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Opel-Dieselmotor Schmutzige Geheimnisse Autoindustrie Das Versprechen vom sauberen Diesel ist als Lüge entlarvt, die Konzerne haben auf die falsche Technik gesetzt. Untersuchungen der geheimen Motorsteuerung belegen: Auch Opel hat die Abgasreinigung gezielt abgeschaltet. 12 DER SPIEGEL /

Schmutzige Geheimnisse - DER SPIEGEL

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Page 1: Schmutzige Geheimnisse - DER SPIEGEL

Opel-Dieselmotor

Schmutzige GeheimnisseAutoindustrie Das Versprechen vom sauberen Diesel ist als Lüge entlarvt, dieKonzerne haben auf die falsche Technik gesetzt. Untersuchungen der geheimenMotorsteuerung belegen: Auch Opel hat die Abgasreinigung gezielt abgeschaltet.

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Titel

Seit drei Jahren ist Karl-Thomas Neu-mann Vorstandschef von Opel, undin dieser Zeit bekam er viel Schmei-

chelhaftes zu hören. Dass die Marke wieder „blitzt“, seitdem

er das Ruder übernommen habe, konnteer etwa über sich lesen. Opel sei „aufZack“, lobte die „Bild“-Zeitung und kürteden 55-Jährigen zum Gewinner des Tages,weil sein Unternehmen langsam wiederaus der Verlustzone herausfährt.

Weniger erfreulich verlief eine Dienst-reise in diesem Frühjahr nach Berlin. SeitVW, Opels ärgster Konkurrent, im vergan-genen Herbst Manipulationen an der Ab-gasreinigung vieler Fahrzeuge eingestehenmusste, prüft die Untersuchungskommis-sion „Volkswagen“ des Ministeriums auchdie Abgaswerte anderer Hersteller. DieMinisterialen hielten der Opel-Delegationbei dem Treffen in Berlin vor, welche de-saströsen Stickoxidemissionen ihre Kon-trolleure bei zwei Fahrzeugen der MarkeOpel gemessen hatten.

Bis zu elfmal mehr von dem giftigenGas, als die Vorschriften erlauben, stößtbeispielsweise der Familien wagen OpelZafira aus, ähnlich schlecht schneidet auchdas Mittelklassemodell Insignia ab. Bei einer Anhörung vor zwei Monaten sagtendie Opel-Leute, das Abschalten der Ab-gasreinigung erfolge bei bestimmten Tem-peraturen und diene dem Schutz der Mo-toren. Das sei vollkommen legal, rechtfer-tigten sie sich. Die von VerkehrsministerAlexander Dobrindt (CSU) eingesetzteKommission nahm ihnen das ab.

Schon bald dürfte Neumann im Minis-terium in Berlin weitere, noch unangeneh-mere Fragen beantworten müssen. Ge-meinsame Recherchen des SPIEGEL unddes ARD-Magazins „Monitor“, die von derDeutschen Umwelthilfe (DUH) unterstütztwurden, legen den dringenden Verdachtnahe, dass Neumann die Kommission ge-täuscht hat. Eine Analyse der Motoren-software von Opel-Fahrzeugen lässt kaumeinen anderen Schluss zu.

Die Recherche hat ergeben, dass die Soft-ware die Abgaseinrichtungen in den Diesel-aggregaten nicht nur bei bestimmten Tem-peraturen, sondern auch in anderen Fahrsi-tuationen abschaltet. Und dass neben demOpel Zafira auch der Astra über eine ähnlichverdächtige Programmierung verfügt.

Das ist für Opel im Zweifel noch schwer-wiegender. In das Massenmodell Astra, ge-kürt zum „Auto des Jahres 2016“, setztNeumann alle Hoffnung, in diesem Jahrwieder Gewinne zu schreiben. Derzeit, solässt Opel stolz verlauten, lägen über160000 Bestellungen vor.

Nun will das Ministerium, von SPIEGELund „Monitor“ über die Rechercheergeb-nisse informiert, prüfen, ob der Schum-melcode technisch zu rechtfertigen ist undob er den geltenden Gesetzen entspricht.

In einer Stellungnahme zu den Vorwür-fen ging Opel nicht auf die neu entdecktenAbschalteinrichtungen ein. Das Unterneh-men bekräftigte lediglich, dass „wir keineSoftware einsetzen, die feststellt, ob einAuto einem Abgastest unterzogen wird“.Weiter hieß es: „Unsere Software war niedarauf ausgelegt, zu täuschen oder zu be-trügen.“ Gegenüber der Öffentlichkeit ver-suchte der Konzern, die Untersuchungenals „Experimente“ zu diskreditieren.

Juristen und Motorenentwickler, denendas Rechercheteam Einblicke in die Ergeb-nisse seiner Arbeit gab, sehen das anders.

„Sowohl bei VW als auch bei Opel han-delt es sich um eine Abschaltvorrichtung“,sagt etwa der Umweltrechtsexperte Pro-fessor Martin Führ von der HochschuleDarmstadt. „Wie die technisch angelegtist, das ist im Prinzip sogar egal, es ist einVerstoß gegen die Verordnung.“

Jürgen Resch, der Geschäftsführer derDUH, fordert deshalb: „Minister Dob-rindt muss einen Zulassungsstopp er -lassen.“ Seine Organisation hat Opel bereits Anfang dieser Woche aufgrund der neuen Erkenntnisse eine Abmahnungwegen irreführender Werbung zukommenlassen.

Der Rüsselsheimer Autobauer soll nichtmehr behaupten, der Zafira bereite „Die-selspaß ohne Reue“ und sei der „Umwelt-engel von Opel“. Doch Resch will bei denRüsselsheimern nicht haltmachen. „Wirwerden Abschalteinrichtungen bei weite-ren Herstellern dokumentieren und not-falls über die Gerichte Dobrindt zum Han-deln zwingen.“

Die Dieselaffäre ist also noch lange nichtausgestanden, das Gegenteil ist der Fall.Die aufgedeckten Abschalteinrichtungenbei Opel müssten die Behörden nun ver-anlassen, bei jedem Hersteller bis in denQuellcode nachzuschauen, ob manipuliertoder gar betrogen wird.

