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Rundgang zur Stadtgeschichte Hagen 1931-1945 ...dann ist es vorbei mit Kultur und Menschenwürde ...dann ist es vorbei mit Kultur und Menschenwürde

Rundgang zur Stadtgeschichte Hagen

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Page 1: Rundgang zur Stadtgeschichte Hagen

Rundgang zur

Stadtgeschichte Hagen

1931-1945

. . . dann ist es vorbei

mit Kultur

und Menschenwürde

.. . dann ist es vorbei

mit Kultur

und Menschenwürde

Page 2: Rundgang zur Stadtgeschichte Hagen

Das vorliegende Heft entstand im Rahmen des Kurses „Stadtgeschichte“ des Rahel-Varnhagen-Kollegs in Zusammenarbeit mit derArbeitsgemeinschaft „Rechtsextremismus“der Hagener Jugendräte und demJugendring. Das vorliegende Heft führtuns in die Zeit von 1931 bis 1945 zurück.Es bezieht Ereignisse ein, die sich vorErrichtung der NS-Diktatur ereignetenund die seinerzeit auch von überregionaler Bedeutung waren. Anhand ausgewählter Orte soll ein ersterÜberblick über Terror, Widerstand undKriegsauswirkungen gegeben werden.Weiterführende Informationen zu diesenThemen finden sich in der angegebenenLiteratur.

Leider haben die Kriegszerstörungen vieleZeugnisse der Vergangenheit ausgelöscht.Zudem konnte der Widerstand, der sichzwangsläufig im Verborgenen abspielte,kaum Spuren hinterlassen. Durch Auswahlentsprechender Fotos und Dokumente solldiesem Mangel begegnet werden.

Literatur- Becker, Jochen / Zabel, Hermann (HG.):

Hagen unterm Hakenkreuz. Hagen 1995- Zabel, Hermann (HG.):

Mit Schimpf und Schande aus der Stadt, die ihnen Heimat war. Hagen 1994

- Ross, Carlo: .... aber Steine reden nicht. Recklinghausen 1987

- Stöcker, Rainer: Tatort Hagen. Essen 1993

Foto- und DokumentennachweisStadtarchiv Hagen, Hagener Heimatbund,Fritz Faeskorn, Ilse Oberegge (SammlungJanssen), Rainer Stöcker, Hermann Zabel

Wiedergabe des Kartenwerkes mit freundlicher Genehmigung des Amtes für Geoinformation undLiegenschaftskataster der Stadt Hagen

Hinweise und Empfehlungen

ALS SIE DIE KOMMUNISTEN HOLTEN, SCHWIEG ICH,DENN ICH WAR KEIN KOMMUNIST.

ALS SIE DIE SOZIALISTEN HOLTEN, SCHWIEG ICH,

DENN ICH WAR KEIN SOZIALIST.

ALS SIE DIE JUDEN HOLTEN, SCHWIEG ICH,DENN ICH WAR KEIN JUDE.

ALS SIE MICH HOLTEN, WAR NIEMAND MEHR DA,

DER PROTESTIEREN KONNTE.

NACH MARTIN NIEMÖLLER

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Am 14. April 1945 rückten amerikanischeTruppen in Hagen ein und setzten der NS-Diktatur ein Ende. Sie erreichten eine zer-störte Stadt. Zwölf Jahre zuvor hatten dieNazis die Beseitigung von Not und Elendverkündet. Anlässlich der Verleihung desEhrenbürgerrechts an Hitler versprach derspätere Oberbürgermeister Vetter am 6.April 1933 im Stadtparlament, Hagen zueinem braunen Hauptquartier machen zuwollen. Der NSDAP-Abgeordnete Römererklärte, vaterlandslose Politiker hättenDeutschland in Grund und Bodengewirtschaftet und einen Trümmerhaufenhinterlassen; eine Aussage, die präzise dieZerstörung beschreibt, die die Nazis amEnde ihrer Herrschaft selbst hinterließen.Weite Teile Hagens glichen einerRuinenlandschaft. Die Innenstadt war inSchutt und Asche versunken.

Bevor die Nazis den Krieg auf dieNachbarländer ausdehnten, hatten sie ihngegen Teile der eigenen Bevölkerungbereits im Innern geführt. Die Blutspurführt vom Mai 1931, als SA-Leute in derMittelstraße ein regelrechtes Blutbadverübten, über die Reichspogromnacht1938 bis hin zum 12. April 1945. Andiesem Tag wurden zwölf Menschen,darunter Widerstandskämpfer undZwangsarbeiter, an der Donnerkuhleerschossen.

Die Gewalt richtete sich zunächst gegendie politischen Gegner aus derArbeiterbewegung. Sie standen demMachtanspruch der Nazis besonders imWeg. Bei den letzten freien Wahlen imNovember 1932 hatten KPD und SPD inHagen zusammen weit mehr Stimmenerhalten als die NSDAP. Systematischwurde der Terror auf die jüdischenMitbürger ausgedehnt, dann auf alle, dieanders dachten, anders waren oder diegegen die Willkürgesetze der Nazis ver-stoßen hatten.

