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31 Rainer Feldbacher Konflikt durch Ideologien in der Antike und deren moderne Rezeption „Wer wäre wohl so unvernünftig, den Krieg statt des Friedens zu wählen? Im Frieden begraben die Kinder ihre Eltern, im Kriege die Eltern ihre Kinder.“ 1 Einführung Der Artikel, der anhand dreier Beispiele aus der Antike die Ursachen und Hintergründe von Konflikten darstellen soll, versucht diese (neben den übli- chen Aspekten von Machtgewinn und wirtschaftlichen Bestrebungen) auf Die- ologien, aber auch oder gerade dem Schaffen von Feindbildern zurückzufüh- ren. Trotz neuerer Untersuchungen unterliegt man weiterhin dem Fehler, die Komplexität solcher Konflikte zu missachten. Der erste (und umfassendste) Teil behandelt die Perserkriege, worin im Zuge der Ausführungen gezeigt werden soll, dass es sich bei diesen Konflikten keineswegs um klar umrissene Grenzen Ost-West, Asien-Europa, Demokratie-Despotismus handelt, wie oft vermutet und interpretiert wird. Auch der „Gallische Krieg“ Caesars (Bellum Gallicum) im zweiten Teil beweist noch heute den Einfluss solcher Berichte auf den Leser. Die Konflikte zwischen Rom bzw. Byzanz mit den Nachfolgerei- chen der Perser (Parther, Sasaniden), auf die im dritten Teil nur in kurzen Umrissen eingegangen wird sind dagegen selten beachtet, und stellen doch auch ein bemerkenswertes Beispiel von Kampf um den Absolutheitsanspruch dar, zwei Weltkreise, deren östlicher wiederum den Nachteil hatte, sich lange im Dunkel der Geschichte befunden zu haben bzw. nur der römischen Be- richterstattung unterworfen gewesen zu sein. Mit der Darstellung jener drei Zusammenstöße sollen drei Hauptmotivationen hervorgehoben werden: kultu- reller, ethnischer und religiöser Konflikt, die alle drei nicht völlig voneinander zu trennen sind. 1. Perserkriege Im Gegensatz zu den anderen alten Kulturen des Orients hinterließen die Perser wenige offizielle Dokumente außer einigen Chroniken während der Diadochenzeit. So wurde in Ermangelung eigener lange Zeit nur auf fremde 1 Worte Kroisos´ zu Kyros lt. Herodot 1,87.

Rainer Feldbacher Konflikt durch Ideologien in der … · Teil behandelt die Perserkriege, worin im Zuge der Ausführungen gezeigt werden soll, dass es sich bei diesen Konflikten

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Rainer Feldbacher Konflikt durch Ideologien in der Antike und deren moderne

Rezeption

„Wer wäre wohl so unvernünftig, den Krieg statt des Friedens zu wählen?

Im Frieden begraben die Kinder ihre Eltern, im Kriege die Eltern ihre Kinder.“1

Einführung Der Artikel, der anhand dreier Beispiele aus der Antike die Ursachen und Hintergründe von Konflikten darstellen soll, versucht diese (neben den übli-chen Aspekten von Machtgewinn und wirtschaftlichen Bestrebungen) auf Die-ologien, aber auch oder gerade dem Schaffen von Feindbildern zurückzufüh-ren. Trotz neuerer Untersuchungen unterliegt man weiterhin dem Fehler, die Komplexität solcher Konflikte zu missachten. Der erste (und umfassendste) Teil behandelt die Perserkriege, worin im Zuge der Ausführungen gezeigt werden soll, dass es sich bei diesen Konflikten keineswegs um klar umrissene Grenzen Ost-West, Asien-Europa, Demokratie-Despotismus handelt, wie oft vermutet und interpretiert wird. Auch der „Gallische Krieg“ Caesars (Bellum Gallicum) im zweiten Teil beweist noch heute den Einfluss solcher Berichte auf den Leser. Die Konflikte zwischen Rom bzw. Byzanz mit den Nachfolgerei-chen der Perser (Parther, Sasaniden), auf die im dritten Teil nur in kurzen Umrissen eingegangen wird – sind dagegen selten beachtet, und stellen doch auch ein bemerkenswertes Beispiel von Kampf um den Absolutheitsanspruch dar, zwei Weltkreise, deren östlicher wiederum den Nachteil hatte, sich lange im Dunkel der Geschichte befunden zu haben bzw. nur der römischen Be-richterstattung unterworfen gewesen zu sein. Mit der Darstellung jener drei Zusammenstöße sollen drei Hauptmotivationen hervorgehoben werden: kultu-reller, ethnischer und religiöser Konflikt, die alle drei nicht völlig voneinander zu trennen sind.

1. Perserkriege Im Gegensatz zu den anderen alten Kulturen des Orients hinterließen die Perser wenige offizielle Dokumente außer einigen Chroniken während der Diadochenzeit. So wurde in Ermangelung eigener lange Zeit nur auf fremde

1 Worte Kroisos´ zu Kyros lt. Herodot 1,87.

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Quellen zurückgegriffen (Herodot, Thukydides). Nachdem der Gründer der Achämeniden-Dynastie, Kurasch (grch. Kyros) Babylon eroberte und dessen letzten König Nabonid absetzte, versuchten sich die Perser als weltoffene Herrscher. Er verhalf

den Juden aus dem babylonischen Exil in die Freiheit,

zur Rückkehr ins Heilige Land und zum Wiederaufbau des Tempels.2 Ohne besondere Bevorzugung vertrat Kyros die Ansicht, dass Religion eine Sache des Rechts sei, und „da er die Gesetze eines jeden Volkes prinzipiell aner-kannte, musste er auch den Göttern freie Ausübung ihrer Souveränität über

ihr Volk gewähren“ 3. Natürlich steckte bei seinen Taten ein politisches Kalkül

dahinter – der Wiederaufbau fremder Kulte brachte zufriedene Untertanen. Für sich und sein Volk wählte er den Glauben des Zarathustra. Doch wäh-rend Kyros in der Bibel positiv dargestellt wurde (2 Chr, 36; Esra 1,1 ff.; Jes 28), rückte man die Perser allgemein in ägyptischen und hauptsächlich grie-chischen Darstellungen in kein gutes Licht. Der uns heute durch Herodot mehr oder weniger vertraute Barbarenbegriff bildete sich erst nach dem Sieg der Griechen über die Perser aus. Der historische Zusammenhang ist die politische Führung Athens im delisch-attischen Seebund, dessen erster Zweck bei seiner Gründung die Fortführung des Kampfes gegen die Perser war. Die Perser, zunächst noch eine reale Gefahr, wurden bald als Feindbild zur Stabilisierung der athenischen Herrschaft gebraucht. Für die Griechen, oder zumindest die Athener hatten sich die Koordinaten der Welt nach dem Sieg verschoben, sie wurden zur Weltmacht. Doch trotz dieses Seebundes gab es kein panhellenisches Wesen im eigentlichen Sinne. Es wurde zwar in gewissen Bereichen angesichts der verschiedenen nichtgriechischen Nach-barn in manchen Bereichen stärker ausgebildet – gleiche Sprache, Heiligtü-

mer und Orakel sowie Sitten, so dass der Name „Hellenen“ aufkam.4 Auch im kulturellen Bereich förderte man Gemeinsamkeiten; im politischen verwirklich-te sich dieser Zusammenschluss jedoch nie. Die Eigenart der Griechen hatte sich in den politischen Verbänden höchst unterschiedlich ausgeprägt. Es lebten auch nicht alle in Stadtstaaten (poleis), sondern in Stämmen (ethné).

2 Wenn man einen kurzen Blick weiter in die Geschichte zurückwirft, so zeigt sich, dass es den Kindern Israels auch in Babylon gestattet war, die eigenen Sitten und Überlieferungen zu pflegen sowie ihre Religion weiter auszuüben. Und dennoch ging wohl aus diesem Grund Nebukadnezar „als Urbild eine Tyrannen in die Geschichte ein, weil seine Toleranz seine Opfer imstand setzte, von seinen Taten zu erzählen.“ Mathias 2005, 193 ff. Nebukadnezar ist zwar Werkzeug JHWHs (1Chr 5,41), aber kein legitimer Nachfolger der Davididen. Näheres dazu u.a. bei: Beek, M.A., An Babels Strömen. Hauptereignisse aus der Kulturgeschichte Mesopotamiens in der alttestamentli-chen Zeit, München 1959. 3 Sitarz 1983, 134. 4 Einflussbereich und Bedeutung gemeinsamer Institutionen wuchsen, etwa die Spiele in Olympia, deren panhellenischer Charakter die Teilnahme von makedonischen Königen für lange Zeit ausschloss. Vgl. Herodot 5, 22 über Alexander I. von Makedonien (ca. 494-454 v. Chr.).

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Die größten Verbände und im Kampf gegen Persien wichtigsten Gegner waren aber zweifellos die beiden bekannten Poleis Athen und Sparta:

Athen als Symbol der Demokratie schlechthin erfuhr erst langsam die Ent-wicklung zu einem System, das mit der so genannten heutigen Macht des Volkes dennoch nur bedingt gleichzusetzen ist. Noch bis wenige Jahre vor den Kriegen waren auch in dieser Stadt Tyrannen (Peisistratos, Hipparchos, Hip-pias) an der Macht, die trotz der heutigen negativen Konnotation ein kluges Regime zum Erhalt inneren Friedens, Wohlstands, sowie der Rechtssicherheit und Götterverehrung geführt hatten (Her 1,59-63). Unter deren Herrschaft florierte die attische Konjunktur, da die Wirtschaft unter anderem mit der Ein-führung des Münzwesens (um 550 v. Chr.) und der Unterstützung groß ange-legter Feiern angekurbelt wurde. Doch von Oppositionsführern wurde das delphische Orakel dazu bewegt, den Spartanern den Sturz des Tyrannen Hippias anzuraten. Nachdem ein erster Versuch, ihn zu stürzen, durch die Hilfe von mit Athen verbündeten thessalischen Truppen zum Scheitern ge-bracht wurde, marschierte der Spartanerkönig Kleomenes I. schließlich unter Aufbieten der Truppen des Peloponnesischen Bundes im Jahr 510 v. Chr. in Athen ein. Hippias siedelte nach Sigeion über, wo er unter persischer Herr-schaft regierte, in deren Dienste er dann als Berater an der Schlacht bei Mara-thon teilnahm. Wie schon eingangs angedeutet, waren die Grenzen ver-schwommener als sie immer dargestellt werden. Der zweite große Gegner der

Perser war Sparta. Dessen zuvor genannter König Kleomenes verhalf mit seinem Zug nach Attika zur Vertreibung der Peisistratiden (der oben genann-ten Tyrannendynastie) gegen seine Absicht der Demokratie in Athen zum Sieg. 492 v. Chr. sollte Kleomenes die Aigineten, welche den Gesandten des Dareios als Zeichen ihrer Unterwerfung Erde und Wasser überreicht hatten,

bestrafen.5 Ihm folgte nach seinem Tod sein Bruder Leonidas I., der Held der Schlacht bei den Thermopylen, auf den Thron. Widersprüche gab es zwischen diesen beiden Poleis von Anfang an: In Beiden wurden schon in archaischer Zeit Weichenstellungen für politische und gesellschaftliche Entwicklungen gezogen: In Athen hatte Solon im frühen 6. Jhd. v. Chr. durch Beseitigung der Schuldknechtschaft verhindert, dass Teile der freien Unterschicht in die Un-freiheit absanken und vom Geschehen der Polis ausgeschlossen wären. Athen entwickelte sich zur Polis mit der größten Bürgerzahl und in einer für das gesamte Hellenentum entscheidenden Phase die größte Flotte zur Ab-

wehr der Perser.6 In Sparta dagegen war die Gesellschaft nicht nur durch die allgemein übliche Dichotomie griechischer Gesellschaften in Freie und Unfreie

5 Er wollte die persischen Sympathisanten festnehmen, doch konnte er dies nicht ohne die Hilfe seines spartanischen Mitkönigs Demaratos erreichen, der aber entmachtet wurde und nach Susa zum Perserkönig Dareios floh sowie später ebenfalls am Zug gegen Griechenland teilnahm. 6 Welwei 2004, 125.

