenden, integrierenden Institution in Minderheitenfragen aufgegriffen.

Der entscheidende Punkt in Berdychowskas Kritik richtete sich ge­gen das geplante schmale Budget für 1995 sowie gegen Überlegungen des damaligen Kulturministers Strak, sowohl die Förderung der Zeit­schriften einzuschränken als auch Einfluss auf die Arbeit der Verbände zu nehmen.337 Der Rücktritt Berdychowskas ist sowohl seitens der Ad­ressaten der Institution (also der Minderheiten)3J8 als auch seitens der Parlamentskommission als bedeutender negativer Einschnitt gewertet worden. Treffend spiegelt dies vielleicht die Aussage des Ukrainers, UW-Abgeordneten und Kommissionsmitglieds Mirowslaw Czech, der die Demission Berdychwokas alarmierend fand, weil sie das Büro im Kulturministerium aufgebaut habe und große Sympathien und Anerken­nung bei den Minderheiten genieße. Zudem sei nach 1989 und dem Wechsel der Minderheiten-Zuständigkeit vom Innenministerium zum Kulturministerium die Nationalitätenpolitik Polens vor allem mit den Personen Jagiellos3J' und Berdychowskas identifiziert worden, so dass

21.9.94,2. Kadenz. 335 V gl. die Ausführungen weiter unten, wo darauf hingewiesen wird, dass die von

Berdychowska entwickelten Kontrollmechanismen des Büros nachhaltig Bestand haben. Unterstaatssekretär Jagiello lobte noch 1996, dass sowohl die Kommission als auch Berdychowska das Verdienst haben, nach dem Systemwechsel die multikul­turelle Identität Polens positiv besetzt zu haben. Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 16.3.1996, Nr. 41, 2. Kadenz.

336 Berdychowska ist bis heute ständige Expertin für Minderheitenfragen in der Sejm­Kommission für Minderheiten.

337 Interview mit Berdychowska,in: Franaszek in Osteuropa-Archiv 1996, S. 468. 338 Siehe Interview mit Mironowicz, März 1999, Bialystok. Zudem Interview-Aussagen

in Tygodnik Powszechny: Ludomir Molitoris (slowkische Minderheit), Bronislaw Makowski (litauische Minderheit). Einzig Jan Syszewski von der weißrussischen Gesellschaft enthielt sich eines Lobes für die bisherige Tätigkeit des Büros; Franas­zek in Osteuropa-Archiv 1996, S. 469-472.

339 Dem damaligen Unterstaatssekretär. Dieser war jedoch in der betreffenden Sitzung anwesend und konnte somit schlecht "übergangen" werden.

303

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der Weggang einer dieser zentralen Figuren als schlechtes Zeichen für die polnische Minderheitenpolitik zu sehen sei.340

Jacek KuroIi, Vorsitzender der Sejm-Kommission für Minderheiten, teilte jedoch nicht die Kritik Berdychowskas an der Minderheitenpolitik der damaligen postkommunistischen Regierungskoalition unter Minis­terpräsident Pawlak. Seiner Ansicht nach waren die Mängel struktureller Art und durch neue institutionelle Lösungen, wie der Ansiedlung des Minderheitenbüros in das Ministerpräsidentenamt, zu beheben. In dieser Interpretation wird demnach davon ausgegangen, dass die in der Trans­formationssituation von 1989 vorgenommene Etablierung eines kleinen Büros mit umfassenden koordinierenden Kompetenzen im Kulturminis­terium inzwischen zu einer Funktionsüberlastung bzw. zu einer institu­tionellen Widersprüchlichkeit zwischen formaler Kompetenz und fakti­scher Unterordnung unter den Kulturminister geführt hat.34! Nach dem Rücktritt Berdychowskas überlegte die Kommission ein weiteres Mal, eine koordinierende ressortübergreifende Einrichtung für die Minderhei­tenpolitik zu schaffen und diese unter die Leitung des Kulturressorts zu stellen. 342 Diese Debatte, geführt als Reaktion auf den Weggang von Berdychowska, war einer der verschiedenen Anläufe seitens der Kom­mission, eine bereits 1990 kurzzeitig existierende koordinierende über­ressortliche Einrichtung zu etablieren. Jedoch lief dieser institutionelle Impuls zunächst ins Leere. Erst 1997 kam es zur Initiierung einer soge­nannten "Interministeriellen Gruppe für Minderheitenangelegenhei­ten ", die dann allerdings nicht beim Kulturministerium, sondern beim Innenministerium angesiedelt war.

Im Verlauf der weiteren Finanzierungstätigkeit des Büros bildete sich dauerhaft eine quantitative Auf teilung der Förderung von Verlags­tätigkeiten von zwischen 50 und 65 Prozent heraus. 34' Gefördert wird seither die Herstellung von Zeitschriften, Monographien sowie Plakaten und Broschüren zur Vorbereitung von Kulturveranstaltungen.344 Bei der Förderungsquote zwischen den Minderheiten zeigten sich jedoch einige

340 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 16,29.11.1994., 2. Kadenz. 341 Interview mit Kuron in der Tygodnik Powszechny; Franaszek in Osteuropa-Archiv

1996,S. 471. 342 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 16,29.11.94, 2. Kadenz. 343 Beispielsweise lag der Anteil der Ausgaben für Verlagstätigkeiten 1993 bei 58

Prozent, siehe dazu die Angaben oben. 1995 lag dieser Anteil bei 65 Prozent, Bulle­tin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 28.11.1995, Nr. 35, 2. Kadenz, Ähnlich 1998 bei 61 Prozent, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 33, 16.3.1999,3. Kadenz.

344 Aussage des damaligen Department-Direktors Sobkowicz, in: Bulletin d. Sejm­Kommission für Minderheiten, Nr. 3, 11.12.1997, 3. Kadenz.

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Ungleichgewichte in Bezug auf die Höhe der Antragstellung und der Bewilligungen. So erhielt die weißrussische Minderheit ca. 500.000 Zloty (50 Prozent der beantragten Summe), die deutsche Minderheit knapp 260.000 Zloty (80 Prozent der beantragten Summe). 34'

Ein seitens des Büros bzw. Departments immer wieder artikulierter Aspekt der Förderpolitik war das Defizit professioneller Kulturinstituti­onen bei den Minderheiten. Aus dem Kulturministerium wurden in die­ser Hinsicht lediglich zwei Einrichtungen der jüdischen Minderheit gefördert, das Jüdische Historische Institut in Warschau (in dem u.a. auch das berühmte Ringelblum-Archiv des Warschauer Ghetto­Untergrundes lagert) und das dortige Jüdische Theater. 346 Hier wurde ein Infrastrukturmangel bei den Minderheiten beklagt: Schließlich existier­ten "lediglich" Verbände als Träger der Minderheitenkultur. Professio­nelle Institute seien hingegen nach dem Systemwechsel nicht geschaffen worden. Dies zeigt zum einen, dass die Minderheitenverbände - vermut­lich vor allem aufgrund chronischer Finanzknappheit - nicht in der Lage waren, Einrichtungen, die sich als "professionelle Kulturinstitute" be­zeichnen ließen, aufzubauen. Sie hielten an der traditionellen, bereits in der Volksrepublik erlaubten Form der Verbändetätigkeit fest. 347

Zur Veranschaulichung des jährlichen Umfangs der Bewilligungen seitens des Ministeriums soll das Jahr 1998 betrachtet werden, in dem das Büro auch offiziell in den Rang eines Departments erhoben wurde. 348

In diesem Jahr waren 56 Minderheitenverbände sowie weitere Organisationen Mittelempfanger des Departments. Insgesamt wurden mit den zur Verfügung stehenden 3,7 Millionen Zloty 145 Aktivitäten gefördert, darunter waren zehn geförderte Minderheitenzeitschriften. Mit der Unterstützung der verlegerischen Tätigkeiten in einer Höhe von 2,3 Millionen Zloty und somit einem Anteil von 61 Prozent lag auch hier die Quotierung zwischen Verlagstätigkeit und Kulturveranstaltungen im Durchschnitt der vergangenen Jahre. 34'

Im Folgejahr musste sich der Department-Direktor Jerzy Zawisza von der Parlaments-Kommission den Vorwurf gefallen lassen, seinen

345 Siehe Departament Kultury Mniejszosci Narodowych: Bud:l:et Departamentu Kultury Mniejszosci Narodowych w latach 1993-1999 i plan na rok 2000, Warschau Mai 2000 (im Folgenden zitiert Statistik DMN 2000).

346 Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 41 16.3.1996,2. Kadenz. 347 Beispielsweise verwies der Vorsitzende des Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek

Ukraine6w w Polsee ) Kertyszak darauf, dass das Fehlen solcher Kulturinstitutionen der Minderheiten vor allem ein Finanzproblem sei. Interview mit Kertyszak, März 1999 Warschau.

348 Kaczynski, Rzeczpospolita, April 1998. 349 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 33, 16.3.1999,3. Kadenz.

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Aufgaben nicht nachgekommen zu sein, weil es zur verspäteten Auszah­lung von Zuschüssen gekommen war. Bis Mitte des Jahres 1999 konnten lediglich 1,1 Millionen der insgesamt 4,7 Millionen Zloty des Jahres­etats ausgezahlt werden. Es stand zu diesem Zeitpunkt die Finanzierung bewilligter Minderheitenaktivitäten in der Höhe von einer Million Zloty aus. Somit musste in diesem Jahr vom gängigen Verfahren der Vorfinan­zierung abgewichen werden (Auszahlung der Fördersumme ein bis zwei Wochen vor Veranstaltungsbeginn), so dass die Mittel lediglich im Rah­men einer nachträglichen Kostenerstattung vergeben werden konnten.'50

Zu dieser vorübergehenden Mittelknappheit kam es, obwohl die da­malige Kulturministerin Joanna Wnuk-Nazarowa die Mittel für Minder­heiten für das Jahr 1999 bereits im Vorfeld durch Umschichtungen im eigenen Finanzetat erhöht hatte, weil ihr der angesetzte Etat im Staats­haushalt zu niedrig erschienen war. Es wurden zusätzliche 990.000 Zlo­ty über das "Department für kulturelle Bildung und Animation" bereit­gestellt, so dass die Erhöhung der Mittel von 3,7 Millionen (1998) auf 4,8 Millionen (1999) relativ hoch war.""

Wnuk-Nazarowa brachte bei ihren häufigen Besuchen in der Parla­ments-Kommission ihre grundsätzlich minderheitenfreundliche Haltung zum Ausdruck. Sie begründete diese im Zuge der Debatte um das ge­plante Budget von 1998 mit ihrer Familiengeschichte: Zu ihren Vorfah­ren zählten polnisch-ukrainische Paare, ein zweisprachiger Danziger, ein Schlesier sowie ihr kaschubischer Vater und ihre Mutter, die dem polnischen Bergvolk der G6ralen angehörte.352

Im Weiteren soll ein kurzer Blick auf die üblichen Kontrollverfah­ren geworfen werden, die das Minderheitenbüro bzw. Department ge­genüber seinen Mittelempfängern anwendet. Die Kontrolle kultureller Veranstaltungen der Minderheiten besteht seitens des Minderheiten­Departments schlicht darin, systematisch möglichst viele Veranstaltun­gen zu besuchen, was angesichts der geringen personellen Besetzung nur begrenzt möglich ist. Zur Beurteilung der geförderten Veranstaltun­gen werden zudem Vergleichsangaben kultureller Veranstaltungen der polnischen Mehrheitsbevölkerung herangezogen, die aus anderen Minis­terienabteilungen gefördert werden. Überdies strebt das Department eine systematische Lektüre der geförderten Zeitschriften an. Dies ge­lingt allerdings nur zum Teil: Im Department fehlt es an Mitarbeitern

350 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 44, 6.7.1999, 3. Kadenz. 351 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 33, 16.3.99, 3. Kadenz, Inflati­

onsangaben aus Juchler 2000 S. 191. 352 Aussage Wnuk-Nazarowas in der Kommission, Bulletin d. Sejm-Kommission für

Minderheiten, 11.12.1997, Nr. 3, 3. Kadenz.

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mit litauischen Sprachkenntnissen - hinsichtlich der deutschen, weiß­russischen, ukrainischen und slowakischen Presse besteht diese Schwie­rigkeit des kulturellen Zugangs nicht. 3S3

Die Höhe der Einzelzuwendungen wird auf der Grundlage von Ge­sprächen mit den Mittelempfangern ermittelt. Im Jahr 1999 geschah dies auf der Basis von zwei Dritteln der anstehenden Kosten, so dass ein Drittel in Eigenleistung von den Minderheitenorganisationen erbracht werden musste. Der Department-Direktor verwies vor der Parlaments­kommission 1999 darauf, dass die an gewandten Kontrollmechanismen bereits Anfang der 90er Jahre durch Bogumila Berdychowska entwickelt worden waren.''' Die in den ersten Transformationsjahren durch eine Einzelakteurin entwickelten Mechanismen haben somit auch zehn Jahre nach dem Systemwechsel noch Bestand. Zudem sind sich die Akteure der zweiten bzw. dritten "Generation" innerhalb des Departments dieser Kontinuität und Berdychowskas Autorenschaft bewusst.

Bei einer kritischen Anfrage aus der Parlamentskommission zum Finanzproporz zwischen den Minderheiten, vor allem zu der ver­gleichsweise geringen Ausgabenhöhe für die deutsche Minderheit (zum Vergleich: 1999 erhielten die Weißrussen 1,1 Millionen Zloty, die Uk­rainer 902.000 Zloty, jedoch die quantitativ vergleichbare deutsche Minderheit lediglich 516.000 Zloty),355 verwies der Department-Direktor auf die "gewaltige Zusatzfinanzierung von den deutschen Behörden" für die deutsche Minderheit, so dass er keinerlei Signale erhalten hätte, dass die deutsche Minderheit unzufrieden sei mit ihrer Unterstützung durch das polnische Kulturministerium. Zudem verwies eine Department­Mitarbeiterin darauf, dass der deutschen Minderheit nahezu 100 Prozent der beantragten Summe auch bewilligt worden sei. 356 Bei einem Ver­gleich der Budget-Zahlungen von 1993 bis 1999 lässt sich eine Tendenz erkennen, dass die deutsche Minderheit fortwährend nur die Hälfte der Mittel beanspruchte, die an die weißrussische Minderheit ausgezahlt wurden.357 Es zeigt sich somit, dass hier die umfassende externe Finan­zierung aus dem Ausland bei dieser Minderheit ein nachhaltiges Un­gleichgewicht in der Finanzierung der polnischen Minderheiten durch das Kulturministerium verursacht hat, was sich mit Blick auf den chro­nisch knappen polnischen Finanzetat dementsprechend günstiger für die

353 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 44, 6.7.1999, 3. Kadenz. Slo-wakischsprachige Texte sind für polnische Muttersprachler lesbar.

354 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 44, 6.7.1999,3. Kadenz. 355 Vgl. Statistik DMN 2000. 356 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 44, 6.7.1999,3. Kadenz. 357 Statistik DMN, 2000.

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anderen Minderheiten auswirkt. Die Verbände der deutschen Minderheit erhielten für das Jahr 2000 beispielsweise eine Unterstützung von 2,5 bis 2,8 Millionen DM. Dieser Betrag entspricht ungefahr dem für 2000 angesetzten Gesamtetat (5,1 Millionen Zloty) des Minderheiten­Department im Kulturministerium.358

1200

1000

6" 800 0 C! 0 0 ...

600 g ~ N 400

Budget des Büros bzw. Departments für die Kultur Nationaler Minderheiten 1993-1999*

1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Abbildung Nr. 4

~W.Bl'USMn

~Slowaken

Jud ..

~Ukr.n.r

~AolM

-'-Utau.r

-+--Oeutsche -T._ -Lo .......

• Angaben aus: StatistIk DNM 2000

Im Zuge der regelmäßigen Stellungnahmen des Departments zu Budget­fragen vor der Parlamentskommission stand der damalige Department­Direktor Jerzy Zawisza im Herbst 1999 erneut in der Kritik der Kom­missionsmitglieder. Ihm wurde vorgehalten, nur unzureichend über den geplanten Haushaltsentwurf informiert zu sein und mit falschen Zahlen

358 Der geplante Etat der Bundesregierung fllr die deutsche Minderheit im Jahr 2000 lag bei 14 Millionen DM. Nach Aussage von Henryk Kroll werden bis zu 20 Pro­zent (also bis ca. 2,8 Millionen DM) dieses Etats fllr Minderheitenverbände einge­setzt, die weiteren Finanzmittel zur infrastrukturellen Förderung; Zaremba, Beata: 14 milion6w Marek to za malo. Mniejszosc niemiecka: Pomoc z Bonn, Rzeczpospolita, 11.2.2000. Als Wechselkurs fllr das Jahr 2000 kann ein Verhältnis von 2: 1 angesetzt werden.

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zu operieren. So wurde dem Department durch den SLD-Politiker Jan Byra vorgeworfen, "ein weiteres Mal eine seltsame Arithmetik" zu prä­sentieren. Byra korrigierte die Angaben des Departments. Die schlechte Vorbereitung des Department-Direktors führte schließlich dazu, dass die Kommission sich vertagte.'59

Auch an einem weiteren Beispiel lässt sich ein sorgloser Umgang mit der Interpretation von Budgetzahlen seitens des Departments fest­stellen. So erstellte das Department im Jahr 2000 eine Arbeitsskizze zur Budgetentwicklung der letzten Jahre. Dabei wurde der nominale Zu­wachs des jährlichen Budgets als faktischer prozentueller Budgetzu­wachs ausgewiesen, ohne die hohen Inflationsraten zu berücksichtigen, die gerade in der ersten Hälfte der 90er Jahre eher eine Mittelkürzung bedeuteten. "'"

Die unpräzise Präsentation von Haushaltszahlen in der Parlaments­kommission führte in der folgenden Sitzung im Oktober 1999 dazu, dass der Unterstaatssekretär des Kulturministeriums eine nochmalige Vor­stellung des Budgets vornahm. Wie ernst dem Ministerium die Wieder­gutmachung des Fauxpas ihres Department-Direktors war, zeigte sich auch daran, dass zusätzlich der Direktor des Büros für Budget und Fi­nanzen im Kulturministerium anwesend war. Dieser musste eingestehen, dass der Ministerrat für das Jahr 2000 eine Prioritätenliste einzelner Tätigkeitsbereiche erstellt hatte, in der die Kulturförderung allerdings nicht auftauchte. Deshalb könne für das Kultur-Budget des Jahres 2000 lediglich mit einem Inflationsausgleich gerechnet werden. Wie so häufig in vorherigen Jahren, so führte auch dieser Etat-Entwurf dazu, dass die Kommission Überlegungen anstellte, mit welchen Mitteln anderer Insti­tutionen (beispielsweise aus dem Nationalen Radio- und Fernsehrat) der Minderheitenetat im Kulturministerium aufgestockt werden könnte. 361

Im Weiteren soll noch ein kurzer Blick auf eine mögliche Publikati­onstätigkeit des Büros bzw. Departments geworfen werden. Dabei fällt auf, dass diese Institution keinerlei Periodika o.ä. über ihre Tätigkeit oder die von ihr betreuten Minderheiten herausgibt. Wie es insgesamt staatlicherseits an Darstellungen über den Umgang mit Minderheiten mangelt,36' so finden sich auch aus dieser Institution heraus in jüngster Zeit keinerlei Publikationen."" Lediglich in der ersten Hälfte der 90er

359 Sejm-Kommission für Minderheiten, Bulletin Nr. 50, 19.10.99, 3. Kadenz. 360 Statistik DMN 2000. 361 Vgl. Bulletin der Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 51, 22.10.99, 3. Kadenz. 362 Eine Ausnahme ist das Sejm-Büro flir Studien und Expertisen, das in der ersten

Hälfte der 90er Jahre einige Berichte zu Minderheiten vorlegte. 363 Vgl. Hintergrundgespräch mit Department-Mitarbeiterin Hanna Wawrzyk, Warschau

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Jahre sind im Abstand von einem Jahr zwei Dokumentationen über Minderheiten publiziert worden: Zum einen 1994 ein Bulletin "Nationa­le Minderheiten in Polen im Jahr 1993",364 zum anderen der bis heute nicht aktualisierte "Informator 1994" über Minderheiten in Polen, der von der Sejm-Kommission für Minderheiten herausgegeben wurde, jedoch eine Anfertigung des Büros beim Kulturministerium war.'6S Die in dieser Publikation sichtbare damalige enge Verknüpfung zwischen Minderheitenbüro und Parlamentskommission, also zwischen einer exe­kutiven und einer legislativen Institution, scheint auch nach außen hin ähnlich deutlich geworden zu sein. Diese mangelnde Publikationstätig­keit zeigt, dass der Aufgabe der Popularisierung von Minderheitenthe­men innerhalb der polnischen Gesellschaft somit zumindest auf diesem Wege kaum nachgekommen wurde.

Interaktion mit Adressaten In Bezug auf die Interaktion mit den Adressaten des Minderheitenbüros bzw. -departments ist bereits deutlich geworden, dass sich die Instituti­on nachhaltig bemüht, die von ihr finanzierten Veranstaltungen zu besu­chen. Es existieren jedoch keine regelmäßigen Treffen zwischen Minis­terium und Minderheiten. Eine Department-Mitarbeiterin bezeichnete die Parlamentskommission für Minderheiten als den eigentlichen Ort der Kommunikation zwischen staatlichen Einrichtungen und Minderhei­ten.'66 Seit 2000 bietet auch die interministerielle Arbeitsgruppe für Minderheiten die Plattform für ein Gespräch.367

Ein interessantes Beispiel für die Praxis der Interaktion zwischen Department und Minderheiten bildet eine Kommissionssitzung vom Frühjahr 1998. Hier wurden die Chefredakteure von verschiedenen durch das Kulturministerium geförderten Minderheitenzeitschriften eingeladen, um gemeinsam mit dem anwesenden Department-Direktor Zawisza über Probleme der Produktion und Finanzierung der Zeitschrif­ten zu diskutieren (so waren auch die in diese Forschungsarbeit einbe­zogene Zeitschriften "Czasopis", "Niwa", "Zivot", "Ausra" und "Nasze Slowo" vertreten). Nach einer knappen Präsentationsrunde durch die Chefredakteure zeigte sich das Kommissionsmitglied Byra (SLD) er-

Juli 2001. 364 Biuro: Bulletin 1993. 365 Sejm Rzeczypospolitej Polskiej, Komisja Mniejszosci Narodowch i Etnicznych:

Informator 1994, Warszawa 1995. Das Redaktionsteam bestand aus den Büro­Mitarbeiterin; siehe Informator 1994 S.2. Zudem: Hintergrundgespräch mit der damaligen Direktorin Bogumila Berdychowska, Warschau 3.7.01.

366 Gespräch mit Hanna Wawrzyk, Warschau, 2.7.2001. 367 Siehe hierzu den Abschnitt weiter unten über die interministerielle Gruppe.

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staunt über diese Begegnung, da er von den Gästen die Forderung nach stärkerer finanzieller Unterstützung erwartet hätte. Hingegen habe er nur sehr schwache Signale in diese Richtung vernommen. Dies besorgte Byra: Es könnte doch nun der Eindruck entstehen, dass der Staat eigent­lich zu viel Geld für Minderheiten ausgebe. Die Replik auf diese Auf­munterung seitens eines Parlamentariers gab der ebenfalls geladene Vorsitzende des Bundes der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrai/kow w Polsee ), Miron Kertyszak, der darauf verwies, dass deswegen keine Rufe nach größerer Unterstützung zu hören seien, weil ohnehin klar sei, dass eine solche Forderung Kürzungen für den Bereich der Kulturveran­staltungen nach sich ziehe.368 Dieses Beispiel zeigt, dass sich ein knap­pes Jahrzehnt nach dem Systemwechsel ein eher nüchterner Umgang zwischen Minderheiten und Department herausgebildet hat: Das De­partment wird seitens der Adressaten mit einem gewissen desillusionier­ten Pragmatismus betrachtet, ihm wird weniger gestaltendes Potenzial zugesprochen. Vielmehr wird es lediglich als "Mittelvergabeinstitution" angesehen.

Legitimität Wenn auch diese vergleichsweise kleine Einheit der Ministerialverwal­tung nicht in erster Linie dem politischen Kräftefeld der zahlreichen Regierungswechsel unterlegen ist (so war Berdychowska von den Post­Solidarnosc-Regierung das Amt übertragen worden), so war die Position des Büros innerhalb des Kulturministeriums doch unablässig Bestandteil von Diskussionen, vor allem durch die Parlaments-Kommission. So bestehen etwa bis heute Forderungen nach einem eigenen Minderhei­tenbeauftragten der Regierung beziehungsweise einem eigenen Amt für Minderheitenfragen, wodurch bislang verteilte Kompetenzen gebündelt werden könnten. Somit bleibt auch nachhaltig die formale Legitimität des Minderheitendepartments als Bestandteil des Kulturministeriums umstritten. Bogumila Berdychowska stellte nach ihrem Rücktritt sogar die These auf, dass beispielsweise der damalige Kulturminister das Minderheiten-Büro als "negative Erbschaft" der Mazowiecki-Regierung in der Struktur seines Hauses angesehen habe. 369

368 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 31.3.1998, Nr. l3, 3. Kadenz. 369 Die These Berdychowskas einer damals unliebsamen Position des Büros innerhalb

des Ministerium wurde verschiedentlich geäußert; Franaszek in Osteuropa-Archiv 1996, S. 469. So mutmaßte Klaus Bachmann, dass das Ziel der damaligen Politik im Kulturressort eine Rückverlagerung der Minderheitenkompetenzen in das Innenmi­nisterium gewesen ist; Bachmann, Klaus: Polen verschärft Politik gegen Minderhei­ten, in TAZ, l3.12.1994, S. 9.

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Die Elemente der subjektiven Legitimität dieser Institution sind bereits im Verlauf obiger Analyse deutlich geworden. So konnte zum einen gezeigt werden, dass die Einschätzung der Tätigkeit des Büros seitens der Minderheiten in der ersten Hälfte der 90er Jahre ausgesprochen positiv war. Seither wurde das Department hingegen vor allem als "Geldverteilstelle" wahrgenommen, ohne dass ihm weitere politische Gestaltungskraft zugesprochen wurde. Da der Institution somit immer­hin die Erfüllung ihrer Aufgaben zugesprochen wurde, lässt sich den­noch von einer wenn nicht positiven, so doch zumindest einer "neutra­len" subjektiven Legitimität sprechen. Dieser Befund ist für diese Stu­die umso bedeutsamer, da das Kulturministerium als Finanzier der ana­lysierten Minderheitenverbände quasi das institutionelle Gegenstück, also eine Pendant-Institution darstellt, welche die Verbände erst lebens­fähig macht.

Effektivität Es hat sich gezeigt, dass das Minderheitenbüro bzw. Department seine faktische Hauptaufgabe der Finanzierung von Minderheitenaktivitäten im Großen und Ganzen erfüllt und dabei solide Kontrollmechanismen zur Anwendung kommen. Dass dabei die Förderung der Minderheiten­zeitschriften dauerhaft einen Schwerpunkt der Förderung ausmacht, ist letztlich Ergebnis der Haushaltslage: Ein umfangreicheres Budget wür­de auch größere Fördermöglichkeiten für kulturelle Initiativen bedeuten. Jedoch erstaunt es, dass auch in den späten 90er Jahren, in denen eigent­lich von einer konsolidierten Tätigkeit des Departments auszugehen ist, noch vorübergehend beachtliche Zahlungsschwierigkeiten auftauchten. Auch die aus Finanzmangel nicht verwirklichte Publikation des De­partments im Jahr 2001 zeugt von einer weiteren finanztechnischen "Panne". Effektivitätsschwierigkeiten existieren somit vor allem durch knappe Zuteilungen aus dem Staatshaushalt.

Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Bedeutung der Büros bzw. De­partments im Verlauf des letzten Jahrzehnts einem starken Wandel un­terlegen ist. Die Bedeutung war innerhalb der ersten Jahre als zentrale Anlaufstelle für Minderheitenfragen außerordentlich hoch. In diesen Jahren war die Problemlösungskapazität und somit die Effektivität sehr ausgeprägt. Das Büro wies als gestaltende Instanz größere faktische als formale Kompetenzen auf. 370 Nach dem Wechsel in der Führung des

370 Dieser Befund deckt sich beispielsweise auch mit der Feststellung des Minderhei­tenexperten Lodziilski. Dieser erklärte, dass die Position des Büros bis 1994 um vieles höher gewesen sei als sein formaler Status; Lodziilski in Centrum 1998, S.51.

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Büros glichen sich nach und nach faktische und formale Kompetenzen einander an. Dies muss nicht unbedingt nur den jeweiligen Führungen zugeschrieben werden, sondern kann als durchaus typisch für die "Pio­nierjahre" der Minderheitenpolitik der ersten Transformationsphase gelten.

3.2 Schwere Erblast - Die Abteilung für Angelegenheiten nationaler Minderheiten im Innenministerium

"Institutional history " und Institution building Das Innen- und Verwaltungsministerium ist eine Institution, deren Vor­geschichte zum Verständnis der heutigen minderheiten bezogenen Auf­gaben relevant ist. Wie im Kapitel zu den Minderheitenverbänden be­reits angedeutet wurde, oblag dem Innenministerium innerhalb der Volksrepublik Polen die Aufsicht und Finanzierung der (in den 50er Jahren gegründeten) Minderheitenverbände. Angesiedelt war diese Auf­gabe innerhalb eines sogenannten gesellschaftlich-administrativen De­partments. Die Beaufsichtigung der Minderheitenverbände fand durch eine umfassende Kontrolle ihrer Tätigkeit statt, beispielsweise durch die Teilnahme von Ministeriumsmitarbeitern an Hauptversammlungen.37'

Jedoch war in der Volksrepublik nicht nur das Innenministerium für Minderheiten zuständig, die prägende Kraft der Minderheitenpolitik war das Zentralkomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR).372

Die "Gängelung" der Minderheitenverbände durch das Innenminis­terium geschah auf verschiedene Arten. So verliefen die Gründungspro­zesse der sozio-kulturellen-Gesellschaften unter exakter Kontrolle des Innenministeriums.'" Beispielsweise war dem Ministerium 1958 die Zusammensetzung des Vorstandes der Litauischen sozio-kulturellen Gesellschaft nicht parteitreu genug, weshalb es erfolgreich Einfluss auf die Zusammensetzung dieses Gremiums nahm.374 Zudem versuchte die Behörde zwischenzeitlich die lemkischen Funktionsträger innerhalb der Ukrainischen sozio-kulturellen Gesellschaft als staatsfeindliche Elemen­te und eine und durch "imperialistische" Emigranteneinflüsse geprägte Gruppe zu diffamieren, obwohl - paradoxer Weise - die Mehrzahl der

371 Vgl. hierzu beispielhaft ftlr die Lage der Litauer: Tarka 1998, S. 121. Die Teilnahme sowohl von Vertretern des Zentralkomitees als auch des Innenministeriums an Hauptversammlungen des litauischen Verbandes war ein wiederkehrendes Phäno­men, ebda. S. 94.

372 Mironowicz 2000, S. 138. 373 Siehe beispielhaft ftlr die Ukrainer: Drozd, 1998, S. 210. 374 Tarka 1998, S. 87.

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Betroffenen treue Parteigänger waren.'75 Insgesamt sollten die sozio­kulturellen Gesellschaften vor allem ein staatliches Kontrollinstrument darstellen. 376

Dass Überwachungsbehörden der vormaligen Systeme nach dem Systemwechsel in den Transformationsstaaten Ostmittel- und Osteuro­pas diskreditiert waren, ist naheliegend. Somit ist es auch nicht erstaun­lich, dass das Innenministerium als vormalige Überwachungsinstanz der Minderheiten bei diesen diskreditiert war und nicht mehr als Ansprech­partner für eine neue Zusammenarbeit angesehen wurde. Als ein wesent­liches Hindernis erschienen vor allem die personellen Kontinuitäten in der Behörde: Das polnische Innenministerium wurde zunächst noch von dem "alten Kader" General Kiszczak geführt, der für das Regime die Gespräche mit Lech Walesa am Runden Tisch geführt hatte. 377 Der Druck auf Mazowiecki war gewachsen, da parlamentarische Untersuchungen über staatliche Verbrechen an Oppositionellen General Kiszczak als politisch Verantwortlichen ausgemacht hatten.37"

Auch noch während der minderheitenpolitischen Krise von 1994, als die damalige Direktorin des Minderheitenbüros im Kulturministerium Bogumila Berdychowska zurücktrat, ging der Polenkorrespondent Klaus Bachmann nach wie vor von personellen Kontinuitäten solcher Mitar­beiter im Innenministerium aus, die in der Zeit der Volksrepublik die Minderheiten geheimdienstlich beobachtet hatten. Diese These wird noch übertroffen durch Bachmanns Feststellung, dass der polnische zivile Geheimdienst UOP die Minderheiten auch zum damaligen Zeit­punkt noch überwachte. 379

Während der Phase der postkommunistischen SLD-PSL-Koaltion (damals geführt von W. Cimoszewicz) kam es im Sommer 1996 zu einer Reform der Ministerienstruktur, in deren Verlauf das Innenministerium aufgelöst wurde und mit dem Ministerium für Inneres und Verwaltung eine Art "Superministerium" geschaffen wurde (das seine Tätigkeit An­fang 1997 aufnahm). Zudem wurden dem Innenressort die Kompetenzen für den Staatsschutz entzogen und diese direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt."'"

