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Narkolepsie – Krankheitsbild, Therapie, Risiken und Nebenwirkungen

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Narkolepsie - Krankheitsbild, Therapie, Risiken und Nebenwirkungen

Harald Schiitz Narkolepsie - Krankheitsbild, Therapie, Risiken und Neben- wirkungen

1 Einleitung

Kiirzlich wurde berichtet, dal3 in einigen westlichen Landern zwischen 2,9 und 4 Pro- zent der Bevolkerung an einem UbermaQ an Schlafrigkeit (Hypersomnie) leiden [19]. Hauptsachliche Ursachen dafiir sind die Schlaf-Apnoe sowie die Narkolepsie mit ih- rer gesteigerten Tagesmiidigkeit und ihren unkontrollierbaren Schlafattacken. Im Rah- men dieses Beitrages sol1 die Narkolepsie na- her behandelt werden.

'2 L\ I

'h "'=. 3 G 5.' 2 Was ist Narkolepsie?

Eine ebenso kurze wir pragnante Beschrei- bung findet man in einer Informationsschrift fur Patienten und ihre Angehorigen, die von Meier-Ewert, dem Vorsitzenden des wissen- schaftlichen Beirates der Deutschen Narko- lepsie-Gesellschaft e. V. (DNG)*, verfaat wurde [14]:

Schlafkrankheit und Schlummersucht sind landlaufige Bezeichnungen der Narkolepsie, deren auffalligstes Merkmal eine unwider- stehliche Einschlafneigung ist. Sie aui3ert sich in Schlafanfallen, die zu jeder Tageszeit und auch in ungewohnlichsten Situationen auftre- ten konnen.

Narkolepsie ist eine Funktionsstorung der Schlaf-Wach-Regulierng, deren Zentren in Hirnstamm und Zwischenhirn liegen. Sie kann von Schadel-Hirn-Verletzungen, Hirn- tumoren und Hirnhautentzundungen wie z. B. Fleckfieberencephalitis ausgelost wer- den. Uberwiegend liegt jedoch eine Veranla- gung mit meist gering ausgepragter Verer- bungsneigung vor.

Narkolepsie ist eine chronische Krankheit, die lebenslang bestehen bleibt und nach heu- tiger Kenntnis der Medizin nicht heilbar ist. So wenig die Krankheit die Lebenserwartung

*Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e. V. beeintrachtigt, so sehr pragen ihre Symptome (DNG) oft die Lebensfuhrung der Betroffenen. Zu- Vorsitzender Ernst-Friedrich Breuhaus dem verursacht ein fehlendes Verstandnis der Klauberg 1, 5650 Solingen 1 Umwelt haufig erhebliche personliche, fami- Telefon 02 12-1 6248 liare und berufliche Probleme. Eine sinnvolle

Einrichtung der Lebensweise mit sorgfaltig unterstiitzender, medikamentoser Dauerbe- handlung und die verniinftige, vorurteilsfreie Einstellung der Umgebung konnen das Le- ben des Patienten jedoch durchaus ertraglich machen.

Das erste Auftreten der Krankheit ist in der Regel eher harmlos. Es aui3ert sich durch Schlafanfalle in Situationen, in denen die Konzentration auch bei Gesunden leicht nachlak. Die in diesem Stadium schwer zu stellende Diagnose wird erleichtert durch das Auftreten weiterer Symptome, die sich je- doch oft erst im Laufe von Jahren und Jahr- zehnten entwickeln.

Die typischen Symptome der Narkolepsie sind:

- Tagesschlafiigkeit

Entweder in Form einer standigen Miidigkeit oder von Schlafattacken kiirzerer Dauer.

- Automatisches Verbalten

Im Halbschlaf ausgefiihrte Handlungen, die unter Umstanden hochst unsinnig erscheinen konnen.

- Kataplektische Attacken (Kataplexien)

Anfalle von Muskelschwache, die je nach Schwere der Attacke zu einem aui3erlich kaum wahrnehmbaren Erschlaffen der Ge- sichtsmuskeln, Weichwerden in den Knien oder sogar zum vollstandigen Hinstiirzen fiihren konnen. Man spricht auch von einem affektiven Tonusverlust, weil die meisten die- ser Anfalle durch emotionale Affekte wie Freude und Lachen, Arger und Enttauschung ausgelost werden. Das Bewugtsein des Pa- tienten wird wahrend der Kataplexie nicht gestort oder nur geringfiigig beeintrachtigt.

- Schlaflahmung

Ein vor oder im Anschlul3 an den Schlaf auf- tretender Verlust des Muskeltonus mit totaler

Pbarmazie in umerer Zeit / 19. Jahrg. 1990 / Nr. 2 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, 0-6940 Weinheim, 1990 0048-3664/90/0203-006~ $ 02..50/0

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Bewegungsunfahigkeit. Der Zustand wird oft begleitet von Symptomen der hypnagogen Halluzination (wie folgend beschrieben).

- Hypnagoge Halluzination

Eine lebhafte, oft ubertrieben wirklichkeits- nahe, angstvolle Wahrnehmung (,,Horror- traum").

