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Z Rheumatol 2007 · 66:556–561 DOI 10.1007/s00393-007-0208-y Online publiziert: 22. September 2007 © Springer Medizin Verlag 2007 S. Unger 1  · A.-K. Tausche 2  · S. Kopprasch 1  · S.R. Bornstein 2  · M. Aringer 2  · J. Gräßler 1 1 Bereich Pathologische Biochemie, Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden 2 Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie Zur Rolle des humanen Urattransporters hURAT1 Leitthema Die Hyperurikämie ist als eine der häufigsten Stoffwechselstörungen heute nahezu gleichmäßig über die gesamte Bevölkerung der hochindus- trialisierten Länder verbreitet [1, 2]. Unter entsprechenden physikoche- mischen Bedingungen kann sie zur Ausfällung von Natriumurat im Binde- gewebs- und Skelettsystem undoder der Niere führen und sich als Gicht kli- nisch manifestieren [2, 3, 4]. Über 90% der hereditären Hyperurikä- mien resultieren aus einer inadäquaten renalen Harnsäureausscheidung [3, 5]. In weniger als 1% der Fälle wird die primäre Hyperurikämie durch eine Harnsäure- überproduktion infolge verschiedener Gendefekte ausgelöst. Am häufigsten be- obachtet werden eine Superaktivität der Phosphoribosyl-pyrophosphat- (PRPP-) Synthetase und ein Aktivitätsverlust der Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyl- transferase (HGPRT-Defekt, Lesh-Nyhan- Syndrom; [2, 3]). Die der eingeschränkten Uratexkretion durch die Niere zugrunde liegenden ge- netischen Defekte waren bislang unbe- kannt. Während frühere Studien eine Einzel-Gen-Erkrankung annahmen, gibt es zunehmend Hinweise für eine poly- gene Kontrolle der renalen Harnsäure- ausscheidung [1, 4, 6, 7]. Als Ergebnis ei- ner Zwillingsstudie schätzten Emmerson et al. 1992 [6] die Vererbbarkeit der frak- tionellen Harnsäureausscheidung auf na- hezu 90% und konnten somit eine star- ke genetische Komponente der renalen Uratexkretion nachweisen. Eine pathoge- netische Relevanz von Urattransportern in der Niere bei der Entstehung einer pri- mär-renalen Hyperurikämie war deshalb sehr wahrscheinlich [4, 7, 8, 9, 10]. Renale Harnsäureexkretion Harnsäure entsteht hauptsächlich in der Leber und der Dünndarmmukosa als Endprodukt des Purinstoffwechsels [2, 4, 9, 11, 12] und wird zu 1/3 über den Darm, zu 2/3 über die Niere ausgeschieden [2, 4, 9, 12, 13]. E Die renale Exkretion der schwachen organischen Säure ist von maßgeblicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Harnsäurehomöostase. Bisher konnten 6 Harnsäuretransport- proteine molekulargenetisch identifiziert, kloniert und funktionell charakterisiert werden, die die Reabsorption und Sekre- tion des Urats im proximalen Tubulus der Niere vermitteln [4, 9, 12, 14]. Bisher beschrieben wurden (. Abb. 1; [9, 10, 12, 14]): F UAT („uric acid transporter“), ein po- tenzialabhängiger Uratkanal/Urat- transporter, F NPT1 („Na + -phosphate transpor- ter 1“), ein Na + -abhängiger Natrium- Phosphat-Transporter, F MRP4 („multidrug resistance asso- ciated protein 4“), ein elektroneu- traler, energieabhängiger organischer Anionentransporter (-Pumpe), F OAT1 und OAT3 („organic anion transporter 1“, „-3“), als elektroneu- trale Antiporter organischer Anionen, F hURAT1 („human urate transpor- ter 1“), als hochspezifischer Urat- Anionen-Austauscher. Die Transportproteine OAT1 und OAT3 (. Abb. 1) vermitteln die basolaterale Aufnahme der Harnsäure aus der extra- zellulären Flüssigkeit (EZF). Urat wird anschließend durch die unidirektionale ATP-abhängige Effluxpumpe MRP4 und den Na + -abhängigen Phosphattransporter NPT1 in das tubuläre Lumen sezerniert [8]. Aufgrund der intra- und extrazellu- lären Ladungsdifferenzen wird eine Betei- ligung des elektrogenen Uratkanal/-trans- porters UAT bei der Sekretion und Reab- sorption von Urat aus der Nierenepithel- zelle favorisiert [9]. hURAT1 reabsorbiert Urat aus dem tubulären Lumen. Der Mensch, als Uratreabsorber, schei- det lediglich 5–10% der glomerulär frei filtrierbaren Harnsäure im Endurin aus (fraktionelle Harnsäureausscheidung; [4, 9, 12, 15]), sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Reabsorption des Urats durch den Urat-Anionen-Austau- scher hURAT1 eine entscheidende Rolle für die Regulation der Serumharnsäure- konzentration spielt. 556 |  Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2007

Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie

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Page 1: Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie

Z Rheumatol 2007 · 66:556–561DOI 10.1007/s00393-007-0208-yOnline publiziert: 22. September 2007© Springer Medizin Verlag 2007

S. Unger1 · A.-K. Tausche2 · S. Kopprasch1 · S.R. Bornstein2 · M. Aringer2 · J. Gräßler1

1 Bereich Pathologische Biochemie, Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden2 Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden

Molekulare Grundlagen der primär-renalen HyperurikämieZur Rolle des humanen Urattransporters hURAT1

Leitthema

Die Hyperurikämie ist als eine der häufigsten Stoffwechselstörungen heute nahezu gleichmäßig über die gesamte Bevölkerung der hochindus-trialisierten Länder verbreitet [1, 2]. Unter entsprechenden physikoche-mischen Bedingungen kann sie zur Ausfällung von Natriumurat im Binde-gewebs- und Skelettsystem und/­oder der Niere führen und sich als Gicht kli-nisch manifestieren [2, 3, 4].

Über 90% der hereditären Hyperurikä­mien resultieren aus einer inadäquaten renalen Harnsäureausscheidung [3, 5]. In weniger als 1% der Fälle wird die primäre Hyperurikämie durch eine Harnsäure­überproduktion infolge verschiedener Gendefekte ausgelöst. Am häufigsten be­obachtet werden eine Superaktivität der Phosphoribosyl­pyrophosphat­ (PRPP­) Synthetase und ein Aktivitätsverlust der Hypoxanthin­Guanin­Phosphoribosyl­transferase (HGPRT­Defekt, Lesh­Nyhan­Syndrom; [2, 3]).

Die der eingeschränkten Uratexkretion durch die Niere zugrunde liegenden ge­netischen Defekte waren bislang unbe­kannt. Während frühere Studien eine Einzel­Gen­Erkrankung annahmen, gibt es zunehmend Hinweise für eine poly­gene Kontrolle der renalen Harnsäure­ausscheidung [1, 4, 6, 7]. Als Ergebnis ei­ner Zwillingsstudie schätzten Emmerson et al. 1992 [6] die Vererbbarkeit der frak­tionellen Harnsäureausscheidung auf na­hezu 90% und konnten somit eine star­

ke genetische Komponente der renalen Uratexkretion nachweisen. Eine pathoge­netische Relevanz von Urattransportern in der Niere bei der Entstehung einer pri­mär­renalen Hyperurikämie war deshalb sehr wahrscheinlich [4, 7, 8, 9, 10].

Renale Harnsäureexkretion

Harnsäure entsteht hauptsächlich in der Leber und der Dünndarmmukosa als Endprodukt des Purinstoffwechsels [2, 4, 9, 11, 12] und wird zu 1/3 über den Darm, zu 2/3 über die Niere ausgeschieden [2, 4, 9, 12, 13].

EDie renale Exkretion der schwachen organischen Säure ist von maßgeblicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Harnsäurehomöostase.

Bisher konnten 6 Harnsäuretransport­proteine molekulargenetisch identifiziert, kloniert und funktionell charakterisiert werden, die die Reabsorption und Sekre­tion des Urats im proximalen Tubulus der Niere vermitteln [4, 9, 12, 14].

Bisher beschrieben wurden (.Abb. 1; [9, 10, 12, 14]):FUAT („uric acid transporter“), ein po­

tenzialabhängiger Uratkanal/Urat­transporter,

FNPT1 („Na+­phosphate transpor­ter 1“), ein Na+­abhängiger Natrium­Phosphat­Transporter,

FMRP4 („multidrug resistance asso­ciated protein 4“), ein elektroneu­traler, energieabhängiger organischer Anionentransporter (­Pumpe),

FOAT1 und OAT3 („organic anion transporter 1“, „­3“), als elektroneu­trale Antiporter organischer Anionen,

FhURAT1 („human urate transpor­ter 1“), als hochspezifischer Urat­ Anionen­Austauscher.

