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Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre verlag das netz

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Thüringer Bildungsplan

für Kinder bis 10 Jahre

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Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur

Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre

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Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur

Thüringer Bildungsplan

für Kinder bis 10 Jahre

verlag das netzWeimar · Berlin

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Der Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre wurde von einem Konsortium erarbeitet, dem fol-gende Mitglieder angehörten: Prof. Dr. Ada Sasse (Leitung), Prof. Dr. Ana Dimke, Prof. Dr. Roland Mer-ten, Prof. Dr. Regina Möller, Prof. Marianne Steffen-Wittek, Dr. Simone Börner und Thomas Buchholz M. A.Als Vertreterin des ThILLM war beteiligt Dr. Ulrike Linkner.

Die Erarbeitung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit einem Fachbeirat.Mitglieder des Fachbeirats waren:Beutel, Susanne; Böhm, Cordula; Dr. Brockhausen, Paul; Brodowski, Michael; Busch, Rolf; Dr. Delle-mann, Kerstin; Driesel-Lange, Katja; Dubiel, Martina; Ehrenberg, Renè; Eichler, Christiane; Engelhardt,Cordula; Engelstädter, Steffi; Exel, Astrid; Fischer, Julia Gerber, Ulrike; Gries, Karin; Grube, Annelie; Har-tung, Gitta; Jünemann, Steffi; Kascholke, Christine; Kießling, Gabriele; Dr. Klass, Detlef; Klemm, Ute; Dr.Lewe, Hanne; Leyh, Marita; Schwester Müller, Theresita Maria; Nossen, Wolfgang M.; Richter, Steffen;Dr. Rißmann, Michaela; Seeland, Veronika; Stephan, Viola; Surber, Katy; Thiele, Dörthe; Weise, Peter.

Herausgeber:Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Werner-Seelenbinder-Straße 7 99096 Erfurt Telefon: (0361) 3794633 E-Mail: [email protected] Internet: www.tmbwk.de

Stand: August 2010

ISBN 978-3-937785-87-5

An dem Text des Bildungsplans besteht kein Urheberrechtsschutz nach § 5 UrhG.Auf das Veränderungsverbot am Text des Bildungsplans entsprechend § 62 Abs. 1 UrhG und die Ver-pflichtung zur Quellenangabe entsprechend § 63 Abs. 1 und 2 UrhG wird hingewiesen.Davon unberührt bleibt der Urheberrechtsschutz der Leistungen des Verlages. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung nicht zuläs-sig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen unddie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Publikation darf außerdem nichtals Parteienwerbung oder für Wahlkampfzwecke verwendet werden.© 2008 verlag das netz, Weimar, Berlin

Layout/Herstellung: verlag das netz, Weimar · BerlinGestaltung: Jens Klennert, Tania MiguezDruck: Colordruck, ZwickauTitelbild: Simon, 3,1 Jahre, aus: »Apfel und Mond«, einer Ausstellung von Arbeiten aus der Krippe Torn-quiststraße, Vereinigung Hamburger KindertagestättenPrinted in GermanyWeitere Informationen finden Sie unter www.verlagdasnetz.de.

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Vorwort 9

Einleitung 10

1 Erziehungswissenschaftliche Grundlagen 13

1.1 Bildungsverständnis 14

Bildung als tätige Auseinandersetzung mit der Welt 14Dimensionen von Bildung 17Bildungswelten und Bildungsgelegenheiten 18Konsequenzen für die Gestaltung des Bildungsplans 20

1.2 Individuelle Unterschiede und soziale Vielfalt 22

Sozioökonomische Vielfalt 23Soziokulturelle Vielfalt 23Weltanschauung und Religiösität 24Gender 24Behinderung und Entwicklungsrisiken 25Hochbegabung 25Resilienz 26

1.3 Bildungskulturen 27

Kinderrechte, Kinder- und Jugendschutz 27Teilhabe und Mitbestimmung (Partizipation) 29Spiel 31Lernen 34Literacy-Erziehung 35

1.4 Gestaltung von Übergängen 37

Von der Familie in die Institutionen frühkindlicher Bildung 37Von den Institutionen frühkindlicher Bildung in die Schule 38Auf dem Weg von der Grundschule in die weiterführende Schule 40

1. 5 Kooperation mit Eltern – Erziehungspartnerschaft 42

Inhaltsverzeichnis

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Inhalt

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2 Bildungsbereiche 45

2.1 Sprachliche und schriftsprachliche Bildung 46

Präambel 46Kontexte sprachlicher und schriftsprachlicher Bildungsprozesse 46Basale sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse 47Elementare sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse 48Primare sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse 49Tabelle Basale sprachliche und schriftsprachliche Bildung 50Tabelle Elementare sprachliche und schriftsprachliche Bildung 53Tabelle Primare sprachliche und schriftsprachliche Bildung 56

2.2 Motorische und gesundheitliche Bildung 61

Präambel 61Kontexte motorischer und gesundheitlicher Bildung 62Basale motorische und gesundheitliche Bildungsprozesse 63Elementare motorische und gesundheitliche Bildungsprozesse 64Primare motorische und gesundheitliche Bildungsprozesse 65Tabelle Basale motorische und gesundheitliche Bildung 66Tabelle Elementare motorische und gesundheitliche Bildung 69Tabelle Primare motorische und gesundheitliche Bildung 73

2.3 Naturwissenschaftliche und technische Bildung 77

Präambel 77Kontexte naturwissenschaftlicher und technischer Bildung 78Basale naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse 78Elementare naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse 79Primare naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse 80Tabelle Basale naturwissenschaftliche und technische Bildung 82Tabelle Elementare naturwissenschaftliche und technische Bildung 86Tabelle Primare naturwissenschaftliche und technische Bildung 91

2.4 Mathematische Bildung 97

Präambel 97Kontexte mathematischer Bildungsprozesse 98Basale mathematische Bildungsprozesse 98Elementare mathematische Bildungsprozesse 99Primare mathematische Bildungsprozesse 100Tabelle Basale mathematische Bildung 101Tabelle Elementare mathematische Bildung 103Tabelle Primare mathematische Bildung 106

2.5 Musikalische Bildung 110

Präambel 110Kontexte musikalischer Bildungsprozesse 110Basale musikalische Bildungsprozesse 111Elementare musikalische Bildungsprozesse 111

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Inhalt

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Primare musikalische Bildungsprozesse 112Tabelle Basale musikalische Bildung 113Tabelle Elementare musikalische Bildung 116Tabelle Primare musikalische Bildung 119

2.6 Künstlerisch gestaltende Bildung 122

Präambel 122Kontexte künstlerisch-gestaltender Bildungsprozesse 122Basale künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse 123Elementare künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse 123Primare künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse 124Tabelle Basale künstlerisch-gestaltende Bildung 126Tabelle Elementare künstlerisch-gestaltende Bildung 129Tabelle Primare künstlerisch-gestaltende Bildung 133

2.7 Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung 136

Präambel 136Kontexte soziokultureller, moralischer und religiöser Bildungsprozesse 138Basale soziokulturelle, moralische und religiöse Bildungsprozesse 139Elementare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildungsprozesse 140Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildungsprozesse 140Tabelle Basale soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung 142Tabelle Elementare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung 146Tabelle Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung 151

3. Qualitätsmanagement in pädagogischen Kontexten 157

3.1 Pädagogische Qualität 158

3.2 Entwicklungsfelder pädagogischer Qualität 159

Berufliche Qualifikation und Fortbildung 159Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Entwicklung 159Partnerschaftliche Elternarbeit 162Teamleitung und Teamarbeit 163Kooperationen mit Institutionen 163

3.3 Konzeptionsentwicklung 164

Analyse der bestehenden Qualität (Ist-Zustand) 164Erstellung von Zielsetzungen (Soll-Zustand) 164Erarbeitung der Konzeption 165

3.4 Evaluation 167

Selbstevaluation 167Fremdevaluation 167

Anhang 169

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In der Kindheit werden die entscheidenden Wei-chen für die Zukunft gestellt. Das Leben einesSäuglings und Kleinkindes ist Lernen. Darauf istes von Natur aus angelegt, denn Kinder müssennahezu alles erst erlernen.

Wer Kinder in ihren ersten – lernintensiven – Le-bensjahren begleitet, hat darum eine große Ver-antwortung. Liebevolle Zuwendung und gelunge-nes erzieherisches Wirken sind in ihrem Einflussgar nicht hoch genug zu schätzen. Sie entschei-den, ob und wie erfolgreich ein junger Mensch sei-nen Weg finden wird. Erziehung und Bildung – unddies gilt insbesondere für die frühkindliche Phase– sind der Schlüssel zu einem gelingenden Leben.Sie geben Kindern die Möglichkeit, Kom-petenzenund Fertigkeiten zu entwickeln, mit de-nen sie zuselbstverantwortlich handelnden Persönlichkeitenheranreifen können.

Genau solche Persönlichkeiten braucht die Gesell-schaft des 21. Jahrhunderts, um die komplexenund weitreichenden Herausforderungen von heutebestehen zu können. Globale Probleme (sozialeUngleichheit, Armut und Hunger, begrenzte Res-sourcen und ökologische Herausforderungen) ver-langen nach kreativen, nachhaltigen Lösungen.

Deshalb sehe ich es als eine der vordringlichstenAufgaben an, die frühkindliche Bildung weiter zustärken. Eine tragende Säule in diesem Bereichstellt der Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10Jahre dar. In der vorliegenden überarbeiteten Fas-sung ist er die erziehungswissenschaftliche Grund-lage für all jene Menschen, die erzieherisch tätigsind. Übersichtlich nach Bildungsbereichen geglie-dert, wird gut nachvollziehbar, wie Kinder im ers-ten Lebensjahrzehnt grundlegende Bildungserfah-rungen machen. Der Plan stellt dabei die früh-kindliche Bildung auf ein wissenschaftliches Fun-dament. Aus diesen theoretischen Erkenntnissenleitet er wichtige Impulse für die pädagogischePraxis her.

Der Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahremacht neuerlich klar, dass Erziehung und Bildungäußerst anspruchsvolle Aufgaben sind. In liebe-voller Weise stellen sich die Eltern dieser wichti-gen und schönen Herausforderung. So ist dieFamilie der erste Ort, an dem Kinder lernen. Hierwird das Fundament für ihre Erziehung und Bil-dung gelegt. Entscheidend unterstützt und er-gänzt wird die familiäre Erziehung durch Kinder-gärten, Schulen und andere pädagogische Ein-richtungen.

Es ist ein Anliegen unserer Bildungspolitik, daserzieherische Zusammenwirken von Eltern undöffentlichen Einrichtungen zu festigen und zu ver-bessern. Dieser Gedanke geht übrigens auf Fried-rich Fröbel, den großen Thüringer Pädagogen, zu-rück. Er sprach von der »Erziehungspartnerschaft«zwischen Eltern und öffentlichen Einrichtungenfrühkindlicher Bildung und Erziehung. Ganz imSinne Fröbels werden wir dafür sorgen, dass Kin-dertagesstätten zunehmend auch zu Zentren desAustauschs über Erziehungsfragen und der Famili-enberatung werden. Unsere Maßnahmen zur Ver-besserung der Betreuungsqualität und der Rechts-anspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem voll-endeten 1. Lebensjahr untermauern dieses An-liegen.

Friedrich Fröbel sprach davon, »freie, denkende,selbsttätige Menschen« zu bilden – und das ohneAnsehen von Stand und Herkunft, so ist zu er-gänzen. Bildung bietet die einmalige Chance, so-ziale Ungerechtigkeiten zu überwinden. LassenSie uns gemeinsam diese Chance ergreifen undalle Kinder in bestmöglicher Weise fördern!

Christoph Matschie

Thüringer Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur

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Vorwort

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»Die Natur will, dass Kinder Kinder sind, bevor siezum Erwachsenen werden.« Dieser Satz steht amAnfang in Rousseaus Erziehungsroman »Emile« –und damit am Anfang der modernen Pädagogik.Dieser Grundgedanke einer ›Pädagogik vom Kindeaus‹, wie es später in der reformpädagogischenTradition der Erziehungswissenschaft heißen wird,ist das Fundament aller pädagogischen Bemühun-gen, sei es in der Theorie oder in der Praxis. Dasist ihr gemeinsamer Bezugspunkt.

Der Bezug auf das Kind und seine Art der Welter-fassung bedeutet jedoch nicht, dass damit gesell-schaftliche Anforderungen ausgeblendet oder garignoriert würden. Vielmehr kommt es darauf an,beide miteinander in Einklang zu bringen. Kinderleben nun einmal in der Gesellschaft, in der sieleben, und in dieser müssen sie sich zurechtfin-den. Aber sie haben zugleich ein Recht auf eineeigene Zukunft – und damit auch auf die Gestal-tung dieser Zukunft. Anpassung und Veränderungsind damit die beiden Seiten derselben pädago-gischen Medaille. Hier zu einem ausgewogenenund angemessenen Verhältnis zu kommen, ist diezentrale Herausforderung. In der Erziehungswis-senschaft hat sich zur Bestimmung dieser Aufga-be der Begriff der Bildung fest etabliert. In ihmsind sowohl das Eigenrecht des Kindes auf seineArt der Wirklichkeitserfassung aufgehoben alsauch die gesellschaftlichen Anforderungen, denenes gerecht werden muss. Insofern ist es nur kon-sequent, einen Thüringer Bildungsplan für Kinderbis 10 Jahre vorzulegen.

Die strenge Konsequenz, mit der in diesem Bil-dungsplan vom Kinde aus gedacht und aus derkindzentrierten Perspektive Bildungsangebote ent-worfen werden, zeichnet den Thüringer Bildungs-plan für Kinder bis 10 Jahre als einen der ›zweitenGeneration‹ (Fthenakis) aus. Nur wenn das Kindim Zentrum der Aufmerksamkeit steht und seinePerspektive eingenommen wird, lassen sich zu-gleich die Anschlüsse an seine Lebensrealität her-stellen, ohne die andere Seite der Bildung, dasGesellschaftliche, aus dem Blick zu verlieren. Aufdiese Weise wird zugleich das Recht des Kindes,

werden seine Anforderungen an die Gesellschaftauf angemessene Bildungsbedingungen und -in-halte unterstrichen. Der kindzentrierte Fokus lässtdas organisationstheoretische Denken in pädago-gischen Institutionen hinter sich und überschreitetdie inhaltlichen Grenzen bestimmter pädagogi-scher Ansätze. Der Thüringer Bildungsplan für Kin-der bis 10 Jahre berücksichtigt daher formelle, in-formelle und formale Bildungsprozesse gleicherma-ßen. Er ist deshalb institutionenübergreifend undkonzeptneutral angelegt.

Die vorliegende Fassung des Bildungsplans er-streckt sich auf das gesamte erste Lebensjahr-zehnt eines Kindes. Gerade in dieser Zeit lassensich bei Kindern ebenso rasante wie nachhaltigeEntwicklungs- und Lernprozesse verzeichnen. Willman sich dabei mit Blick auf stattfindende Bil-dungsprozesse nicht auf ebenso eindeutige wieumstrittene Altersangaben festlegen, bietet essich aus pädagogischen Gründen an, in Bildungs-phasen zu denken. Im Bildungsplan wird klassischvon basaler, elementarer und primarer Bildungausgegangen – allerdings ohne Fixierung auf einbestimmtes Alter oder eine spezifische Institution.Vielmehr geht es um Entwicklungs- bzw. Bil-dungsaufgaben, die zur Bewältigung anstehen –und zwar für jedes Kind in seiner jeweiligen Be-sonderheit. Ein Bildungsplan, der für alle ThüringerKinder Geltung beansprucht, muss auch allenBesonderheiten und Unterschiedlichkeiten gerechtwerden, seien es Kinder mit oder auch ohne Be-hinderungen, Hochbegabungen oder sozialen Be-nachteiligungen, Jungen oder Mädchen. Nur aufdiese Weise ist es möglich, zugleich der theoreti-schen Einsicht in Heterogenität praktische Bedeu-tung zuteil werden zu lassen.