- Storung des Nachtscblafi

Haufige Wachpausen bis zur Stundenlange.

3 Behandlung der Narkolepsie

Nach Meier-Ewert kommen folgende Thera- piemoglichkeiten in Betracht:

3.1 Die nicht-medikamentose Behandlung

Sie kann in leichteren Fallen genugen, die Symptome in ertraglichem Rahmen zu hal- ten. In jedem Fall sollten ihre Moglichkeiten vor dem Einsatz von Medikamenten ausge- schopft sein bzw. zur Unterstiitzung der me- dikamentosen Behandlung benutzt werden.

- Der Umgang rnit der Zeit

Ausreichender Nachtschlaf und eine gleich- bleibende Einteilung des Tagesablaufs rnit einem regelmagigen Mittagsschlaf - in schwereren Fallen mit weiteren Ruhepausen zu gleichen Zeiten - erleichtern in der ubri- gen Zeit das Wachbleiben. Tatigkeiten rnit unregelmagigen Schlafzeiten wie Schicht- und Nachtarbeit verstarken die Symptome der Erkrankung.

- Der Umgang rnit der Ernahrung

Ubergewicht im allgemeinen und reichliche Mahlzeiten verstarken die Einschlafneigung. Bestimmte Nahrungs- und GenuBmittel be- einflussen die Tagesschlafrigkeit und sollten gemieden werden. Dazu zahlen Milch- und Milchprodukte, Alkohol und Nikotin, die nur scheinbar munter machen und im Endef- fekt die Einschlafneigung vermehren.

- Der LJmgang rnit den Emotionen

Mit der Zeit erkennen viele Narkoleptiker die fur sie typischen Situationen, die Kataplexien hervorrufen. Gelingt es, diese zu meiden bzw. generell Emotionen zu unterdrucken, werden Kataplexien weniger haufig auftreten. Soweit eine solche Selbsterziehung moglich ist, kann

sie allerdings zu einer Verarmung des Ge- fuhlslebens und zu einem Verzicht auf beson- dere charakterliche Starken fiihren.

3.2 Die medikamentose Behandlung

Sie kann nur durch den erfahrenen Arzt erfol- gen, doch sollte man die Grundregeln der Be- handlung kennen. Da es ein universelles Nar- kolepsiemittel noch nicht gibt, lassen sich zur Zeit die Symptomkreise Tagesschlafrigkeit, Tonusverlust und gestorter Nachtschlaf nur getrennt behandeln.

Die Behandlung der Tagesschlafrigkeit (Dauermudigkeit, Schlafattacken, automati- sches Verhalten)

Da viele Psychostimulantien (Weckmittel) mit der Zeit in der Wirkung nachlassen, sind bei der Langzeitbehandlung, auf die man sich einstellen mug, von Zeit zu Zeit Medika- mentferien (Absetzen der Mittel fur 3 bis 4 Wochen) zweckmagig. Eine laufende Dosis- erhohung verstarkt auch die unerwiinschten Nebenwirkungen. Wenn irgend moglich, ist es vorzuziehen, die Hilfe von Stimulantien nur bei aufiergewohnlichen und nicht ver- meidbaren Anlassen in Anspruch zu neh- men.

Gangige Mittel sind:

Mazindol: Teronac@ Pemolin: Tradon@ Ephedrin Fenetyllin: Captagon@ Btm* Methamphetamin: Pervitin@ Btm* Methylphenidat: Ritalin@ Btm*

*Btm: unterliegt dem Betaubungsmittelge- setz.

Versuche mit Deanol (Risatarun@), Amfeta- minil (AN l@), Fencamfamin (Reactivan@) sowie Levodopa/Benserazid-HCI (Mado- par@), Carbidopa/Levodopa (Nacom@), Amantadinsulfat (PK-Men@) und Meclofen- oxat-HC1 (Helfergin@) sind moglich.

1979 wurde uber eine ,,Zufallsentdeckung" berichtet, wonach sich NREM-Einschlafat- tacken narkoleptischer Patienten rnit dem p- Rezeptorenblocker Propranolol gut beherr- schen lassen [lo, 111.

Die Behandlung der Tonusverlustantalle (Kataplexien und Schlaflahmung, hypnagoge Halluzinationen)

Diese Symptome werden vorzugsweise mit tricyclischen Antidepressiva behandelt. An- gesichts von Nebenwirkungen wie Gewichts- zunahme, Mudigkeit, Mundtrockenheit und Impotenz, die nach Absetzen des Mittels wie- der verschwinden, sollten diese Mittel mog- lichst niedrig dosiert werden.

Gangige Mittel sind:

Protriptylene: Concordin@ Clomipramin: Anafranil@ Desipramin: Pertofran@ Imipramin: TofraniP

Wegen der geringen Nebenwirkungen ist ein Versuch mit Viloxazin (Vivalan@ICI) zu em- pfehlen. Das starkste Mittel gegen Tonusver- lustanfalle ist der MAO-Hemmer Tranylcy- promin (Parnatea). Wegen seiner kritischen Nebenwirkungen und der Notwendigkeit ei- ner speziellen Diat sollte dieses Medikament als letztes Mittel erwogen werden.