Mittelstraße in Höhe Sinn

Zum geschichtlichen Hintergrund

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1. Marktbrücke /Unterberg 2. Wohn- und Geschäftshaus Cohn, Am Hohen Graben 23. Stolpersteine, Rathausstr.4. Dr.-Ferdinand-David-Park 5. Synagoge, Potthofstraße6. Mittelstraße7. Gedenktafel für Antifaschisten, Hochstraße 718. Polizeigefängnis, Prentzelstraße9. Rathaus

10. Villa Loewenstein, Körnerstraße 2411. Bunkergebäude, Körnerstraße 7112. Wohnhaus Carlo Ross, Zur Stiege 513. Neumarktstraße, Republikplatz14. Wohnhaus Johann Wißner, Elberfelder Straße 6815. Ehemaliges Gewerkschaftshaus, Hugo-Preuß-Straße 616. Adolf-Nassau-Platz

Orte außerhalb des Stadtkerns

17. Rembergfriedhof18. Gerichtsgefängnis, Heinitzstraße19. Frauen im Widerstand, Scharnhorststraße 820. Ehemalige Wäscherei Schwiermann, Franklinstraße 1221. Schraubenfabrik Funcke & Hueck, Plessenstraße 1622. Krematorium, Delstern23. Gut Kuhweide, Delstern24. Donnerkuhler Weg25. Wohnung Ilse Mitze, Augustastraße 11

Wasserstraße 1938

1. Wir beginnen unseren Rundgang aufder Marktbrücke. Jenseits vonVolmestraße und dem letzten Teilstück desMärkischen Rings (früher Iserlohner Str.)liegt der Unterberg, zu Beginn derDreißiger Jahre ein Arbeiterviertel, in dembesonders viele Hitlergegner wohnten.

Mitunter, wenn sich die Nazis zuAufmärschen vor der Stadthalle versam-melten, versuchten sie in den „RotenUnterberg“ einzudringen. Dann wehrtensich Kommunisten und Sozialdemokratengemeinsam, obwohl sie sich ansonstenpolitisch heftig bekämpften. Im Frühjahr1933, als sie die Polizei hinter sichwussten, rechneten die Nazis mit ihrenGegnern ab. SA-Verbände und Polizistenriegelten den Stadtteil ab, durchsuchtendie Wohnungen und nahmenVerhaftungen vor. Demonstrativ führtedie NSDAP - Ortsgruppe Remberg im ehe-maligen KPD-Lokal Osthoff in der OberenWasserstraße 8 eine Parteiversammlungdurch. Die SA marschierte mit „klingen-dem Spiel“ auf. Am Haus hatten die Naziseine große Hakenkreuzfahne angebracht.Parteifunktionär Hermann Siebert erklärte, dass die Nationalsozialisten langeJahre erbittert um dieses Stadtviertelgekämpft hätten. Dann drohte er: „DieNSDAP wird nicht eher ruhen, bis auchdem letzten Hagener Volksgenossenbekanntgeworden ist, daß der Unterbergkein Schlupfwinkel für Verbrecher undlichtscheues Gesindel ... ist.“

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Stadthalle am 1. Mai 1933

Rundgang durch die InnenstadtStationsübersicht

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3. Der „Hohe Graben“ führt entlang derVolme zur Rathausstraße, der früherenHeidenstraße. In Höhe der Häuser Nr. 25und gegenüber Nr.16 hat der KölnerKünstler Gunter Demnig Gedenktafeln, sogenannte Stolpersteine, aus Messing inden Bürgersteig eingelassen. Demnig sagt:„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn seinName vergessen ist.“In diesem Sinne soll an die jüdischenMitbürger erinnert werden, die hierwohnten und die man von hier nachPolen verschleppte, wo sie ermordet wur-den oder umgekommen sind.

4. An die Rathausstraße schließt sich derDr.-Ferdinand-David-Park an, benanntnach dem SPD-Stadtverordneten, der sichin vielfältiger Weise für die Rechte derjüdischen Mitbürger einsetzte. Hier nurein Beispiel: Als Rechtsanwalt wehrte ersich im Oktober 1932 gegen einenWahlaufruf der NSDAP, in dem es hieß:„Wer vom Juden ißt, stirbt daran!“ Auchnach Errichtung der NS-Diktatur setzte

2. Wir blicken von der Marktbrücke inRichtung Rathaus. Das erste Gebäuderechts (Am Hohen Graben 2) wurde an derStelle wieder aufgebaut, wo das Wohn-und Geschäftshaus der jüdischen FamilieCohn stand. Unten befand sich neben derRoßschlachterei eine beliebte Gaststätte.Heinrich Schäfer erinnert sich: „Die Cohnswaren nette Leute. Die alte Frau Cohn hatuns Kindern - wir waren ja alle arm - abund zu ein Pferdewürstchen oder ineinem Becher ein bisschen Suppezugesteckt.“ Simon Cohn wohnte mitseiner Familie im ersten Stock. In derReichspogromnacht am 9. November1938 drangen Nazi-Schläger in dasGebäude ein und demolierten dieInneneinrichtung. Simon Cohn erlittschwere Verletzungen, an denen er späterstarb. Fenster und Schaufenster wurdenzertrümmert, die Möbel zerschlagen undaus der Wohnung geworfen. Möbelteilelagen auf der Straße oder trieben in derVolme. Der Viehwagen wurde auf derSpringe mit Benzin übergossen und gingin Flammen auf. Heinrich Schäfer, damals10 Jahre alt, stand mit seiner Mutter aufder Marktbrücke. Er berichtet: „Die Nazishatten die Oberbetten aufgeschlitzt undaus dem Fenster geschmissen. Überall flo-gen die Federn herum. Es sah aus, als obes schneien würde. Ich habe das als Kindgesehen und nie wieder vergessen.“ Nach den Übergriffen flüchtete dieFamilie Cohn ins Ausland. Ihr Eigentumwurde zum Zankapfel von„Parteigenossen“, die sich persönlich bereichern wollten.