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gespalten. Die Helotie als spezifische Form der Unfreiheit verhinderte die Aufnahme größerer Bevölkerungsteile in das volle Bürgerrecht. Nun aber kam es zum „Sturm aus dem Osten“, der die beiden für gewisse Zeit zusammenschweißte: Der Konflikt begann in den kleinasiatischen Städten. Das nach Westen drängende Persien hatte im 6. Jhd. v. Chr. die Kolonien und Tochterstädte Griechenlands in diesem Raum unterworfen (Her 1,142), unter anderem die Stadt Milet, die wirtschaftlich und kulturell zu Recht als Metropole

bezeichnet wurde.7 Doch die persische Besatzung verhinderte eine Weiter-entwicklung maßgeblich. Unter dem persischen Großkönig Dareios herrschten seine Satrapen über die ionischen Griechen. Bis 500 vor Christus kam es immer wieder zu kleineren Aufständen, die aber schnell seitens der persischen Besatzung unter Kontrolle gebracht werden konnten. Gerade während dieser Zeit muss die persische Unterjochung als besondere Freiheitsberaubung ver-standen worden sein, war ja wenige Jahre zuvor in Athen die Isonomie (politi-

sche Gleichheit aller Vollbürger) eingeführt worden.8 Für das griechische Selbstverständnis war die Tyrannis der persischen Satrapen nun noch schwe-rer zu ertragen. Doch der ausschlaggebende Auslöser des Aufstands war in Aristagoras zu sehen, Tyrann von Milet und Satrap des Großkönigs Dareios. In dessen Auftrag sollte er die griechische Insel Naxos erobern, scheiterte aber kläglich. Aus Angst vor Bestrafung sah Aristagoras im Aufstand der Ionier seine einzige Chance. Bei der Beratung zwischen wichtigen Bürgern von Milet und benachbarten Städten spielte Aristagoras die Stärke der Perser herunter. Daran nahm auch Hekataios von Milet teil, der erste Geograph der Antike, welcher auf Grund seiner geographischen Kenntnisse von einem Kampf ge-gen Persien abriet (Her 5,36). Auf einer Weltkarte zeigte er das große persi-sche Reich und machte deutlich, dass man sich nicht nur auf einen Kampf mit den Persern, sondern auch mit etlichen Verbündeten einlassen würde. Er riet seinen Mitbürgern zum Flottenbau und zum allmählichen Abwerben der be-freundeten Städte, um so nachhaltig das Machtgerüst der Perser zum Einsturz zu bringen. Doch Aristagoras entschied sich zum sofortigen Handeln. Er war sich aber von Vornherein bewusst, dass Ionien allein gegen die Perser nichts ausrichten könnte. Er besuchte das griechische Mutterland. Nachdem ihn Kö-nig Kleomenes von Sparta abgewiesen hatte, begab sich Aristagoras nach Athen und erreichte, dass sein Antrag vor die Volksversammlung gebracht wurde. Es wurde entschieden, dass man den ionischen Griechen mit zwanzig

7 Nicht nur Thales, sondern auch Anaximander, Anaximenes und Leukipp stammten aus Milet. Anm. 8 Diese frühe Form der Demokratie war kaum mit der heutigen vergleichbar, da sie nur einen geringen Teil der Bevölkerung traf, aber sie war natürlich ein Anfang. Andererseits muss man entgegenhalten, dass im persischen Reich der Frau im Falle einer Scheidung dieselben Rechte wie dem Mann eingeräumt wurden, und davon war die griechische Gesellschaft weit entfernt. Anm.

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Schiffen zu Hilfe kommen würde.9 499 v. Chr. brach in Milet der ionische Auf-stand aus und weitete sich über Kleinasien aus. Durch die Zerstörung von Sardes, dem Zentrum der persischen Macht in Anatolien, wurden weitere Städte zum Aufstand ermutigt. Die persische Gegenoffensive ließ aber nicht lange auf sich warten, und bald hatten die Perser die abgefallenen Provinzen wieder unter Kontrolle. Aufgrund der anfänglichen Erfolge des Ionischen Auf-standes hatten sich auch die kyprischen Stadtkönigtümer der Revolte gegen die Perser angeschlossen (Her 5, 104). Wie die ionischen Griechen konnten sich die Kyprier ebenfalls kurze Zeit gegen die Übermacht behaupten, muss-ten sich jedoch, nachdem ihre Städte 498/497 v. Chr. allesamt durch Belage-rung gefallen waren bzw. der König von Kourion die Seiten wechselte (Hdt 5, 110-114), erneut der persischen Herrschaft unterwerfen. Lediglich Soloi und Paphos hielten noch einige Monate stand. Es fanden sich im Zuge von Gra-bungen vor allem bemerkenswerte Spuren einer solchen Belagerung auf dem

Marcello-Hügel bei Paphos auf Zypern (Abb. 1).10 Siebzehn Jahre später nah-men die Kyprier am Zug des Xerxes gegen Griechenland teil, und standen bei Salamis wieder auf der Seite der Verlierer.

Abb. 1: Unterminierungsstollen bei Paphos

9 Herodot fällte diesbezüglich das Urteil, es sei offensichtlich leichter, die Masse zu täuschen, als nur einen einzelnen Mann. Zur ionischen Verwandtschaft Athens, worauf sich Aristagoras berief: Her 1,143. 10 Die Paphier hatten die Stadtmauer durch eine Reihe vorgeblendeter Kalksteine verstärkt, und Gräben vor der Mauer ausgehoben. Das Stadttor wurde durch zwei Querbastionen verengt, damit die Angreifer einen schmaleren verwinkelten Eingang zu überwinden hatten. Alles außerhalb der Mauern wurde seitens der Perser abgerissen, u.a. ein Heiligtum, dessen Trümmer samt Votivinven-tar zusammen mit Erde, Baumstämmen und Steinen benutzt wurden, um eine Rampe aufzuschüt-ten. Entlang der Rampe beweisen Hunderte bronzene und eiserne Pfeil- und Wurfspeerspitzen, dass die Angreifer entsprechend unter Beschuss genommen worden waren. Die Archäologen ver-muten, dass griechische Söldner in persischen Diensten standen, da sich deren Helme im Füllmate-rial fanden. Ebenso wurde die Mauer ringsum untergraben. Diese Technik war auch das Instrument seitens der Verteidiger, u.a. um fahrbare Belagerungstürme zu Fall zu bringen: Die Paphier trieben fünf Stollen unter die Mauer Richtung Rampe, der Hohlraum war mit Holzbalken abgestützt, die man dann unter den Belagerungstürmen in Brand setzte. Doch all die Verteidigungsmaßnahmen zeigten keine Wirkung, da die Stadt nach fünf Monaten eingenommen wurde und bis Alexander dem Gro-ßen unter pers. Oberhoheit blieb. Maier 2008, 14 ff.; Schollmeyer 2009, 43.

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Die Aufmerksamkeit Persiens galt nach dem Fall der ionischen Städte dem griechischen Festland. Nach Eroberungszügen über Thrakien und Makedoni-en landete die persische Expedition 490 v. Chr. in Attika nahe Marathon. Noch vor Landung der Perser hatten die Athener einen Distanzläufer namens Pheidippides nach Sparta geschickt, der sofortige Hilfe erbitten sollte (Her 6,105). Militärischer Beistand war bereits zugesagt, jedoch wollten die Sparta-

ner gemäß einem alten Brauch nicht vor Vollmond aufbrechen.11 Als deren Hilfskorps in der Ebene von Marathon eintraf, war die Entscheidung bereits

gefallen; die Athener und Plataeer hatten die Perser besiegt.12 480 v. Chr. startete Dareios' Nachfolger, sein Sohn Xerxes I., diesen bereits vom Vater angelegten Feldzug. Schon im Herbst 481 hatten griechische Ge-sandte im Namen ihrer Wehrgemeinschaften (Her 7,145,1) geschworen, ge-meinsam den Kampf gegen die Perser aufzunehmen. Alle Feindseligkeiten und Kriege untereinander sollten beendet werden. Offenbar wurden aber noch keine Maßnahmen gegen jene Hellenen beschlossen, die sich den Persern

unterworfen hatten.13 Eine vorausgehende diplomatische Offensive seitens der Perser hatte die Auslieferung eines großen Teiles Zentralgriechenlands gesi-chert. Nach Sparta und Athen wurden keine Boten entsandt, um zu demonst-rieren, wer als Hauptfeind angesehen wurde. Die Mission der Herolde des Xerxes in Griechenland war schon Teil einer umfassenden politisch-strate-gischen Gesamtkonzeption, die das gesamte hellenische Mutterland umfasste, und die auf Spaltung, Verunsicherung und Demoralisierung der abwehrberei-

ten griechischen Gemeinwesen abzielte.14 Die Strategie war teilweise erfolg-reich, wie düstere Orakel (deren Hinweise immer für die Kriegsführung bedeu-tend waren) zeigten. Auch die Kooperation zwischen den Stadtstaaten blieb mangelhaft. Die Verteidigung unterstand spartanischer Führung, deren Be-fehlshaber für die Landtruppen König Leonidas war. Mit der Organisation des Widerstands war aber Sparta überfordert, da Dimensionen der erforderlichen Planung des Widerstands den bisherigen Handlungsrahmen spartanischer Po-litik und Kriegsführung sprengten. Eine Bedrohung dieses Ausmaßes war aus

11 Bis heute ist nicht geklärt, ob die Unterstützung wirklich aus religiösem Skrupel ausblieb. Anm. 12 Erst ab Plutarch kam es zu den Erzählungen des „Marathonläufers“ Philippides (Pheidippi-des, s.o.), (man beachte die Veränderung des Namens), der in Athen vom Sieg berichtete und dann sterbend zusammenbrach. Und doch animierte diese Geschichte zum heute beliebten Sportereignis. Anm. 13 Dieser Umstand steht gegen Herodots Behauptung, dass die Verbündeten die Absicht hätten, jene Poleis und Ethné (regionale Wehrgemeinschaften) zu bestrafen, und den zehnten Teil ihres Besitzes dem Apollon zu Delphi zu weihen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte der Perserkö-nig noch keine Herolde geschickt, die Wasser und Erde als Zeichen der Unterwerfung fordern sollten. Persische Boten verließen im Sept./Okt. 481 v. Chr. Sardeis und waren vielleicht schon im November desselben Jahres in Boiotien und Thessalien. Her 7,32. 14 Welwei 2004, 136 ff.

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griechischer Perspektive fast unvorstellbar, als die persische Armee südwärts

stieß.15 Neben den oben genannten Mißständen waren die Spartaner außer-dem nicht gewohnt, einen längeren Einsatz eines größeren Aufgebots in ei-nem Operationsgebiet weit außerhalb der Peloponnes zu führen. Somit wur-den einige gravierende taktische Fehler begangen, etwa keine Eingreifreser-ven zur Vereitelung persischer Umgehungstruppen, oder zwecks Ablösung der Kombattanten bereitgestellt zu haben. Am fünften Tag befahl Xerxes den Großangriff unter Umgehung der Gebirgspfade und des Anapeion-Passes. Um Zeit zu gewinnen, griff Leonidas das Gros der Perser an, fiel jedoch mit einem großen Teil seiner Truppen, als sich die restlichen Verbände der Spar-

tiaten und Thespier auf einen Hügel beim Osttor zurückzogen.16 Kein anderes Ereignis der Kriegsgeschichte wurde so oft gerühmt und doch kontrovers behandelt wie jenes. Der Widerstand des Leonidas und seiner Spartiaten wurde zu einem Opfergang für die Freiheit der Hellenen stilisiert und für die folgenden Generationen der Spartaner geradezu ein Identifikationssymbol. In der spartanischen Selbstdarstellung wurde das Geschehen in den

Thermopylen die Heldentat schlechthin.17 Nach dem Durchbruch durch die Thermopylen konnte Xerxes weiter nach Attika vorstoßen.

15 Vermutlich führte diese neue Erfahrung zu den phantastischen Übertreibungen der überliefer-ten Stärke der feindlichen Streitkräfte (bis zu drei Mio. Kombattanten beim Dichter Simonides). Auch bei Her 7,139 und 143,3 ist noch von Hundertausenden die Rede. Wie konnte es dazu kommen, dass ein zahlenmäßig unterlegener Gegner den Sieg erringen konnte, sofern die Perser wirklich in der Überzahl waren? Vielleicht boten die persischen Armeen keine überlege-nen Truppenstärken. Der Grund für die erfolgreiche Verteidigung des eigenen Landes bestand wohl in der seit Jahrhunderten bestehenden Phalanx, die sich schon in vielen Schlachten bewährt hatte. Sie spielte sich vermutlich im Laufe des 7. Jhd. v. Chr. als kurzer Krieg zwischen zwei Poleis ein, der im Frühsommer kurz vor Einbringen der Ernte geführt wurde. Er pflegte sich in einer einzigen Schlacht zu konzentrieren, in welcher die Phalangen der Schwerbewaffneten, in mehrere Glieder gestaffelt, aufeinander stießen. Wer das Feld behauptete, hatte gewonnen. Der Gewinner errichtete als Zeichen und zum Dank an die Götter ein Tropaion („Wendemal“). Es bezeugt die Wendung der Feinde zur Flucht: Beutewaffen wurden auf einem Holzpfahl angeordnet. Die Unterworfenen wurden in der Regel nicht verfolgt, die ihre Niederlage bekunde-ten, indem sie um Herausgabe ihrer Toten baten. 16 Welwei 2004, 146 f. 17 Berühmt und bekannt ist das von Herodot (Her 7,228,2) zitierte Distichon des Simonides von Keos. Die auf einem Gedenkstein am Kampfplatz eingemeißelten Verse lauten in der Überset-zung Friedrich Schillers: „Wanderer, kommst Du nach Sparta, verkündige dorten, Du habest uns hier liegen sehen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“ Diese Übersetzung gewann in der euro-päischen und deutschen Rezeptionsgeschichte geradezu ein Eigenleben. Selbst in einer nach dem II.WK aufgelegten „Griechenlandkunde“ (Kirsten, E. – Kraiker, W., Griechenlandkunde, Heidelberg 1967, 231) wird gesagt, dass durch Schiller die Verse des Simonides „bis zum heutigen Tage Besitz des deutschen Volkes geworden“ seien, offenbar nicht des Missbrauchs während des III. Reichs bewusst, als Göring am 30. Januar 1943 in einer Rede zum 10. Jahres-tag der „Machtergreifung“ Hitlers bereits den Nachruf auf die noch Überlebenden der 6. Armee parat hatte: „Und es wird noch einmal in der Geschichte unserer Tage heißen: Kommst du nach Deutschland, so berichte, du habest uns in Stalingrad kämpfen sehen, wie das Gesetz für die

