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Schwägele, F. (2003) Mitteilungsblatt BAFF 42, Nr. 162, 339-346 339 Struktur und Funktion des Muskels Muscle structure and function F. SCHWÄGELE Zusammenfassung Die quergestreiften Muskeln sind streng hierarchisch aufgebaut und werden mit Hilfe von Nervenreizen in Bewegung gesetzt, die vom Gehirn ausgehen. Muskeln sind wie alle Ge- webe aus Zellen aufgebaut. Die Muskelzellen enthalten Myofibrillen, welche die Aufgabe der Kontraktion mittels Wechselwirkung zwischen dicken und dünnen Filamenten erfüllen, die bei der Muskelverkürzung ineinander gleiten. Die in ATP vorhandene chemische Energie wird dabei in mechanische Energie der Bewegung umgesetzt. Summary Concerning their structure striated muscles show a strict hierarchy. Muscle contraction is triggered by a stimulus generated in the brain. Muscle tissue consists of cells which contain myofibres. Muscle contraction is fulfilled by interaction between thick and thin filaments based on the principle of sliding filaments. Chemical energy stored in form of ATP is trans- formed into mechanical energy during muscle contraction. Schlüsselwörter Muskelstruktur – Muskelkontraktion – Muskelkrankheiten Key Words muscle structure – muscle contraction – muscle diseases Einleitung Wenn wir Menschen nicht gerade ent- spannt und ruhig liegen, dann erfordert je- de unserer Haltungen und Bewegungen die Betätigung von Muskeln. Allein die Au- genmuskeln bewegen sich über hundert- tausendmal am Tag. Zum Stirnrunzeln sind über vierzig Muskeln erforderlich, zum Lächeln dagegen nur siebzehn. Im- mer sind Nerven und das Gehirn daran beteiligt, wenn unsere Muskeln betätigt werden. Man unterscheidet drei Arten von Muskeln: die willkürliche, quergestreifte Muskulatur, die unwillkürliche, glatte Mus- kulatur und den Herzmuskel als eine Mischform zwischen diesen beiden Arten. Tierische Muskeln, die wir nach Ablauf der postmortalen Veränderungen als Fleisch bezeichnen (HONIKEL und SCHWÄGELE, 1998), sind in der Regel die quergestreif- ten Skelettmuskeln. Aus diesem Grunde soll zunächst der Aufbau der Skelettmus- kulatur im Detail besprochen werden. Aufbau der Skelettmuskulatur Wie alle Organe eines höher entwickelten Lebewesens haben die Skelettmuskeln ei- ne spezielle Aufgabe und eine hierfür ent- wickelte spezifische Struktur. Im ein- fachsten Falle sind die Muskeln direkt über Sehnen mit dem Knochengerüst auf bei- den Seiten von Gelenken verbunden. Sehnen bestehen aus Bindegewebe. Hauptbestandteil des Bindegewebes wie- derum ist Kollagen, das für sich eine ganz spezifische Proteinstruktur aufweist und aufgrund des Gehaltes an der posttransla- tional modifizierten Aminosäure Hydro- xyprolin vom eigentlichen Muskelgewebe unterschieden werden kann. Grobgewebliche Muskelstruktur Bei genauer Betrachtung der Struktur ei- nes Muskels lässt sich eine streng geord- nete Gliederung feststellen (Abb. 1). Der gesamte Muskelkörper wird durch Binde-

Struktur und Funktion des Muskels - openagrar.de · Myosin und Aktin sind, indem sie miteinander in Wechsel-wirkung treten können, unmittelbar an der Muskelkontraktion beteiligt

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Schwägele, F. (2003) Mitteilungsblatt BAFF 42, Nr. 162, 339-346

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Struktur und Funktion des MuskelsMuscle structure and function

F. SCHWÄGELE

Zusammenfassung

Die quergestreiften Muskeln sind streng hierarchisch aufgebaut und werden mit Hilfe vonNervenreizen in Bewegung gesetzt, die vom Gehirn ausgehen. Muskeln sind wie alle Ge-webe aus Zellen aufgebaut. Die Muskelzellen enthalten Myofibrillen, welche die Aufgabe derKontraktion mittels Wechselwirkung zwischen dicken und dünnen Filamenten erfüllen, die beider Muskelverkürzung ineinander gleiten. Die in ATP vorhandene chemische Energie wirddabei in mechanische Energie der Bewegung umgesetzt.