Pferdemetzgerei und Gaststätte Cohn, Am Hohen Graben 2

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Friedenszeichen“ aufgestellterGedenkstein zur Erinnerung an die vonden Nazis ermordeten Zwangsarbeiter,Deserteure und Widerstandskämpfer.

6. Wir folgen der Dahlenkampstraße biszur Fußgängerzone und biegen links in dieMittelstraße ein. Sie geriet am 28. Mai1931 in die Schlagzeilen, als sich imBereich der Hausnummer 6 (früher Cafeund Kino „Weidenhof“) ein folgen-schwerer Zwischenfall ereignete, der als„Feuerüberfall“ und „Blutbad“ traurige

Berühmtheit erlangte. An diesem Tagschossen SA-Leute, die an einer NSDAP-Veranstaltung in der Stadthalleteilgenommen hatten und in Formationdurch die Innenstadt marschierten, in eineAnsammlung protestierender Nazigegner

Ferdinand David, selbst jüdischesGemeindemitglied, seinen Kampf gegenDiskriminierung fort. Im Mai 1933protestierte er gegen sein Berufsverbot,eine angesichts des Terrors äußerst mutigeEntscheidung. Durch sein konsequentesHandeln war er bei den Machthabernäußerst verhasst. Ab Ende Juni 1933 hatteer sich als Funktionär der verbotenen SPDtäglich beim zuständigen Polizeirevier zumelden. In der Pogromnacht vom 9. aufden 10. November 1938 wurde FerdinandDavid aus dem Fenster seiner Wohnunggestürzt und musste lange Zeit imKrankenhaus ärztlich behandelt werden.Wenige Monate später emigrierte er in dieUSA.

5. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde die Synagoge inder Potthofstraße in Brand gesetzt. DieInneneinrichtung ging in Flammen auf.Obwohl die Feuerwehr nichts unternahm- sie hatte lediglich die Dächer derangrenzenden Häuser mit Wasserbespritzt, damit das Feuer nicht über-greifen konnte -, brannte das Gebäudenicht nieder. Später nagelte man denEingang mit Brettern zu. Die im Kriegschwer beschädigte Synagoge wurdewieder aufgebaut und 1960 eingeweiht.Gegenüber auf einem Privatgrundstückbefindet sich ein vom „Hagener

Dr. Ferdinand David

Synagoge nach der Pogromnacht- mit Brettern versperrt

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Kino und Cafe „Weidenhof“

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Haftanstalten oder Konzentrationslagerverlegt wurden. Emil vom Lehn, der 1935in einem Koffer kommunistische Schriftentransportiert hatte, berichtet: „Im Kellerder Prentzelstraße haben sie mich mitStühlen zusammengeschlagen. Sie wolltenvon mir die Personen wissen, von denenich den Auftrag bekommen hatte. Amzweiten Tag führten sie mich zur Tür eineranderen Zelle. Dort hatten sie meineEltern eingesperrt, um mich gefügig zumachen.“ In den Kriegsjahren waren imPolizeigefängnis zahlreiche ausländischeZwangsarbeiter inhaftiert. Für vieleGefangene war es die letzte Station vorihrer Ermordung und Hinrichtung.

und Passanten. Hubert Ernst, Julius Lückeund Emil Wagner starben, zwanzig weitere Personen wurden zum Teil schwerverletzt. Die Verteidigung der Täter vordem Hagener Schwurgericht übernahmRoland Freisler, Anwalt aus Kassel undspäter dann Präsident des berüchtigten„Volksgerichtshofes“, der unter anderemdie Geschwister Scholl und dieWiderstandskämpfer vom 20.Juli 1944hinrichten ließ. Er gab in Hagen einenVorgeschmack auf das, was von ihm zuerwarten war. In seiner Verteidigungsredehetzte er gegen jene, die sich den Nazis inden Weg gestellt hatten. Er sprach von„Rinnsteinmenschen“ und„Untermenschen“, gegen die sich die SA-Männer lediglich zur Wehr gesetzt hätten.

Am 1. April 1933 wurde die Innenstadterneut Schauplatz des Terrors. Diesmalrichtete er sich gegen die jüdischenMitbürger. Für diesen Tag war auch fürHagen der Boykott jüdischer Geschäfteangeordnet worden. Nach dem Motto„Kein Deutscher kauft noch bei einemJuden!“ zogen SA- Posten vor denGeschäften auf, um die Bevölkerung amBetreten zu hindern. In der Mittelstraßedürften davon folgende Geschäfte betrof-fen gewesen sein: das Lebensmittel-geschäft Kadden (Nr. 3), das „Ehape“-Warenhaus (Nr. 14), Lederwaren Wolff (Nr. 19) und das SchuhgeschäftRosenbaum (Nr. 23). Wie die örtlicheNSDAP-Zeitung berichtete, hätten einige„Volksverräter“ dennoch jüdischeGeschäfte aufgesucht.

7. u. 8. Die nächsten beiden Ziele erreichen wir, wenn wir die Mittelstraße inRichtung Rathaus zurückgehen und linksin die Marienstraße abbiegen. Nach etwaeinhundert Metern erreichen wir dieHochstraße und sehen links auf deranderen Seite das ehemalige Kreisgericht (Nr. 71) mit einer Tafel zu Ehren derantifaschistischen Widerstandskämpfer.Hinter dem Gebäude in Höhe der WachePrentzelstraße befand sich das Polizei-gefängnis. Hier waren Hunderte vonHitlergegnern und Widerstandskämpferneingesperrt, bevor sie in andere

Mittelstraße

Hochstraße: Trauerzug für Julius Lücke

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berüchtigter Nazi -Treffpunkt, von demaus „verdächtig“ erscheinende Personenterrorisiert wurden. Im Mai 1931ereignete sich hier ein besonders schwererZwischenfall. Mit Stöcken, Messern undSchlagringen bewaffnete Faschisten über-fielen mehrere sozialdemokratischeReichsbanner-Mitglieder und fügtenihnen schwere Verletzungen zu. In einerErklärung des Reichsbanners hieß es:„Wenn solche Methoden im politischenKampf Norm werden, dann ist es vorbeimit Kultur, Recht, Zivilisation undMenschenwürde. Dann wird auch dierauhe Gewalt, gepaart mit den niedrigstenInstinkten, wie fanatischer Haß, Saat undDünger werden für Chaos und Untergangdes Deutschen Reiches.“ - Worte, dievoraussagten, was dann bittereWirklichkeit wurde.