Bildung vollzieht sich an konkreten Gegenständenund in bestimmten Situationen. Dieser Einsichtwird im Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10Jahre Rechnung getragen. Anhand einer prakti-schen Tabellenübersicht werden zunächst drei Bil-dungsdimensionen entfaltet, nämlich die perso-nale, die soziale und die sachliche Dimension. Beialler personalen Besonderheit darf nicht überse-

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Einleitung

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hen werden, dass Menschen immer schon in so-zialen Kontexten leben und (vor dem Hintergrunddes gesellschaftlichen Entwicklungsstandes) mitbestimmten sachlichen Anforderungen konfron-tiert sind. Diese gilt es, für die erwähnte Entwick-lungslogik (basale, elementare und primare Bil-dung) auszuleuchten. Damit wird ein Grundgerüstgeliefert, das für die Strukturierung praktischerpädagogischer Arbeit in den ersten zehn Lebens-jahren außerordentlich hilfreich ist. Aber diesesGerüst muss selbst mit Inhalten, mit Leben gefülltwerden. Um hier einem praktischen Bedürfnis ent-gegenzukommen, werden die sieben zentralenBildungsbereiche, mit denen ein Kind in der mo-dernen Gesellschaft immer konfrontiert ist, diffe-renziert dargestellt. Sie bieten Hinweise und Anre-gungen für die konkrete Arbeit mit Kindern.Selbstverständlich kann ein solches Raster nichtalles enthalten, was pädagogisch denk- undmachbar ist; es geht vielmehr um eine exemplari-sche Einführung. Die Grenzen der Darstellung, d.h.die separierte Ausführung zu den einzelnen Bil-dungsbereichen, dürfen nicht darüber hinwegtäu-schen, dass diese Bereiche inhaltlich eng mitein

ander verwoben sind und in der alltäglichen Pra-xis zumeist aus didaktischen Gründen auseinan-dergehalten werden.

Nun ist mit den vorstehenden Ausführungen einProgramm entworfen worden, das in pädagogi-scher Hinsicht außerordentlich anspruchsvoll, jaherausfordernd ist. Der Thüringer Bildungsplan fürKinder bis 10 Jahre ist ein umfassendes Konzeptkindlicher Bildung, und zwar für Kopf, Herz undHand (Pestalozzi). Wenn er mit seinen theoreti-schen Grundlagen und vielfältigen inhaltlichenAnregungen dazu beiträgt, dass eine Pädagogikvom Kinde aus möglich und wirklich wird, ist erauf der Höhe der Zeit. Mit weniger dürfen wir uns– sei es als Eltern, als Pädagogen oder einfach alsinteressierte Zeitgenossen – im Interesse aller Kin-der im Freistaat Thüringen nicht zufrieden geben.

Prof. Dr. Ada SasseVorsitzende des Konsortiums des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre

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Erziehungswissenschaftliche Grundlagen

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Kinder wachsen in der modernen Gesellschaft im-mer in einem von Menschen gestalteten und ge-formten Rahmen auf. Diese Gestaltung beziehtsich einerseits auf die natürliche Umwelt, anderer-seits auf die Form des Zusammenlebens. Ein der-art von Menschen geformter Rahmen heißt Kultur.Wo immer Menschen zusammenleben, bilden sichspezifische Kulturen heraus; es gibt also nicht nureine Kultur. Um Wissen über die und Orientierunginnerhalb der Kultur zu erwerben, in die ein Menschgeboren wird, ist er auf Erziehung angewiesen –sei es in natürlichen Kontexten der Familie, sei esin eigens dafür geschaffenen Institutionen.

Erziehung ist ein bewusst gestalteter Prozess, indem von einer Generation zur nächsten die kultu-rellen Bestände (Wissen, Einstellungen, Werte, usw.)weitergegeben werden. Während Erziehung mit zu-nehmender Entfaltung der Identität eines Men-schen an Bedeutung verliert und im Respekt vorder Persönlichkeit zu einem natürlichen Ende ge-langt, ist Bildung ein Prozess, der mit der Geburtbeginnt und im gesamten Leben eines Menschenbedeutsam bleibt. Bildung ist also (zunächst) aufErziehung angewiesen, sie geht jedoch nicht in ihrauf. Sie ist insofern das umfassendere Phänomen,mit dem die Perspektive des Sich-Bildenden inden Vordergrund tritt. Bildung ist und ermöglichtdas bewusste und begründete Entscheiden in derjeweiligen Gesellschaft, in der jeweiligen Kultur.

Bildung als tätige Auseinandersetzung mitder Welt

Neugierig und forschend erschließt sich das Kinddie Welt. Es setzt sich mit ihr auseinander, erfährtund begreift das Geschehen um sich herum. DerThüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre

sieht sich deshalb dem Wort Humboldts verpflich-tet, das Bildung als »die Verknüpfung unsres Ichsmit der Welt«1 umschreibt. Damit ist Bildung einvom Kind ausgehendes aktives Geschehen, in dasIndividualität und Sozialität gleichermaßen einge-bunden sind. Das bedeutet, Bildung als einen of-fenen und unabschließbaren Prozess zu verstehen:

• Offen ist dieser Prozess, weil sich jedes Kind aufseine je eigene Weise mit der Welt auseinan-dersetzt. Das Kind wird als Akteur des Bil-dungsprozesses ernst genommen. Es wird nichtauf einen Empfänger vorgegebener Inhalte redu-ziert. Selbsttätig und selbstbestimmt machensich Kinder je eigene Bilder von der Welt. In die-ser Auseinandersetzung wird jedes Kind alseigenständige Persönlichkeit ernst genommen.Seine Suchbewegungen und Fragen an die Weltwerden von der anerkennenden und wertschät-zenden Haltung seiner Umwelt begleitet. Ineiner anregungsreichen und alle Sinne betref-fenden Umwelt werden Bildungsprozesse geför-dert und mit Blick auf die Bedürfnisse und Inter-essen des Kindes unterstützt. Die Bildungspro-zesse des Kindes werden damit nicht alleingesellschaftlichen bzw. späteren arbeitsmarktre-levanten Erfordernissen untergeordnet. DerLebensphase Kindheit wird vielmehr eine eigen-ständige Bedeutung beigemessen. Bildung voll-zieht sich in einem Prozess und meint damitnicht nur das Ergebnis des Lernens. Im Vorder-grund steht deshalb der Weg des Suchens undLernens des Kindes. Bildung ist somit der Indi-vidualität jedes einzelnen Kindes in seinerunverwechselbaren Einzigartigkeit des Fragens,Forschens, Erkennens und Suchens verpflichtet.

• Unabschließbar ist dieser Prozess, weil eine tätigeAuseinandersetzung mit der Welt nie zu einem

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1.1 Bildungsverständnis

1 Humboldt, Wilhelm von (1960): Werke in fünf Bänden. Erster Band: Schriften zur Anthropologie und Geschichte. Berlin: Rütten und Loe-ning, S. 236.

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Endpunkt gelangen kann. Der Mensch muss sichimmer wieder neu und ein Leben lang auf dieWelt einlassen. Damit ändert sich immer wiederauch das Bild, das er sich von sich selbst, denanderen und der Welt macht. Die Bedeutung derWelt und der Sinn für sich selbst ändern sich injeder neuen Lebenslage. Jede neue Erfahrungwirft ein neues Licht auf Sinn und Bedeutungvon Welt. Damit ändert sich auch die Verortungdes eigenen Selbst in dieser Welt. Bildung er-folgt somit nicht linear. Auch der Umgang mitWidersprüchlichkeiten und Unklarheiten spieltdabei eine wichtige Rolle. Bereits früh werdendie Freude an und die Fähigkeit zu selbstbe-stimmtem Lernen wirksam. Die Fähigkeit, eige-ne Fragen zu entwickeln und nach Antworten zusuchen, kann durch eine wertschätzende undermutigende Atmosphäre unterstützt werden. Zu-nehmend bildet sich dann die Fähigkeit heraus,selbstgesteuert und aktiv sich Wissen und Kön-nen anzueignen sowie eigene Stärken und Schwä-chen einschätzen zu können. Bildung ermöglichtes, die Welt immer neu und immer wieder an-ders – von Geburt an bis zum Lebensende – zubefragen, zu erschließen und zu begreifen.

Grundlegend sind diese Prozesse, weil von ihnendie Breite gegenwärtiger und auch zukünftigerErfahrungen abhängt. Die Möglichkeit, eigene Ho-rizonte zunehmend zu erweitern, ist an die Fülleund an die Qualität früher Erfahrungen gebunden.Zentral ist hierbei die Sprache, die Welt auf-schließt und begreifbar macht. Das betrifft eben-so die Sichtweise auf sich selbst wie auch dasVerständnis seiner selbst als Teil der Welt. DieSichtweisen auf die Welt und auf sich selbsterweitern und vervielfältigen sich ständig. Es istdaher wichtig, Bildungsprozesse entwicklungsge-recht und von der Perspektive des Kindes aus zubetrachten. Diese Prozesse sind auf die ganze Per-son in ihrer Vielfältigkeit bezogen und in sozialeBezüge verwoben. Alle Sinne und alle Bereichedes Lebens werden in dieser Perspektive erfasst.

• Dabei geht es zunächst um den selbsttätigenund aktiven Erwerb von Wissen. Wissensinhalteergeben jedoch nur dann einen Sinn, wenn siemit der Situation des Kindes verknüpft werden.Besonders im frühen Alter geschieht das meistüber spielerische Formen der Auseinanderset-zung mit der Welt. Damit stehen nicht nur Wis-

sen und Inhalte im Vordergrund, sondern auchdie Erfahrungen, Denkmuster, Einstellungen undOrientierungen geraten schon bei frühen Bil-dungsprozessen in den Blick.

• Durch Erziehung werden Bildungsprozesse an-gestoßen und angeregt. Bildung als umfassen-deres Geschehen betont die Eigentätigkeit dessich bildenden Kindes. Bildung wird von jedemeinzelnen Individuum in seiner je eigenen Wei-se, seinem je eigenen Tempo, nach seinen jeeigenen Interessen erworben. Erwachsene tra-gen dafür Sorge, dass Bildungsprozesse positivverlaufen und gelingen können. Durch möglichstvielfältige Anregungen werden jedem Kind Er-fahrungsräume eröffnet, die alle Aspekte mensch-lichen Lebens betreffen. So stehen Bildung undErziehung in einem wechselseitigen Verhältniszueinander. Dabei nimmt Bildung den Prozessder aktiven Aneignung und damit eher das Kindin den Blick, während Erziehung stärker auf diePerspektive der (äußeren, ergebnisorientierten)Gestaltung von Bildungsprozessen abhebt undinsofern stärker die Perspektive der Erwachse-nen betont.

• Der Erwerb von Kompetenzen ist nicht alleingesellschaftlich, sondern vor allem individuell be-deutsam. Kompetenzerwerb hat nicht nur kog-nitive, sondern auch handlungspraktische Antei-le, denn Wissen und Können stehen gleichbe-rechtigt nebeneinander. Experimentierendes underforschendes Lernen, Erfahrungen durch Aus-probieren und Lernen in alltagsnahen Situationenmüssen vielfältige Lernprozesse ermöglichen.Das hier zugrunde gelegte Kompetenzverständ-nis geht davon aus, dass Kompetenzen sowohlVoraussetzung als auch Ergebnis von Bildungs-prozessen sind. Kompetenzen beschreiben dieindividuellen Voraussetzungen des Kindes inkognitiver, motivationaler, willentlicher und so-zialer Hinsicht bei der Bewältigung von Anfor-derungen. Zugleich gewinnt das Kind bei derBewältigung dieser Anforderungen neue Kompe-tenzen. Im Rahmen kindlicher Bildungsprozesselassen sich die folgenden vier Kompetenzenbenennen:

• Sachkompetenz: Das Kind erwirbt Wissen undist in der Lage, dieses Wissen mit anderen Wis-sensbeständen zu verknüpfen, in unterschiedli-

Bildungsverständnis

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chen Handlungszusammenhängen anzuwendenund zu sachlogisch begründeten Urteilen zu ge-langen.

• Methodenkompetenz: Das Kind entwickelt Lern-strategien und Arbeitstechniken und kann diesesachbezogen und situationsgerecht anwenden.

• Selbstkompetenz: Das Kind wird sich über seineGefühle, über seine Stärken und Schwächen zu-nehmend klar und lernt, auf dieser GrundlageVerantwortung zu übernehmen und verantwort-lich zu handeln.

• Sozialkompetenz: Das Kind entwickelt vielfälti-ge Möglichkeiten, mit anderen Kindern gemein-sam zu spielen, zu lernen und zu arbeiten; eshandelt solidarisch und ist in der Lage, sich imKontext der Kindergruppe zu reflektieren.

Diese Kompetenzen fließen in die lebenslange Bil-dung ein und werden im Verlauf weiter ausdiffe-renziert. Bildung umfasst jedoch mehr als dieSumme der vier Kompetenzen.

Der Erwerb von Wissen und Kompetenzen voll-zieht sich ebenso wie Erziehung in konkretenKontexten; soziale Beziehungen bestimmen dieAuseinandersetzung mit der Welt. Eltern und wei-tere Bezugspersonen legen den Grundstein fürSelbstvertrauen, für die Beziehungen zu anderenMenschen und für ein aufgeschlossenes Verhältnisgegenüber der Umwelt. Diese Beziehungen bildendie Grundlage für alle weiteren Auseinanderset-zungen mit der Welt. Denn erst im Austausch mitanderen Menschen erlebt sich das Kind als eige-ne Person und zugleich als eingebunden in sozia-le Kontexte. Aus diesem Grund spricht man auchvon Ko-Konstruktion sozialer Wirklichkeit in Bil-dungsprozessen. Wie die Welt verstanden wird,wie sich das Kind selbst in der Welt sieht – alldies erschließt sich dem Kind im Austausch mitseiner Umwelt.

Mit zunehmendem Alter erweitert sich der Perso-nenkreis, mit dem das Kind in Beziehung steht.Verwandte und Freunde, andere Kinder, Erziehe-rinnen und Lehrerinnen, Kinder aus der eigenenGruppe, ältere und jüngere Kinder – immer weiterspannen sich Beziehungen. Das Kind lernt Freund-schaften zu schließen, sich in Beziehungen selbstwahrzunehmen, aber auch eigene Meinungen undHaltungen zu entwickeln und zu äußern. Es lernt,dass man Beziehungen von sich aus gestalten

kann, dass man anderen helfen und mit ihnenkooperieren kann, dass Beziehungen nah undfern sein können – und dass nicht alle Beziehun-gen gleich liebevoll sind. Erwachsene unterstützenund begleiten individuelle Lern- und Bildungspro-zesse. Sie begegnen dem Kind mit Wärme, Auf-merksamkeit und Interesse für seine Bedürfnisse.Im Hinblick auf seine Stärken und Schwächen wer-den dem Kind pädagogische Settings geboten,die seine Entwicklung herausfordern. Vom Kindaus zu denken bedeutet auch, es in seinem Ent-wicklungsprozess weder zu unter- noch zu über-fordern. Dafür ist es notwendig, Kinder genau zubeobachten und von ihrem Stand der Entwicklungausgehend passende pädagogische Angebote zuunterbreiten. Alle am Erziehungs- und Bildungs-prozess Beteiligten – Eltern und andere Bezugs-personen – tauschen sich über das Kind undseine individuellen Wege des Lernens aus.

Zur sozialen Umwelt des Kindes gehören über denKreis der Bezugspersonen hinaus auch gesell-schaftliche Zusammenhänge. Diese kennenzuler-nen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen,stellt einen wichtigen Aspekt des Bildungsprozes-ses dar, denn eine zentrale Aufgabe von Bildungist die gelingende Teilhabe an Gesellschaft. Ge-sellschaftliche Zusammenhänge können beiläufigdurch den Kontakt mit Personen verschiedenersozialer und kultureller Hintergründe – z.B. in derKindergruppe oder in der Nachbarschaft – erfah-ren werden. Darüber hinaus werden sie z.B. durchdas Aufsuchen von Orten außerhalb der Bildungs-institution entdeckt und erkundet – etwa durcheinen Besuch bei der Gemeinde, durch Kontakt zuanderen Schulen, zu Senioren usw.