Summary

Concerning their structure striated muscles show a strict hierarchy. Muscle contraction istriggered by a stimulus generated in the brain. Muscle tissue consists of cells which containmyofibres. Muscle contraction is fulfilled by interaction between thick and thin filamentsbased on the principle of sliding filaments. Chemical energy stored in form of ATP is trans-formed into mechanical energy during muscle contraction.

Schlüsselwörter Muskelstruktur – Muskelkontraktion – Muskelkrankheiten

Key Words muscle structure – muscle contraction – muscle diseases

Einleitung

Wenn wir Menschen nicht gerade ent-spannt und ruhig liegen, dann erfordert je-de unserer Haltungen und Bewegungendie Betätigung von Muskeln. Allein die Au-genmuskeln bewegen sich über hundert-tausendmal am Tag. Zum Stirnrunzelnsind über vierzig Muskeln erforderlich,zum Lächeln dagegen nur siebzehn. Im-mer sind Nerven und das Gehirn daranbeteiligt, wenn unsere Muskeln betätigtwerden. Man unterscheidet drei Arten vonMuskeln: die willkürliche, quergestreifteMuskulatur, die unwillkürliche, glatte Mus-kulatur und den Herzmuskel als eineMischform zwischen diesen beiden Arten.Tierische Muskeln, die wir nach Ablauf derpostmortalen Veränderungen als Fleischbezeichnen (HONIKEL und SCHWÄGELE,1998), sind in der Regel die quergestreif-ten Skelettmuskeln. Aus diesem Grundesoll zunächst der Aufbau der Skelettmus-kulatur im Detail besprochen werden.

Aufbau der Skelettmuskulatur

Wie alle Organe eines höher entwickeltenLebewesens haben die Skelettmuskeln ei-ne spezielle Aufgabe und eine hierfür ent-wickelte spezifische Struktur. Im ein-fachsten Falle sind die Muskeln direkt überSehnen mit dem Knochengerüst auf bei-den Seiten von Gelenken verbunden.Sehnen bestehen aus Bindegewebe.Hauptbestandteil des Bindegewebes wie-derum ist Kollagen, das für sich eine ganzspezifische Proteinstruktur aufweist undaufgrund des Gehaltes an der posttransla-tional modifizierten Aminosäure Hydro-xyprolin vom eigentlichen Muskelgewebeunterschieden werden kann.

Grobgewebliche Muskelstruktur

Bei genauer Betrachtung der Struktur ei-nes Muskels lässt sich eine streng geord-nete Gliederung feststellen (Abb. 1). Dergesamte Muskelkörper wird durch Binde-

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gewebe, das sogenannte Epimysium, wel-ches auch als Muskelscheide bezeichnetwird und zu den Enden des Muskels hin inSehnen ausläuft, zusammengehalten. Alsnächstkleinere Untereinheit findet man dieMuskelfaserbündel mit einem Durchmes-ser von etwa 2 mm. Diese werden eben-falls von einer Bindegewebshülle, dem Pe-rimysium, umschlossen. Zwischen diesenFaserbündeln kann Fettgewebe eingela-gert sein, das man als Marmorierung imFleisch erkennt.

In Muskelzellen befinden sich wie in jederanderen Zellart höherer Lebewesen Zell-organellen, die in sich geschlossene Ein-heiten bilden. Muskelfasern sind soge-nannte mehrkernige Zellen. Die Zellkernesind eingebettet in das sarkoplasmatischeReticulum, einer Spezialform des en-doplasmatischen Reticulums, das auch dieMyofibrillen umgibt. Weitere in der Mus-kelzelle vorhandene Organellen sind dieMitochondrien, in welchen unter aerobenBedingungen die Hauptmenge der zellulä-ren Energie in Form von ATP (Adenosin-5´-triphosphat) erzeugt wird, sowie Lyso-somen, die spezifische Protein abbauende

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Abb. 1: Grobgeweblicher Aufbau einesMuskels: Muskel, Faserbündel,Muskelfaser, Myofibrille

Die eigentliche Muskelzelle stellt alsnächstfolgende Unterstruktur die Muskel-faser dar, die für sich wiederum von Bin-degewebe, dem Endomysium, umgebenist. Muskelfasern weisen einen Durchmes-ser von 0,01 bis 0,1 mm auf und erreicheneine Länge von 150 mm und mehr.