10. Vom Rathaus gehen wir am Mataré-Brunnen vorbei zur Sparkasse, derenHauptstelle sich auch damals schon hierbefand. Dahinter (früher Körnerstraße 24)stand bis zur ihrer Zerstörung im Krieg dieVilla Loewenstein, benannt nach der

9. Durch die Marienstraße zurück gelan-gen wir zum Rathaus. Vom alten Gebäudeist heute nur noch der Turm erhalten. Aufihm wurde das Hakenkreuz angebracht,nachdem man Heinrich Vetter im April1933 zum Oberbürgermeister gewählthatte. Der Wahlausgang allerdings standschon vorher fest. Die kommunistischenAbgeordneten konnten nicht abstimmen,weil sie verhaftet waren oder sich auf derFlucht befanden. Die Vertreter der übrigenParteien wurden gleich zu Beginneingeschüchtert, als der Stadtverord-netenvorsitzende Römer (NSDAP) erklärte:„Eine angemessene Kritik können wir hin-nehmen und vertragen; aber im übrigenarbeite ich nicht nur mit den Strafen derGeschäftsordnung. Sobald ich die Ruhedes Hauses gestört sehe, werde ich die mirgeeignet erscheinenden Mittel ergreifen.“Bald darauf begann die Säuberung derStadtverwaltung von allen als unzuverläs-sig eingestuften Mitarbeitern. ÜberzeugteNSDAP-Parteigenossen, die so genanntenalten Kämpfer, traten an ihre Stelle.Vor dem Rathaus steht das Denkmal vonFritz Steinhoff, vor 1933 SPD-Stadtrat,der immer wieder vor dem Aufstieg derNSDAP gewarnt hatte. Noch im Februar1933 erklärte er auf einerParteiversammlung in Hagen, dass allesgetan werden müsse, um den Faschismuszu schlagen. Die Stärkung allerArbeiterorganisationen müsse höchstePflicht sein. Steinhoff wurde mehrfachverhaftet und im August 1938 zu dreiJahren Zuchthaus verurteilt, weil er sich1934 an der Verteilung des „Vorwärts“und anderer verbotener Schriften beteiligthatte. Nach seiner Entlassung arbeitete erin Iserlohn. Später wurde er erneut verhaftet und ins KonzentrationslagerSachsenhausen transportiert. 1945 befreiten ihn amerikanische Truppen auf dem Evakuierungsmarsch durchMecklenburg. Als Oberbürgermeister undNRW-Ministerpräsident setzte FritzSteinhoff nach dem Krieg seine politischeTätigkeit fort.Drehen wir dem Rathaus den Rücken zu,dann schauen wir links auf dieRathausstraße, an deren Ecke sich dieGaststätte Walter befand, vor 1933 ein

Stadtverordnetensitzungam 6. April 1933

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Rathaus mit Hakenkreuz

Bergisch-Märkische Zeitungvom 26.1.1936

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Dann gab es eine laute Explosion. Der Bunker war getroffen. Unser Raumlag im 3. Stock am Ende eines Gangs. Aus Angst hatten wir bereits den Raumverlassen. Am Ende des Gangs war einriesiges Loch. Feuerschein und Qualmdrangen in den Bunker. Neben meinerSchwester lag ein Toter. Unter denMenschen brach Panik aus. ´Der Bunkerbrennt! Der Bunker brennt!` Von derDecke tropfte Blut. Heraus konnten wirnicht. Die Treppe war stark beschädigt.Erst gegen 6.00 morgens konnten wir denBunker verlassen. Auf der beschädigtenTreppe lagen noch Tote. Auf dem Bunker-vorplatz waren die Toten aufgereiht.“Werner Faeskorn entstammt einer kommunistischen Familie. Seit Vater Fritzbefand sich seit 1933 fast ununter-brochen in Haft, zuletzt im Konzen-trationslager Mauthausen. Die Familiehatte doppelt zu leiden: als Opfer desTerrors gegen Andersdenkende und alsOpfer des von den Nazis begonnenenWeltkrieges.

jüdischen Kaufmannsfamilie, die in derElberfelder Str. 1 - 5 ein bekanntesKaufhaus für Damen- undHerrenbekleidung besaß. Als dasUnternehmen 1936 „arisiert“ und von der Firma Lampe übernommen wurde,emigrierte Julius Loewenstein mit seinerFamilie in die USA. Sein Haus wurde nachder Reichspogromnacht beschlagnahmt.Später war darin die Gestapo-AußenstelleHagen untergebracht.