Die Unschuldsvermutung jedenfallskann für die Branche nicht mehr gelten.Immer klarer zeichnet sich die Systematikab, mit der die Ingenieure in den Entwick-lungsabteilungen der Autokonzerne vor-gegangen sind: Konsequent haben sie dieSteuerung der Abgaseinrichtung so pro-grammiert, dass sie im Test für die Typge-nehmigung funktioniert, im normalen Stra-ßengeschehen aber umfänglich abschaltet.

Zuerst enthüllten US-Behörden, dassVolkswagen bei elf Millionen Fahrzeugendie Abgasreinigung so eingestellt hat, dasssie nur auf dem Prüfstand funktioniert. Esist der bislang schlimmste Fall, ein eindeu-tiger Gesetzesverstoß und ein Betrug anKunden, die viel Geld für eine vermeint-lich saubere Technik bezahlt haben, anAnteilseignern, die den Kursverfall ihrerVW-Aktien hinnehmen müssen, und vorallem an Menschen, deren Gesundheitdurch Abgase geschädigt wurde.

Auch für die Bundesregierung ist der VW-Fall noch nicht ausgestanden. NachSPIEGEL-Informationen stellte das Umwelt-bundesamt bereits 2013 und 2014 ausgerech-net bei einem Passat mit dem SkandalmotorEA 189 im realen Fahrbetrieb fest, dass derGrenzwert für Stickoxide um das 7,6-Facheüberschritten wurde. Es geschah: nichts.

Kein Wunder, dass auch andere Auto-konzerne lange keine Sanktionen fürchte-ten – und munter tricksten.

Bei Fiat-Fahrzeugen stieß die Dobrindt-Kommission auf eine Funktion, die die Ab-gasreinigung nach 22 Minuten abschaltet –die Messung für die Typgenehmigung dau-ert 20 Minuten. Viele Hersteller, darunterauch Mercedes-Benz, schalten die Abgas-reinigung ab, wenn die Temperatur unterzehn Grad Celsius sinkt, was in Deutsch-land durchschnittlich das halbe Jahr überder Fall ist.

Dieselfahrzeuge, das wird die bittere Er-kenntnis der Abgasaffäre sein, sind nurauf dem Teststand sauber, auf der Straßeaber sind sie wahre Giftschleudern.

Unter Verdacht stehen inzwischen fastalle europäischen Autokonzerne. Daim-ler-Boss Dieter Zetsche hatte vor Wochennoch gesagt: „Bei uns wird nicht betrogen,bei uns werden keine Abgaswerte mani-puliert.“ Doch jetzt müssen sich die Stutt-garter den Fragen des US-Justizministeri-ums stellen. Zudem werfen Sammelklagenin den USA Daimler vor, die zulässigenStickoxidwerte seiner Dieselfahrzeugewürden „in praktisch jeder realen Fahr -situation“ überschritten, sie seien durch-schnittlich 19-mal höher. Die Kläger fühlensich getäuscht durch die Versprechungendes deutschen Herstellers: „Unsere Blue-Tec-Autos erfüllen die strengsten Emissi-onsgrenzwerte und sind die sauberstenDiesel der Welt.“

Besonders brisant für Daimler: Eine Kla-ge vor einem Bezirksgericht in Kalifornien

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FAN BONESS / IPON

Opel-Chef Neumann „Unsere Software soll nicht täuschen“

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richtet sich nicht nur gegen das Unterneh-men, sondern auch gegen den Vorstands-vorsitzenden Zetsche und den langjährigenEntwicklungsvorstand Thomas Weber per-sönlich. Daimler sagt, die Klagen seien un-begründet.

Es wird wohl Jahre dauern, bis all dieseVorwürfe jurististisch geklärt sind. Der Rufder Branche ist jetzt schon ramponiert –und das Versprechen vom sauberen Diesel,von der Industrie in vielen Werbekam -pagnen wiederholt, als Lüge entlarvt.

Die Tricksereien der Konzerne bringeneine Technik in Verruf, von deren Erfolgdie europäische Autoindustrie bislang ab-hängt. Mehr als die Hälfte aller Fahrzeuge,die in Europa verkauft werden, haben einen Dieselmotor. 70 Prozent der Mo-delle, die Mercedes-Benz und Audi inEuropa verkaufen, werden von einem

Diesel angetrieben. Bei BMW sind es sogar 80 Prozent.

Sollten die Konsumenten, als Folge derganzen Skandale, künftig weniger Diesel-fahrzeuge kaufen, wäre das für die Her-steller gleich doppelt gefährlich: Mit die-sem Motorentyp sind vor allem die großenund schweren Modelle ausgestattet, Ge-ländewagen und Oberklasselimousinen,mit denen die Autokonzerne den höchstenGewinn einfahren. Und nur mit diesemAntrieb, der einen geringeren CO2-Aus-stoß hat als vergleichbare Benziner, dürftees Mercedes-Benz, BMW, Audi, Renault,Peugeot, Fiat und Opel gelingen, dienächste Stufe der europäischen Umwelt-gesetzgebung zu erreichen.

Von 2020 an dürfen ihre Flotten imDurchschnitt nur noch 95 Gramm CO2 auf100 Kilometer ausstoßen, was einem Ver-

brauch von rund vier Litern entspricht.Wird das Ziel nicht erreicht, dann drohenden Autokonzernen Strafen in Milliarden-höhe. Und sie würden im internationalenWettbewerb hinter Konkurrenten aus Ja-pan und Korea zurückfallen, die auf an-dere Technologien gesetzt haben, auf Hy-bridautos und Modelle mit einer Brenn-stoffzelle. Oder hinter Tesla mit seinenElektroautos.

Zu lange haben sich die Konstrukteurein ihrer rußigen Dieselwelt eingerichtet.Vor den Untersuchungen der Dobrindt-Kommission mussten sie sich auch kaumfürchten. Sie wussten, dass die dort ver-sammelten Experten der Industrie eher gewogen waren. Vor allem verfuhren dieTester im Staatsauftrag frei nach der Hel-mut-Kohl-Methode: Entscheidend ist, washinten rauskommt. Nur das wird geprüft.

Damit war das Risiko aufzufliegen fürdie Hersteller ziemlich kalkulierbar. DieseMessmethode lässt viel Raum für Aus-flüchte und kreative Definitionen. Die digitale Steuerung der Abgasreinigung dagegen ist gesetzlich geschützt, auf nach-drücklichen Wunsch der Konzerne. Sie giltals Betriebsgeheimnis.