375 Mironowicz 2000, S. 174. 376 Sakson in Welttrends 2000, S. 64. 377 Bingen in Wöhlke 1991, S. 212 und S. 207. 378 Bachmann, Klaus, Polens Minister Kiszczak geht's an den Kragen, Taz, 3.7.1990,

S.9. 379 Bachmann, Klaus: Polen verschärft Politik gegen Minderheiten, in TAZ,

13.12.1994, S.9. 380 Siehe Bingen, 1998, S. 81, sowie zudem Rozporzl\dzenie Prezesa Rady Ministr6w,

vom 24.12.1996, Dz. U. 31.12.1996, Nr. 157, Pos. 799.

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In formaler Hinsicht vollzog sich im Rahmen dieser Reform eine von den Minderheiten stets gefürchtete Rückführung381 von Minderheiten­kompetenzen in dieses neue Ministerium, denn seit dieser Reform ob­liegen formell alle Minderheitenangelegenheiten - insofern sie nicht anderen Institutionen vorbehalten sind - dem Innen- und Verwaltungs­ministerium.382 Dies bedeutet, dass alle ungeklärten Kompetenzen, die nicht in den Bereich anderer Ressorts - wie beispielsweise in die des Kultur- und des Bildungsministeriums - fallen, automatisch dem Innen­und Verwaltungsministerium zugeordnet sind. Innerhalb des Ministeri­ums befassen sich nach der Reform sowohl ein sogenanntes Staatsbür­gerschaftsdepartment als auch ein Department für Migration und Flücht­linge mit Minderheitenangelegenheiten.383 Entsprechend der Logik dieser Reform wurde eine 1997 geschaffene interministerielle Arbeitsgruppe für Minderheitenangelegenheiten organisatorisch bei diesem Ministeri­um angesiedelt. Innerhalb des Ministeriums wurden jedoch nur geringe Ressourcen für Minderheiten bereitgestellt, was anhand einer etwas kleinlaut wirkenden Vorstellung der Reform durch den Direktor des Staatsbürgerschafts-Departments vor der Parlamentskommission deut­lich wurde: Obwohl das Innenministerium keine Finanzmittel und auch nur weniger als zwei Mitarbeiterstellen 384 zur Verfügung stellen könne, so wolle man doch versichern, dass das Ministerium großes Wohlwollen für die Anliegen der Minderheiten habe'" - eine eher hilflos erscheinen­de Reaktion auf diese neue Aufgabe.

Obwohl das Innen- und Verwaltungsministerium somit erneut (seit dem Systemwechsel) eine (zumindest theoretisch) umfassendere Zuständigkeit für Minderheitenfragen übernommen hatte, existierte in den folgenden Jahren keine spezifische Einrichtung, die sich aus­schließlich mit Minderheiten befasste. Zur Gründung einer solchen Institution, einer Abteilung für die Angelegenheiten nationaler Minderheiten", kam es erst drei Jahre später im Januar 2000. 386

381 Vgl. beispielsweise Aussage Jacek Kurons unmittelbar nach der Reform über die Sorgen der Minderheiten, dem Innenressort unterstellt zu werden; Bulletin d. Sejm­Kommission für Minderheiten, Nr. 62,18.3.1997.

382 Gesetz vom 21. Juni 1996 über das Amt des Ministers für Angelegenheiten des Inneren und der Verwaltung, Art. 3, Absatz 11, Dz.U. 1996, Nr. 106, Pos. 491.

383 Vgl. hierzu l..odzinski in Centrum 1998, S.50. 384 Vermutlich also 1 Vz Stellen. 385 Aussage des Direktors des Staatsbürgerschafts-Departmets, Bulletin d. Sejm­

Kommission für Minderheiten, Nr. 60, 21.1.1997, 2. Kadenz. 386 Wydzial do Spraw Mniejszosci Narodowych: Mniejszosci narodowe w Polsce,

Warschau 2000 (Informationsheft der Abteilung für Minderheitenangelegenheiten), S. 9 (im Folgenden zitiert WydziaI2000).

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Die Bildung dieser Abteilung geschah zeitgleich mit der Neubesetzung der Position des Vorsitzenden der interministeriellen Gruppe für Min­derheitenangelegenheiten und der damit verbundenen "Wiederbelebung" der bislang ineffektiven Institution (siehe dazu den folgenden Ab­schnitt). Die Aktivierung der interministeriellen Gruppe war eine Reak­tion auf eine Forderung der Parlamentskommission. Die Gründung die­ser kleinen minderheitenrelevanten Institution stand somit eindeutig im Schatten der Aktivierung der interministeriellen Arbeitsgruppe. 387

Institutionelle Konfiguration

Struktur Das heutige Ministerium für Inneres und Verwaltung verfügt derzeit über 22 Departments und sogenannte Büros, die die wesentlichen orga­nisatorischen Einheiten des Ministeriums bilden. 38' Minderheitenfragen sind mit ihrer Ansiedlung im Department für Staatsbürgerschaftsfragen dem innenpolitischen, nicht dem verwaltungspolitischen Bereich zu­geordn et. 389

Das Department für Staatsbürgerschaftsfragen hat - abgesehen von der minderheitenbezogenen Aufgabe - vor allem Kompetenzen im Be­reich von Personenstandsangelegenheiten. Dies sind Fragen von Perso­nalausweisen und Pässen, Fragen des Familienstandes wie Regelungen zu Eheschließungen, Geburts- und Sterbeurkunden. Hinzu kommt die Zuständigkeit für "Repatriierungen", worunter primär die Rückkehr von Russlandpolen aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion verstan­den wird. 390 Die inhaltliche Zuordnung von Minderheitenfragen zu die­sem Department für Staatsbürgerschaftsfragen suggeriert fraglos auf den ersten Blick, dass die betroffenen autochthonen (also historisch in ihren Gebieten ansässigen) Minderheiten spezifischer staatsbürgerlicher Re­gelungen bedürfen und sie somit keine "normalen" polnischen Bürger seien. Eine mögliche Logik dieser Zuordnung lässt sich lediglich für eventuellen Regelungsbedarf minderheitensprachlicher Namenseintra-

387 V gl. hierzu die Aussage von Unterstaatssekretärs Stachanczyk vor der Kommission im Februar 2000; Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, 15.2.2000, Nr, 59,3. Kadenz.

388 Anordnung des Ministers für Inneres und Verwaltung, Nr. 1 2001 vom 12. Januar 2001.

389 Die Aufteilung und Zuordnung zwischen "Innerem" und "Verwaltung" wurde durch den Ministerpräsidenten festgelegt. Siehe Erlass des Ministerpräsidenten vom 5.11.1999 zur Frage des Statuts des Ministeriums für Inneres und Verwaltung.

390 V gl. hierzu Sprawy obywatelskie, http://www.mswia.gov.pl/zadania.html (01.08.01).

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gungen in Pässen und Personalausweisen erkennen, was beispielsweise vor der Ministerienreform als primäre minderheitenrelevante Aufgabe des Innenministeriums angesehen wurde. 391

Einen anderen Charakter hat die neue Abteilung für Minderheiten­angelegenheiten. Dabei lassen sich - ähnlich wie beim Büro bzw. De­partment des Kulturministeriums - sowohl Kompetenzen feststellen, die sich auf die Minderheiten beziehen als auch solche, die auf die Regie­rungsorganisation ausgerichtet sind. So soll die Abteilung Vorschläge entwickeln für staatliche Konzepte bezüglich der Minderheiten, Klagen über die minderheitenbezogene Tätigkeit der Regierungsadministration überprüfen sowie Stellungnahmen zu gesetzlichen Regelungen erarbei­ten, die das Innenressort und die Minderheiten betreffen. Zudem soll die Abteilung Informationen zu Minderheitenfragen für Sejm und Senat bereitstellen und mit Selbstverwaltungsorganen kooperieren, um örtli­che Belange der Minderheitenangelegenheiten zu realisieren. Die Abtei­lung soll somit nicht nur in die Exekutive hineinwirken, sondern ebenso eine Informationsfunktion gegenüber der Legislative wahrnehmen. 392

Eine koordinierende Funktion der Abteilung, wie sie der frühere Unter­staatssekretär, Vizekulturminister und kurzzeitige Regierungsbeauftrag­te für Minderheitenfragen Michal JagieHo im Jahr 2000 dem Innenmi­nisterium insgesamt zuschreibt, lässt sich jedoch zumindest aus den Kompetenzen der Abteilung nicht ableiten.39' Zudem soll die Abteilung Kontakt zu den Minderheitenverbänden halten und ihnen - ganz allge­mein formuliert - Hilfen gewähren.'94 Dabei zeigt sich, dass auch hier -ebenso wie beim Vorgehen des Kulturministeriums - als Bezugspunkt der Interaktion zwischen staatlicher Seite und den Minderheiten primär die Verbände im Blickfeld stehen, jedoch keine Kulturhäuser der Min­derheiten o.ä. Zwar entspricht dies in der Praxis dem geeignetsten Weg eines ertragreichen Kontakts zwischen Minderheiten und Behörde, den­noch fallen aus diesem Fokus prinzipiell die nichtorganisierten Teile der Minderheiten heraus. Zudem bedeutet diese Schwerpunktsetzung unbe­streitbar eine Kontinuität zur Volksrepublik im Verständnis davon, wer bei den Minderheiten überhaupt Ansprechpartner sein kann.

Dieses Kompetenzprofil der Abteilung für Minderheitenangelegen­heiten weist keinerlei logischen Bezug zu einer administrativen Unter-

391 Pietrewicz, Miroslawa: Zadanie Administracji RZlldowej dotyczllce przestrzegania praw mniejszosci narodowych w Polsce, Gabinet Wiceprezesa Rady Ministr6w, Warschau April 1996, S. 5.

392 Wydzial 2000, S. 9 f. 393 Jagiello, Michal: Wsp61nota w kulturze, Manuskript, Warschau 2000, S. 11. 394 Wydzial2000, S. 10.

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ordnung unter das Staatsbürgerschafts-Department auf, sondern könnte ebenso beispielsweise direkt dem Amt des Ministerpräsidenten zuge­ordnet sein (die Schaffung einer dortigen Einrichtung zählte beispiels­weise in den vergangenen Jahren wiederholt zu den Forderungen der Parlamentskommission). So betonte auch der Leiter dieser Abteilung, dass das Department "nur den Rahmen" bildet, jedoch in seiner Abtei­lung keinerlei Staatsbürgerschaftsfragen behandelt würden, sondern vielmehr Minderheitenfragen insgesamt Gegenstand der Abteilung sei­en.395 Aus institutioneller Perspektive ergibt dies ein ambivalentes Bild: Auf der einen Seite bedeutet diese wenig stringente Zuordnung von Minderheitenangelegenheiten unter das Staatsbürgerschaftsdepartment eine formale Kontinuität eines institutionellen Verständnisses, bei dem im alten System Minderheiten nicht als "normale" Staatsbürger gesehen wurden (auch wenn das damals zuständige Department eine andere Be­zeichnung hatte). Dabei ließe sich in Anlehnung an von Beyme von einem nominellen institutionellen Überleben alter institutioneller Anla­gen sprechen.396 So kam die Schaffung einer eigenen minderheitenbezo­genen Einrichtung innerhalb des Innenministeriums mehr als zehn Jahre nach dem Systemwechsel zwar zu einem relativ späten Zeitpunkt, und die formale Zuordnung innerhalb des Ministerium repräsentiert zudem eine gewisse - vielleicht auch unbedachte - Kontinuität eines "alten Denkens" gegenüber Minderheitenfragen, jedoch entspricht die inhaltli­che AufgabensteIlung in keiner Weise diesem äußeren formalen Muster.

Arbeitsweise Der Blick auf die minderheitenrelevante Arbeitsweise im Innenministe­rium soll sich primär auf die Tätigkeit der Abteilung für Minderheiten­angelegenheiten beziehen. Trotz der breiteren Palette an formalen Kom­petenzen stellt nach Aussage des Abteilungsleiters Rzemieniewski die Betreuung der interministeriellen Gruppe in der Praxis die zentrale Tä­tigkeit der Abteilung dar. 397 Zudem ist der Abteilungsleiter qua Funktion automatisch Sekretär der interministeriellen Gruppe,398 so dass die Ver­knüpfung zwischen Abteilung und Arbeitsgruppe eng ist. Rzemie­niewski hat dementsprechend für die interministerielle Arbeitsgruppe Themen vorzubereiten oder leitet zum Teil die Sitzungen. 399

395 Interview mit Rzemieniewski, 13.12.2000, Warschau. 396 Beyme, Systemwechsel 1994, S. 231. 397 Interview mit Rzemieniewski 13.12.2000, Warschau. 398 Wydzial2000, S. 10. 399 V gl. die Protokolle der interministeriellen Gruppe.

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Faktisch bietet die Position der Abteilung gegenüber der interministe­riellen Gruppe große Chancen einer inhaltlichen Einflussnahme, indem bestimmte Themen entsprechend kontinuierlich vorbereitet und verfolgt werden können. Dies zeigt sich bereits trotz der kurzen Zeit der Exis­tenz der Abteilung durch die Initiierung und Ausarbeitung eines soge­nannten "Regierungs-Pilot-Programmes" zur Hilfe der Minderheit der Roma in der Wojewodschaft Kleinpolen, das im Jahr 2001 angelaufen ist. Der Beschluss zur Etablierung eines solchen Programms wurde in der ersten Sitzung der aktivierten interministeriellen Gruppe gefasst und in weniger als einem Jahr realisiert.400 Obwohl auch der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Unterstaatssekretär Piotr Stachanczyk, diese inhaltliche Entwicklung maßgeblich geprägt hat,<Olso gilt doch das Roma-Programm als "geistiges Kind" der Abteilung bzw. ihres Leiters.402 Dennoch waren auch die lokalen und regionalen Behörden sowie die Roma­Organisationen und andere Nichtregierungsorganisationen in die Pro­grammerstellung involviert.403

Das Roma-Programm soll zur Veranschaulichung der inhaltlichen Arbeit der Ministeriums-Abteilung im Folgenden kurz skizziert werden: Wie in zahlreichen anderen ostmittel- und osteuropäischen Staaten, so existiert auch in Polen eine Minderheit von Roma, deren Alltag von starken sozialen Schwierigkeiten und einem konfliktreichen Verhältnis zwischen Mehr- und Minderheit geprägt ist. Vor allem in der entspre­chenden Wojewodschaft, rlir die dieses Programm initiiert wurde, liegt die geschätzte Arbeitslosigkeit dieser Minderheit bei über 90 Prozent."" Dies geht einher mit zumeist katastrophalen Lebensbedingungen, viel-

400 Der Beschluss fiel im März 2000; Protokoll der interministeriellen Gruppe vom März 2000 Protokoll der März-Sitzung. Die gültige Skizze des Roma-Programms trägt das Datum Februar 2001, Pilotprogramm 2001.

401 Beispielsweise stellte Stachanczyk das neue Roma-Programm und die Arbeit der interministeriellen Gruppe sehr differenziert vor der Parlamentskommission vor, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 71,31.1.2001,3. Kadenz.

402 Protokoll der VIII. Sitzung der Interministeriellen Gruppe vom 1. März 2000 sowie Interview mit dem Beauftragten für Minderheitenfragen in der Wojewodschaft Kleinpolen Artur Paszko, in der das Roma-Programm anläuft; 4. Juli 2001, Krakau. Dementsprechend findet sich in einem älteren Projektentwurf auch das Staatsbürg­schafts-Department als Autor des Programms, in der endgültigen Fassung ist dies das Innen- und Verwaltungsministerium. Siehe Departament Obywatelstwa MSWiA: RZll:dowy program na rzecz spolecznosci romskiej w wojew6dztwie malopolskim (projekt), Warschau September 2000, und Ministerstwo Spraw Wewn~trznych i Administracji: Pilotazowy pro gram rZlldowy na rzecz spolecznosci romskiej w wojew6dztwie malopolskim na la ta 2001-2001, Warschau Februar 2001 (im Folgenden zitiert Roma-Programm 2001).

403 Pilot-Projekt 2001 S. 8. 404 Aussage Artur Paszko und Pilotprogramm 2001, S. 15.

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fach einer Existenz unterhalb der Armutsgrenze, schlechten Gesund­heitsbedingungen und unzureichender Schulausbildung.40S Das Pilot­Programm zur Hilfe für die Roma ist mit einem geplanten Gesamtvolu­men von 20 Millionen Zloty406 ausgesprochen umfangreich angelegt. Jedoch soll das Projekt nicht nur der Behebung von sozialen Problemen dienen, sondern zugleich sollen "Sicherheitsfragen" gelöst werden, also die problematische Beziehung zwischen Minderheit und Polizeibehör­den verbessert werden. Beide Seiten sollen insgesamt zum vorurteils­freieren Umgang bewegt werden.407 Zudem soll mit dem geplanten Ab­bau von Vorurteilen zwischen Mehr- und Minderheit sowie der geplan­ten Förderung kultureller Roma-Aktivitäten auch eine originäre Aufgabe des Kulturministeriums in dieses Programm aufgenommen werden, so dass die Roma-Minderheit für die Laufzeit dieses Pilotprojektes bis 2003 mit zusätzlichen Kulturmitteln rechnen kann.408 Zu jedem dieser Problembereiche sind konkrete Projekte geplant, wobei jeweils unter­schiedliche Projektträger oder -partner vorgesehen sind. So soll mit Schulen, kommunalen Behörden, Minderheitenverbänden oder auch Polizeibehörden kooperiert werden. Insgesamt sollen über 200 Projekte realisiert werden.409

In weniger als einem Jahr ist es somit gelungen, ein umfassendes Regierungsprogramm für einen der sensibelsten Bereiche des Minder­heitenschutzes zu realisieren. Auch wenn das Programm ebenso ein Ergebnis der Arbeit der interministeriellen Gruppe darstellt, so fällt die schnelle Entstehung dieses Pilotprojektes doch vor allem auf die Abtei­lung fur Minderheitenangelegenheiten zurück. Das Programm - das auch formal im Innen- und Verwaltungsministerium angesiedelt ist _,.10 kann sicherlich als ein deutliches Zeichen für eine prinzipiell mögliche konstruktive Minderheitenpolitik innerhalb dieses Ministeriums gewer­tet werden.

405 Siehe Pilotprogramm 200l. 406 Pilotprogramm 2001 S. 26. Aus dem Regierungsbudget sollen insgesamt 13,5 Milli­

onen Zloty fließen, zudem 4,7 Millionen aus lokalen Budgets und 2,3 sollen durch weitere Geldgeber aufgebracht werden.

407 Angesprochen wurden hier beispielsweise eine nachlässige Reaktion der Polizeior­gane auf rassistische Angriffe auf Roma oder die fehlende Bereitschaft der Roma mit der Polizei zu kooperieren.

408 Vgl. Pilotprogramm 2001. 409 Siehe Skizze der Einzelprojekte des Pilotprogramms, 2001. 410 In der Projektskizze tritt das Ministerium als Trägerin auf, Pilotprogramm 2001.

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Effektivität Aus der Perspektive der Institutioneneffektivität stellt das Roma­Programm ein Beispiel dafür dar, dass diese erst kurz existierende Ab­teilung ein hohes Maß an Implementationsleistung und Problemlö­sungskapazität aufweist. Dieses Potenzial ist vor allem deswegen nutz­bar, weil Vorhaben in der Abteilung unmittelbar in die interministerielle Gruppe hineingetragen werden können, wo eine schnelle innerexekutive Einigung möglich ist. Bei dortiger Zustimmung der verschiedenen Mi­nisterien ist ein schneller Weg der Realisierung gegeben. Die oben skizzierten minderheitenbezogenen formalen Kompetenzen der Abteilung, wie beispielsweise die Gewährung von Hilfen für Minderheiten, finden somit am ehesten auf diesem Wege statt. Die formale Zuordnung der Abteilung zum Staatsbürgerschafts-Department scheint sich somit auf die praktische Arbeit, die in der Tat keine Verbindung zu Staatsbürgerschaftsfragen aufweist, nicht weiter auszuwirken. Ob sich diese hohe Effektivitätsleistung der Abteilung auch auf andere Minderheiten und Problembereiche erstrecken wird und somit zum Regelfall wird, bleibt abzuwarten und kann zu diesem Zeitpunkt der Analyse noch nicht beantwortet werden.

Interaktion mit Institutionen Bei der Frage der Interaktion zwischen einzelnen Institutionen sind auch für diese Institution die Debatten der Parlamentskommission für Min­derheitenfragen aufschlussreich. Die Minderheitenpolitik des Innen­bzw. Innen- und Verwaltungsministeriums war innerhalb der Parla­mentskommission für Minderheitenfragen im Verlauf der letzten Dekade nur selten Gegenstand der Diskussion, und das Ministerium ist dort kaum als Akteur in Minderheitenfragen in Erscheinung getreten. 4l !

Selbst die Reform des Ministeriums 1997 und die damit verbundene neue Zuständigkeit für Minderheitenfragen wurden eher gelassen und vor allem ohne Diskussion zur Kenntnis genommen.412 Größere Debatten riefen zeitgleich die vorübergehende Einberufung eines Minderheiten­beauftragten im Innen- und Verwaltungsministerium und der damalige erste Versuch der Schaffung einer interministeriellen Gruppe hervor. Hier war die Kritik einer Zuordnung zum Innen- und Verwaltungsminis­terium sehr deutlich:13 Die im Jahr 2000 nochmals aufgenommene Tä­tigkeit der interministeriellen Gruppe, die vom Innen- und Verwal­tungsministerium repräsentiert wird, führte ebenfalls zu umfassenderen

411 Vgl. Protokolle der Sejm-Kommission 1.-3. Kadenz. 412 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 60, 21.1.1997,2. Kadenz. 413 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 62,18.3.19972. Kadenz.

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Debatten. Durch die Involvierung der Abteilung in die interministerielle Arbeitsgruppe existiert ein geregelter Kommunikationsweg mit anderen relevanten exekutiven Behörden auf diesem Wege.

Formale Legitimität Erkenntnisse zur formalen Legitimität von Minderheitenfragen inner­halb des Innen- bzw. Innen- und Verwaltungsministeriums lassen sich vor allem dadurch gewinnen, dass die Kompetenzzuschreibung in Min­derheitenangelegenheiten im Zuge der Ministerienreform 1997 per Par­lamentsbeschluss (und nicht beispielsweise innerexekutiv per Erlass) ergangen ist. Diese neue Aufgabe entstand somit zwar eher unter hoher formaler Legitimität. Durch die geringe Mittelausstattung innerhalb des Ministeriums (weniger als zwei Mitarbeiterstellen, keine Finanzmittel) war sie jedoch institutionell gesehen innerhalb des Ministeriums nach­rangig angesiedelt. Es zeigt sich somit in formaler Hinsicht eine legiti­matorische Ambivalenz einer eher hohen Entstehungs-, jedoch eher geringen Ausführungslegitimität. Nachgeholt wurde eine entsprechende institutionelle Umgestaltung innerhalb des Ministeriums durch die Gründung einer Abteilung für Minderheitenfragen erst mit dreijähriger Verspätung im Jahr 2000:14 Die Unterordnung dieser Abteilung unter ein Department, zu dem es inhaltlich keinerlei Verbindung hat und die sug­geriert, es handele sich bei den Minderheiten nicht um "normale" polni­sche Staatsbürger, bestätigt das ambivalente Bild der formalen Legitimi­tät.

Subjektive Legitimität Die subjektive Adressatenlegitimität des Innenministeriums als Institu­tion der einstigen Kontrolleure der Minderheiten ist vor allem in den Jahren nach dem Systemwechsel eher gering gewesen. Für die erste Hälfte der 90er Jahre, brachte die damalige Direktorin des Büros für Minderheitenfragen im Kulturministerium, Bogumila Berdychowska, die Beziehung zwischen Minderheiten und Innenministerium im Jahr 1993 auf den Punkt, als in der Parlamentskommission diskutiert wurde, ob eine eventuell einzurichtende Position eines zentralen Minderheiten­beauftragten auch beim Innenministerium angesiedelt werden könnte: "ln den Verbänden, die seit mehr als 30 Jahren tätig sind - es geht um die weißrussischen, ukrainischen, litauischen, slowakischen - existiert eine traumatische Beziehung zum Innenministerium. Es scheint, dass ohne eine Reorganisation des Innenministeriums tatsächlich eine Ent-

414 Vor 2000 waren die Minderheitenangelegenheiten einer Abteilung rur gesellschaft­liche Angelegenheiten und nationale Minderheiten untergeordnet.

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scheidung der Ansiedlung ... [ eines Minderheitenbeauftragten] im In­nenministerium durch die [Minderheiten-JVerbände schwierig zu akzep­tieren sein wird. "415

Folgt man der Bachmannschen These, dass auch Ende des Jahres 1994 noch zum Teil die gleichen Personen im Innenministerium be­schäftigt waren, die vor dem Systemwechsel für die Kontrolle der Min­derheiten zuständig waren, und dass zudem der polnische zivile Ge­heimdienst U~P auch zu diesem Zeitpunkt noch die Minderheiten beo­bachtete,4l6 so ist eine gewisse Skepsis seitens der Minderheiten gegen­über dem Innenministerium nicht erstaunlich.417 Zwar hat die oben von Berdychowska erwähnte Reorganisation des Innenressorts zu einem Innen- und Verwaltungsministerium stattgefunden. Da das Innenministe­rium jedoch bis zur Wiederbelebung der interministeriellen Gruppe und der Gründung der Abteilung im Jahr 2000 nur wenig in der Minderhei­tenpolitik in Erscheinung getreten war, kann sich erst in Zukunft her­ausstellen, ob vielleicht die neue Effektivität, die von der Abteilung für Minderheitenfragen angestoßen wurde, auch zu einer positiveren sub­jektiven Adressatenlegitimität führt.

3.3 Neue Chance der Koordination? - Die interministerielle Arbeitsgruppe für nationale Minderheiten

Im Folgenden soll mit der Interministeriellen Arbeitsgruppe für die Angelegenheiten nationaler Minderheiten eine Institution analysiert werden, die eine Koordination zentralstaatlicher exekutiver Minderhei­tenpolitik zum Ziel hat und an der als Querschnitts-Institution mehrere Ministerien und zentrale Behörden beteiligt sind.

Institution building Die Interministerielle Arbeitsgruppe41B stellt eine vergleichsweise späte institutionelle Gründung innerhalb des Transformationsprozesses dar.

415 Aussage von Bogumila Berdychowska vor der Sejm-Kommission rur Minderheiten, in: Bulletin Nr. 1354, 14.5.1993, Sitzung Nr. 18, I. Kadenz S. 6.

416 Siehe hierzu Bachmann, Klaus: Polen verschärft Politik gegen Minderheiten, in: TAZ 13.12.1994, S. 9.

417 Vgl. hierzu beispielweise auch die Aussage Jacek Kurons zur Diskussion um die Etablierung eines Minderheitenbeauftragten beim Innen- und Verwaltungsministeri­um. Kuroo. wies darauf hin, dass bis dahin (1997) alle Überlegungen. eine zentrale Einrichtung rur Minderheiten anzusiedeln, immer in einem Aufruhr seitens der Minderheiten geendet seien; Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 62,18.3.1997,2. Kadenz.

418 Eine wortwörtliche Übersetzung der polnische Bezeichnung wäre "Zwischenressort-

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Sie wurde erst im Juni 1997 ins Leben gerufen. Der Impuls ging von einem Erlass des damaligen Ministerpräsidenten Cimoszewicz aus:19 der an der Spitze der postkommunistischen Koalition des Bündnisses der demokratischen Linken (SLD) und Polnischer Bauernpartei (PSL) be­reits der dritte Ministerpräsident in dieser Legislaturperiode (1993-1997) war. Im Sommer 1997 war die politische Machtkonstellation u.a. davon geprägt, dass Meinungsumfragen bereits eine drohende Abwahl der SLD-PSL-Koalition prognostizierten. Dies führte unter anderem zur Beschleunigung der Verfassungsdebatte, so dass die polnische Verfas­sung im Frühjahr 1997 nach jahrelanger Debatte in neuer Form verab­schiedet werden konnte.42o Obwohl diese Verfassung neue Regelungen zum Minderheitenschutz enthielt, bildete dieser verfassungsmäßige Minderheitenschutz nicht den Ausgangspunkt für die Gründung der entsprechenden interministeriellen Gruppe.

Vielmehr fiel die Bildung der Arbeitsgruppe mit einer offiziellen Forderung der parlamentarischen Minderheiten-Kommission nach einer solchen Institution zusammen.421 Die Arbeitsgruppe wurde organisato­risch beim Innenministerium angesiedelt. 422 Dies geschah ein Jahr bevor letzteres zu einer Art "Superministerium"423 für Inneres und Verwaltung mutierte. Zumindest dem äußeren Anschein nach konnte diese Verortung eines solchen überressortlichen Gremiums beim Innenministeriums innerhalb der Minderheiten prinzipiell negative Erinnerungen an die "alte" Überwachungsfunktion vor dem Systemwechsel verstärken,'24 vor allem, weil die neue Zuständigkeit für Minderheitenfragen seit dem Systemwechsel zunächst an das Kulturministerium übergegangen war. In formeller Hinsicht bedeutete die Gründung der interministeriellen Gruppe die Wiederbelebung einer älteren Vorläuferinstitution, der im September 1990 vom ersten demokratischen Ministerpräsidenten Ma­zowiecki ins Leben gerufenen "Kommission für Angelegenheiten Natio-

liehe Gruppe flir Angelegenheiten nationaler Minderheiten". Dem deutschen Sprachgebrauch angepasst wird sie als interministerielle Gruppe bzw. Arbeitsgruppe bezeichnet.

419 Zarz'ldzenie Nr. 49, Prezesa Rady Ministr6w z dnia 20 czerwca 1997 r. w sprawie powolania Mi~dzyresortowego Zespolu do Spraw Mniejszosci Narowowych (im Folgenden zitiert Erlass zur Gruppe 1997).

420 Siehe Ziemer in Franzke 1998, S. 62. 421 Bericht der Minderheiten-Kommission, 2. Kadenz, S. 38. 422 Erlass zur Gruppe 1997, § 6: Die Betreuung der Gruppe garantiert das Ministerium

für Inneres und Verwaltung. 423 Bingen 1998, S. 81. 424 Vgl. die Hinweise zur negativen subjektiven Adressatenlegitimität des Innenminis­

teriums bei den Minderheiten im vorherigen Abschnitt.

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naler Minderheiten ", die beim Kulturministerium angesiedelt war. Ge­mäß eines entsprechenden Regierungserlasses wird die spätere Intermi­nisterielle Arbeitsgruppe als Fortführung dieser ersten Kommission verstanden.<zs Ein Blick auf die angestrebte Zusammensetzung dieser ersten Kommission zeigt, dass neben Vertretern diverser Ministerien auch verschiedene Wojewoden zu den Sitzungen hinzugebeten werden sollten. Auffallend ist hierbei, dass dies lediglich für die Wojewoden von Bialystok, Oppeln, Przemysl und Suwalki, also vier von 49 Woje­wodschaften, galt.426 Damit blieben die Wojewodschaften unbe­rücksichtigt, in denen vor allem die ukrainische Minderheit (in Nord­westpolen) und die deutsche Minderheit (ebenfalls Nordpolen sowie weitere schlesische Wojewodschaften) leben.427 Insgesamt blieb die Kommission jedoch eine brüchige Transformationserscheinung und stellte ihre Tätigkeit bereits im Oktober 1991 faktisch wieder ein.