Die Transportproteine OAT1 und OAT3 (.Abb. 1) vermitteln die basolaterale Aufnahme der Harnsäure aus der extra­zellulären Flüssigkeit (EZF). Urat wird anschließend durch die unidirektionale ATP­abhängige Effluxpumpe MRP4 und den Na+­abhängigen Phosphattransporter NPT1 in das tubuläre Lumen sezerniert [8]. Aufgrund der intra­ und extrazellu­lären Ladungsdifferenzen wird eine Betei­ligung des elektrogenen Uratkanal/­trans­porters UAT bei der Sekretion und Reab­sorption von Urat aus der Nierenepithel­zelle favorisiert [9]. hURAT1 reabsorbiert Urat aus dem tubulären Lumen.

Der Mensch, als Uratreabsorber, schei­det lediglich 5–10% der glomerulär frei filtrierbaren Harnsäure im Endurin aus (fraktionelle Harnsäureausscheidung; [4, 9, 12, 15]), sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Reabsorption des Urats durch den Urat­Anionen­Austau­scher hURAT1 eine entscheidende Rolle für die Regulation der Serumharnsäure­konzentration spielt.

556 |  Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2007

Page 2: Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie
Page 3: Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie

Molekulargenetische und funktionelle Charakterisierung des hURAT1

Der Urat­Anionen­Austauscher hURAT1 wurde durch Enomoto et al. 2002 [10] molekulargenetisch identifiziert und funktionell charakterisiert. Das Gen dieses Transportproteins ist auf dem Chromosom 11q13 lokalisiert, besteht

aus 10 Exons und 9 Introns und wird der „solute carrier family 22“ (SLC22, „orga­nic anion/cation transporter“) als Mit­glied 12 zugeordnet (SLC22A12; [10]). Bislang wurden 2 Transkripte detektiert, die in der 5’UTR („untranslated regi­on“) und in codierenden Regionen dif­ferieren. Die lange, vermutlich biolo­gisch aktive, Isoform des hURAT1 be­sitzt 553 Aminosäuren mit intrazellulären

N­ und C­Termini sowie 12 Transmem­ brandomänen [10]. Der möglicherweise als Folge alternativen Splicings entste­henden kurzen Isoform fehlen Teile der 5’UTR sowie komplett die Exons 1, 2 und 3, wodurch das Protein um 221 Amino­säuren kürzer ist. Diese N­terminal ver­kürzte Isoform verliert dadurch alle 3 pu­tativen Glykosylierungsstellen, die sich in der ersten extrazellulären Schleife be­finden. An anderen Transportproteinen konnte gezeigt werden, dass die Glyko­sylierung entscheidend für den gerichte­ten Einbau des Proteins in die Membran ist [16]. Die biologische Bedeutung der kurzen Isoform ist bisher unbekannt.

Interessanterweise konnte kürzlich ei­ne Expression des hURAT1 auch in glatten Gefäßmuskelzellen nachgewiesen werden, deren Bedeutung jedoch bislang völlig un­klar ist [17].

> hURAT1 ist das bedeutendste Protein der tubulären Harnsäureabsorption

Der Urat­Anionen­Austauscher ist hoch­spezifisch für Harnsäure, besitzt eine Sät­tigungskinetik, ist elektroneutral und re­absorbiert Urat im proximalen Tubulus im Austausch gegen organische und an­organische Anionen (.Abb. 2; [10]). Er stellt das bedeutendste Protein der tubu­lären Harnsäurereabsorption dar, das der­zeitig bekannt ist, und das vermutlich von erheblicher Relevanz für die Entstehung primärer renaler Harnsäureausschei­dungsstörungen ist.

Der Urat­Anionen­Austauscher hURAT1 vermittelt den reabsorptiven Transport des Urats im Austausch zu den Halogenen Chlorid, Bromid, Jodid und organischen Anionen wie Laktat, Pyrazin­amid, Nikotinat, Acetoacetat, Ketogluta­rat, Hydroxybutyrat, Succinat und Orotat (.Abb. 2; [10]). Die Counter­Anionen des Carriers akkumulieren durch Aufnah­me aus dem tubulären Lumen über die Na+­Anion­Cotransporter SLC5A8 und SLC5A12 [4], aus der extrazellulären Flüs­sigkeit (EZF) über basolaterale Transporter oder durch intrazellulären Metabolismus und werden anschließend entlang ihres elektrochemischen Gradienten im elektro­neutralen Austausch gegen Urat in das tu­buläre Lumen transportiert [10, 12, 13, 20].