Die Industrie rechnete nicht mit einemMann, der die Messwerte aus dem Auspuffnur als Vorlage nimmt, um weiterzufor-schen – in der Software der Motorsteuer-geräte. Diese Minicomputer regeln inzwi-schen in allen modernen Fahrzeugen dieMotorfunktionen.

Felix Domke heißt der Mann, der inZehntausenden Zeilen des kryptischenProgrammcodes verdächtige Variablenausfindig machen kann. Zuletzt bewies erdas Ende vergangenen Jahres. Volkswagenhatte zuvor einräumen müssen, seine Die-selkunden betrogen zu haben. Wie das als„Schummelsoftware“ verniedlichte Be-trugsprogramm arbeitete und wo es sichim Quellcode verbarg, hatte der Konzernallerdings nicht preisgegeben. Domkeidentifizierte den kompromittierendenCode mit dem verschleiernden Namen„Akustikfunktion“ – mit dessen Hilfe dieMotorsteuerung zuverlässig einen Prüf-stand erkannte, um sofort vom illegalenin den legalen, vom dreckigen in den deut-lich saubereren Modus umzuschalten.

Domke musste damals nicht lange nacheinem verdächtigen Fahrzeug suchen: Erfährt einen Sharan-Diesel – und damit ei-nen der rund 2,5 Millionen in Deutschlandbetroffenen Luftverpester aus dem HauseVW. Die Motivation für die Detektivarbeitdes Softwareentwicklers, der in Lübeckfür einen internationalen IT-Konzern ar-beitet, stand im eigenen Carport (SPIEGEL4/2016).

Für die gemeinsame Recherche unter-suchte Domke nun akribisch Automodelleeines anderen Herstellers. Ausgehend vonMessungen in renommierten internationa-

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Harnstoffdosierung

Stickoxid-Konzentration (NOx-Sensor 2, nach Katalysator)

Verräterische KurvenEingriff der Motorsoftware in die Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit

Analyse von Messwerten am Beispiel eines Opel Zafira Tourer 1.6 CTDI, Baujahr 2015; Felix Domke für den SPIEGEL

Geschwindigkeit (km/h)

Katalysatortemperatur (°C)

Ab einer Temperatur von 200°Cwird die Harnstoffzufuhr aktiviert;ein Teil verbleibt als Ammoniak im Katalysator (Speicherfunktion).Die Stickoxid-Konzentration sinkt.

Ab einem Tempo von 145 km/hschaltet die Software um: Auchnach Verbrauch des Vorrats wirdkein weiterer Harnstoff dosiert;der NOx-Wert schnellt nach oben.

Sinkt das Tempo wieder unter140 km/h, wird nach kurzerVerzögerung erneut Harnstoff eingepumpt, der NOx-Wertsinkt.

Geschwindigkeit (km/h)

Auszug ausdem Quellcode(mit Geschwindig-keitsangaben)

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stapeln sich Platinen, Rechner und Spiel-konsolen verschiedener Generationen.

Mit dem Hacken einer solchen Konsolewar er in der IT-Szene vor rund einemJahrzehnt international bekannt gewor-den. Nun also Motorsteuerungen. „Ichhabe die Software ausgelesen und analy-siert“, sagt Domke so nüchtern und soselbstverständlich, als ginge es um einKochrezept. Er suchte nach Auffälligkeitenim Code, die das seltsame Verhalten derOpel-Fahrzeuge auf den verschiedenenPrüfständen erklären könnten.

Mehr als 50 Stunden seiner Freizeit in-vestierte der dreifache Familienvater dafür,der im Hauptberuf für einen großen inter-nationalen IT-Konzern arbeitet. In seinerDachkammer glich er die Daten der Test-fahrten nach dem vorgeschriebenen euro-päischen Testzyklus, die SPIEGEL, „Moni-tor“ und Umwelthilfe unter anderemdurch die Tschechische Technische Uni-versität in Prag und den TÜV Nord fahrenließen, mit dem Quellcode ab.

Domke stieß auf einen Programmcode,den die Konzernmutter General Motors of-fenkundig selbst entwickelt hat. Darin fahn-dete er nach Anweisungen, die erklärenkönnten, warum der Motor immer wiederin den unsauberen Modus umschaltete, so-bald der Wagen die genau definierten undimmer gleichen Testparameter riss.

Als eines der ersten Merkmale machteDomke diverse verdächtige Temperatur-

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Doch damit haben sich die Opel-Mana-ger wohl unbewusst um Kopf und Kragengeredet. Denn sie legten sich gegenüberdem Verkehrsministerium unmissverständ-lich fest, man befolge die Vorschriften„vollumfänglich“. So steht es im Berichtder Kommission. Doch genau diese Aus-sage steht nun im Widerspruch zu den Re-cherchen Domkes.

Das Labor des Datendetektivs ist einkleines Dachzimmer im Einfamilienhausder Familie am Stadtrand von Lübeck. Vonder diesel- und abgasgeschwängerten Luft

der TÜV-Prüfstände findet sich hier keineSpur. Neben dem lauten Gebläse der Rech-ner hört man nur Vogelgezwitscher.

Hier studierte der 33-Jährige seit Februarendlose Textkolonnen, die über seinen Mo-nitor flimmerten – die Programmzeilen,welche die Motorsteuerung des Zafira er-möglichen. Das Steuergerät selbst hat er da-für mit einer Zange geöffnet, der verbeulteDeckel liegt noch auf dem Tisch. Darum he-rum: Lötkolben, ein Oszilloskop, in Regalen

len Prüfständen, darunter beim TÜV Nordin Essen, ging diese gemeinsame aufwen-dige „Abgas-Sonderuntersuchung“ einenentscheidenden Schritt weiter als die Dob-rindt-Kommission: Domke knackte auchin diesen Fällen den Programmcode derMotorsteuerung. Und er wurde erneut fün-dig – sogar gleich mehrfach.

Es handelt sich um zwei Fahrzeuge derAdam Opel AG aus Rüsselsheim: den Fa-milien-Van Zafira in der 1,6-Liter-Versionnach der Euro-6-Norm sowie den OpelAstra als 1,6 Liter Diesel, ebenfalls Euro6. Beide sind mit ihren Abgaswerten vomKraftfahrt-Bundesamt zugelassen worden.