11. Wir setzen unseren Weg auf derKörnerstraße fort, dann biegen wir links in die Neumarktstraße ein. Wer noch dieStationen 12 und 13 aufsuchen möchte,geht hier weiter die Körnerstraße entlangbis zum ehemaligen Bunkergebäude (Nr. 71), in dem sich bis in die jüngsteGegenwart das Geschäft „Gold-Schmidt“befand, allgemein bekannt als „Schmidtim Bunker“. Wenn man das alte Fotohinzuzieht und genau hinschaut, erkenntman die alte Gebäudeform. Bei einembritischen Luftangriff am Abend des 15. März 1945 wurde der Hochbunker voneiner schweren Sprengbombe getroffen.Über die Zahl der Opfer gibt es unter-schiedliche Angaben. Sie schwanken zwischen 270 und 400. Es soll das folgenschwerste „Bunkerunglück“ inDeutschland während des ZweitenWeltkrieges gewesen sein. WernerFaeskorn, damals 14 Jahre alt, überlebtezusammen mit Mutter und Schwester den Angriff. Er berichtet:„Etwa um 22.00 Uhr erfolgte der Angriff.Im Bunker hörten wir die Bomben-einschläge, und der Bunker bebte.

Bunker Körnerstraßeim März 1945

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Sparkasse an der Ecke Körner-/Badstr.

Dahinter verdeckt die Villa Loewenstein

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und auf den Zugangsstraßen formiertensich nach dem Blutbad in der Mittelstraßeunzählige Menschen zum Trauerzug inRichtung Rembergfriedhof. Am 30. Januar1933, dem Tag der Ernennung Hitlers zumReichskanzler, und noch am 12. Februarprotestierten hier Tausende gegen diedrohende Diktatur. Heute ist der Platzbebaut.

14. Wir passieren die Bahnhofstraße undkommen zur Elberfelder Straße. Rechtserreichen wir nach wenigen Metern dasHaus Nr. 68. Hier wohnte Johann Wißner,Mitglied einer kommunistischenWiderstandsgruppe. Wißner war aus poli-tischen Gründen schon früh bei der FirmaWippermann entlassen worden. Nach1933 diente seine Wohnung als geheimerTreffpunkt und Verteilerstelle für illegaleSchriften. Im Herbst 1934 nahm die

12. Die Volmebrücke führt uns zurAltenhagener Straße. Nach nur wenigenSchritten sehen wir rechts die leichtansteigende Gasse „Zur Stiege“. Im HauseNr. 5 wohnte bis zu seinem Abtransport1942 ein jüdischer Junge, der späterSchriftsteller wurde und unter demNamen „Carlo Ross“ seine Erlebnisseschilderte. Sein Buch „ ... aber Steinereden nicht“ ist ein Abbild der alltäglichenWirklichkeit in einem Viertel armer Leutewährend der NS-Zeit. Auf engstem Raumwohnen hier zusammen: Nichtjuden undJuden, Nazis, Hitlergegner, Mitläufer undsolche, die vielleicht anders gehandelthätten, wenn die Angst nicht gewesenwäre. Hautnah wird beschrieben, wie dieDemütigung immer mehr zunimmt. David,so der Name des Jungen, muss die Schuleverlassen und den Judenstern tragen. Ermuss seinen geliebten Papagei abgeben,weil man Juden das Halten vonHaustieren verbietet. Informationen zueiner Führung, die sich auf die Spuren vonCarlo Ross begibt, bekommt man unterder Telefonnummer 349200(Jugendring/Evangelische Jugend).

13. Aus der Republikstraße wurde imFrühjahr 1933 die Neumarktstraße. Diebraunen Machthaber benannten sie um,weil sie an die Weimarer Republik erin-nerte. An sie schloss sich im unterenBereich in Richtung Innenstadt derRepublikplatz (Neumarkt) an, auf dem diepolitischen Versammlungen undKundgebungen stattfanden. Er warSchau- und Ausgangsplatz zahlreicherantifaschistischer Demonstrationen. Hier

AntifaschistischeDemonstration

auf dem Neumarkt,Dezember 1930

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die Zerschlagung der FreienGewerkschaften. An diesem Tag besetztedie SA das Gewerkschaftshaus auch inHagen. Der Sekretär und SPD-Stadtverordnete Heinrich Sänger wurdefestgenommen und abgeführt. Späterwurde auch Walter Freitag, bis dahinBezirksleiter des Metallarbeiterverbandes,verhaftet. Bis 1935 durchlitt er ver-schiedene Konzentrationslager. Nach seiner Entlassung stand er unterPolizeiaufsicht. Im ehemaligenGewerkschaftsgebäude, umfunktioniertzum „Haus der Deutschen Arbeit“, wardann die Deutsche Arbeitsfront unterge-bracht.

16. Wir gehen die Elberfelder Straßezurück und erreichen nach Überquerender Karl-Marx-Straße den Adolf-Nassau-Platz, die letzte Station unseresRundganges. Die Umbenennung desPlatzes, der bis dahin Architekturplatzhieß, erfolgte 1988. Adolf Nassau war seitdem Ende des 19. Jahrhunderts in Hagen

als Anwalt und später auch als Notartätig. Zusammen mit Hermann Cohenführte er in der Bahnhofstraße 11 einerenommierte Anwaltskanzlei.

Gestapo Wißner und acht weiterePersonen fest. Trotz unmenschlicherVernehmungsmethoden gab Wißner keineNamen an. Er behauptete, die Schriftennicht weitergegeben, sondern nach demLesen verbrannt zu haben. Wißner wurdezu zweieinhalb Jahren Zuchthausverurteilt, danach aber nicht entlassen,sondern als Gefahr für „den Bestand unddie Sicherheit des Volkes“ ins KZ-Buchenwald transportiert. Nach seinerEntlassung im April 1939 hielt er denKontakt zu Gesinnungsfreunden aufrecht.Im Februar 1945 wurde er verraten, nachDortmund gebracht und in denOstertagen wenige Stunden vor demEinrücken der Amerikaner imRombergpark ermordet.