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Im hellenischen Kriegsrat wurde diskutiert, dass ein Entscheidungskampf vor der Isthmos-Linie Salamis und Aigina retten könnte. Andernfalls hätte man einige Verbündete ihrem Schicksal überlassen, die daraufhin kaum zu weite-ren Kämpfen motiviert wären. Der Fall von Athen, der in die Zerstörung der Akropolis kulminierte, war schon ein schwerer Rückschlag. Doch auch die Perser standen unter Druck und waren zum Handeln gezwungen. Mit fort-schreitender Jahreszeit stiegen die Versorgungsprobleme, und diese schränkten strategische Optionen ein. Xerxes entschied sich zu kombinierter Operation zu Lande und zu Wasser, wo er im Sund von Salamis zahlreiche Trieren verlor, was zur Kampfunfähigkeit seiner Flotte führte. Man kennt die Glorifizierung des dortigen Sieges, die nicht zuletzt athenischer Selbstdarstel-lung seitens Herodot über die Verdienste im Kampf um Griechenland zu verdanken ist. Sparta stellte hierbei zwar nur ein kleines Kontingent, hatte aber unter dem spartanischen Oberbefehlshaber Eurybiades die strategische und taktische Konzeption inne und somit stark am Erfolg teil. Der Athener Themistokles konnte sich anschließend nicht durchsetzen, die feindliche Flotte bis zum Hellespont zu verfolgen und die Schiffsbrücken zu zerstören. Xerxes war daher nicht gezwungen, sofort den Rückzug anzutreten, der das Eingeständnis seiner Niederlage bedeutet hätte und unter Umständen seine Herrschaft im Reich destabilisiert hätte. Durch den Teilrückzug konnte er sein Gesicht wahren. Sein Befehlshaber Mardonios blieb im Norden Griechen-lands (Thessalien) und versuchte zweimal Athen für einen Sonderfrieden zu gewinnen, um die griechische Allianz zu sprengen. Unter anderem wurde der Makedonenkönig Alexander I. als Vasall des Großkönigs eingesetzt, um die Athener (in Gegenwart einer spartanischen Gesandtschaft – offenbar um sie gegeneinander auszuspielen) zu überzeugen, dass ihnen der von ihrer Seite begangene Schaden gegen Xerxes vergeben würde, wenn sie das Bündnis-angebot annähmen (Hd. 8,140). Doch beide Großpoleis waren einander an-gewiesen und blieben vorerst einander solidarisch. Nach misslungener Missi-on Alexanders I. zog Mardonios nach Süden, woraufhin Athen ein Hilfege-

such an Sparta schickte.18 Nach der anschließenden Schlacht von Plataiai und Mykale (Mardonius war dabei gefallen) 479 v. Chr. gingen nunmehr die Griechen unter der Leitung Athens zum Angriff über. Ermutigt durch Xerxes' Niederlage begannen die Griechen Asiens und der Inseln ebenfalls erneut zu

Sicherheit unseres Volkes es befohlen hat.“ Christ, K. (Hg.), Sparta, Wege der Forschung 622, Darmstadt 1986, 51 f. (Anm.190). 18 Die athenische Gesandtschaft traf während des Festes der Hyakinthien (Juni?) in Sparta ein, wo man aus religiösen Bedenken erst nicht auf sie einging. Herodot vermutete in diesem Vor-gehen eine Ausflucht der Spartaner (Her 9,8), bis die Schanzarbeiten am Isthmos abgeschlos-sen wären, um die Athener nicht mehr als Bundesgenossen zu benötigen. Er nahm damit eine spätere antispartanische Version auf, die jenen unterstellte, dass sie 479 die griechische Sache verraten wollten. Welwei 2004, 155.

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rebellieren. In diesem Moment zogen sich die Spartaner zurück (offenkundig wegen Meinungsverschiedenheiten), aber Athen führte die Bildung des de-

lischen Bundes fort.19 Dass auch zu diesem Zeitpunkt konservative Familien Griechenlands und Kleinasiens voller Sympathie nach Osten blickten, und zur Not auch Asyl in Persien fanden, beweist erneut die Komplexität von Freund-

Feind-Bildern.20 Auch die Darstellung eines Kampfes und Sieges der Demo-kratie gegen die persische Despotie ist nicht nur falsch in Bezug auf Athen (von echter Volksherrschaft noch weit entfernt), sondern vorwiegend wegen der Verbündeten, die hauptsächlich aus Tyrannen und Königen bestanden. Der Einfluss der Perser machte sich gerade in den Folgejahren nach den gro-ßen Kriegen bemerkbar, hauptsächlich während der Zwistigkeiten innerhalb der griechischen Welt, die in den Peloponnesischen Krieg mündeten. Dieser fand seinen Anfang, als die Spartaner unter Pausanias nach einem Erdbeben

die Athener um Unterstützung gegen aufständische Heloten baten.21 Kimon,

der eine athen-spartan. Kooperation auf der Basis des Bündnisses aus dem Jahre 481 als wesentliche Voraussetzung für Erfolge Athens im Kampf gegen Persien und zur Konsolidierung der athenische Führung im Seebund sah,

setzte in einer Volkversammlung die Entsendung von Hopliten durch.22 Sein Heer zur Unterstützung Spartas wurde allerdings von denselben wieder

19 Zur Unterstützung eines gleichzeitigen Aufstandes in Ägypten hatte Athen sogar eine Flotte von zweihundert Schiffe dorthin entsandt, die verloren ging, nachdem die Perser ca. 454 v. Chr. über den Nil einen Gegenangriff in Memphis starteten. 20 Die thebanischen Kollaborateure, die sich 479 auf die Entscheidungsschlacht bei Plataiai vorbereiteten, hielten zusammen mit den hohen Offizieren der persischen Armee ein Gastmahl ab – fast schon ein Modell für die spätere Politik Alexanders des Großen mit der Integration makedonischer und persischer Führungsschichten. Vgl. Herodot 9, 16 (das Gastmahl des Attaginos). Die Angehörigen der griechischen Oberschicht trafen sich mit den persischen Aris-tokraten, und mancher wird sich bemüht haben, wie Pausanias von Sparta, eine persische Prinzessin zu heiraten. Vgl. Thukydides 1, 128, 7; "bloß" eine Satrapentochter: Herodot 5, 32. 21 Während der Perserkriege gab es das Ephorat als Koordinationsstelle für Planung militäri-scher und diplomatischer Aktionen. Pausanias, Sieger der Schlacht von Plataia, musste als Regent akzeptieren, dass zwei Ephoren seine Aktionen im Felde zu observieren hatten, die als Repräsentanten des Volkes auch Fehlverhalten von Königen zu unterbinden und gegebenen-falls Anklage zu erheben hatten. Welwei 2004, 204. Ihm wurde Medismos (Kollaboration mit den Persern) unterstellt, etwa in der Darstellung des Thukydides (1,132,4-5). Die Verhandlung fiel zu seinen Gunsten aus, aber eine angebliche „Kollaboration mit den Heloten“ führte zu seiner Einmauerung im Tempel der Athene in Sparta. Die Befreiung der Heloten, die generell als Douloi (Sklaven) galten, wäre damals auf Unverständnis gestoßen, da die Fundamente der bestehenden Gesellschaftsordnung erschüttert worden wäre. Welwei 2004, 168 ff. 22 Kimon, Sohn des Miltiades, des Siegers der Schlacht bei Marathon, war der führende Politi-ker und Stratege (Inhaber des staatlichen Feldherrnamtes) in den Jahren nach den Perserkrie-gen, so dass man die Zeit der 470er- und 460er-Jahre nach ihm auch „Kimonische Ära“ be-nannt hat. Als Stratege führte er große Flottenprojekte des delisch-attischen Seebundes gegen die Perser erfolgreich durch. Er konnte etwa schon 478 v.Chr. die kyprischen Städte von den Persern befreien, die aber 468 v.Chr. schon wieder als persische Flottenstützpunkte dienten.

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zurückgeschickt, was zu einer Auflösung des seit 481 bestehenden Abkom-mens zur Waffenhilfe, und in weiterer Folge zu den offenen Auseinanderset-

zungen des Peloponnesischen Krieges fünfzig Jahre später führte.23 Die Athener fühlten sich gedemütigt und verbannten im selben Jahr den "Spartanerfreund" Kimon durch ein Scherbengericht (Ostrakismos) aus der Stadt. Als er um 451 v. Chr. zurückkehrte, brachte er einen vorläufigen Waf-fenstillstand mit Sparta zustande. Er fiel 449 v. Chr. bei der Belagerung von Kition auf Zypern (dort verweist man im heutigen Larnaca noch voller Stolz auf ihn) (Abb. 2).

Abb. 2: Büste des Kimon

Im selben Jahr noch wurden die Perserkriege mit Unterstützung des Perikles

durch den Kalliasfrieden formell beendet. Keine zwanzig Jahre (431 v. Chr.) später bekämpften sich die Griechen untereinander. In einer Analyse der Entstehung des Peloponnesischen Krieges nannte Thukydides mehrere Gründe für den Beginn der Kämpfe zwischen den beiden Großpoleis. Als

23 Es kam zum Eklat, weil die Spartaner die erbetene Hilfe nicht angenommen hatten, vermut-lich aus Misstrauen gegen den athenischen Drang, politische Veränderungen herbeizuführen. Durch einige Wechsel von Allianzen eskalierten die Spannungen 460 v. Chr. Bestehende Machtverhältnisse führten zu Unzufriedenheit gerade in den mittleren und kleineren Gemeinwe-sen, die jeweils von einer dominierenden Macht abhängig waren, so dass ihre Handlungsfreiheit entschieden eingeschränkt wurde. Die Großpoleis waren wiederum bestrebt, unter allen Um-ständen ihren Einfluss aufrecht zu erhalten und mit aller Entschiedenheit durchzusetzen. Zwar war den Mitgliedern dieser Systeme freier Handel garantiert, doch sahen nicht alle von den Großpoleis abhängigen Gemeinwesen in dieser Art von Frieden einen eigenen Vorteil. Jeder fürchtete den Machtzuwachs des anderen.

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einer galt wohl die Furcht der Spartaner vor zu viel Machtgewinn der Athener (Thuk. 1,1,2). Es waren nicht völlig unüberbrückbare ideologische Gegen-sätze. Allerdings hatten sich im politischen Denken und Handeln schon Entwicklungen angebahnt, die dazu beitrugen, dass nach Kriegsbeginn die Diffamierung der Wert- und Ordnungsvorstellungen politischer Gegner zum Instrument von Machtkämpfen werden konnte, wie Thukydides (3,82-83) in der sog. „Pathologie des Krieges“ darzustellen versuchte. Innerhalb beider Führungseliten waren die Meinungen geteilt, wollten doch viele eine militäri-sche Konfrontation vermeiden. Doch zu Beginn des peloponnesischen Kriegs hatte sich unter dem Eindruck der machtpolitischen Verhältnisse in der griechischen Welt eine polemische Propaganda der politischen Termino-logie und Typologie bemächtigt, so dass sowohl der Demokratie- als auch der Oligarchiebegriff aus der unterschiedlichen Perspektive politischer Rich-tungskämpfe bereits durchaus variable Größen waren. Der Verfassungsde-batte Herodots ist zu entnehmen, dass der Terminus „Oligarchie“ einerseits die Herrschaft der „Besten“ (Aristokratie), aber auch Cliquenherrschaft in seiner eigentlichen Bedeutung („Herrschaft der Wenigen“) bezeichnen konn-te. Hingegen wurden in tendenziöser Polemik die demokratischen Verhält-nisse in Athen als negatives Gegenbild (Ochlokratie = „Pöbelherrschaft“) zu oligarchischen Ordnungen klassifiziert, die dementsprechend aufgewertet wurden. Verflechtungen innen- und außenpolitischer Konflikte führten zu ei-ner Deprivation politischer Begriffe, die zu propagandistisch wirksamen Pa-rolen wie „Gleichberechtigung der Menge“ oder Forderung nach einer „Herr-schaft der Besten“ zur Verbrämung von Racheakten und hemmungslosem

Machtstreben dienten.24 In seiner Endphase nahmen die Perser beträchtli-chen Einfluss auf die Auseinandersetzungen der griechischen Staaten unter-einander, denn die spartanische Führung entschloss sich zur Kooperation mit dem persischen Prinz Kyros, ohne dabei die langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidung vorauszusehen. 412/11 v. Chr. gab es schon Verträge mit ihm, und auf diesem Weg hatten sie sich den Sieg über Athen gebahnt, jedoch außenpolitisch selbst ins Patt gesetzt, da ja die Anerkennung des An-spruchs des Großkönigs auf Herrschaft über die kleinasiatischen Griechen

24 Welwei 2004, 192 ff. u. 201 ff. Gerade während des peloponnesischen Kriegs kam es zu Massakern, von beiden Seiten begangen (Thuk. 3,32,1) – Gefangenenhinrichtung in Myonnes-sos durch Spartaner, Tötung aller Mytilenaier auf Beschluß der athenischen Ekklesia. Welwei 2004, 220. Mit dem peloponnesischen Krieg kam es auch zu einer Ausweitung bis in die italie-nischen Kolonien: Eine der wichtigsten Schlachtaustragungen war der Kampf um Syrakus 415 v. Chr., als Athen versuchte die korinthische Kolonie auf Sizilien zu erobern. Es wurde eine langwierige Belagerung, die immer mehr Soldaten und Ressourcen band und die Hauptstadt schwächte. Als die Krieger der athenischen Armee nach ihrer Niederlage zum großen Teil auch noch versklavt wurden und in Bergwerken ihr Ende fanden, war die athen. Vorherrschaft in Griechenland beendet. Devries et al. 2007, 71.