Der Zafira war zuvor bereits mehrfachdurch miserable Messwerte aufgefallen.Auch bei den Messungen der Dobrindt-Kommission ragte der Wagentyp negativheraus – was dem Firmenchef die Anhö-rung im Berliner Ministerium bescherte.Das Astra-Modell wurde von der Kommis-sion bislang nicht untersucht.

Im Fall Zafira begnügten sich DobrindtsMinisteriale offenbar mit der windigen Aus-flucht eines sogenannten Thermofensters,innerhalb dessen der Wagen deshalb be-sonders dreckig fahre, weil ansonsten wich-tige Bauteile Schaden nähmen. Dies sei, soargumentierte der Konzern kreativ, durcheine EU-Verordnung ausdrücklich erlaubt.Damit handle es sich bei der auffälligenWetterfühligkeit der Autos nicht um eineillegale Manipulation.

GORDONWELTERS.COM

Computerexperte Domke bei einer Testfahrt in Lübeck: „Äußerst überraschende Variablen“ entdeckt

Der Datendetektiv suchtnach Auffälligkeiten imCode, die das seltsameVerhalten erklären.

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dass sie durch die Einschränkungen in der Motorsteuersoftware kaum ordentlicharbeiten.“

Zudem seien die von ihm entdecktenzusätzlichen Abschaltmerkmale „äußerstüberraschende Variablen“ und mit Bauteil-schutz „für mich nicht zu erklären“ – eineDrehzahl von 2400 etwa wird im Alltagschon bei einem zügigen Anfahren an einerAmpel oder bei hochtourigem Fahren inkleinen Gängen locker überschritten.

Die Umwelthilfe hat aufgrund der nunbekannten Parameter errechnet, dass der

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1892 Rund 15 Jahre nach dem Produktionsstart der ersten Viertakt-ottomotoren meldet Rudolf Diesel sein Konzept zum Patent an undentwickelt in den folgenden 4 Jahren den selbstzündendenVerbrennungsmotor in der Maschinenfabrik Augsburg.

1910 Erste Hochseeschiffe mit Dieselantrieb

1924 Präsentation von Diesel-Lkw durch M.A.N.,Benz & Cie. und die Daimler-Motoren-Gesellschaft

1936 Der Mercedes-Benz 260 D und der HanomagRekord sind die ersten deutschen Serien-Pkwmit Dieselmotor.

Die Dieselnation Der Siegeszug des Selbstzünders

1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2015

1954 Mercedes-Benz präsentiert den 180 D;die als Taxi beliebte Limousine machtden Dieselantrieb populär.

1968 Peugeot baut mit dem 204 den erstenFronttriebler mit quer eingebautem Dieselmotor.

1976 Vorstellung des ersten VW Golf Diesel

1985 Mercedes-Benzbaut S-Klasse-Modellemit Dieselpartikelfilterfür den US-Markt.

1987/88 Der Diesel gerät in Verruf.Wissenschaftler stufen die Rußausschei-dungen als krebserregend ein, bei Smog-alarm drohen generelle Fahrverbote.In Europa gelten erstmals Grenzwertefür Rußpartikel aus Dieselmotoren.

1997 Der Diesel wird agil:Als erster Hersteller bringt AlfaRomeo einen Pkw mit Common-Rail-Einspritzung auf den Markt.

2009 Die Abwrackprämiebegünstigt den Absatzvon Kleinwagen mitgünstigen Benzinmotoren.Der Dieselmarktanteilbricht ein.

2003 Daimler eröffnetdie erste AdBlue-Tankstelle.Die Harnstofflösung dientzur Stickoxidreduktion inDieselabgasen.

2008 Verkauf ersterVW-„Clean Diesel“ inden USA mit Betrugs-software

2015 VW räumt den Einsatz vonBetrugssoftware bei der Abgas-

reinigung ein. Betroffen sindweltweit elf Millionen Fahrzeuge.

Marktanteil von Dieselfahrzeugenbei den Pkw-Neuzulassungen, in Prozent

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Common-Rail-Motorvon Alfa Romeo

angaben aus. Der Autosoftware zufolgeschaltet der Motor erst bei 17 Grad Au-ßentemperatur die saubere Variante derAbgasnachbehandlung überhaupt an. Da-runter reinigt er praktisch gar nicht. Undab 33 Grad und mehr schaltet die Elektro-nik auch gleich wieder ab.

Der Testzyklus, so ist es vorgeschrieben,muss immer zwischen 20 Grad und 30 Grad stattfinden. Domke ist also aufden Softwarebeleg für jenes Thermofens-ter gestoßen, das auch die Dobrindt-Kom-mission ausgemacht hatte.

Zur Erinnerung: Trotz der augenschein-lichen Nähe zu den offiziellen Messtem-peraturen behaupten Opel und andereHersteller, die ebenfalls mit Thermofens-tern arbeiteten, es handle sich dabei kei-nesfalls um eine Prüfstanderkennung, son-dern diene allein dem Schutz der Bauteile.

Angesichts der hiesigen Witterungsver-hältnisse hat das gravierende Folgen. Be-rufspendler beispielsweise, die allmor-gendlich um acht ins Büro fahren, dürftenallenfalls an wenigen sommerlichen Tagenbei 17 Grad Außentemperatur oder darü-ber zur Arbeit starten. Die meisten Ar-beitstage beginnen Zafira-Fahrer also alsUmweltverschmutzer.

Für Domke fing die Arbeit damit aller-dings erst an. Als eine andere magischeGrenze im Code entpuppte sich eine Ge-schwindigkeit von 145 Kilometern proStunde. Wird sie für länger als zehn Se-kunden erreicht, dann weist die Softwareebenfalls eine Abschaltung an: Die Nach-

behandlung wird drastisch heruntergefah-ren. Die Reinigungsanlage spritzt somit offenbar kein AdBlue mehr ein, einenStoff, der Stickoxide unschädlich macht.Kein AdBlue, viel NOx – giftige Stickoxide.