15. Das Gewerkschaftshaus stand in derHugo-Preuß-Str. 6 (von der ElberfelderStr. rechts in die Hindenburgstr., dannsofort links). Im Krieg brannte es voll-ständig aus. Im Frühjahr 1933 erhielt auch die Hugo-Preuß-Straße eine andereBezeichnung. Benannt nach demStaatsrechtler mit republikanischerGesinnung, der zudem noch aus einerjüdischen Familie stammte, passte derName der Straße nicht ins brauneWeltbild. Aus ihr wurde die Göringstraße.Am 2. Mai 1933 begann in Deutschland

Johann (Hans) Wißner

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Besetzung einesGewerkschaftshauses

am 1. Mai 1933, hier in Berlin

Adolf Nassau

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Sie war eine der Vorboten des totalenKrieges, vorerst nur eine Übung, aus derjedoch bitterer Ernst wurde. Das Denkmal für die sowjetischenKriegsgefangenen erinnert an dieMenschen, die in Hagen umkamen, weilsie trotz härtester Arbeit nicht genügendzu essen bekamen oder der Willkür vonWachpersonal und Gestapo zum Opferfielen. Hunderte kamen allein durchBombenangriffe ums Leben, weil ihnender Zugang zu Schutzräumen undBunkern verwehrt wurde. Der Text aufdem Gedenkstein lautet übersetzt: „Inewigem Gedenken an unsere Kameraden,die in faschistischer Gefangenschaftumgekommen sind (1941 - 1945)“.

18. Im Gerichtsgefängnis in derHeinitzstraße waren seit Beginn derDiktatur Hunderte von Antifaschisteninhaftiert. Zynisch sprach die HagenerZeitung am 9. März 1933 von einer„Hochkonjunktur im Gerichtsgefängnis“.Zeitweilig diente die Haftanstalt auch alsHinrichtungsstätte. Im September 1934wurde hier das KPD-Mitglied FranzSchidzick hingerichtet, der ein Jahr zuvorin einem politischen Schauprozess zumTode verurteilt worden war. Das Urteilwurde nach dem Krieg überprüft und alsnicht haltbar aufgehoben. DieVollstreckung hatte seinerzeit Aufsehenerregt und war in erheblichen Teilen derBevölkerung auf Unverständnis gestoßen.Pater Ubald vom Franziskaner-Kloster

Nach 1933 wurde er aus der Anwalts-kammer ausgeschlossen, was faktischeinem Berufsverbot gleichkam. Als Vorsitzender der jüdischen Kultus-gemeinde war er besonderem Druck aus-gesetzt: Er war der Gestapo unmittelbarverantwortlich für die Einhaltung allerAuflagen und Einschränkungen. AdolfNassau half vielen jüdischen Mitbürgernbei der Vorbereitung und Durchführungihrer Flucht ins Ausland. Seine beidenSöhne emigrierten 1934 in die USA. Erselbst starb am 1.Juli 1937 in Rottach-Egern.

Orte außerhalb des Stadtkerns

17. Rembergfriedhof, Eickertstraße. MitHilfe des Lageplans am Eingang findenwir unsere beiden Ziele, zunächst dieGedenkstätte für die Opfer desBombenkrieges. Sie erinnert an dieMenschen, die infolge eines Krieges star-ben, den die Machthaber auch in Hagenvon Anfang an geplant und systematischvorbereitet hatten. So lieferte etwa dieAkkumulatorenfabrik (später Varta) bereitsseit 1934 U-Bootbatterien für dieKriegsmarine. Für den späten Abend des23. Oktober 1935 ordneten die Nazis zurAbwehr künftiger Fliegerangriffe die völlige Verdunkelung der Stadt an.

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von Schwartzenberg und Elfriede Franzwegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ anund verurteilte sie zu Haftstrafen vonzweieinhalb Jahren bzw. 21 Monaten. Ihrweiteres Schicksal ist unbekannt.

20. Die von Waltraud von Schwartzenbergund Elfriede Franz gedruckten Schriftengelangten zum Teil in die Franklinstraße12, wo sich die Wäscherei von PaulSchwiermann und seiner Frau befand. Vonhier brachte man die Druckschriften inverschiedene Stadtteile, wo sie dann anzuverlässig eingestufte Personen weiter-verteilt, anonym in Briefkästen gestecktoder an sonstigen Stellen unauffällig hin-terlegt wurden. Die Anlauf- undVerteilerstelle in Wehringhausen warbewusst gewählt worden. Sie schien rela-tiv sicher, weil hier laufend Paketeangenommen und abgegeben wurdenund ein reger Publikumsverkehr herrschte.Dennoch konnten die Aktivitäten von derGestapo aufgedeckt werden. PaulSchwiermann wurde zu zweieinhalbJahren Zuchthaus verurteilt.

(St. Elisabeth an der Scharnhorststr.), der Schidzick in der Nacht davor betreuthatte, machte die Hinrichtung zumGegenstand einer Predigt. Die Gestapostellte Nachforschungen an und vermerk-te: „Es konnte noch nicht festgestellt wer-den, ob die Kritik, die das Urteil in derkatholischen Bevölkerung erfuhr, damit inZusammenhang gebracht werden muß.“Aus dem Gerichtsgefängnis wurden nochkurz vor Kriegsende mehrere Menschenvon der Gestapo verschleppt und an derDonnerkuhle erschossen (Siehe: Station24).