Um ein serienweises Auftreten von Tonusver- lustanfallen (status cataplecticus) zu vermei- den, ist unbedingt darauf zu achten, daf3 ein Absetzen der genannten Mittel nicht abrupt erfolgt, sondern ,,ausschleichend".

Die Behandlung des gestorten Nachtschlafs

Seine Dauerbehandlung ist ein ungelostes Problem. Benzodiazepine (z. B. Lormetaze- pam (Noctamid@) sollten nicht langer als 8 Wochen eingesetzt werden. Davon sind ca. 4 Wochen als ,,Ausschleichphase" einzuplanen. Nach einem Interval1 von ca. 2 Monaten kann die Behandlung wiederholt werden.

Von der Einnahme von Barbituraten und Ben- zodiazepinen mit langerer Halbwertszeit als 8 bis 10 Stunden ist abzuraten, da deren Wir- kung sich auch in den Tag hinein erstreckt und damit die Tagesschlafrigkeit erhoht.

4 Was die Umwelt von Patienten iiber die Krankheit wissen sollte

Narkolepsie ist eine organische Krankheit. Es ist deshalb grundverkehrt, dem Betroffenen aus dem Auftreten der Krankheitssymptome einen Vorwurf zu machen oder ihn gar als Psychopathen, Simulanten, Faulpelz oder Schlafmutze hinzustellen. Es ist bekannt, daB Stress in Beruf und Familie die Symptome drastisch verstarken kann. Obwohl Einschlaf-

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Ubung - Ermiidung - physische Leistungsfahigkeit

- endogene Rhythmik - Schlaf-Wach-Steuerung

- Leistungsdisposi tion -

I A,ter I I I IKorper- I I Leistun;- I Krankheit behinderung vorbedingungen

Pharmaka

Alkohol

Auto I

I 1

Sinnesorgan

I I C I I I Witterung

Abb. 1. Eine besonders pragnante Ober- sicht zur Komplexitat der Fahrleistung wurde von Miiller-Limmroth publiziert. Deutlich sind die einzelnen EinfluRgroRen zu erkennen, die sich auf die Fahrleistung auswirken konnen. Pharmaka spielen dabei eine wichtige Rolle.

attacken vermehrt in monotonen Situatio- nen und bei langweiligen Beschaftigungen auftreten, konnen sie sehr wohl auch in hochst anregenden Situationen vorkommen; es ware sehr falsch, das Einschlafen als Aus- druck von mangelndem Interesse oder Gleichgultigkeit anzusehen. Der Kranke ist unfahig, sich gegen das Schlafbedurfnis zu wehren. Man mu@ sich vergegenwartigen, daj3 er sich standig in der vergleichbaren Verfassng eines Gesunden befindet, dw 48 Stunden nicht geschlafen hat.

Bei kataplektischen Attacken sollten Anwe- sende versuchen, den Kranken in der gerade eingenommenen Stellung zu unterstutzen. Sie sollten bedenken, dai3 er der naheliegen- den und wohlgemeinten Aufforderung, sich zu setzen, nicht folgen kann, weil die Mus- keln jeglichen Dienst versagen. Der Kranke braucht jetzt keine arztliche Hilfe, weil die Muskelkraft spatestens nach Minuten von al- lein wiederkehrt.

So erschreckend das Miterleben eines kata- plektischen Anfalls sein kann, man sollte sich immer vergegenwartigen, dai3 auch der Ge- sunde in den Traumphasen seines Nacht- schlafs den gleichen Tonusverlust erleidet.

Nur der Zeitpunkt des Eintritts ist beim Nar- koleptiker in den Wachzustand verschoben. Auch der anfallsartige Tagschlaf des Narko- leptikers unterscheidet sich in keiner Weise von dem Schlaf des Gesunden.

Es besteht kein Grund zur Annahme, daB der Narkoleptiker geistes- oder gemutskrank werden konnte. Der Verstand arbeitet ein- wandfrei, auch wahrend der Kataplexie. Es ist allerdings zu beobachten, dai3 Narkoleptiker als Folge der falschen Reaktionen ihrer Mit- menschen dazu neigen, depressiv zu werden und sich gegen die Umwelt abzukapseln.

Zusammenfassend Iai3t sich sagen, dai3 das Verstandnis fur den Narkolepsiepatienten und seine besonderen Bediirfnisse von ent- scheidender Bedeutung ist. Es liegt letztlich an der Umwelt, ob es dem Betroffenen ge- lingt, sich optimal auf seine Krankheit einzu- stellen und ein fast normales Leben zu fuh- ren.

Soweit die pragnante Beschreibung der Nar- kolepsie durch Meier-Ewert [14]. Inzwischen erschien eine Monographie zum Thema vom gleichen Autor [29].

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Weitere Ubersichtsarbeiten oder spezielle Pu- blikationen zur Narkolepsie wurden bei- spielsweise von Baust [3], Hess, Scharfetter und Mumenthaler [9], Meier-Ewert [15] so- wie Meier-Ewert, Schopfer und Ruther [16] verfaat (vgl. hierzu auch eine Beitragsserie in ~ 9 1 ) .