Interessanterweise liegt die Spitzenge-schwindigkeit im Prüfzyklus bei 120 Stun-denkilometern, also im grünen, saubererenBereich. Ein ähnliches Prinzip fand Domkebei der Drehzahl. Ab 2400 Umdrehungenpro Minute schaltet der Zafira das Systemzur Abgasrückführung permanent herun-ter – selbst wenn die Drehzahl danach wie-der darunterliegt. Was für ein Zufall: DieGrenze des Tests liegt bei 2200, stärker be-schleunigt kein Zulassungskontrolleur.

Ähnlich verhält es sich mit der drittenAbschaltfunktion, auf die Domke stieß.Bei einem Luftdruck unter 915 Millibarfährt die Elektronik die Abgasreinigungerheblich zurück, was bedeutet, dass derZafira bei Standardbedingungen schon beietwa 850 Höhenmetern die Luft viel mehrvergiftet als vom Gesetzgeber erlaubt. Inalpinen Luftkurorten hat das Auto dem-nach eigentlich nichts verloren. Zufall odernicht: Der höchste für Typgenehmigungenausgelegte Teststand in Europa liegt in Ma-drid – auf 660 Höhenmetern.

Domke ist ein nüchterner Zahlen-mensch. Er ist kein Aktivist, flammendeAnklagen sind nicht sein Ding. Seine Wor-te wählt er bedächtig. „Was mich wirklichärgert, ist, dass bei diesem Auto alle Ein-richtungen vorhanden sind, um wenigerschädliches Abgas zu produzieren, aber

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Zafira in mehr als 80 Prozent seiner nor-malen Laufzeit im unsauberen Modusfährt, wenig AdBlue verbraucht und be-sonders viel NOx ausstößt. Tatsächlich istbei diesem Modell interessanterweise auchnur ein besonders kleiner AdBlue-Tankeingebaut. Er fasst rund acht Liter derHarnstoffflüssigkeit.

Prag, Ende April, ein sonniger Tag. ImVorort Roztoky fährt ein schwarzer Zafira1,6 Liter auf einen Rollenprüfstand im Erd-geschoss eines modernen Prüfzentrums, indem unter anderem auch der TÜV SüdMessungen durchführt. Heute ist MichalVojtíšek von der Tschechischen Techni-schen Universität in Prag für die Messungenverantwortlich, eine international renom-mierte Kapazität auf seinem Gebiet. Er hatauch schon für die amerikanische Umwelt-behörde EPA und die Europäische Kommis-sion Abgasuntersuchungen durchgeführt.

In Prag testen er und seine Kollegen nunden Zafira an zwei Arbeitstagen – konformmit den europäischen Testzyklen sowie mitbewusst eingesetzten Variationen wie nied-rigeren Temperaturen, um die Umschaltun-gen zu dokumentieren. Die Datensätze ge-hen sofort auch an Felix Domke, der sie inseinem Dachzimmer parallel auswertet.

Vojtíšeks Prüfergebnisse bestätigen dieCode-Entdeckungen von Domke. So ver-schlechtern sich Abgaswerte „unter ande-rem bei der Beschleunigung bei Wertenum 140 Stundenkilometern und werden

danach und in längeren Hochgeschwindig-keitsfahrten immer schlechter“.

Weil Opel in der Vergangenheit stets dieStrategie verfolgte, die Methoden seinerKritiker zu diskreditieren, entscheidet sichdas Rechercheteam, die auffälligen Befun-de 14 Tage später auf einem weiteren Prüf-stand testen zu lassen, der besser nicht be-leumundet sein kann: beim TÜV Nord inEssen. Hier werden auch regelmäßig Typ-genehmigungen vorgenommen.

Das oberste TÜV-Management ist äu-ßerst nervös. Die Hersteller, die millionen-

schwere Aufträge an das Unternehmen ver-geben, mögen es nicht, wenn die TÜV-Prü-fer für die vermeintliche Gegenseite arbei-ten. Nur die Deutsche Umwelthilfe wirdals Auftraggeber der Messungen akzeptiert,die Journalisten müssen umfangreiche Ge-heimhaltungserklärungen unterschreiben.

Der TÜV fordert von Opel die Ausroll-daten für den Zafira an, wichtige Parame-ter, um den Teststand auf den speziellenFahrzeugtypen einzustellen. Doch Opel

lehnt ab. Haben die Rüsselsheimer etwaszu verbergen, behindern sie deshalb dieÜberprüfung ihrer Fahrzeuge? Das Re-chercheteam muss die Daten aus einer an-deren Quelle besorgen.

Nach drei Tagen und mehr als einemDutzend Tests an zwei verschiedenen Mo-dellen steht fest: Die von Felix Domkeidentifizierten Abschalteinrichtungen sindauch in der ultragenauen TÜV-Anlage beider Arbeit zu erkennen.

Parallel knöpfte sich Domke noch ein wei-teres Auto vor, den Opel Astra. Die Motorensind vergleichbar, die Software auch, wie erbei seiner Sichtung des Quellcodes feststellt.„Ich habe sehr ähnliche Abfragen wie beimZafira gefunden.“ So spürte er auch in derAstra-Software die ominöse Tem pera tur -grenze von 17 Grad Celsius bei der Stick-oxidvermeidung auf. Auch eine Abschalt -automatik bei schnellen Beschleunigungenfindet sich im Code der Motorsoftware wie-der, die dann für eine anhaltende Ver-schlechterung der Motoremissionen sorgen.

Diese Ergebnisse müssten Verkehrsmi-nister Dobrindt eigentlich dazu bewegen,Opel auch zu einer Nachbesserung desAstra zu drängen – zumal es in seinemHaus bereits Hinweise gibt, dass der Wagen in seiner neuesten Version sogarschlechtere Werte produzieren soll als seinVorgängermodell.

Ein Berater der DUH, der ehemalige Mi-nisterialbeamte Axel Friedrich, prüfte einen

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VW-Vorstand Herbert Diess, Verkehrsminister Dobrindt bei einem Software-Update im Februar: Die Unschuldsvermutung kann nicht mehr gelten

Die Werte des Astra erreichen in der Spitzemehr als das Achtfachedes Grenzwerts.

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nur wenige Monate alten Opel Astra miteinem mobilen Emissionsmessgerät aufder Straße. Die Werte des Opel Astra er-reichen in der Spitze mehr als das Achtfa-che des Grenzwerts. „Die Indizien sind soerdrückend, dass dem Verkehrsministe -rium nichts anderes übrig bleiben dürfte,als für diesen Typ einen Rückruf anzuord-nen“, sagt Friedrich.