Kinder stellen schon sehr früh Fragen an die Weltund ihre Zusammenhänge. Ebenso fragen sie nachdem, was jenseits der sichtbaren Welt ist. Sie fra-gen nach Anfang und Ende, nach dem Sinn unddem Wert ihrer selbst, nach Leben und Tod. Siesind von sich aus bestrebt, ihrer Welt einen Sinnzu geben und Antworten zu finden auf Fragen, diesie beschäftigen. Erwachsene und ältere Kinder be-gegnen diesen Fragen offen und aufgeschlossen.So machen Kinder die Erfahrung, dass Konflikte,Widersprüchlichkeiten oder Belastungen zum Le-ben gehören und bewältigt werden können. Er-wachsene gehen dabei sensibel und einfühlsamauf die Fragen der Kinder nach Sinn und Bedeu-

Erziehungswissenschaftliche Grundlagen

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tung in der sie umgebenden Welt ein. Dabeierfahren Kinder, dass auch Erwachsene Fragenhaben, auf die es keine endgültige Antwort gibt.Dann kann das Kind verstehen und nachvollzie-hen, ohne überfordert zu werden. Auf dieserGrundlage gelingt die Entfaltung einer eigenver-antwortlichen Persönlichkeit, die bereit und fähigist, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen.Gleichzeitig wird der Sinn für Gemeinschaft geför-dert. Alle Kinder haben ein Recht auf Chancenge-rechtigkeit, sich als Teil der Gesellschaft zu ver-stehen und diese verantwortlich und gleichbe-rechtigt im Sinne einer nachhaltigen Entwicklungmitzugestalten.

Dimensionen von Bildung

Bildung bezeichnet den Prozess und das Ziel desBildungsprozesses: die Entwicklung einer selbst-verantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persön-lichkeit, die sich in personaler, sozialer und sach-licher Hinsicht in der Welt vorfindet und mit die-ser auseinandersetzt. In dieser doppelten Orien-tierung zielt Bildung »auf die Entwicklung undEntfaltung einer eigenen Persönlichkeit in der Ba-lance von sozialer und subjektiver Identität, in derBalance, ›zu sein wie jeder andere‹ und ›zu seinwie kein anderer‹»2. Damit stehen die Perspektivedes Individuums mit seinen je eigenen Potenzia-len und Bedürfnissen einerseits und die Perspek-tive der Gemeinschaft, in die es hineingeborenwird, in der es aufwächst und in der es agiert,gleichermaßen (und gleichberechtigt) im Fokusder Bildung. Nimmt der Bildungsprozess die ge-samte Person in ihrer Vielfältigkeit in den Blick, solassen sich drei Dimensionen des In-der-Welt-Seins bestimmen. In diesen drei Dimensionen trittjeder Mensch mit der Welt in Beziehung, erfährt ersich und die anderen in der Welt und setzt sichmit ihr auseinander.

• Personale Dimension:Der subjektive Bezug zur Welt beinhaltet, sichselbst als Person wahrzunehmen, die mit eige-nen Bedürfnissen, einer eigenen Körperlichkeit,mit Wünschen und Potenzialen umgeht. Bedeut-sam für diese Dimension ist die Selbstwahrneh-

mung: sich selbst als ein Mensch mit allen Sin-nen zu verstehen, eigene Interessen und Bedürf-nisse entwickeln, artikulieren und verfolgen zukönnen. In der personalen Dimension sind dasErleben der eigenen Person, die Entwicklungeiner Identität und die Entfaltung der eigenenPersönlichkeit enthalten.

• Soziale Dimension:Der soziale Bezug zur Welt betont, dass sichjeder Mensch immer schon in Beziehungen ein-gewoben vorfindet. Familie, Freundschaft, Part-nerschaft, Gemeinschaft und Gesellschaft basie-ren auf sozialen Regeln. Diese zu verstehen, siefür sich selbst als Zugang zur Welt zu erschließenund damit an Gesellschaft und Gemeinschaftteilhaben zu können, zeichnet den Menschenals soziales Wesen aus. Die soziale Dimensionschließt ein, dass Kinder es lernen, sich dereigenen Perspektive und der Perspektive ande-rer bewusst zu werden und sowohl Selbstach-tung als auch Anerkennung der anderen zumAusdruck zu bringen und Solidarität üben zukönnen. Dazu gehört, zu Kommunikation undInteraktion mit Anderen fähig zu sein und sichauf diese einlassen zu können.

• Sachliche Dimension:Der sachliche Bezug zur Welt beschreibt das Ein-gebettet-Sein in kulturelle und materiell-dingli-che Zusammenhänge. Natur, von Menschenhandgeschaffene Umwelten, Werte und Normen erfor-dern das Verstehen und den verantworteten Um-gang mit ihnen. Es geht darum, die gegebeneWelt erschließen zu können, sie als gestaltbarund auch als Rahmen eigenen Handelns undDenkens zu verstehen. Dies ermöglicht es, Sinnund Bedeutung des eigenen Seins nachvollzie-hen zu können. Durch Kenntnis der eigenensozialen, kulturellen und religiösen Kontexte wirddie Basis für einen anerkennenden Umgang mitanderen Lebens- und Denkweisen geschaffen.

In allen drei Dimensionen der Bildung sind derErwerb von Wissen sowie die Entwicklung vonKompetenzen enthalten. Die drei Dimensionen vonBildung beziehen sich immer auch auf praktischeVollzüge und sind nicht eindimensional als zu

Bildungsverständnis

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2 Bericht über die Lebenssituation junger Menschen in Deutschland und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland – Zwölf-ter Kinder- und Jugendbericht –. Deutscher Bundestag, Drucksache Nr. 15/6014 vom 10.10.2005, S. 84.

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erwerbende Inhalte zu verstehen. Einzelne Aspek-te werden von Situation zu Situation verschiedenstark vertreten sein. Sie können nicht isoliert von-einander betrachtet werden und sind nicht anspezifische Orte oder Lebensphasen gebunden. Siebeeinflussen alle Aspekte selbstverantwortlichenLebens und damit auch die Form aller Bildungs-bemühungen. Die Entwicklung von Selbst-, Sozial-,Sach- und Methodenkompetenz ist in alle Bildungs-bereiche eingelagert. Das diesem Bildungsplanzugrundeliegende Bildungsverständnis schließt da-her sowohl die genannten Dimensionen von Bil-dung als auch die Entwicklung von Kompetenzenein.

Bildungswelten und Bildungsgelegenheiten

Anlass der Auseinandersetzung mit der Welt kannzunächst alles werden: Eine Geschichte, die eige-ne Schwester, eine Begegnung, die Lehrerin. Dietätige Auseinandersetzung mit der Welt, dieAneignung durch Erfahrungen, die das Kind in ihrmacht, und die Anregungen, die es erhält, sindnicht an Personen, Orte oder Institutionen gebun-den. Erfahrungen können zu jeder Zeit, an jedemOrt und bei jeder Gelegenheit gemacht werden.Ausgehend vom Kind als Akteur des Bildungspro-zesses lassen sich unterschiedliche Formen derAuseinandersetzung mit der Welt beschreiben:informelle, nonformale und formale Bildungspro-zesse.

Informelle Bildung: Frühkindliche Bildung ist zu-nächst informell, d.h. sie findet nicht bewusst ge-plant statt (»beiläufige« Bildung). Das Kind istoffen für alle alltäglichen Lerngelegenheiten undLernmöglichkeiten, die seine Umwelt ihm bietet.Es entwickelt individuelle Interessen und Vorlie-ben, erkundet Materialien und Zusammenhänge,sammelt und ordnet interessante Gegenstände,probiert sich beim Erkunden und Experimentierenaus. Es folgt selbst entdeckten Eigenthemen undwird dabei von älteren Kindern und Erwachsenenunterstützt.

Nonformale Bildung: Zu informellen Bildungspro-zessen treten nonformale hinzu, wenn Kinder Lern-orte und Bildungsgelegenheiten nutzen, ohne sichdabei in verbindlich geplantem und strukturiertemRahmen zu bewegen. Nonformale Bildungsprozes-

se können beispielsweise im Museum, im Tierpark,im Theater oder im Konzerthaus stattfinden; eben-so in allen Angeboten der offenen Kinder- undJugendarbeit. Kinder sammeln neue Erfahrungen invorstrukturiertem Rahmen, die sie jedoch nach ih-ren Bedürfnissen und Interessen nutzen. Informelleund nonformale Bildung können deshalb in vielfäl-tigen Beziehungen zueinander stehen.

Formale Bildung: Am Übergang zwischen Kinder-garten und Grundschule treten zu den nonforma-len Bildungsprozessen formale hinzu. Sie laufen instrukturiertem und geplantem institutionellem Rah-men (Schule, Unterricht) ab und beziehen sich aufden Erwerb grundlegenden Wissens sowie grund-legender Kompetenzen. Formale Bildung nimmtjedoch nicht nur den individuellen Lern- und Ent-wicklungsfortschritt des Kindes in den Blick. Dennin formalen Bildungsprozessen wird der individu-elle Lern- und Entwicklungsfortschritt des Kindeszu verbindlichen Bildungsstandards ins Verhältnisgesetzt, die in den Lehrplänen für die Grundschu-le festgeschrieben sind. Deshalb müssen profes-sionelle Pädagogen in formalen Bildungsprozes-sen zwei sich in der Sache widersprechende An-forderungen bewältigen: Zum einen sind sie denindividuellen Bildungsprozessen jedes einzelnenKindes verpflichtet, zum anderen sollen sie dieindividuellen Leistungen des Kindes an normativgesetzten Standards messen. Dieses Dilemmazwischen Qualifikation und Selektion ist nicht auf-lösbar. Es muss jedoch im pädagogischen Alltagals professionelle Herausforderung im Sinne undzum Wohl des Kindes angenommen werden.Neben diesen formalen Bildungsprozessen wirkenauch weiterhin informelle und nonformale Bil-dungsprozesse; beispielsweise in der Gleichaltri-gen-Gruppe oder beim Lesen eines Buches, beimsportlichen Spiel oder im Gespräch mit der Groß-mutter.

Erziehungswissenschaftliche Grundlagen

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Abbildung: Bildungsorte und Lernwelten3

Diese informellen und nonformalen Bildungswel-ten bleiben nicht nur für Kinder und Jugendliche,sondern auch für Erwachsene ein Leben lang vonBedeutung. Hinsichtlich kindlicher Bildung kanndeshalb nicht die Interessenlage und Angebots-struktur von Bildungsinstitutionen im Vordergrundstehen. Vielmehr sind Kinder in ihrer je eigenenSituation ernst zu nehmen. Es gilt, von ihrer Le-benslage ausgehend Möglichkeiten zu schaffen,die ihre Sicht auf die Welt erweitern und ihnen dieWelt aufschließen helfen. Von dieser Perspektiveaus können Phasen der Weltaneignung unterschie-den werden, die vom jeweiligen Entwicklungs-stand des Kindes bestimmt werden. Dieser Über-legung entsprechend werden die Bildungsberei-che jeweils in eine basale, eine elementare sowieeine primare Bildungsphase unterschieden. Aufdiese Weise können die individuellen Lernbedürf-nisse, die Bildungsprozesse sowie die Entwick-lungsfortschritte jedes einzelnen Kindes unabhän-gig von entwicklungspsychologisch umstrittenenAltersvorgaben wahrgenommen und unterstütztwerden.

Basale Bildungsprozesse: Sie umfassen entwick-lungspsychologisch frühe Bildungserfahrungen, dieeinen informellen bzw. nonformalen Charakter ha-ben und in stabile emotionale Beziehungen zuvertrauten Bezugspersonen innerhalb bzw. außer-halb der Familie eingelagert sind. Basale Bildungs-prozesse beinhalten die selbsttätige und aktiveAuseinandersetzung mit der Welt durch alle Sinne

zunächst im Nahraum. Basale Bildungserfahrun-gen sind zugleich in spielerischen Situationen ent-halten. Im Zusammenwirken von Wahrnehmung undBewegung entwickeln sich komplexer werdendekognitive Fähigkeiten. Stabile emotionale Bezie-hungen zu unterschiedlich alten Kindern und zuErwachsenen, das Bewusstwerden der eigenenMöglichkeiten, die Freude am Ausprobieren undEntdecken führen zu einer Erweiterung des Akti-onsraumes und der sozialen Beziehungen desKindes.

Elementare Bildungsprozesse: Sie schließenneben den grundlegend bedeutsamen informellenBildungsprozessen zunehmend auch die nonforma-le Bildung ein. Kinder spielen, lernen und arbei-ten in unterschiedlichsten Kontexten mit anderenKindern zusammen. Sie haben neben handlungs-praktischen Interessen zunehmend auch solche,die sich auf abstrakte und komplexe Phänomenewie beispielsweise innerpsychische Prozesse oderunsichtbare Naturerscheinungen beziehen. Sie er-kunden und erforschen Gegenstände, Prozesseund Zusammenhänge in ihrer Umwelt kreativ undeigensinnig; sie entwickeln subjektive Theorien.Die Erfahrungen und das Weltwissen der Kinderfließen in ihre Spiele ein, sie werden hier umge-staltet, erweitert und erprobt.

Primare Bildung: Primare Bildungsprozesse habeneinen stärker formalen Charakter. Kinder erarbei-ten sich gemeinsam mit Erwachsenen einenZugang zu komplexen kognitiven Leistungen wiedem Lesen, Schreiben und Rechnen auf derGrundlage normativer Bildungsvorstellungen.Informelle und nonformale Bildungsprozesse blei-ben in der Phase formaler Bildung jedoch ebensobedeutsam wie beispielsweise das Spiel.

Professionelle Pädagoginnen und Pädagogen so-wie Eltern verbinden häufig mit diesen Phasender Weltaneignung zunächst konkrete Altersanga-ben. So wird die basale Phase mit der Alters-gruppe 0 bis 3, die elementare Bildungsphase mitder Altersgruppe 3 bis 6 und die primare Bil-dungsphase mit der Altersgruppe ab 6 Jahregleichgesetzt. Diese Gleichsetzung entspricht je-doch weder der Individualität kindlicher Entwick-

Bildungsverständnis

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3 Bericht über die Lebenssituation junger Menschen in Deutschland und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland – Zwölf-ter Kinder- und Jugendbericht –. Deutscher Bundestag, Drucksache Nr. 15/6014 vom 10.10.2005, S. 126.

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lung noch der wachsenden Heterogenität einerKindergruppe. So kann ein Kind in einzelnen Bil-dungsbereichen sehr weit entwickelt sein, in ande-ren jedoch eine deutlich langsamere Entwicklungaufweisen. Innerhalb einer Kindergruppe existie-ren daher sehr unterschiedliche Bildungsansprü-che, die durch die Orientierung an Altersangabennicht hinreichend pädagogisch Berücksichtigungfinden können. Die Orientierung an der vom Kindjeweils erreichten Phase der Weltaneignung istauch in der Schule von Bedeutung.