5 Risiken und Nebenwirkungen bei der Behandlung mit Stimulantien, P-Rezeptoren blockern, Antidepressiva und Benzo- diazepinhypnotika

Die im Rahmen der Narkolepsiebehandlung genutzten Hauptwirkungen wurden bereits im Abschnitt 3.2 genannt. Nach einem hin- langlich bekannten pharmakologischen Er- fahrungssatz treten bei einem Arzneistoff mit ausgepragter Hauptwirkung meist auch Ne- benwirkungen auf (anderenfalls fehlt auch meist eine Hauptwirkung). Nachstehend soll auf die wichtigsten Risiken und Nebenwir- kungen eingegangen werden.

5.1 Psychostimulantien (Weckmittel)

Die im Abschnitt 3.2 erwahnten Arzneistoffe werden in pharmakologischen Lehrbuchern haufig zwei Gruppen zugeordnet:

Psychostimulantien

Amfetaminil (AN 1) Rp Fencamfamin (Reactivan@) Rp Fenetyllin (Captagon@) Btm Methamphetamin (Pervitin@) Btm Methylphenidat (Ritalin@) Btm Pemolin (z. B. Tradon@) Rp

Appetitzuglu

Mazindol (Teronac@) Rp

Die Wirkungen der Appetitzugler entspre- chen qualitativ denen der Psychostimulan- tien, und die vollstandige Trennung von ap- petitzugelnden und anderen zentralen Wir- kungen ist bis heute nicht gelungen [28]. Dies findet auch darin einen Ausdruck, dai3 die Nebenwirkungen fur alle diese Arzneistoffe augerst ahnlich sind und in der Roten Liste 1989 unter S 6 folgendermaflen zusammenge- fai3t werden:

Herzklopfen Ventrikulare Rhythmusstorungen

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Psychomotorische Erregungszustande Muskeltremor Pektanginose Beschwerden Gefahr der Abhangigkeit bei Langzeit- anwendung

Weiterhin wird bei einzelnen Praparaten uber Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Ubelkeit, Schlaflosigkeit, SchweiSausbruch, Benom- menheit, Erhohung der Krampfbereitschaft und vereinzelte Hautreaktionen berichtet.

Es erscheint plausibel und bedarf keiner na- heren Erlauterung, dai3 zahlreiche genannte Nebenwirkungen erhebliche verkehrsmedi- zinische und arbeitsmedizinische Relevanz besitzen. So findet sich auf den Beipackzet- teln regelmagig ein Warnhinweis bezuglich des Reaktionsvermogens. Ursache fur Un- falle kann einmal die drogenbedingte Anre- gung (Enthemmung, erhohte Risikobereit- schaft) sein, andererseits aber auch eine haufig sich anschliegende ubermaflige Er- schopfung mit stark eingeschranktem Lei- stungsvermogen. Besonders starke Einbui3en treten erfahrungsgemag bei gleichzeitigem Alkoholkonsum auf.

Psychostimulantien sind Arzneistoffe mit ei- nem vergleichsweise hohen Mif3brauchspo- tential [26]: Der sogenannte Gefahrenquo- tient nach Kielholz

Anzahl der Abhangigen x - - medizinischer Indikationswert

= Anzahl der konsumierten Einzeldosen

betragt fur Psychostimulantien 3,8 (Ver- gleichswerte: Hypnotika 2,7/Analgetika 1,0 O/oo/Tranquillizer (Benzodiazepine u. a.) 0,2!). Dies ist der Hauptgrund dafur, dai3 zahlreiche Vertreter dieser Wirkstoffklasse dem Betaubungsmittelgesetz unterstellt wur- den und die Indikationsliste eine deutliche Einschrankung erfuhr. Psychostimulantien fuhren nach Wanke und Taschner [27] bei mehrfacher, insbesondere aber nach chroni- scher Einnahme zu gehobener Stimmung und Euphorie. Daneben erfolgt eine Lei- stungssteigerung hinsichtlich vermehrter Ak- tivitat. Dies mogen Grunde sein fur die Ent- wicklung einer Abhangigkeit. Von den Be- troffenen wird jedoch haufig selbst nicht wahrgenommen, dai3 sie zwar schneller bzw. langer arbeiten konnen, die Qualitat der Ar- beit jedoch nachlak. In der Definition der W H O zu den verschiedenen Typen der Dro- genabhangigkeit wurde beim ,,Amphetamin- Typ" eine psychische Abhangigkeit in den

Vordergrund gestellt. Physische Abstinenz- zeichen sollen beim Absetzen weitestgehend fehlen. Die Gewohnung (auch an Nebenwir- kungen!) soll langsam erfolgen, dann aber stark ausgepragt sein.