Unterstützt wird Friedrichs Forderungvon Kai Borgeest, Leiter des Zentrums fürKfz-Elektronik und Verbrennungsmotorender Hochschule Aschaffenburg. Nach Durch -sicht der Messprotokolle kommt er zu demSchluss, dass Motorenschutz als Argumentfür die von Domke entdeckten Abschalt-funktionen nicht infrage kommt: „Wennes den Ingenieuren darum gegangen wäre,hätten sie eine andere Strategie verfolgenmüssen.“

Borgeest macht das unter anderem auchan der beobachteten Abschaltung des OpelZafira bei 2400 Umdrehungen fest. Damüsse man fast ins Standgas zurückfallen,damit die Reinigung wieder anspringt, wasunnötig lange sei aus Sicht des Motoren-schutzes. Auch die Abschaltfunktion bei145 Stundenkilometer, wie beim Opel Za-fira beobachtet, hält er „definitiv nichtsinnvoll für den Motorenschutz“.

Der Darmstädter Umweltjurist Führwundert sich nicht über die Chuzpe derIngenieure. Sie hätten über Jahrzehnte dieErfahrung gemacht, die Regeln selbst de-finieren zu können, unterstützt von derPolitik. So habe die Autoindustrie sich eineParallelwelt geschaffen, getreu dem Motto:„Was der Automobilindustrie nützt, nütztDeutschland, und deswegen wird uns schonniemand so genau auf die Finger schauen.“Mit Ausbruch der Affäre sei diese Parallel -welt untergegangen, so Führ.

Umgekehrt kann man sagen: Was demDiesel schadet, schadet Deutschland. Dennder Diesel ist vor allem eine deutsche Ge-schichte. Es ist die Geschichte eines Irrwegs.

1893 hatte der Ingenieur Rudolf Dieseldas Verfahren entwickelt, nach dem einDieselmotor funktioniert. Der Kraftstoffwird unter hohem Druck eingespritzt undentzündet sich selbst, weshalb der Motorauch als Selbstzünder bezeichnet wird.

Lange Zeit wurden Dieselmotoren vorallem bei Schiffen, Lokomotiven, Lastwa-gen und zur Stromerzeugung eingesetzt.

In der Autoindustrie galten sie bis Mitteder Neunzigerjahre als sparsam, aber be-häbig. Taxen oder die Kombis der Vertre-ter waren so motorisiert, erkennbar schonvon Weitem am nagelnden Geräusch.

Erst mit der Einführung des Turboladersund der Direkteinspritzung wurden demDieselantrieb einige seiner Nachteile aus-getrieben. Audi präsentierte 1989 den Audi100, der von null auf hundert in wenigerals zehn Sekunden beschleunigte und 200Stundenkilometer schnell war. Konkurren-ten zogen nach. Der Diesel galt plötzlichals modern. Er begann auch dank deut-scher Ingenieurskunst seinen Siegeszug inEuropa.

Und dann kam ihm auch noch die Poli-tik zu Hilfe: Nachdem sich die Industrie-länder auf der Klimaschutzkonferenz 1997in Kyoto erstmals auf verbindliche Ziel-werte für den Ausstoß von Treibhausgasgeeinigt hatten, sollte auch der CO2-Aus-

stoß des Straßenverkehrs deutlich redu-ziert werden. Der Dieselantrieb schien einprobates Mittel dafür. Er wird deshalb invielen Ländern großzügig unterstützt. InDeutschland werden bei jedem Liter Die-sel gut 18 Cent weniger Steuern kassiertals bei einem Liter Benzin. Der Staat ver-zichtet damit auf jährliche Einnahmen vonrund sieben Milliarden Euro.

Die Kombination aus verbesserter Tech-nik und staatlicher Förderung führte dazu,dass der Anteil der Dieselmodelle an denNeuzulassungen in Europa von 22 Prozent(1995) auf 52 Prozent (2015) stieg.

Doch der Diesel als Klimaretter entpupp-te sich als Irrtum. Der Einspareffekt ist teil-weise aufgezehrt worden, weil Dieselmo-toren immer leistungsstärker wurden. IhrePS-Zahl nahm in zehn Jahren um 22 Pro-zent zu, bei Benzinern waren es nur 7,5Prozent. Der Durchschnittsverbrauch derDieselflotte sank deshalb von 2006 bis 2014gerade mal von 6,9 auf 6,8 Liter.

Auch legen Dieselfahrer wohl wegen derverbilligten Preise mehr Kilometer zurück.Rebound-Effekt nennen Wissenschaftlerdas. „Der angebliche Klimaschutzeffektdes Diesel existiert, wenn überhaupt, dannnur minimal“, sagt Eckard Helmers, Pro-fessor für nachhaltige Mobilität an derFachhochschule Trier.

Auf den beiden anderen großen Auto-märkten der Welt, in China und in denUSA, spielen Dieselmodelle keine Rolle.Ihr Marktanteil liegt dort bei weniger alsdrei Prozent.

Autokonzerne in Japan, Korea und denUSA setzen auf andere Technologien. Toyo-ta investierte früh in Hybridmodelle, beidenen ein Benzin- und ein Elektromotorkombiniert werden. Jetzt bringen Toyotaund Hyundai erste Fahrzeuge mit einerBrennstoffzelle auf den Markt. Und beiElektroautos zeigt der Branchenneuling Tes-la, wie man mit einem Fahrzeug erfolgreichsein kann, das keine Emissionen ausstößt.

Beim Rennen um die Antriebstechnolo-gie der Zukunft sind die Europäer mit demDiesel in eine Sackgasse gefahren. Zumaldie Technik auch noch eine besonders häss-liche Seite hat. Ein Dieselauto emittiertmehr gesundheitsschädliche Stickoxide alsein Benzinmodell. Doch die Lobby der Industrie sorgte dafür, dass ein Sonder-recht für den Diesel geschaffen wurde. DieStickoxidgrenzwerte für Diesel liegen bei80 Milligramm pro Kilometer. Für Benzin-fahrzeuge gelten 60 Milligramm. Und weilihnen das offenbar noch immer nicht reich-te, schummelten die Hersteller mithilfe derSoftware.