Nach diesem Versuch zur Bildung einer koordinierenden Institution für Minderheitenpolitik wurde Mitte der 90er Jahre ein weiterer Versuch einer Wiederbelegung einer solchen Einrichtung unternommen, der frühzeitig scheiterte.42' Den Anstoß zur Gründung bot die Administrati­ons-Reform vom August 1996"29 die diese neue Option interministeriel­ler Einrichtungen erst eröffnete und alle Minderheitenfragen, die nicht anderen Ministerien vorbehalten waren, an das Innenministerium verla­gerte'<30 Da die Aufgabenstellung der heute bestehenden interministeriel­len Gruppe auf jener der Kommission von 1990 basiert,43! stellt auch in

425 Uchwala Nr. 142 Rady Ministr6w z dnia 7.9.1990 w sprawie powolania Komisji do Spraw Mniejszosci Narodowych, M.P. 90.34.274 vom 20.9.90 (im Folgenden zitiert Beschluss des Ministerrates Nr. 142, 1990), § 1 und Erlass zur Gruppe 1997, § 7. Siehe hierzu Informacja 0 umiejscowieniu problematyki mniejszosci narodowych w zreformowanej strukturze administracji rZl\dowej, (Informationspapier aus dem Innenministerium, o. Autor, o. Datum).

426 Es sei darauf verwiesen, dass zu diesem Zeitpunkt noch 49 kleinere Wojewodschaf­ten existierten und die Minderheiten dementsprechend in einer Vielzahl von Woje­wodschaften vertreten waren.

427 Siehe Beschluss des Ministerrates Nr. 142, 1990, § 1. 428 Gefordert wurde dies vom Gesellschafts-politischen Komitee beim Ministerrat, von

der Sejm-Kommission und dem Kulturminister, siehe: Begründung zum Entwurf ei­nes Ministerratsbeschlusses zur Veränderung des Beschlusses in der Frage der Ein­berufung einer Kommission für die Angelegenheiten Nationaler Minderheiten, vor­gesehen für Januar 1995. Vgl. zudem Informacja 0 umiejscowieniu problematyki mniejszosci narodowych w zreformowanej strukturze administracji rZl\.dowej (Informationspapier aus dem Innenministerium), o. Autor, o. Datum.

429 Ebda. 430 Ustawa z dnia 21 czerwca 1996 r. 0 urz((dzie Ministra Spraw Wewn((trznych

Administracji, Dz.U. z 1996 r., Nr. 106, Pos. 491, Art. 3, Punkt 11. 431 Vgl. Beschluss des Ministerrates Nr. 142, 1990 und Erlass des Ministerpräsidenten

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formaler Hinsicht die Interministerielle Gruppe somit eine Institutionen­Wiedergründung dar, mit der auf eine Transformationserscheinung aus der Zeit der Mazowiecki-Regierung zurückgegriffen wurde.

Institutionelle Konfiguration

Formale Kompetenz Die Arbeitsgruppe wurde als ein den Ministerpräsidenten beratendes Gremium geschaffen. Dementsprechend zählt zu den Aufgaben vor al­lem die Beurteilung aktueller Probleme und die Erarbeitung von Vor­schlägen an die Regierung, um die Lage der Minderheiten zu verbes­sern. Zudem soll sie Vorschläge zu einer besseren Koordination aller an Minderheitenfragen Beteiligten innerhalb der Regierungsadministration unterbreiten. Sie soll ebenfalls Überlegungen zur Popularisierung von Minderheitenthemen in der polnischen Gesellschaft anstellen und glei­chermaßen Forschungen zur Lage der Minderheiten initiieren.'32

Auffällig ist sowohl in der Aufgabenbeschreibung als auch in der Benennung der Arbeitsgruppe die durchgängige Verwendung des Termi­nus "nationaler Minderheiten", womit ethnische Minderheiten begriff­lich aus dem Aufgabenfeld ausgeschlossen sind. Dies weicht beispiels­weise ab vom Sprachduktus der Parlamentskommission, die sich "Sejm­Kommission für nationale und ethnische Minderheiten" nennt, ent­spricht hingegen aber der Benennung der entsprechenden Abteilung im Kulturministerium: "Department für die Kultur nationaler Minderhei­ten". In der Praxis jedoch beschäftigt sich die Arbeitsgruppe durchaus auch mit ethnischen Minderheiten.'''

Der Arbeitsgruppe wurden einige formelle Hinweise gegeben, wie sie zu agieren hat. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben soll sie neben einer Zusammenarbeit mit den Organen der Regierungsverwaltung auch mit Selbstverwaltungsorganen und "interessierten gesellschaftlichen Orga­nisationen" kooperieren. Zudem kann sie sich zu Fragen der Situation der Minderheiten an wissenschaftliche Institutionen und gesellschaftli­che Organisationen wenden und mit diesen zusammenarbeiten. Ebenso kann sie Gäste aus verschiedenen Bereichen zur Mitarbeit einladen"" Die Arbeitsgruppe soll kollegial agieren, kann eine eigene Ordnung

Nr. 49 vom 20. Juni 1997. 432 Erlass zur Gruppe 1997, § 3. Zudem ist die Übertragung weiterer konkreter Aufga­

ben durch den Ministerrat vorbehalten. 433 Vgl. beispielsweise Protokoll der VIII. Sitzung der Gruppe (1.3.2000), zentrales

Thema war die Lage der Roma in der Wojewodschaft Kleinpolen. 434 Erlass zur Gruppe 1997, § 4.

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beschließen und muss dem Ministerpräsidenten durch ihren Vorsitzen­den regelmäßig Bericht erstatten.'" Auffallend ist bei diesen Hinweisen, dass eine Kooperation mit Vertretern der Minderheiten keine explizite Erwähnung findet. Vielmehr bleibt es interpretierbar, inwiefern diese zu den so bezeichneten interessierten gesellschaftlichen Organisationen zählen, mit denen kooperiert werden soll.

In der eigenen Ordnung, die sich die Arbeitsgruppe zur Regelung ih­rer Tätigkeit gegeben hat, hat sie festgelegt, mindestens vierteljährlich zu tagen und dem Ministerpräsidenten durch ihren Vorsitzenden zwei­mal jährlich Bericht zu erstatten. Jedes Mitglied kann die Einberufung einer Sitzung sowie die Behandlung von Themen vorschlagen. Sollte ein Mitglied mit den getroffenen Entscheidungen nicht einverstanden sein, so kann es dies im jeweiligen Protokoll vermerken lassen.436

Akteurskonstellation Die oben erwähnte organisatorische Anbindung der Arbeitsgruppe an das Innenministerium korrespondiert damit, dass mit der Führung dieses Gremiums stets ein Unterstaatssekretär des Ministeriums betraut wurde, den stellvertretenden Vorsitz übernimmt ein Unterstaatssekretär des Kulturministeriums. Die weiteren Mitglieder bestehen aus (nicht weiter festgelegten) Vertretern des Bildungs-, des Justiz- und des Außenminis­ters sowie des Zentralen Statistikamtes. Diese Zusammensetzung wurde durch Premier Buzek im Mai 2000 dahingehend verändert, dass er zu­sätzlich Vertreter des Finanz-, Arbeits- und Innenministeriums berück­sichtigte.431 Das Innenministerium, das ja bereits den Vorsitzenden stellt, war somit (anders als das Kulturministerium)4J' zweifach (unter Hinzu­rechnung des Sekretärs sogar dreifach) in diesem Gremium vertreten.

Arbeitsweise Nach einer längeren Sitzungspause hat die Arbeitsgruppe erst im Früh­jahr 2000 ihre Arbeit wieder aufgenommen. Dieser Schritt wurde initi-

435 Ebda. § 5. 436 Vgl. Regulamin Mi~dzyresortowego Zespolu do Spraw Mniejszosci Narodowych, o.

Datum. Die vorliegende Kopie der Ordnung enthält zwar den Hinweis "Projekt", al­so "Entwurf", jedoch wurde sie durch einen Vertreter des Innenministeriums mit dem Hinweis ausgehändigt, dass es sich hierbei um die Ordnung der Gruppe han­delt. So kann davon ausgegangen werden, dass eine gültige Version vorliegt.

437 Zarzllodzenie Nr. 28 Prezesa Rady Ministr6w z dnia 8 maja 2000 r. zmieniajlloce zarzllodzenie w sprawie powolania Mi~dzyresortowego Zespolu do Spraw Mniejszosci Narodowych, § I (im Folgenden zitiert Erlass zur Gruppe 2000).

438 Hier hatte sich der Zuschnitt des Ministeriums geändert in "Ministerium für Kultur und Nationales Erbe", Erlass der Gruppe 2000 § 1.

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iert durch eine Forderung der Sejm-Kommission nach einem Zentrum zur Koordination der minderheitenbezogenen Regierungsarbeit. 439 Die Schaffung eines solchen Zentrums wurde jedoch seitens der Regierung mit Verweis auf die interministerielle Gruppe abgelehnt. Gleichzeitig wurde jedoch ein neuer Vorsitzender für diese Gruppe benannt und eine intensivere Tätigkeit der Gruppe gegenüber der Kommission zugesagt. 440

Die Parlamentskommission sorgte somit zur Neubelebung dieser Ar­beitsgruppe.

In ihrer ersten Sitzung des neuen Sitzungsturnus befasste sich die Arbeitsgruppe auf Initiative ihres Vorsitzenden mit der Lage der Roma und beschloss die Initiierung und Ausarbeitung eines Regierungs­Hilfsprogramms für Roma in der Wojewodschaft Kleinpolen, wo die Situation besonders konfliktträchtig erschien:4l

In seiner bereits einen Monat später folgenden Sitzung vom April 2000 hatte die Arbeitsgruppe mit dem Ziel, neue Modelle der Zusam­menarbeit zwischen Regierung und Minderheiten in ihren jeweiligen Wohngebieten auszuarbeiten, vergleichsweise "prominente" Gäste gela­den: So berichtete Professor G. Janusz, Toruner Experte für Minderhei­tenfragen, über einige Aspekte zum Thema Minderheiten in den Selbst­verwaltungswahlen. Außerdem erläuterte Wiktor Marek Leyk, Beauf­tragter für Minderheitenfragen beim Marshall der Wojewodschaft Erm­land-Masuren, über seine Tätigkeit. Zudem berichtete Danuta Berlinska, Beraterin für Minderheitenfragen in der Wojewodschaft Oppeln, über ihre Arbeit. 442 Anders als in der vorangegangenen Sitzung, in der die Behörden und Ministerienvertreter unter sich geblieben waren, sollte diesmal ein inhaltlicher "input" seitens externer Experten gegeben wer­den. Auch wenn dabei sicherlich kompetente Experten für die Fragestel­lung ausgewählt wurden, so fci.llt doch auf, dass zum Themenbereich "Zusammenarbeit mit Minderheiten" die Einschätzung der Minderheiten selbst noch nicht eingeholt wurde.

Aus verschiedenen Wojewodschaftsverwaltungen waren zu diesem Thema Vertreter der jeweiligen Abteilungen für Staatsbürgerschaftsfra-

439 Dies war das Dezyderat Nr. 2 der Kommission vom 4.11.1999, vgl. Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten Nr. 59, IH. Kadenz, vom 15.2.2000.

440 V gl. die Vorstellung dieses Vorgehens der Regierung durch den neuen Vorsitzenden der Gruppe Unterstaatssekretär Stachanczyk vor der Sejm-Kommission, in: Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten Nr. 59, IH. Kadenz, vom 15.2.2000.

441 Protokoll der VIII. Sitzung vom 1.3.2000. 442 Zudem war noch der Vize-Präsident von Nowy SlloCZ, Leszek Zegzda, geladen, in

dessen Stadt es einen Beauftragten für Minderheitenfragen gibt; Protokoll der IX. Sitzung der Interministeriellen Gruppe, 13. April 2000 (im Folgenden zitiert Sit­zungs-Protokoll Interministerielle Gruppe der IX. Sitzung).

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gen geladen. Diese referierten über die institutionelle Verortung min­derheitenrelevanten Handeins in ihren Wojewodschaften. So berichtete beispielsweise der Vertreter der Wojewodschaft Podlachien über den dort gescheiterten Versuch, einen Beauftragten für Minderheitenfragen einzusetzen.'43 Auffallend ist hierbei, dass - mit Ausnahme von Wiktor Leyk, der ohnehin der einzige Minderheitenbeauftragte in ganz Polen ist, der in die Selbstverwaltungsstruktur inkorporiert wurde - lediglich Repräsentanten der Wojewodschaftsämter (also der nach wie vor exis­tierenden Vertretung der Zentralregierung auf regionaler Ebene),'" nicht jedoch der Marschallämter geladen waren, obwohl doch - wie die Vertreterin der Wojewodschaft Mazowiecki selbst feststellte - "die Selbstverwaltungen am besten über die Situation der nationalen Min­derheiten orientiert" seien.'45 Die Selbstverwaltungsstrukturen mit ihren umfassenden Kompetenzen vor Ort (Schulen, Bildung, Finanzen) wur­den in diese Debatte also kaum einbezogen. Das zeigt sich auch in der Beschlussfassung dieser Sitzung. In einem entsprechenden Beschluss wurde gefordert, es müsse in jeder Wojewodschaft einen Ansprechpart­ner für Minderheiten geben, entweder in Form eines Beauftragten oder Beraters des Wojewoden oder - dort, wo nicht so viele Minderheitenan­gehörige leben - durch die Abteilungen für Staatsbürgerschaftsfragen.446

Auch mit diesem Beschluss wurde lediglich Wert auf die existierende Vertretung der Zentralregierung auf Wojewodschaftsebene gelegt.

Bei der Folgesitzung im Juni 2000 standen internationale Faktoren des Minderheitenschutzes in Polen im Mittelpunkt. So berichtete der Sekretär der Gruppe über sein kürzliches Treffen im Europaratsbüro für Minderheitenfragen, einer seit 1994 existierenden Einrichtung, an der zunächst vor allem osteuropäische Staaten partizipierten.'47 Im weiteren wurde über die Planungen zu einer von der Parlamentskommission initi­ierten Tagung zum Minderheitenschutz berichtet, die anlässlich der polnischen Ratifizierung der Europarats-Rahmenkonvention im Frühjahr 2000 stattfand. Insgesamt hatte die Sitzung eher einen knappen, infor­mativen Charakter.'"

443 Siehe zu diesem Aspekt den Abschnitt zum Weißrussische Bund in der Republik Polen (Zwiqzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej).

444 Vgl. beispielhaft hierzu: Zloch, Stefanie: Polens neue Regionen auf dem Weg in die Europäische Union, in: Osteuropa (2000) Nr.4, 50. Jg., S.367-381, hier S. 374 f.

445 Position von Miroslawa Hellich, Vizedirektorin der Abteilung flir BUrgerfragen des Wojewodschaftsamtes der Wojewodschaft Mazowiecki, Sitzungs-Protokoll Intermi­nisterielle Gruppe der IX. Sitzung, 13.4.2000.

446 Sitzungs-Protokoll Interministerielle Gruppe der IX. Sitzung, 13.4.2000. 447 Sitzungs-Protokoll Interministerielle Gruppe X. Sitzung, 15. Juni 2000. 448 Ebda.

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Die folgende Sitzung vom September 2000 griff die rechtlichen Folgen der Ratifizierung der Europaratskonvention auf. Der Sekretär der Grup­pe unterschied verschiedene Rechtsbereiche, in denen eine Anpassungs­leistung Polens notwendig sei. Dazu zählte er vor allem den Gebrauch der Minderheitensprachen, aber auch die Verpflichtung, sich seitens des Staates aller Aktivitäten zu enthalten, die die nationalen Proportionen in jenen Regionen verändern, in denen Minderheiten leben.

Weiterhin wurde über die notwendige Erstellung eines Berichts Po­lens gegenüber dem Europarat diskutiert. Interessant war der Hinweis eines Gastes (Professor Zbigniew Holda), man müsse die Informationen der entsprechenden NGOS für den Bericht nutzen. Es wurde dement­sprechend ein breit angelegtes konsultatives Verfahren für die Erstel­lung des Europarat-Berichtes beschlossen, wonach nicht nur die Grup­penmitglieder weitere Ministerien, sondern auch NGOs in die Debatte einbezogen werden sollten.'"

Die nächste Sitzung der Arbeitsgruppe vom November 2000 war dem Minderheitenschulwesen gewidmet. Erstmals wurden auch die Spitzenvertreter der zentralen Minderheitenverbände zur Sitzung hinzu­gebeten. So positiv diese Interaktion zwischen Minderheiten und Ar­beitsgruppe zu bewerten ist, so hätten doch neben den - sicherlich auch kompetenten - Verbands vertretern vor allem die entsprechenden Reprä­sentanten der unmittelbar betroffenen Minderheitenschulen geladen werden müssen, die ebenfalls in die Reformdebatten involviert waren:SO

Die Berichte der Minderheitenvertreter fielen kritisch aus. Als Defizite wurde ein Mangel an Fachkräfte für Minderheitensprachen sowie an aktuellen Lehrbüchern, die unzureichende materielle Ausstattung der Schulen und eine zu geringe Stundenzahl in den Minderheitensprachen genannt. <SI Auch wenn dieses Treffen keine konkreten Folgen hatte, so muss man die grundsätzliche Bedeutung dieser Begegnung von Minder­heiten und Vertretern mehrerer Ministerien hervorheben. Es war der Beginn eines bis heute anhaltenden Dialogs abseits des verbandlichen und ministeriellen Tagesgeschäftes.

Einen weiteren Schritt auf dem Weg der Interaktion mit Minderhei­tenvertretern stellte die XIII. Sitzung der Arbeitsgruppe dar, die erst­mals explizit einer Minderheitengruppe, den Ukrainern (und Lemken),

449 Sitzungs-Protokoll Interministerielle Gruppe der XI. Sitzung, 28. September 2000. 450 Beispielsweise beteiligten sich an den Reformdiskussionen der Schul-Examina zwar

auch politische Minderheitenvertreter (Litauer Irina Gasperowicz, Deutsche: Piotr Baron). Primär wurden die Minderheiten durch Lehrer vertreten. Vgl. Teilnehmer­liste der Minderheitenvertreter o. Datum.

451 Ebda.

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gewidmet war. Es waren 42 Teilnehmer anwesend, von denen 144'2 die ukrainische und lemkische Minderheit und 28 die verschiedensten staat­lichen Behörden vertraten.453

Diskutiert wurden zunächst die Themenbereiche Kultur und Schul­wesen, die für alle Minderheiten von großer prinzipieller Bedeutung sind. Anschließend wurden die für die ukrainische Minderheit spezifi­schen Problemstellungen debattiert. Zum einen wurde seitens der Min­derheit die bisher mangelhafte Pflege ukrainischer Soldatenfriedhöfe sowie ukrainischer Kirchen und Kapellen beklagt. Desweiteren wurden die Folgen der staatlichen Verfolgungspolitik nach dem Zweiten Welt­krieg diskutiert. Dazu zählt vor allem eine noch ausstehende Wieder­gutmachung für die ehemaligen Gefangenen des Arbeitslagers Jaworz­nie und die Debatte um die Rückgabe von Besitz, der in der Zeit der Volksrepublik enteignet wurde. 454

Formale Legitimität Aus der Perspektive des Aspektes formaler Legitimität handelt es sich bei der interministeriellen Arbeitsgruppe um ein innerexekutiv legiti­miertes Gremium, das lediglich durch einen Erlass initiiert wurde und keinem legislativen Prozess unterlag. Es handelt sich somit um eine Verwaltungseinrichtung, über deren Entstehung und deren mögliche Abschaffung innerhalb der Exekutive entschieden wird. Somit existiert keine legitimatorische Rückbindung an die Legislative. Dementspre­chend war die interministerielle Gruppe - wie auch andere interministe­rielle Einrichtungen - kaum Gegenstand parlamentarischer Debatten:" Lediglich im Zusammenhang mit der Debatte zur ersten Lesung des Minderheitengesetzes verwiesen sowohl das Kommissionsmitglied Mi­roslaw Czech als auch Jerzy Steliga auf die damals geringe Aktivität der Interministeriellen Gruppe:'6

452 Hierzu wurde auch der Vorsitzende des Sejmik der Wojewodschaft Ermland­Masuren gezählt, der zwar in dieser Funktion eingeladen war, jedoch vor allem ein in verschiedenen Funktionen aktives Mitglied der ukrainischen Minderheit ist.

453 Teilnehmerliste der XIII. Sitzung der Interministeriellen Gruppe vom 19. Januar 2001, Anhang zum Protokoll der Sitzung.

454 Ebda. 455 Vgl. Stenographische Berichte des Sejm, 1. bis IH. Kadenz. 456 Vgl. Stenographische Berichte, Wortbeitrag von Miroslaw Czech, Sejm-Sitzung

vom 18.3.1999, 2. Tag, 46. Sitzung, 14. Tagesordnungspunkt, 3. Kadenz, sowie Wortbeitrag von J erzy Steliga, ebda.

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Subjektive Legitimität Die längere Arbeitspause der interministeriellen Gruppe und die erst ab November 2000 stattfindende direkte Einbindung der Minderheiten in die Arbeit der interministeriellen Gruppe hat dazu geführt, dass die subjektive Legitimität dieser Institution bei verschiedenen Minderhei­tenvertretern zunächst gering war. Noch im Sommer 2000 war bei­spielsweise in der litauischen Führungselite nichts über die (formal bereits drei Jahre existierende) Arbeitsgruppe bekannt. Aus diesem Grund waren die Erwartungen an die Problemlösungskapazität dieser Institution zu diesem Zeitpunkt eher gering:" Obwohl Repräsentanten des Weißrussischen Bundes im November 2000 erstmals in die Arbeits­gruppe geladen wurden, waren auch unter den Repräsentanten dieses weißrussischen Dachverbandes nach dem ersten Treffen die Erwartun­gen an diese Institution gering.45' Anders gestaltet sich die Lage bei den Ukrainern, denen als erste Minderheit eine eigene Sitzung der Arbeits­gruppe (Januar 2001) gewidmet wurde. Der ukrainische Dachverband Bund bereitete sich bereits seit Herbst 2000 auf diese Konsultationen vor und betrachtete dies als positive Möglichkeit der Interessenvertre­tung.459

Da für den weiteren Verlauf des Jahres 2001 eine Begegnung mit weiteren Minderheiten geplant war,4ffi ist zumindest davon auszugehen, dass diese Institution bei den Minderheiten inzwischen größere Be­kanntheit hat. Ob sich die subjektive Legitimität deshalb ändert, bleibt an dieser Stelle Spekulation.

Effektivität Insgesamt zeigt sich, dass die interministerielle Gruppe in dieser neuen Arbeitsperiode eine intensive Sitzungstätigkeit entfaltet hat. Erst ver­gleichsweise spät wurden allerdings Minderheitenvertreter in die Grup­pe eingebunden. Der große Vorteil dieser bis zum Beginn 2000 eher unbedeutenden Institutionen ist es, dass sie - im Unterschied zu den jahrelang bewährten und bekannten Tätigkeiten der Parlamentskommis­sion - über einen unmittelbaren Zugang zu den Spitzen der Exekutive

457 Hintergrundgespräch mit Irina Gasperowicz, 4.7.2000, Punsk. Da jedoch Vertreter der litauischen Minderheit im November 2000 erstmals in die Arbeitsgruppe gela­den waren, hat sich diese Situation in der zweiten lahreshälfte 2000 geändert.

458 Hintergrundgespräch mit Bund-Vorstandsmitglied Oleg Latyszonek, 16.12.2000 Hajn6wka.

459 Hintergrundgespräch mit Bund-Generalsekretär Piotr Tyma, 13. Dezember 2000 Warschau.

460 Interview mit dem Sekretär der Interministeriellen Gruppe, Rzemieniewski, am 13.12.2000.

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verfügt. So kann sie beispielsweise jederzeit jedes Ministerium in die Konsultationen einbeziehen. In formaler Hinsicht ist somit die poten­zielle Regelungsfahigkeit oder Problemlösungskapazität dieser Instituti­on enorm. Die Beschlüsse am Ende der diversen Sitzungen zeugen zwar von einem institutionellen goodwill, ein eigenständiger output kann zum Zeitpunkt dieser Analyse allerdings nicht erkannt werden. Sollte die interministe­rielle Arbeitsgruppe ihre Arbeit ausbauen, so kann sie in Zukunft Funk­tionen übernehmen, die bislang faktisch der Sejm-Kommission für Min­derheiten zugekommen waren und im Entwurf für ein Minderheitenge­setz dem sogenannten Rat für Nationale Minderheiten zugewiesen wor­den sind.

3.4 Bildungsministerium und Minderheitenschulwesen

Das "Ministerium für nationale Bildung" weist minderheitenrelevante Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Minderheitenschulwesens auf. Um diese bewerten zu können, sollen in diesem Abschnitt nicht nur das Bildungsministerium als minderheitenrelevante Institution analysiert, sondern auch skizzenhaft die wichtigsten Entwicklungstendenzen des polnischen Minderheitenschulwesens dargelegt werden. Hierzu wird kurzzeitig von der vorgegebenen Struktur der Institutionen-Analyse abgewichen.

Institutionelle Konfiguration

Struktur Innerhalb des Bildungsministeriums existiert keine eigene separate Ein­richtung, die sich mit Minderheitenfragen beschäftigt. Die Zuständigkeit für Minderheitenschulunterricht ist einem der elf Departments des Mi­nisteriums, dem Department für Ausbildung und Erziehung, zugeordnet. Dieses zählt zu den größeren Departments des Hauses und ist im We­sentlichen für den Bereich des allgemeinen Schulwesens zuständig. Zu den insgesamt 26 Zuständigkeitsbereichen des Departments zählt laut eigener Beschreibung die Bewältigung von "Problemen und Angelegen­heiten, die mit der Realisierung von Erziehungsrechten nationaler Min­derheiten und ethnischer Gruppen verbunden sind".461

Wie im obigen Abschnitt zum Rechtssystem dargelegt, wurde die gesetzliche Grundlage des Minderheitenschulwesens schon bald nach

461 Zarz~dzenie Ministra Edukacji Narodowej, 15.1.2001, Artikel17.

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dem Systemwechsel durch das Gesetz über das Bildungssystem von 1991 gelegt. Darin wurde verfügt, dass Schulen und öffentliche Einrich­tungen den Schülern das Gefühl nationaler, ethnischer, sprachlicher und religiöser Identität garantiert und im Besonderen der Unterricht ihrer eigenen Sprache, ihrer Geschichte und Kultur ermöglicht werden soll­te. 462 Die rechtliche Grundlage zur Schaffung eines Minderheitenschul­wesens war somit ebenfalls - wie im Bereich des kulturellen Minderhei­tenschutzes - in den Jahren des Systemwechsels geschaffen worden. Die tatsächliche Umsetzung dieses Vorhabens stieß im Zuge der Demokrati­sierung immer wieder auf Hindernisse. Dazu zählten in erster Linie finanzielle Vorbehalte.

Entwicklung des Minderheitenschulwesens Der Skizze der quantitativen Entwicklung des Minderheitenschulwesens in Polen nach dem Systemwechsel soll ein kurzer Blick auf allgemeine Minderheitenschutzüberlegungen in Bezug auf das Schulwesen von Minderheiten vorangestellt werden. In aller Regel werden dabei zwei mögliche Regelungsmodelle unterschieden, die sich entweder am Terri­torialitätsprinzip oder am Personalitätsprinzip orientieren. Ersteres kann bei geschlossenen Siedlungsgebieten von Minderheiten angewandt wer­den, die in Polen indes die Ausnahme bilden. Deshalb überwiegt das Personalitätsprinzip, bei dem die Einführung minderheitensprachlichen Unterrichts von einer bestimmten Schülerzahl abhängig gemacht wird.463

Die Identifizierung solcher allgemeiner Typen hat jedoch nur gerin­ge Aussagekraft über die tatsächliche Effektivität des jeweiligen Min­derheitenschulwesens. Entscheidender ist beispielsweise, ob Minderhei­tenschulen in staatlicher oder privater Trägerschaft geführt werden. Hier zeigt sich, dass in Polen die Gründung von Privatschulen zwar prinzi­piell möglich ist. 46I Jedoch finden sich keine Hinweise auf die Existenz von privaten Minderheitenschulen.

Bereits während der Volksrepublik Polen hat es in begrenztem Um­fang ein Minderheitenschulwesen gegeben, das - ebenso wie die Min­derheitenverbände - den Phasen der Minderheitenpolitik mit der Libera­lisierung in den 50er Jahren, der erneuten Einschränkung in den 70er Jahren und der neuerlichen, verhaltenen Liberalisierung in den 80er

462 Gesetz vom 7.9.1991 über das Bildungssystem, Artikel 13, Dz. U. 1996, Nr. 67, Pos. 329, genauere Ausflihrungsbestimmungen wurden in Form eines Erlasses gere­gelt.

463 Siehe: Marauhn, Thilo: Der Status von Minderheiten im Erziehungswesen und im Medienrecht, in: Frowein Teil 2, 1994, S.410-450, S. 411 f.

464 Mohlek in Mohlek 1994, S. 36.

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Jahren unterlag. Dies lässt sich anhand der schwankenden Schul- und Schülerzahlen ablesen.46S Die Schülerzahlen im Schuljahr des System­wechseis 198911990 sind noch aussagekräftig für die Schulpolitik des alten Systems. In den vier hier untersuchten Minderheiten zusammen nahmen lediglich 4.921 Schüler in 109 Grundschulen und 939 Schüler in sechs Mittelschulen am minderheitensprachlichen Unterricht teil.466 In den Folgejahren zeigte sich ein kontinuierlicher Zuwachs an Schüler­zahlen: Im Schuljahr 1998/1999 (nachdem deutscher, kaschubischer und lemkischer Unterricht eingeführt worden war) wurden insgesamt 35.166 Grundschüler in 456 Grundschulen und 2.631 Mittelschüler in elf Ly­zeen in ihren Minderheitensprachen unterrichtet. 467 Trotz dieses Anstiegs ist jedoch nach wie vor der lediglich zusätzlich erteilte muttersprachli­che Unterricht die häufigste Form der Sprach vermittlung, nicht aber der Unterricht eines Teils des Fächerkanons in der Muttersprache.'" Die Voraussetzung zur Einrichtung einer minderheitensprachlichen Klasse ist für den Grund- und Mittelschulbereich ein Antrag von mindestens sieben Schülerfamilien, für den Oberschulbereich von mindestens 14 Schülern.'"

Unabhängig von dem allgemeinen Anstieg der Schülerzahlen zeigen sich disparate Entwicklungen zwischen den Minderheiten:70 Der stärkste

465 Dies zeigt sich anhand von Angaben zum weißrussischen Schulsystem, Chalupszak S. 109, Angaben zum ukrainischen Schulunterricht in Mittelpommern: Hryckowian, Jaroslaw: 0 sytuacji edukacyjnej mniejszosci ukrainskej na Pomorzu Srodkowym (1956-1996), in Giedrojc, Marzenna; Mieczkowski, Janusz (Hrsg.): Pomerania Ethnica, Mniejszosci narodowe i etniczne na Pomorzu Zachodnim, Stettin 1998, S. 161-168, hier S. 165. Vgl. zur litauischen Minderheit Chalupszak 1998, S. 210 f., zur slowakischen Minderheit, ebda., S.226-228. Der deutschsprachige Unterricht war entsprechend der scharfen Politik gegenüber der deutschen Minderheit kaum möglich, ebda., S. 143 f.

466 Zahlen aus Lodzinski Raport Nr. 22,1992, S. 17 f. 467 Angaben aus dem Statistischen Jahrbuch der Republik Polen 1999, Warschau 1999

(im Folgenden zitiert Statistisches Jahrbuch 1999), S. 252. 468 Siehe beispielsweise Angaben zum Schuljahr 1996/97 bei den Slowaken: Lodzinski,

Slowacy in Centrum 1998, S. 241. Innerhalb der litauischen Minderheit ist zwar der Anteil der zweisprachigen Sprachvermittlung höher, insgesamt gilt jedoch auch hier dieses Verhältnis (Schuljahr 1996/1997); Szamel in Centrum 1998, S. 220.