Psychostimulantien spielen beim Doping und in der Drogenszene eine groi3e Rolle, werden aber auch ganz allgemein haufig mii3- brauchlich benutzt. Nach Kielholz und Lade- wig [12] stehen vor allem folgende Beweg- grunde im Vordergrund: Appetitzugler, Abmagerung; Mudigkeitsbekampfung, Aktivierung; Leistungssteigerung bei Sportlern (Doping); Stimmungshebung, Intensivierung der

Steigerung und Verlangerung allgemeinen Wahrnehmung;

erotisch-sexuellen Erlebens.

Im Zusammenhang mit dem Konsum von Psychostimulantien konnen Psychosen auf- treten. Dabei unterscheiden Bonhoff u. Lew- renz [4] paranoid-halluzinatorische Angst- syndrome, paranoid-mikrohalluzinatorische Syndrome, Syndrome der ekstatisch gestei- gerten Wahrnehmung und dysphorisch-de- pressive Zwangssyndrome. Haufig werden Mischformen der ersten drei Psychosetypen beobachtet (zit. nach Wanke u. Taschner [271).

Je nach Anwendungsform konnen beispiels- weise bei Methamphetamin im psychoti- schen Bereich unterschiedliche Effekte auf- treten:

- Bei sehr schneller Dosissteigerung konnen z. T. irreversible schizophrenieahnliche Bil- der mit optischen und akustischen Halluzina- tionen ausgelost werden.

- Bei chronischem Gebrauch kommt es wahrend der Anwendung und vor allem beim Absetzen zur Entwicklung eines depressiven, uberdauernden Zustandsbildes mit ausge- pragter vitaler Hemmung und vegetativer In- stabilitat (Erschopfungsdepression). Eine ausschleichende Medikation kann u. U. ange- bracht sein.

Die Wirkungen bei Migbrauch werden von Stubing [25] folgendermai3en zusammenge- fai3t:

Wirkung bei Mipbrauch

Korperlich: Blutdruckanstieg mit Gefahr einer

(Hirn-)Bhtung

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Gefahr des Herzversagens, Kreislaufkollaps Evtl. Tod durch Herz-Kreislaufversagen

Psychisch: Unruhe, Nervositat, Reizbarkeit, Unrast Unmoglichkeit, ankommende Gedanken festzuhalten, zu ordnen und zu verfolgen, Ideenflut Enthemmung wollustiger Pragung rnit sub- jektiv erlebter Triebsteigerung, die orgas- musartig erlebt werden kann Einschrankung der Kritikfahigkeit Optische und akustische Sinnestauschungen Angstsymptomatik, Verfolgungsideen.

In sehr seltenen Fallen wurden nach der Gabe von Mazindol (Teronac@) und Methylpheni- dat (Ritalin@) allergische Hautreaktionen be- obachtet.

Die Organtoxizitat (Leber, Nieren) scheint verhaltnismafiig gering zu sein. Nur nach ho- hen Dosen wird uber vaskulare Nephropa- thien berichtet. Wenige Befunde deuten auf Hepatotoxizitat hin.

Bezuglich der Interaktionen mug darauf hin- gewiesen werden, dai3 MAO-Hemmstoffe wie Tranylcypromin und indirekte Sympa- thomimetika nicht kombiniert werden dur- fen, da adrenerge Wirkungen (hypertensive Krisen, Arrhythmien, Hyperpyrexie, Kopf- schmerzen, intrakranielle Blutungen) auftre- ten konnen. Todesfalle sind in diesem Zusam- menhang beschrieben [26].

5.2 P-Rezeptorenblocker (P-Sympatho- lytika, P-Blocker)

Zunachst mag man etwas erstaunt daruber sein, daR der P-Rezeptorenblocker Proprano- 101, der selbst uber sedierende Komponenten im (Neben-)Wirkungsspektrum verfugt, ahn- lich wie Psychostimulantien einsetzbar sein soll. Als Ursache fur die vigilanzerhohenden Eigenschaften von Propranolol bei Narko- lepsie sind vier Mechanismen zu diskutieren (zit. nach Meier-Ewert):

Seine Wirkung als 5-Hydroxytryptophan- Antagonist [ll]. Die Blockierung zentraler Adrenorezeptoren durch Propanolol. Die membranstabilisierende Wirkung von Propanolol. Verminderung der Melatonin-Serumkonzen- tration durch Propranolol [8].

Solche scheinbaren Paradoxien sind iibrigens

haufiger zu beobachten. So wird beispiels- weise das zu der Gruppe der Psychostimulan- tien zahlende Methylphenidat (Ritalin@) bei Kindern mit leichter fruhkindlicher Schadi- gung zur Dampfung (!) der motorischen Un- ruhe angewendet (Stiibing [25]).