Schon kurz nach dem Beginn der Abgas -affäre geriet Verkehrsminister AlexanderDobrindt unter Druck. Die Opposition ver-langte Aufklärung: Was wusste die Bun-desregierung von Abschalteinrichtungen?Was wusste sie von überhöhten Stickstoff-werten bei Dieselautos im Realbetrieb?

Mehrfach wiegelte das Bundesverkehrs-ministerium in seinen Antworten auf Kleine Anfragen im Bundestag ab. Zu Ab-schalteinrichtungen hätten keine Erkennt-nisse vorgelegen. Es habe auch „keine Ver-anlassung“ bestanden, mit den Herstellernwegen „auffälliger Schadstoffemissionen“in Kontakt zu treten.

Doch eine solche „Veranlassung“ hat esdurchaus gegeben. Informationen über zu

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Dieselautos wurdendreckiger statt sauberer,obwohl die Grenzwerteweiter sanken.

74% 67% 59% 54% 44% 41% 35% 31% 30%

Zugpferd für Nobelmarken Anteil der Dieselfahrzeuge an den Neuzulassungen der Hersteller 2014, in Deutschland

SeatOpelRenaultŠkodaFordVolkswagenMercedesAudiBMW Quelle: KBA

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hohe Schadstoffwerte bei Dieselautos la-gen längst vor. Eigene Tests der Regierungschlüsseln seit Jahren auf, welche Auto-bauer Grenzwerte überschreiten. Sogareinzelne Modelle und deren Werte tau-chen in Dokumenten auf, die in den Archi -ven der Bundesregierung lagern. Betroffenunter anderem: ein VW Passat, der die ak-tuelle Abgasnorm Euro 6 bei Tests 2013und 2014 für Stickoxide um das 7,6-Facheverletzt hat. Was wusste Dobrindt von die-sen Ergebnissen? Zog er Konsequenzen?Oder ließ er die dreckigen Autos einfachweiterfahren?

Seit den Neunzigerjahren liefert dieBundesregierung Daten für das sogenann-te Handbuch für Emissionsfaktoren, kurzHBEFA. Mehrere europäische Länderschlos sen sich in jener Zeit zusammen, ummehr Informationen über die wahrenEmissionen von Fahrzeugen zu sammeln(siehe Grafik Seite 20).

Die Rohdaten für das Handbuch werdenbei Untersuchungen in den beteiligtenLändern erhoben. Auf deutscher Seite ge-ben das Umweltbundesamt und die Bun-desanstalt für Straßenwesen (BASt), einenachgeordnete Behörde des Bundesver-kehrsministeriums, entsprechende Studienin Auftrag. Die überhöhten Grenzwertesind im Geschäftsbereich von Dobrindtalso bekannt.

Im Jahr 2010 ließ das Umweltbundesamtzum Beispiel die Studie „Emissionsfakto-ren von Otto- und Diesel-Pkw“ durchfüh-ren. Unterstützt wurde sie dabei von derBundesanstalt für Straßenwesen.

Für die Studie testete der TÜV Nordsechs Fahrzeuge: die vier Benziner Chev -rolet Matiz, Dacia Sandero, Hyundai I10und Fiat 500 sowie die Dieselautos DaimlerViano und VW Caravelle. Die Wagen vonDaimler und VW überschritten die Stick-oxidgrenzwerte im Realbetrieb etwa umdas Vierfache, wie die Unterlagen zeigen.Die Forscher kamen im Jahr 2013 zu demSchluss, dass die NOx-Werte bei den Fahr-zeugen mit Dieselmotor das „Hauptpro-blem“ seien.

Auch in den folgenden Jahren unter-suchte das Umweltbundesamt immer wie-der die Abgaswerte von Dieselautos unterrealen Fahrbedingungen. Die beunruhi-gende Erkenntnis: Die Dieselwagen wur-den dreckiger statt sauberer, obwohl dieGrenzwerte weiter sanken.

In einem internen Bericht vom vorigenJahr hielt das Umweltbundesamt fest:„Trotz der Verschärfung der Grenzwerte“von Euro 4 auf Euro 5 seien „in realenFahrzuständen“ jetzt höhere NOx-Wertegemessen worden. Zum Teil bis zu 25 Pro-zent, heißt es aus dem UBA.

Die Experten begannen allmählich zuverstehen, warum die landesweiten Mess-stationen die Grenzwerte für Schadstofferegelmäßig überschritten: Auf dem Rol-

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Opel-Präsentation auf dem Autosalon in Paris 2014: „Auf Zack“

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Titel

lenprüfstand hielten die Autobauer dieGrenzwerte ein, um die Zulassung für ihreAutos nicht zu gefährden. Im realen Be-trieb stießen ihre Wagen jedoch rekord-verdächtig hohe Stickoxidwerte aus.

Selbst bei der neuesten AbgasnormEuro 6 haben Dieselautos die Grenzwerteim realen Betrieb massiv überschritten,wie interne Unterlagen zeigen.

Im Dezember 2014 erwartete das Um-weltbundesamt in Dessau eine Delegationaus China. Mitarbeiter des Fachgebiets„Schadstoffminderung und Energieeinspa-rung im Verkehr“ bereiteten laut Unter -lagen einen Vortrag unter dem Titel „Ab-gasgesetzgebung in Europa für Pkw“ vor.

Auf Folie acht präsentierte das UBA die„Feldüberwachungsergebnisse“ eines VWPassat 2,0 mit dem Dieselmotor EA 189 –also genau der Variante, in deren Steue-rung VW millionenfach seine Manipula -tionssoftware verbaute. Das Auto, so gehtaus der Präsentation hervor, hielt nichtden Euro-6-Grenzwert für Stickoxide ein –obwohl der Wagen schon damals eine frei-willige Zertifizierung dafür erworben hat-te. Unter „realen Fahrbedingungen“ seiendie Emissionen gar „7,6-fach höher als derGrenzwert“ gewesen.

Warum nahm die Regierung solche Zah-len all die Jahre hin? Warum braucht eserst die US-Umweltbehörde EPA, bis manhierzulande gegen die Autobauer vorging?