469 Aussage Grazyna Ploszajska in Protokoll der XII. Sitzung der interministeriellen Gruppe rur Minderheitenfragen, 6.11.2000.

470 Die folgenden Überlegungen beziehen sich, soweit nicht anders angemerkt, auf das alte Schulsystem, das aus einer achtjährigen Grundschule (als Pflichtschule) und einer dreijährigen weiterführenden Schule, dem Lyzeum, bestand. Seit September 1999 gilt ein neues Schulsystem, welches sich aus einer obligatorischen sechsjähri­gen Grundschule, einer dreijährigen Mittelschule sowie einem dreijährigen weiter­führenden Lyzeum zusammensetzt.

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Anstieg ist bei der deutschen Minderheit zu verzeichnen, für die das Zentrale Statistikamt Polens für das Schuljahr 1990/91 gar keinen Schulunterricht verzeichnet hatte47l (wenngleich vor dem Systemwechsel ein informeller Sprachunterricht in bescheidenem Rahmen existierte).472 In den Folgejahren stieg die Zahl der Grundschüler auf 10.498 (im Schuljahr 1995/96),25.325 (1997/98) und schließlich 28.822 Schüler im Schuljahr 1998/1999. Obwohl als Minderheit nur geringfügig kleiner, erreichen die Grundschülerzahlen der weißrussischen Minderheit nur ein Zehntel dieser Werte (2.563 Schüler im Schuljahr 1998/99). Viel­mehr sanken die weißrussischen Grundschülerzahlen sogar zwischen 1990/91 und 1998/99 um rund 15 Prozent, die Zahl der Grundschulen im selben Zeitraum sogar um 27 Prozent.473

Eine ähnliche Tendenz zeigt sich innerhalb des slowakischsprachi­gen Schulunterrichts. Die Schülerzahlen sanken im obigen Zeitraum um 18 Prozent (von 481 auf 399) und die Anzahl der Grundschulen um 26 Prozent (von 19 auf 14). In der litauischen und ukrainischen Minderheit wuchs hingegen der Umfang des minderheitensprachlichen Unterrichts. In der litauischen Minderheit nahm die Zahl der Grundschulen von elf auf 13 zu, die Zahl der Schüler stieg um acht Prozent (von 583 auf 633). In der verstreut siedelnden ukrainischen Minderheit, in der die Auf­rechterhaltung eines Minderheitenschulwesens umso schwieriger ist, verdoppelte sich die Zahl der Grundschulen mit minderheitensprachli­chem Unterricht (von 42 auf 83), die Zahl der Schüler stieg ebenfalls um fast die Hälfte an (von 1.096 auf 2.234).474 Da jedoch auch die ukrai­nische Minderheit - ebenso wie die weißrussische - in ihrer Gesamt­größe nur wenig hinter der deutschen zurücksteht, so ist diese quantita­tive Entwicklung im Verhältnis zur deutschen Minderheit ebenfalls aus­gesprochen gering.475

471 Statistisches Jahrbuch 1999, S. 252. 472 Vgl. Berliitska, Danuta, Madajczyk, Piotr: Mniejszosc niemiecka w Polsce, in:

Centrum Stosunk6w Mi,.dzynarodowych Instytutu Spraw Publicznych (Rrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 (im Folgenden zitiert Berliitska, Madajczyk in Centrum 1998), S. 83-141, hier S. 115.

473 Die Zahl der weißrussischen Grundschüler sank von 3.033 auf 2.563, die Zahl der Grundschulen von 48 auf 37, Angaben aus dem Statistischen Jahrbuch der Republik Polen 2000, Warschau 2000 (im Folgenden zitiert Statistisches Jahrbuch 2000), S.228.

474 Bis 1995/96 wurden Ukrainer und Lemken zusammen berechnet, jedoch entwickelte sich seitdem in geringem Umfang (1998/99 44 Schüler) ein separater lemkischer Schulunterricht.

475 Schüler- und Schulziffern aus Statistisches Jahrbuch 1999, S. 252 .Nicht berück­sichtigt wurde hier die Entwicklung des kaschubischen Unterrichts.

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Abbildung Nr. 5476

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Es zeigt sich somit, dass die gesetzliche Option für das Minderheiten­schulwesen nicht insgesamt zu einem Anstieg des minderheitensprachli­chen Unterrichts geführt hat, sondern zwei Minderheiten sogar rückläu­fige Entwicklungen des Sprachunterrichts zeigen. Die Gesamtzunahme des minderheitensprachlichen Unterrichts im Grundschulbereich kommt durch die explosionsartige Zunahme deutschsprachigen Unterrichts zustande, wodurch das Gesamtbild positiv verzerrt wird. Der Anteil aller in Minderheitensprachen unterrichteten Grundschüler lag 1999 bei 0,8 Prozent,477 und lag somit unter dem geschätzten Anteil von Minder­heiten an der Gesamtbevölkerung Polens (zwischen einem und vier Prozent - wobei nicht bekannt ist, wie hoch der Anteil schulpflichtiger Kinder ist). Die Entwicklung der Grundschulzahlen und Schülerzahlen für das Schuljahr 1999/2000 verweist auf noch junge Entwicklungsten­denzen nach Einführung der Schulreform Anfang 1999. Es zeigt sich dabei ein Abbau von Schul- und Schülerzahlen bei allen Minderheiten.

Für die früher vierjährigen Oberschulen (im Polnischen: Lyzeen), die nur einen wesentlich geringeren Anteil des minderheitensprachli­chen Schulunterrichts umfassen, zeigen sich ganz andere Entwicklungs­linien. Das Bild des Gesamtzuwachses an Schülern (1990/91: 1.040

476 Angaben aus: Statistisches Jahrbuch 1999, S. 252 und Statistisches Jahrbuch 2000, S.228.

477 Aussage von Grazyna Kida, Bildungsministerium, Bulletin d. Sejm-Kommission rür Minderheiten, Nr. 46, 7.9.99, 3. Kadenz.

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Schüler, 1998/99: 2.631 Schüler) zeigt sich gleichermaßen auch bei den anderen Minderheiten. So nahm die Zahl der weißrussischen Oberschü­ler um 34 Prozent zu (von 644 auf 982), die der litauischen jedoch le­diglich um zwölf Prozent (von 124 auf 141), bei den Slowaken zeigte sich eine Zunahme um 63 Prozent (von 18 auf 49), bei den Ukrainern um immerhin 48 Prozent (von 254 auf 493). Innerhalb der deutschen Minderheit wurden Angaben zur Existenz weiterführenden Schulen erstmalig für das Schuljahr 1997/1998 gemacht, als in zwei weiterfüh­renden Schulen zunächst 559 Schüler unterrichtet wurden, im Folgejahr 641. Bei den anderen Minderheiten bleibt (mit Ausnahme des Anstiegs ukrainischer Lyzeen von drei auf vier bis zum Schuljahr 1995/1996) die Zahl der weiterführenden Schulen (weißrussische Minderheit zwei, litauische und slowakische Minderheit je eine) mit minderheitensprach­lichem Unterricht seit dem Systemwechsel konstant niedrig,'" die deut­sche Minderheit hat sogar eine ihrer vormals zwei weiterführenden Schulen wieder geschlossen.

Diese Zahlen zeigen verschiedenes: Zum einen zeigt sich, dass der weiterführende Bereich des Minderheitenschulwesens nur für insgesamt sehr wenige Schüler etabliert werden konnte. Jedoch ist auch deutlich erkennbar, dass sich der regressive Trend der Schülerzahlen im weißrus­sischen Grundschulbereich nicht in den Oberschulen fortsetzt. Dort liegen die Schülerzahlen über denen der ähnlich großen deutschen und ukrainischen Minderheit. Dennoch stellt sich die Frage, ob sich die sinkenden Grundschülerzahlen der weißrussischen (und auch der slowa­kischen) Minderheit nicht als Folgeerscheinung in den nächsten Jahren auch auf den Oberschulbereich niederschlagen werden. Überdies muss man berücksichtigen, dass kleine Schulen prinzipiell vergleichsweise hohe Kosten in Bezug auf den Lehrereinsatz, die Entwicklung von Cur­ricula usw. mit sich bringen, so dass Finanzprobleme, die den Erhalt gefährden, gerade für die Oberschulen schneller auftreten können. Zu­dem zeigt sich, dass es vor allem der zerstreut siedelnden ukrainischen Minderheit, die eigentlich die größte Schwierigkeit in der Etablierung weiterführender Schulen haben müsste, zunehmend gelingt, Schüler mit ukrainischem Unterricht bis zum Abitur zu führen. Ein wichtiger Schritt hierfür war sicherlich die Etablierung eines Internates in einer der vier weiterführenden Schulen, die die Zusammenführung von Schülern aus verschiedenen Gebieten Polens ermöglicht. In einer zweiten weiterfüh-

478 Zahlenangaben aus Statistisches Jahrbuch 1999, S. 252. Für die kaschubische Min­derheit ist seit dem Schuljahr 1995/1996, also früher als bei der deutschen Minder­heit, ein Lyzeum angegeben. Lemkischen Oberschulunterricht gibt es nicht.

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ren den Schule wird versucht, ähnliche Bedingungen durch die Unter­bringung von Schülern in Gastfamilien zu erzielen.

Minderheitenrelevante Arbeitsweise des Bildungsministeriums Im Folgenden soll auf die einzelnen Problembereiche eingegangen wer­den, die das Minderheitenschulwesen prägen und anhand derer sich die Tätigkeit des Bildungsministeriums nachzeichnen lässt.

Finanzierungstätigkeit "Der Unterricht in Minderheitenschulen ist wesentlich kostenintensiver als in Schulen mit der Unterrichtung in der Amtssprache. "479 Diese Fest­stellung des polnischen Minderheitenexperten Grzegorz Janusz vor der Parlamentskommission weist auf eines der zentralen Probleme des Min­derheitenschulwesens in Transformationsstaaten. Diese Kostenintensität des Minderheitenschulwesens erklärt sich vor allem durch kleinere Klassen, zusätzliche Lehrer, gesonderte Curricula sowie zusätzliche Schulbücher. Da es im polnischen Staatshaushalt häufig an Mitteln für die verschiedensten Politikfelder fehlt, ist es kaum erstaunlich, dass auch die verschiedenen Felder des Minderheitenschutzes wie das Min­derheitenschulwesen von der knappen Finanzlage betroffen sind.

1996 machte die Finanzierung des Minderheitenschulwesens ein Prozent aller Ausgaben für das polnische Schulwesen aus.480 Als vorteil­haft für die Minderheitenschulen erweist sich seit dem Jahr 2000 eine gesonderte Förderung des ländlichen Raums - in dem ein Großteil der Minderheiten angesiedelt ist - durch ein ministerielles Förderprogramm für sogenannte "kleine Schulen". Dabei sollen Schulen in Ortschaften bis zu 5000 Einwohner gezielt unterstützt werden.'"

Der derzeitige Finanzierungsmodus des polnischen Schulwesens, das seit Anfang 1999 den Gemeinden und Kreisen untersteht, richtet sich nach einem Ende 1999 etablierten sogenannten "Algorithmus", der die Subventionen anhand eines differenzierten Berechnungssystems festlegt. Dieser Algorithmus sieht im Wesentlichen vor, dass die jewei­ligen Schülerzahlen die Berechnungsgrundlage für Subventionen bilden. Diese Förderung kann durch bestimmte besonders förderungswürdige Merkmale (beispielsweise für Fachschulen, Behindertenschulen usw.) um einen speziellen Faktor erhöht werden. Dies gilt auch für Minderhei-

479 Aussage Grzegorz Janusz, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 11, 3.3.1998,3. Kadenz.

480 Aussage Dl\.browski, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 41, 14.3.1996,2. Kadenz.

481 Aussage Gra:i:yna Kida, Bildungsministerium, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 51, 22,10.1999,3. Kadenz.

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tenschulen, die eine 20-prozentige zusätzliche Förderung pro Schüler erhalten. Zum Vergleich: Spezielle Sportschulen oder -klassen erfahren eine ähnlich hohe Förderung, ländliche Schulen erhalten jedoch bei­spielsweise 33 Prozent zusätzliche Finanzmittel, Integrationsklassen für behinderte Schüler 300 Prozent. Die jeweiligen Faktoren können auch addiert werden, so dass eine ländliche Minderheitenschule (von denen es viele gibt) durchaus mit einer 53-prozentigen höheren Förderung rechnen kann. Trotz der Berücksichtigung von Minderheitenschulen in dieser Regelung zählt der Algorithmus jedoch zu einem der Hauptkri­tikpunkte vieler Minderheitenvertreter, da es den Minderheitenschulen vor allem an der eigentlichen "Berechnungsbasis" mangelt, an einer Zahl von Schülern.482 Da jedoch die Reform des Schulwesens noch nicht abgeschlossen ist und auch der Algorithmus immer wieder Veränderun­gen unterliegt, kann auch die Minderheitenschulförderung nach wie vor veränderten Kriterien unterliegen:83

Auch der Bereich der Schulinvestitionen, also vor allem die Förde­rung baulicher Vorhaben, ist seitens der Minderheitenvertreter nicht unumstritten. Eine Dezentralisierung der Kompetenzen vom Bildungs­ministerium hin zu den Selbstverwaltungseinheiten zeigte sich bereits Anfang 1996, also drei Jahre vor Einführung der regionalen Selbstver­waltung und der Schulreform."" Problematisch ist zumeist, dass die Gemeinden und Kreise insgesamt über zu wenig Mittel für die öffentli­che Infrastruktur verfügen, was die Minderheitenschulen ebenfalls be­trifft. Das Bildungsministerium hat jedoch die Möglichkeit, Einfluss auf die regionale Förderpraxis zu nehmen. So setzte es beispielsweise ge­genüber den Wojewodschaften Westpommern und Ermland-Masuren 1999 eine zusätzliche Investition von 500.000 Zloty für zwei ukraini­sche Schulzentren in Gorowo Hawiecki und Bialy Bor durch.485

482 Der stellvertretende Direktor des ukrainischen Schulzentrums von Przemysl, Popo­wicz, führt beispielsweise an, dass dort Klassen mit nur zwölf Schülern unterhalten werden. Popowicz sah ebenfalls die Förderung auf der Basis von Schülerzahlen als größtes Problem an, Interview mit Popowicz, Juli 2001 Przemysl. Siehe auch die allgemeine Kritik verschiedener Minderheitenvertreter vor der interministeriellen Gruppe über die schwierige materielle Situation der Schulen aufgrund geringer Schülerzahlen; Protokoll der XII. Sitzung der interministeriellen Gruppe vom 6.11.2000.

483 Die letzte Veränderung des Algorithmus, vor allem im Bezug auf Schulen in kleine­ren Ortschaften, zeigte sich beispielsweise im Erlass des Bildungsministers vom 22.3.2001 (Rozporz~dzenie Ministra Edukacji Narodowej vom 22.3.2001).

484 Aussage Grazyna Ploszajska, Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 61,23.5.2000,3. Kadenz.

485 Aussage des Vizedirektors des Wirtschaftsdepartments im Bildungsministerium, Ryszard Wr6blewski, in Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 51, 22.

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Auch im ukrainischen Schulzentrum von Bialy Bor ist trotz der hohen Subvention des Jahres 1999 die räumliche Situation nach wie vor ange­spannt. Im Jahr 2000 war der Schulunterricht noch auf zwei Gebäude des Ortes verteilt. So wurde für das Lyzeum ein Teil einer polnischen Schule angemietet, Grundschule und Gymnasium waren im eigentlichen Schulgebäude untergebracht. Die Streusiedlung der ukrainischen Min­derheit aufgrund der Vertreibungsaktion Aktion "Weichsel" führte zu­dem - wie bereits skizziert - zur Einrichtung von Internaten, an deren Kosten sich das Bildungsministerium nur mit 15 Prozent beteiligte.

Neben diesem speziell für die Ukrainer geltenden Problem zeigt sich eine prinzipielle für verschiedene Minderheiten geltende Schwie­rigkeit: Da aufgrund der geringeren Schülerzahlen häufig alle drei Schulformen in einer Schule zusammengefasst sind, sind seit der Regi­onalreform für einen Teil (Grundschulen und Gymnasien) die Gemein­den zuständig, für einen anderen Teil (Lyzeum) der Kreis. Die Bereit­schaft zur Förderung ein und derselben Schule durch zwei verschiedene administrative Ebenen verläuft dabei nicht immer konfliktfrei. Ziel ei­niger ukrainischer Minderheitenvertreter in Bialy Bor ist es deswegen, eine Koordination auf Wojewodschaftsebene zu erreichen, wofür jedoch jede gesetzliche Grundlage fehlt."" In diesem Fall führt somit die De­zentralisierung von Kompetenzen eher zu einer problematischen Kom­petenz-"Zerstückelung ", die manche Bereiche des Minderheitenschul­wesens eher erschwert denn erleichtert. Die Folgen der Regionalreform für das Minderheitenschulwesen widersprechen somit der gängigen These positiver Auswirkung von Dezentralisierung für die Belange von Minderheiten. Die Konzentrierung von Kompetenzen für Minderheiten­schulen auf regionaler Ebene scheint ein institutionelles Desiderat zu sein.

Bildungsreform Mit der Einführung der Bildungsreform (zeitgleich mit der Einführung der Verwaltungsreform) ging die Zuständigkeit für alle Schulformen in die Hände der Selbstverwaltungseinheiten über. Die Rolle des Bil­dungsministeriums änderte sich grundlegend, als zentrale weiterhin

10.99,3. Kadenz. 486 Siehe hierzu Interviews mit dem Direktor der Grundschule von Bialy B6r, Jaroslaw

Mysz, sowie dem stellvertretenden Landrat Wlodzimierz Fil des Kreises Stettinek (zudem Vorsitzender der Regional-Abteilung des Bund der Ukrainer in Polen (Zwi­qzek Ukraine6w w Po/see), Bialy B6r 7.7.2000.

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existierende Aufgabe verblieb lediglich die Konzeption der Schulbü­cher:" Auch das Minderheitenschulwesen war von der Bildungsreform betrof­fen. Durch die Verlagerung der Kompetenzen für das Schulwesen auf Gemeinde- und Kreisebene entstand eine neue Abhängigkeit der Min­derheiten von lokalen Entscheidungsträgern. Vor allem im litauischen Minderheitenschulwesen kam es in mehreren Gemeinden zu Konflikten um Grundschulen.48• Der Protest der Eltern richtete sich gegen das Bil­dungsministerium, von dem Unterstützung für die eigenen Belange ver­langt wurde. So beschwerte sich beispielsweise das Elternkomitee der Grundschule des kleinen Ortes Romanowce (in der Gemeinde Krasno­pol) beim Bildungsminister Miroslaw Handke über die Entscheidung des dortigen Stadtrates, die Grundschule zu verkleinern. Nach diesem Plan sollten die bislang dort Litauisch lernenden 18 Grundschulkinder auf drei Schulen verteilt werden, wodurch die gesetzliche Mindestgren­ze von jeweils sieben Schülern zur Einführung minderheitensprachli­chen Unterrichts nicht mehr gegeben war. Das Elternkomitee sah in diesem Vorgehen einen Verfassungsbruch.489

Im Zuge der Bildungsreform schaltete sich schließlich auch der Ombudsmann für Menschenrechte in diesem Bereich ein. In seinem Schreiben an das Bildungsministerium machte er sich die Forderung von Minderheiten zu Eigen, das Finanzierungssystem der Schulen zu ändern, weil derzeit die Aufrechterhaltung von Minderheitenschulen die Budgets von Gemeinden übersteige. Nicht mehr allgemeine Zuschüsse (nach dem Algorithmus) sollten durch das Bildungsministerium an Ge­meinden und Kreise weitergereicht werden, sondern die Schulfinanzie­rung soll sich nach der Zahl der in Minderheitensprache unterrichteten Schülergruppen richten (die Zahl der Schülergruppen erlaubt andere Erkenntnisse über die tatsächlichen Kosten, da die Zahl der Lehrer oder der Klassenräume daraus abgleitet werden kann):90

Wie auch immer die Folgen der Bildungsreform eingeschätzt wer­den mögen, offensichtlich ist in der Tat, dass nach Einführung der Re­form für dass Schuljahr 1999/2000 bei allen vier in dieser Studie unter­suchten Minderheiten die Zahl der Schüler im Grundschulbereich zu-

487 Aussage der Staatssekretärin des Bildungsministeriums, Irena Dzierzgowska, Bulle­tin d. Sejm-Kommission fur Minderheiten, Nr. 26,19.11.1998,3. Kadenz.

488 Aussage Grazyna Ploszajska, Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 61,23.5.2000,3. Kadenz.

489 Brief des Elternkomitees der Grundschule von Romanowce an den Bildungsminister Miroslaw Handke vom 25.4.2000.

490 Bulletin RPO 43, Warschau 2001 S. 256.

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rückgegangen ist, was bei der ukrainischen und litauischen Minderheit erstmalig nach dem Systemwechsel der Fall war.491

Schulbuchwesen Einen der zentralen Bereiche des Minderheitenschulwesens, in denen das Bildungsministerium nach wie vor zuständig ist, bildet die Ausar­beitung von Schulbüchern. Erst vergleichsweise spät innerhalb der Transformation wurde 1994 zwischen Minderheiten, Ministerium und Schulbuchverlagen ein Übereinkommen über die mittelfristige Erstel­lung von Schulbüchern getroffen. Diese Absprache galt jedoch lediglich für die in dieser Studie analysierten ukrainischen, litauischen, weißrus­sischen und slowakischen Minderheiten. Nach Konsultationen mit die­sen Minderheiten entstand ein Vertrag mit dem polnischen Monopolis­ten auf dem Schulbuchmarkt, dem Schul- und Pädagogik-Verlag (l\-)I­dawnictwo Szkolne i Pedagogiczne, WSiP) , über die Herausgabe von insgesamt 22 Schulbüchern bis 1998. Tatsächlich erschienen bis Ende 1996 lediglich sechs Schulbücher,'" was innerhalb der Parlamentskom­mission für Minderheitenfragen heftig kritisiert wurde.493

Die Praxis der Schulbucherstellung gestaltet sich in den Minderhei­ten recht unterschiedlich. So wird der Schulbuchbedarf für die deutsche Minderheit im Wesentlichen durch das Münchener Goethe-Institut ge­deckt.494 Allen anderen Minderheiten steht jedoch diese Option der Hilfe aus der Titularnation nicht zur Verfügung. So werden die Schulbücher von verschiedensten Akteuren innerhalb der Minderheiten konzipiert. In der litauischen Minderheit, in der der Kreis der "Aktiven" (wie in der obigen Verbändeanalyse deutlich wurde) eher überschaubar ist, wurden die Schulbücher nicht nur von Lehrern, sondern in einem Fall von Irena Gasperowicz verfasst, die gleichermaßen Redakteurin der litauischen Zeitschrift Ausra und Vorsitzende der Gemeinschaft der Litauer in Po­len ist, jedoch keine Lehrerin. Das Verfassen dieses Schulbuches hat somit den Charakter einer ehrenamtlichen "Neben tätigkeit". Gerade Gasperowicz' Schulbuch zählte zu jenen aus dem Übereinkommen von 22 Büchern, das erst mit Verspätung erscheinen konnte, weil Autorin und Punsker Druckerei die vereinbarten Termine nicht einhalten konn-

491 Statistisches Jahrbuch 2000, S. 228. 492 Lodzinski in Centrum 1998, S. 59 f. 493 Vgl. die Kommissionssitzung, die dem Schulbuchthema gewidmet war: Bulletin d.

Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 60, 21.1.1997, 2. Kadenz. 494 Information des Bildungsministeriums, hier nach Bulletin d. Sejm-Kommission für

Minderheiten, Nr. 60, 21.1.1997, 2. Kadenz.

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ten.49S Auch mit Blick auf die Übersetzung von litauischen Unterrichts­programmen beklagte sich das Bildungsministerium über die Verspätun­gen seitens der litauischen Minderheit, dass sie in dieser Hinsicht "nicht voll leistungsfähig" sei. 496 Dieses Urteil offenbart vor allem das institu­tionelle Verständnis der Kompetenzverteilung im Schulbuchbereich seitens des Bildungsministeriums. So wird die Aufgabe der Schulbuch­herstellung eindeutig als Aufgabe der Minderheiten verstanden. Weitere Initiativen seitens des Ministeriums - etwa durch Vermittlung professi­oneller Autoren - gibt es nicht.

Dieser ministeriellen Position steht eine völlig andere Sicht der Dinge innerhalb der betroffenen litauischen Minderheit gegenüber. So wehrte sich der damalige Vorsitzende der Gemeinschaft der Litauer in Polen, zugleich Lehrer und Autor eines Schulbuches,4'11 gegen die Verspätungs-Vorwürfe mit dem Hinweis, dass die Verantwortung für das Minderheitenschulwesen doch eigentlich beim Staat läge und damit auch die Verantwortung für die Schulbücher. Außerdem könne eine kleine Minderheit wie die litauische keinen großen Kreis an geeigneten Autoren aufweisen. Erschwerend sei zudem die geringe Entlohnung für die Erstellung eines Schulbuchs.49s

An diesem litauischen Fall zeigt sich, dass die Schulbucherstellung faktisch zwar unter ministerieller Aufsicht stattfindet, jedoch eher den Charakter einer selbstorganisierten Initiative innerhalb der Minderheiten hat. Positiv gewendet ließe sich dieses Prozedere zwar auch als Partizi­pationsmöglichkeit der Minderheit interpretieren, dagegen sprechen indes die schwierigen finanziellen und organisatorischen Bedingungen.

Um die Schulbucherstellung besser zu koordinieren, beschloss die Parlamentskommission 1997 die Einrichtung einer Expertenkommission zwischen Bildungsministerium und Minderheiten sowie die Schaffung eines ministeriellen Koordinators:99 Dieser Vorschlag zum institution building ist jedoch nie realisiert worden.

495 Materialy do H posiedzenia Polsko-Litewskiej Komisji ds. Problem6w Mniejszosci Narodowych Rady Milldzyrzlldowej, Warszawa, 5.11.1998 (im Folgenden zitiert Materialy), S. 11.

496 Aussage des Unterstaatssekretärs Miroslaw Sawicki im Bildungsministerium, Bulle­tin d. Sejm-Kommission ftir Minderheiten, Nr. 60, 21.1.1997, 2. Kadenz. In einer Tischvorlage ftir die H. Sitzung der polnisch-litauischen Kommission der jeweiligen Regierungen werden Verspätungen sowohl der litauischen Druckerei in Punsk als auch den Autoren angelastet (Warschau 1998), Materialy, S. 11.

497 Ebda. 498 Aussage Foroncewicz, Bulletin d. Sejm-Kommission ftir Minderheiten, Nr. 60,

21.1.1997,2. Kadenz. 499 Hier nach Lodzinski in Centrum 1998, S. 60.

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Wie im obigen Abschnitt zur interministeriellen Arbeitsgruppe bereits skizziert wurde, war eine Sitzung der interministeriellen Gruppe einer Bilanz nach einem Jahr Bildungsreform gewidmet. Hierbei zeigte sich, dass das oben angedeutete Problem einer distribuierten Zuständigkeit im Schulwesen für die ukrainische Minderheit nach wie vor große Schwierigkeiten bereitet und diese deshalb die Verlagerung der Kompe­tenzen für das Minderheitenschulwesen auf Wojewodschaftsebene for­dert.500

Zentrale Examenskommission Im Zuge der Bildungsreform wurde mit der Zentralen Examenskommis­sion (CKE) Anfang 1999 eine neue Einrichtung geschaffen, deren Auf­gabe in der Entwicklung neuer Examensstandards liegt. Die CKE, die unter der Aufsicht des Bildungsministers steht,501 soll die in der Bil­dungsreform vorgesehenen reformierten Examina etablieren, die im Mai 2002 eingeführt werden sollen.502

Die Reform der Examina beinhaltet erstmalig die Möglichkeit für Schüler aus den nationalen Minderheiten, einen Teil ihres Abiturs in ihrer Minderheitensprache abzulegen. Möglich wurde dies durch eine Reform des polnischen Abiturs. Dieses sieht nun vier Abiturfächer vor, von denen drei als Pflichtfächer vorgegeben sind (Polnisch, eine neu­zeitliche Fremdsprache und Mathematik) und ein weiteres, das aus ei­nem Fächerkanon gewählt werden kann.503 Den Schülern der Minderhei­ten ist innerhalb dieses neuen Abiturs einerseits die Möglichkeit gege­ben, sich ab dem Jahr 2002 zum einen im Rahmen eines zusätzlichen freiwilligen fünften Abiturfachs in ihrer Minderheitensprache prüfen zu lassen. Andererseits können sie die Prüfung in ihrem Wahlfach in der Minderheitensprache ablegen, vorausgesetzt, es finden sich Lehrer, die beispielsweise in der Lage sind, Biologie auf Litauisch zu prüfen.504 Da die Integration minderheiten sprachlicher Prüfungen in das polnische Abitur die Sprachfähigkeit der nachwachsenden Generationen aus den

500 Beispielsweise gibt es Auseinandersetzungen zwischen Landkreisen um die Finanzierung von Schülern, die in einem Kreis wohnen, jedoch in einem anderen zur Schule gehen. Aussage Kertyszak, Protokoll der XII Sitzung der interministeriellen Gruppe, 6.11.2000.

501 Gesetz vom 25. Juli 1998 über den Wandel des Gesetzes über das Bildungssystem, Punkt 12, Dz. U. 1998, Nr. 117, Pos. 759.

502 Informator Syllabus, Matura z j~zyka slowackiego 2002, Warschau 2000. 503 Rozporzlldzenie Ministra Edukacji Narodowej, 19. April 1999, gültig ab 1.9.1999,

Artikel 34. 504 Rozporzlldzenie Ministra Edukacji Narodowej, 21. März 2001, Kapitel 5, Telefonat

mit Mitarbeitern der Zentralen Examenskommission, 22.8.01.

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Minderheiten bis hin zur Hochschulreife gewährleistet, stellt dieses neue Abitur einen zentralen Schritt zum Erhalt der Minderheitenkultu­ren dar. Dies zumal deswegen, weil - wie oben gezeigt werden konnte -die Schülerzahlen im Oberschulbereich des Minderheitenschulwesens insgesamt gering sind und diese neue Option einen zusätzlichen Anreiz für minderheitensprachlichen Schulunterricht auch in weiterführenden Schulen darstellen kann. Da das gesamte polnische Schulwesen erst eine Dekade nach dem Systemwechsel reformiert worden ist, müssen sich Minderheiten- und Mehrheitsschulen gleichermaßen auf veränderte Bedingungen einstellen. Die Einbeziehung von Minderheitenfragen in das polnische Abitur zeigt sich somit als temporär parallele Reforment­wicklung.

Für die konkrete Ausarbeitung der minderheitensprachlichen Exa­mensrichtlinien ist innerhalb der 50-köpfigen Institution der Zentralen Examenskommission eine Personalstelle vorgesehen.50S Trotz dieser denkbar geringen personellen Ausstattung war es bereits bis Ende 2000 gelungen, Examensstandards (einen sogenannten "Syllabus") zumindest für die litauische, slowakische, weißrussische und ukrainischen Minder­heit zu entwickeln. Diese enthalten eine Festschreibung von Themenbe­reichen, in denen das minderheitensprachliche zusätzliche Abiturfach absol viert werden muss. S06 Die Entwicklung dieser Leitfaden fand in einer Art "Runder Tisch" zwischen Zentraler Examenskommission und Lehrern aus diversen Minderheiten-Lyzeen statt, die Konzepte für die Auswahl literarischer Texte entwickelten. Da die vier genannten Min­derheiten ohnehin insgesamt nur acht Lyzeen unterhalten (vier ukraini­sche, zwei weißrussische, je ein litauisches und slowakisches), war der Kreis der Kooperationspartner auf Seiten der Minderheiten eher über­schaubar. Obwohl auch Vertreter der deutschen Minderheit an diesen Konsultationen teilnahmen (sie unterhält ein Lyzeum), gelang die Er­stellung eines Examensleitfadens für die deutsche Minderheit bis Ende 2000 nicht. Als einzige sprachliche Minderheit, die ein Lyzeum unter­hält, bemühen sich die Kaschuben um die Erstellung eines solchen Leit­fadens. Die Kooperation zwischen Zentraler Examenskommission und Minderheiten wird von beiden Seiten positiv bewertet, und gerade die

505 Interview mit der zuständigen Mitarbeiterin in der CEK, Lucyna Grabowska am 12.12.2000, Warschau (im Folgenden zitiert Interview mit Grabowska).