Die Rote Liste 1989 gibt fur P-Rezeptoren- blocker unter B 22 folgende Nebenwirkun- gen an:

Nausea, Diarrhoe, Obstipation Mudigkeit (!) Verstarkung einer Herzinsuffizienz Bradykardie, Herzblock Blutdrucksenkung Bronchospasmen Einschrankung des Tranenflusses

Hautreaktionen Muskelkrampfe, Muskelschwache Schlafstorungen (Alptraume) Halluzinationen Potenzstorungen (selten) Depressive Verstimmungen

(Kontaktlinsentrager)

Auch hier wird man sagen konnen, daR einigen Nebenwirkungen betrachtliche verkehrsme- dizinische und arbeitsmedizinische Bedeu- tung zukommen kann. Besonders zu erwah- nen sind die Mudigkeit und die mogliche In- teraktion mit Alkohol (Ethanol). Insgesamt ist aber das Nebenwirkungsrisiko eher gering einzustufen und soll bei Beriicksichtigung der Kontraindikationen unter 5 Yo liegen. Als Kontraindikationen werden genannt (Arz- neistoff-Profile [2]:

Absolute Kontraindikationen: Manifeste Herzinsuffizienz, ausgepragte Sinusbrady- kardie, AV-Block, Kardiomegalie, spastische Bronchitis, Bronchialasthma.

Relative Kontraindikationen: Obstrukcive Atemwegserkrankungen, Diabetes mellitus, Neigung zu Hypoglykamien.

Nicht unerwahnt bleiben sollten auch fol- gende Interaktionsmijglichkeiten:

Die Propranololwirkung wird durch gleich- zeitige Einnahme von Cimetidin verstarkt (Hemmung der Metabolisierung).

Propranolol kann die hypoglykamischen Wirkungen von Insulin und oralen Antidia- betika verstarken (Hemmung der Gegenre- gulation). Die Bioverfiigbarkeit von Propra- nolol ist bei gleichzeitiger Einnahme von

Phenobarbital infolge erhohten first-pass- Effektes (wahrscheinlich aufgrund einer En- zyminduktion) vermindert.

Nach Kombination von P-Rezeptorenblok- kern mit Clonidin kann es zu einer Aufhe- bung des blutdrucksenkenden Effektes von Clonidin kommen, zusatzlich sind Blut- drucksteigerungen moglich.

Nach Langzeittherapie sollten P-Rezeptoren- blocker nicht abrupt abgesetzt werden, da dann gehauft Angina pectoris-Anfalle, Arrhythmien und Kammerflattern auftreten konnen. Auch Myokardinfarkte mit todli- chem Ausgang sind nach Absetzen beschrie- ben worden. Die Haufigkeit des ,,Rebound- Phanomens" wird mit 5 - 15 'YO angegeben.

Uber Abhangigkeitsfalle bei P-Rezeptoren- blockern wird allenfalls vereinzelt berichtet.

5.3 Tricyclische Antidepressiva

In der Roten Liste 1989 werden unter T 60 folgende Nebenwirkungen genannt:

Sedierung Schwindel, Unruhe, Schlafstorung Anticholinerge Wirkungen (Mundtrocken- heit, Obstipation, Harnverhalten, Akkomo- dationsstorungen, Glaukomauslosung (Eng- winkelglaukom), Tachykardie Erregungsleitungsstorungen Muskeltremor Blutdruckabfall (selten) Extrapyramidale Storungen (sehr selten) Zerebrale Krampfanfalle (sehr selten) Bei Wegfall der Antriebshemmung:

Suizidtendenz Leberfunktionsstorungen (selten) Hautreaktionen Delirante Zustande Sexuelle Storungen

Auch nach der Einnahme von Protriptyline (Concordin@), Clomipramin (Anafranil@), Desipramin (Pertofran@) und Imipramin (To- franil@) ist daher rnit Beeintrachtigung der Verkehrstuchtigkeit oder Arbeitssicherheit zu rechnen. Ein entsprechender Warnhinweis ,,Reaktionsvermogen" befindet sich auf dem Beipackzettel. Besonders verhangnisvoll kann sich die Interaktion mit Alkohol (Etha- nol) oder anderen zentral wirksamen Stoffen auswirken.

Zahlreiche Nebenwirkungen werden nur zu Beginn einer Therapie als unangenehm emp-

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funden; daher ist an einschleichende Medika- tion zu denken.

Sehr selten werden fur tricyclische Antide- pressiva psychische und physische Abhan- gigkeit beobachtet. Entzugssymptome kon- nen in Einzelfallen nach dem Absetzen hoher Dosen von Imipramin auftreten [26, 271.

5.4 Viloxazin (Vivalan@)

In der Roten Liste 1989 sind folgende Neben- wirkungen verzeichnet:

Gastrointestinale Storungen Kopfschmerzen Schlafstorungen Unruhe hypomanische Zustande

Insgesamt wird in der Literatur darauf hinge- wiesen, dai3 die Nebenwirkungen bei Viloxa- zin deutlich geringer ausgepragt sind oder so- gar ganz fehlen, wenn man etwa mit den un- ter 5.3 besprochenen tricyclischen Antide- pressiva vergleicht.

5.5 Tranylcyprominsulfat (Parnate@)

Die Rote Liste 1989 nennt unter M 40 die fur Monoaminooxydase-Hemmer (MAO-Hem- mer) beschriebenen Nebenwirkungen:

Leichter Blutdruckabfall Zentralnervose Stimulation (Schlafstorun-

kurzzeitige paradoxe Blutdrucksteigerung, evtl. mit Okzipitalkopfschmerz

gen)

Tranylcypromin besitzt enge Strukturver- wandtschaft zum zentral erregend wirkenden Amphetamin.