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sie davon abhalten sollte, als deren Schutzmacht aufzutreten. Als sich Kyros gegen seinen älteren Bruder Artaxerxes nach dem Tod ihres Vaters Dareios erhob, unterstützte Sparta den Aufstand, der mit der Schlacht bei Kunaxa 401 v. Chr. sein Ende fand. Somit war der erhoffte Traum einer Koexistenz mit Persien erneut verflogen; die politische Konstellation änderte sich nun gänzlich. Artaxerxes forderte die Unterwerfung aller ionischen Poleis ein, die Kyros unterstützt hatten. Die Städte reagierten mit einem Hilfegesuch an Sparta, das sich ja durch den Sieg über Athen inzwischen als „Schutzmacht aller Griechen“ (Xe. Hell. 3,1.3) sah. Im darauf folgenden sogenannten Ko-rinthischen Krieg verbündete sich Artaxerxes nun mit Athen und Theben ge-gen Sparta. Der neu ernannte spartanische König Argesilaos II. propagierte mit zielgerichteter Symbolik den Kampf gegen Persien als panhellenischer

König.25 Die Spartaner konnten sich in Griechenland durchsetzen, aber nicht gegen Persien. Und so kam es 387 v. Chr. zu einer Aushandlung mit dem Großkönig, dem sogenannten „Königsfrieden“, der allen beteiligten Parteien vorgetragen wurde, wonach die kleinasiatischen Griechenstädte und Kypros (Zypern) dem Großkönig gehörten. Als Garant für den Frieden trat der Groß-

könig ein.26 Sparta wurde hierfür als eine Art Vollstrecker eingesetzt, was praktisch bedeutete, dass die fast schon verlorene Rolle Spartas als He-gemon bestätigt wurde, was in Griechenland für viel Unmut sorgte. Persien hatte seine alte Vormachtstellung im östlichen Mittelmeerraum wieder errun-gen und konnte sich als der eigentliche Sieger fühlen. Aber auch Artaxerxes sah sich mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa dem Aufstand des Euagoras von Salamis (Zypern), der sich mit dem ägyptischen Herr-scher Akoris verbündet hatte. So war der Großkönig außerstande, aus eige-ner Kraft Sparta oder Athen zur Anerkennung seiner alten Herrschaftsan-sprüche in Westkleinasien zu zwingen, während die spartanische Führung erkannte, dass ein Kampf um Autonomie ihrer Schutzbefohlenen der klein-asiatischen Griechen verlorene Siege waren, da die spartanischen Ressour-cen für dauerhaften Schutz nicht ausreichten. So hatte Sparta v.a. Ord-nungsfunktionen innerhalb der Staatenwelt des hellenischen Mutterlandes auszuüben. Dies führte wiederum zu Misstrauen seitens Theben und Ko-rinth, die ursprünglich auf Seiten der siegreichen Spartaner gestanden hat-

ten, und den so genannten Heiligen Kriegen.27 Als sich im letzten jener

25 Diese Rolle wurde ihm von versch. Seiten verwehrt, etwa in der Ausübung von Kulthandlungen in Aulis. Dieser Ort war ja angeblich seitens König Agamemnon für den Aufbruch ins kleinasiati-sche Troja gewählt worden. Daran wollte er anschließen. Anm. 26 Es stellte sich die Frage, ob die in Susa getroffenen Abmachungen tatsächlich „ein vom Großkönig gesandter Frieden“ (Xen. Hell. 5,1,35) oder ein Diktat waren, wie Autoren des 4. Jhd.s behaupteten (Prostagma: Isokr. 4,176). 27 Hauptsächlich wurde einer dieser Kriege veranlasst, als es um 350 seitens der Lokrer um den Vorwand ging, Delphi zu schützen und die Autorität der Amphiktyonen (Amphyktionie: Städtebund

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Heiligen Kriege Philipp von Makedonien mit den Thessaliern und Thebanern

verbündete und deren moderne Militärtaktik anwendete28, wurde Griechen-land von ihm nach und nach erobert. Sparta war jedoch nicht zum Anschluß an den gegründeten Hellenenbund unter der Hegemonie Philipps II. bereit. Als dann auch noch dessen Nachfolger Alexander II. (der Große) im Be-schluß des Korinthischen Bundes sich als bevollmächtigter Stratege im „pan-hellenischen“ Rachefeldzug gegen Persien aufschwang, weigerten sie sich,

ihre Zustimmung zu geben.29 König Agis III. schickte eine Gesandtschaft an den persischen Königshof und verhandelte in Siphnos mit persischen Flot-tenführern um militärische und finanzielle Unterstützung im Kampf gegen Makedonien. Die Hilfe blieb minimal. Alexander bestrafte Sparta nicht exem-plarisch, da die Stadt ohnehin nach dem Fall der meisten Kombattanten be-

deutungslos wurde. Die Eigenständigkeit hatte Sparta jedenfalls verloren.30 Und innerhalb kürzester Zeit war auch das persische Reich dem makedoni-schen einverleibt. Es lässt sich beobachten, dass die Drohung von persi-scher Seite ohnehin schon lange marginal gewesen war, und die Konflikte

um ein Heiligtum zum Schutz und zur Verwaltung, später auch Veranstaltung von Festspielen, wie man sie von den olympischen Spielen kennt. Anm.) bewahren zu wollen. Der Rat verurteilte die Phoker, da sie angeblich heiliges Land bestellt hatten. Da Athen und Sparta den Phokern freund-lich gesinnt waren, verweigerten sie die Anerkennung des Urteils und raubten aus dem delphi-schen Tempelschatz 10.000 Talente, was in einem Großteil Griechenlands als außerordentlicher Frevel und Sakrileg aufgefasst wurde. Die mit der Beute angeworbenen Söldner ermöglichten es der an sich armen Landschaft nahezu zehn Jahre lang Krieg zu führen. 28 Die siegesgewohnten Spartaner erlitten ihre größte Niederlage in der Schlacht von Leuktra im Jahre 371 gegen die Thebaner. Diese hatte zur Folge, dass sich Spartas unterworfene Stadt-staaten erhoben. Allgemein lässt sich immer wieder erkennen, dass Niederlagen schon allein in Zusammenhang mit Prestigeverlust geradezu Rebellionen herausfordern. Philipps Sohn Ale-xander setzte die thebanische Taktik anschließend ein, um das Perserreich einzunehmen. Devries et al. 2007, 72 ff. 29 Alexanders weltoffenes Denken widersprach seiner Tat bei Persepolis: 330 v. Chr. brannte er, der Zerstörung der Akropolis gedenkend, die Hauptstadt des persischen Reiches nieder. Deren Ruhm und plötzlicher Untergang widerfuhr auch Herzfeld, dem deutschen Ausgräber (finanziell unterstützt seitens Chicago Oriental Institute, wo sich heute große Mengen an Keil-schrifttexten befinden, deren Entschlüsselung noch Jahre andauern und vielleicht zusätzlich das Bild der Perser ändern wird), dem seiner jüdischen Wurzeln wegen die Professur entzogen wurde, als der Rassenwahn im III. Reich erstarkte. Radikalisierende Ideologien erschwerten auch immer wieder archäologische Forschungen, zum Teil bis heute. Zu Herzfeld: G. Walser, Zum Gedenken an Ernst Herzfeld, 1879-1948. In: Archäologische Mitteilungen aus Iran 12, 1979, 9-12; F. Krefter, Mit Ernst Herzfeld in Pasargadae und Persepolis 1928 und 1931-1934. In: Archäologische Mitteilungen aus Iran 12, 1979, 13-25. 30 Trotz immer wieder kehrenden Erstarkens gewann Sparta nie wieder seine ehemalige Stel-lung zurück. Bis weit in die römische Kaiserzeit blieb Sparta zumindest eine civitas libera (freie Stadt mit eigener Verwaltung) mit den ihnen eigenen Institutionen (Ephorat, Gerusia, Apella, Syssitien, Agogé), und mit aufrecht erhaltener Tradition der Männerinstitutionen als Garanten für Sicherheit, bis 267/68 n. Chr. Raubscharen der Heruler die Stadt plünderten, und 395 n. Chr. Alarichs Truppen sie zerstörten. Welwei 2004, 324 ff.

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oft von innen herauf beschworen. Und doch bleibt das Bild des asiatischen Barbarenzugs nach Europa, das den griechischen Autoren zu verdanken ist. Zum einen war es die Inszenierung des Stücks „Pérsai“ des Ayschilos im

Jahre 472 v. Chr., das jenes Kriegsgeschehen von 480 v. Chr. aufrief.31 Bei aller stolzen Erinnerung an Athens großen Sieg war das Stück doch als Tra-gödie des Perserreichs konzipiert und als Warnung davor, Grenzen zu über-schreiten. Damit spielte Ayschilos darauf an, dass wider Natur und göttl i-chem Willen Xerxes mit dem Brückenbau über den Hellespont die beiden Kontinente zu verbinden suchte, was einer Hybris gleichkam und bestraft wurde (vgl. Turmbau zu Babel, Gen 11,1-9). Symbolisch furchte sich die Grenze Asien-Europa dadurch noch tiefer ein, indem sie sich dem, der sie

überbrücken wollte – Xerxes – als letztlich unüberwindbar erwies.32 Eine

ähnliche Deutung lässt sich auch bei Herodot33 beobachten, der als wichtigs-

te Quelle der Perserkriege dient34: Es ging ihm um eine andere Darstellung des Widerspiels von Aufstieg und Fall großer Mächte. Das Reich der Lyder hatte im 6. Jhd. v. Chr. die griechischen Kolonien unterworfen und war an-schließend von den Persern vernichtet worden. Die ionischen Städte hatten unter der Führung der Handelsmetropole Milet, die im 6. vorchristlichen Jhd. eine politische und intellektuelle Rolle wie Athen im 5. Jhd. v. Chr. inne hat-te, einen Aufstand gegen die Perser unternommen, waren besiegt und Milet vollständig zerstört worden. Die Perser als die unbezwingbaren Herren der Welt scheiterten beim Versuch, das kleine Griechenland zu erobern, und nun trat Athen als neues (See)Reich auf. Herodot versuchte, auch die

Geschichte immer wieder als Kreislauf zu deuten.35 Dem geht oft eine

31 Meier 2009, 39 ff. 32 Die Perser standen wohl auch als eines der ersten Völker im Spannungsfeld zwischen Natur-bezwingung und Naturzerstörung, zwischen ökonomischem Fortschritt und ökologischem Rückschritt. Perserkönig Xerxes erscheint in griechische Quellen als Herrscher, zu dessen Selbstverständnis es gehörte, sich als Beherrscher der Natur zu gerieren. Auch Iustin (2.10.24) bewertet ihn im typisch traditionellen Bild des Westens als negativen Herrscher des Ostens. 33 Herodot stammte aus Halikarnass (heute Bodrum in der Türkei), einer alten karischen Stadt, die Zuzug seitens griechischer Siedlern erfuhr, und um 560 unter die Herrschaft des lydischen Königs Kroisos, sowie nach seinem Fall 546 unter die der Perser kam, die als Herrscher eine griechisch-karische Familie einsetzten. 468 lösten die Athener bei einem Vorstoß gegen die Perser Halikarnass aus dem persischen Reich und gliederten es ihrem Seebund ein. In dieser Stadt wuchs Herodot auf. Seine Familie war an einem Putsch gegen den Tyrannen Lygdamis beteiligt, und musste die Stadt verlassen, daraufhin dürfte er sich auf Reisen begeben haben und kannte wohl das meiste Beschriebene wirklich aus eigener Anschauung. Hose 2004, 161. 34 Als Werke historischen Werts sollten noch die Geographia von Hekataios, weiters die Autoren Dionysios von Milet, Charon and Hellanikos genannt werden. 35 Nachdem Kroisos mit der Überquerung des Flusses Halys durch den Perser Kyros gestürzt wurde, trat er an den Großkönig warnend heran, die wilden Massageten nicht anzugreifen, doch überschritt Kyros den Fluß Araxes und wurde auf seinem Feldzug getötet. „Glaubst Du, unsterb-lich zu sein und über ein Heer von Unsterblichen zu gebieten, so hätte es keinen Zweck, dir