Für die pädagogische Arbeit mit Kindern in denGrundschulen des Landes Thüringen sind der Thü-ringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre alsauch der Lehrplan für die Grundschule gleicher-maßen von Bedeutung. Der Bildungsplan ist ander kindlichen Entwicklung orientiert. Deshalb istjeder Bildungsbereich ausdifferenziert in die Pha-sen basale, elementare und primare Bildung.Außerdem bezieht sich der Bildungsplan auf diepersonale, soziale und sachliche Dimension vonBildung. Der Lehrplan präzisiert hingegen Lernzie-le für den schulischen Unterricht auf der Grundla-ge des Bildungsplans. Er differenziert deshalb inbesonderer Weise die personale Dimension vonBildung aus. Die Inhalte des Lehrplans sind nichtin Bildungsphasen, sondern in Doppelklassenstu-fen (Kassen 1 und 2 sowie Klassen 3 und 4) ge-gliedert. Sie orientieren sich nicht hauptsächlicham individuellen Lernstand des einzelnen Kindes,sondern an normativen Bildungsstandards sowiean Kompetenzen. Gleichwohl beziehen Lehrerin-nen und Lehrer in ihre pädagogischen Angebotedie individuellen Lernbedürfnisse von Kindern alsauch die personale, soziale und sachliche Dimen-sion von Bildung gedanklich und handlungsprak-tisch mit ein. Hierzu bietet der Bildungsplan Ori-entierungen für die pädagogische Reflexion undfür das praktische Handeln. Für Kinder mit Behin-derungen und Entwicklungsverzögerungen kön-nen Lehrerinnen und Lehrer Bildungsvorstellun-gen und Vorschläge für konkrete pädagogischeAngebote nicht nur aus dem Bereich der prima-ren, sondern auch aus dem Bereich der elemen-taren bzw. basalen Bildung gewinnen. Der Bil-dungsplan ist deshalb nicht auf den Bereich derfrühkindlichen Bildung und auf den Übergang zwi-schen Kindergarten und Grundschule beschränkt.Vielmehr dient der Bildungsplan der Individuali-sierung von Lernangeboten für alle Kinder sowie

der Gestaltung der Schuleingangsphase und desgemeinsamen Unterrichts von Kindern mit undohne Behinderungen.

Dem Bildungsplan und dem Lehrplan liegt trotzdieser strukturellen Unterschiede ein gemeinsamesBildungsverständnis zugrunde. Bildung meint im-mer den Prozess der tätigen Auseinandersetzungmit der Welt, die sich in verschiedenen Hinsichtendarstellt und mit der Kinder auf verschiedene Wei-sen in Beziehung treten. Bildung vollzieht sich im-mer in sozialen Kontexten, an verschiedenen Ortenund zu verschiedenen Gelegenheiten. Bildungs-prozesse gelingen vor allem dann, wenn Erfah-rungen auf eigene Interessen und Bedeutungentreffen. Das beinhaltet auch, dass Sichtweisen aufdie Welt in Frage gestellt werden können, sichändern und neu entworfen werden. Entscheidendfür die Möglichkeit, sich die Welt zu erschließen,sind Zugänge zur Welt, die vor allem über Bezie-hungen zu anderen und in diesen Beziehungen zuanderen erfahren werden. Die umfassende Ent-wicklung und Entfaltung der eigenen Person in ih-rer Eingebundenheit in soziale, kulturelle und ge-sellschaftliche Kontexte steht also im Zentrumjedes Bildungsprozesses.

Konsequenzen für die Gestaltung des Bildungsplans

Auf der Grundlage dieses Bildungsverständnisseswerden die Inhalte der sieben Bildungsbereichedes Bildungsplans ausdifferenziert (vgl. Kapitel 2).Jeder Bildungsbereich wird zunächst mit einer Prä-ambel eingeleitet, in der grundlegende pädagogi-sche Wissensbestände zum jeweiligen Bildungs-bereich nach den drei Bildungsphasen (basale,elementare und primare Bildung) zusammenge-fasst sind. An die Präambel schließt jeweils dieBestimmung von konkreten Bildungsangeboten inTabellenform an. Diese Tabellen sind ebenfallsnach basaler, elementarer und primarer Bildungaufgegliedert. Innerhalb dieser Tabellen finden diedrei Dimensionen von Bildung (personal, sozialund sachlich) Berücksichtigung. Die Struktur derTabellen, in denen die Bildungsbereiche inhaltlichausdifferenziert sind, lässt sich exemplarisch wiefolgt darstellen:

Erziehungswissenschaftliche Grundlagen

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Bildungsverständnis

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Bildung Wie kann Bildung aus der Perspektive der kindlichenPersönlichkeit beschriebenwerden?

In welchen sozialen Beziehun-gen und Austauschprozessenfindet die Bildung des Kindesstatt?

Welche räumlichen und mate-riellen Rahmenbedingungenunterstützen kindliche Bildungsprozesse?

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Welche Inhalte und Themenbieten sich aus der Perspektivedes Kindes an?

Welche Interaktionen undKommunikationsformen unterstützen die Bildung desKindes?

Welche Umweltbereiche undUmweltausschnitte bietenAnlässe und Gelegenheiten fürkindliche Bildungsprozesse?

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

Welche alltäglichen und päda-gogisch strukturierten Situa-tionen bieten sich aus derPerspektive des Kindes an?

Welche konkreten sozialenLern- und Organisationsformenunterstützen die Bildung desKindes?

Welche konkreten Räume,Materialien und Personen sindfür kindliche Bildungsprozessegeeignet?

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Welche konkreten Lernange-bote und Bildungsgelegen-heiten bieten sich aus derPerspektive des Kindes an?

Welche sozialen Beziehungenund Kontakte im Rahmenkonkreter Lernangebote unter-stützen die Bildung des Kindes?

Welche konkreten Materialien(Alltagsmaterial, Spielmaterial,didaktisch vorstrukturiertesMaterial) sind für kindlicheBildungsprozesse geeignet?

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Die Umwelten, in denen Kinder heute aufwachsen,sind komplex. Zu den individuell unterschiedli-chen Bildungsbedürfnissen treten regional, lokalund familiär verschiedene Bildungsgelegenheiten.Je nachdem, in welcher Region und in welcherWohngegend ein Kind aufwächst, je nachdem, wel-che Anregungen in der Familie und in den Institu-tionen kindlicher Bildung wirksam sind, kann esauf umfangreiche oder knappe Lern- und Freizeit-angebote zurückgreifen:• Hat es andere Kinder zum Spielen?• Ist es nur von Erwachsenen umgeben?• Kann es seinen Neigungen und Interessen nach-

gehen oder ist es darin eingeschränkt?

Kinder können in kinderfreundlichen Umgebungenaufwachsen, aber auch in Umgebungen, die durchstrukturelle Rücksichtslosigkeiten gegenüber Kin-dern geprägt sind. Die Vielfalt der Möglichkeiten,sich an unterschiedlichen Orten und zu verschie-densten Gelegenheiten zu bilden, müssen von El-tern sowie von Erzieherinnen und Lehrerinnen kri-tisch reflektiert werden. Denn kindliche Bildungs-prozesse beginnen nicht in einfach strukturiertenUmwelten, um sich dann in komplexer strukturier-ten Umwelten fortzusetzen. Kinder bilden sichvielmehr vom Beginn ihres Lebens an in komple-xen Zusammenhängen. Hier ordnen sie Erfahrun-gen, erwerben sie Wissen und entwickeln sieKompetenzen, um sich neuen Herausforderungenzu stellen.

Die Offenheit gegenüber komplexen und sichwandelnden Umwelten ist nicht nur für kindlicheBildungsprozesse, sondern für das lebenslangeLernen sowie für eine nachhaltige Entwicklung be-deutsam. Dass beispielsweise die Technisierungund Verwissenschaftlichung nicht nur den Alltag,sondern auch die zwischenmenschlichen Bezie-hungen fortlaufend verändern, ist bekannt. Zu-gleich kann heute jedoch nicht verbindlich be-schrieben werden, welche Qualitäten der Alltag

und die zwischenmenschlichen Beziehungen ineinigen Jahrzehnten haben werden. Heute erwor-bene Bildung bereitet deshalb auf eine noch un-bestimmbare Zukunft vor. Auf die Herausforderungendieser unbestimmbaren Zukunft können Kindervorbereitet werden, indem sie komplexe Umwel-ten kennenlernen und sich mit ihnen auseinan-dersetzen. Hierzu gehören beispielsweise andereAuffassungen von Leistungsfähigkeit und Schön-heit, andere Biographien sowie andere sozialeund kulturelle Kontexte als die je eigenen. Denndas Weltwissen des Kindes ist ko-konstruiert;seine Sicht auf die Welt kann so komplex sein, wiees die Erfahrungsräume sind, in denen das Kindlebt. Wenn Kinder vielfältige Gelegenheiten ha-ben, beispielsweise Menschen aus anderen Kultu-ren, Menschen mit besonderen Fähigkeiten odermit Behinderungen kennenzulernen, dann erst kön-nen sie Verschiedenheit als Bereicherung des eige-nen Lebens ansehen und Respekt vor Andersseinentwickeln.

Die Offenheit kindlicher Bildungsprozesse bietetsomit Chancen mit Blick auf die Bewältigung vonZukünftigem. Sie bietet jedoch auch Risiken. Wiediese Umwelten in kindliche Bildungsprozesse hin-einwirken, ist für das Gelingen der individuellenBildungsbiographie hoch bedeutsam. Zugleich ent-ziehen sich diese Einflüsse häufig dem direktenpädagogischen Handeln. Denn die Lebensbedin-gungen in verschiedenen Regionen, die finanziel-len Spielräume für Familien oder beispielsweise diejuristischen Grundlagen des Nachteilsausgleichsfür Kinder mit Behinderungen liegen im Kompe-tenzbereich von Sozial-, Arbeitsmarkt- und Wirt-schaftspolitik. Professionelle Pädagogen habenjedoch die Aufgabe, in diesem Kontext Bildungs-angebote so zu gestalten, dass die Chancenge-rechtigkeit in der Bildung gewahrt und Bildungs-benachteiligung verhindert wird.

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1.2 Individuelle Unterschiede und soziale Vielfalt

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Sozioökonomische Vielfalt

Kinder wachsen in unterschiedlichen Regionen auf:zum Beispiel in strukturstarken Regionen oder inbenachteiligten ländlichen Räumen. Je nachdem,in welcher Region sie zu Hause sind, erleben Kin-der den Ausbau und die Verbesserung von Infra-strukturen oder den Abriss von Wohngebietenund den Verlust öffentlicher Angebote mit. Kinderwachsen in Großstädten mit reichen infrastruktu-rellen und kulturellen Ressourcen auf. Sie lebenaber auch in Kleinstädten, die sich über Jahrzehn-te nur wenig verändert haben. Andere Kinder sindin kleinen Dörfern und abgelegenen Höfen natur-nah zu Hause. So wachsen Kinder in Orten auf, indenen Eltern zwischen verschiedenen Bildungsin-stitutionen für ihr Kind die geeigneten aussuchenkönnen; sie wachsen auch in Orten auf, in denenes nur einen Kindergarten bzw. eine Grundschulegibt; oder aber in Orten, die keines der beidenAngebote vorhalten. Zu diesen infrastrukturellenBedingungen gehört schließlich die von Ort zu Ortund von Region zu Region unterschiedliche Er-reichbarkeit der Bildungs- und Freizeitangebotedurch öffentliche Verkehrsmittel.

Je nachdem, in welcher Region Kinder aufwach-sen, haben sie unterschiedliche Möglichkeiten,mit anderen Kindern und Erwachsenen in Kontaktzu kommen. In strukturstarken Regionen habenKinder eher andere Kinder in der Nachbarschaft,mit denen sie spielen und mit denen sie ein ge-meinsames Hobby teilen können. In Regionen, dievon starker Abwanderung betroffen sind, könnensie nicht nur vertraute Erwachsene, sondern auchgleichaltrige Freunde verlieren. In manchen Ortenkönnen sie das einzige Kind ihres Jahrgangs oderdas einzige Kind im Dorf sein.

Kinder wachsen in unterschiedlichen Familien auf:Sie haben Mutter und Vater; sie sind ein Einzel-kind oder haben Geschwister. Sie wachsen beieiner alleinerziehenden Mutter oder bei einemalleinerziehenden Vater auf. Sie erleben in ihrenFamilien lang dauernde emotionale Beziehungen,aber auch Trennungen sowie die Erweiterung derFamilie um neue Partner und Geschwister. Kinderhaben in ihren Familien unterschiedliche Gelegen-heiten, mit Verwandten aus unterschiedlichenGenerationen zusammenzukommen.

Kinder wachsen zudem in ökonomisch abgesi-cherten und bildungsinteressierten Familien auf,aber sie wachsen auch in Familien auf, deren öko-nomische Basis so prekär ist, dass die Erwachse-nen keine Ressourcen zur Unterstützung kindlicherBildungsprozesse beisteuern können. Zugleich be-mühen sich Eltern unter schwierigen materiellenRahmenbedingungen um eine möglichst gute Bil-dung für ihre Kinder; anderen Eltern gelingt estrotz günstiger materieller Voraussetzungen nichtausreichend, den Bildungsbedürfnissen ihres Kin-des zu entsprechen. Kindliche Bildung kann fürdie meisten Kinder in materiell und kulturell anre-genden Herkunftsfamilien wirksam unterstütztwerden; sie kann jedoch auch gefährdet sein.

Eine besonders massive Gefährdung kindlicherBildungsprozesse ist Kinderarmut, die in denneuen Bundesländern bei ca. 25 Prozent, in Groß-städten noch deutlich darüber liegt. Wenn imDurchschnitt jedes vierte Kind unter Armutsbedin-gungen aufwächst, dann ist Kinderarmut im päda-gogischen Alltag kein Randphänomen, sondernein zentrales Thema der Bildungsarbeit mit Kin-dern und mit Erwachsenen. Es gewinnt seine be-sondere Brisanz aus der Tatsache, dass im LandThüringen neben Kinderarmut auch die Armut anKindern zu einem zentralen Thema infrastrukturel-ler und kultureller Umgestaltungen geworden ist.

Soziokulturelle Vielfalt

Kinder wachsen in Umwelten auf, die sich durchsoziokulturelle Vielfalt auszeichnen. Dazu tragenim Alltag zunächst sekundäre, durch traditionelleund durch neue Medien vermittelte Erfahrungenbei. So sind Nachrichten, Filme und Musik aus derganzen Welt über das Fernsehgerät und das Inter-net jederzeit und an jedem Ort verfügbar. Ande-rerseits können Kinder in ihrer nächsten Umge-bung auch primäre Erfahrungen mit soziokulturel-ler Vielfalt machen: durch Kinder und Erwachsene,die beispielsweise andere Familiensprachen als sieselbst sprechen, die in kulturell verschiedene All-tagspraktiken eingebunden sind und andere Festefeiern als die eigene Familie. Erfahrungen kultu-reller Vielfalt können Kinder schließlich auch sam-meln, wenn sie reisen.

Individuelle Unterschiede und soziale Vielfalt

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Angesichts globaler Wirtschaft und Kommunikati-on lässt sich die tradierte Kultur in Regionen, Or-ten und Familien nicht unabhängig bewerten, son-dern sie muss im Kontext soziokultureller Vielfaltbetrachtet werden. Dies trifft auf gesamtgesell-schaftliche Zusammenhänge ebenso zu wie aufAlltägliches. Dass die Bundesrepublik seit mehre-ren Jahrzehnten ein Einwanderungsland ist, hatfür das gesamte Bildungssystem Bedeutung. Inalltäglichen Situationen wie beispielsweise beimEinkaufen oder beim Zubereiten von Mahlzeitensind Wissensbestände, Dinge und Tätigkeiten ent-halten, die noch vor wenigen Jahren anderen alsder eigenen Kultur zugeordnet wurden, die aberinzwischen selbstverständlich geworden sind. So-ziokulturelle Vielfalt bedeutet, die eigene, durcheine Einzelkultur geprägte Identität als Basis fürdie Verständigung über kulturübergreifende Ge-meinsamkeiten zu nutzen. So können Bekanntesim Fremden und Differenzen zum Fremden ent-deckt und Sensibilität im Verstehen des Anderenentwickelt werden.