506 Siehe Informator Syllabus, Matura z J~zyka Siowackiego 2002; Informator Sylla­bus, Matura z J~zyka Ukraiilskiego 2002, Informator Syllabus, Matura z J~zyka Li­tewskiego 2002, Informator Syllabus, Matura z J~zyka Bialoruskiego 2002, alle Warschau 2000.

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Examenskommission betont, dass die Erstellung der Leitfaden konflikt­frei verlaufen sei. SOl

Subjektive Legitimität Da die Kritik von Minderheitenvertretern (zumeist waren dies Reprä­sentanten der in dieser Studie analysierten Verbände) am Vorgehen des Bildungsministeriums auch noch eine Dekade nach dem Systemwechsel aufrecht erhalten wurde, ist von einer eher geringen subjektiven Adres­satenlegitimität des Bildungsministeriums auszugehen. Hieraus resul­tiert auch die mehrfache Forderung der Minderheiten nach neuen insti­tutionellen Optionen zur Verbesserung der Problemlösungen etwa einem Minderheitenrat beim Ministerium. Jedoch zeigt sich in gewisser Hin­sicht eine gewisse Paradoxie, da trotz der starken Kritik am Bildungs­ministerium zugleich - nach Einflihrung der Dezentralisierung von Kompetenzen für die Schulförderung - eine Rückkehr zur zentralisier­ten Zuständigkeit flir das Minderheitenschulwesen gefordert wird. Auf einer möglichen Legitimitäts-"Skala" unterschiedlicher Institutionen rangiert das Bildungsministerium somit zumindest höher als die Selbst­verwaltungen von Gemeinden und Kreisen.

Effektivität Eng verbunden mit den obigen Befunden zur Legitimität sind auch Fra­gen der Effektivität. Durch die Dezentralisierung der Kompetenzen sind seit 1999 diverse Defizite im Minderheitenschulwesen nicht mehr zwangsläufig dem Bildungsministeriums anzulasten. Allerdings gilt dies flir die beschriebenen Richtlinien der Schulfinanzierung. Da objektiv erkennbar ist, dass die Schülerzahlen seit Einführung der Bildungsre­form abgenommen haben, wären seitens des Ministeriums flankierende Maßnahmen denkbar. Vorstellbar wäre beispielsweise eine Gastgeber­rolle bei Konsultationen zwischen Minderheiten und Gemeinden bzw. Kreisen. Noch weitergehender wären Überlegungen zur Rückübertra­gung von Kompetenzen für das Minderheitenschulwesen auf das Bil­dungsministeriums oder Wojewodschaften, was sich sicherlich mit einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Minderheitenschulen begründen ließe. Zwar muss sich das Bildungsministerium aus institutioneller Per­spektive in dieser Hinsicht nicht engagieren, dennoch kann faktisch vor allem das Ministerium zu weitergehenden Problemlösungen beitragen.

507 Angaben zu den Minderheitenlyzeen aus Statistisches Jahrbuch 2000, S. 228. Zur Zusammensetzung der Lehrer-Arbeitsgruppe: Handschriftliche Teilnehmerliste der ersten Sitzung der Lehrer-Examenskommissions-Arbeitsgruppe (Kopie). Zudem In­terview mit der für das Minderheitenabitur zuständigen Mitarbeiterin der CEK, Lu· cyna Grabowska; Interview mit Grabowska.

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Im Bereich der Minderheitenschulbücher scheint es vor allem an einer angemessenen Koordination zwischen dem Ministerium und den Min­derheitenvertretern - vor allem: den Lehrern an den Minderheitenschu­len - zu mangeln. Die Schaffung eines dauerhaften koordinierenden Gremiums für Minderheitenschulen auf ministerieller Ebene könnte somit auch die Effektivität der Minderheiten-Schulbucherstellung erhö­hen, die bislang augenscheinlich primär von der jeweiligen Professiona­lität und der "Leistungskraft" innerhalb der einzelnen Minderheit ab­hängig ist (vgl. die Ministeriums-Kritik an der litauischen Minderheit). Dennoch müssen die Schwierigkeiten in der Schulbucherstellung nicht a priori als defizitäres institutionelles Handeln des Ministeriums verstan­den werden. Eine Ursache kann ebenso bei den Minderheitenschulen gesucht werden. Denn diese haben es bislang nicht verstanden, zu einer gesamtpolnischen Vernetzung aller Minderheitenschulen zu gelangen, etwa in Form eines Schulvereins, wodurch sie zu geschlossenem Han­deln gegenüber dem Bildungsministerium befähigt würden. Pläne zur Realisierung einer solchen Schulkooperation sind im Zuge der Bil­dungsreform entstanden, jedoch nie weiter verfolgt worden.508

Abweichend von der obigen Bewertung der ministeriellen Arbeit weist die minderheitenrelevante Tätigkeit der Zentralen Examenskom­mission große Effektivität auf. So war es binnen eines Jahres gelungen, Examensleitfaden für vier (von potentiell sechs in Frage kommenden) Minderheiten zu entwickeln. Zudem verlief die Erstellung dieser Leitfa­den durch enge Kooperation mit den Minderheiten völlig konfliktfrei.

4. Der Ombudsmann für Menschenrechte

Eine weitere minderheitenrelevante Institution ist die des polnischen Bürgerrechtsbeauftragten. Diese Einrichtung ist in Polen bereits 1987 ins Leben gerufen worden. Somit fand das insitution building als ein Anzeichen des nahenden Niedergangs des autoritären Staates bereits vor dem Systemwechsel statt.509 Polen war seinerzeit das erste ostmittel- und osteuropäische Land, welches die Institution des Ombudsmannes einge­führt hat. SlO

508 Siehe hierzu Interview Grabowska. 509 Vgl. Gesetz vom 15. Juli 1987 über den Beauftragten fUr Bürgerrechte, Dz. U.

1987, Nr. 21, Pos. 123. 510 Weitere Transformationsstaaten, die über Ombudsmänner verfUgen, sind Kroatien,

Mazedonien, Rumänien, Slowenien und Ungarn. Siehe Freytag, Georg: Die Verfas-

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Institutionelle Konfiguration Die Institution des Ombudsmannes, die schon 1989 in eine erste Revisi­on der Verfassung von 1952 aufgenommen worden war, wurde ebenfalls in die neue Verfassung von 1997 inkorporierLSl I Bereits dadurch, dass diese Institution auf der Verfassungsebene - und nicht auf einzelgesetz­licher Ebene - verankert ist, ist ihre formale Legitimität hoch einzu­schätzen. Hinzu kommt, dass sie nicht als eine der Regierung unterstell­te weitere Behörde fungiert, sondern dem Sejm verpflichtet ist und so­mit eine Rückbindung an die gewählten Volksvertreter existiert.S12 Dem Sejm obliegt dementsprechend die Aufgabe der Berufung und Abberu­fung des Ombudsmannes. 513

Der Bürgerrechtsbeauftragte ist in Polen - wie in den meisten der europäischen Staaten, in denen diese Einrichtung ebenfalls existiert -jedoch nicht nur für Bürger-, sondern vielmehr für Menschenrechtsfra­gen insgesamt zuständig.51< Seine Aufgabe besteht darin, "über die Frei­heiten und Rechte des Menschen und des Bürgers, die in der Verfassung und in anderen normativen Akten bestimmt sind," zu wachen.515 Er kann sowohl auf eigene Initiative wie auch auf Initiative von Selbstverwal­tungsorganen, von Bürgern, Organisationen und des Beauftragten für die Rechte des Kindes aktiv werden.51•

sung der Republik Polen vom 2. April 1997 im Spiegel des gesamt europäischen Verfassungsstandards, in: Recht in Ost und West, (1998),42. Jg., Nr. I, S. 1-14, hier S. 13 (im Folgenden zitiert Freytag, Verfassung 1998).

511 Zur Verfassungsrevision der Verfassung von 1952: Gesetz zur Änderung der Verfas­sung der Volksrepublik Polen vom 7.4.1989, Dz. U. 1989 Nr. 9, Pos. 101, hier nach Freytag, Verfassung 1998 S. 13. Zur neuen Verfassung: Bestimmungen zum Bürger­rechtsbeauftragen Artikel 208 bis 212, in: Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997, abgedruckt in: Osteuropa-Recht (1997) 43. Jg., Nr. 2/3, S. 227-264, hier S. 257 (im Folgenden zitiert Verfassung Polens 1997).

512 Verfassung Polens 1997, Art. 210. 513 Die Berufung muss jedoch in Übereinstimmung mit der zweiten Parlamentskammer,

dem Senat stattfinden. Die Abberufung durch den Sejm kann auch vorzeitig bei Verzicht, Krankheit und Nichterfüllung der Aufgaben erfolgen. Durch letztere Mög­lichkeit wird die Verantwortlichkeit des Ombudsmanns gegenüber dem Sejm noch­mals besonders deutlich. Siehe Gesetz vom 15. Juli 1987 über den Beauftragten flIr Bürgerrechte in der aktualisierten Fassung, in: Dz. U. 2001, Nr. 41, Pos. 147, (im Folgenden zitiert Ombudsmann-Gesetz) hier Art. 3 und Artikel 7.

514 Vgl. hierzu Freytag, Georg: Die Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997 im Spiegel des gesamteuropäischen Verfassungsstandards, in: Recht in Ost und West (1998), 42. Jg., Nr. I, S. 1-14, hier S. 13. Ausnahme ist die Slowakei, wo der Ombudsmann nur flIr verfassungsmäßige Rechte zuständig ist.

515 Verfassung Polens 1997 Art. 208, Absatz 1. 516 Die Funktion des Letztgenannten wurde erst 2000 ins Leben gerufen, ansonsten

blieben die Regelungen seit dem Ursprungsgesetz von 1987 identisch. Vgl. Bulletin RPO 43, Warschau 2001, S. 11 und Art. 9 nach Gesetz vom 15. Juli 1987 über den

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Anträgen, die an ihn herangetragen werden und die er letztlich ange­nommen hat,517 kann er sowohl im eigenen Hause nachgehen als auch zur weiteren Untersuchung an andere Organe (Aufsichtsbehörden, Staatsanwaltschaft usw.) oder an den Sejm weiterleiten.s" Sollte der Ombudsmann festgestellt haben, dass in an ihn herangetragenen Fällen tatsächlich gegen Menschen- oder Bürgerrechte verstoßen wird, so bie­tet sich ihm eine breite Palette von Reaktionsmöglichkeiten. Zunächst kann er entsprechende Stellungnahmen abgeben und sich - quasi mah­nend - an die Einrichtung wenden, bei der Verstöße festgestellt wurden, oder die übergeordneten Stellen informieren. So kann er beispielsweise Verwaltungen zum Handeln auffordern, Klage bei Verwaltungsgerichten einreichen oder sich an die Staatsanwaltschaft wenden.S!9 Der Ombuds­mann hat zudem die Möglichkeit, sich an das Verfassungsgericht zu wenden. S20 Dies betrifft z.B. die Frage der Vereinbarkeit von polnischer Gesetzgebung und ratifizierten internationalen bzw. völkerrechtlichen Verträgen."! Dabei bietet sich ein interessanter Ansatzpunkt für die hier untersuchten Minderheiten, denn von Interesse wären beispielsweise Fragen nach der Umsetzung von sie betreffenden völkerrechtlichen Verträgen, wie die nach den bislang noch fehlenden polnischen Ausfüh­rungsgesetzen zur Rahmenkonvention zum Minderheitenschutz des Europarates. Der Bürgerrechtsbeauftragte ist jedoch seitens der Minder­heiten weniger für diese "makropolitischen" Probleme des Minderhei­tenschutzes genutzt worden als vielmehr für eher "mikropolitische" Probleme, die sich in konkreten Lebenszusammenhängen zwischen Mehr- und Minderheit gestellt haben. sn

Arbeitsweise Die Tätigkeit des Ombudsmanns ist ausgesprochen umfangreich und umfasst seit Aufnahme der Tätigkeit 1988 bis heute ein breites Feld an Arbeitsbereichen, das von verfassungsbezogenen Fragestellungen über den Konsumentenschutz oder Immobilienfragen bis hin zum Behinder­tenschutz reicht. Dabei standen zu Beginn der Tätigkeit und während

Beauftragten für Bürgerrechte in: Dz. U. 2001, Nr. 41, Pos. 147. 517 Er kann Anfragen auch ablehnen, Ombudsmann-Gesetz Artikel 11. 518 Ombudsmann-Gesetz Artikel 12. Zur Beurteilung kann er Fragen auch nach außen

abgeben, beispielsweise an die staatliche Verwaltung oder auch an gesellschaftliche Organisationen, ebda. Artikel 13.

519 Ebda. Artikel 14. 520 Ebda. Artikel 16, Absatz 2 und Verfassung Polens 1997, Artikel 188. 521 Verfassung Polens 1997, Artike1188, Absatz 2. Vgl. hierzu auch Freytag S. 10. 522 Vgl. Tätigkeitsberichte des Ombudsmannes (Bulletin RPO 5, 9, 12,25,29,33,35,

39,43).

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des Systemwechsels zahlreiche Grundrechtsfragen im Vordergrund, jedoch haben sich die Themengebiete mit dem Aufbau und der Ausdiffe­renzierung des demokratischen Systems stark ausgeweitet. 523 Die Zahl der Anträge seitens der Bevölkerung war dabei im ersten Jahr der Tätig­keit 1988 am höchsten (mit ca. 45.000 Anträgen). Der Umfang der jähr­lichen Anträge sank in den folgenden Jahren des Systemwechsels auf unter 20.000, hat sich jedoch inzwischen - obwohl die Regelungsdefizi­te mit zunehmender Konsolidierung eigentlich abnehmen müssten - auf einem wieder höheren Niveau von zwischen 30.000 und 35.000 Anträ­gen jährlich eingependelt.524 Diese quantitative Dimension verdeutlicht die nachhaltige intensive Nutzung der Institution durch die polnische Bevölkerung, so dass davon auszugehen ist, dass ihre output-Erwartung an den Ombudsmann (und somit die subjektive Legitimität, die ihm zugesprochen wird) insgesamt hoch ist. 525

Minderheiten und die Ombudsmann-Tätigkeit Nun gilt es vor allem zu fragen, welchen Stellenwert Fragen des Min­derheitenschutzes innerhalb der Tätigkeit des Ombudsmannes einneh­men. Hierbei zeigt sich folgende Entwicklung:

Für das erste Tätigkeitsjahr des Ombudsmanns findet sich das The­ma Minderheiten innerhalb seines Jahresberichtes lediglich unter dem Stichwort "Nationalitäten diskriminierung". Hierbei hat es seitens der ukrainischen und der weißrussischen Minderheiten Beschwerden über eine Zensur gegenüber ihren Publikationen gegeben. Obwohl sich hier nur sehr allgemeine Angaben über diesen Vorfall finden, lassen sich doch - vor dem Hintergrund der oben vorgenommenen Verbändeanalyse - einige Schlüsse ziehen. Da zu diesem Zeitpunkt die Minderheitenzei­tungen im Besitz des polnischen Einheitsverlags Robotnicza Sp61dziel­nia lt)!dawnicza "Prasa, Ksiqzka, Ruch" waren,526 wird es sich hierbei um einen der ersten Versuche der Minderheiten gehandelt haben, ihre Zeitschriften unter eigener Kontrolle weiterzuführen.

523 Vgl. beispielhaft die Informationen des Ombudsmannes für das Jahr 2000 (Bulletin RPO 43, War schau 2001) sowie den Bericht des Ombudsmannes für den Zeitraum 1.12.1988 bis 30.11.89 (Bulletin RPO 5, War schau 1990).

524 Vgl. zu den Zahlenangaben Bulletin RPO 12, Warschau 1991, S. 17, Bulletin RPO 25, Warschau 1995, S. 45, Bulletin RPO 39, Warschau 2000, S. 331 sowie Bulletin 43, S. 277.

525 Auch die erste Bürgerrechtsbeauftragte Ewa Llltowska resümierte mit Blick auf die ersten Tätigkeitsjahre ihrer Institution eine hohe Popularität dieser Einrichtung in der Bevölkerung, in: Llltowska, Ewa: The Polish Ombudsman and Human Rights, in: Matscher, Franz: Ombudsmann in Europa: institutioneller Vergleich = Ombuds­mann in Europe, Kehl 1994. S. 57 -71, hier S. 57.

526 Siehe dazu den obigen Abschnitt zum Programmrat der .. Niwa".

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Für den Berichtszeitraum 1989-1990 wurde festgestellt, dass keine om­budsmannrelevanten Angelegenheiten im Bereich des Minderheiten­schutzes (im Bericht unter der Rubrik "Nationalitäten- und Rassendis­kriminierung" vermerkt) vorgetragen worden waren. Es wurde lediglich auf die Kenntnis von antisemitischen Aktivitäten hingewiesen, jedoch auf keinerlei notwendige Initiative seitens des Bürgerrechtsbeauftrag­ten.527 Der Minderheitenschutz spielte hier somit keine Rolle und auch die Minderheiten selbst haben sich - anders als bei dem erfolglosen Anlauf im Vorjahr - nicht an den Ombudsmann gewandt. Dies ist umso erstaunlicher, da zu diesem Zeitpunkt der Minderheitenschutz in Polen (wie oben gezeigt wurde) durch die Aktivitäten der Mazowiecki­Regierung gerade erst etabliert wurde und die Minderheiten begannen, neue Organisationen zu gründen und ihren Aktionsspielraum zu erwei­tern (beispielsweise durch eine Beteiligung an den Lokalwahlen).

Im Berichtszeitraum 1990/91 gab es erneut einige Aktivitäten sei­tens des Ombudsmanns bezüglich antisemitischer Handlungen, eine Anfrage wegen Ausländerdiskriminierung sah er hingegen als unbe­gründet an. Zudem verwies er sehr allgemein auf die Notwendigkeit einer zu führenden Debatte um den verfassungsmäßigen und den gesetz­lichen Minderheitenschutz.528 Für den Zeitraum 1994/1995 zeigen sich schließlich mehrere minderheitenrelevante Fragestellungen. Zum einen reagierte der Ombudsmann auf einen Artikel in der angesehenen polni­schen Tageszeitung Gazeta ~borcza vom 5. Dezember 1994 mit dem Titel "Ethnische Säuberung".52' Die Veröffentlichung bezog sich auf die Ereignisse um den - oben erwähnten - Rücktritt der Direktorin des Bü­ros für Minderheiten im Kulturministeriums und einiger ihrer Mitarbei­ter. Dem in diesem Zeitungsartikel formulierten Vorwurf einer unange­messenen Budgetierung für die Aktivitäten der Minderheitenverbände530

sowie der Weigerung des Ministerpräsidenten-Amtes, das Büro in seine Behörde aufzunehmen, ging der Bevollmächtige insofern nach, als er das Amt des Ministerpräsidenten bat, sich dazu zu äußern. Bereits im Folgemonat lag eine Antwort vor, die diese Presse-Vorwürfe erwar­tungsgemäß als völlig unzutreffend und als .den Interessen der Minder-

527 Bulletin RPO 9, Warschau 1991, S. 32. 528 Bulletin RPO 12, Warschau 1991, S. 32 f. 529 Dieser scharfe Titel des Artikels bezog sich jedoch eher auf die polnische Nach­

kriegspolitik gegenüber den Minderheiten, Bulletin RPO 25, Warschau 1995, S.132.

530 Dies war der entscheidende Rücktrittsgrund rur die Büromitarbeiter gewesen, siehe Interview mit Bogumila Berdychwska in: Franaszek, Andrzej: Raport w sprawie mniejszosci, in: Tygodnik Powszechny Nr. 1 1995, S. 3, hier nach Osteuropa-Archiv in Osteuropa (1996),46. Jg. Heft 9, S. A 467-A 471, hier S. A 468.

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heiten nicht dienlich zurückwies. Zudem wurde auf die Planung der Gründung eines "Komitees des Ministerrates für Fragen nationaler Min­derheiten" verwiesen (eine Einrichtung, die letztlich erst zwei Jahre später als Interministerielle Arbeitsgruppe ins Leben gerufen wurde). Der Ombudsmann erachtete die Angelegenheit daraufhin als ausrei­chend geklärt und schloss diesen Vorgang.531

An diesem konkreten Vorgehen sind zwei Dinge interessant: Zum einen zeigt sich, dass der Ombudsmann in diesem Fall selbst in Sachen Minderheiten aktiv geworden ist und dies lediglich auf der Grundlage eines Zeitungsartikels.S32 Zum anderen wurde deutlich, dass er sich recht schnell mit der Anhörung nur einer "Seite" - des Ministerpräsidenten­amtes - zufriedengegeben hat. Ebenso hätten die ausgeschiedenen Mit­arbeiter des Büros oder das Kulturministerium in eine Bewertung einbe­zogen werden können. Dabei ist jedoch mehr dieses Verfahren des Om­budsmannes von Interesse als sein Ergebnis. Denn in der Tat ist die Frage nach einer idealen Anbindung des Minderheitenbüros - an welche Institution auch immer - eher eine politische Frage denn apriori eine Frage von Diskriminierung.

Ähnlich wurde bei einer Anfrage aus der ukrainischen Minderheit zu vorhandenen Schwierigkeiten bei der Befreiung von Arbeit und Schule an griechisch-katholischen Feiertagen verfahren. Auch hier wandte sich der Ombudsmann an das Amt des Ministerrates und akzep­tierte dessen Verweis auf eine ausreichende Gesetzeslage.S33 Eine weitere minderheitenrelevante Initiative des Ombudsmannes ist auf ein Schrei­ben der Hauptversammlung des Bundes der Ukrainer in Polen zurück­zuführen, der rechtliche Regelungen zur Verurteilung und zur Wieder­gutmachung der Verfolgung von Ukrainern in der zweiten Hälfte der 40er Jahre forderte. s34 In seiner Reaktion verwies der Ombudsmann zum einen darauf, dass der Senat bereits 1990 die Aktion Weichsel (also die Vertreibung der Ukrainer) nachträglich verurteilt habe und zum anderen, dass es laufende Gesetzgebungsverfahren im Bereich der Entschädigung gäbe.

531 Ebda. S. 132. 532 Wobei man darauf hinweisen muss, dass dieser Konflikt sicherlich zu den bekann­

testen aus den Bereich des Minderheitenthemas in Polen in den vergangenen zehn Jahren zählt und auch in zahlreichen anderen Zeitungen dargelegt wurde.

533 Ebda. S. 134. 534 Unter anderem wurde eine Überprüfung gefordert, ob damalige antiukrainische

Dekrete und Beschlüsse überhaupt mit damaligem polnischem und internationalem Recht übereinstimmten. Ebda S. 132 f.

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Eine weitere Anfrage war auch seitens der Gesellschaft der Slowaken in Polen (damals noch Sozio-kulturelle Gesellschaft der Tschechen und Slowaken in Polen) eingereicht worden. Sie bat den Ombudsmann um Hilfe bezüglich der Wiedereinführung der vollen Stundenzahl slowa­kischsprachigen Schulunterrichts in einer bestimmten Gemeinde, nach­dem ihre eigenen Bemühungen erfolglos geblieben waren. Eine Inter­vention des Bürgerrechtsbeauftragten führte hier zum gewünschten Erfolg. 53S

In einer grundsätzlichen Bewertung für diesen Berichtszeitraum konnte der Ombudsmann - trotz der vorliegenden Verdachtsmomente, die jedoch nach Überprüfung für unbegründet befunden wurden - keine Fälle von Diskriminierung unter ethnischen Gesichtspunkten erken­nen.536 Dieser Befund mag aus einer umfassender angesetzten Menschen­rechtsperspektive durchaus zutreffen, jedoch verdeutlicht diese Selbst­aussage des Ombudsmanns vielmehr ein weiteres: Bezüglich des Min­derheitenschutzes wird hier die allgemeine Kategorie der Diskriminie­rung zugrundegelegt. Jedoch ist inzwischen in den einschlägigen inter­nationalen und völkerrechtlichen Debatten um den Minderheitenschutz deutlich geworden, dass die Diskriminierungsverhütung alleine kein ausreichendes Instrument des Minderheitenschutzes darstellt und es vielmehr zur Verhinderung von "natürlicher" Assimilierung von Min­derheiten besonderer Instrumente des Minderheitenschutzes; bedarf ein Ansatzpunkt, der unter dem Stichwort "positive" Diskriminierung zu­sammengefasst wird und sich auch in verschiedenen Minderheiten­schutzdebatten widerspiegelt. 537

In seinem Bericht für das Jahr 1999 hat der Ombudsmann - etwas weiter zurückblickend und grundsätzlich - festgestellt, dass Minder­heitenfragen bei mehreren Dutzend Beschwerden pro Jahr insgesamt nur einen geringen Anteil an den einlaufenden Anträgen ausmachten. Im gleichen Tenor wie in früheren Jahren wird auch hier betont, dass so­wohl die zentralstaatliche Politik als auch das staatliche Handeln in den Regionen gegenüber den Minderheiten als positiv einzuschätzen ist. 538

Als weiterhin existent zeigt sich hier die diskriminierungsbezogene Argumentation des Ombudsmannes, indem darauf verwiesen wird, dass die Mitglieder der Minderheiten "alle Freiheiten und Rechte in An-

535 Bulletin RPO 25, Warschau 1995, S. 169. 536 Ebda. S. 132. 537 V gl. beispielhaft Klein, Eckart: Minderheitenschutz im Völkerrecht, in: Kirche und

Gesellschaft (1994) Nr. 213, S. 10. 538 Bulletin RPO 39, Warschau 2001, S. 280 f.

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spruch nehmen", die polnischen Bürgern zustehen.s39 Hier fehlt nach wie vor der Gedankengang des besonderen Schutzes, der positiven Diskri­minierung von Minderheiten. Minderheitenkonflikte werden als vorran­gig lokale Konflikte klassifiziert. Dementsprechend hat sich das Ombudsmann-Büro im entsprechenden Berichtszeitraum vor Ort bei der litauischen Minderheit über deren Lage informiert. Das Fazit des Om­budsmanns in Bezug auf die Lage der litauischen Minderheit ist positiv, und er erkennt keinerlei Diskriminierung der Minderheit, weder von zentraler staatlicher Ebene noch innerhalb der lokalen Selbstverwaltung. Positiv wurde auch die Vertretung der Minderheit auf Gemeinde- und Stadtebene von Punsk und Sejny nach den Selbstverwaltungswahlen bewertet, die dem Anteil der Minderheit entspräche. S40 Konflikte seien nur in einigen Fällen im lokalen Umfeld erkennbar, provoziert durch intolerante polnische Gruppen. Als einziges größeres Problem betrachtet der Ombudsmann hier die nicht ausreichende Subventionierung des minderheitensprachlichen Schulunterrichts.54' Es wird jedoch offen ge­lassen, wem eigentlich dieses Defizit anzulasten sei und ob eventuelle neue Kompetenzen für diese Finanzierung gesucht werden müssten.

Im Berichtsjahr 1999 hat sich der Ombudsmann vor allem mit den Roma befasst und hat (eigentlich nach Art der Parlamentskommission) Vertreter verschiedener Roma-Organisationen in das Ombudsmann-Büro gebeten. Die auch seitens des Ombudsmannes festgestellte schlechte Lage der Roma, die einer Vielzahl von Diskriminierungen ausgesetzt sind, führte zunächst zu der Überlegung, sich im Folgejahr weiterge­hender und strategischer mit der Situation der Roma zu befassen. Auf Anregung der Roma-Verbände wurde zunächst die oberste Polizeibe­hörde aufgefordert, einer als solcher empfundenen Passivität der Polizei gegenüber romafeindlichen Delikten entgegenzutreten. Eine Überprü­fung derartiger Ereignisse wurde daraufhin zumindest zugesagt. 542

Obwohl die Zahl der jährlichen Anfragen im Minderheitenbereich konstant geblieben ist, stellte der neue Ombudsmann (er hatte Mitte des Jahres sein Amt angetreten) in seinem ersten Bericht für das Jahr 2000 fest, das dem Minderheitenthema nun große Aufmerksamkeit geschenkt

539 Ebda. S. 281. 540 Dies trifft für die Gemeindeebene von PUllsk und Sejny ungefähr zu, jedoch weist

der Ombudsmann nicht darauf hin, dass die Repräsentation der Litauer im Kreisrat von Sejny weit unter ihrem statistischen Anteil in diesem Kreisliegt. Vgl. Zahl aus Materialy do II posiedzenia Polsko-Litewskiej Komisji ds. Problem6w Mniejszosci Narodowych Rady Mitedzyrzllodowej, Warschau 1998 S. 30.

541 Ebda. S. 281 f. 542 Ebda. S. 284.

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werden soll und dies zu den vorrangigen Tätigkeitsbereichen zählen soll.'43

Wie vom vorherigen Ombudsmann angekündigt, so setzte auch sein Nachfolger die Beschäftigung mit der Minderheit der Roma fort. Sein Besuch in der Wojewodschaft Kleinpolen, in der zahlreiche Roma leben, führte zu einer Anzahl von mahnenden Stellungnahmen gegenüber di­versen Landräten."" In weiteren Regionen der Wojewodschaft wurde vor allem die schlechte Einbindung von Roma-Kindern in die Schulen an­gemahnt.54s

Einen zweiten Schwerpunkt dieses Berichts bildete die Lage von Ukrainern und Lemken. Neben Initiativen bezüglich der Rückgabe ehe­maliger ukrainischer und lemkischer Friedhöfe, die heute in Privatbesitz sind, sowie Fragen der zu verbessernden seelsorglichen griechisch­katholischen Betreuung in der polnischen Armee stehen auch hier vor allem Probleme des Minderheitenschulwesens im Vordergrund.S46 Ver­wiesen wird auf die problematische Aufrechterhaltung einer entspre­chend schwierigeren und (durch kleinere Klassen) teureren schulischen Infrastruktur aufgrund der zerstreuten Siedlungssituation der Ukrainer. Der Ombudsmann hat sich hier dafür entschieden, sich die Postulate der Minderheit zu eigen zu machen und hat deren Forderung nach einem "minderheitenfreundlicheren" Subventionssystem der Minderheiten­schulen an das Bildungsministerium weitergegeben.547 Das Ministerium wies diese Forderung zurück, was der Ombudsmann in seinem Report nicht weiter kommentiert hat. Abschließend wird nochmals darauf ver­wiesen, das in der begonnenen neuen Amtszeit des Ombudsmannes A­dam Zoll eine neue Form des Umgangs mit dem Thema Minderheiten­schutz geplant ist, der sich vor allem in der nun häufigenden Schlich­tung von Konflikten zwischen Mehr- und Minderheit niederschlagen soll. 548

543 Bulletin RPO 43, Warszawa 2001 S.253 und Beschluss des Sejm zur Einsetzung von Professor Adam Zoll als Ombudsmann vom 8. Juni 2000, M.P. 2000. Nr. 19, Position 410.

544 Bulletin RPO 43, Warszawa 2001, S. 253. 545 Ebda. S. 254. 546 Ebda. S. 255. 547 Im Bericht wird darauf verwiesen, dass der Ombudsmann sich in seiner Stellung­

nahme an das Ministerium auf die Forderungen der ukrainischen Minderheit bezog. Ebda. S. 256.

548 Ebda. S. 256. Eine Überprüfung, ob dieser angekündigte minderheitenrelevante Wandel auch tatsächlich stattfinden wird, fallt nicht mehr in den hiesigen Untersu­chungszeitraum und muss späteren Studien vorenthalten blieben.