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Verfehlung voraus, eine Übertretung einer dem Menschen gesetzten Gren-ze, symbolisch mit einer geographischen Grenze, einem Fluss oder einer Meerenge gleichgestellt. Wie die Könige Kroisos und Kyros erlitt auch Dareios eine Niederlage beim Überschreiten eines Flusses, als er über der Donau die Skythen angreifen wollte, Xerxes versagte beim Überschreiten des Hellespont, den er mit einer Brücke zu unterjochen versuchte. Der Kon-flikt stellte auch den Kampf um die Vormachtstellung – Xerxes soll laut Herodot gefunden haben, dass nur einer den anderen beherrschen kann,

einen Mittelweg gebe es nicht.36 Auch wenn Herodot als „Vater der Ge-schichte“ (Cicero: pater historiae) gilt, so wurde sein Ansatz schon in der

Antike oft bezweifelt.37 Auch das vorher erwähnte Bündnisangebot des Mardonios den Athenern gegenüber, wurde bei Herodot beeinflussend dar-gestellt: Diese lehnten ab und erläuterten den bereits besorgten Spartanern ihren Entschluss:

„…Ihr solltet euch solcher Furcht schämen, da ihr genau wisst, dass wir für alles Gold der Welt und das schönste Land, das man uns ge-ben könnte, den Persern nicht dabei helfen würden, Griechenland zu unterwerfen. Denn auch wenn wir es wollten, würden es uns viele ge-wichtige Gründe unmöglich machen. Zuerst und vor allem die ver-brannten und zerstörten Tempel und Götterbilder … Weiter aber sind wir ja auch Griechen, mit Euch gleichen Blutes und gleicher Sprache.

meine Meinung zu sagen. Bist Du Dir aber bewusst, dass Du ein Mensch bist und über Men-schen gebietest, so lass Dir gesagt ein, dass es ein Rad des Menschenglücks gibt. Infolge dieser Drehung lässt es nicht zu, dass immer dieselben im Glück sind.“ Her 1,71-92; Her 1,207,2; Her 1,214. Das Schicksalsrad war auch im Mittelalter ein übliches Bild: Kýklos anthropéion pregmáton. Anm. 36 Ein beliebter Topos war das durch Luxus verweichlichte Asien gegen die mannhafte Haltung (areté), durch Weisheit und strenges Gesetz bewirkt. Man hat sich im Westen über die Jahr-hunderte auf unterschiedlichste Weisen in diese Traditionen eingereiht. Nicht zuletzt indem man sich auf die eigenen Qualitäten gegen die asiatischen Quantitäten bezog. So wurde aus „barba-risch“ mit der Zeit das Synonym für wild und unzivilisiert. Meier 2009, 51. Her 1,2-5. Den Konflikt und die Kluft zwischen den beiden Kontinenten stellte Herodot schon mit der Geschichte des Frauenraubs dar: Die Phönizier stahlen die Griechin Io, die Griechen in Gestalt von Zeus dage-gen die phönizische Königstochter Europa. Es folgte der Raub der Medea aus Kolchis am Schwarzen Meer durch die griechischen Argonauten, wenig später der Helena durch die Troja-ner. 37 Thukydides schien ihn an mehreren Stellen zu korrigieren, im 4. Jhd. wurde er offen von Historikern wie Theopomp und Ktesias kritisiert. Ktesias hatte einige Zeit als Leibarzt am Hof des Perserkönigs verbracht und gründete sein Verdikt auf Herodots Darstellung der pers. Geschichte, und doch wirft man auch ihm in Folge Lügen und Übertreibungen vor. Hose 2004, 154. Plutarch hatte Herodot später sogar einen "Barbarenfreund" genannt. Herodot selbst relativiert seinen Bericht: „Ich schulde es (meinem Leser) das, was erzählt wird, zu erzählen (légein ta legómena), brauche es freilich nicht ganz und gar zu glauben, und dieser Grundsatz soll mir das ganze Werk gelten.“ (Her 7,152,3).

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Wir haben dieselben Tempel und Götterbilder und dieselben Sitten…“ (Her 8,144)

Diese Darstellung von Heldenmut und Solidarität gab es aber unter den hellen. Staaten nicht. Das Vorbringen solcher Gemeinsamkeiten wurde von ihm den Athenern zur Erklärung ihrer strikten Weigerung in den Mund gelegt, mit den

Persern in Verhandlungen zu treten.38 Die Vorstellung von einer nicht bloß athenischen, oder spartanischen, oder argivischen Identität, sondern von einer

gemeinsamen – modern – gesprochen, Ethnizität39 war beileibe nicht jedem griechischen Politiker geläufig, sondern wurde von den Athenern in ihrem Sinne instrumentalisiert. Der Begriff "Hellas" für Griechenland war vor dem Zeitalter der Perserkriege kaum belegt und bezog sich als Name in der Früh-

zeit auf einen bestimmten Teil Nordgriechenlands.40 Ein rudimentäres Bewußt-sein für griechische Gemeinsamkeiten jenseits des kleinstaatlichen Partikula-rismus bereits in der archaischen Epoche sollte jedoch nicht übersehen wer-

den.41 Herodot brachte zwei relevante Aspekte ins Spiel: Die Athener waren aufgerufen, Rache an ihrem zerstörten Tempel zu nehmen, andererseits brach er die Erzählung dort ab, wo die Griechen ihrerseits den Hellespont über-schreiten müssten – der Nullpunkt, der beim Überschreiten fatale Folgen ha-ben könnte. Der Begriff historie war bei Herodot noch nicht terminus technicus, denn er beinhaltete in seinem eigentlichen Sinne „Nachforschung“ (Her 2,444). Er ermittelte Daten, Erklärungen, Traditionen und stellte sie nebeneinander,

dem Leser erlaubend, Schlüsse zu ziehen und entscheiden zu können.42 Aber Herodot war natürlich vorbelastet, und die Rezeption des Lesers führt ja auch heute oft zu falschen Schlussfolgerungen. Dieses Problem zeigte sich v.a. im 19. Jhd., als die entstehenden Wissenschaften der Assyriologie, der Iranistik und der Ägyptologie Herodots Monopolstellung als Quelle für altorientalische Kulturen nützten, denn die klassisch gebildete Person vermochte eher grie-

chisch denn Keilschrifttexte zu übersetzen.43 In manchen Grundzügen konnte man zwar seine Aussagen bekräftigen, aber sehr viele Erzählungen bleiben

38 Her 8, 144. Das "Blut" als Kriterium der griechischen Gemeinsamkeit ist ungewöhnlich; damit sollte wohl der familiäre Zusammenhang aller Griechen betont werden. 39 Hall, Ethnicity (1997). 40 Thukydides 1,3. 41 Schon in der Ilias zeichnete sich das Heer der Griechen (Achäer, Argeier und Danaer) durch ein im Vergleich mit den Troianern viel besser koordiniertes Auftreten aus. Anm. 42 Hose 2004, 163 und 169 ff. 43 Teilweise war man damals noch nicht mal allgemein in der Lage, Keilschriften zu übersetzen. In lit.-histor. Perspektive wird Herodot auch heute als Historiograph gelesen, Thukydides, Xenophon, Polybios setzten diese Gattung fort, bezogen deren Texte meist auf vorgängige. Hier soll auch die Lydika von Xanthos, die lydische Geschichte, die mit der Eroberung der Haupstadt Sardes durch die Perser Kroisos´ Herrschaft endete, genannt werden. War der Autor ein hellenisierter Lyder, aus dem Übergangsbereich zwischen dem ionischen Griechentum und Lydien stammend? Hose 2004, 158 ff.

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doch nur Geschichten.44 Liest man die ethnographischen Kapitel über die Perser, ist man überrascht über die hohe Einschätzung der Kultur des Geg-ners von 480, der doch mindestens bis zum Jahre 449 als bedrohliche Macht

empfunden wurde.45 Zu unterscheiden ist allerdings zwischen der ursprüngli-chen Kultur der Perser, und ihrem Zustand in der Epoche der Perserkriege und danach. Herodot war voller Anerkennung, was die persischen Sitten im Allgemeinen anging, aber sehr kritisch dem Regime und Verhalten des Groß-königs gegenüber. Im Spiegel des Fremden sollten die Griechen davor be-wahrt werden, so zu werden wie jene, die sie doch so ablehnten. Herodot schrieb sein Werk in der Hochphase der delisch-attischen Symmachie und in

den Krisen-Jahren vor dem Ausbruch des peloponnesischen Kriegs.46 Das Werk endete mit der Eroberung von Sestos im Jahre 478, doch hatte Herodot den Schlußabschnitt seines Werkes so gestaltet, dass er als Warnung an sein athenisches Publikum gelesen werden mußte. Herodot nahm auf subtile Wei-se Stellung zur politischen Entwicklung im Zeitalter des Seebunds, indem er seinen athenischen Hörern deutlich machte, dass die Perser einerseits in ihren Sitten und Gebräuchen verschieden waren, sich andererseits aber auch sehr vorbildlich verhalten konnten. Athen dagegen lief bei der rücksichtslosen Ver-folgung seiner politischen Interessen Gefahr, sich seiner selbst zu entfremden und so persisch-barbarisch zu werden, wie es der chauvinistischen Vorstel-

lung von den persischen Barbaren in den Gassen Athens entsprach.47 Als Mahner und Warner vor solchen Entwicklungen blieb Herodot offenbar so erfolglos wie die Meisten heute.

2. „Präventivkriege“ am Beispiel Rom – Gallien: Caesars „Gallischer

Krieg“ Nach dem großen Konflikt Europa – Asien, so er zumindest immer darge-stellt wird, gelangt ein sozusagen innereuropäischer Krieg zwischen der römischen Republik und den gallischen Stämmen in den Blickwinkel der Betrachtung. Die Gallier gelten als Teil der keltischen Kultur, die als mehr oder weniger schriftlose, da hauptsächlich mündlich tradierte Gesellschaft der Schriftführung ihrer Feinde und somit einseitiger Interpretation späterer

44 Kritisch werden solche Ansätze, wenn man sie für heutige außenpolitische Legitimation benutzt, wenn man etwa den Fall Iran betrachtet (Stichwort Kampf orientalisch- religiöser Des-potismus gegen westliche Demokratie). Anm. 45 Das Jahr 449 ist das Jahr des sog. "Kalliasfriedens", oder jedenfalls eines diplomatischen Arrangements, das zu einer vorläufigen Einstellung der Feindseligkeiten führte (vgl. S.9). 46 Vgl. Bichler 2000, 367ff. über die Anspielungen Herodots auf Ereignisse nach 478 v. Chr. 47 Zur Instrumentalisierung der "fremden" Perser als warnendes Beispiel vgl. etwa Moles 1996, 262 ff. und 279: „Reading Herodotus’ History is itself a moral and political act.“

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Forscher unterworfen waren, die selbst unser heutiges Bild noch beein-flusst. Ein ähnliches Problem wurde ja schon in Zusammenhang mit den Persern aufgeworfen, deren Bild auch aufgrund fehlender Übersetzungen hauptsächlich durch griechische Autoren bestimmt war. Entsprechend fielen die Urteile, um nicht zu sagen Vorurteile aus: Die Kelten waren wild, barba-risch, gefährlich, kulturlos. Heute ist man aufgrund reicher archäologischer

Funde eines Besseren belehrt.48 Eine Synthese aus archäologischen Gra-bungen und akribischer Interpretation von Caesars „Commentarii de Bello Gallico“ (BG) sollte zu Fakten führen, einer Interaktion zwischen klassischer Philologie und Textkritik. Caesars Bericht birgt größere Gefahren falscher Rezeption als Herodots, da er seine eigene Kampagne beschrieb. Immerhin stand hinter seinem Bericht zu seiner Vorgangsweise in Gallien die Intenti-on, sich selbst in ein günstiges Licht zu stellen. Caesar hatte zwar im Laufe der Jahre militärische Erfahrungen gesammelt, und war dadurch organisa-torisch und militärisch zweifellos gefestigt. Problematisch ist dennoch, dass wir uns heute im Großen und Ganzen nur auf die von ihm selbst verfassten Berichte stützen können. Da der Senat seine ehrgeizigen Pläne fürchtete, und sein Gegenspieler Pompeius schon an seine eigenen Interessen dach-

te49, musste Caesar die Erfahrungen möglichst erfolgreich darstellen, ande-rerseits auch nicht gänzlich lügen. Geschehnisse mögen stimmen, aber Ur-sachen und Ergebnisse sowie Gesamtinterpretation können doch gewissen Korrekturen unterworfen werden, zumal der Autor der General ist. Gerade

dieses Vorgehen muss man Caesar als Geniestreich zuerkennen.50 Als Proconsul der beiden Provinzen Galliens musste er sich wegen seiner mil i-tärischen Aktionen rechtfertigen – keiner der führenden Männer der späten Republik war in solch hohem Maße davon bedroht, nach Beendigung seiner Statthalterschaft und der Rückkehr in die Hauptstadt gerichtlich zur Verant-wortung gezogen und für immer von jeglicher Machtposition ausgeschlos-

sen zu werden.51 Nun musste sich Caesar in seinem neuen Amt in Gallien

48 Man denke an Hallstatt, Dürrnberg, Mont Lassois (Vix) (s.

62), um nur einige große Fundstätten

zu nennen. 49 Die beiden hatten sich u.a. entzweit, als es um Art und Ort der Bestattung von Caesars Tochter bzw. Pompeius´ Gemahlin (die Ehe wurde zur Bekräftigung der Verbindung beider Männer vorgenommen) nach ihrem Tod am Wochenbett ging. Goudineau et. al 2000, 12. 50 Das 4. Buch etwa dient dem Zweck, einen eindeutigen Völkerrechtsbruch gegenüber den Usipetern und Tenkterern zu verschleiern, als er sie überfällt und weitgehend vernichtet (BG 4,14). 51 Nachdem Caesar alle Etappen des cursus honorum (Besetzung der Ämter) durchlaufen, und mit Pompeius und Crassus ein Bündnis geschlossen hatte (das sog. Triumvirat), wurde er im Jahre 59 Consul, missbrauchte aber die ihm anvertraute Macht. Um ein zum Teil direkt seinen Interessen dienendes Gesetzespaket zu verabschieden, war er sogar so weit gegangen, sich im Zuge dieses Triumvirats auf Bandenterror zu stützen. Das Einsetzen jeglicher Mittel (und sei es heute über verschiedene Medien) erinnert an heutige Mittel seitens italienischer Führungskräfte. Anm.