Weltanschauung und Religiosität

In Thüringen begegnen einander Kinder unter-schiedlicher Überzeugung und Bindung. Sie erfah-ren, dass es neben ihrer eigenen auch andereweltanschauliche oder religiöse Positionen gibt.Sie erleben Kinder, die andere und anders Festefeiern und Wendepunkte im Leben wie Geburt,Krankheit, Trennung, Tod anders deuten als sieselbst. In ihrem Umfeld treffen alle Kinder immerwieder auf weltanschauliche oder religiöse The-men und Traditionen, z.B. in der Musik, in bilden-der Kunst, Architektur, Geschichte und Literatur.Existenziell betreffende Ereignisse wie Abschied,Trennung, Versagen oder Schuld verlangen nachDeutungsmustern. Hier sind Erwachsene gefor-dert, Kindern Hilfe, Verständnis und Geborgenheitzu geben und ihnen Vertrauen zu schenken. Dabeigeht es um eine Haltung des Fragens undSuchens, um die Vermittlung von Werten undDeutungsmustern für Sinn- und Lebensorientie-rung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dasNebeneinander von positiver und negativer Reli-gionsfreiheit sowie die zunehmende interkulturel-le Zusammensetzung der Bevölkerung zur Folgehaben, dass Kinder heute in einem gesellschaftli-chen Umfeld aufwachsen, das sich durch eine

Vielzahl von Religionszugehörigkeiten und religiö-sen Angeboten sowie durch Menschen ohne reli-giöses Bekenntnis auszeichnet.

Entsprechend der Trägerautonomie ist die konfes-sionelle Ausrichtung religiöser Erziehung und Bil-dung Angelegenheit der einzelnen Träger.

Gender

Der Begriff »Gender« meint – im Unterschied zumbiologischen Geschlecht – das soziale Geschlecht.Es wird u.a. durch Lebenslagen, Erziehung und ge-sellschaftliche Rahmenbedingungen beeinflusst.Kinder wachsen in Lebenslagen auf, in denen un-terschiedliche Vorstellungen zu Geschlechterrollenenthalten sind. Die Lebenslage der Familie desKindes ist unter anderem durch die Familienformund die berufliche Position der Eltern geprägt. Sowachsen Kinder mit einem alleinerziehenden be-rufstätigen Elternteil auf, mit einem berufstätigenoder erwerbslosen Elternpaar. Kinder erleben,dass Väter berufstätig und Mütter Hausfrauensind. In seltenen Fällen leben Kinder in Familien,in denen die Mutter berufstätig und der VaterHausmann ist. Kinder leben auch in Familien miteinem gleichgeschlechtlichen Elternpaar. Dieseunterschiedlichen Konstellationen prägen das ge-schlechtsbezogene Rollenverständnis der Kindervom Beginn ihres Lebens an.

Neben der Familienform und der Erwerbstätigkeitbeeinflussen auch Werte und normative Vorstel-lungen die geschlechtsbezogenen Rollenvorstel-lungen: womit Jungen und Mädchen spielen, wel-ches Verhalten von Jungen und Mädchen erwartetwird. Schon früh erfährt das Kind, dass das Ver-halten seiner Mitmenschen verschieden ist, wennes für einen Jungen oder für ein Mädchen gehal-ten wird. Ein Kind setzt sich im Umgang mit Din-gen und Personen mit den gesellschaftlichen Sicht-weisen auf Geschlechterrollen auseinander undbaut zugleich subjektive Persönlichkeitsstrukturenauf. So entwickeln Kinder eine Identität als Jungeoder als Mädchen. Nicht nur in der Familie, auchin Institutionen kindlicher Bildung, in den Medien,in der Werbung und im öffentlichen Raum werdenKinder auf verschiedene geschlechtertypische Rol-lenverteilungen aufmerksam. Während für jungeKinder im familiären Raum durchaus noch ge-

Erziehungswissenschaftliche Grundlagen

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schlechtsuntypische Verhaltensweisen zugebilligtwerden, verstärken sich in öffentlichen Räumenund in Bildungsinstitutionen die geschlechtstypi-schen Botschaften. Kinder erfahren häufig, dassgegengeschlechtliche Erfahrungen unterbundenwerden. Diese Interventionen können Kinder da-bei behindern, sich ein eigenes Bild zu machenund eine eigene Identität zu entwickeln. Erschwe-rend wirkt sich außerdem die Tatsache aus, dassbeispielsweise in Kindergärten und in Grundschu-len überwiegend Erzieherinnen und Lehrerinnenarbeiten. Jungen und Mädchen brauchen jedochErfahrungsräume, um mit geschlechtsuntypischenMöglichkeiten zu experimentieren. So sollen Mäd-chen die Gelegenheit erhalten, nicht nur starkeund dominante Männerbilder zu erfahren, undJungen nicht nur mütterliche Frauenbilder. Die Ent-wicklung der Geschlechteridentität basiert auf derGleichberechtigung und Gleichachtung; sie schließtdie Kritik an Verallgemeinerungen stereotyper Rol-lenvorstellungen ein.

Behinderung und Entwicklungsrisiken

Kinder mit Behinderungen und Entwicklungsrisi-ken sind Kinder, die zur Teilhabe am gesellschaft-lichen und kulturellen Leben Unterstützung benö-tigen. Auf der Basis körperlicher, geistiger, seeli-scher oder sozialer Beeinträchtigungen sind dieAustauschprozesse zwischen dem Kind und seinerUmwelt erschwert. Die pädagogische Unterstüt-zung von Kindern mit Behinderungen und Ent-wicklungsrisiken nimmt die Austauschprozesse zwi-schen dem Kind und seiner Umwelt in den Blickund bezieht sich auf die Stärken und Ressourcendes Kindes.

Bildungsinstitutionen für Kinder mit Behinderun-gen und Entwicklungsrisiken sind vorzugsweiseintegrative Institutionen, in denen Kinder mit undohne Behinderungen gemeinsam spielen, lernenund arbeiten können. Kinder ohne Entwicklungs-risiken können Kindern mit Entwicklungsrisiken(z.B. Behinderung) Partner bei der Bewältigungvon Lern- und Entwicklungsaufgaben in einemMaße sein, wie dies für Erwachsene nicht möglichist. Kinder ohne Behinderungen erfahren zugleichandere als die eigenen Formen und Möglichkeitenzu denken, wahrzunehmen und zu handeln. Durchgemeinsame Bildungsangebote für Kinder mit und

ohne Behinderungen erfahren sie die möglicheVielfalt von Leistungsfähigkeit, Kommunikations-bereitschaft, von Schönheit und Anderssein in ihrernächsten Umwelt. Integrative Institutionen bietenBildungsangebote für Kinder mit Behinderungenund Entwicklungsrisiken wohnortnah an, so dassauf lange Fahrwege, Internatsaufenthalte und Tren-nungen von der Familie und vom Wohnort ver-zichtet werden kann.

Institutionen kindlicher Bildung sind die erstenOrte außerhalb der Familie, an denen Kinder mitund ohne Behinderungen bzw. Entwicklungsrisikengemeinsam Erfahrungen sammeln und lernen kön-nen. Der gelingenden sozialen Integration kommtin diesen Institutionen besondere Bedeutung zu.Denn die Entwicklung von solidarischem Engage-ment für Menschen, die ausgegrenzt oder bewusstignoriert werden, ist ein lebenslanger Prozess; sei-ne Grundlagen werden jedoch bereits in der frühenKindheit gelegt. Da in den kommenden Jahrzehntenmehr alte und hilfsbedürftige Menschen leben undUnterstützung benötigen werden, ist der sozialeZusammenhalt der Gesellschaft existenziell auf dieAnerkennung von Differenz und Respekt gegenüberVerschiedenheit angewiesen. Der Anspruch vonKindern mit Behinderungen bzw. Entwicklungsrisi-ken auf Teilhabe am gesellschaftlichen und kultu-rellen Leben kann eingelöst werden, wenn denbesonderen Bedürfnissen durch Nachteilsausgleichsowie durch die professionelle Kooperation unter-schiedlicher Institutionen und Fachdienste entspro-chen wird. Lern- und Entwicklungsbeobachtungenund -dokumentationen im Sinne von Förderplänendienen dazu, individuelle Bildungsprozesse zureflektieren und jeweils nächste Lern- und Ent-wicklungsschritte zu formulieren. Für das weitereGelingen der Bildungsbiographie von Kindern mitBehinderungen und Entwicklungsrisiken ist darüberhinaus die langfristige Planung und die sorgfältigeGestaltung von Übergangssituationen von beson-derer Bedeutung.

Hochbegabung

Kinder mit Hochbegabung sind Kinder, die sichauf einem hohen Anregungsniveau mit Neugierund besonderer Aktivität für ihre Umwelt interes-sieren und sich auf diese Weise komplexe Wis-sensbestände und Kompetenzen aneignen. Sie

Individuelle Unterschiede und soziale Vielfalt

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zeigen nicht nur in Bildungsbereichen, die primärdie geistige Entwicklung herausfordern, kreativesund produktives Vergnügen bei der Bewältigungvon Anforderungen. Sie sind beispielsweise zu-gleich an Kunst und Musik, an Technik und Natur-wissenschaften sowie an Bewegung interessiert.Ihr ausgeprägtes eigenes Lerntempo, die Bearbei-tung eigener Themen, Fragen und Interessen füh-ren dazu, dass den Bildungsbedürfnissen von Kin-dern mit Hochbegabung in besonderer Weise ent-sprochen werden muss. Hier ist jedoch nicht pri-mär an eigene Institutionen kindlicher Bildung zurUnterstützung von Kindern mit Hochbegabung zudenken. Institutionen kindlicher Bildung, die Ent-wicklungsmischung und differenzierte Lernarran-gements, offene Lernangebote und Lernorte außer-halb der Bildungsinstitution anbieten, besitzendie notwendigen unterstützenden Voraussetzun-gen. Die Professionellen in den Institutionen kind-licher Bildung agieren bei der Feststellung vonHochbegabung sorgfältig und umsichtig. Sie ko-operieren mit Psychologen und anderen Profes-sionellen außerhalb ihrer Institution, um die Fest-stellung von Hochbegabung professionell abzusi-chern und für die Kinder angemessene Lernange-bote zu entwickeln. Bei der Unterstützung vonKindern mit Hochbegabung sind Erwachsene ins-besondere dann gefordert, wenn das Kind in einereher bildungsfernen bzw. sozial benachteiligtenFamilie aufwächst, und auch dann, wenn das Kindin einer strukturschwachen Region lebt, in der bei-spielsweise besondere künstlerisch-musisch ori-entierte oder besondere naturwissenschaftlich-technisch orientierte Bildungsangebote fehlen.Zeitlich befristete und wiederkehrende Angebotewie beispielsweise Sommerkurse oder Koopera-tionen mit Hochschulen (»Kinderuniversität«) kön-nen zur Kompensation fehlender Infrastrukturenebenfalls sinnvoll beitragen.

Resilienz

Kindern kann es gelingen, widrige Lebensumstän-de, kritische Lebensereignisse und traumatischeErfahrungen so zu bewältigen, dass sie aus ihnenunbeschadet hervorgehen. Diese Kinder werdenals »resilient« bezeichnet. Sie haben eine starkepsychische Widerstandsfähigkeit entwickelt, diesie vor erhöhter Verletzlichkeit (Vulnerabilität)schützt. Resilienz kann erworben werden, und sie

verändert sich über verschiedene Lebensphasenhinweg. Viele schützende Faktoren, die zur Resi-lienz beitragen, lassen sich in pädagogischen Kon-texten wirkungsvoll unterstützen. So ist z.B. be-kannt, dass ein hohes Selbstvertrauen in die eige-ne Person, das Wissen, dass man Situationennicht nur ausgeliefert ist, sondern sie auch ändernkann, zur Widerstandsfähigkeit beitragen. Einwichtiger schützender Faktor ist außerdem eineerwachsene Bezugsperson außerhalb der Her-kunftsfamilie, die an der Entwicklung des Kindesund an seinem Wohlergehen langfristig und ver-bindlich interessiert ist. Diese Person kann bei-spielsweise die Tagesmutter, die Erzieherin oderdie Lehrerin sein.

In den Institutionen kindlicher Bildung benötigenKinder, die besonderen Belastungen ausgesetztsind, vielfältige Situationen, in denen sie sichausprobieren und in denen sie erfolgreich seinkönnen, um ihr Selbstvertrauen zu stärken: Siewerden in Entscheidungen über den Alltag in derBildungsinstitution, über Feste und Feiern, überAusflüge und über Lernarrangements einbezogen.Sie bekommen Gelegenheiten, sich mit Arbeitser-gebnissen und in Tätigkeitsfeldern zu präsentie-ren, die ihnen besonders gut gelingen. Sie habenviele Gelegenheiten, nicht nur Hilfe anzunehmen,sondern anderen Kindern und Erwachsenen zuhelfen. Sie erleben, dass andere Kinder undErwachsene ihre Entwicklungsfortschritte wahr-nehmen, ohne auf Defizite zu orientieren. Kindererleben gemeinsam mit anderen Kindern, dassSchwierigkeiten und Probleme zum Alltag gehören– und sie erleben, dass Schwierigkeiten und Pro-bleme gut zu überwinden sind. In diesem Zusam-menhang lernen Kinder auch, Verantwortung zuübernehmen. Kinder können dann Resilienz ent-wickeln, wenn sie erfahren, dass sie trotz ihrerSchwierigkeiten und Probleme Anerkennung undRespekt erfahren. Sie wissen, dass sie sich ande-ren Kindern und Erwachsenen anvertrauen kön-nen und dass ihre Sorgen ernst genommen wer-den. Die Entwicklung von Resilienz setzt daherdie genaue Kenntnis der Lebensumstände jedesKindes voraus, die Kenntnis von Risikofaktoren,insbesondere aber von Ressourcen.

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Wo immer Menschen zusammenleben, bilden sichunterschiedliche Formen dieses Zusammenlebensheraus. Bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnenlässt sich dennoch feststellen, dass es immerRegeln des Zusammenlebens gibt. Diese könneneher unbewusst im Alltag enthalten sein, sie kön-nen aber auch bewusst festgelegt und fixiert wer-den, z.B. in Gesetzen. In einem Vergleich lassensich dann die Differenzen und die Gemeinsamkei-ten deutlicher erkennen, es werden unterschiedli-che Kulturen deutlich. Nicht alles, was in einerKultur bedeutsam ist, hat auch in einer anderenWert. Andere Werte scheinen demgegenüber nichtvon bestimmten Kulturen abhängig zu sein, son-dern ein gemeinsames Fundament zu bilden, z.B.der Wert des menschlichen Lebens.

Aber auch innerhalb einer Gesellschaft gibt esunterschiedliche Kulturen, und dennoch für alleVerbindliches und Gemeinsames. Kinder habeneinen Anspruch darauf, beides kennenzulernen,weil ihnen dadurch die Möglichkeit eröffnet wird,sich in der Differenz und im Gemeinsamen zu er-kennen, ›zu sein wie der andere und sein wie keinanderer‹.

Kinderrechte, Kinder- und Jugendschutz

Mit Vollendung der Geburt beginnt die Rechtsfä-higkeit des Menschen. Das heißt: Kinder habenab diesem Zeitpunkt alle Rechte, die auch Erwach-senen zustehen. Sie sind von vornherein und un-ter rechtlichen Gesichtspunkten gleichberechtigteund gleichwertige Mitglieder unserer Gesellschaft.Sie sind Inhaber der allgemeinen Menschenrech-te. Dennoch bedürfen Kinder des besonderenSchutzes, der einerseits aus ihrer biologischen,andererseits aus ihrer kognitiven Entwicklungresultiert. Kinder, insbesondere Säuglinge, kön-nen sich noch nicht selbst versorgen, sie über-blicken vielfach noch nicht Risiken und Gefahren,

denen sie ausgesetzt sind. Diese Situation beson-derer Schutzbedürftigkeit ist der Grund für beson-dere Rechte, die Kindern zustehen. Kinder sindInhaber besonderer Kinderrechte.