Aufbau der Muskelzelle

Die Muskelfasern oder Muskelzellen sindwie alle Zellen von einer Zellmembran,dem Sarkolemm, umgeben (STRYER,1991). Dadurch wird eine Trennung desZellinneren vom außerzellulären Raumgewährleistet. Die Membran selbst bestehtaus einer wasserunlöslichen Phospho-lipiddoppelschicht, in die sowohl Choleste-rin als auch verschiedene Proteine einge-lagert sind. Die Übertragung von Signalensowie der Stoffaustausch vom innerzellu-lären Raum ins Zelläußere muss deshalbüber diese Zellmembran vollzogen wer-den.

Enzyme, nämlich unterschiedliche Klassenvon Kathepsinen enthalten.

Der überwiegende Raum im Muskelzell-innern ist mit Myofibrillen ausgefüllt, vondenen jede einen Durchmesser von etwa1-2 µm hat. Bis zu 1000 solcher parallelzueinander angeordneten Struktureinhei-ten ziehen sich in Faserrichtung durch dieMuskelzelle.

Aufbau der Myofibrillen

Im Lichtmikroskop erscheinen die Myo-fibrillen als abwechselnd sich wiederho-lende dunkle und helle Felder. Aus dieserlichtoptischen Eigenschaft wurde für dieSkelettmuskulatur der Name „querge-streifte Muskulatur“ abgeleitet. In den ausProteinen bestehenden Myofibrillen findetdie eigentliche Muskelkontraktion statt. Diesich alle etwa 2,0 µm wiederholenden Ein-heiten in den Myofibrillen nennt man Sar-komere. Sie sind die eigentlichen kontrak-tilen Grundeinheiten des Muskels (Abb. 2).

Bei Anwendung der höher auflösendenElektronenmikroskopie ist zu erkennen,dass die I-Banden von den sehr dichten,schmalen Z-Linien (Scheiben oder Memb-ranen) durchzogen werden und dadurchzweigeteilt erscheinen. Die dünnen Fila-mente mit einem Durchmesser von etwa7 nm gehen nach beiden Seiten von der Z-Linie (Scheibe oder Membran) aus understrecken sich über die I-Bande bis zumEnde des dunklen Bereichs der A-Bande.Sie weisen eine durchschnittliche Längevon etwa 1 µm auf. Die Z-Linie (Scheibeoder Membran) enthält α-Aktinin und

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andere Proteine. Nebulin(WANG, 1995) umschlingt mitzwei parallel verlaufendenProteinketten das Aktin-Polymer helikal und wirkt da-durch stabilisierend (Abb. 2).

In der Mitte der A-Bande be-findet sich die H-Zone, dieweniger dicht als der Rest derBande ist. Diese H-Zone wirdvon der M-Linie (Scheibeoder Membran) in zwei Hälf-ten geteilt. Von der M-Linie(Scheibe oder Membran)ausgehend, verlaufen zu bei-den Seiten die dicken Fila-mente mit einem Durchmes-ser von ca. 15 nm und einerLänge von etwa 1,5 µm. DieM-Linie (Scheibe oder Memb-ran) enthält ein sogenanntesM-Protein. Titin (WANG,1995), das auch als Connec-tin bekannt ist, fügt sich alseine sogenannte molekulareSprungfeder stabilisierendund regulierend an die dickenFilamente an (Abb. 2).

Abb. 2: Sarkomer mit Titin und Nebulin alsStrukturkomponenten der dicken unddünnen Filamente

Betrachtet man den Querschnitt im dichtenBereich der A-Bande, wo die dicken unddünnen Filamente parallel verlaufen, sostellt man fest, dass dicke und dünne Fi-lamente sechseckig (hexagonal) angeord-net sind. Jedem dünnen Filament sind dreidicke Filamente benachbart, und jedesdicke Filament ist von sechs dünnen Fila-menten umgeben.

Durch Wechselwirkung der dünnen unddicken Filamente findet die eigentlicheMuskelkontraktion statt, die letztendlichauf ein Ineinandergleiten dieser Filamenteberuht. Dabei kommt es zur Verkürzungdes Abstandes zwischen den Z-Linien(Scheiben oder Membranen).