Aus einer alteren Untersuchung geht hervor, dai3 von 3,s Millionen Patienten, die diesen MAO-Hemmstoff eingenommen hatten, 50 schwerwiegende Nebenwirkungen aufwie- sen, die bei 15 zum Tod fuhrten. Der MAO- Hemmstoff wird heute meist nur dann einge- setzt, wenn die Patienten auf andere thera- peutische MaBnahmen nicht ausreichend an- sprechen [26].

Im Rahmen der Narkolepsiebehandlung mug besonders darauf hingewiesen werden, dai3 die gleichzeitige Gabe von Psychostimu- lantien (vgl. 5.1) zu schweren Interaktionen fuhren kann (Rhythmusstorungen, hyper- und hypotone Krisen, Hyperthermie). Die si- multane Verabreichung von tricyclischen Antidepressiva (vgl. 5.3) kann Krampfanfalle und schwere Erregungszustande auslosen. Weiterhin ist eine spezielle Diat erforderlich: Nahrungsmittel, die grogere Mengen an blut- drucksteigernden Aminen enthalten, sind zu meiden, da extreme Blutdrucksteigerungen

Pharmakologische Therapeutischer Wirkung Einsatz

Nebenwirkung

Sedativ, hypnotisch Anasthesie, Unruhezustande, Schlafstorungen

Sedation, Schlafrigkeit, Verminderung

der Reaktionsfahigkeit

Antikonvulsiv Epilepsien, zentrale Ubererregungszustande

Zentral Muskelspasmen, muskelrelaxierend Tetanus

Muskelschwache, Ataxie, Atemdepression, Obstipation

Anxiol ytisch Angstneurosen, Gleichgultigkeit, Angst bei psychosomatischen Wurstigkeit

Erkrankungen

beobachtet wurden. Im einzelnen werden ge- nannt [6]:

Lebensmittel, die bei der Behandlung rnit MAO-Hemmern zu meiden sind.

Kase: insbesondere stark riechender, fermen- tierter wie Emmentaler, Brie, Camembert, Gouda, Schafskase

Fisch: Scholle, Seehecht, Fischstabchen, (ein- gelegte) Heringe

Wurst: Salami, Landjager

Obst und Gemiise: Bananen, Orangen, Kar- toffeln, Spinat, Tomaten

Alkohol: Rotwein (z. B. Chianti), Bier

Verschiedenes: Hefeextrakte, Joghurt

AbschlieBend ware noch darauf hinzuweisen, daB fur Tranylcypromin Abhangigkeitsfalle beschrieben wurden. Insgesamt gesehen sollte Tranylcypromin (Parnate@) wegen sei- ner erheblichen Nebenwirkungen, Interak- tionen und der Notwendigkeit einer speziel- len Diat nur in Sonderfallen eingesetzt werden.

5.6 Benzodiazepin-Hypnotika

Benzodiazepine sind im Rahmen der Narko- lepsietherapie fur die Behandlung des gestor- ten Nachtschlafes vorgesehen.

Neben der hypnotischen bestehen noch wei- tere Wirkungskomponenten, narnlich anti- konvulsive, zentral muskelrelaxierende und anxiolytische.

Die meisten Nebenwirkungen der Benzodia- zepine lassen sich aus ihren vier pharmako- logischen Wirkungskomponente ableiten (Muller [17]) (Tabelle).

Die Nebenwirkungen haben betrachtliche Relevanz hinsichtlich der Berufs- und Ver- kehrstauglichkeit. Auch hier wurden insbe- sondere bei gleichzeitiger Gabe von Alkohol oder anderen zentral wirksamen Fremdstof- fen besonders gravierende Ausfalle beobach- tet (Schutz [22, 23, 241).

Was die Auswahl der Benzodiazepine hin- sichtlich ihres Einsatzes als Schlafmittel an- geht, hat es sich bewahrt, die Halbwertszeit der Elimination als Beurteilungskriterium heranzuziehen (Tabelle 1).

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Tabelle 1. Einteilung von Benzodiazepinen aufgrund pharmakokinetischer Eigenschaften (nach Greenblatt e t al. [7], modifiziert).

I. Benzodiazepine mit langer terminaler H W Z und lang-wirksamen aktiven Metaboliten Diazepam (20-40 h) Desmeth yldiazepam (36-200 h) Chlordiazepoxid ( 5-30 h) u. a. Desmethyldiazepam (36-200 h) Clorazepat" - Desmeth yldiazepam (36-200 h) Prazepam" - Desmeth yldiazepam (36-200 h) Medazepam" - u. a. Diazepam (20- 40 h) Flurazepam* - Desalkylflurazepam (40-250 h) Clobazam (12-60 h) Desmethylclobazam ?

11. Benzodiazepine mit mittlerer bis kurzer terminaler HWZ und mit aktiven Metaboliten Flunitrazepam (ca. 15 h) 7-Amino-Derivat (25 h)

Bromazepam (10-20 h) 3-H ydroxybromazepam ? Estazolam (10-30 h) hydroxylierter Metabolit ?

