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Sozialphilosophische und normative Konzepte Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009 Chancengerechtigkeit im Bildungssystem Sozial- philosophische und normative Konzepte Modul 1

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Chancengerechtigkeit im Bildungssystem

Sozial-philosophische und normative

Konzepte

Modul 1

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Überblick

• Vorbemerkung: leitende Prinzipien• Sozialgeschichtlicher Aufriss: was wird in unter-

schiedlichen Epochen als gerecht empfunden?• Soziaphilosophischer Aufriss: ‚Sphären der

Gerechtigkeit‘

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Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Leitende Prinzipien für Seminaraufbau

• Historisches Verständnis der Problematik (gesell-schaftliche Bedingungen der Umsetzung)

• Unterschiedliche Sichtweisen– Politische/normative Überzeugungen

– Nationale Traditionen

• Hoher Wert, der dennoch reflektiert werden muss:– Was kann erreicht werden? (keine „himmlische“

Gerechtigkeit); die Bedeutung relativer Unterschiede

– Gibt es Zielkonflikte mit anderen legitimen Werten

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Sozialgeschichtlicher Aufriss

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Mandeville, 1723

„Um die Gesellschaft glücklich (...) zu machen, ist es notwendig, dass ein beträchtlicher Teil davon sowohl unwissend wie auch arm sei (...), dass die Kenntnisse der arbeitenden ärmeren Klassen auf das Gebiet ihrer Beschäftigung beschränkt (...) werden (…) Jede Stunde, die von den Kindern armer Leute bei den Büchern zugebracht wird, (bedeutet) ebensoviel für die Gesellschaft verlorene Zeit.“ (Die Bienenfabel)

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„Politische Schulverfassung“ (1806)

"Den niedrigsten Volksklassen, deren körperliche und geistige Kräfte durch mechanische Arbeit aufgezehrt werden, können in den Trivialschulen nur solche Begriffe beigebracht werden, die sie nicht in der Arbeit stören und mit ihrem Zustand unzufrieden machen. Sie sollen ihr gesamtes Gedankengut auf die Erfüllung der moralischen Pflichten und die emsige Erfüllung ihrer häuslichen und Gemeindeangelegenheiten beschränken."

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Heinrich von Treitschke (2.Hälfte 19.Jh)

Es „versteht sich doch von selbst, wenn nicht Menschen da wären, die die niedrigen Arbeiten verrichten, so könnte die höhere Kultur nicht gedeihen. Wir kommen zu der Erkenntnis, dass die Millionen ackern, schmieden und hobeln müssen, damit einige Tausend forschen, malen und dichten können.“

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Deutsche Reichsschulkonferenz (1920)

„Wir brauchen 50% ungelernte Arbeiter. Das ist eigentlich ein Donnerschlag für jene Leute, die mit freier Phantasie nur die Kräfte frei entfalten wollen (...) Das Wohl der Gemeinschaft kann es erfordern, dass bei vielen vorhandene Eigen-schaften verkümmern müssen, damit andere Eigenschaften, die notwendig sind, entwickelt werden können.“ (Diskussionsbeitrag)

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Weinstock (Religionspädagoge, 1955)

„Dreierlei Menschen braucht die Maschine: den der sie bedient, den der sie repariert und verbessert, den der erfindet und konstruiert. Offenbar verlangt die Maschine eine dreigliedrige Schule: Eine Bildungs-stätte für die ausführenden, also zuverlässig antwor-tenden Arbeiter, ein Schulgebilde für die verant-wortlichen Vermittler und endlich ein solches für die Frager, die theoretisch Begabten.“ (Realer Humanismus)

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Grad sozialer Ungleichheit in verschiedenen Gesellschaftstypen

Quelle: Gerhard Lenski

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Quelle: Stefan Hradil

Statusaufbau der ländlichen Feudalgesellschaft

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Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Statusaufbau der mittelalterlichen Stadt

Quelle: Stefan Hradil

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

1688 1803 1904 1950

Bev Eink Bev Eink Bev Eink Bev vor St nach St

1,2 14,1 1,4 15,7 2,9 34,2 1 10,6 5,8

31,7 59 31,6 59,4 8,7 14,3 9 21,5 19,9

88,4 51,5 20 23,6 24,8

67,1 26,9 67 24,9 70 44,2 49,4

Quellen: Harold Perkin, The Origins of Modern English Society (1969)