Aufbau der dicken und dünnenFilamente

Dicke und dünne Filamente machen etwa70-75 % des myofibrillären Eiweißes aus,wobei das gesamte Muskelprotein aus 50-55 % myofibrillärem Eiweiß, 30 % sarko-

plasmatischem Protein und der Rest ausBindegewebe besteht. Myosin und Aktinsind, indem sie miteinander in Wechsel-wirkung treten können, unmittelbar an derMuskelkontraktion beteiligt und werdendaher auch als kontraktile Proteine be-zeichnet (STRYER, 1991).

Myosin hat drei wichtige biologische Funk-tionen. Als erstes bilden Myosinmolekülein Lösungen mit physiologischer Ionen-stärke und physiologischem pH-Wertspontan Filamente aus. In der Tat bestehtein dickes Filament hauptsächlich ausMyosin. In Wasser und physiologischerKochsalzlösung ist Myosin unlöslich. Beihöheren Salzkonzentrationen (1,5-5 %)nimmt seine Löslichkeit zu, jedoch fälltMyosin bei über 6 % Salz wieder aus.

Zweitens besitzt Myosin eine enzymati-sche Aktivität, nämlich ATPase-Aktivität,welche die freie Energie für die Muskel-kontraktion liefert. Drittens lagert sichMyosin an die polymerisierte Form des

Z-ScheibeZ-Scheibe Nebulin M-ScheibeH-Zone

A-Bande

Sarkomer

I-Bande

1 µm!Gesamtlänge einesTitinmoleküls

an Myosin gebundenerAnteil des Titins

elastischer Anteil des Titins

Myosinfilament

Actinfilament

I-Bande

Z-ScheibeZ-Scheibe Nebulin M-H-Zone

A-Bande

Sarkomer

I-BandeI-Bande

1 µm!Gesamtlänge einesTitinmoleküls

an Myosin gebundenerAnteil des Titins

elastischer Anteil des Titins

Myosinfilament

Actinfilament

I-BandeI-Bande

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Aktins an, des Hauptbestandteils der dün-nen Filamente. Myosin ist ein sehr großesMolekül (ca. 540 kDa), bestehend aussechs Polypeptidketten: zwei identischenschweren Ketten und vier leichten Ketten.Mit Hilfe der Elektronenmikroskopie lässtsich zeigen, dass Myosin aus einem dop-pelköpfigen globulären Teil (S1-Köpfe) be-steht, der mit einem sehr langen Stab ver-bunden ist. Dieser Stab besteht aus zweisuperspiralisierten α-Helix-Strängen, dievon den schweren Ketten gebildet werden.In diesem Teil des Moleküls findet man

gehäuft saure und basische Aminosäuren,die bei einem pH-Wert von 5,3 bis 5,5 imFleisch aufgrund der vorliegenden positi-ven (Basekation; -NH3

+) und negativen(Säureanion; -COO-) Ladungen eine star-ke Anziehung im Myosinmolekül bewirken.In jedem Kopf sind zudem zwei verschie-dene leichte Ketten an die schwere Kettegebunden. Das Myosinmolekül enthältzwei Arten von Scharnieren, die es denS1-Köpfen ermöglichen, sich reversibel anAktin anzulagern und ihre Orientierung imgebundenen Zustand zu ändern.

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Abb. 3: Aufbau eines dünnen Filaments

Aktin (LEHNINGER,1994), ein in Eukary-onten weitverbreitetesMolekül, ist der Haupt-bestandteil der dünnenFilamente (Abb. 3). BeiIonenstärken, die phy-siologischen Wertenentsprechen, polymeri-siert das kugelförmigeProtein (G-Aktin) undbildet Filamente (F-Aktin) aus, die wie zweiumeinandergewundenePerlenschnüre aus-sehen.

Die dünnen Filamente enthalten nebendem Aktin noch zwei weitere Proteine, diebei der Regulation der Kontraktion einewichtige Rolle spielen. Tropomyosin, einfadenförmiges Molekül, das aus zwei um-einandergewundenen Proteinsträngen be-steht, ist zu beiden Seiten in die Rillen derFilamente eingelagert, so dass es jeweils7 G-Aktin Kügelchen überdeckt. Zwischendie Tropomyosinfäden sind die Eiweiß-komplexe des Troponins eingelagert. Tro-ponin besteht aus drei globulären Protei-nen: Troponin C (TN-C) ist in der LageCalcium zu binden. Es besteht aus zweihomologen Domänen. Eine aminotermi-nale und eine carboxyterminale globuläreDomäne sind über eine lange α-Helix mitneun Windungen verbunden. Jede dieser

Domänen besitzt zwei Bindungsstellen fürCa2+. Die der carboxyterminalen Domänehaben eine hohe Affinität zu Ca2+, wäh-rend die der aminoterminalen Domäne ei-ne weitaus geringere Affinität besitzen.