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bewähren, und wie ließ sich das besser bewerkstelligen als mit spektakulä-ren Erfolgen auf dem Schlachtfeld, deren Beute zusätzlich die eigene Fi-nanzlage aufbessern konnte, die wiederum der Bestechung diente. Nach Beendigung seiner Amtszeit hatte ihm der Senat die Statthalterschaft über die Provinzen Gallia Cisalpina (Norditalien), Illyricum (Balkanregion) und schließlich Gallia Transalpina (von Südfrankreich bis Toulouse) übertragen. Wahrscheinlich wollte Caesar Richtung Donau vorstoßen. Der Zug der Helvetier und Germanen zwang ihn jedoch dazu, die Pläne zu ändern. Von den früheren Wanderbewegungen (der Kimbern, Teutonen und Ambronen 50 Jahre zuvor) erschüttert, musste dagegen vorgegangen und den Hegemoniebestrebungen des Germanenführers Ariovist entgegengetreten werden. Außerdem konnte er sein Eingreifen auch auf den Hilferuf des gallischen Stammes der Haeduer zurück führen und somit legitimieren. Die Helvetier und Germanen wurden vernichtet, doch Caesar verließ Gallien nicht. Er führte seinen Feldzug fort, teilweise mit Unterstützung seitens der Führer anderer gallischer Stämme, etwa des Averners Vercingetorix (BG VII 4,1). Wie viele Unternehmungen jener Zeit dienten Caesars Züge neben den oben erwähnten Gründen v.a. ökonomischen Zielen – Beute und Ge-fangene sowie der Erschließung neuer Märkte. Es kam bald zu einer frühen Form von „Résistance“ als Reaktion auf seine willkürliche Vorgehensweise in Gallien. Als Caesar im Herbst des Jahres 53 v. Chr. nach Gallia Cisalpina zurück-kehrte, im Glauben sich auf gewisse gallische Stämme stützen zu können, standen gerade diese alten Verbündeten plötzlich gegen Caesar. Auch in Rom selbst waren die Umstände gerade ungünstig: Die Katastrophe des Crassus, dessen Legionen von den Parthern vernichtet worden waren (dazu Teil 3: Römisch-Persische Kriege) führte in der Folge fast zu Anarchie in Rom. Pompeius bekam mit voller Machtbefugnis die Aufgabe übertragen, für Ordnung zu sorgen. Caesar berichtete in BG VII 1,2 ff., dass durch die Zu-stände in Rom die Gallier zur Revolte riefen. Unter anderem riss Vercinge-torix im entscheidenden Jahr 52 v. Chr. in einem Staatsstreich die Macht im Volk der Haeduer an sich, als die Abstimmung der Krieger zu seinen Guns-

ten entschied und er so in seiner obersten Befehlsgewalt bestätigt wurde.52

Hierbei spielte Bibracte, Haupt-stadt der Haeduer, eine große Rolle.53 Es

52 An der Spitze dieses (mit Rom durch Diktat verbündeten) Stammes standen ein prorömisch gesinnter Senat und ein Magistrat, der Onkel des Vercingetorix, die weiter ein aristokratisches Regime, die Allianz mit Rom und den Beginn ökonomischer Beziehungen wünschten. Natürlich gab es auch andere Kräfte, welche die alte Regierungsform, einen König, die Unabhängigkeit und die Rückkehr zu den Werten ihrer Väter zurück erlangen wollten. 53 Hier empfing auch Caesar im Jahre 58, die wichtigsten Stammesführer nach dem Sieg über die Helvetier, die ihn baten, gegen den Germanen Ariovist vorzugehen. Sechs Jahre später sah sich Caesar von dort aus einem immer mehr um sich greifenden Aufstand gallischer Stämme

50

kam zu einem Lawineneffekt, als die Verbündeten abfielen (BG 7,63,1) und deren Führer Dumnorix (als Geisel Caesars bald darauf hingerichtet) und Vercingetorix taktische und strategische Kenntnisse einsetzten, die sie in seinem Umfeld erlernt hatten. Es zeigt sich, dass Caesars Talent beileibe nicht unfehlbar war, nur wurden Rückschläge in seinen Berichten stark run-ter gespielt, etwa bei Gergovia und Noviodunum. In Noviodunum ließ Caesar

seine gallischen Geiseln und seine impedimenta54 auf Anraten der Haeduer zurück, wurden ihm dann jedoch seitens seiner Gastgeber entrissen, wäh-rend er Vercingetorix verfolgte. Nachdem Caesar vergeblich versucht hatte, Gergovia einzunehmen, erlitt seine Armee schwere Verluste und musste

sich zurückziehen (BG VII 22).55 Er und seine Befehlshaber56 kämpften an

mehreren Fronten, bis alles in der großen Schlacht von Alesia kulminierte57: Caesar schloss Vercingetorix dort durch umfangreiche Belagerungswerke ein. Diesem gelang es vor dem Einschluss noch, seine Reiterei fortzuschi-cken, da sie während einer Belagerung die Vorräte nur unnötig strapaziert hätte. Sie erhielt zudem den Auftrag, die gallischen Stämme zur Aufstellung eines Entsatzheeres aufzurufen, das Caesar selbst zum Belagerten machen würde. Mit umfangreichen Schanzarbeiten stellte Caesar einen 16 km lan-gen inneren Belagerungsring (Circumvallation) und einen zweiten, 21 km langen, nach außen gerichteten Verteidigungsring (Contravallation) auf, um sich auch des anrückenden Entsatzheeres zu erwehren. Diese Schanzan-langen enthielten Türme, Fallen, Gräben, Wälle, Fußangeln und Hindernisse gegen Reitereiangriffe. Das Belagerungswerk, das gleichzeitig Verteidigung war, wird im Bellum Gallicum (7,72,1-7,73,9) eindrücklich beschrieben (Abb. 3).

gegenüber, die er schon unterworfen oder für sich gewonnen zu haben glaubte. 54 Material, das eine Armee mit sich führen muss, das jedoch nicht den Kämpfen dient: Beute, zum Dienst bei den Offizieren bestimmte Sklaven, Archive, Proviant, Lasttiere, Sold für Solda-ten. Anm. 55 Die Hauptstadt der Averner, deren Lage aber bis heute nicht vollständig klar ist. In der Nähe von Clermont-Ferrand wurden im Zuge archäologischer Arbeiten Überreste von Befestigungs-bauten gefunden (Plateau des Côtes), die auf Gergovia deuten. 56 Zumindest sein Legat Labienus sollte erwähnt werden, der gleichzeitig gegen die Senonen und Parisii vorging, die sich bei Lutetia, einer Stadt der Parisii, die auf einer Insel in der Seine lag, aufhielten. Der Name der heutigen Hauptstadt Frankreichs entspringt diesem Stamm. 57 Als Caesar gegen Vercingetorix selbst marschierte, immerhin mit etwa 52 000 Soldaten (12 Legionen und Auxiliartruppen) sowie dem übrigen Tross, wofür man doch eine große Menge Proviant brauchte, wandte Vercingetorix die im Laufe der Geschichte oft bewährte Taktik der verbrannten Erde an. Laut Caesars Schilderungen – offensichtlich übertrieben – umfasste die Armee des Vercingetorix 80 000 Mann, sowie in der sogenannten Entsatzarmee 240 000 Infanteristen und 8000 Reiter. Die Befehlsstruktur war aber nicht ganz so streng durchgestaltet, denn trotz Vercingetorix´ Oberbefehl konnten auch die anderen gallischen Fürsten gegen seine Vorschläge agieren. Dies hielt sie von einem zielgerichteten geschlossenen Vorgehen ab. Der Kampf um das eigene Land war dagegen zu ihrem Vorteil.

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Abb. 3: Rekonstruktion des Belagerungswerks vor Alesia

Bereits nach etwa dreißig Tagen gingen die Nahrungsmittel in Alesia zur Nei-ge. Vercingetorix sandte alle Kampfunfähigen (Alte, Frauen, Kinder) aus der Stadt, da sie nicht mehr ernährt werden konnten. Caesar berichtete unver-blümt von seiner Entscheidung, die Zivilisten nicht durch seine Linien abziehen zu lassen, so dass diese vor den Augen aller langsam und qualvoll starben. Endlich hatte das gallische Entsatzheer Alesia erreicht. Für Alesia war dies das Signal für einen Ausbruchsversuch. Durch entschlossene Vorstöße und kluge Organisation der Truppen gelang es Caesar und seinem Stellvertreter Titus Labienus (s.

56), in jener „Zweifrontenschlacht“ sowohl die Ausbruchsver-

suche aus Alesia abzuschlagen als auch das äußere gallische Heer fernzuhal-

ten.58 Vercingetorix zog sich, nachdem er Nachricht von der Niederlage erhielt, nach Alesia zurück. Wenig später ergab er sich, in der Hoffnung, dass Caesar ihn und sein Volk nicht in die Sklaverei verkaufen werde. Er hatte sich geirrt.

58 Nachdem Caesars germanische Reiter – auch hier war der Krieg nie gänzlich nach Ethnien getrennt – das Entsatzheer zerstreut hatten (7,70,1 ff.), sammelte sich dieses wieder und griff an einer Schwachstelle des äußeren Schanzwerkes an. Die gallischen Heerscharen durchbra-chen die Befestigung und griffen die römischen Truppen von vorne und hinten an. Caesar motivierte durch sein Auftreten auf dem Schlachtfeld die römischen Legionen. Auch der damali-ge Legat und spätere Triumvir Marc Anton verteidigte einen Abschnitt. Als die römischen Trup-pen den gallischen Heerscharen in den Rücken fielen, flohen diese, wurden aber noch eine Weile von den Römern verfolgt. Le Gall 2008, 59.

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Sechs Jahre später, als Caesar wieder nach Rom kam, um seine Siege in Gallien, Ägypten, Kleinasien und Afrika in einem Triumphzug zu feiern, wurde Vercingetorix, der bisher im Gefängnis saß, in Ketten durch Rom gezogen und anschließend auf Befehl Caesars im Tullianum erdrosselt. Wie weit lassen sich Caesars Berichte zu Alesia verifizieren? Beginnend mit Napoleon III. wurde an seiner Schilderung der Schlacht gezweifelt. Terrain, Aufstellung und Schlachtverlauf sprächen für gleich starke Armeen, keines-falls für eine numerische Überlegenheit der Gallier. Insbesondere der Flan-kenmarsch mit Umgehung wäre gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner nicht möglich gewesen. Auch hätte die Schlachtordnung der Gallier bei Cäsars Zahlen und dem Terrain über 100 Mann tief gewesen sein müs-sen, was eine militärische Absurdität darstellt. Es handelt sich dabei um keinen Einzelfall. Cäsar hatte allgemein die Neigung, bei der Stärke gegneri-scher Truppen zu übertreiben (man erinnere sich an die übertriebenen Zah-len während der Perserkriege, s.

15). Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass

diese letzte Schlacht bei Alesia zum Untergang des Keltentums beigetragen hatte und die Geschicke Galliens bzw. Frankreichs bis auf den heutigen Tag bestimmt. Diese Ideen finden sich immer wieder, etwa in den Personifikatio-nen der Tugenden der Vaterlandsliebe wie Jeanne d´Arc, und eben Vercingetorix, aus denen die III. Republik während der Krise 1870/71 (gegen Bismarck, den man als neuen Caesar sah), Erlöser und unglückliche Helden mit Symbolgehalt gemacht hatte (Abb. 4).