111. Benzodiazepine mit mittlerer bis kurzer terminaler HWZ, ohne aktive Metaboliten Ni trazepam (15-38 h) - Lorazepam (10-20 h) - Temazepam ( 8-14 h) - Lormetazepam ( 8-14 h) - Oxazepam ( 4-15 h) -

IV. Benzodiazepine mit ultrakurzer H W Z und aktiven Metaboliten Triazolam (2 h) 7-Alpha-Hydroxytriazolam (2-4 h) Midazolam (2-4 h) Hydroxy-Midazolam ?

'Substanz tragt selbst nicht oder kaum zur Wirkung bei und kann als ,,Prodrug" betrachtet werden.

Folgende Uberlegungen erscheinen gerecht- fertigt und werden auch von zahlreichen an- deren Autoren vertreten:

Benzodiazepine mit langer Eliminations- halbwertszeit, insbesondere der Hauptmeta- boliten, sind zum Einsatz im Rahmen der Narkolepsietherapie nicht geeignet, da der langsame Abbau noch relevante und uner- wunschte Wirkspiegel in der Phase der Tages- schlafrigkeit bewirkt und diese dadurch noch verstarkt werden kann. Es besteht die Gefahr der Kumulation. Auch werden paradoxe Reaktionen fur diesen Benzodiazepintyp haufiger als bei den anderen beschrieben. Bei Benzodiazepinen rnit kurzer Eliminations- halbwertszeit besteht andererseits das Risiko einer Reboundinsomnie, d. h. ein Patient, der beispielsweise am spaten Abend ein sol- ches Benzodiazepinderivat mit ultrakur- zer Eliminationshalbwertszeit zur Schlafin-

duktion einnahm, kann bereits in den fru- hen Morgenstunden durch Unruhe, Angst und andere unerwunschte Effekte geweckt werden. Haufig resultiert eine erneute Ein- nahme.

Einen vernunftigen KompromiB zwischen Rebound und Kumulation (Hangover) stellen Benzodiazepine rnit mittlerer Eliminations- halbwertszeit dar. Besondere Bedeutung kommt hierbei 3-hydroxylierten Benzodia- zepinen zu (z. B. Lormetazepam (Nocta- mid@)), da sie uber Phase II-Biotransforma- tionsreaktionen eliminiert werden und da- durch keine besondere Stoffwechselleistung uber Phase I-Reaktionen erforderlich ist. Dies hat wiederum zur Folge, dai3 die Elimi- nationshalbwertszeit auch bei eingeschrank- ter Organfunktion (2.B. im Alter oder bei Krankheiten der Eliminationsorgane) nicht zunimmt.

Bezuglich des Abhangigkeitspotentials der Benzodiazepine ist festzustellen, dai3 heute keine Zweifel mehr daran bestehen, dai3 Ben- zodiazepine schon nach einem Gebrauch von wenigen Wochen zur Gewohnung fuhren konnen [5, 20, 211. Andererseits wird das MiBbrauchspotential auch haufig uber- schatzt. Eine Sonderrolle scheint Lorazepam (TavoP) zu spielen, wie Muller [ 181 kurzlich zeigen konnte.

Was die Gefahr der Entwicklung einer Ab- hangigkeit angeht, so wird man abschlie- Bend generell sagen konnen, daQ die Pro- gnose aufgrund umfangreicher Erfahrungen immer dann gunstig ist, wenn bestimmte Arzneistoffe, die sonst haufig mii3brauchlich benutzt werden, bei der Behandlung einer Krankheit mit hohem Leidensdruck (wie der Narkolepsie) Einsatz finden. So berichten Hess, Scharfetter und Mumenthaler [9] uber eine individuelle und der jeweiligen Situation angepaBte ,,bei Bedarf"-Einnahme (z. B. rnit Wochenend-Pausen), Allerdings wird in der gleichen Arbeit auch vor ,,fakchen Narkolep- tikern" gewarnt, die Symptome erfinden, um an die erstrebte Medikation zu gelangen.

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Prof. Dr. rer. nat. Harald Schutz, geboren 1942 in Ingelheim am Rhein, Studium der Chemie an den Universitaten Mainz und Gie- Ren, Promotion 1977 im Fachbereich Phar- mazie und Lebensmittelchemie der Universi- tat Marburg, Habilitation 1982 im Fachbe- reich Humanmedizin der Universitat GieBen, seit 1965 am Institut fur Rechtsmedizin der Universitat GieRen tatig. Arbeitsgebiete: fo- rensisch- und klinisch-toxikologische Analy- tik, insbesondere Screeningverfahren, Benzo- diazepine. Monographien: Benzodiazepines (1982), Alkohol im Blut (1983), DC-Scree- ning von Benzodiazepinen (1986). Seit 1. 1. 1986 Vorsitzender der Arbeitsgruppe Analy- tik der Senatkommission der D F G fur Kli- nisch-toxikologische Analytik.

Anschrift:

Prof. Dr. Harald Schutz, Inst. f. Rechtsmedi- zin d. Univ., Frankfurter Str. 58, 6300 Gie- Ren.

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