Troponin T (TN-T) lagert sich an Tropo-myosin an. Troponin I (TN-I) kann an Aktinbinden und blockiert damit die Wechsel-wirkung zwischen Aktin und Myosin. Da-durch ist gleichzeitig die ATPase-Aktivitätdes Myosins gehemmt. Der Bindungsortdes Troponins wird durch die Länge desTropomyosinmoleküls bestimmt. Ein anein Tropomyosinmolekül gebundener Tro-poninkomplex reguliert die Aktivität vonsieben Aktinmonomeren (LEHNINGER,1994).

dünnes Filament

Troponin-Komplex

F-Aktin

G-Aktin

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Die Muskulatur der inneren Organe

Die glatte Muskulatur der Eingeweide ar-beitet unwillkürlich, unterliegt also nichtunserer willentlichen Steuerung, weist kei-ne Querstreifen auf und bildet den kon-traktilen Teil von Magen, Darm, Uterus-und Blutgefäßwänden. Glatte Muskulaturbesteht aus Schichten stark verlängerter,spindelförmiger Zellen mit nur einem Zell-kern. Die Aktin- und Myosin-Filamentesind nicht so streng geordnet und bildeneinen recht lockeren kontraktilen Apparatparallel zur Längsachse der Zelle. Derkontraktile Apparat ist nicht so schnell wieder in quergestreifter Muskulatur, jedochkann er sich viel stärker verkürzen.

Der Herzmuskel (Myocard) ist wie derSkelettmuskel quergestreift, arbeitet je-doch ebenfalls unwillkürlich, also ohnebewusstes Zutun. Die quergestreiftenMuskelfaserbündel sind im Myocard je-doch kreuzweise angeordnet. Dadurchbesitzt das Herz seine einmalige Ausdauerund Kraft. Herzmuskeln bestehen nichtaus sogenannten Syncitien, wie dies beider Skelettmuskulatur der Fall ist, sondernEinzelzellen mit einem einzigen Zellkern.Diese sind am Ende durch Interkalations-scheiben verbunden. Das Myocard ziehtsich ungefähr 70-mal in der Minute zu-sammen und arbeitet unter der Kontrolledes autonomen Nervensystems.

Kontraktion der quergestreiftenMuskulatur

Ein quergestreifter Muskel verkürzt sichbei der Kontraktion fast um ein Drittel sei-ner ursprünglichen Länge, basierend aufdem sogenannten Gleitfasermodell (slidingfilament model). Dieses Modell hat fol-gende Charakteristika: 1) Die Länge derdicken und dünnen Filamente ändert sichbeim Kontraktionsvorgang nicht. 2) Statt-dessen nimmt die Länge des Sarkomersbei der Kontraktion ab, weil die beidenArten von Filamenten stärker überlappen.Die dicken und dünnen Filamente schie-ben sich bei der Kontraktion ineinander. 3)Die Kontraktionskraft entsteht durch einenProzess, der aktiv einen Filamenttyp anden benachbarten Filamenten des ande-ren Typs vorbeigleiten lässt.

Das Gleiten der dicken und dünnen Fila-mente im Muskel beinhaltet einerseits eineWechselwirkung zwischen Aktin und Myo-sin und andererseits die Hydrolyse vonATP (Adenosin-5´-triphosphat) in ADP(Adenosin-5´-diphosphat) und Pi (anorga-nisches Phosphat), wobei Energie freiwird. Die Kontraktionskraft entsteht durchzyklische Bildung und Dissoziation vonKomplexen zwischen Aktin und den Myo-sinköpfen, die jeweils mit einer Reihe vonKonformationsänderungen an den Myo-sinköpfen verbunden sind.