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Interaktion mit anderen Institutionen Wie stellen sich nun die minderheitenbezogenen Aktivitäten des Om­budsmannes im Licht anderer Institutionen dar? Innerhalb der Parla­mentsdebatten zeigt sich, dass zwar die Tätigkeit des Ombudsmanns insgesamt immer wieder Gegenstand der Diskussion ist, jedoch waren minderheitenrelevante Aspekte seiner Arbeit in allen drei Kadenzen bislang nicht Bestandteil der parlamentarischen Beschäftigung mit dem Bürgerrechtsbeauftragten.S4' Auch innerhalb der Parlamentskommission für Minderheitenfragen war die Tätigkeit des Ombudsmannes ebenfalls ein seltenes Thema. Zwar wurden immer wieder Vertreter des Ombuds­mann-Büros als Gäste geladen, sie beteiligten sich jedoch selten an den Kommissions-Debatten. Minderheitenrelevante Aspekte der Arbeit des Ombudsmannes wurden zumeist dann Thema, wenn einzelne als Gäste geladene Vertreter der Minderheiten über ihre Erfolge oder Misserfolge bei ihren Anträgen beim Ombudsmann berichteten."o So betonten bei­spielsweise slowakische Vertreter, die - oben dargelegte - erfolgreiche Hilfestellung durch den Ombudsmann in der Frage des slowakischspra­chigen Unterrichts.'" Ein negatives Beispiel ist hingegen der Hinweis eines weißrussischen Religionslehrers auf die Schwierigkeiten bei der Schul- und Arbeitsbefreiung an orthodoxen Feiertagen. Er beklagte, dass selbst der Ombudsmann diese Situation akzeptieren würde."2 Erst im Frühjahr 2001 wurde erstmals eine eigene Kommissionssitzung an­beraumt, die sich explizit mit Minderheitenfragen aus dem Ombuds­mann-Bericht 2000 befasst hat. In dieser Sitzung, bei der der für Min­derheiten- und Ausländerfragen zuständige Mitarbeiter des Ombuds­mannes anwesend war, gab es wenig kritische Töne. Vielmehr betonten die Kommissionsvertreter insgesamt ihre positive Zusammenarbeit mit dem Bürgerrechtsbeauftragten.553 So zeigt sich, dass der Ombudsmann

549 Vgl. Stenographische Berichte des Sejm, Kadenzen I bis III. Über andere Aspekte der Tätigkeit des Ombudsmannes wurde sehr wohl umfassend diskutiert.

550 Vgl. Bulletins d. Minderheiten-Komission des Sejm 1.-3. Legislaturperiode (Ende des Untersuchungszeitraum Juni 2001, die 3. Legislaturperiode lief hingegen bis September 2001).

551 Vgl. hierzu die Aussage von Ludomir Molitoris, Generalsekretär der Soziokulturel­len-Gesellschaft der Tschechen und Slowaken, in: Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 9 vom 6.9.1994,2. Kadenz.

552 Aussage von Piotr Niesteruk, in: Bulletin d. Sejm-Kommission rur Minderheiten, Nr. 29, vom 8.9.1995. Im entsprechenden Bericht des Ombudsmannes findet aller­dings keine derartige Beschwerde von orthodoxer Seite Erwähnung, sondern ledig­lich gleichlautende Mahnungen von griechisch-katholischer Seite, in der Tat akzep­tierte der Ombudsmann hier die bestehenden Rechtslage, Bulletin RPO Nr. 25, War­schau 1995, S. 134.

553 Bulletin d. Sejm-Kommission für Minderheiten, Nr. 75, vom 26.4.2001, 3. Kadenz.

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zwar innerhalb des minderheitenrelevanten Institutionen-Systems Po­lens bislang keinerlei führende oder auch keine auffallend innovative Rolle gespielt hat, er jedoch in das minderheitenrelevante Institutionen­System integriert ist.

Fazit Beim polnischen Bürgerrechtsbeauftragten handelt es sich um eine In­stitution, die geschaffen wurde, um die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten zu überwachen. Die institutionelle Konfiguration des Bürgerrechtsbeauftragten weist keine besondere Aufgabenstellung in Bezug auf Minderheiten auf. Damit entspricht dieser eher allgemeine Aufgabenzuschnitt dem gängigen europäischen Modell dieser Instituti­on.'" Eine besondere Ausnahme existiert in Schweden, wo zusätzlich ein spezieller "Ombudsmann gegen ethnische Diskriminierung" ins Leben gerufen worden war. Dieses Konstrukt ist für den hiesigen Forschungs­gegenstand von grundsätzlichem Interesse, zumal für Schweden - eben­so wie auf den ersten Blick für Polen - kaum ethnische Konflikte erwar­tet werden. Jedoch muss man auch darauf verweisen, dass Schweden als "Stammland für das parlamentarische Ombudsmann-System" gilt und über verschiedene Ombudsmänner verfügt. 555 Die Tätigkeit dieses Om­budsmannes konzentriert sich vor allem auf die Verhinderung von Aus­länder-Diskriminierung"6 und ist somit von anderen Notwendigkeiten geprägt als in den Transformationsländern Ostmittel- und Osteuropas, in denen auf unterschiedliche Weise die repressive Minderheitenpolitik der kommunistischen Zeit aufgearbeitet werden muss.

Der Bereich der Minderheiten nimmt, wie gezeigt werden konnte, nur einen sehr kleinen Teil der Tätigkeit des Ombudsmannes ein und war nicht regelmäßig Gegenstand seiner Arbeit. Zwar wurden die vor­gebrachten Angelegenheiten immer relativ zügig seitens des Ombuds­mannes bearbeitet, so dass man somit von einem hohen Entscheidungs­output in bezug auf die Minderheiten sprechen kann. Die Problemlö­sungskapazitäten des Ombudsmannes in Bezug auf Minderheiten variie­ren jedoch deutlich. Eine höhere Effektivität zeigt sich bei konkreten, lokal verortbaren Minderheitenkonflikten, wobei der Ombudsmann sich

554 Vgl. hierzu folgenden Überblick: Mauerer, Michael: Die parlamentarischen Om­budsmann-Einrichtungen in den Mitgliedstaaten des Europarates, in: Matscher, Franz: Ombudsmann in Europa: institutioneller Vergleich = Ombudsmann in Euro­pe, Keh11994, S. 123-152 (im Folgenden zitiert Mauerer 1994).

555 Mauerer 1994, S. 127 f. 556 Vgl. hierzu Nobel, Peter: The Swedish Ombudsman against Ethnic Discrimination,

in: Matscher, Franz: Ombudsmann in Europa: institutioneller Vergleich = Ombuds­mann in Europe, Kehl 1994, S. 47-55.

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als zentralstaatliche Instanz an regionale und lokale Behörden wendet. Eine geringe Effektivität zeigt sich bei makropolitischen Fragen, vor allem durch die schnelle Akzeptanz der Aussagen zentralstaatlicher Behörden. Es zeigt sich dementsprechend, dass der Ombudsmann als minderheitenrelevante Institution zwar ein für konkrete Konfliktlösun­gen geeignetes Instrument darstellt, jedoch in Fragen institutioneller Strukturveränderungen für den Minderheitenschutz wenig innovativ agiert.

Insgesamt scheinen zudem die Minderheiten selbst diese Institution nicht vorrangig zur Regelung ihrer Minderheitenprobleme in Anspruch zu nehmen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass ihre Erwar­tungen an diese Institution - und damit die subjektive Legitimität sei­tens der Minderheiten selbst - nicht sehr hoch sind.

5. Minderheitenrelevante Institutionen auf regionaler und lokaler Ebene

In diesem Abschnitt soll ein Blick auf das minderheitenrelevante institu­tionelle Set auf lokaler und regionaler Ebene geworfen werden. Dazu werden zunächst die Grundlagen der dreistufigen Selbstverwaltung in Polen seit der Regionalreform von 1999 dargelegt. Im Weiteren wird die Repräsentation von Minderheiten in lokalen und regionalen Wahlen untersucht und anschließend explizit minderheitenrelevante Institutio­nen auf regionaler Ebene skizziert. Dabei handelt es sich um Minderhei­ten-Beauftragte auf Wojewodschaftsebene sowie um eine in einem ein­zigen Regionalparlament Polens existierende Minderheiten-Kom­mission.

5.1 Die Regionalreform

Wie bereits mehrfach erwähnt, wurde in Polen im Jahr 1999 eine Regi­onalreform durchgeführt, durch die regionale und lokale Selbstverwal­tungseinheiten Kompetenzen übernahmen, die zuvor in den Händen der Regierungsadministration lagen. Neben der bereits seit 1990 existieren­den lokalen Selbstverwaltung wurden zwei weitere Selbstverwaltungs­ebenen eingeführt, die Kreise und die (neu organisierten) Wojewod-

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schaften. Dennoch gilt in Polen nach wie vor das verfassungsmäßige Prinzip des Zentralstaats.557

Auf der Wojewodschaftsebene existieren sowohl die Vertretung der Regierungsadministration - der Wojewode - als auch die Organe der Selbstverwaltung - Regionalparlament und Wojewodschaftsvorstand -parallel nebeneinander. Der Wojewode übt die Aufsicht über die Einhei­ten der Selbstverwaltung aus und verfügt z.T. über Kompetenzen in Bereichen, die ebenfalls das Kompetenzspektrum der Selbstverwal­tungsstruktur auf Wojewodschaftsebene betreffen. Dies gilt vor allem für die Bereiche Soziales, Raumordnung, Umweltschutz und öffentliche Sicherheit.S58

Die Selbstverwaltungseinheiten der Wojewodschaft haben zahlrei­che Zuständigkeiten in weiteren Politikbereichen wie dem Bildungs­und Gesundheitswesen oder dem Verbraucherschutz. Vor allem sollen sie aber Entwicklungsstrategien für die Wojewodschaften entwickeln, etwa in wirtschaftlicher, infrastruktureller und finanzieller Hinsicht. 5S9

Sie üben jedoch keine Aufsicht über die unteren Ebenen der Selbstver­waltung, die Kreise und die Gemeinden aus.560 Die Organe der Selbst­verwaltung in der Wojewodschaft sind das für vier Jahre gewählte Regi­onalparlament - der Sejmik - als beschluss fassendes und kontrollieren­des Organ der Wojewodschaftsvorstand. Dieser stellt das exekutive Organ der Wojewodschafsselbstverwaltung dar und wird aus den Reihen des Sejmiks gewählt. Der Vorstandsvorsitzende steht als Marschall an der Spitze des Vorstands und somit auch an der Spitze der Wojewod­schaft. 561

In ähnlicher Weise sind die Gemeinde- und Kreisebenen struktu­riert, die jeweils über einen Gemeinde- bzw. Kreisrat sowie einen Ge­meinde- bzw. Kreisvorstand als Organe der jeweiligen Selbstverwal­tungsebene verfügen. Im Unterschied zum Kreis darf die Gemeinde jedoch nicht nur die für sie festgelegten Aufgaben erfüllen, sondern kann prinzipiell alle Aufgaben wahrnehmen, die nicht anderen Organen der öffentlichen Verwaltung vorbehalten sind. Da eines der Prinzipien der territorialen Selbstverwaltung das Subsidiaritätsprinzip ist, kann ein

557 Durka, Wlodzimierz: Reform der öffentlichen Verwaltung in Polen, in: Transodra, Nr. 19 (1999) (im Folgenden zitiert Durka 1999), S. 18-28, hier S. 18.

558 Ebda. S. 19,24 f. 559 Gesetz vom 5. Juni 1998 über die Selbstverwaltung der Wojewodschaften, in der

geänderten Fassung: Dz. U., Nr. 162, Pos. 1126 vom 29.12.1998 (im Folgenden zi­tiert Wojewodschaftsgesetz) Artikel 11 und Artikel 14.

560 Trociuk, Stanislaw: Samorzlld wojew6dztwa, Warschau 1999 (im Folgenden zitiert Trociuk 1999).

561 Trociuk 1999 S. 28, Durka 1999 S. 27.

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Kreis keine ongmaren Gemeindeaufgaben übernehmen. Für das Min­derheitenthema ist beispielsweise relevant, dass die Gemeinde für Grundschulen, der Kreis hingegen für weiterführende Schulen zuständig ist. Eine explizite Zuständigkeit für Minderheitenfragen findet sich jedoch weder für Gemeinden, Kreise noch Wojewodschaften.s62

In Debatten um allgemeine Minderheitenschutzkonzepte werden immer wieder Dezentralisierung und Subsidiarität als wichtige Ansätze für den Minderheitenschutz genannt.S63 Von besonderem Interesse ist dabei nicht selten das Modell der kommunalen Selbstverwaltung, so dass zuweilen - wie Dieter Blumenwitz es formulierte - "in der Verbin­dung von kommunaler Selbstverwaltung und Minderheitenschutz" ein möglicher "Schlüssel zur Wahrung der kulturellen Identität" gesehen wird. Dies zum al dann, wenn der Minderheitenschutz zu den expliziten Aufgaben der jeweiligen Kommunen zählt und Minderheiten im kom­munalen Wahlrecht begünstigt werden. Blumenwitz sieht für die Bedeu­tung der kommunalen Selbstverwaltung für den Minderheitenschutz vor allem zwei Gründe: Zum einen fallen Politikbereiche, die für Minder­heiten Bedeutung haben, in den kommunalen Zuständigkeitsbereich (etwa gemeindliche Kulturpolitik oder Fragen von kommunalen Amts­und Schulsprachen). Zum anderen sei in der kommunalen Selbstverwal­tung ein großes Konfliktlösungspotential gegeben, weil die unmittelbare Alltags-Konfrontation von Betroffenen eines Konflikts die Bereitschaft zu Kompromissen erhöhe.sM

Noch weitergehender ist jedoch - darauf sei hier kurz verwiesen -das in Ungarn praktizierte Modell der lokalen Minderheitenselbstver­waltung, dass über das der allgemeinen kommunalen Selbstverwaltung hinausreicht. So können sich ganze Gemeinden zu einer Minderheiten­selbstverwaltung erklären, wenn mehr als die Hälfte der Gemeinderats­mitglieder aus einer Minderheit kommen. Die zusätzlichen Kompeten­zen dieser Minderheitenselbstverwaltung bestehen in einem Informati­ons-, Initiativ- und Rügerecht in Minderheitenfragen gegenüber staatli­chen Behörden. sos

562 Milczarek, Tadeusz: Samorzltd gminy, Warschau 1999, S.39-53; Milczarek, Tadeusz: Samorzltd powiatowy, Warschau 1999, S. 39-42, Durka 1999, S. 23. Siehe die Aufgabenbeschreibung flir Gemeinden, Kreise und Wojewodschaften in: Gesetz vom 8. März 1990 über die Selbstverwaltung der Gemeinden in der einheitlichen Textfassung von 1996, Dz. U. 1996, Nr. 13, Pos. 74, Artikel 7; Gesetz vom 5. Juni 1998 über die Selbstverwaltung der Kreise in der geänderten Fassung, Dz. U. 1998, Nr. ISS, Pos. 1014, Artikel 4; Wojewodschaftsgesetz, Artikel 11 und Artikel 14.

563 Oeter in Frowein 1994, S. 494. 564 Blumenwitz 1997, S. 91 f. 565 Ebda. S. 93 f.

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Legitimität Obwohl somit prinzipiell die Regionalreform die Chancen politischer Repräsentation und die Konfliktlösungsmöglichkeiten für Minderheiten verbessert haben müsste, ist die Legitimität der Reform unter den Min­derheiten nicht durchweg positiv. Letztlich sprechen die in dieser Studie interviewten Minderheitenvertreter eher von einem Modell, dass vor allem für die deutsche Minderheit hilfreich sei.

Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Wojewodschaftsstruktu­ren, denn die Vergrößerung der Wojwodschaften führe dazu, dass die Minderheiten nochmals verstärkt zu Minderheiten innerhalb ihrer nun noch größeren Wojewodschaften geworden seien. Dies trifft beispiels­weise für die litauische und weißrussische Minderheit zu, deren Woje­wodschaften (Suwalki und Bialystok) nun zu einer (Podlachien) zu­sammengelegt sind. Vertreter der weißrussischen Minderheit betonten, sie hätten zuvor 30 Prozent der Wojewodschaftsbevölkerung gestellt, nun sei ihr Anteil deutlich geringer und somit ihre Repräsentation er­heblich schwieriger. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße für die Uk­rainer, beispielsweise durch die Zusammenlegung der Wojewodschaften Koszalin und Stettin zu der Wojewodschaft Westpommern.S66

5.2 Minderheiten in lokalen und regionalen Wahlen

Minderheitenvertreter haben nicht nur an den Wahlen zu Sejm und Senat teilgenommen, sondern sich immer auch bemüht, auf lokaler bzw. regi­onaler Ebene politisch präsent zu sein. Auf regionaler und lokaler Ebene existieren jedoch - im Unterschied zu den Wahlen zum Zentralparla­ment - keinerlei Bestimmungen, die die Minderheitenrepräsentanz in den lokalen und regionalen Gremien sichern bzw. erleichtern.s67

566 Vgl. zur Kritik: Jan Syszewski, Weißrussische sozio-kulturelle Gesellschaft (Bialo· ruskie Towarzystwo Spoleczno·Kulturalne). Eine Unterscheidung zwischen den the­oretischen Möglichkeiten und den praktischen Auswirkungen der Reform trifft Mi· ron Kertyszak vom Bund der Ukrainer in Polen (Zwiqzek Ukrailkow w Polsce). Negative Folgen speziell für die Weißrussen in einer vergrößerten Wojewodschaft sieht J erzy Schulski (Weißrussische Vereinigung der Studenten), Oleg Latyszonek (Weißrussische Historische Gesellschaft) und Igor Lakaszuk (Bund der weißrussi­schen Jugend).

567 Siehe zum einen Gesetz vom 8.3.1990 über die lokale Selbstverwaltung, Dz. U. 1990, Nr. 16, Pos. 95, hier nach LodziiIski in Centrum 1998, S. 62, sowie Gesetz vom 16.7.1998, Wahlordnung zu den Gemeinderäten, Kreisräten und Wojewod­schafts-Sejmiks, Dz. U. 1998, Nr. 95, Pos. 602 (verändert, ebda: Nr. 160, Pos. 1060).

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Seit dem Systemwechsel hat es insgesamt drei Wahlen auf lokaler bzw. regionaler Ebene gegeben. 1990 und 1994 fanden jeweils Lokalwahlen statt (die Gemeindeselbstverwaltung war bereits 1990 eingeführt wor­den) und im Vorgriff auf die Regionalreform von 1999 haben 1998 so­wohl Gemeinderatswahlen als auch Wahlen zu den neu geschaffenen Kreisräten und Wojewodschaftsparlamenten stattgefunden.

Bei den Lokalwahlen von 1990 konnten insgesamt 550 Vertreter der nationalen Minderheiten Mandate in den Gemeinderäten Polens errin­gen. Da die Gesamtzahl der Mandate bei 52.037 lag, betrug somit der Anteil der von den Minderheitenvertretern errungenen Mandate gut ein Prozent. Bei einem geschätzten Bevölkerungsanteil der Minderheiten von einem bis vier Prozent entspricht diese Zahl allerdings nicht dem repräsentativen Anteil. Der umfassendste Wahlerfolg gelang - ähnlich wie auch bei den Sejm-Wahlen - der relativ großen und überwiegend geschlossen siedelnden deutschen Minderheit. Sie stellte 380 Ratsmit­glieder in insgesamt 26 Gemeinden und beanspruchte somit den größten Teil der Minderheitenmandate. 568 Die weißrussische Minderheit errang insgesamt 73 Gemeinderatsmandate und die Ratsmehrheit in insgesamt acht Gemeinden. Der verstreut siedelnden ukrainischen Minderheit ge­lang zwar der Wahlsieg für 70 Stadt- und Gemeindratsmandate, jedoch konnte sie in keiner Gemeinde und keinem Kreis die Mehrheit stellen. Auch die litauische Minderheit konnte lediglich in der Gemeinde Punsk die Mehrheit stellen, errang jedoch insgesamt 19 Gemeinde­ratsmandate. s69

Das Ergebnis der Lokalwahlen von 1994 ergab ein ähnliches Bild: Die Zahl der Gemeinderäte, die von Minderheitenvertretern gestellt wurde, wird insgesamt auf rund 600 geschätzt,s"o dürfte jedoch ein wenig höher anzusetzen sein, da auf die deutsche Minderheit allein 550 Man­date entfallen (in insgesamt 38 Gemeinden).S11 Die litauische Minderheit errang 23 Mandate und stellte erneut die Mehrheit im Gemeinderat von Punsk. Die slowakische Minderheit errang zehn Mandate.572 Trotz ge­schlossener Siedlungs weise und relativer Größe konnte die weißrussi­sche Minderheit lediglich 32 Mandate erringen. Jedoch war sie in zwei Gemeinden Koalitionen mit anderen politischen Gruppen eingegangen,

568 Lodzinski in Centrum 1998, S. 63. 569 Ebda. 1998, S. 63, Statistisches Jahrbuch 1998, S. 45. Es ist nicht bekannt, in wel­

chem Maße die slowakische Minderheit an den Lokalwahlen von 1990 teilgenom­men hat; Lodzinski, Siowacy, in Centrum 1998, S. 240.

570 Lodzinski in Centrum 1998, S. 63, exakte Angaben existieren nicht. 571 Berlinska, Madajczyk in Centrum 1998, S. 102. 572 Szamel in Centrum 1998, S. 212, Lodzinski, Siowacy, in Centrum 1998, S. 240.

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was sich als erfolgreiches Modell erwies. m Bezüglich der ukrainischen Minderheit geht die Expertin Bogumila Berdychowska von einem Wahl­ergebnis von etwa 30 Gemeinderatsmitgliedern aus. 57' Geht man damit insgesamt von rund 650 Minderheiten-Mandaten aus, so ergibt sich bei einer Gesamtzahl der Mandate von 51.926575 für die Lokalwahl von 1994 eine prozentuale Vertretung der Minderheiten von 1,3 Prozent, so dass die politische Repräsentation der Minderheiten in den bei den ersten Wahlen zur lokalen Selbstverwaltung konstant niedrig geblieben ist.

Für die Wahl zu den Gemeinde- und Kreisräten sowie zu den Woje­wodschaftsparlamenten von 1998 liegen keine offiziellen Angaben zur Repräsentanz von Minderheiten vor. 576 Es lassen sich lediglich einzelne Angaben zur Repräsentation von Minderheiten finden, die den Schluss nahe legen, dass in Kreisen und Wojewodschaften die Repräsentanz der Minderheiten noch geringer ausfällt als in den Gemeinden.

Teile der weißrussischen Minderheit verfolgten in diesen Regional­wahlen auf kommunaler Ebene erneut die Strategie von Koalitionen mit anderen politischen Kräften. So hatten sich in Bielsk Podlaski, einer Kleinstadt mit großem weißrussischem Bevölkerungsteil in der Region von Bialystok, Weißrussen, Ukrainer und die SLD erfolgreich zu einer gemeinsamen Wahlinitiative zusammengeschlossen. Der Wahlsieg führ­te zu einer doppelten Minderheitenvertretung im Gemeindevorstand, so wurde nicht nur der Bürgermeister von der weißrussischen Minderheit gestellt, zudem stammt einer seiner Stellvertreter aus der ukrainischen Minderheit.m Der ukrainischen und weißrussischen Minderheit gelang es, die Ratsmehrheit in zehn Landgemeinden und in drei Stadtgemein­den zu erringen und dort die Bürgermeister zu stellen. Es handelt sich dabei um solche Gemeinden, in denen die weißrussische Minderheit

573 Kazanecki in Centrum 1998, S. 188. Mironowicz Eugeniusz: Bialorusini w wyborach parlamentarnych i samorzltdowych w Polsee w latach 1989-1994, in: Instytut Europy Srodkowo-Wschodniej (Hrsg): Samoidentyfikacja mniejszosci narodowych i religijnych w Europie Srodkowo-Wschodniej. Problematyka prawna, Lublin 1998, S. 62-68, hier S. 67 f.

574 Berdychowska in Centrum 1998, S. 150. 575 Statistisches Jahrbuch 1999, S. 44. 576 Telefonische Auskunft des Minderheitenexperten Slawomir Lodzinski sowie der

Zentralen Wahlkomission, Warschau, 3.10.2001. Die im Folgenden verwendeten Angaben beruhen auf diesen mündlichen Informationen, sie können nur vorbehalt­lich gelten.

577 Entwurf eines Koalitionsvertrags zwischen Bialoruski Komitet Wyborczy, Sojusz Lewicy Demokratycznej und Zwiltzek Ukrainc6w Podlasia, Bielsk Podlaski 1998, Wahlplakat Komitet Wyborczy "Koalicja Bielska" 1998. Zudem: Interview mit dem Bürgermeister von Bielsk Podlaski Andrzej Stepaniuk, 24.2.2000 Bielsk Po dia ski sowie dem Vizebürgermeister Jan Kiryziuk, 15.12.2000 Bielsk Podlaski.

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nach Forschungen des Bialystoker Soziologen Andrzej Sadowski mehr als 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sowie um einige Gemein­den, in denen die weißrussische Bevölkerungsgruppe mehr als die Hälf­te der Bevölkerung stellt. Obwohl die weißrussische Bevölkerung ge­mäss den Forschungen Sadowskis auch in drei Kreisen in relevantem Maße siedelt, gelang es lediglich in einem Kreis - Hajnowka -, einen Kreisvorsitzenden aus der Minderheit zu stellen.578

Wie bereits unter dem Abschnitt zu den Minderheitenverbänden be­schrieben wurde, hatte sich die litauische Minderheit rür die erstmals stattfindende Kreisratswahl 1998 zu einer konzertierten Wahlinitiative für den Kreis Sejny entschlossen. Diese Initiative war wenig erfolg­reich, denn im Kreisrat konnte die Minderheit lediglich drei Mandate (von 20) erringen und blieb somit mit einem 15-prozentigen Ratsanteil unter dem geschätzten litauischen Bevölkerungsanteil von 30 Prozent in diesem Kreis. 579 Trotz der geringen Mandatszahl wurde jedoch ein Rep­räsentant der litauischen Minderheit zum stellvertretenen Landrat ge­wählt, so dass die litauische Minderheit an der Spitze des Kreises von Sejny repräsentiert ist.580

Der deutschen Minderheit in der Wojewodschaft Oppeln gelang es, bei der Wahl zum Wojewodschaftsparlament 21 Prozent der Stimmen zu erringen, sie bildete damit eine ähnliche große politische Kraft wie die beiden großen Parteien SLD (25 Prozent und AWS (23 Prozent).S8! Auf Kreis- und Gemeindeebene schnitt die Minderheit in dieser Wojewod­schaft noch besser ab, indem sie auf Kreisebene 33 Prozent aller Kreis­ratsmandate erringen konnte (112 Mandate von 335) sowie auf Gemein­deebene 30 Prozent aller Mandate (476 von 1.562). Zudem erlangte sie die Ratsmehrheit in 28 von 71 Gemeinden der Wojewodschaft. 582

Insgesamt zeigt die Teilnahme der Minderheiten an den lokalen und regionalen Wahlen seit dem Systemwechsel Polens folgendes Bild:

Aufgrund fehlender institutioneller Regelungen zur Unterstützung der Minderheitenrepräsentanz auf lokaler und regionaler Ebene hängt

578 Telefonat mit Eugeniusz Wappa, Bialystok 4.10.2001, Sadowski in Kurcz 1997, Grafik S. 24 f.

579 Angabe aus der Minderheit, Interview mit Vieze-Landrat Wittkowski, Juli 2000, Pullsk.

580 Materialy do II posiedzenia Polsko-Litewskiej Komisji ds. Problem6w Mniejszosci Narodowych Rady Milldzyrzlldowej, Warszawa, 5.11.1998 (im Folgenden zitiert Materialy 1998), S. 30, Interview mit dem litauischen Vize-Landrat Wittkowski, Juli 2000, Pullsk.

581 Berlillska, Danuta: Mniejszosc niemiecka na SlllSku Opolskim w poszukiwaniu tO:i:samosci, Oppeln 1999 (im Folgenden zitiert Berlillska 1999), S. 236.

582 Ebda. S. 237 f.

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die politische Chance auf eine parlamentarische Vertretung der Minder­heiten in diesem Bereich vollständig von der jeweiligen Siedlungsstruk­tur und der Fähigkeit zur politischen Mobilisierung der Minderheiten ab.

Wie auch auf zentralstaatlicher Ebene haben die größeren Minder­heiten seit der Demokratisierung Polens durchgängig versucht, an der Repräsentation auf lokaler bzw. regionaler Ebene teilzuhaben. Ein Er­folg gelang jedoch zumeist nur in den von Minderheiten relativ ge­schlossenen besiedelten Gebieten. Neben den kleinräumigen Erfolgen dieser Art für Weißrussen und Litauer konnte nur die deutsche Minder­heit vor allem in der Wojewodschaft Oppeln umfassendere Ratsmehrhei­ten erringen.

In Fällen, in denen die Gemeinderatsmehrheit errungen wurde (durch die litauische, weißrussische und deutsche Minderheit), kam dies faktisch einer Art lokalen Minderheiten-Autonomie gleich, da die Rats­mehrheit die Aufgaben der lokalen Selbstverwaltung im Sinne der eige­nen Minderheit nutzen kann.'·'

Diese faktischen Formen einer gewissen lokalen Minderheiten­Autonomie dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den lokalen und regionalen Selbstverwaltungseinheiten Polens - anders als beispielsweise in Ungarn, wo lokale (und sogar landesweite) Minderhei­tenselbstverwaltungen möglich sind'" - spezielle institutionelles Arran­gements für Minderheiten insgesamt nicht existieren.

5.3 Die Minderheiten-Beauftragten in den Wojewodschaften

Die einzige in mehreren Wojewodschaften existierende minderheitenre­levante Institution bildet der Beauftragte für Minderheitenfragen. Dabei zeigen sich zwei mögliche Formen: Zum einen existieren Beauftragte als Repräsentanten der Warschauer Zentralregierung, zum anderen gibt es einen Minderheiten-Beauftragten, der im Auftrag einer Wojewodschaftsselbstverwaltung agiert. Beide institutionellen Varianten sollen im Folgenden untersucht werden.

Institution building Die Institution des Minderheiten-Beauftragten in den Wojewodschaften wurde Mitte der 90er Jahre installiert, also in der Regierungszeit der

583 Hierbei stimmt die Autorin mit dem Urteil Slawomir Lodzinskis überein, der dies für die Situation nach der Wahl von 1994 flir die deutsche Minderheit im Oppelner Gebiet festgestellt hat; Lodzinski in Centrum 1998, S. 63.

584 Siehe Blumenwitz 1997, S. 173-176.

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SLD-PSL-Koalition. Damit entsprach man - nach Ansicht von Bogumi­la Berdychowska - der allgemeinen Auffassung, dass es für Minderhei­ten leichter sei, bestimmte Angelegenheiten auf regionaler als auf loka­ler Ebene zu verhandeln.585 So existierten 1996 in insgesamt fünf Woje­wodschaften Beauftragte für Minderheitenfragen (in den damaligen Wojewodschaften Nowy S!l:CZ, Oppeln, Allenstein, Bialystok und Prze­mysi). Diese Institutionen waren und sind beim Wojewoden angesiedelt, der sowohl vor als auch nach der Regionalreform die Regierungsadmi­nistration auf Wojewodschaftsebene darstellt.586

Institutionelle Konfiguration

Das zentralstaatliche Modell Derzeit existiert nach wie vor in mehreren Wojewodschaften ein Beauf­tragter für Minderheitenfragen bei den Wojewoden. Andererseits wirkt in der Wojewodschaft Ermland-Masuren ein Beauftragter für Minderhei­tenfragen, der innerhalb der Selbstverwaltungsstruktur der Wojewod­schaft, also beim Marschall, angesiedelt ist. Zunächst soll ein Blick auf die erste Variante der Minderheiten-Beauftragten geworfen werden, die hier als "zentralstaatliches Modell" bezeichnet wird.

In den ersten Jahren ihrer Existenz zeigte sich dieses Modell der Beauftragten für Minderheitenfragen unterschiedlich erfolgreich und war von der Kompetenz der jeweiligen Akteure abhängig. Die seit Mitte der 90er Jahre bis heute amtierenden Minderheiten-Beauftragten der Wojewodschaft Oppeln und Allenstein (heute Ermland-Masuren) sind beispielsweise als Kenner der Materie bekannt (Danuta Berlinska und Wiktor Leyk). Hingegen endete die personelle Besetzung dieser Positi­on in der damaligen Wojewodschaft Bialystok in einem politischen Skandal, da der 1995 eingestellte Beauftragte augenscheinlich nicht nur wenig Wissen, sondern auch wenig Fingerspitzengefühl für diese Auf­gabe besaß. So betonte er etwa in einem Zeitungsinterview, dass die Identität der Minderheiten ein subjektives Kriterium sei und nicht im­mer alle auch Weißrussen oder Polen seien, die dies von sich behaupte­ten. Dies führte zu scharfen Protesten des Weißrussischen Bundes in der Republik Polen gegen die Person des Beauftragten, der Ende 1996 von seinem Posten abberufen wurden und für dessen Aussagen sich der Wo-

585 Berdychowska, Bogumila: Vorwort, in: Centrum Stosunk6w MiClldzynarodowych Instytutu Spraw Publicznych (Hrsg.): Mniejszosci narodowe w Polsce. Praktyka po 1989 roku, Warszawa 1998 (im Folgenden zitiert Berdychwoska, Vorwort in Centrum 1998), S. 5-9.