Abb. 4: Denkmal des Vercingetorix in Alise-Sainte-Reine

Da Bibracte und der Austragungsort der Schlacht um Alesia für die Geschichte Frankreichs von zentraler Bedeutung waren, wurden sie zum Ort des Ge-

dächtnisses und nationales Symbol des Widerstands gegen die Invasion.59 Als

59 Dass diese verlorene Schlacht gern heroisiert wird, konnte der Autor auch im Zuge der Gra-bungen in Bibracte, wo der große Aufstand mit der Bestätigung Vercingetorix´ als Stammesfüh-rer seinen Anfang nahm, erleben: Jeden Sommer veranstaltet das Départment auf dem heuti-gen Mont Beuvrai (Berg von Bibracte) ein Fest mit Open Air Kino, in dem der Kampf um die

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erstes Kapitel der Geschichte Frankreichs, mit dem gewöhnlich die Schulbü-cher für den Unterricht beginnen, wurde gerade Alesia auch immer wieder zu einem der Streitpunkte, die die Franzosen in ihren Bann ziehen, und die ihre Nachbarn zugleich irritieren, weil hier Irrationales und kollektive Phantasie ins Spiel gebracht werden. Doch gerade Alesia konnte man lange Zeit nicht wirk-lich orten, und hier offenbart sich der gefährliche Weg reiner Geisteswissen-schaft: Seit dem II. WK diskutierte man über das Dossier von Napoléon III., anstatt Sondierungen und Grabungen durchzuführen. Erst im Jahre 1990 griff das Kulturministerium selbst ein, um breit angelegte Geländeuntersuchungen

beginnen zu können.60 Während vor zweitausend Jahren Alesia von der Karte verschwand, und den Boden für verschiedene Lokalisierungen ebnete, däm-

merte Bibracte61, einst wirtschaftliche, politische und religiöse Hauptstadt der Haeduer, in der Caesar auch seine Comentarii de Bello Gallici schrieb, nach dem römischen Sieg über die Gallier dahin (Abb. 5).

Freiheit dargestellt wird (Film 1999: „Spartacus“) mit anschließenden Reden, wie viele Schlach-ten man der Freiheit willen schlagen musste, und insbesondere die Menschen für ihr geliebtes Frankreich. Die Statue des Vercingetorix aus dem 19. Jhd. (Abb. 4) beinhaltete die Inschrift: „La Gaule unie / Formant une seule nation / Animée d´un même esprit / Peut défier l´Univers“ (Das vereinte Gallien / formt eine einheitliche Nation / von demselben Geist beseelt / kann der gan-zen Welt trotzen). Es ist hier bis heute auch eine gewisse Subjektivität an wertender Literatur wie „Il y a 2050 ans … L´Année terrible. 52 av.J.-C. César contre Vercingétorix” in frz. Zeitschrift “l´Archéologue” zu diesen Vorfällen zu bemerken. Auch das alte Klischee des“ Kampfes der Zivilisation“ gegen die Barbarei wurde immer wieder aufgenommen. Als etwa selbst Henri Bergson 1914 betonte, der Kampf gegen Deutschland sei der Kampf gegen die Barbarei, löste dies auf deutscher Seite, besonders in Gelehrten- und Intellektuellenkreisen eine heftige Ab-wehrreaktion aus. Nun wurde umgekehrt Material aus Gegenwart und Vergangenheit gesam-melt, um die Gräueltaten der Feinde, namentlich der Franzosen und Engländer Umgang mit Monumenten der Kultur aufzuzeigen – von den Erfahrungen aus dem 30jährigen Krieg über den Vandalismus der Französischen Revolution bis hin zu Fotografien zerstörter Baudenkmäler durch französische Artillerie. Savoy 2006, 213. 60 Reddé 2008, 48 ff. 61 An der Grenze des Départments Nièvre, ist heute ein „Site National“ und beherbergt im Rahmen des „Parc Naturel régional du Morvan“ das „Centre archéologique européen du Mont Beuvray“.

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Abb. 5: Wald mit Bauresten und rekonstruierter Wall von Bibracte

Die Stadt gab langsam ihre Bedeutung an das alte Augustudunum (heutiges Autun) ab, das näher an den Kreuzungspunkten der römischen Straßen lag, und somit wirtschaftlich und in weiterer Folge politisch einflussreicher wurde

(Abb. 6).62

Abb. 6: Blick auf heutiges Autun

Während des Gallischen Krieges (58 bis 50 v. Chr.) bekamen die aufständi-schen Kelten immer wieder Hilfe aus Britannien. Dies war Grund genug für Caesar, ein Exempel zu statuieren. Und so tauchte die Insel in Caesars Comentarii erstmals aus dem Nebel der Vorgeschichte auf, die im Verlauf des

folgenden Jahrhunderts unterworfen und Teil des römischen Reiches wurde.63

62 Aber es muss betont werden, dass die gallischen Städte schon zuvor keineswegs isoliert standen. Es fanden sich schon früher Einflüsse aus dem mediterranen Raum, Austausch von Handelsbeziehungen und Entwicklungen jeglicher Art; man denke nur an den griechischen Bronzekessel von Vix / Mont Lassois in Frankreich. Chaume et al. 2004, 30 ff. 63 So wie Judäa durch einen inneren Zwist die „Hilfe“ Roms beanspruchen musste, im Übrigen seitens Pompeius, dem Triumvir und späteren Widersacher Caesars, und anschließend der Status einer Provinz gegeben wurde, so führte ein solcher auch in Gallien und Britannien zur

55

Als Caesar seine zwei Expeditionen nach Britannien durchführte (55/54 v. Chr.), stieß er auf die an der Themse beheimateten Catuvellauner, die einen erbitterten Abwehrkrieg gegen die Römer führten. Caesar sicherte sich in der zweiten Expedition die Freundschaft der Trinovanten, die in den Römern willkommene Verbündete in ihrer Fehde mit den Catuvellaunern sahen. Die-ses Bündnis war nicht zu ihrem Nachteil – ihre Könige wurden anschließend

reich vom Handel mit der römischen Welt.64 Doch Caesars militärische Aktio-nen gegen Germanien und Britannien wurden nicht zuletzt deswegen abge-brochen, da sein innenpolitischer Einfluss in Rom zu schwinden drohte, und ihm die Entfernung während des aufkommenden Parteienstreits mit Pompeius zu weit erschien, zumal er auch die militärischen Möglichkeiten der jeweils von ihm angegriffenen Völker zu wenig kannte. So stellte er diese als höchst gefährlich dar, um den Abbruch dieser Feldzüge zu rechtfertigen. Mit seinen langen Exkursen trübte er auch allgemein die Sicht. Das vermittelte Bild von der Wildheit, dem Freiheitsdrang und der Tapferkeit des am anderen Ufer des großen Stromes drohenden Germanenstammes dürfte sich dem Leser so eingeprägt haben, dass dieser sich über den Verzicht eines Waffen-

gangs mit einem solchen Gegner nicht mehr wunderte.65 Auch ethnographi-sche Exkurse erfüllten ihren Zweck: Germanen betrieben kaum Ackerbau, deswegen wäre der Nachschub kaum zu bewerkstelligen. Oft sind innere

Widersprüche zu bemerken, die aber geschickt kaschiert waren.66 Bis heute

römischen Eroberung. Caesar konnte aber trotz eines gewonnenen Gefechts seinen Feldzug in Britannien nicht zu Ende führen, da er in Gallien mit seinen Kräften gebunden war. Erst im Jahre 43 n. Chr. ergab sich unter Kaiser Claudius die Gelegenheit: Die Söhne des Königs Cinoboline/Cymbeline waren aufsässig, und schließlich war aufgrund von Auseinandersetzun-gen über Tributzahlungen ein Bürgerkrieg ausgebrochen, in dessen Verlauf ein rebellischer Häuptling Rom um Hilfe bat. Nach der Eroberung Britanniens kam es im selben Jahrzehnt wie in Judäa zu Aufständen seitens der keltischen Stämme unter ihrer Königin Boadicea. Doch in beiden Fällen waren die Erhebungen aussichtslos. Der spätere Kaiser Vespasian (69 bis 79 n. Chr.) unterwarf als Legionskommandeur ihren Stamm. Die keltische Kultur assimilierte sich nach und nach in allen Lebensbereichen. Heute ist die keltische Sprache v. a. noch in Irland und Wales vorhanden und eignet sich zum Studium der Sprache einer vormals typisch europäi-schen Ethnie. 64 Es zeigt sich wieder, dass die Römer sehr oft Hilfegesuche und Bürgerkriege zum Anlass nahmen, in Länder einzumarschieren, diese anschließend zu okkupieren und deren Ressour-cen auszubeuten. Immerhin stellte Caesar schon fest: „Krieg gibt dem Eroberer das Recht, dem Besiegten jedes Los zu erteilen.“ Solche Aussagen erinnern an auch heutige Diktionen gegen-über „befreiten“ Ländern. Anm. 65 Holzberg 2004, 180 ff. 66 Die Einschaltung der ethnographischen Exkurse über Germanien und Britannien im Bellum Gallicum benutzte er als Mittel seiner Erzählstrategie, um über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass seine Versuche, sie zu unterwerfen, ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen wären. Deren Beschreibung war mit Hilfe der überwiegend von Wandermotiven geprägten traditionellen Ethographien über die Nordvölker der Erde aufgebaut. Seine völkerkundlichen Darlegungen waren Mittel einer narrativen Technik, um militärische Misserfolge zu vertuschen. Anm.

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kann gelesen werden, dass Caesar in weiser Voraussicht den Rhein als politisch-militärische Grenze akzeptierte. Man erweist sich also weiterhin als Opfer von Caesars raffinierter Erzählstrategie, dessen Berichterstattung nach über 2000 Jahren nichts von ihrer Suggestivkraft eingebüßt hat, und dessen militärisches Genie man jedem Schüler im Lateinunterricht nahe bringt. Als dritter abschließender Punkt soll der Blick noch einmal nach Osten ge-wandt werden, der auch zu einigen vorangegangenen Schilderungen führt und den Kreis dieser Darstellungen schließen soll:

3. Römisch-Persische Kriege Der Ausdruck Perserkriege bezeichnet auch den Jahrhunderte andauernden Krieg des römischen und byzantinischen Reichs gegen die Parther und Sasaniden – Mächte, die an den alten Ruhm des persischen Großreichs

ansetzten.67 Gerade der Sieg Caesars in Gallien war es, der Crassus zu seinem Feldzug nach Osten veranlasste: Er versuchte sich nach dessen Erfolgen in Gallien und jenen Pompeius´ gegen die Piraten des Mittelmeers, ebenso im militärischen Erfolg, um sich in deren Triumvirat (Dreierbund) zu

behaupten.68 Crassus wählte das sagenhafte Partherreich.69 Überflüssig zu betonen, dass es auch hier um Ausbreitung von Macht und wirtschaftliche Aspekte ging. Zu Beginn des römischen Feldzugs kapitulierten einige Städte kampflos. Als parthische Gesandte anfragten, ob dies ein Raubzug auf per-sönliche Veranlassung des Crassus sei, oder ein vom römischen Volk erklär-ter Krieg, konnte Crassus als Proconsul erklären, dass es sich um einen offiziellen Krieg handelte. Die Reaktion darauf führte zum infernalen Ende

der Legionen und zum Tod des Crassus.70 So führte die Schlacht bei

67 Die parthische Dynastie der Arsakiden stammte aus dem Nordostiran und hatte bis 174 wieder größere Teile des alten Perserreichs, das von Alexander erobert worden war, einge-nommen. Hier kann die Wissenschaft endlich aus Berichten beider Seiten schöpfen und sind somit zum einen nicht mehr einseitig, zum anderen meist auch übereinstimmend, etwa Theophanes (Chronographia I), Prokop (De bello Persico), Herodion, aber von der anderen Seite des Kon ţ-Ţabarī. 68 Im Übrigen war der noch junge Marcus Licinius Crassus auf der siegreichen Seite während des Bürgerkriegs zwischen Marius und Sulla, und trug auch erheblich bei der zuvor in anderem Zusammenhang (

59) angesprochenen Niederschlagung des Sklavenaufstands unter Spartacus

(73-71 v. Chr.) bei. 69 Offenbar verfolgte auch Caesar Pläne, einen Feldzug gegen Parthien durchzuführen: J. Malitz, Caesars Partherkrieg, Historia 33 (1984), 21 ff. 70 Ein Teil der Truppen wurde sogar in den fernen Osten des Partherreiches verschleppt, wo 200 von ihnen unter dem Kommando eines Nomadenfürsten namens Chi-Chi, der es geschafft hatte, den Zorn der Chinesen zu erregen, eine Stadt in der Provinz Sogdiana zu bewachen hatten. Einige wurden noch weiter nach Osten verschleppt, um die Stadt Li-chien in der Provinz Kansu zu besetzen. Devries et al. 2007, 149.