Nachfolgend soll ein möglicher plausiblerMechanismus für die Krafterzeugung beider Muskelkontraktion dargestellt werden:Die S1-Köpfe sind im ruhenden Muskelvon den dünnen Filamenten gelöst(Abb. 4, rechts unten). ADP und Pi sind indieser Phase an den S1-Kopf gebunden.Nach erfolgtem Muskelreiz lagern sich dieS1-Köpfe vom dicken Filament aus an dieAktineinheiten der dünnen Filamente an(Abb. 4, links unten). Daraufhin verlässtzunächst Pi und dann ADP den Actomyo-sin-Komplex und es kommt zur Konforma-tionsänderung am S1-Kopf des Myosins.Dies bewirkt eine Lageveränderung vonS1 relativ zu Aktin in Verbindung mit demKraftschlag (power stroke) der Muskel-kontraktion (Abb. 4, links oben). Das dün-ne Filament wird über eine Strecke vonetwa 7,5 nm gezogen (Abb. 4, Mitte oben).Die nachfolgende Bindung von ATP amS1-Kopf bewirkt eine sehr schnelle Ablö-sung des S1-Kopfes vom Aktin (Abb. 4,rechts oben). Mittels Hydrolyse von ATPzu ADP und Pi am freien Myosinkopf wirddie Konformationsänderung (Abb. 4,rechts unten) wieder rückgängig gemacht,womit der S1-Kopf für die nächste Wech-selwirkung mit dem dünnen Filament wie-der bereit (gespannt) ist.

Der physiologische Regulator der Muskel-kontraktion ist Ca2+. Im ruhenden (ent-spannten) Stadium des Skelettmuskelswird Ca2+ von einem aktiven Transport-system in das sarkoplasmatische Reticu-lum, eine Spezialform des endoplasmati-schen Reticulums, befördert. Diese ATP-getriebene Pumpe erniedrigt die Ca2+-Konzentration im Cytosol auf weniger als1 µM. Wird mittels eines Nervenimpulses

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Ca2+ aus den Speichern des sarkoplasma-tischen Reticulums freigesetzt, so steigtdie cytosolische Ca2+-Konzentration umetwa das Tausendfache an und führtschließlich zur Muskelkontraktion. DerEffekt von Ca2+ auf die Wechselwirkung

zwischen zwischen Aktin und Myosin wirdletztendlich von Tropomyosin und Tropo-nin vermittelt, die im dünnen Filament lo-kalisiert sind und etwa ein Drittel seinerMasse ausmachen.

Abb. 4: M

Im ruheBindungbesetzt,sind. WmatischBindungKonformnalen Dder carbse Strusich auTroponi

Ca2+

Erkrank(Myopa

ErkrankMenschAus die

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echanismus der Krafterzeugung bei der Muskelkontraktion

nden Muskel sind die hochaffinensstellen von Troponin C mit Ca2+

während die niedrigaffinen freiird nun Ca2+ aus dem sarkoplas-en Reticulum frei, besetzt es diesstellen niedriger Affinität, was zurationsänderung der aminotermi-omäne führt, die aufgrund dessenoxyterminalen ähnlicher wird. Die-

kturänderung von TN-C überträgtf die anderen Komponenten desnkomplexes und schließlich auf

Tropomyosin. Wahrscheinlich bestimmtdas langgestreckte TN-T die Lage vonTropomyosin auf dem dünnen Filament inder Nähe der Berührungsfläche zwischenAktin und dem S1-Kopf von Myosin. Be-reits eine geringe Lageverschiebung vonTropomyosin kann dann die Bindung vonAktin an den S1-Kopf von Myosin starkbeeinträchtigen. Offensichtlich kontrolliertCa2+ die Muskelkontraktion über einen al-losterischen Mechanismus mit folgendemInformationsfluss:

Troponin Tropomyosin Aktin Myosin.

ungen des Muskelsthien)

ungen des Muskels kommen bei und Tier sehr vielschichtig vor.sem Grunde sollen nachfolgend

nur die wichtigsten Myopathien im Rah-men dieses Beitrages behandelt werden.

Angeborene erbliche Muskeldystrophie.Von den angeborenen erblichen Muskel-dystrophien sind die angeborenen diäteti-schen Myopathien abzugrenzen, die bei-

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spielsweise durch ernährungsbedingteMängel mütterlicherseits zu Schäden beiNeugeborenen führen. Kennzeichnend fürdie Muskeldystrophie sind die Muskel-schwäche und die Progressivität des Lei-dens in der befallenen Muskelgruppe mitsich anschließender Atrophie (Muskel-schwund). Die Regeneration fehlt oder istnur fehlerhaft ausgeprägt.