Urat-

Anion-

Urat-Urat-

Anion-

Urat-

Anion-

Urat-

Urat-URAT1

MRP4

OAT1

OAT3

UAT

UAT

apikal basolateral

Reabsorption

Sekretion

NPT1

Urat-

Phosphat-

EZFLumen

Abb. 1 8 Urattransport im renalen proximalen Tubulus

Pyrazinamid SuccinatAcetoacetat HydroxybutyratKetoglutarat LactatNicotinat OrotatCl-, Br-, I-

Na+Na+

K+

Anion-

Urat-

Anion-

apikal basolateral

URAT1

ATPaseSLC5A8/12

Metabolismus

Lumen EZF

Abb. 2 8 Rolle des Urat-Anionen-Austauscher hURAT1 bei der Harnsäurereabsorption im renalen proximalen Tubulus

558 |  Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2007

Leitthema

Page 4: Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie

hURAT1 als erstes Kandidatengen der primär-renalen Hyperurikämie

Die zentrale Bedeutung des hURAT1 für die Regulation des Serumharnsäurespie­gels erschloss sich durch den Nachweis von „Loss­of­function­Mutationen“ bei Patienten mit idiopathischer renaler Hypo­urikämie [10]. Aktuelle Studien belegen die Assoziation von Serumharnsäure­spiegel und Urat­Anionen­Austauschern in verschiedenen ethnischen Gruppen. Die Sequenzanalyse des hURAT1 in einer mexikanischen Studienpopulation konn­te eine Insertion im Exon 4 (680insG) und die 5 Missense­Mutationen C850G, G868T, C889G, G894T sowie T914G im Exon 5 bei hypourikosurischen Patienten nachweisen [18]. Der SNP („single nuc­leotide polymorphism“) rs893006 im In­tron 4 des hURAT1­Gens wurde als Ursa­che erhöhter Werte der Harnsäure im Se­rum bei Japanern detektiert [19].

Aufgrund dieser Studienergebnisse wurde der hURAT1 ebenfalls als Kan­didatengen für die Genese einer redu­zierten renalen Harnsäureausscheidung in Betracht gezogen [4, 10, 12, 20]. Diese Hypothese wurde kürzlich mittels einer Fall­Kontroll­Studie an einer deutsch­kaukasischen Studienpopulation aus 389 Hypo­ und 263 Normourikosurikern be­stätigt [5]. Voraussetzung für diese Stu­die war eine exakte phänotypische Cha­rakterisierung der Probanden, da die re­nale Harnsäureelimination durch mul­tiple Faktoren wie Purinaufnahme, en­dogene Purinsynthese, Alkoholkonsum, Medikamenteneinnahme und Störungen der Nierenfunktion beeinflusst wird [5]. Das Vorliegen einer renalen Harnsäure­ausscheidungsstörung wurde anhand des empirisch ermittelten Einschlusskriteri­ums einer fraktionellen Uratexkretion FE 6,5% (FE=Harnsäure­Clearance/Kreati­nin­Clearance x 100%) definiert. Indivi­duen mit malignen Erkrankungen, Nie­ren­ und Leberfunktionsstörungen sowie unter der Therapie mit urikosurischen Medikamenten wurden aus der Studie ausgeschlossen.

Insgesamt wurden 7 Polymorphis­men und 3 seltene genetische Varianten im hURAT1­Gen identifiziert, von denen 5 in der N­terminalen Region mit der re­

Zusammenfassung · Abstract

Z Rheumatol 2007 · 66:556–561 DOI 10.1007/s00393-007-0208-y© Springer Medizin Verlag 2007

S. Unger · A.-K. Tausche · S. Kopprasch · S.R. Bornstein · M. Aringer · J. Gräßler

Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie. Zur Rolle des humanen Urattransporters hURAT1