Die Regelungen, die sich auf Rechte von Kindernbeziehen, finden sich in unterschiedlichen Quel-len. So hat die Bundesrepublik Deutschland 1992das Übereinkommen über die Rechte des Kindesder Vereinten Nationen – die UN-Kinderrechts-Konvention – unterzeichnet. Damit hat diese Kon-vention für Deutschland Rechtskraft erlangt. Sieregelt sehr detailliert die Rechte, die Kindern imBesonderen zustehen. Auch im deutschen Rechts-system gibt es eine besonders wichtige Stelle, dieden Anspruch aller Kinder auf Erziehung deutlichmacht, nämlich das Grundgesetz (Art. 6 GG). Er-ziehungsrecht und Erziehungspflicht sind auch inder Verfassung des Freistaats Thüringen veran-kert. Hier heißt es in Artikel 18 Abs. 1 wie folgt:»Eltern und andere Sorgeberechtigte haben dasRecht und die Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder.«Sie legen die inhaltlichen Grundlinien der Erzie-hung fest. Ferner finden sich weitergehende Rege-lungen zur Erziehung von Kindern im BürgerlichenGesetzbuch (§§ 1626 ff. BGB). Sollte die Erzie-hung von Kindern hinter erwartbaren Standardszurückbleiben, ohne dass jedoch schon eine Kin-deswohlgefährdung vorliegt, dann werden überdie rechtlichen Regelungen im SozialgesetzbuchVIII (§§ 27 ff. SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe)Hilfen angeboten. Nur wenn das Kindeswohl ge-fährdet wird, darf der Staat – unter bestimmtenBedingungen – in die elterlichen Rechte undPflichten eingreifen (§ 8a SGB VIII; § 1666 BGB).Durch § 8a SGB VIII werden auch Dienste und Ein-richtungen der freien Kinder- und Jugendhilfe (z.B.Kitas, Horte, Tagesmütter) durch abzuschließendeVereinbarungen mit in die Verantwortung genom-men, den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefähr-dung zu erfüllen. Dem Anspruch auf eine gesundeEntwicklung sowie den Schutz vor schädigenden

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1.3 Bildungskulturen

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Eingriffen und schädlichen Einflüssen wird in derVerfassung des Freistaates Thüringen ein beson-derer Rang zugebilligt: »Kinder und Jugendlichehaben das Recht auf eine gesunde geistige, kör-perliche und psychische Entwicklung. Sie sind vorkörperlicher und seelischer Vernachlässigung,Misshandlung, Missbrauch und Gewalt zu schüt-zen« (Art. 19 Abs. 1).

Das Schutzbedürfnis ist um so größer, je jüngerein Kind ist, und tritt mit zunehmenden Fähigkei-ten des Kindes in den Hintergrund; die Spielräumeder Autonomie erweitern sich. Schutz und Auto-nomie sind also die zwei Pole, zwischen denenimmer wieder pädagogisch entschieden werdenmuss, ob eher der Schutzgedanke greift, oder obeher neue Handlungsspielräume eröffnet werdenkönnen. Diese Entscheidung ist immer am Maß-stab des Kindeswohls zu orientieren. Die Elternbzw. Pädagogen tragen in dieser Hinsicht einebesondere Verantwortung. Ihre erzieherischen Ent-scheidungen müssen den Besonderheiten des je-weiligen Kindes gerecht werden. Dabei wird Erzie-hung als ein Prozess verstanden, an dem zweiSubjekte – Kind und Eltern – zugleich beteiligtsind, so dass das Kind diesen Prozess aktiv mit-gestaltet. Fragen seiner Erziehung sind also – ent-sprechend seinem Entwicklungsstand – mit demKind einvernehmlich zu regeln. Kinder habengrundsätzlich das Recht auf Umgang mit beidenElternteilen; das gilt auch für den Umgang mitanderen Personen, zu denen das Kind eine Bin-dung aufgebaut hat, und wenn diese für seineEntwicklung förderlich ist. Wenn sich z.B. Elternscheiden lassen, endet zwar die Ehe, die Eltern-schaft dauert jedoch weiter an – besonders ausder Perspektive des Kindes. Auch bauen Kinderoft feste Beziehungen zu Personen des engerenUmfeldes auf, die für das Kind bedeutsam sind,und die nicht ohne weiteres abgebrochen werdendürfen, z.B. zu Geschwistern, Großeltern, Patenoder Pflegeeltern bzw. zu Erziehern bei Heimun-terbringung. Das Recht zur Bestimmung derGrundlinien der Erziehung ihrer Kinder liegtgrundsätzlich bei den Eltern. Sie dürfen diesesRecht jedoch nur im Sinne des Kindeswohls aus-gestalten. Darüber hinaus hat der Staat keinRecht, den Eltern inhaltlich Vorgaben zu machen.Anders sieht es jedoch aus, wenn die Frage auf-taucht, was in der Erziehung nicht geschehendarf. Hierzu sind im Jahr 2000 die vorhandenen

rechtlichen Regelungen weiter konkretisiert wor-den: »Kinder haben ein Recht auf gewaltfreieErziehung. Körperliche Bestrafungen, seelischeVerletzungen und andere entwürdigende Maßnah-men sind unzulässig« (§ 1631 Abs. 2 BGB). Kör-perliche Sanktionen – sei es ein Klaps, eine Ohr-feige oder dergleichen – sind sowohl rechtlich alsauch pädagogisch keine zulässigen Methoden derErziehung.

Während der Staat also nicht sagen darf, was Kin-dern in der Erziehung durch ihre Eltern konkretzusteht, so hat er doch das Recht, zu sagen, wasKindern in der Erziehung nicht widerfahren darf.Denn das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kin-der ist ein sog. »fremdnütziges Recht«, d.h. dieAusübung der elterlichen Sorge muss immer imInteresse des Kindes sein. Der Staat übt in dieserHinsicht ein sog. »Staatliches Wächteramt« aus.Diese abstrakte Formulierung ist jedoch ganz kon-kret gemeint. Es sind alle Personen (Nachbarn,Verwandte, Schule, Kindergarten, usw.) aufgefor-dert, darauf zu achten, dass Kindern eine Erzie-hung widerfährt, die auch tatsächlich ihrem Wohldient. Das setzt noch keine Spezialkenntnisse vor-aus, sondern die aufmerksame Beobachtung durchalle Personen, die mit dem Kind Umgang haben.Wenn es Anzeichen dafür gibt, dass einem Kindnicht die nötige Pflege und/oder Erziehung zuteilwird – aus welchen Gründen auch immer –, dannbesteht die Möglichkeit, in diesen Fällen Hilfeanzubieten. In jedem Landkreis und in jeder kreis-freien Stadt gibt es ein Jugendamt, das in solchenSituationen Hinweise aufnimmt (auch anonyme),den Kontakt zu den Eltern sucht, mit diesen ko-operative Problemlösungen im Sinne einer Erzie-hungspartnerschaft entwickelt und im BedarfsfallHilfen zur Erziehung anbietet. Das Jugendamt istbestrebt, angemessene Hilfen mit den Eltern undden betroffenen Kindern auszuwählen und durch-zuführen. Diese Angebote werden von Professio-nellen (Sozialpädagoginnen, Sozialarbeiterinnen),die speziell für diese Aufgaben ausgebildet wor-den sind, unterbreitet. Für den Nachbarn, für dieErzieherin im Kindergarten oder für die Lehrerin inder Grundschule ist wichtig, dass sie selbst dasProblem nicht lösen muss, sondern sich vertrau-ensvoll an das Jugendamt wendet.

In den Fällen, in denen die Hilfen zur Erziehungnicht mehr hinreichen (das ist insbesondere dann

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der Fall, wenn eine Kindeswohlgefährdung bereitsvorliegt), muss das Jugendamt zusammen mit demFamiliengericht eine Lösung finden, wie dem je-weiligen Kind die ihm zustehenden Hilfen zuteilwerden. Auch in diesen Fällen ist es wichtig, dassNachbarn oder Erzieherinnen und Lehrerinnen ihreBeobachtungen dem Jugendamt mitteilen, damitHilfe einsetzen kann. Hier sind die Professionellenin den Institutionen kindlicher Bildung in beson-derer Weise gefordert. Der beste Kinder- und Ju-gendschutz ist die Aufmerksamkeit für Kinder unddie Bereitschaft, Probleme anzusprechen oder pro-fessionelle Hilfe zu suchen (z.B. im Jugendamt;Kinder- und Jugendschutzdienste in fast allen grö-ßeren Städten Thüringens).

Teilhabe und Mitbestimmung (Partizipation)

Im Artikel 12 der UN-Kinderrechts-Konvention heißtes: »Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, dasfähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, dasRecht zu, diese Meinung in allen das Kind berüh-renden Angelegenheiten frei zu äußern, und be-rücksichtigen die Meinung des Kindes angemes-sen und entsprechend seinem Alter und seinerReife.« In gelebter Partizipation sind Kinder in alleEntscheidungsprozesse eingebunden, die dasZusammenleben betreffen. Mit einem Bildungsver-ständnis, das die Perspektive des Kindes in denMittelpunkt der Bildungsförderung stellt, ist Parti-zipation der zentrale Bezugspunkt in der pädago-gischen Arbeit. Wenn sich Bildung durch Ko-Kon-struktionsprozesse realisiert, dann ist Partizipati-on ein notwendiges Grundprinzip pädagogischenHandelns und damit eines der wesentlichen Qua-litätsmerkmale. Kinder erleben zu lassen, dass siegefragt sind, dass ihre Meinung zählt und ihr Mit-entscheiden wirklich gewollt ist, befähigt sie zueinem demokratischen Lebensstil. Sie lernen,selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten, erfahrendabei Grenzen des Möglichen und werden fähig,eigenes Tun mit dem der anderen abzustimmen.Kinder lernen so, Lösungen auszuhandeln, zu ent-scheiden und Verantwortung zu übernehmen.

• Jungen und Mädchen erfahren, dass sie in derGruppe und in ihrer Umgebung Vorgänge beein-flussen können und dass ihre Meinung ernstgenommen wird.

• Sie erleben, dass sie mit ihren Stärken und

Schwächen angenommen sind und dass sieeinen wichtigen Beitrag für die Gemeinschaft lei-sten können.

• Kinder erfahren, dass sie ge- und beachtet wer-den und ihre Gefühle und Meinungen wichtigsind.

• Kinder werden sich ihrer eigenen Interessen,Wünsche und Bedürfnisse bewusst, wenn siedanach gefragt werden.

• Mit der Übernahme von Verantwortung sichselbst, den anderen und der Sache gegenüberist die Erkenntnis verbunden: »Auf mich kommt es an!« Eingebunden in sozia-le Kontexte erfahren sie Zugehörigkeit undSchutz, wenn sie Entscheidungen in sozialer Ver-antwortung treffen.

• Kinder lernen auch, dass ihren Entscheidungs-möglichkeiten durch objektive Bedingungen Gren-zen gesetzt sind.

Je mehr Freiräume den Kindern zustehen, destokompetenter lernen sie, ihren Umgang mit derGruppe zu gestalten. Mit dem Erfolg ihrer aktivenEinflussnahme auf den Lebensalltag eröffnen sichvielfältigere Handlungsmöglichkeiten für Kinder.Jedes Kind weiß letztlich mit seiner Zeit etwas an-zufangen. Eine ernsthafte Beteiligung der Kinderzu unterstützen, bedeutet aber auch, ihnen diedazu notwendigen Informationen zu geben, sie zuspezifischem Tun zu befähigen: Wenn das Kindz.B. die künftige Raumgestaltung mitentscheidensoll, muss es wissen, wie und worum es geht undob es selbst dabei eine Aufgabe übernehmenkann. Partizipation reicht von der Übernahme vonPflichten (z.B. verantwortlich sein für die Blumen)über die Verantwortung für andere Lebewesen bishin zum Gefühl, für andere Kinder Verantwortungzu übernehmen. Das Gefühl, im Hier und Jetzt zusein und Einfluss zu haben, individuelle und ge-meinschaftliche Ziele zu erreichen, und das Wis-sen über die eigene Welt, die gestaltet werdensoll, gibt Kindern Handlungssicherheit. Eine sol-che Sicherheit, die eigene Lebenssituation kom-petent gestalten zu können, hilft in schwierigen,auch krisenhaften Situationen, nicht aufzugebenund nach Lösungen zu suchen.

Beteiligungs-, Gestaltungs-, Mitbestimmungs- so-wie Entscheidungsmöglichkeiten für alle Kinderbieten sich beispielsweise in den folgenden Zu-sammenhängen an:

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• Tagesablauf, Art und Inhalt der Tätigkeiten (indi-viduelle Freiräume),

• Art und Weise der Gestaltung der Mahlzeiten,• Wahl der Spielpartner, -inhalte, -materialien,

-räume,• Aushandeln und Kontrolle von Regeln,• Übernahme von Routinen und Pflichten, Verant-

wortung für Teilaufgaben,• Projektarbeit und Angebote (mit den Kindern

planen, nicht für die Kinder),• Raumgestaltung (die Kinder gestalten und ver-

ändern nach Bedarf ),• Anschaffungen beraten,• Erholungs- und Ruhephasen bestimmen,• Gruppendiskussionen (jedes Kind kann zu Wort

kommen),• Gestaltung von Festen und Feiern (schon bei der

Planung!),• Interessen, Bedürfnisse, Gefühle artikulieren,• Rückzugsräume nutzen können,• ungewöhnliche Ausdrucksformen akzeptieren,• Theorien, Erfahrungen, Ideen und Vorstellungen

der Kinder ihren Ausdruck finden lassen und• individuelle und kulturelle Besonderheiten ein-

bringen.

Für Kinder ist es wichtig, dass sie durch Erwach-sene begleitet werden, • indem Erwachsene anregen statt anordnen, • motivieren statt reglementieren, • bestärken statt kritisieren und • unterstützen statt begrenzen.

Partizipation erfordert einen gleichberechtigten Um-gang, keine Dominanz der Erwachsenen. WennKinder Entscheidungen treffen können, dann sinddiese auch verbindlich. Das heißt, die Orientie-rung an den realen Möglichkeiten der jeweiligenLebenssituation und an den individuellen Kompe-tenzen der Kinder muss in den Prozess der Ent-scheidungsfindung einfließen. Gleiche Rechte füralle Kinder heißt dann, dass jeder einbezogenund zur Beteiligung befähigt wird (Gerechtigkeitbeim Kirschenpflücken bedeutet z.B., den Kleineneine Leiter zu geben).

Partizipation wird primär in der Art und Weisedeutlich, wie die Beziehung zwischen den Kindernund den Erwachsenen gestaltet ist, welches Rol-lenverständnis dabei jeweils zugrundegelegt wur-de. Gefragt ist hier vor allem das Vertrauen in die

Stärken der Kinder (Vertrauensvorschuss). Das istauch eine Form des Loslassens, die beinhaltet,dass nicht der Erwachsene allein die Lösungenhat, sondern Kinder und Erwachsene sich gemein-sam in einen Lern- und Lösungsprozess begeben.Es bedeutet auch, Entscheidungsbefugnisse mitKindern zu teilen. Insofern muss sich Partizipationkonzeptionell verankern, darf nicht der Beliebig-keit im Alltag ausgesetzt sein. Kinder müssen wis-sen, dass sie gefragt sind (sonst fragen sie, ob siefragen dürfen!). Die Befähigung zur Partizipationerreichen wir durch gelebte Partizipation, die denjeweiligen Entwicklungsbesonderheiten der Kin-der genügen muss. So bedeutet die Form der Be-teiligung und die Realisierung der Beteiligungs-rechte für ein zweijähriges Kind etwas anderes alsfür einen Schulanfänger.

Dabei gibt es unterschiedliche Formen der Betei-ligung von Kindern:

Repräsentative Formen sind immer solche, durchdie einzelne Kinder stellvertretend für andere Inter-essen wahrnehmen, planen und entscheiden (Kin-derparlamente, Kinderräte, Kinderbeauftragte).

In offenen Formen der Beteiligung können alleKinder z.B. in Kinderkonferenzen, Erzähl- und Mor-genkreisen oder Kinderversammlungen Beachtungfinden und Einfluss nehmen.

Beteiligung von Kindern im kommunalen Raumsind z.B. ein Kinderbüro, das gemeinsame Er-schließen des Umfelds der Bildungsinstitution, dieBeteiligung an Veranstaltungen des Umfelds/im Um-feld usw. In diesem Zusammenhang stehen Formender Öffnung einer Bildungsinstitution nach außen.Sie unterstützen das Bewusstsein der Kinder, dasssie »in der Welt« sind, dass sie dort erwünscht sindund in dieser mitbestimmen können.