Das Bundesverkehrsministerium ließeine Anfrage dazu unbeantwortet. DasUmweltbundesamt wehrt sich gegen denVorwurf, die Hinweise auf Tricksereienignoriert zu haben. Man sei – anders alsdie EPA – nicht für die Zulassung vonFahrzeugen zuständig. Die Dessauer Be-hörde verweist außerdem auf eigene Jahresberichte und Pressemitteilungen, in denen man immer wieder auf die hohenNOx-Belastungen durch Autos in Deutsch-land hingewiesen habe.

Das mag stimmen, aber der wahre Auf-schrei blieb aus. Kritik an einzelnen Her-stellern oder Fahrzeugen vermied das Um-weltbundesamt geflissentlich.

Als zu mächtig schätzten die Fachleuteim Umweltbundesamt und im Umweltmi-nisterium die Autolobby ein. Die Expertenkonzentrieren sich deswegen von Beginnan auf die große europäische Lösung. „Wirhaben ganz auf RDE gesetzt“, sagt JochenFlasbarth, von 2009 bis Ende 2013 Chefdes UBA, heute Staatssekretär im Umwelt-ministerium.

Hinter dem Kürzel RDE („Real DrivingEmissions“) stehen Abgastests von Fahr-zeugen auf der Straße. Der Test wird denbisherigen Neuen Europäischen Fahrzy-klus ablösen, der die Autos nur auf demRollenprüfstand untersuchte. Mit RDEdürfte es der Automobilindustrie schwererfallen, bei den Abgaswerten von Diesel-fahrzeugen zu tricksen.

Allerdings schafften es die Hersteller mitgeschickter Lobbyarbeit, sogenannte Kon-formitätsfaktoren im neuen Regelwerk un-terzubringen, die das Überschreiten vonGrenzwerten erlauben.

Im Juni vergangenen Jahres stattete derneue VW-Konzernrepräsentant in Berlin,Michael Jansen, dem Bundeswirtschafts-ministerium einen Besuch ab. Jansen istin Berlin gut verdrahtet, früher leitete erdas Büro von Kanzlerin Angela Merkel.

Bei seinem Antrittsbesuch im Hause Ga-briel hinterlegte der Spitzenlobbyist einDokument mit Positionen des Verbandsder Automobilindustrie (VDA): Die ge-planten RDE-Tests der EU erlaubten „ab-solut untypische Fahrstile, die nicht aus-geglichen werden könnten“, warnte derVDA. Für extreme Fahrstile sei ein höhererKonformitätsfaktor notwendig.

Auf die Unterstützung der Bundesregie-rung konnte sich die Autoindustrie dabeiverlassen. Der VDA habe mit der Regie-rung „technische Details und politischeZielsetzungen diskutiert und zur Vorbe-reitung einer deutschen Position in Brüsselaufbereitet“, heißt es in einem internenPapier des Bundeswirtschaftsministeriumsaus der damaligen Zeit. Die Regierungsetzte sich dafür ein, die RDE-Verordnungmöglichst schnell zu verabschieden, „um

eine Diskreditierung des für deutsche Au-tomobilhersteller wichtigen Dieselmotorszu vermeiden“.

Im Februar 2016 war es dann so weit.Die neue Verordnung wurde in Brüssel be-schlossen, mit großem Erfolg für die deut-sche Autoindustrie und ihren Dieselmotor.In dem Papier fand sich ein Konformitäts-faktor von 2,1 wieder. Wenn die RDE-Testsim Jahr 2017 eingeführt werden, dürfendie Hersteller die Grenzwerte für eineÜbergangsphase um mehr als das Zweifa-che überschreiten – ganz legal.

Doch der VW-Skandal, der Fall Opelund die vielen Mauscheleien der anderenHersteller setzen die Politiker nun unterDruck, praxisnahe Tests einzuführen, dieGrenzwerte zu senken, die Subventionie-rung des Diesels zu beenden – und damitDaimler und Co. einen Teil ihrer Ge-schäftsgrundlage zu entziehen.

Noch ist das Ende des Diesels nur einSchreckensszenario für die wichtigsteBranche des Landes, von der jeder siebteArbeitsplatz abhängt. Noch kaufen dieKunden Dieselmodelle. „Im Markt könnenwir keinen Einfluss in irgendeiner Gestaltfeststellen“, sagt Daimler-Boss Zetsche.Aber das kann sich schnell ändern, zu -mal der politische Widerstand wächst. DiePariser Bürgermeisterin Anne Hidalgosagt: „Wir müssen Dieselfahrzeuge ab-schaffen.“

Mercedes-Benz stattet seine E-Klasse ge-rade mit einer neuen Generation von Die-selmotoren aus, in deren Entwicklung dasUnternehmen 2,6 Milliarden Euro inves-tiert hat. Wahrscheinlich wäre es sinnvollergewesen, dieses Geld für die Entwicklungdes Elektroantriebs auszugeben.

BMW-Chef Harald Krüger sagt: „Wenndie gesetzlichen Grenzwerte immer weitersteigen, wird die Abgasnachbehandlung ir-gendwann so teuer, dass der Elektromotorendgültig die bessere Alternative ist.“

Der Wandel wird kommen. Wie starkDaimler, BMW, Audi, Volkswagen, Opelund andere Hersteller in Europa dadurchgetroffen werden, hängt davon ab, wieschnell er kommt und wie schnell die Au-tohersteller Versäumtes nachholen kön-nen – mit Investitionen in Elektroautosund Brennstoffzellenfahrzeuge.

Vielleicht ist es dafür aber schon zu spät.Möglicherweise haben die großen Konzer-ne schon zu viel Zeit verloren, weil sieverzweifelt versuchten, eine veraltete Tech-nik mit Tricks und Schummeleien bis hinzum Betrug am Leben zu erhalten.

Sven Becker, Dietmar Hawranek, Horand Knaup,Ann-Katrin Müller, Marcel Rosenbach,

Gerald Traufetter

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Quelle: Handbuch für Emissionsfaktoren/UBA

Abgasnorm Euro 3 (2000) Euro 4 (2005) Euro 5 (2009) Euro 6 (2014)

61% 118% 276% 458%

Wachsende DiskrepanzErlaubter Ausstoß von Stickoxiden bei Dieselfahrzeugen Realer Ausstoß (in mg/km)

500

803

250

544

180

677

80

446innerorts

Grenzwert überschritten um:

Video: So funktioniert dieSchummelsoftware

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