ZusammenfassungIn hochindustrialisierten Ländern ist die Hy-perurikämie eine der häufigsten Stoffwech-selstörungen. Erhöhte Serumspiegel der Harnsäure können zur Präzipitation von Urat-kristallen im Bindegewebs- und Skelettsys-tem sowie in der Niere führen und sich als Gicht klinisch manifestieren. In mehr als 90% der Hyperurikämien ist eine primär vermin-derte renale Harnsäureausscheidung nach-weisbar. Trotz der Identifizierung verschie-dener Harnsäuretransportproteine konn-te deren pathogenetische Beteiligung an der Auslösung einer primären renalen Harn-säureexkretionsstörung bislang nicht belegt werden. Im Rahmen einer Fall-Kontroll-Stu-die mit Hypo- und Normourikosurikern ge-lang erstmals der Nachweis einer Assozia-tion von Polymorphismen im Gen des hu-manen Urat1-Transporters (hURAT1) mit ei-ner verminderten renalen Uratausscheidung.

Der hURAT1 ist ein Transporter organischer Anionen (SLC22A12) und wird präferenziell in der apikalen Membran proximaler Tubu-luszellen exprimiert. Als Antiporter vermit-telt er den reabsorptiven Transport von Urat aus dem Lumen in die Tubuluszelle im Aus-tausch gegen organische und anorganische Anionen. Mutationen im hURAT1 mit Funk-tionsverlust sind eine Ursache hereditärer re-naler Hypourikämien. Als Hyperurikämiekan-didatengen ist der fein regulierte hURAT1 ein wichtiges Ziel für die Entwicklung und Opti-mierung neuer diagnostischer Verfahren und pharmakologischer Substanzen zur Therapie primär-renaler Harnsäureausscheidungs-störungen.

SchlüsselwörterHarnsäure · Harnsäuretransport · URAT1 · Hyperurikämie · Gicht

Molecular basis of primary renal hyperuricemia. Role of the human urate transporter hURAT1

AbstractIn highly industrialized countries hyperuri-cemia is one of the most common metabol-ic disorders. High uric acid blood levels may lead to the manifestation of gout owing to the precipitation of urate crystals in connec-tive tissue, the skeletal system and kidneys. A primary reduction of renal uric acid excre-tion can be detected in more than 90% of all cases of hyperuricemia. Despite the identifi-cation of several uric acid transporting pro-teins their pathogenetic role for the induc-tion of primary reduced renal uric acid excre-tion has not yet been verified. As a result of a case-control study on individuals with nor-mal and reduced renal uric acid excretion, an association of polymorphisms in the human urate transporter 1 gene (hURAT1) with pri-mary reduced urate excretion has been dem-onstrated for the first time. The hURAT1 gene

is an organic anion transporter (SLC22A12), which is preferentially expressed in the api-cal membrane of proximal renal tubule cells. Functioning as an antiporter, hURAT1 medi-ates the uptake of urate from the lumen in-to proximal tubule cells in exchange for or-ganic and inorganic anions. Loss-of-function mutations in the hURAT1 gene are a cause of hereditary renal hypouricemia. The precisely regulated hURAT1 is a candidate gene for hy-peruricemia and an important target for the development and optimization of new diag-nostic approaches and pharmacological in-terventions of primary reduced renal uric ac-id excretion.

KeywordsUric acid · Urate transport · URAT1 · Hyper-uricemia · Gout

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Page 5: Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie

nalen Harnsäureausscheidung assoziiert waren (.Abb. 3).

Die Polymorphismen P­788 T>A, P­764 C>T und P­718 T>C in der Promo­torregion, C258T im Exon 1 (His86His), C426T im Exon 2 (His142His), T1309C im Exon 8 (Leu437Leu) und IVS9+18 C>T im Intron 9 des SLC22A12 konn­ten im Rahmen der eigenen Fall­Kon­troll­Studie im hURAT1­Gen detektiert werden. Ferner wurden die seltenen ge­netischen Varianten C274T im Exon 1 (Arg92Cys), IVS9–11 T>A im Intron 9 und die Deletion delCCT 1703–1705 in der 3’UTR identifiziert. Die rot mar­kierten SNP in der Promotorregion, im Exon 1 und Exon 2 (.Abb. 3) sind mit einer verminderten renalen Uratexkreti­on assoziiert [5].