Harold Perkin, The Rise of Professional Society: England Since 1880 (1989)

Einkommensverteilung in England, Ende 17.Jh – Mitte 20.JhBevölkerung und Einkommen in % (1950: vor/nach Steuern)

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Wirtschaftswachstum in Deutschland, 1800 – 2000

Quelle: Miegel 1983

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Soziale Schichtung der westdeutschen Bevölkerung 2000

Quelle: Geissler 2005

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Gini-Koeffizient: statistisches Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen. Der Wert kann beliebige Größen zwischen 0 und 1 annehmen. Je näher der Gini-Koeffizient an 1 ist, desto größer ist die Ungleichheit

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Soziaphilosophischer Aufriss

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Spannung: Gleichheit – Freiheit

• Im liberalen Gesellschaftsmodell sind beide Konzepte positiv besetzt

• Müssen mit Hilfe einer regulativen Gerechtigkeitsidee ausbalanciert werden.

• In welchen Bereichen wird Gleichheit als einengend empfunden?

• In welchen Bereichen wird Freiheit als Gefahr für den sozialen Zusammenhalt empfunden?

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‚Sphären der Gerechtigkeit‘

• Pluralität von „Gütern“ und „Währungen“• Distributionsprinzipien: freier Tausch, Verdienst,

Bedürfnis; wechselseitige Relativierung verhindert Tyrannei

• Bildung: (1) Elementar- vs (2) Spezialschulen– (1) Zwang; gemeinsamer Grundstock und Sozialkapital, nicht

gleiche Chancen, sondern gleiche Resultate

– (2) Freie Assoziation; gleiche Chancen, die nach Verdienst vergeben werden

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Gerechtigkeitskriterien

• Strikte Gleichheit (ausschließlich Rechtsgüter)• Orientierung an Bedürfnissen (weite vs enge

Interpretation; bei Kleingruppen mit starken emotionalen Bindungen)

• Belohnung von Anstrengung (Vergleich mit eigenen Leistungen – bei Schutzbedürftigkeit und dem Willen zur Förderung)

• Belohnung von Ergebnissen (Marktlogik)• Orientierung an zugeschriebenen Merkmalen

(ideologisch legitimierte Ungleichheit)

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Unterschiede Europa – USA

• Bis ins frühe 20. Jh waren die USA egalitärer; schwacher Staat und starke Betonung der Individualrechte: Markt zerstört feudale Privilegien

• In Europa haben die feudalen Wurzeln die Sensibilität für gesellschaftliche Disparitäten geschärft. Positivere Rolle des Staates (Wohlfahrt) und kollektiver Orientierungen/Güter

• Gleiche Startchancen garantieren vs Verantwortung für Gleichheit der Ergebnisse

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Individuum oder Gruppe?

• Welchen Stellenwert haben Individualrechte bzw. kollektive Orientierungen in der politischen Tradition eines Landes?

• Modernisierung geht mit Individualisierung einher (Vergleich mit islamischen Ländern), aber auch innerhalb der OECD-Welt gibt es erhebliche Unterschiede (Europa – USA – Asien)

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Quoten als Instrument der Gleichstellung

• Benachteiligung wegen Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Geschlecht, Ethnie, Religion)

• Zielwerte zum Abbau von Ungleichheiten• „weiche“ (affirmative action) und „harte“ (reverse

discrimination) Maßnahmen• Affirmative action in den USA• Gleichstellungspolitik an österreichischen Unis

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Dimensionen von Ungleichheit in der Bildung

• Legitim– Ungleichheiten in der Begabung

• Illegitim– Soziale Ungleichheiten

– Ethnische Ungleichheiten

– Geschlechtliche Ungleichheiten

– Regionale Ungleichheiten

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

2 Arten von Gerechtigkeitsproblemen

Ungleichheiten am unteren und am oberen Ende des Leistungsspektrums

Absturz unter Mindest-standards verhindern

Fairness beim Zu-gang zur Spitze

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Sozialphilosophische und normative Konzepte

Seminar: Chancengerechtigkeit SS 2009

Pause + Gruppenaufgaben

Welche der diskutierten Gerechtigkeitskriterien (Hochschildt) passen auf:– Pflichtschule

– Gymnasium

– Hochschule

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