Teilhabe und Mitbestimmung beziehen sich je-doch nicht nur auf Kinder. Eltern nehmen gemein-sam mit der Institution Bildungs- und Erziehungs-aufgaben wahr (Erziehungspartnerschaft, vgl. 1.5;3.2). Die Tagesmutter, die Krippe oder der Kinder-garten sind die ersten Institutionen kindlicher Bil-dung, Erziehung und Betreuung neben der Fami-lie. Die Beteiligung der Eltern an allen Prozessen,die die Bildung, Erziehung und Betreuung ihrerKinder betreffen, heißt, sie als Partner und Exper-

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ten für die Entwicklung ihrer Kinder ernst zu neh-men. Dies ist ein Prozess des Aushandelns, fürden die Professionellen verantwortlich sind. Dasbedeutet in erster Linie Transparenz der pädago-gischen Arbeit. Transparenz entsteht, wenn Eltern:

• bei der Entwicklung pädagogischer Konzeptio-nen einbezogen sind,

• alle notwendigen Informationen erhalten,• an der Planung pädagogischer Intentionen (u.a.

durch eine gelungene Dokumentation) teilhabenkönnen und

• bei allen Veränderungen, die die Institutionbetreffen, einbezogen werden.

Auf diese Weise kann ein gemeinsames Handelnaller an der Bildung Beteiligten erreicht werden(siehe auch 1.5 und 3.2: Kooperation mit Eltern).

Spiel

Der Mensch erkennt, erobert und reflektiert dieWelt zuerst im Spiel. Kinder erschließen sich dieWelt an allen Orten, z.B. zu Hause, im Kindergar-ten, in der Grundschule. Neugierig, selbstbe-stimmt und lustbetont erforscht das Kind seineUmgebung. Es erfährt dabei sowohl etwas übersich als auch über die Menschen und die Dinge,mit denen es tätig ist.

• Was kann ich mit den Dingen tun?• Wie sind diese beschaffen?• Gefällt mir, was ich sehe?• Machen mir die Ergebnisse meines Tuns Spaß?• Wie reagieren die Bezugspersonen: Was machen

sie? Das, was ich will? Kann ich verstehen, wennsie anders reagieren, als ich erwartet habe?

Kinder spielen, weil sie sich entwickeln, und sieentwickeln sich, weil sie spielen. Die Spielfähig-keit des Kindes folgt einer Entwicklungslogik, derdie soziale und kulturelle Umwelt gerecht werdenmuss. Weil Bildung Ko-Konstruktion der Welt ist,haben Kinder in jedem Entwicklungsalter ihre sub-jektive »innere Welt«, aus der heraus sie neue Er-fahrungen und Erlebnisse mit der »äußeren Welt«ergänzen. Wie das geschieht, hängt von den Fähig-keiten des Kindes ab, aus seiner Sicht die Weltphantasievoll in sich selbst (neu) entstehen zulassen. Die Spielzeit ist dabei ein offener Gestal-

tungsprozess, in dem das Kind Beziehungen zuSpielsachen, Spielpartnern, Spielthemen und zusich selbst herstellt.

Am Anfang des Lebens ist für ein Kind alles Spiel(Manipulieren, Hantieren, Funktionsspiel). Überdas Funktionsspiel mit dem eigenen Körper undmit Gegenständen entwickeln sich Wahrnehmun-gen und Bewegungen. Letztere werden durch dieBewegungsspiele gezielt gefördert. In dieser Pha-se des spielerischen Umgangs mit der Welt aufder sensomotorischen Ebene wird die wesentlicheGrundlage für die kognitive Entwicklung gelegt.Bezugspersonen sind hier notwendig eingebun-den. Das Spiel erweitert sich dann durch die mitder Vorstellungsfähigkeit verbundenen sprachli-chen Fähigkeiten zum Fantasiespiel – eine umfas-sende Möglichkeit, Welt zu konstruieren und eige-ne Möglichkeiten zu erproben, ohne dass es inder Realität negative Wirkungen hätte. Die Gren-zen zwischen Fantasie und Wirklichkeit verwi-schen im Spiel: Wunsch- und Fantasiewelten so-wie Symbolisierungen drücken aus, welche Be-dürfnisse Kinder haben, welche Gefühle ausgelebtwerden, wie Kinder ihre Selbstwirksamkeit erpro-ben. Hier sowie in Konstruktionsspielen entwik-keln sich Kreativität und damit verbunden die Fä-higkeit, Probleme zu lösen. Erprobtes Handeln im»sicheren Raum« ermöglicht sicheres Handeln im»realen Leben«. Natürlich ist das Spiel in demMoment, in dem es geschieht, für das Kind real.Und dann hat sein Verhalten auch ernste Konse-quenzen. Genau hier liegen die Entwicklungspo-tenziale des Spiels: Das Kind lernt in einer Quasi-Realität.

Mit zunehmender Fähigkeit des Kindes zur Per-spektivübernahme wandelt sich das Durchspieleneinzelner, an anderen beobachteter Handlungsfol-gen, die übend wiederholt werden, zum symbol-trächtigen Rollenspiel. Hier geht es um die Über-nahme von und Identifikation mit den Rollenin-halten, aber auch schon um ein aktives Auseinan-dersetzen mit den Anforderungen an die Rolle. ImSpiel erfolgt eine gegenseitige Absprache und dieKinder lernen zu unterscheiden, ob hier eine Ab-weichung vom Erwarteten möglich ist oder nicht.Hier liegen die Anfänge für die Entwicklung derRollendistanz, die später dazu befähigt, bewusstdie Balance herzustellen zwischen sozialen Anfor-derungen und persönlichen Interessen. Regelspie-

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le sind solche Spiele, die den normativen Aspektstärker in das spielerische Lernen bringen und indenen gelernt wird, dass es z.B. durch Regeln»Gewinner« und »Verlierer« geben kann. Ein Kindlernt dann, mit negativen Gefühlen umzugehen,aber auch, dass eine Leistung mit Stolz erfüllt unddass es gut ist, gemeinsam zum Ziel zu kommen.Kinder lernen, Regeln zu verstehen und deren Ein-haltung einzufordern. Sie werden aber auch dazubefähigt, selbst Regeln zu erstellen und mit ihnenflexibel umzugehen.

Soziale Interaktion im Spiel beginnt mit dem Zu-schauen, hinzu kommt das Interesse an anderen(spielenden) Kindern. Über das Parallelspiel ge-langen Kinder dann zur Fähigkeit, Spielinhalteaufeinander abzustimmen und sich an einem ge-meinsamen Inhalt zu orientieren. Das organisierteRollenspiel ist Ausdruck dafür. Kinder lernen, mitanderen gemeinsam Spielbedingungen entspre-

chend ihrer Ideen zu schaffen und zu verändernsowie Planungen für das Spiel vorzunehmen. Da-mit ist auch verbunden, sich durchzusetzen, sichunterzuordnen oder Kompromisse zu schließen.Die Kinder lernen, eigene Wünsche zugunsten desgemeinsamen Spiels aufzuschieben. Eine Form,die fast alle Entwicklungspotenziale des Spiels insich vereint, ist das Theaterspiel. Für jeden Bil-dungsbereich gibt es schließlich didaktische Spie-le, die bewusst eingesetzt werden, um spezifischeBildungsprozesse beim Kind zu unterstützen. DieSpielfähigkeit ist Ausdruck ganzheitlicher Entwick-lung. Das Spiel ist in allen Bildungsbereichen dieHaupttriebkraft der Entwicklung, und dies insbe-sondere, je jünger ein Kind ist. Dabei gilt, dassSpiele immer bildungsbereichsübergreifende Wir-kungen haben, auch wenn man Zuordnungen vor-nehmen kann. Welche Spieltätigkeiten in welchemBildungsbereich Bedeutung haben können, fasstdie folgende Übersicht zusammen:

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Bildungsbereich Beispiele für Bedingungen der Spieltätigkeit

Sprachliche und schrift-sprachliche Bildung

Handpuppen; Rollenspiele; Lautmalereien; Rhythmusbetonte Spiele

Motorische und gesundheit-liche Bildung

Spiegel; Medien über Körper und Geburt, Bewegung, Ernährung, Sexualität, Verschie-denheit im Aussehen; Rollenspielmaterialien für Frauen- und Männerrollen; Jungen-und Mädchenpuppen; Dreiräder, Laufräder, Rollbretter, Trampolin, Seile, Bälle, Kletter-wand, Balanciermöglichkeiten, Arztkoffer, Verbandsmaterial, Schminke, Naturmaterialzum Tasten, Riechen, Schmecken

Naturwissenschaftliche undtechnische Bildung

Technisches Spielzeug zum Bauen und Konstruieren; Naturspielmaterialien, Spiele inder Natur und mit der Natur; Wecker, Radio; Taschenlampe, Spiegel; Experimente

Mathematische Bildung Bauen und Konstruieren; Ineinanderstapeln; Material zum Auseinandernehmen undExperimentieren; Uhren, Waagen, Spielgeld, Messmöglichkeiten, Spiele zur Raum-Lage-Wahrnehmung; Spiele zum Vergleichen, Sortieren, Zählen

Musikalische Bildung Spiele mit Instrumenten, auch selbst gebauten; Singspiele, Tanzspiele, Bewegungs-und Rhythmikspiele; Kreisspiele

Künstlerisch-gestaltendeBildung

Spiel mit Papier, Farben, Formen; Malen nach Musik; Schatzkisten mit Material zumGestalten

Soziokulturelle, moralischeund religiöse Bildung

Spiele zur Selbstdarstellung; Ich-wünsche-mir-was-Spiele, sich selbst malen, formen,als Puppe herstellenSoziale Rollenspiele; Kooperationsspiele; Ausdrucksspiele für Gefühlsdarstellungen;Namensspiele

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Im und durch das Spiel verleihen Kinder ihrerLebenssituation Ausdruck. Kinder verarbeiten imSpiel ihre Lebenssituation und entwickeln siespielerisch weiter. Die Beobachtung des Spielsbietet deshalb Erwachsenen einen Einblick in dieLebenswirklichkeit des Kindes. Die Art, was undwie gespielt wird, ist auch eine Mitteilung derSpieler über sich selbst.

• Inhalte: Was wird gespielt? Drücken sich darinErlebnisse und Erfahrungen des Kindes aus?Gibt es dominierende Inhalte? Gibt es Inhalte,die einem modischen Trend geschuldet sind?

• Motive: Warum spielt ein Kind (nicht)? Warumhat ein Kind keine Lust zu spielen? Langweilt essich? Fehlen ihm die (richtigen) Partner? Was istbesonders interessant? Gibt es destruktive Ten-denzen im Spiel?

• Verhalten: Wie spielen die Kinder miteinander?Gibt es Kinder, die ausgeschlossen werden? Gibtes Kinder, die sich zurückziehen? Ist der Umgangmit dem Spielmaterial wertschätzend?

Erwachsene beobachten, unterstützen und regendas Spiel der Kinder an. Der selbstbestimmte Cha-rakter des Spiels schließt ein, dass Erwachsenedas Spielen der Kinder respektieren. Sie ermun-tern die Kinder, ihre Ideen zu verwirklichen, undunterstützen sie dabei. Das geschieht u.a. durchImpulse und Mitspiel, ohne die Spielinhalte zudominieren. Wichtig ist, dass Kinder die Freudespüren, die Erwachsene am Spiel haben. So kannz.B. fehlendes Sachwissen in neuen Spielen ver-mittelt werden. In diesem Zusammenhang ist auchdas gelenkte Spiel als eine Möglichkeit zu nen-nen, die kindliche Spielfähigkeit zu unterstützen.In allen sieben Bildungsbereichen wird deshalbbewusst auf das Spiel als Methode der Initiierungvon Bildungsprozessen zurückgegriffen.

Es ist notwendig, mit den Kindern gemeinsamRegeln und Rituale für die Spielzeit zu vereinba-ren. Das kann z.B. Regeln des Umgangs miteinan-der betreffen, die Nutzung von Materialien undRäumen, die Art und Weise, die Spielzeit zu been-den, sowie das Aufräumen.

Es ist wichtig, Inhalte zu unterstützen, die• Erlebnisse und Gefühle der Kinder widerspiegeln,• Bedürfnissen und Wünschen entsprechen (z.B.

Sexualität und Zärtlichkeit ausleben)

• aus unterschiedlichen Kulturen kommen,• historisch gewachsen sind (wieder aufleben las-

sen) sowie• modische Vorlieben der Kinder betreffen.

Die Spielkultur ist durch den räumlich-materiellen,zeitlichen und sozialen Aktionsrahmen gekenn-zeichnet. Hierzu gehören:

Spielmaterial:Die zur Verfügung stehenden Spielmaterialiensind vielseitig einsetzbar. Jeder Gegenstand ist fürdas Kind als Spielgegenstand interessant. Es liegtin der Verantwortung der Erwachsenen, Kinderüber gefährliche Gegenstände und Situationenaufzuklären und sie davor zu schützen. Spiel-zeugmaterialien sind ausreichend für die unter-schiedlichen Spielarten vorzuhalten, Überangebo-te sind zu vermeiden.

Spielräume:Räume müssen in erster Linie entsprechend derSpielinhalte gestaltbar sein. Die Kinder braucheneine Umgebung, in der es frei zugängliche vielfäl-tige Materialien gibt, die Spielideen verwirklichenhelfen, die aber gleichzeitig auch zu neuen Inhal-ten anregen, zum Forschen und Experimentiereneinladen. Das gilt sowohl für das Spielen im Freienals auch im Haus. Feste räumliche Anordnungenhaben den Nachteil, dass sie oft nicht veränder-bar sind und damit das kreative Spiel einengen.Auch ein separater Raum z.B. für das Theaterspielist so eingerichtet, dass er bei gleichzeitiger Ge-staltbarkeit funktioniert. Spielräume müssen denPlatz bieten, den ein spezielles Spiel braucht, sodass Kinder sich nicht gegenseitig in ihrem Spielbehindern.

Spielpartner:Kinder brauchen Spielpartner, die sie anregen undmit ihnen gemeinsam das Spiel gestalten. Kinderbevorzugen im frühen Alter Erwachsene, weildiese sich auf Kinder gut einstellen können. Kin-der fühlen sich jedoch schon sehr zeitig auch zuanderen Kindern hingezogen. Die Wahl der Spiel-partner leitet sich zum einen aus den Spielinhal-ten ab, zum anderen ist sie oft Ausdruck der so-zialen Struktur in der Kindergruppe. Hier bestehteine pädagogische Aufgabe für Erwachsene, wennes z.B. um die Integration außenstehender Kindergeht, oder um die Dominanz mancher Kinder, die

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andere nicht aktiv werden lassen. Durch behutsa-me Impulse kann das Spiel als soziales Lernfeldbewusst genutzt werden. Durch das MitspielenErwachsener ist es u.a. möglich, Kenntnisse zuvermitteln, die zur Realisierung bestimmter Rollennotwendig sind.

Spielzeit und Spielkultur:Unterschiedliche Spiele brauchen unterschiedlichviel Zeit. Kinder sind individuell verschieden inder Art und Weise, sich ins Spiel zu vertiefen. Bei-des macht deutlich, dass eine flexible Tagesge-staltung dem Spielbedürfnis der Kinder entgegen-kommt. Kinder brauchen Freiheiten zu entschei-den, mit wem, was und wie lange sie spielen.Spielen ist zugleich universell und von kulturellenKontexten geprägt. Frühe Spielformen manipulati-ven Spiels, des spielerischen Erkundens und desFantasiespiels haben universelle Entwicklungs-funktion. Durch Symbolgebrauch, Sprachverwen-dung und Ich-Bewusstsein nimmt das Spiel immermehr kulturelle Formen an. Besonders die Regel-spiele sind in hohem Maße kulturbestimmt. Spie-le unterliegen dem historischen Wandel. Es ist Teilder Bildung, hier das kulturelle Erbe zu tradierenund gleichzeitig den modernen Spielformen Rech-nung zu tragen, die Ausdruck der aktuellen Le-benswelt der Kinder sind. Spielwelten enthaltenimmer durch ihre Inhalte und Regelvorgaben ge-sellschaftliche Werte. Das fordert zur Auseinan-dersetzung heraus, z.B. mit folgenden Fragen:

• Aktivierendes oder langweilendes Spielzeug?• Wegwerfen oder Reparieren?• Holzspielzeug oder Kunststoff?• Funktionsspielzeug oder Kinderkitsch?• Spielzeugwaffen?• Kriegsspielzeug?• Naturmaterial oder vorgefertigtes Spielzeug?• Spielzeugfreie Zeiten oder spielzeugfreier Kinder-

garten?