Die höchste Assoziation zwi­schen Uratexkretion und hURAT1 erg­ab sich für den SNP C426T im Exon 2 (rs11231825). Das T­Allel in diesem Poly­morphismus war mit einem 2,5fach hö­heren Risiko für eine Harnsäureausschei­dungsstörung verbunden (p=0,0002 mit­tels Cochran­Armitage­Trend­Test; [5]). Die anschließende Konstruktion von in­dividuellen Haplotypen aus 3 repräsenta­tiven Polymorphismen des N­Terminus mittels genetisch­mathematischer Me­thoden ergab einen Risikohaplotyp, der mit einer signifikanten Verminderung der renalen Harnsäureausscheidung ein­herging [5].

Die molekulargenetischen Mechanis­men, die durch die polymorphen Loci und den Risikohaplotyp induziert wer­den und eine gesteigerte renale Reab­sorption des hydrophilen Urats durch den Antiporter hURAT1 verursachen, sind bisher unklar [5, 18, 19]. Den mRNA­Spleißprozess und die Promotoraktivität regulierende cis­Elemente könnten die vermehrte Expression des Harnsäure­transportproteins in Nierenepithelzellen

bewirken [5]. Des Weiteren wird der Ein­fluss des alternativen Spleißens und der dadurch bedingten Generierung struk­turell und funktionell differenter Iso­formen des hURAT1, die unterschiedlich reguliert sein können, auf den reabsorp­tiven Transport und die Genese der pri­mären Hyperurikämie vermutet [5, 18].

Diagnostische Relevanz des hURAT1

Mutationen des hURAT1 sind Ursache der gesteigerten oder reduzierten renalen Ex­kretion des Urats. Polymorphe Genloci tragen zur interindividuellen Variabilität der Harnsäureexkretion und somit zur Heterogenität der Harnsäureserumkon­zentration bei [12, 20, 21, 22]. Analysen der kaukasischen [5] und mexikanischen [18] Studienpopulationen zeigen:

EDie fraktionelle Uratexkretion ist ein valider Parameter für genetische Untersuchungen und für die Identifizierung renaler Harnsäureausscheidungsstörungen.

Sie untermauern damit die Forderung nach einer subtilen renalen Funktions­diagnostik einschließlich der Bestimmung von Kreatinin­ und Harnsäure­Clearance für eine Differenzialdiagnose der Hyper­urikämie [2].

Die Detektion weiterer Sequenz­varianten im Gen des Urat­Anionen­ Austauschers auch in unterschiedlichen ethnischen Gruppen und die Assozia­tionsanalyse mit Störungen der renalen Harnsäureelimination stellen wichtige Aufgaben weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen dar, um zukünftig eine exakte Typisierung der ineffizienten Uratexkretion zu ermöglichen.

Pharmakologische Relevanz des hURAT1

Die Identifizierung des hURAT1­Gens als erstes Kandidatengen der Hypourikos­urie bei Patienten mit primärer Hyper­urikämie bildet die Grundlage zur Ent­wicklung von Pharmaka, die mit diesem Harnsäuretransportprotein interagieren und die gestörte renale Ausscheidung der schwer löslichen Substanz beeinflussen [8, 9, 12, 14, 20, 21, 23]. Neue Medikamente könnten so die nebenwirkungsreichen Urikosurika Benzbromaron und Probene-cid [2, 14, 23], die die Uratreabsorption durch Interaktion mit hURAT1 vom tu­bulären Lumen hemmen (Cis­Inhibition; [10, 13]), in der Therapie der Hyperurikä­mie und Gicht ablösen [12, 14, 23].

Ferner ist der Urat­Anionen­Austau­scher Zielmolekül vieler Pharmaka, die die Wirkung der Urikosurika zur Thera­pie der gestörten renalen Harnsäureexkre­tion einschränken oder verstärken. Aktu­elle Studien zeigen, dass Oxypurinol, der Metabolit des Xanthinoxidaseinhibitors Allopurinol, durch das Harnsäuretrans­portprotein reabsorbiert wird [24]. Phar­makologische Effekte des Allopurinols werden somit bei Kombination mit Benz-bromaron reduziert [24]. Phenylbutazon, Sulfinpyrazon, nichtsteroidale Antirheu-matika, Furosemid und Losartan hem­men den Carrier und besitzen daher ei­ne urikosurische Wirkung [10]. Trotz des geringen Effekts dieser Medikamente auf die renale Harnsäureexkretion sollte de­ren therapeutischer Einsatz bei komor­biden hyperurikämischen Patienten [23] und die Interaktion der urikosurischen Medikamente Fenofibrat, Atorvastatin und EMD 336340 mit dem Urat­Anionen­Austauscher hURAT1 in zukünftigen Stu­dien untersucht werden [23].