19. Scharnhorststraße 8. Im Haus, das biszu seiner Zerstörung hier stand, wohnteWaltraud von Schwartzenberg mit ihrerMutter Elfriede Franz und ihrerGroßmutter Emma Knaupe. Ihre Wohnungdiente unter anderem als Zufluchtsstättefür verfolgte Regimegegner. Hier wurdenauf einem Abzugsgerät kommunistischeFlugblätter hergestellt. Waltraud vonSchwartzenberg hatte dafür großeMengen an Papier bei der Firma Kiefer inder Gartenstraße kaufen müssen, eineunter den damaligen Bedingungen alleinschon höchst gefährliche Angelegenheit.Im Mai 1934 kam die Gestapo derWiderstandgruppe auf die Spur. Die dreiFrauen wurden verhaftet und verhört. Zudiesem Zeitpunkt war Emma Knaupebereits 74 Jahre alt und schwerhörig. DasOberlandesgericht Hamm klagte Waltraud

Franz Schidzick nach einer

Gerichtszeichnung

Unverfänglicher Umschlag einer verbotenen Schrift

19Franklinstraße 12:

In der Parterre befand sich die Wäscherei Schwiermann

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22. Krematorium, Delstern. Hier fandendie Trauerfeiern für Alex Best und AugustDrefsen statt, die 1933 Opfer des Terrorswurden. Alex Best, KPD-Mitglied, hattesich am 2.März mit Freunden getroffen,um im Schutz der Dunkelheit antifaschis-tische Sprechchöre anzustimmen. Bei derVerfolgungsjagd durch Emst wurde er voneiner Polizeikugel tödlich getroffen.Obwohl sie sich allein durch ihreTeilnahme verdächtig machten, wareneine Reihe von Gesinnungsfreunden zurBeisetzung erschienen. Ein Großaufgebotvon Polizisten in Zivil verfolgte dasGeschehen. Einige standen auf derEmpore in der Andachtshalle und hättenjede politische Missfallensäußerung sofortim Keim erstickt. August Drefsen war SPD-Stadtverordneter. Zunächst wurde erbeschuldigt, Gelder veruntreut zu haben.Schließlich wollte man ihn zwingen, aufGenossenschaftshäusern dieHakenkreuzfahne zu hissen. Als er sichweigerte, wurde ihm befohlen, sich zumAbtransport bereitzuhalten. AugustDrefsen sah keinen Ausweg mehr undnahm sich am 21. August 1933 im Altervon 49 Jahren das Leben. Auch zu seinerBeisetzung waren Weggefährten gekom-men. Der Trauerredner erklärte: „Wir wer-den dein Werk fortsetzen und nicht eherruhen, bis der letzte Bruder und die letzteSchwester in deinem Sinne dieMenschheit befreit hat.“ Diese mutigenWorte waren gefährlich. Das örtlicheNSDAP-Organ drohte und kommentiertesie mit dem Satz: „Für uns will das

21. Schraubenfabrik Funcke & Hueck,Plessenstraße 16. Hinter dem Bahnhofbefindet sich noch heute ein Teil des altenFabrikgebäudes. In den ersten Jahren desRegimes versuchten hier Werksange-hörige, die gewerkschaftliche Tätigkeittrotz Verbots fortzusetzen undantifaschistische Schriften in den Betriebeinzuschleusen. Persönlich konntenFlugblätter nur an Vertraute verteilt wer-den. Dies geschah zum Teil durch dieWerkzeugausgabe. Eine Verbreitung ingrößerem Umfang war unter den gegebe-nen Bedingungen nicht möglich. An derStempelstelle, in den Umkleideräumenoder an anderen allgemein zugänglichenStellen konnten immer nur wenigeExemplare deponiert werden, die zudemoftmals nicht ihre Empfänger erreichten.Heute mag dies harmlos erscheinen, fürdie Gestapo jedoch war es Hochverrat. DieBeteiligten damals wussten, dass sie einsehr hohes persönliches Risiko eingingen.Ihnen drohten langjährige Haftstrafen,Konzentrationslager und sogar der Tod.Besonders gefährlich waren Spitzel undDenunzianten, mit denen jederzeitgerechnet werden musste. Als in einerUnterführung in Werksnähe zwei DutzendFlugblätter gefunden wurden, meldeteman den Vorfall der Gestapo, die sofortdas Material beschlagnahmte undErmittlungen aufnahm. In diesem Fallallerdings verliefen die Nachforschungenergebnislos. Widerstandsgruppen existierten auch inanderen Hagener Betrieben: in derAkkumulatorenfabrik, im GußstahlwerkWittmann und im Hasper Eisen- undStahlwerk.

Fa. Funcke & Hueck im Jahre 1993

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August Drefsen

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Sie sperren die Durchfahrt ab, so daß wirweder vorwärts noch rückwärts kommen.Es bleibt nichts anderes übrig, als Signalzu geben und einfach weiterzufahren.Und zwar hartes Tempo aufsetzen. Damit die Burschen wissen, daß jetztkeine Rücksicht mehr genommen wird.Wir hauen durch die Meute. Jeder vonuns hat die Pistole in der Hand und istentschlossen, so teuer wie möglich zu fallen ... Es ist ein Wunder, daß wir heilund unversehrt durchkommen. DerVersammlungsplatz liegt auf einem Bergeund ist im Hintergrunde von einemBuchenwald eingerahmt. DieKommunisten haben sinnigerweise diesenWald in Brand gesteckt, so daß dieDurchführung der Versammlung fastunmöglich gemacht ist. Aber trotzdem, es wird geredet. Sie sollen nicht den Spaßhaben, daß wir nachgeben. 10000Menschen sitzen und stehen auf demAbhang. Unsere SA-Leute sind weiß vorWut und Empörung. Bei der Abfahrt wer-den wir von einem Steinbombardementverfolgt. Es gelingt dann auf Umwegen,die Stadt zu verlassen.“

bedeuten, daß wir nicht eher rasten dür-fen, als bis die ganze Brut restlos ausge-merzt ist aus dem deutschen Volkskörper.“