Beim Menschen sind die Muskeldystro-phien vom Typ Duchenne (DMD) und vomTyp Becker Kiener (BMD) die beidenwichtigsten Formen. Beide beginnen imBereich des Beckengürtels und der Ober-schenkelmuskulatur. Während die Mus-keldystrophie vom Typ Duchenne schonim Kleinkindalter beginnt, rasch voran-schreitet und im frühen Erwachsenenalterimmer zum Tode führt, nimmt die Muskel-dystrophie vom Typ Becker-Kiener einenwesentlich günstigeren Verlauf (VOET undVOET, 1992).

Das Gen, dessen Defekt DMD und BMDhervorruft, konnte vor einigen Jahren iden-tifiziert und kloniert werden. Das Gen co-diert ein Protein namens Dystrophin (3685Aminosäuren), das wahrscheinlich zurFamilie der stäbchenförmigen Proteinegehört, wie auch die Aktin bindendenCytoskelett-Komponenten Spectrin und α-Aktinin (eine Komponente der Z-Scheiben). Dystrophin ist mit der innerenOberfläche der Muskel-Plasmamembranassoziiert, wo es wahrscheinlich spezielleMembranglykoproteine verankert. DMD-Patienten besitzen kein nachweisbaresDystrophin im Muskel. Bei BMD-Patientenist die Größe des Dystrophin-Molekülsverändert und dadurch dessen Funktionteilweise gestört.

Ähnliche Arten von Muskeldystrophien fin-det man zum Beispiel bei Merinoschafen,und bei Geflügel (Huhn, Puten, Enten),bevorzugt im Bereich des Schulter- undBeckengürtels, aber auch bei Heimtieren(Hund, Katze).

Belastungsmyopathien. Als Belastungs-myopathien werden Muskelveränderungenbezeichnet, die bei belastungs-empfindlichen Säugetieren nach plötzli-chen neuromotorischen Anforderungenoder nach Aufregungszuständen ent-

stehen und im wesentlichen auf Störungendes Energiestoffwechsels in der Muskula-tur zurückgehen. Sie werden als Fleisch-qualitätsmängel, latente Myopathien, Mus-keldegenerationen und -nekrosen undkardiovaskuskuläre Störungen sichtbarund erlangen ökonomische Bedeutung.Belastungsmyopathien treten vorwiegendbei Schweinen in folgenden Erschei-nungsformen auf: PSE-Muskulatur, be-lastungsbedingte Herz- und Skelettmus-keldegeneration sowie akute Rücken-muskelnekrose.

Bei PSE-Muskulatur (pale, soft, exudative= blass, weich, wässrig) handelt es sichum eine Störung des Energiestoffwech-sels, die sich vorzugsweise in einer Ab-weichung der postmortal ablaufendenProzesse in der Muskulatur äußert. DaPSE-Veränderungen jedoch bereits im le-benden Zustand präformiert sind und sichim betroffenen Muskel auch am lebendenTier spezifische Störungen nachweisenlassen, wird ihnen der Charakter einersubklinischen bzw. latenten Belastungs-myopathie zugeschrieben. Schweine mitsehr hohem Magerfleischanteil, insbeson-dere starker Betonung der Rücken-, Mus-kel- und Schinkenausprägung weisenhäufiger Abweichungen in der Fleischqua-lität mit PSE-Eigenschaften auf.

Bei stressempfindlichen Schweinerassenmit starker Muskelhypertrophie ist die ge-netische Veranlagung zum Malignen-Hyperthermie-Syndrom (MHS) in der Re-gel mit hoher Frequenz vertreten. MHSsteht unter anderem im Zusammenhangmit einer Punktmutation im Gen des Ry-anodin-Rezeptors, einem Calcium-Kanaldes sarkoplasmatischen Reticulums. Wirddurch Transition in Postition 1843 des Ry-anodin-Rezeptor-Locus Cytidin durchThymidin ersetzt, so wird in der Folge einProtein exprimiert, das in Position 615 an-stelle der Aminosäure Arginin ein Cysteinaufweist. Das Vorhandensein dieserPunktmutation, die sich mit Hilfe derPolymerase-Kettenreaktion nachweisenlässt, hat weitreichende Auswirkungen aufdie Regulation des Calcium-Haushalts inden Muskelzellen und bedingt geradebeim Schwein eine hohe Stressanfälligkeitin Verbindung mit der Ausbildung von

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PSE-Fleisch. Mit dem Defektallel homozy-got behaftete Tiere prägen unter Narkosemit starken Triggersubstanzen (z. B. Ha-lothanen) einen allgemeinen Muskel-krampf, verbunden mit starker Absenkungdes Blut-pH-Wertes aus. Heterozygotmutierte Tiere weisen dieses Phänomenim Allgemeinen nicht auf und werden des-halb in der Schweinezucht gemeinsam mitden homozygot negativen Tieren als„stressunempfindlich“ bezeichnet.