586 Berdychowska in Centrum 1998, S 143, Durka 1999, S. 19.

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jewode zudem schriftlich beim Bund entschuldigte. Ähnliche Konflikte zeigten sich auch beim damaligen Beauftragen der Wojewodschaft Przemysl.m Diese personellen Fehlbesetzungen der Anfangszeit führten zur nachhaltigen negativen Legitimität dieser Institution überhaupt, so dass beispielsweise der weißrussische Bund die erneute Einsetzung eines Beauftragten gänzlich ablehnt.'" Insgesamt bewertet auch die Minderheitenexpertin Bogumila Berdychowska diesen "ersten Anlauf' des Modells eines Minderheitenbeauftragten in den Wojewodschaften insgesamt negativ. Dafür sieht sie drei Gründe: Zum einen hätten sich diese Beauftragten in der Regel darauf beschränkt, auf existierende Minderheitenprobleme zu reagieren, anstatt ihnen entgegenzuwirken. Zum anderen seien in dieser "ersten Runde" der Beauftragten (mit den oben beschriebenen Ausnahmen) Personen ohne geeignete Qualifikation ausgewählt worden. Und diese hätten drittens über keine klar umrisse­nen Kompetenzen verfügt und seien zudem in der Regel gleichzeitig noch für andere Tätigkeitsbereiche zuständig gewesen. Berdychowska beschreibt somit gleichermaßen formale wie praktische Mängel dieses Modells und bezeichnet die Beauftragten für Minderheitenfragen dem­entsprechend als "gescheitertes Experiment"."9

Struktur und Arbeitsweise Derzeit existieren in fünf Wojewodschaften beim Wojewoden angesie­delte Beauftragte für Minderheitenfragen. Nach wie vor widmen diese nicht ihre gesamte Arbeitskraft dieser Aufgabe, sondern haben zumeist noch weitere Tätigkeitsfelder. So ist der Minderheiten-Beauftragte in der Wojewodschaft Kleinpolen zugleich Pressereferent des Wojewoden und der Beauftragte in der Wojewodschaft Unterkarpaten zugleich Di­rektor des Nationalmuseums von Przemys1.590

Beispielhaft für die Beauftragten des "zentralstaatlichen Modells" sollen im Folgenden die Kompetenzen und die Tätigkeit des Minderhei­ten-Beauftragten der Wojewodschaft Kleinpolen untersucht werden. In dieser Wojewodschaft wurde die Institution des Minderheiten-Beauf-

587 Aussage des Minderheiten-Beauftragten Slawomir Halicki im "Kurier Poranny" vom 2/3.11.1996, hier nach: Berdychowska in Centrum 1998, S. 144. Kazanecki in Centrum 1998, S. 180.

588 Interview mit Eugeniusz Wappa, März 2000. 589 Berdychowska in Centrum 1998 S. 145, Berdychowska, Vorwort in Centrum 1998,

S.7. 590 Interview mit dem Minderheitenbeauftragen der Wojewodschaft Kleinpolen, Artur

Paszko, Juli 2001 Krakau (im Folgenden zitiert Interview mit Artur Paszko); Tele­fonat mit dem Minderheiten-Beauftragten der Wojewodschaft Unterkarpaten, Mari­usz Jerzy Obromski.

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tragten erst vergleichsweise spät, im Jahr 2000, installiert. Der Grün­dungsimpuls war von einem Minderheitenverband ausgegangen, der Vereinigung der Lemken (Zjednoczenie Lemk6w), auf dessen Appelle hin man sich zur Schaffung dieser Institution entschloss. 591 Der Erlass des Wojewoden zu Einrichtung dieser Position sah bereits eine konkrete Person für diese Funktion vor und legte fest, dass der Pressereferent des Wojewoden zum Minderheiten-Beauftragten ernannt werden sollte.

Die formalen Kompetenzen des Minderheiten-Beauftragten erstre­cken sich auf drei verschiedene Aufgabenbereiche: Zum einen soll der Beauftragte in dauerhaftem Kontakt zu den Minderheiten der Wojewod­schaft stehen und den Wojewoden auf Veranstaltungen der Minderheiten vertreten. Zum zweiten soll er in die Mehrheitsbevölkerung hinein wir­ken und das Wissen über nationale Minderheiten verbreiten (wozu in diesem Fall die zusätzliche Tätigkeit des Beauftragten als Pressereferent sicherlich günstig ist). Drittens soll er sowohl mit der Wojewodschafts­selbstverwaltung als auch mit anderen Verwaltungsorganen und den Minderheitenorganisationen zusammenarbeiten. Im Bereich der Koope­ration mit den Minderheiten findet sich zudem eine konkretere Aufga­benbeschreibung, wonach der Beauftragte vor allem Initiativen des im Abschnitt zum Innenministerium beschriebenen Regierungsprogramms für Roma anleiten soll. 592

Gerade diesen Aspekt bewertet der Minderheiten-Beauftragte der Wojewodschaft Kleinpolen als zentrales Betätigungsfeld, da sich das Regierungsprogramm besonders wegen der prekären sozialen Lage der Roma auf diese Wojewodschaft fokussiert hat. Somit liegt der Schwer­punkt der Tätigkeit des Minderheiten-Beauftragten vor allem im Bereich der Sozialpolitik und weicht von dem insgesamt dominierenden kultur­und bildungspolitischen Schwerpunkt der Minderheitenpolitik in Polen ab. Einen zweiten Schwerpunkt stellt die Beschäftigung mit den Lem­ken dar, zu denen vor allem Vertriebene der Aktion "Weichsel" zählen, die später in diese Region zurückgekehrt sind. Im Zentrum der Beschäf­tigung mit dieser Minderheit stehen dementsprechend vor allem Wie­dergutmachungs- und Restitutionsfragen.593

591 Interview mit Artur Paszko, Erlass Nr. 208/2000 des Wojewoden von Kleinpolen, 7.8.2000 in Fragen der Schaffung eines Beauftragten für Angelegenheiten Nationa­ler Minderheiten beim Wojewoden von Kleinpolen (im Folgenden zitiert Erlass Wo­jewode Kleinpolen).

592 Zusätzlich soll sich der Minderheiten-Beauftragte noch mit einem sogenannten Strategischen Ausschwitzprogramm der Regierung beschäftigen; Erlass Wojewode Kleinpolen.

593 Interview mit Artur Paszko.

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Diese Installierung eines neuen Minderheiten-Beauftragten in der "zent­ralstaatlichen" Variante nach der Regionalreform zeigt, dass auf Regie­rungsebene trotz Einführung der regionalen Selbstverwaltung an diesem Modell des Minderheiten-Beauftragten nicht nur festgehalten wurde, sondern dieses sogar weiter ausgebaut wird. Wie anhand der Analyse der Tätigkeit der interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheitenfra­gen gezeigt werden konnte, gibt es Planungen, dieses Modell noch zu erweitern und es zur obligatorischen Einrichtung in den einzelnen Wo­jewodschaften werden zu lassen. Diese Überlegung forciert vor allem der Leiter der Abteilung für Minderheitenfragen im Innenministerium, der sie zugleich in seiner Funktion als Sekretär der interministeriellen Arbeitsgruppe ebenfalls in diese hineingetragen hat.'94 Es ist somit nicht erkennbar, dass die Regionalreform und mit ihr das Subsidiaritätsprin­zip unter dem Gesichtspunkt subsidiärer institutioneller Arrangements nachvollzogen wurde.

Das Selbstverwaltungs-Modell Die Ansiedlung eines Beauftragten für Minderheitenfragen innerhalb der Wojewodschaftsselbstverwaltung findet sich lediglich in der Woje­wodschaft Ermland-Masuren. Der dortige Minderheiten-Beauftragte Wiktor Leyk, der von 1994 bis 1999 beim Wojewoden als Minderheiten­Beauftragter gearbeitet hatte, war im Oktober 1999 zum Minderheiten­Beauftragten des Marschalls von Ermland-Masuren berufen worden. Das institution building dieser speziellen Position war dadurch geprägt, dass der 1998 neu berufene Wojewode (also der Vertreter der Zentralre­gierung) kein Interesse an der seit vier Jahren in seiner Behörde existie­renden Position des Minderheiten-Beauftragten hatte und diesen Posten gegenüber dem soeben entstandenen Wojewodschaftsparlament Anfang 1999 zur Disposition stellte. Eine entsprechende politische Konstellati­on, die die Übernahme des Minderheiten-Beauftragten in die Struktur der Selbstverwaltung ermöglichte, bot sich jedoch erst nach einem Wechsel der regionalen Regierungskoalition und der Berufung eines neuen MarschalIs im Herbst 1999.595 Für ihn war nach eigenen Angaben

594 Interview mit Rzemieniewski, Protokoll der Interministeriellen Arbeitsgruppe, IX. Sitzung, 13. April 2000.

595 Manuskript von Wiktor Leyk: Das Funktionieren des Beauftragten für nationale Minderheiten beim Marschall der Wojewodschaft Ermland-Masuren, Allenstein 2000 (im Folgenden zitiert Leyk, Manuskript), S. 2 f. In dieser Wojwodschaft hatte zunächst für wenige Monate eine Koalition aus AWS, UW und PSL bestanden, die jedoch von einer Koalition von SLD, UW und PSL abgelöst wurde, wodurch der schnelle Wechsel an der Spitze der Wojewodschaft zustande kam; Interview mit Mi­ron Sysz, Vorsitzender des Sejmik, Juni 2000, Gorowo Ilawiecki.

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die Berufung des Minderheiten-Beauftragten eine seiner ersten Amts­handlungen.596

Die Aufgaben des Minderheiten-Beauftragten unterscheiden sich kaum von denen des "zentralstaatlich" angesiedelten Minderheiten­Beauftragten der Wojewodschaft Kleinpolen und sind weitgehend all­gemein gehalten. So soll der Minderheiten-Beauftragte von Ermland­Masuren die Politik der Wojewodschaftsselbstverwaltung gegenüber den Minderheiten realisieren, ständigen Kontakt mit allen Minderheiten der Wojewodschaft halten, ihre Initiativen im Bereich Kultur und Bildung unterstützen, das Wissen über Minderheiten verbreiten und fortwährend mit dem Minderheitenausschuss des Wojewodschaftsparlaments zu­sammenarbeiten.597

Nach eigener Aussage vor der interministeriellen Arbeitsgruppe ist der Minderheiten-Beauftragte Wiktor Leyk zudem zuständig flir die Auf teilung der Subventionen flir Kultur- und Bildungsaktivitäten der Minderheiten der Wojewodschaft, die sich im Budget flir das Jahr 2000 auf 75.000 Zloty (ca. 45.000 DM) belief. Damit zeigt sich der wichtigs­te Unterschied zum "zentralstaatlichen Modell", denn Leyk erflillt mit dieser Funktion originär exekutive Aufgaben und hat - wie grundsätzlich bei Kompetenzen der Budgetverteilung - dementsprechend konkreten gestalterischen Einfluss.598

Der Minderheiten-Beauftragte Leyk sieht selbst grundsätzlich grö­ßere Chancen im "Selbstverwaltungsmodell", was er damit begründet, dass seine Kooperation mit den jeweiligen Gemeinden und Kreisen zwischen verschiedenen Selbstverwaltungseinheiten verläuft und nicht -wie bei den anderen Beauftragten - zwischen einem zentralstaatlichen Vertreter und der Selbstverwaltung. Diese Kooperation scheint flir seine Arbeit umso größeren Stellenwert einzunehmen, da er die Minderhei­tenpolitik in Gemeinden und Kreisen vielfach negativ bewertet und somit der Dezentralisierung negative Folgen zuschreibt. Da die Bürger­meister und Landräte keine Garanten des Minderheitenschutzes seien, sei eine zentralisierte Minderheitenpolitik derzeit faktisch der bessere Weg flir die Minderheiten in Polen. Beispielsweise seien zum Teil den lokalen Eliten Minderheitenschutzbestimmungen nicht bekannt (nicht

596 Rede des Marschalls der Wojwodschaft Ermland-Masuren auf der gemeinsamen Sitzung der Sejm-Kommission flIr Minderheiten und der Minderheiten-Kommission des Sejmiks der Wojewodschaft Ermland-Masuren am 27.10.1999 (im Folgenden zi­tiert Rede des Marschalls).

597 AufgabensteIlung in: Leyk, Manuskript, S. 3. 598 Aussage Leyks vor der interministeriellen Arbeitsgruppe, Protokoll der Interminis­

teriellen Arbeitsgruppe, IX. Sitzung, 13. April 2000.

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alle Schuldirektoren seien beispielsweise darüber informiert, wann sie verpflichtet sind, minderheitensprachlichen Unterricht anzubieten). Zudem sei, auch wenn der politische Wille vorhanden sei, eine Förder­politik für Minderheiten auf Gemeinde- und Kreisebene vielfach schlicht zu teuer. Leyk übt jedoch keine grundsätzliche Kritik am Selbstverwaltungsmodell, sondern an deren praktischen Auswirkungen. Die positiven Effekte des Modells für die Minderheiten könnten sich nach der durchgeführten Dezentralisierung allenfalls in zehn bis fünf­zehn Jahren entfalten.599 Diese skeptische Bewertung basiert jedoch auf der spezifischen Lage der Wojewodschaft Ermland-Masuren, die kaum über geschlossene Siedlungs gebiete ihrer Minderheiten verfügt, so dass deren kraftvolle politische Repräsentanz in den Gemeinden und Kreisen nicht denkbar ist. Die grundsätzliche Kritik, dass auf lokaler Ebene der good will und die Finanzen zum Minderheitenschutz durch die politi­schen Akteure fehlten, hat die vorliegende Analyse bereits als wieder­kehrendes Argument vorgeführt.

Resümierend lassen sich folgende Aussagen über die Institution des Minderheiten-Beauftragten aufWojewodschaftsebene treffen:

Diese einzige "exekutive" minderheitenrelevante Institution auf re­gionaler Ebene ist keine flächendeckende Einrichtung und zeigt sich lediglich in einzelnen Wojewodschaften. Das Modell des Beauftragten variiert zwischen zwei verschiedenen institutionellen Spielarten, hinter denen sich jeweils ein starkes zentralstaatliches und ein starkes selbst­verwaltungsorientiertes Staats verständnis verbirgt. Welches Modell sich mittelfristig durchsetzen wird, ist noch offen, so dass auch in diesem regionalen institutionellen Bereich noch Institutionen-Wandel oder In­stitutionen-Neugründungen zu erwarten sind.

Seitens der Regierungsadministration wurde die Einführung der re­gionalen Selbstverwaltung in Bezug auf die Institution des Minderhei­ten-Beauftragten nicht nachvollzogen. Vielmehr soll nach dem Willen der interministeriellen Arbeitsgruppe das Modell des Minderheiten­Beauftragten beim Wojewoden weiter ausgebaut werden.

Die Institution des Minderheiten-Beauftragten innerhalb der regio­nalen Selbstverwaltungsstruktur zeigt sich bislang als Ausnahmeer­scheinung. Sie ist das Ergebnis spezieller Akteurskonstellationen, die vom politischen Willen zur Institutionalisierung von Minderheitenpoli­tik geprägt waren, und hat bislang keine strukturbildende Wirkung ent­falten können.

599 Leyk, Manuskript S. 5, Interview mit Wiktor Marek Leyk, Juni 2000, Allenstein.

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Die Institution des regionalen Minderheitenbeauftragen als einziger regionaler exekutiver minderheitenrelevanter Institution in Polen ent­spricht jedoch insgesamt (in bei den Modellen) weniger einem partizipa­tiven Konzept der Beziehung zwischen Minderheiten und Staat, wie es beispielsweise gängige Minderheitenselbstverwaltungs- und Autono­miemodelle ermöglichen. Vielmehr erscheint sie als eine Institution, die einem obrigkeitsstaatlichen Fürsorgegedanken entspricht.

5.4 Die Minderheiten-Kommission in der Wojewodschaft Ermland-Masuren

Im Folgenden soll ein kurzer Blick auf ein weiteres institutionelles Uni­kum in Polen geworfen werden, das ebenfalls in der Wojewodschaft Ermland-Masuren angesiedelt ist: die Kommission für Angelegenheiten Nationaler und Ethnischer Minderheiten im Regionalparlament der Wojewodschaft (Sejmik). Begünstigend für das institution building wirkte sich eine entsprechende Akteurs-Konstellation aus, denn der damalige Vizevorsitzende (und spätere Vorsitzende) des Sejmik stammte aus der ukrainischen Minderheit und bemühte sich gemeinsam mit Wik­tor Leyk und Verbänden der deutschen, ukrainischen und weißrussi­schen Minderheit um die Einrichtung dieser Kommission. Da auch die Sejmik-Abgeordenten der UW und SLD für dieses Projekt zu gewinnen waren, konnte die Minderheitenkommission als eine von acht ständigen Kommissionen im Regionalparlament verankert werden. Sie nahm ihre Tätigkeit im März 1999 auf. 600 Ihr Aufgabengebiet erstreckt sich auf alle Belange und Initiativen der Minderheiten. Die Kompetenzen der Sej­mik-Kommissionen liegen in der Initiierung von Themen der Sejmik­Arbeit sowie der Vorbereitung von Sejmik-Beschlüssen.601

Besonders betont wird immer wieder, dass in der Minderheiten­Kommission des Regionalparlaments von Ermland-Masuren alle Partei­en des Parlaments vertreten sind. In einer kurzen Selbstdarstellung der Kommission wird als faktische Hauptaufgabe die Unterstützung der Arbeit der Minderheitenverbände angeführt, die somit als hauptsächli­che Ansprechpartner gelten. Zudem soll die Bevölkerung wohlwollend

600 Leyk, Manuskript, S. 2, Informacje 0 dzialalnosci Komisji ds. Mniejszosci Narodowych i Etnicznych Sejmiku Wojeow6dztwa Warmiilsko-Mazurskiego, o. Autor, Allenstein 1999 (im Folgenden zitiert Informationen zur Kommission), S. 1 f.

601 Statut Wojew6dztwa Warmiilsko-Mazurskiego, Anhang zum Beschluss Nr. X/1l4/99 vom 14. Oktober 1999, Artikel 23 und Artikel 31 (im Folgenden zitiert Wojewod­schafts-Statut).

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über die verschiedenen kulturellen und religiösen Traditionen der Min­derheiten informiert werden. Die Kommission hat sich zudem zwei konkrete Aufgaben gestellt, zum einen will sie wirtschaftliche Vorhaben in den Gegenden fördern, in denen die Minderheiten wohnen, da wirt­schaftliche Selbstständigkeit die kulturellen Aktivitäten erleichtere oder erst ermögliche. Einen zweiten Schwerpunkt soll die Schulpolitik bil­den, also die Förderung von ukrainischem und deutschem Minderheiten­schulunterricht. Ein weiteres konkretes Vorhaben ist zudem die Instal­lierung des Faches Ukrainistik an der Universität von Allenstein.""

Die Kommission hat - ähnlich wie die Minderheiten-Kommission des Sejm - ihre Tätigkeit mit einer konsultativen Sitzung gemeinsam mit zahlreichen Vertretern von Minderheitenverbänden aus der ganzen Wojewodschaft aufgenommen. Innerhalb des ersten halben Jahres ihrer Tätigkeit hat sie 13 Sitzungen absolviert und war im Rahmen von drei "out-door"-Sitzungen in sechs verschiedene Städte der Wojewodschaft gereist, wobei im Zentrum des Interesses die deutsche und ukrainische Minderheit als größte Minderheiten der Wojewodschaft standen. Von großer Bedeutung war zudem eine gemeinsame Sitzung mit der Sejm­Kommission für Minderheiten. Die zentrale Funktion der Minderheiten­Kommission liegt jedoch in der Möglichkeit, Mittel für Minderheiten­subventionen zu beantragen. Von den für das Jahr 2000 beantragten 150.000 Zloty wurde jedoch nur die Hälfte, 75.000 Zloty, durch den Sejmik bewilligt. 603

Diese Institution einer regionalen Kommission für Minderheiten zeigt vor allem, dass die Möglichkeit zur Schaffung derartiger regiona­ler Institutionen in formaler Hinsicht gegeben ist. Es zeichnet sich je­doch nicht ab, dass sich in weiteren Regionen ähnliche oder womöglich andere neue Minderheiten-Institutionen innerhalb der Selbstverwal­tungsstruktur entwickeln.

Der Blick auf die minderheitenrelevanten Institutionen auf regiona­ler und lokaler Ebene hat gezeigt, dass das institutionelle Set dieser Ebenen insgesamt sehr begrenzt ist. So fehlen Institutionen, die die Partizipation von Minderheiten in Gemeinden, Kreisen und Wojewod­schaften sichern könnten. Weder existieren spezifische Erleichterungen innerhalb der regionalen und lokalen Wahlordnungen noch andere Ein­richtungen, die eine Mitsprache von Minderheiten in eigenen Belangen garantieren. So zeigen sich minderheitenrelevante Institutionen ledig-

602 Informationen zur Kommission, S. I. 603 Zu Antragssumme siehe Informationen zur Kommission, S. 2, zur Bewilligungs­

summe Leyk, Manuskript S. 4. Die Entscheidung liber das Budget fällt der Sejmik, Wojewodschafts-Statut Artikel 55.

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lich auf Wojewodschaftsebene. Diese haben insgesamt eher "exekuti­ven" Charakter, insofern sie die Regierungspolitik auf regionaler Ebene ausführen sollen. Die minderheitenrelevanten Institutionen innerhalb der regionalen Selbstverwaltung beschränken sich auf eine Wojewod­schaft (Minderheitenbeauftragter und Minderheitenkommission in Erm­land-Masuren) und verfügen deswegen über einen von der vorhandenen Akteurskonstellation abhängigen und wenig strukturellen Charakter.

Lokale Modelle von minderheitenrelevanten Institutionen in Kreisen und Gemeinden existieren kaum. 604 Dennoch muss darauf verwiesen werden, dass sich - mit Blick auf mögliche Problemlösungskapazitäten - dieses institutionelle Defizit nicht unbedingt negativ auswirken muss. Denn in solchen Fällen, in denen die Minderheit die lokale Mehrheit bildet (wie gezeigt wurde, trifft dies vor allem auf die deutsche Minder­heit in der Wojewodschaft Oppeln sowie auf Teile der litauischen und weißrussischen Minderheit zu) kann die jeweilige Selbstverwaltungs­einheit (faktisch sind dies vor allem Gemeinden) umfassende Minder­heitenpolitik - quasi in "eigener Sache" - gestalten, ohne dass es dazu spezieller Institutionen bedarf. Somit müssen unter dem Effektivitäts­Gesichtspunkt neben einer Betrachtung der minderheitenrelevanten Institutionen auf regionaler und lokaler Ebene immer auch die grundle­genden Gestaltungsmäglichkeiten berücksichtigt werden, die Selbstver­waltungsstrukturen bieten.

6. Das minderheitenrelevante Institutionen-Set Polens

Die Betrachtung des minderheitenrelevanten Institutionen-Sets soll -wie im theoretischen Teil erläutert wurde - primär unter drei Gesichts­punkten erfolgen: Zum einen soll unter dem Effekti vitäts-Gesichtspunkt danach gefragt werden, ob die Institutionen einen angemessenen Min­derheitenschutz gewährleisten können, ob sie also im Sinne von March und Olsen "appropriate" sind und angemessen handeln. Zum zweiten soll danach gefragt werden, welche Kooperationen und Konflikte sich zwischen den Institutionen zeigen, vor allem unter dem Gesichtspunkt möglicher Ausgewogenheit in den Institutionen-Beziehungen oder mög­licher Dominanz einzelner Institutionen (was zum Teil der Frage Di

604 Es existiert eine lokale Minderheiten-Kommission des Stadtrats von Lidzbark War­minski (Rede des Marschalls, S. 2) sowie zwei Kreis-Beauftragte und ein städti­scher Beauftragter in der Wojewodschaft Kleinpolen, Interview mit Artur Paszko.

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Palmas nach dem "institutional garantismo" entspricht}. Drittens wird danach gefragt, ob das Institutionen-Set insgesamt als konsolidiert be­wertet werden kann, ob also nachhaltiger Institutionen-Wandel sowie Institutionen-Neugründungen erwartbar sind.

Ad 1) Prinzipielliäst sich feststellen, dass eine institutionelle Basis minderheitenrelevanter Institutionen in Polen existiert. So sind sowohl auf der exekutiven Seite (Ministerien), der legislativen Seite (Parla­ments-Kommission) sowie im Bereich der rechtlichen Regelungen Insti­tutionen existent, die in formaler Hinsicht einen angemessenen Minder­heitenschutz garantieren. Das Institutionen-Set kann deswegen in for­maler Hinsicht auf zentralstaatlicher Ebene durchaus als "appropriate" bewertet werden. Die bestehenden Schwierigkeiten beruhen vor allem auf "output"-Mängeln (also Effekivitäts-Schwächen) der Institutionen. Dazu zählt, dass das Bildungsministerium die Minderheitenschulpolitik wenig innovativ gestaltet und die Förderpraxis des Kulturministeriums durch dauerhaft geringen finanziellen Spielraum stark eingeschränkt ist.

Wie in zahlreichen anderen Transformations- und Konsolidierungs­abläufen zeigt sich auch hier, dass die Effektivität der einzelnen Institu­tionen nach wie vor stark von einzelnen Akteuren abhängig ist. Es lässt sich sogar feststellen, dass individuelle Akteure nachhaltig die gesamte Minderheitenpolitik Polens in der Transformationsdekade geprägt ha­ben. Dies waren auf Seiten der Regierungspolitik vor allem Bogumila Berdychowska (die erste Direktorin des Minderheitenbüros im Kultur­ministerium und spätere ständige Expertin der Parlamentskommission) und Michal JagieUo (der frühere Kultur-Unterstaatssekretär und zwi­schenzeitliche Minderheitenbeauftragte im Innen- und Verwaltungsmi­nisterium). Auf parlamentarischer Seite waren dies vor allem der mehr­malige Vorsitzende der Minderheitenkommission, Jacek Kuroti, und vor allem der Vertreter der deutschen Minderheit, Henryk Kroll. Da diese erste Generation von leidenschaftlichen "Minderheitenpolitikern" seit dem Systemwechsel bis zum Ende des Analysezeitraums dieser Unter­suchung im Jahr 2001 zumindest auf "legislativer" Seite, also durch die Parlaments-Kommission, noch zentralen Einfluss entfalten konnte (vor allem Kuroti, Kroll und Berdychowska), bleibt abzuwarten, wie sich die Institutionen nach einem umfassenden Wechsel der Akteure gestalten werden und ob die Bedeutung von Einzelakteuren - gerade in der Kommission - dem Einfluss von Struktur und formaler Kompetenz wei­chen wird. Es bleibt an dieser Stelle anzumerken, dass durch den Nicht­einzug der Freiheitsunion (UW) in den Sejm bei den Parlamentswahlen im Herbst des Jahres 2001 auch Jacek Kuroti nicht mehr im Parlament vertreten ist und somit der zentrale Akteur der polnischen Minderhei-

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tenpolitik nach 1989 in dieser Legislaturperiode über keine institutio­nelle Funktion mehr verfügt. Damit ist ein weiterer "Generationswech­seI" bei den zentralen Minderheitenpolitikern eingeläutet.

Im Bereich des Rechtsschutzes kann das institutionelle Set der rechtlichen minderheitenrelevanten Institutionen insgesamt als ange­messen angesehen werden. Es existieren sowohl in den Bereichen Schulwesen und Kulturförderung gesetzliche Grundlagen zum Minder­heitenschutz, es mangelt jedoch aufgrund des knappen Staatshaushalts an finanziellen Möglichkeiten, sie angemessen in die Praxis umzuset­zen. Vor allem im Bereich der Nutzung der Minderheitensprache im öffentlichen Raum wird der Minderheitenschutz maßgeblich durch die Bestimmungen der bilateralen Verträge und in jüngerer Zeit durch die Europarats-Rahmenkonvention zum Minderheitenschutz gewährleistet. Diese Institution ist jedoch durch die späte Ratifizierung der Rahmen­konvention bislang noch ohne praktische Bedeutung.

Wurde oben der Befund getroffen, dass das institutionelle Set auf zentralstaatlicher Ebene durchaus als appropriate angesehen werden kann, so gilt dies für die regionale Ebene nicht. Obschon in theoreti­schen Debatten um den Minderheitenschutz die Dezentralisierung als geeignetes Instrument angesehen wird, hat sie in Polen - im Wider­spruch zu den gängigen Thesen des Minderheitenschutzes - zu keiner hohen Legitimität bei den Betroffenen geführt, sondern hatte durchaus negative Folgen, wie etwa anhand des Minderheitenschulwesens gezeigt werden konnte. Denn im Rahmen der Regionalreform Polens wurden keinerlei institutionelle Vorkehrungen getroffen, um der besonderen Schutzwürdigkeit von Minderheiten zu entsprechen, also beispielsweise die Beibehaltung einzelner zentralstaatlich angelegter Kompetenzen.

Anders als im politischen System Ungarns, in dem auf lokaler Ebe­ne integrative Strukturen existieren, die den Zweck haben, die Partizipa­tion der Minderheiten sicherzustellen und kooperatives bzw. konsultati­ves Agieren zu ermöglichen, existiert im polnischen politischen System auf diesen Ebenen lediglich in einzelnen Wojewodschaften die Instituti­on des Minderheiten-Beauftragten. Diese minderheitenrelevante Institu­tion basiert jedoch weniger auf einer "horizontalen" Denkrichtung der Beziehung zwischen Minderheiten und Staat (im Sinne eines kooperati­ven und konsultativen Umgangs), sondern eher auf einer "vertikalen," von "oben nach unten" gerichteten Perspektive. Solche institutionellen Lösungen sind weniger partizipativ ausgerichtet und können deswegen zu geringer Legitimität durch ihre Adressaten - die Minderheiten - füh­ren, sobald diese den Eindruck gewinnen, dass an ihren Interessen vor­bei agiert wird. So kann die institutionalisierte Partizipation von Min-

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derheiten als ein möglicher Garant für Problemlösungen zwischen Min­derheit und Mehrheit gesehen werden. Nicht zuletzt deswegen wird der Aspekt des eigenständigen Handeins und der aktiven Teilhabe in den gängigen europäischen Minderheitenschutzdebatten, die auf diverse Autonomiemodelle abzielen, besonders betont.

Ad 2) In der obigen Institutionen-Analyse ist deutlich geworden, dass innerhalb des institutionellen Sets eine Institution eine zentrale Rolle einnimmt: die parlamentarische Minderheitenkommission. Sie ist schlicht der institutionelle Motor, sie dominiert das gesamte minderhei­tenrelevante Institutionen-Set Polens.

Diese Dominanz weist verschiedene Charakteristika auf: So zeigt sich, dass die Kommission in ihrem Handeln fortwährend von überpar­teilichem Handeln geprägt war und ihre Rolle in politischer Hinsicht nicht instrumentalisiert wurde. Vielmehr wurde die eigene institutionel­le Dominanz der Kommission auch innerhalb dieser Institution reflek­tiert und als aus der mangelnden Effektivität anderer Institutionen resul­tierend kritisiert. Die Kommission schuf aufgrund ihrer zentralen Stel­lung - und indem sie einen wesentlichen Begegnungsort für Minderhei­ten und Behörden darstellte - eine kooperative und konsultative Kultur in der Minderheitenpolitik. Sie hat somit maßgeblichen Einfluss auf die Kommunikationskultur zwischen den einzelnen minderheitenrelevanten Institutionen. Ein konflikives Agieren zeigte sich dann, wenn die Kom­mission ihre parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber den relevan­ten Ministerien einnahm.