23. Gut Kuhweide, Delstern. Für den 12.Juli 1932 plante die Hagener NSDAP imRahmen des Reichstagswahlkampfes eineGroßveranstaltung mit PropagandaleiterJoseph Goebbels. Der Aufmarsch stieß aufbreite Ablehnung, weil die Ereignisse inder Mittelstraße (Siehe: Station 6) noch infrischer Erinnerung waren. Aufgrund mas-siver Proteste sahen sich die Faschistengezwungen, die Kundgebung nicht wievorgesehen in der Innenstadtdurchzuführen, sondern weit außerhalbder Stadt auf dem Privatgelände einesHagener Parteigenossen. Am 12. Juli ver-sammelten sich Abertausende vonDemonstranten im Stadtzentrum, um denGoebbels-Auftritt zu verhindern. Nur mitMühe konnten sich die Nazis zumVersammlungsort nach Delstern durch-schlagen. Goebbels schrieb in seinTagebuch:

„Wir hatten gar keine Ahnung, daß dieSache so ernst würde. In unserer ganzenHarmlosigkeit fahren wir im offenen Autoungetarnt in Uniform nach Hagen herein.Die Straßen sind schwarz voll von Menschen.Alles Mob und kommunistischer Pöbel.

Traueranzeige in der Hagener Zeitung

vom 4.3.1933

Einweihung der „Adolf-Hitler-Eiche“ am 20. April 1933 auf der „Kuhweide“

Gut „Kuhweide“ im Jahre 1985

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25. Augustastraße 11. Ilse Mitze, die hierals Hausmädchen arbeitete und wohnte,war ein junges Mädchen im Alter von 18Jahren, als der erste große Luftangriff am1. Oktober 1943 auf Hagen erfolgte.Dieser Tag sollte ihr zum Verhängnis wer-den. Ilse Mitze befand sich im Haus, alsdas Gebäude von Brandbomben getroffenwurde. Sie beteiligte sich an denLöscharbeiten und half Nachbarn dabei,Kleidungs- und Wäschestücke zu bergenund in den Keller zu schaffen. Späterwurde sie angezeigt, weil sie einige dervon ihr geretteten Wäschestücke entwen-det hatte. Die junge Frau geriet in dieMühlen des Terrorapparates. Für dasDortmunder Sondergericht stand vonvornherein fest, dass sie sterben musste.Nach §1 der so genanntenVolksschädlingsverordnung wurde sie zumTode verurteilt. Das Urteil lösteFassungslosigkeit selbst unter überzeugtenNazis aus. Am 12. Mai 1944 wurde IlseMitze im Alter von 19 Jahren imDortmunder Untersuchungsgefängnis inGegenwart des zuständigenStaatsanwaltes von dem Metzgergesellenund Scharfrichter Hans Mühl und zweiseiner Gehilfen mit dem Fallbeilenthauptet. Das Regime wollte angesichtszunehmender Bombenangriffe und wach-sender Verunsicherung Stärke demonstri-eren. Ilse Mitzes Tod war Mittel zumZweck. Er sollte zur politischenAbschreckung dienen.

24. Donnerkuhler Weg. Am 12. April 1945,als amerikanische Einheiten bereits vorder Stadt standen, holte die Gestapo 12Gefangene aus dem Polizei- und demGerichtsgefängnis, darunterWiderstandskämpfer, sowjetischeZwangsarbeiter und einen 20 Jahre altenHagener Soldaten, den man wegen uner-laubter Entfernung von der Truppe zufünf Jahren Zuchthaus verurteilt hatte.SS- Hauptsturmführer Schmidt, derHagener Gestapoleiter, teilte ihnen mit,dass sie zum Tode verurteilt seien underschossen würden. Die Gefangenen wur-den auf einem Lastwagen zu einemBombentrichter am Donnerkuhler Weggefahren und mussten sich im Halbkreismit dem Gesicht nach innen aufstellen.Dann erging der Befehl, sie einzeln perGenickschuss hinzurichten. Eines derOpfer aber war noch nicht tot und bat:„Lasst mich leben!“ Ein Gestapo-Angehöriger feuerte daraufhin noch eineSalve in den Trichter. Nach der Exekutiongab es jede Menge Schnaps für dieBeteiligten. Der Mord an der Donnerkuhlewar nicht das einzige Verbrechen dieserArt. Im Mai 1945 wurden mehr als 50weitere Leichen aufgefunden, die man inBombentrichtern verscharrt hatte.

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Eines der Opfer: August Schumacher, hier als Soldat des Ersten Weltkrieges

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Augustastr. 11, Aufnahme 2006

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Orte außerhalb des Stadtkerns

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KontakteRahel-Varnhagen-KollegRainer StöckerEugen-Richter-Straße 77-7958089 HagenTelefon 023 31/2 89 50Telefax 023 31/3 23 46eMail [email protected]

Jugendring Hagenc/o Evangelische JugendFrank FischerRathausstraße 3158095 HagenTelefon 023 31/3 49 2021Telefax 023 31/3 49 2020eMail [email protected]

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in Zusammenarbeit mit dem Kinderund Jugendbüro der Stadt Hagen

UND GEWALTRECHTSEXTREMISMUS

GEGENHAGEN

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