Die akute Muskelnekrose ist eine einmaligoder in Schüben verlaufende genetischbedingte schwere Muskelerkrankung, dienach Belastungssituationen bei empfindli-chen Tieren plötzlich eintritt und durch um-fangreiche Nekroseherde in der Rücken-und Oberschenkelmuskulatur gekenn-zeichnet ist. Durch die auftretenden aku-ten Massennekrosen kommt es zur star-ken Muskelschmerzen und -schwellungen,wobei die erkrankten Schweine eine seitli-che oder dorsale Krümmung des Rückenszeigen („Bananenkrankheit“). Die Krank-heit wurde zuerst in Belgien beschrieben,ist jedoch in zahlreichen europäischenLändern mit intensiver Schweine-produktion bekannt. Durch Ruhigstellungder Tiere und Verabreichung von Kreis-laufmitteln, Vitaminkonzentraten undLangzeitkortikoiden im akuten Stadium istdie Krankheit heilbar. Überlebende Tierezeigen entweder eine narbige Ausheilung,Einlagerung von Bindegewebe, Abzehrungder betroffenen Muskelbereiche oderVerbleib des abgestorbenen Gewebes inder Muskulatur.

Ausblick

Die Forschung in der Muskelbiochemiewar in der Vergangenheit hauptsächlichdamit befasst, Struktur und Funktion desMuskels aufzuklären. Dennoch existiertnoch immer eine ganze Reihe von Mus-kelproteinen, die nicht eindeutig mit Blickauf ihre Struktur-Funktions-Beziehung zu-geordnet werden können. Bis zum heuti-gen Tag wird beispielsweise die Um-wandlung von chemisch gebundener inmechanische Energie im Verlauf der Mus-kelkontraktion nicht schlüssig verstanden,so dass auch für die Zukunft in diesemRahmen ein umfangreiches Pensum anForschungsaufwand zu betreiben seinwird. In Anbetracht dessen, dass die Bio-technologie als Schlüsseltechnologie des21. Jahrhunderts bereits Einzug in man-nigfaltige Bereiche der Forschung wie Me-dizin, Pharmakologie, Umwelt, Landwirt-schaft und Lebensmittelproduktion Einzuggehalten hat, wird diese Disziplin auch imFleischbereich zunehmend Raum ein-nehmen, um Qualität und Quantität derProduktion unter Anwendung der Genom-diagnostik, gentechnischer Methoden fürdie DNA-Rekombination und modernerReproduktionstechnologien zu verbessern.Es bleibt zu hoffen, dass sich auf diesemWege zusätzliche Möglichkeiten eröffnen,die es erlauben, weitere wichtige Erkennt-nisse hinsichtlich der Struktur und Funkti-on der Muskulatur zu schöpfen.

Weiterführende Literatur

COHEN, C. (1975): The Protein Switch ofMuscle Contraction. Sci. Amer. 233/5,36.

DÄMMRICH; K. (1991): Skelettmuskulatur, in:Pathologie der Haustiere – Organverän-derungen (ed. Schulz, L.-C.) GustavFischer Verlag, Jena, Teil I, 758

HONIKEL K.O. und F. SCHWÄGELE (1998):Biochemische Prozesse der Fleischbil-dung, in: Fleisch und Fleischwaren,(eds. Branscheid, W., Honikel, K.O., vonLengerken, G., Troeger, K.) DeutscherFachverlag, Frankfurt am Main, 593.

LEHNINGER, A., NELSON, D.L. and M.M.COX (1994): Prinzipien der Biochemie,Spektrum Akademischer Verlag, Heidel-berg, Berlin, Oxford.

STRYER, L. (1991): Biochemie, SpektrumAkademischer Verlag, Heidelberg, Ber-lin, New York.

VOET, D. und VOET, J.G. (1992): Biochemie,VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim,Deutschland.

WANG, K. (1995): Titin and nebulin: Giantmultitasking protein rulers in muscle, inThe cytoskeleton, (eds. Jockusch, Man-delkow, Weber), Springer Verlag, Berlin,Heidelberg, 93.