Insgesamt ist jedoch das minderheitenrelevante institutionelle Set Polens nicht durch konfliktive Strukturen geprägt. Vielmehr zeigt sich ein anderes negatives Phänomen: eine Tendenz zur institutionellen Pas­si vität seitens verschiedener exekutiver minderheitenrelevanter Institu­tionen (Beispiele sind das Bildungsministerium in Bezug auf die Schul­bucherstellung oder einige Vertreter der "ersten Generation" der Min­derheiten-Beauftragten). Insgesamt erschien Minderheitenschutz nie als wichtiges politisches issue und somit auch nie als ein Profilierungsthe­ma, das größere Verteilungskämpfe oder auch Institutionen-Konflikte hervorgerufen hätte. Mit diesem Befund einher geht ein feststellbarer Mangel an Kooperation zwischen den verschiedenen exekutiven Institu­tionen, der zu fortwährenden diesbezüglichen Forderungen der Sejm­Kommission für Minderheiten geführt hat und erst seit dem Jahr 2000 durch die Wiederbelebung einer interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen langsam abgebaut wird.

Ad 3) Sowohl auf regionaler als auch auf zentraler Ebene zeigt sich das minderheitenrelevante institutionelle Set Polens bislang nicht kon-

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solidiert, da von nachhaltigen institutionellen Veränderungen ausgegan­gen werden muss. Werden die bisherigen Ankündigungen aus dem In­nenministerium realisiert, so kann man für die regionale Ebene davon ausgehen, dass weitere "zentral staatlich" angesiedelte Minderheitenbe­auftragte installiert werden und sich damit eine Stärkung dieser "verti­kal" ausgerichteten Institution abzeichnet. Da die administrative De­zentralisierung Polens insgesamt noch vergleichsweise neu ist und sich die einzelnen Selbstverwaltungseinheiten erst noch in ihre Rollen finden müssen, ist es jedoch gleichermaßen denkbar, dass sich dabei mittelfris­tig minderheitenrelevante Institutionengründungen abzeichnen und bei­spielsweise auch andere Wojewodschaften dem Vorbild Ermland­Masurens folgen werden und eine Sejmik-Kommission für Minderheiten oder einen der Selbstverwaltung unterstellten Minderheiten-Beauf­tragten installieren.

Auf zentral staatlicher Ebene zeigen sich zwei zentrale Entwick­lungsfaktoren. Zum einen wird das zentralstaatliche minderheitenrele­vante Institutionen-Set maßgeblich von der Verabschiedung oder dem Scheitern des Minderheitengesetzes abhängen. Sollte es im Verlauf der Legislaturperiode von 2001 bis 2004 verabschiedet werden, so würde sich (falls das Gesetz in seinem jetzigen Entwurf erhalten bliebe) das Institutionen-Gefüge durch die Installierung eines zentralen Amtes für die Angelegenheiten nationaler Minderheiten nachhaltig verändern, da nicht nur die Bündelung exekutiver Kompetenzen, sondern auch eine faktische Aufwertung von Minderheitenangelegenheiten zu erwarten wäre. Die politischen Chancen für eine Verabschiedung des Gesetzes sind durch den Wahlsieg der eher "minderheitenfreundlichen" SLD vorn Herbst 2001 durchaus günstig.

Zum anderen ist seit dem Jahr 2000 ein Bedeutungszuwachs der "wiederbelebten" interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheiten erkennbar, die bereits seit der kurzen Zeit ihrer Existenz deutlich koope­rative und effektive Strategien zeigt. Bei einer Stabilisierung dieses bislang erkennbaren Trends lässt sich davon ausgehen, dass ein Teil der bislang durch die Parlamentskommission faktisch ausgeübten Kompe­tenzen auf eine Institution übertragen würden, deren Kompetenzen die Koordinierung und Problemlösung von zentralstaatlicher Minderheiten­politik auch in formaler Hinsicht entspricht. In dieser Hinsicht ist von einer stärkeren institutionellen Konsolidierung auszugehen.

Insgesamt hat sich in der minderheitenrelevanten Institutionen­Analyse gezeigt, dass sich das institution building über die Dekade nach dem Systemwechsel erstreckte. Zwar zeigte sich mit der frühen Grün­dung von Kommission und Minderheitenbüro im Kulturministerium

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eine schnelle Festlegung der Grundlagen der minderheitenrelevanten Institutionen, doch ist die institutionelle Entwicklung, vor allem durch die fortwährenden Auseinandersetzungen um einen zentralen Minder­heitenbeauftragten und um ein Minderheitengesetz, nach wie vor offen.

Jedoch bewegt sich diese langsame Konsolidierung des minderhei­tenrelevanten Institutionen-Sets nicht in einem schnell konsolidierten Umfeld des polnischen Regierungssystems. Denn trotz der aus heutiger Perspektive insgesamt eher erfolgreichen Transformationsgeschichte war die Entwicklung des Landes doch von einem "schwierigen Aufbau eines neuen politischen Institutionensystems" (Ziemer) geprägt (dessen deutlichster Beweis letztlich die späte Verabschiedung einer neuen Ver­fassung ist).ros Nach Wollmann erklärt sich dieser Prozess durch die Pfadabhängigkeit von einer "Institutionalisierungslogik des dilatori­sehen Kompromisses" und daraus resultierenden institutionellen "Halb­heiten". fIJ6

Trotz der zeitlichen Parallelen einer langsamen Konsolidierung von allgemeinem sowie minderheitenrelevantem Institutionensystem in Po­len scheint die schleppende Entwicklung des minderheitenrelevanten Institutionen-Sets jedoch nicht in erster Linie auf diese spezielle Form des Systemwechsels zurückzuführen zu sein. Vielmehr scheinen maß­geblichen Einfluss eher zwei Faktoren gehabt zu haben: Zum einen zeigt die Politik des kommunistischen Systems nachhaltige Wirkung, in der der ethnisch homogene Staat propagiert wurde und das Wissen um die eigenen Minderheiten kaum verbreitet war. Dies scheint einer der Gründe zu sein, warum das Minderheiten-issue tendenziell ein Thema von Expertenkreisen oder wenigen engagierten Politikern ist. Zum zwei­ten zeigt sich das Minderheiten-issue in einem Land wie Polen, in dem der Minderheitenanteil gering ist, nicht als politischer Bereich, der mit größeren Ressourcenverteilungen oder Wählergruppen verbunden ist (zumal sich die Minderheitenverbände nicht als "special-interest organi­zations" (Olson) erwiesen haben, die entsprechende Umverteilungen zu ihren Gunsten erzwingen könnten). Auch die Integration Polens in die Europäische Union ist allenfalls von allgemeinen Menschenrechtsstan­dards, jedoch kaum von konkreten institutionellen Ausgestaltungen des Minderheitenschutzes abhängig. Vor diesem Hintergrund lässt sich

605 Siehe Ziemer in Franzke 1998, S. 62 ff. 606 Wollmann, Hellmut: Variationen institutioneller Transformation in sozialistischen

Ländern: Die (Wieder-) Einführung der kommunalen Selbstverwaltung in Ost­deutschland, Ungarn, Polen, und Rußland, in: Wollmann, Hellmut, Wiesenthai, Helmut; Bönker, Frank (Hrsg.): Transformation sozialistischer Gesellschaften, Le­viathan-Sonderheft 15, Opladen 1995, S. 554-596, hier S. 574.

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Claus Offes konflikttheoretische verbände bezogene Überlegung - die er für die Organisierung von Interessen entwickelt hat und die im Theorie­kapitel dargestellt wurde - für einen allgemeinen minderheitenpoliti­schen Befund variieren: Das Minderheitenthema bildet in Polen kein konfliktfähiges politisches issue. Diese beiden Faktoren haben zur Fol­ge, dass keiner der zahlreichen Ministerräte (mit Ausnahme der Regie­rung Mazowiecki) und keiner der zentralen politischen Kräfte (auch nicht die eher "minderheitenfreundliche" SLD) das Minderheiten-issue zur politischen Profilierung genutzt und den minderheitenrelevanten Institutionenaufbau nachhaltig vorangetrieben hat.

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V. Bilanz

Abschließend sollen einige resümierende Erkenntnisse aus der Analyse dieser Forschungsarbeit gezogen werden. Dabei werden die in der Ein­leitung aufgestellten Hypothesen aufgegriffen und überprüft.

Zu Hypothese 1 (Die Minderheiten nutzen die durch den System­wechsel gewonnenen Möglichkeiten der Organisationsfreiheit durch die Bildung von Verbänden intensiv.)

Im Vorfeld wurde davon ausgegangen, dass die in dieser Studie un­tersuchten Minderheiten die nach dem Systemwechsel gewonnenen Möglichkeiten der Organisationsfreiheit durch die Gründung von Ver­bänden intensiv genutzt haben. Die Analyse hat gezeigt, dass es in drei von vier untersuchten Minderheiten zu einer Ausdifferenzierung der Verbändelandschaft gekommen ist. Zu den bereits im kommunistischen Polen existierenden jeweiligen Monopolverbänden sind nach 1989 ver­schiedene neu gegründete Verbände hinzugekommen. Somit zeigt sich ein interessenverbandliches take off (Troebst). Damit entspricht diese Entwicklung zwar der These, dass Demokratie "ethnic mobilisation" (Elster/Offe/Preuss) fördere, dennoch ist es trotz dieser verbandlichen Ausdifferenzierung zu keiner ethnischen Massenmobilisierung (Hroch) gekommen. Vielmehr zeigen sich die neu gegründeten Verbände als kleine Verbände. Größere Mitgliederzahlen weisen lediglich die Altver­bände auf, deren Mitgliederpotenzial zumeist auf ererbter Mitglied­schaft beruht. Insgesamt zeigt sich die Verbändelandschaft der unter­suchten Minderheiten als gemäßigt pluralisiert.

Mit der nicht gelungenen Massenmobilisierung von Mitgliedern ent­sprechen die Minderheiten insgesamt der interessenorganisatorischen Situation der polnischen Gesamtbevölkerung. Zwar hat sich auch dort eine dem ersten Anschein nach große interessenorganisatorische Plurali­sierung herausgebildet, jedoch kann kaum ein neuer Verband (und kaum eine neue Partei) größere Mitgliedschaften an sich binden, da sich nach wie vor noch keine aktive Bürgerhaltung entwickelt hat, die einer tat­sächlichen Zivilgesellschaft entspricht (Garsztecki). Die interessenorga­nisatorische Entwicklung der in dieser Studie untersuchten Minderhei-

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ten deckt sich somit in dieser Hinsicht mit den Tendenzen in der polni­schen Mehrheitsbevölkerung, so dass man nicht von einer umfassende­ren Nutzung der neu gewonnenen Vereinigungsfreiheit durch die Min­derheiten im Vergleich zu Prozessen in der Mehrheitsbevölkerung spre­chen kann.

Zu Hypothese 2 (Aufgrund ihrer Erfahrungen im kommunistischen System nutzen die Minderheiten ihre Verbände primär als politische Lobby-Organisationen zur politischen Teilhabe und Durchsetzung eines für sie angemessenen Minderheitenschutzes.)

Zum Zweiten wurde im Vorfeld dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die Minderheitenverbände aufgrund ihrer negativen Erfahrungen im repressiven kommunistischen System ihre Verbände in der Demokra­tie primär als Lobbyorganisationen zur politischen Teilhabe und Durch­setzung ihrer Interessen nutzen. In Bezug auf diese Annahme ist deut­lich geworden, dass sich die Verbändelandschaft der Minderheitenver­bände in zwei Gruppen einteilen lässt. So zeigt sich zum einen unter den neu gegründeten Verbänden eine Anzahl von kleinen Klientelverbänden, die gemäss ihrem Selbstbild eher eine "apolitische" Grundhaltung auf­weisen. Zum anderen zeigen sich jeweils Leit- bzw. Hauptorganisatio­nen, die dezidiert politische Strategien verfolgen und sich auch auf zent­raler politischer Ebene um die Gewährleistung ihrer Interessen bemü­hen. Diese vertreten jeweils auch die Interessen der apolitischen Klien­telverbände (entweder als Dachverbände oder in Form einer verbandli­chen Arbeitsteilung).

Jedoch zeigt sich keine Dominanz dieser politischen Strategien. Hingegen weisen die Strategien der Verbände insgesamt folgende Cha­rakteristika auf: Erstens zeichnen sich die erwähnten politischen Ver­bändestrategien primär durch eine defensive politische Lobby tätigkeit aus. Das heißt, dass die Versuche politischer Einflussnahme vor allem auf so empfundene Defizite im Minderheitenschutz bezogen werden. Weitergehende politische Forderungen bilden die seltene Ausnahme. Zweitens zeigt sich, dass die Strategien der Verbände insgesamt durch kulturelle Aktivitäten dominiert sind. Die Organisation von traditionel­len, folkloristischen Kulturveranstaltungen steht dabei im Vorderund. Hierbei zeigt sich eine deutliche Kontinuität zu solchen Formen von Minderheitenaktivitäten, die bereits in der Zeit der Volksrepublik ge­pflegt wurden, weil sie die einzige mögliche Form des Kulturerhalts darstellten. Drittens zeichnen sich vor allem die Hauptverbände durch das Charakteristikum von allround-Verbänden aus, da sie sich allen evidenten Problembereichen in ihrer jeweiligen Minderheit widmen. Damit einhergehend zeigt sich viertens, dass alle Verbände altruistische

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Strategien anwenden, indem sie ihr Handeln prinzipiell nicht nur ihren Mitgliedern, sondern der jeweils gesamten Minderheit zugute kommen lassen. Die politische Lobbyarbeit der Verbände stellt somit zwar einen bedeutenden Teil der Verbändearbeit dar, steht jedoch neben einem do­minanten, nach innen - auf die eigene Minderheit - ausgerichteten Engagement.

Insgesamt zeigt die Verbändelandschaft der Minderheiten Polens zudem, dass - trotz solcher Versuche in der Frühphase der Transforma­tion - Strukturen interessenverbandlicher interminoritärer Kooperatio­nen gänzlich fehlen. Die Interessenlagen der einzelnen Minderheiten werden von diesen als so divergierend eingeschätzt, dass eine Interes­senaggregierung nicht möglich erscheint.

Zu Hypothese 3 (Die repressive Minderheitenpolitik des vorherigen Systems wirft deutlich ihre Schatten auf den Umbau des minderheiten­relevanten Institutionensystems Polens.)

Drittens wurde in Bezug auf das minderheitenrelevante Institutio­nensystem Polens grundsätzlich davon ausgegangen, dass dieses nach­haltig durch institutionelle legacies des Vorgänger-Regimes geprägt ist. Diese Vermutung bestätigte sich nur zum Teil. Die Minderheitenpolitik des vorherigen Systems war durch Repression und Überwachung der Minderheiten charakterisiert, deren institutionellen Ort bildete primär das Innenministerium. Dieses institutionelle Erbe ist durch die Einfüh­rung demokratischer Strukturen grundsätzlich abgelegt worden. Nicht mehr Überwachung prägt den Umgang mit Minderheiten im demokrati­schen Systems Polens, sondern ihr Schutz und ihre Förderung, auch wenn in der Praxis einige Mängel sichtbar werden. Durch die Übertra­gung der institutionellen Zuständigkeiten für die Minderheiten auf das Kulturministerium (unmittelbar nach dem Systemwechsel) wurde eine deutliche institutionelle Zäsur zur Minderheitenpolitik des Vorläufersys­tems vorgenommen.

Die Schaffung einer Parlamentskommission für Minderheiten noch im Jahr 1989, die erstmals eine kontinuierliche parlamentarische Be­schäftigung mit dem Minderheitenschutz ermöglichte, bildete eine wei­tere Distanzierung vom vorherigen Regime. Trotz der Schaffung neuer Institutionen war jedoch das Innenministerium nach wie vor Bestandteil des Institutionen-Sets. So wurde diese Behörde seit Mitte der 90er Jahre (als es in das Innen- und Verwaltungsministerium umgewandelt wurde) erneut institutionell aufgewertet, indem zunächst formale Kompetenzen in Minderheitenfragen auf dieses Ministerium zurückübertragen und ihm später die Koordination exekutiver Minderheitenpolitik übertragen wurde (interministerielle Arbeitsgruppe). Dieser Prozess ist weniger in

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praktischer politischer Hinsicht problematisch, als vielmehr dahinge­hend, dass diese Behörde bei den Adressaten dieses Institutionenhan­deins, den Minderheiten, aufgrund der historischen Erfahrungen nach wie vor über eine ausgesprochen niedrige Legitimität verfügt. Da mit dieser inhaltlichen Zuordnung von Minderheitenfragen zum Innenminis­terium überdies keinerlei inhaltliche Stringenz einhergeht, lässt sich in der Tat von den "langen Schatten" des institutionellen Erbes sprechen.

Zu Hypothese 4 (Die Transformation des minderheitenrelevanten In­stitutionensystems unterliegt ähnlichen zeitlichen Abläufen wie die des allgemeinen politischen Institutionensystems Polens.)

Viertens wurde davon ausgegangen, dass der Aufbau des minderhei­tenrelevanten Institutionensystems sich nicht von den zeitlichen Abläu­fen des Aufbaus des allgemeinen polnischen Institutionensystems unter­scheidet. In dieser Hinsicht hat die vorliegende Forschungsarbeit ge­zeigt, dass in der Tat eine parallele zeitliche Entwicklung vorliegt. Das polnische politische Institutionensystem zeichnet sich insgesamt durch einen langsamen Aufbau seiner Institutionen auf, der zum einen durch die späte Verfassungsverabschiedung 1997 geprägt war und zum ande­ren beispielsweise innerhalb des Parteiensystems bis heute anhält. Zu­dem zeigen sich wesentliche späte institutionelle Veränderungen wie die Dezentralisierung durch die Regionalreform von 1999.

Innerhalb des minderheitenrelevanten Institutionensystems wurden zwar frühzeitig die Grundlagen des institutionellen Systems gelegt (Kommission, Abteilung im Kulturministerium), jedoch halten Prozesse des Institutionenaufbaus nach wie vor an. Diese sind zum einen gekenn­zeichnet durch ein bislang nicht verabschiedetes Minderheitengesetz, dessen Entstehungsprozess bereits seit dem Systemwechsel andauert. Sollte dieses Gesetz in der begonnenen Legislaturperiode verabschiedet werden, stehen nachhaltige Veränderungen des minderheitenrelevanten Institutionensystems bevor, die sich vor allem durch die erstmalige Ein­richtung einer eigenen Behörde für Minderheitenfragen auszeichnen würden. Zum anderen war der Bereich der exekutiven Institutionen mehrfachen Transformationen unterworfen. Im Zentrum standen dabei unterschiedliche institutionelle Arrangements zur Koordinierung exeku­tiver Minderheitenpolitik. Die Wiedergründung einer interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen im Jahr 2000 ist dafür das deut­lichste Indiz.

Diese Arbeit hat jedoch auch gezeigt, dass der Grund für den noch nicht abgeschlossenen Institutionenaufbau vor allem darin zu suchen ist, dass es sich bei dem Minderheitenthema um kein zentrales issue im polnischen politischen Diskurs handelt. Weil dieses Thema nicht mit

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Ressourcenfragen verbunden ist und sich die Minderheitenverbände nicht als entsprechend einflussreich erwiesen haben, zählte das Minder­heitenthema eher zu den sekundären politischen Bereichen, was den langsamen Institutionenaufbau erklärt.

Hypothese 5 (Trotz aller Hindernisse erweist sich das minderheiten­relevante Institutionensystem als grundSätzlich effektiv.)

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass das minderheitenrelevante System in der Lage ist, grundlegende Standards des Minderheitenschut­zes zu erfüllen. In formaler Hinsicht gilt dies weitgehend für das min­derheitenrelevante Rechtsschutzsystem, auch wenn maßgebliche Rechtsgarantien nicht primär durch nationale, sondern durch bi- oder internationale Vereinbarungen garantiert werden. Zudem zeigen sich bei der Anwendung von Instrumenten zur positiven Diskriminierung von Minderheiten, vor allem in der Frage der Nutzung von Minderheiten­sprachen im öffentlichen Raum, nachhaltige Schwächen des Institutio­nensystems.

Abseits des Rechtssystems zeigt das minderheitenrelevante institu­tionelle Set folgende Charakteristika: Es ist insgesamt durch ein institu­tionelles Ungleich gewicht in der Problemlösungskapazität geprägt. So wird das Institutionensystem dominiert durch die Rolle, die die Sejm­Kommission für Minderheiten in ihr einnimmt. Dieser parlamentarische Ausschuss steht im Zentrum der Minderheitenpolitik Polens. Er nimmt eine kommunikative Brückenfunktion zwischen Exekutive und Minder­heitenverbänden ein und bildet somit den Ort der Interaktion zwischen beiden. Zudem ist die Sejm-Kommission in vielfacher Hinsicht institu­tioneller Lobbyist für die Minderheiten Polens. Damit reichen ihre fakti­schen Kompetenzen weit über ihre formalen hinaus. Durch diese Rolle der Kommission gelingt es teilweise, bestehende Effektivät-Mängel auszugleichen, die sich im ministeriellen Bereich zeigen (Bildungs- und Kulturministerium). Jedoch ist die Dominanz des Institutionen-Sets durch nur eine Institution ein wesentliches Zeichen für eine noch aus­stehende Konsolidierung des minderheitenrelevanten Institutionen­systems Polens. Durch die Wiederbelebung einer interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheitenfragen, die gemäß ihrer Kompetenzen effektiv agiert und somit die dominierende Rolle der Sejm-Kommission prinzipiell abbauen könnte, zeigen sich erst über eine Dekade nach dem Systemwechsel erste Anzeichen einer solchen Konsolidierung.

Im deutlichen Gegensatz zu dieser institutionellen Entwicklung auf zentralstaatlicher Ebene steht die Entwicklung auf regionaler bezie­hungsweise lokaler Ebene. Diese ist insgesamt geprägt von den Umstel­lungen durch die Einführung der regionalen und lokalen Selbstverwal-

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tung 1999. Auch dort stellen Minderheiten gleichermaßen ein sekundä­res politisches issue dar und stehen somit nicht im Zentrum des politi­schen Interesses. Dementsprechend mangelt es an minderheitenrelevan­ten Institutionen, obwohl sich den Selbstverwaltungseinheiten (Gemein­de, Kreise, Wojewodschaften) prinzipiell breite institutionelle Gestal­tungsoptionen bieten (wie sich anhand der Einführung eines Minderhei­tenbeauftragten und einer Sejmik-Kommission für Minderheiten in der Wojewodschaft Ermland-Masuren zeigt).

Insgesamt hat diese Studie somit gezeigt, dass sich im demokrati­sierten Polen ein gemäßigt pluralisiertes Verbändesystem der Minder­heiten herausgebildet hat, das in Bezug auf die eigenen Minderheiten altruistisch und primär kulturbezogen agiert und in aller Regel keinen maßgeblichen politischen Einfluss entfaltet. Nach dem Systemwechsel hat sich ein minderheitenrelevantes institutionelles Set etabliert, wel­ches grundsätzlich effektiv agiert, aber von der starken Dominanz einer Institution geprägt ist. Diese Ergebnisse stellen für den Stand der politi­schen Transformation Polens einen durchaus typischen Befund dar. Im Vergleich zu anderen ostmitteleuropäischen Staaten wird allerdings eine gewisse "Verspätung" Polens in Sachen Minderheitenpolitik erkennbar.

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2. Quellenverzeichnis A) Interviews

Minderheiten Bialoruskie Stowarzyszenie Literackie, "Bialowieza", Vorsitzender Prof. Jan

Czykwin, 15.3.1999, Bielsk Podlaski. Bialoruskie Towarzystwo Historyczne, Vorsitzender Oleg Latyszonek,

14.3.1999, Bialystok und Informationsgespräch 16.12.2000, Hajnowka. Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne, Generalsekretärin Valentina

Laskiewicz, 16.3.1999, Bialystok. Bialoruskie Towarzystwo Spoleczno-Kulturalne, Vorsitzender Jan Syczewski,

18.3.1999, Warschau. Bialoruskie Zrzeszenie Studentow, Vorsitzender Jerzy Schulski, 16.3.1999,

Bialystok. Litewskie Towarzystwo sw. Kazimierza, Vizevorsitzender Piotr Skrzypko,

12.3.1999 Sejny. Rada Programowa Niva, Vorsitzender Eugeniusz Mironowicz, 15.3.1999,

Bialystok. Rektor der ukrainischen Grundschule von Bialy Bor Miroslaw Miz, 7.7.2000,

Bialy Bor. Stellvertretender Direktor des ukrainischen Schulzentrums Przemysl Bogdan

Popowicz, 5.7.2001, Przemysl. Stowarzyszenie "Ukrainski Dom Narodowy", Vorsitzender Miroslaw Sidor,

5.7.2001, Przemysl. Stowarzyszenie Litwinow w Polsce, Vorsitzender Piotr Maksimowicz,

12.3.1999, Sejny. Towarzystwo Slowakow w Polsce, Vorsitzender Jozef Cüu~awa, 23.3.1999,

Kattowitz. Ukrainskie Towarzystwo Nauczycielskie w Polsce, Vorsitzender Jaroslaw

Hryckowian, 5.3.1999, Koszalin. Wspolnota Litwinow w Poisce Vorsitzende, Irina Gasperowicz, 12.3.1999,

Punsk. Wsp6lnota Litwinow w Polsce, ehemaliger Vorsitzender Jozef Sygit

Foroncewicz, 12.3.1999, Punsk. Zwi1tzek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej, stellvertretender Vorsitzender

Slawomir Iwaniuk, 14.12.2000, Bialystok.

404

Page 402: Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens: Verb¤nde und politische Institutionen

Zwi!!zek Bialoruski w Rzeczypospolitej Polskiej, Vorsitzender Eugeniusz Wappa, 16.3.1999, Bialystok und lnformationsgespräch 16.12.2000, Hajnowka.

Zwi!!zek Ukraincow Podlasia, stellv. Vorsitzender Jan Kiryziuk, 15.12. 2000, Bielsk Podlaski.

Zwi!!zek Ukraincow Podlasia, Vorsitzende Maria Ryzyk, 15.12.2000, Bielsk Podlaski.

Zwi!!zek Ukraincow w Polsce, Generalsekretär Piotr Tyma, 17.3.1999, Warschau.

Zwi!!zek Ukraincow w Polsce, Vorsitzender der Allensteiner Abteilung Stefan Migus, 29.6.2000 Allenstein.

Zwi!!zek Ukraincow w Polsce, Vorsitzender der Danziger Abteilung Roman Michalik, 9.3.1999, Danzig.

Zwi!!zek Ukraincow w Polsce, Vorsitzender der Stettiner Abteilung Henryk Kolodziej, 10.5.2000, Stettin.

Zwi!!zek Ukraincow w Polsce, Vorsitzender für Koszalin Roman Drozd, 5.3.1999, Koszalin.

Zwi!!zek Ukraincow w Polsce, Vorsitzender Hyron Kertyczak, 18.3.1999, Warschau.

Zwi!!zek Ukrainek, Vorsitzende Katarzyna Sirocka, Dezember 16.11.1999, Warschau.

Zwi!!zek Ukrainskiej Mlodziezy Niezaleznej, Vorstandsmitglied Piotr Pawliszcze, 9.3.1999, Danzig.

Politische Institutionen Beauftragter für Minderheitenfragen in der Wojewodschaft Kleinpolen, Artur

Paszko, 4.7.2001, Krakau. Bürgermeister Bielsk Podlaski, Andrzej Stepaniuk, 24.02.2000,

Bielsk Podlaski. Bürgermeister von Hajnowka, Anatol Ochryciuk, 18.2.2000, Hajnowka. Direktor des Departments für die Kultur nationaler Minderheiten im Kulturmi­

nisterium, Jerzy Zawisza, 9.11.1999, Warschau. Ehemaliger Minderheitenbeauftragter beim lnnen- und Verwaltungsministeri­

um, Michal JagieHo, 28.6.2000, Warschau. Ehemaliger Ministerpräsident der Republik Polen, Wlodzimierz Cimoszewicz,

12.12.2000, Warschau. Externe Expertin der Sejm-Kommission für nationale und ethnische Minderhei­

ten und vormalige Direktorin des Büros für nationale Minderheiten im Kul­turministerium, Bogumila Berdychowska, 16.11.1999 und lnformationsge­spräch 3.7.2001, Warschau.

Leiter der Abteilung für nationale Minderheiten im lnnen- und Verwaltungsmi­nisterium, Jerzy Rzemieniewski, 13.12.2000, Warschau.

Minderheitenbeauftragter der Wojewodschaft Ermland-Masuren, Wiktor Leyk, 30.6.2000, Allenstein.

Mitarbeiterin der Zentralen Examenskommission, Lucyna Grabowska, 12.12.2000.

405

Page 403: Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens: Verb¤nde und politische Institutionen

Mitarbeiterin des Departments für die Kultur nationaler Minderheiten im Kul­turministerium, Hanna Wawrzyk, 2.7.2001, Warschau.

Mitglied der Sejm-Kommission für Minderheiten, Miroslaw Czech, 2.7.2000, Gyzycko.

Stellvertretender Bürgermeister von Punsk, Jan Wojczulis, 4.7.2000, Punsk. Stellvertretender Kreisrat des Kreises Stettinek, Andrzej Fil, 7.7.2000, Bialy

Bor. Stellvertretender Landrat des Kreises Sejny, Romuald Wittkowski, 5. und

6.7.2000, Punsk. Vorsitzender der Sejm-Kommission für Minderheiten, Jacek Kuron, 21.3.1999,

Warschau. Vorsitzender des Sejmik in der Wojewodschaft Ermland-Masuren, Miron Sysz,

28.06.2000, Allenstein.

B) Schriftliche Quellen

Veröffentlichte Quellen

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Boltryk, Bialystok 1997. "Czasopis Wyborczy" Wahl zeitung des· Vorstandes des Zwiqzek Bialoruski w

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Informator Syllabus, Matura z J~zyka Bialoruskiego 2002, Warschau 2000. Informator Syllabus, Matura z J~zyka Litewskiego 2002, Warschau 2000. Informator Syllabus, Matura z J~zyka Slowackiego 2002, Warschau 2000. Informator Syllabus, Matura z J~zyka Ukraiilskiego 2002, Warschau 2000. Interpelacja do prezesa Rady Ministr6w, Interpelacja Nr. 240, Poslowie Siergiej

Plewa i Jan Syszewski, 3 kadencja Sejmowe, Warschau 18. Februar 1998. Interpelacja Nr. 4613, Interpelacja do Prezesa Rady Ministr6w, pose! Andrzej

Zapalowski, 3 kadencja Sejmu, Warschau, 6. September 2000. Interpelacja Nr. 565, Interpelacja do Ministra Kultury i Sztuki, posel Andrzej

Zapalowski, 3 kadencja Sejmu, Warschau, 24. April 1998. Interpretierende Erklärung (I) des Ministerpräsidenten vom 7.1.2000 zum Ge­

setzentwurf zur Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationa­ler Minderheiten des Europarates, Sejm-Drucksache Nr. 1383,3. Kadenz.

Interpretierende Erklärung (Il) des Ministerpräsidenten vom 20.4.2000 zum Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz natio­naler Minderheiten des Europarates, Sejm-Drucksache Nr. 1383, 3. Kadenz.

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Monitor Polski 1990 bis 2001. Odpowiedz Ministra Kultury i Sztuki na interpelacj~ Nr. 565, Minister Joanna

Wnuk-Nazarowa, 3 kadencja Sejmu, Warschau, 20. Mai 1998.

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Odpowiedz Ministra Spraw Wewnfttrznych i Administracji - z upowaznienia Prezesa Rady Ministr6w na interpelacjft Nr. 4613, 3 kadencja sejmowa, Warschau, 20. Oktober 2000.

Protokoll der IX. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderhei­tenfragen, 13.4.2000.

Protokoll der VIII. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minder­heitenfragen vom 1.3.2000.

Protokoll der X. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderhei­tenfragen, 15.6.2000.

Protokoll der XI. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderhei­tenfragen, 28.9.2000.

Protokoll der XII. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderhei­tenfragen, 6.11.2000.

Protokoll XIII. Sitzung der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Minderheiten­fragen, 19.1.2001.

Rede des Marschalls der Wojwodschaft Ermland-Masuren auf der gemeinsamen Sitzung der Sejm-Kommission für Minderheit und der Minderheiten­Kommission des Sejmiks der Wojewodschaft Erm1and-Masuren am 27.10.1999.

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