Antiurikosurika wie Pyrazinamid oder Nikotinat stimulieren hingegen die Aktivi­tät des Carriers und reduzieren dadurch die renale Uratausscheidung, da sie nach Na+­abhängiger Aufnahme in die Nie­renepithelzelle dem Harnsäuretranspor­ter als Counter­Anionen dienen (Trans­stimulation; [10, 13, 20]). Ein biphasischer Effekt auf die Harnsäureausscheidung wurde für Pyrazinamid [4, 10, 12, 13, 15, 20], Salicylate [4, 12, 15, 20], Phenylbuta-zon [15], Cyclooxygenasehemmer [15] und

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 3´5´

-764 C>T

-788 T>A

C426T-718 T>C

C274T

C258T delCCT

1703-1705

T1309C

IVS9-11 T>A

IVS9+18 C>T

Abb. 3 8 Polymorphismen und seltene genetische Varianten im hURAT1

560 |  Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2007

Leitthema

Page 6: Molekulare Grundlagen der primär-renalen Hyperurikämie

Probenecid [12, 15] nachgewiesen. Nied­rige Dosen wirken durch Transstimulati­on des Carriers antiurikosurisch, während hohe Konzentrationen den Urattransport cis­inhibieren und die Elimination des hy­drophilen Anions steigern [12, 15, 20].

> hURAT1 interagiert mit verschiedenen Arznei-mitteln und beeinflusst deren Pharmakodynamik

Wissenschaftliche Studien demonstrie­ren ferner, dass Pyrazinamid, Benzbroma-ron und Probenecid keine Veränderungen der renalen Uratexkretion bei hypourikä­mischen Patienten mit Mutationen im SLC22A12 bewirken [25]. Sie bestätigen daher die Interaktion dieser Arzneimittel mit dem Urat­Anionen­Austauscher und den Einfluss von Mutationen im hURAT1­Gen auf die Pharmakodynamik von The­rapeutika. Pharmakogenetische Untersu­chungen des SLC22A12 könnten daher die interindividuelle Variabilität der Medika­menteneffekte analysieren und zur Opti­mierung der Behandlung renaler Uratex­kretionsstörungen beitragen [14].

Fazit für die Praxis

Der Urattransporter hURAT1 reabsorbiert Urat im renalen proximalen Tubulus im Austausch gegen Anionen und ist des-halb für die Aufrechterhaltung der Harn-säurehomöostase von zentraler Bedeu-tung. Eigene Untersuchungen konnten SLC22A12 als erstes Kandidatengen der reduzierten Uratexkretion bei primären Hyperurikämikern nachweisen [5]. Die Identifizierung und Charakterisierung des Urat-Anionen-Austauschers hURAT1 liefert die Grundlage für die Erforschung exakter Mechanismen des renalen Harn-säuretransports, pathophysiologischer Modelle der primären Hyperurikämie und für die Entwicklung sowie Optimie-rung von diagnostischen Methoden und von Pharmaka, die die renale Ausschei-dung der schwer löslichen Substanz be-einflussen. Die eigenen [5] und internati-onalen [18, 19] Ergebnisse sowie die Un-tersuchungen mit hypourikämischen Pa-tienten [10, 12] zeigen, dass weitere Po-lymorphismen und/oder Harnsäuretrans-portproteine in die renale Uratausschei-

dung involviert sind und bestätigen da-mit die These der polygenen Kontrolle der Hyperurikämie [7]. Ziel zukünftiger wissenschaftlicher Untersuchungen soll-te daher die Detektion weiterer Kandi-datengene der gestörten Uratexkreti-on und die Entwicklung molekularer Mo-delle der gesteigerten Uratreabsorption durch hURAT1 bei Patienten mit primärer Hyperurikämie sein.Eine interessante Frage ist ferner, ob ge-netische Varianten des SLC22A12 Ursache der Uratnephrolithiasis sind [10] und ob sie mit der Lebensspanne des Menschen korrelieren [22]. Denn eine Frage bleibt offen: Warum besitzen Menschen einen solchen effektiven Uratreabsorptions-mechanismus in ihren Nieren?

KorrespondenzadresseProf. Dr. J. GräßlerBereich Pathologische Biochemie, Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität DresdenFetscherstraße 74, 01307 [email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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561Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2007  |