57

Carrhae71 im Jahre 53 v. Chr. zu den schlimmsten militärischen Katastro-phen des römischen Reiches. Rom war dennoch nicht bereit, Parthien als gleichberechtigte Großmacht anzuerkennen. Immerhin war das Ziel römi-scher Außenpolitik schon in der ausgehenden Republik, Rom zum „Gebieter über Könige, Sieger und Herrscher über alle Völker“ (dominus regnum, victor

atque imperator omnium gentium) zu machen.72 Dieser Anspruch auf Welt-herrschaft verhinderte die Entstehung einer Völkerrechtsordnung, in der neben Rom auch andere Staaten Platz hatten. Militärisch musste Rom je-doch immer wieder erkennen, dass die Grenze nicht weiter ostwärts ver-schoben werden konnte. Der gefährlichste Gegner der Römer erwuchs in Shapur I.: Unter ihm fiel mit Kaiser Gordian III. erstmals ein römischer Kaiser in der Schlacht, sein Nachfolger Philippus Arabs musste Shapur viele Zuge-

ständnisse machen, und Kaiser Valerian geriet in Gefangenschaft (Abb. 7).73

Abb. 7: Triumph Shapurs I. in Tang-e Chowgan mit den röm. Kaisern (aus: Fritz 2006, 22:

Abb.1)

Die Römer bzw. in späterer Zeit die Byzantiner kämpften noch bei verschie-denen Gelegenheiten gegen die Parther und Sasaniden. Immerhin beseitig-ten im Jahre 224 n. Chr. die Sasaniden die parthische Herrschaft im Vorderen Orient und begründeten das neupersische Reich und wurden die neuen Ge-genspieler Roms bzw. dessen Nachfolgers, Byzanz. Sie stellten eine noch größere Bedrohung mit ihrem zentralistischen Staatsgefüge, der einheitlichen

71 Heutiges Harran, 50 km südl. von Edessa in Syrien. Anm. 72 Cicero, De Domo Sua 90. Dieser Umstand führte zur Schaffung eines „gerechten Krieges“ etwa unter Caracalla im 3. Jhd. (casus belli). 73 Entsprechend hatte Shapur die Möglichkeit, in alter persischer Tradition seinen Sieg in Stein zu meißeln, mit Gordian am Boden liegend, Valerian an Händen geführt und Philippus Arabs kniend.

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Staatsreligion und der Rückbesinnung auf das persische Reich Kyros´ des Großen dar als ihre Vorgänger. Außerdem konnten sie die desolate innen- und außenpolitische Situation des Römischen Reiches für sich nutzen, des-sen Truppen seitens rivalisierender Kaiser eingesetzt und somit gebunden waren. Und obwohl sich Grenzen immer wieder verschoben, kam es fortwäh-rend zu Annäherungen: Im Jahr 377 n. Chr. wurde Armenien, lange Zeit Zankapfel zwischen den beiden Großmächten, geteilt: Persien erhielt den östlich-zoroastrischen Teil, Rom den westlich-christlichen. In diesem Vertrag erkannten sich seine jeweiligen Herrscher als gleichrangig an und rückten erstmals von der Absolutheit ihres Weltherrschaftsanspruchs ab. Dieser be-zog sich nicht nur auf weltliche, sondern auch auf göttliche Rechte. Beide Seiten konnten als monotheistische Religionen die Existenz des jeweils ande-ren nicht akzeptieren. Doch gerade die Anerkennung des Christentums in den persischen Grenzgebieten führte zu Christenverfolgungen seitens der Sasaniden, die eine Parteinahme „ihrer“ Christen zugunsten Roms nicht

zulassen wollten.74 Als es Anfang des 7. Jhd.s in Byzanz zu Thronstreitigkei-ten kam, standen die Perser einer Seite bei, nur um innerhalb weniger Jahre den Ostteil des byzantinischen Reiches erobert zu haben, und auf diesem

Wege das alte Achämenidenreich wiederhergestellt hatten.75 Mit der Ver-schleppung des heiligen Kreuzes im Jahre 614 nach Ktesiphon brachten die Perser die gesamte Christenheit gegen sich auf und riefen einen Glaubens-

krieg hervor, der an die Kreuzzüge ein halbes Jahrtausend später gemahnt.76 Nach Feldzügen ins jeweils andere Land kam es mit der Rückführung des Kreuzes nach Jerusalem (630) zum Frieden oder zumindest zum Status quo. Die Wiederaufrichtung des Heiligen Kreuzes war für den byzantinischen Herrscher Heraklios ein großer Prestigeerfolg und demonstrierte den Triumph des christlichen Byzanz über das zoroastrische Sasanidenreich. Doch schließlich stürmten die mit der neuen Kraft des islamischen Glau-bens bekehrten arabischen Stämme nach Norden, und übernahmen die persischen Gebiete, ihre Kultur und Technik. Dem byzantinischen Reich

wurden beinahe alle Besitzungen genommen77, bis nur noch das Kernland

74 Armenien gilt im Übrigen als ältester christlicher Staat, nachdem die Arsakiden das Christen-tum zur Staatsreligion erhoben. Teile des Adels blieben jedoch heidnisch und sahen in der neuen Religion eine Gefahr für ihre eigene Macht und ermöglichten es erst Shapur II., Armenien zu erobern. Schippmann 1990, 32 ff. Gerade Minderheiten leiden, wenn sie (zumindest) formell einer Seite angehören, wie die heutige Lage der Christen im Heiligen Land und im Irak beweist. 75 Neben der inneren Schwäche Byzanz´ war es vor allem die Unterstützung seitens der Bevöl-kerung in den eroberten Gebieten, die wegen der hohen Abgaben und der Verfolgung christli-cher Splittergruppen neue Herrscher willkommen hießen. Anm. 76 Heraklios stieß ins persische Kernland vor und zerstörte seinerseits das zoroastrische Haupt-heiligtum in Gandzak. Zu den Gemeinsamkeiten dieser Religionen: Winter – Dignas 2001, 229 ff. 77 Wobei die arabischen Eroberer oft als Befreier gefeiert wurden (etwa in Ägypten), da die

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blieb. Diese konnten ihren Siegeszug nicht zuletzt durch den fortwährenden gegenseitigen Konflikt der beiden alten Großreiche antreten, die dadurch ausgeblutet waren und nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Im Jahre 1453 schaffte es dann das osmanische Reich, auch Byzanz/Konstantinopel, den letzten Sitz römischer Macht, zu erobern.

Conclusio Dieser Artikel sollte zum einen den alten Konflikt durch Ideologien aufgezeigt haben, sowie die Gefahr der Instrumentalisierung bis in die heutige Zeit. Des Weiteren wurden drei Kulturkreise bzw. „Zusammenstöße von Kulturen“ in Betracht gezogen, die doch alle in gewisser Weise miteinander in Verbin-dung standen oder sich beeinflussten, unabhängig von Zeit und Raum, und so den Kreis von Untergang und erneutem Aufstieg von Reichen schlossen, etwa im Fall des alten und neuen Persien, aber auch jener in der römischen bzw. byzantinischen Welt, wo der Niedergang Roms das Mittelalter bzw. der Fall Konstantinopels die Neuzeit einläutete. Oft handelt es sich aber nicht um den Kampf gegen eine völlig fremde Kultur. Denn es zeigte sich in Griechenland, dass sich die Stadtstaaten ohne äuße-ren Feind einander wieder bekriegten wie vor der großen persischen Krise. In bedingtem Maße hatten sie ihre Konflikte vorerst überwunden, doch nach den Perserkriegen hatte sich ein machtpolitischer Dualismus herausgebildet, der zur Folge hatte, dass die beiden führenden Poleis aus ihrer jeweiligen Perspektive in der Existenz der anderen Hegemonialmacht eine Bedrohung ihres Führungsanspruchs in ihrem eigenen Bündnissystem sahen. Beson-nene Kräfte beider Poleis versuchten einen Konflikt zu vermeiden und konn-ten ihn doch nicht verhindern, und die griechische Welt wurde durch den Peloponnesischen Krieg auseinander gerissen. Diesen Kampf konnten die Spartaner letztendlich nur mit Hilfe der Perser zu ihren Gunsten entschei-den, aber gerieten vom Machtkampf mit Athen in eine Konfrontation mit den Persern. Die Perser versuchten sich nun in einer Art "Kalten Krieges" auf di-plomatischem oder ökonomischem Weg griechische Städte einzuverleiben, bis Alexander dem Perserreich ein Ende setzte. Nachdem unter Dareios und Xerxes „der große Krieg vom Boden Asiens nach Europa gekommen war“, wie es in einem Gedicht des Choirilos von Samos hieß, geschah dasselbe nun anderthalb Jahrhunderte später in umgekehrter Richtung. Alexander, der ja nach griechischer Definition auch nichts anderes war als ein Barbar, erkannte sehr schnell, dass er das Großreich Persiens nach seinem Sieg

koptischen Christen unter muslimischer Herrschaft zu Beginn mehr Rechte innehatten als unter Byzanz. Anm.

60

über Dareios nicht ohne Beteiligung der Perser und anderer Einheimischer

des Reichs beherrschen konnte.78 Griechische Lebensart und Sprache, sowie deren Philosophie verbreiteten sich nun in der alten Welt. Die helleni-sche Kultur wurde zur beherrschenden, die Scheidung zwischen den beiden Erdteilen fiel, für kurze Zeit kam es wieder zu einer Fülle von Beziehungen,

wie sie früher schon vorherrschten79, bevor die Nachfolger Alexanders, die Diadochen, das Reich wieder zerrissen. Hier lassen sich Muster erkennen, die bis heute ihre Parallelen finden: Wo aus Feindschaft Grenzen gezogen werden, drängt man dicht nebeneinander Liegendes oft auseinander, und kleine Unterschiede werden zu großen. An die Stelle von Übergang und von Vielfalt tritt Scheidung und Alternative. Differenzierungen weichen der Ver-allgemeinerung. Die Unterscheidung Ost-West war für die Römer in ihrem weltumspannen-den Reich – natürlich bezogen auf die Alte Welt – von noch geringerer Be-deutung. Eine solche Unterscheidung ergab sich erst aus der Spaltung und der vollständigen Auflösung des römischen Imperiums, bzw. auch aus dem Konflikt mit den neuen Herrschern im Osten (Parther und Sasaniden). Hier handelte es sich aber vor allem um den Absolutheitsanspruch des Herr-schers bzw. des jeweiligen monotheistischen Glaubens. Auf der politischen Ebene akzeptierten die Herrscher der Byzantiner und Sasaniden sich ge-

genseitig als gleichrangig.80 Es sei auch betont, dass trotz des stärkeren Augenmerks auf Kriege seitens der Historiker die Kontakte zwischen den Gegnern auch wirtschaftlich-kultureller Natur waren, nicht zuletzt jedoch wie-derum durch Deportationen und Umsiedlungen Kriegsgefangener, die zum

Transfer von Wissen, Kunst und Technologie führten.81 Fest steht, dass

78 Außer Acht darf man auch nicht lassen, dass umgekehrt unter Dareios´ Elitetruppen bei der Schlacht von Gaugamela auch eine beträchtliche Anzahl griechischer Hoplitensöldner stand – Griechen aus Gebieten, die von Makedonien unterjocht wurden, und nun auf Seiten der Perser gegen diese kämpften. Devries et al. 2007, 83. 79 Der orientalisierende Einfluss war schon in den Jahrhunderten zuvor stark. Als um 750 v. Chr. die Kolonisation begann, streckten die Griechen auch zu den orientalischen Regionen ihre Fühler aus. Sie reagierten dabei auf die Handelsfahrten der Phönizier, und steuerten nun selbst die Levante über Rhodos und Zypern an. Sie gründeten eigene Handelsstationen (etwa Al Mina am Orontes), und neben Handel sogen sie viele Ideen von dort auf. Zu betonen ist auch die Übernah-me der Schrift, die über Umwege aus dem Phönizischen übernommen worden war. Mythen, Formen der Musik, literarische Motive und Figuren, all das wurde angeeignet. Der im Orient ver-breitete Mythos von der Abfolge der Götterdynastien hat nicht nur Hesiod geholfen, die Götterwelt zu ordnen, sondern später auch Aischylos, die Tage nach dem Umsturz zur Demokratie zu deuten. Mit dem Ausbrechen der Rebellion in Ionien und der Unterstützung seitens der Griechen teils aus wirtschaftlichen, teils aus ideologischen Gründen kam es zum Bruch mit dem Osten. 80 Der sasanidische König wurde von Byzanz als Basileus (König) anerkannt, während der Titel Qaisar (Caesar) dem römischen Herrscher zuerkannt wurde. 81 Zu Vergleichen in der Motivik zwischen römischer und persischer Kunst: Abka´i-Khavari 2006, 8 ff.

61

Geschichte und Kultur der Griechen weiterhin die römische – aber durch die Hellenisierung auch östliche – und in weiterer Folge die europäische stark beeinflusst hat, heute Griechenland wiederum aus ökonomischen Gründen im Brennpunkt europäischer Politik steht. Doch die griechische Kultur brach-te die ersten Ansätze freien Denkens - des Rationalen Denkens - und beein-flusste die römische und byzantinische Welt, und letztendlich die gesamte heutige westliche Welt.

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