Zur Analyse der kindlichen Spielwelten gehören:• Im gesellschaftlichen Umfeld: Kommerzialisierung

des Spiels und des Spielzeugs, Spielzeug, Me-dien, Spielplätze.

• In der Familie: Sind Eltern Spielpartner ihrer Kin-der? Haben Kinder Spielmaterialien? Haben Kin-der Spielräume?

• In der Institution: Spielräume, Spielzeiten, Spiel-partner, Spielmaterialien, Spielformen.

• Spielfähigkeit des Kindes: in der die individuel-len Vorlieben und Möglichkeiten des Kindes zumAusdruck kommen, wie zum Beispiel seine bevor-zugten Spielmaterialien und Spielinteressen.

Lernen

Vom Beginn seines Lebens an setzt sich das Kindselbsttätig und interessiert mit der es umgeben-den Welt auseinander. Es stellt sich Fragen undentwickelt Problemlösungen und Deutungsmuster.Von klein auf ist das Kind in der Lage zu entdek-ken, zu vergleichen, Hypothesen zu bilden undFunktionen zu erproben. Kinder entwickeln aufdiese Weise individuelle Theorien über die Welt,die sie kommunizieren und mit den Theorien an-derer Kinder und Erwachsener vergleichen. Sie ver-folgen mit Begeisterung und Leidenschaft Eigen-themen, die sie bevorzugt, mit anhaltendem Inter-esse und besonderer Kreativität bearbeiten. Einso verstandener Begriff von Lernen bedeutet, dassalle Orte und Situationen, in denen Kinder sichaufhalten, Lernorte sind: die Wohnung, in der dasKind wohnt, die Arztpraxis, die es manchmal auf-sucht, die Geschäfte, in denen die Familie ein-kauft; Freizeiteinrichtungen, öffentliche Verkehrs-mittel usw. In diesen alltäglichen Situationen lerntdas Kind zunächst beiläufig, denn diese Alltagssi-tuationen sind nicht in erster Linie als Lernsitua-tionen strukturiert. Indem das Kind sich selbst,andere Kinder und Erwachsene in unterschiedlich-sten Alltagssituationen erlebt und beobachtet,erwirbt es Wissen über Personen und Dinge inden verschiedensten Lebenslagen. Diese Gelegen-heiten des beiläufigen Lernens werden als »infor-melle Bildung« aufgefasst.

Demgegenüber sind Institutionen frühkindlicherund außerschulischer Bildung vorrangig nonforma-le Bildungsorte. Kinder lernen hier in pädagogi-schen Arrangements, ohne dass hier Lernergeb-nisse (standardisiert) überprüft werden. Dass Kin-der eigensinnig und selbsttätig lernen, ist keinWiderspruch zu der Tatsache, dass sie auch durcheine sinnvoll vorstrukturierte Umgebung sowie indidaktisch strukturierten Settings zu wichtigen Er-kenntnissen und Fähigkeiten gelangen. Das Ken-nenlernen von Schriften setzt beispielsweise Vor-lesesituationen und das Vorhandensein von Kin-derbüchern in den Institutionen kindlicher Bildung

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voraus; die Entwicklung mathematischer Fähigkei-ten wird durch Materialien unterstützt, die nachunterschiedlichen Merkmalen sortiert und geord-net werden können, und Betätigungen in der Lieb-lingssportart setzen voraus, dass Geräte und an-gemessene Übungsgelegenheiten vorhanden sind.

In modernen Gesellschaften entsteht kontinuier-lich neues Wissen und werden kontinuierlich neueHandlungskompetenzen erforderlich. Daher ist esfür Kinder wichtig, nicht nur Wissen und Kompe-tenzen zu erwerben, sondern zugleich darüber Be-scheid zu wissen, wie man lernt und wie manselbst zu neuem Wissen gelangen kann. Deshalbsind in Institutionen kindlicher Bildung solche Lern-arrangements zu bevorzugen, die den Kindern dieBedeutung des zu Lernenden verdeutlichen unddie Kinder dazu befähigen, selbst zu Erkenntnis-sen zu gelangen. Besonders geeignet sind Exkur-sionen und Erkundungen an Lernorten außerhalbder Bildungsinstitution, Recherchen und Experten-gespräche, das Lernen in Projekten sowie die Do-kumentation und Präsentation der eigenen Ergeb-nisse. Um selbsttätiges Lernen zu ermöglichen,müssen Kinder auf einen reichen Materialfunduszurückgreifen können. Hier sind beispielsweise Ma-terialien aus dem Alltag, Spielzeug, didaktischesMaterial und Naturmaterial gleichermaßen geeig-net. Wenn dieser Materialfundus den Kindern inübersichtlicher und strukturierter Form zur Verfü-gung steht, kann er vielfältige Lernprozesse unter-stützen und anregen. Die Offenheit und Flexibili-tät der hier genannten Lernarrangements kommtden unterschiedlichen Lernvoraussetzungen undDenkweisen der einzelnen Kinder innerhalb derLerngruppe entgegen.

Kinder können dann gut lernen, wenn sie mitanderen, unterschiedlich alten Kindern gemein-sam lernen können. Dabei werden sie durch Er-wachsene unterstützt und begleitet, die ihnen hilf-reich und ermutigend zur Seite stehen und dafürsorgen, dass sie in einer gelassenen und angst-freien Situation lernen können. Die Erwachsenenlassen Kindern Zeit zum Lernen und sorgen füreinen angemessenen Wechsel zwischen Ruhe undBewegung, handlungspraktischen und kognitivenAnforderungen. Erwachsene unterstützen Kinderdarin, ihren individuellen Lernfortschritt wahrzu-nehmen. Die Wertschätzung des eigenen Lern-und Entwicklungsfortschritts durch Erwachsene und

durch andere Kinder ist eine bedeutsame Motiva-tion zur Bewältigung neuer Anforderungen undAufgaben. »Fehler« der Kinder werden hierbei alsentwicklungsnotwendige Suchbewegung, nicht alsAusdruck eines Defizits aufgefasst, und individu-elle Lösungen finden Anerkennung. Erwachsenekönnen den Lernerfolg von Kindern außerdem un-terstützen, indem sie Lernangebote unterbreiten,die an den Alltag und an die Lebenswirklichkeitder Kinder anschließen, aber auch darüber hin-ausführen.

Literacy-Erziehung

Literacy-Erziehung meint die Vielfalt der Möglich-keiten, Kinder von Beginn an in eine anregendeund entwicklungsfördernde Gesprächs- und Schrift-kultur einzubeziehen. Die Bildungsbiographie je-des Kindes ist in hohem Maße davon abhängig, inwelcher Qualität es einen Zugang zu Sprachenund Schriften gewinnen kann. Auch wenn beineuen Medien sowie in Alltagssituationen Schrift-liches häufig durch Bilder oder durch Gesprächeersetzt wird, bleibt doch die Teilhabe jedes Kindesam kulturellen und sozialen Leben stark von sei-nen sprachlichen und zunehmend auch von denschriftsprachlichen Möglichkeiten abhängig. Sosetzt der Umgang mit neuen Medien das Lesen-und Schreibenkönnen selbstverständlich voraus.Das Lesen- und Schreibenkönnen verweist wie-derum auf komplexe Fähigkeiten der mündlichenKommunikation. Aus diesen Gründen ist Literacy-Erziehung ein pädagogischer Zugang, der in allenBildungsbereichen (vgl. Kapitel 2) bedeutsam ist.Von klein auf erfahren Kinder die Wertschätzungvon Unterhaltung und Gespräch; sie lernen Ritua-le des mündlichen Austauschs und offenere, bei-läufige Formen des Dialogs kennen. In die Ge-sprächskultur sind neue Medien (insbesonderedas Telefon) integriert; zugleich jedoch traditio-nelle Angebote wie beispielsweise das darstellen-de Spiel oder auch der Theaterbesuch. Zugleichschließt Literacy-Erziehung die Schriftkultur ein.Hier sind nicht nur traditionelle Vorleseangebotegemeint, sondern auch das frühe kindliche Inter-esse an Schrift im weiteren Sinne: Kinder werdenauf Zeichen und Symbole im Alltag aufmerksamund erfinden selbst welche. Sie kennen sehr un-terschiedliche Verwendungskontexte von Schrift,sie erforschen Schriften und experimentieren da-

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bei mit »alten« und »neuen« Medien. Literacy-Erziehung kann für alle Kinder einen nachhaltigenZugang zur Gesprächs- und Schriftkultur eröffnen.Sie hat herausgehobene Bedeutung für Kinderund deren Eltern, wenn sie in sozial benachteilig-ten bzw. schriftfernen Alltagssituationen sowie inMigrationskontexten leben. Besonders geeignetsind Angebote in Institutionen kindlicher Bildungsowie zu Hause, wenn Kinder und Eltern gleich-zeitig gefordert sind und Eltern in diesen Situa-tionen selbst Kompetenzen und Wissen erwerben.

Literacy-Erziehung kann auf diese Weise zumAbbau von Bildungsbenachteiligung in allen Bil-dungsbereichen wirksam beitragen. Sie kann improfessionellen Rahmen in allen Institutionen kind-licher Bildung stattfinden; jedoch auch in infor-mellen Kontexten, beispielsweise durch ehren-amtliche Schreib- und Lesepaten, durch Angebotevon Kinderbibliotheken und sprach- und schrift-bezogene Angebote in Institutionen der offenenKinder- und Jugendarbeit.

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Kindliche Bildungsprozesse sind auf Übergangssi-tuationen angewiesen. Von der Geburt bis zum 10.Lebensjahr bewältigen Kinder mehrere bildungs-biographisch bedeutsame Übergänge: z.B. von derFamilie in die Kindergruppe der Tagesmutter bzw.des Kindergartens und von dort in die Grund-schule. Der darauf folgende Übergang von derGrundschule in die weiterführende Schule stehtam Abschluss des ersten Lebensjahrzehnts. Jederdieser Übergänge eröffnet dem Kind neue Umwel-ten und neue Perspektiven. Die jeweils vor demEintritt in die Übergangssituation praktizierten all-täglichen Routinen und bewährten Strategien sindnur noch teilweise passend. Sie müssen verändertoder neu entwickelt werden. Übergänge sind nichtnur Prozesse äußerer Veränderungen. Sie fordernKinder heraus und wirken sich grundlegend aufdie kindliche Identität aus. Deshalb enthaltenÜbergangssituationen zunächst Chancen. Sie ber-gen jedoch auch Risiken. Um emotionale Bela-stungen, Stressreaktionen und gesundheitlicheEinschränkungen zu vermeiden und dem Schei-tern des Übergangs vorzubeugen, ist daher inÜbergangsphasen auf weitere grundlegende Ver-änderungen im alltäglichen Leben des Kindes zuverzichten. Sind jedoch gravierende Veränderun-gen wie die Arbeitslosigkeit der Eltern, Wohnort-wechsel, die dauerhafte Trennung von wichtigenBezugspersonen u.ä. unvermeidlich, so müssenÜbergänge besonders sorgfältig und verantwor-tungsvoll begleitet werden. Die Einbindung von Be-kanntem und Vertrautem in neue Situationen er-leichtert Übergänge. Sie müssen deshalb von denprofessionell Handelnden in enger Kooperationmit den Eltern gestaltet werden. Um angemesse-ne Begleitung und Unterstützung gewähren zukönnen, ist es erforderlich, die Übergänge aus derBewältigungsperspektive des Kindes zu sehen.

Von der Familie in die Institutionen frühkind-licher Bildung

In den ersten Lebensmonaten entwickeln sich zwi-schen dem Kind und seinen Bezugspersonen engeBindungen, die im Verlauf des ersten Lebensjahresausdifferenziert werden. Diese Bindungen sind dieGrundlage, auf der das Kind beginnt, seine Umweltzu erkunden: Es beobachtet, wie vertraute Personenmit Situationen und Dingen umgehen. Es probiertSituationen und Dinge selbst aus. Durch Beobach-ten und durch Ausprobieren gewinnen Situationenund Dinge in vertrauten Kontexten für das Kind Be-deutungen. Es zeigt sich an Neuem und Überra-schendem in der Umwelt interessiert. Die Nähe unddas Vertrauen zu den Bezugspersonen sind dersichere Ausgangspunkt zur Erkundung der Welt.Schon im ersten Lebensjahr erweitert sich der so-ziale Horizont des Kindes erheblich. In Krabbel-gruppen und auf Spielplätzen, in Tagespflegestel-len oder in Krippe und Kindergarten erfährt esandere Situationen und Rituale als zu Hause. Dasgemeinsame Spielen, Lernen und Arbeiten mit Kin-dern und Erwachsenen bietet zahlreiche Lernanläs-se. So gewinnt das Kind auch außerhalb der eige-nen Familie Zutrauen in das eigene Können. Es ent-wickelt Neugier auf neue Umwelten und bewährtsich in ihnen kompetent. Kindergärten, Tagesmütterund ähnliche Institutionen kindlicher Bildung sinddaher eine professionell unterstützende Ressourcefür die familiäre Erziehung. Der Übergang von derFamilie in neue, noch unbekannte Umwelten stelltfür alle Beteiligten eine Herausforderung dar:

Das Kind bewältigt die mehrstündige Trennungvon den engsten Bezugspersonen und kommt miteinem anderen Tagesablauf zurecht. Es baut ver-trauensvolle Beziehungen zu anderen Erwachse-nen auf. Diese Beziehungen sind die Grundlagefür die Erkundung der Welt, wenn die Eltern nichtunmittelbar anwesend sind. Sie ersetzen jedochnicht die engen Bindungen an die Eltern.

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1.4 Gestaltung von Übergängen

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Die Eltern begleiten das Kind beim Übergang vonder Familie in andere Umwelten. Sie unterstützendas Einleben ihres Kindes in die neue Situationdurch ihre Anwesenheit in der Kindergruppe inden ersten Tagen. Die Eltern respektieren, dass ihrKind auch zur Erzieherin bzw. zur Tagesmuttereine intensive Beziehung aufbaut. Die Erweiterungder räumlichen und sozialen Umwelt erfahren sieals entwicklungsfördernd für ihr Kind.

Die Erzieherin/die Tagesmutter orientiert ihr pro-fessionelles pädagogisches Handeln an der Indi-vidualität des Kindes: Sie respektiert die Anwe-senheit der Eltern in der Phase des Einlebens indie Kindergruppe. Sie sorgt dafür, dass die neueUmgebung für das Kind anregend und emotionalunterstützend ist. Sie nimmt die Bedürfnisse undInteressen des Kindes sensibel wahr. Ihre Bezie-hung zum Kind ist verbindlich und auf Dauer an-gelegt. Auf dieser Basis kann das Kind auchaußerhalb seiner Familie vertraute Personen ge-winnen, die seine Erkundung der Welt unterstüt-zen und begleiten.

Der Übergang von der Familie in eine Institutionder frühkindlichen Bildung kann für das Kind eineerhebliche emotionale Belastung sein, die Stressund gesundheitliche Risiken auslösen kann. ZurVermeidung dieser Belastungen und Risiken tra-gen entwicklungsangemessene Gruppengrößen, eingeeigneter Kind-Erzieherin-Schlüssel, eine kindge-rechte Umgebung sowie ein pädagogisches Kon-zept bei, das die Individualität des Kindes imKontext der Kindergruppe würdigt. Risikomin-dernd wirkt zudem eine schrittweise Gestaltungdes Übergangs. Dauer und Gestaltung der Über-gangssituation sind davon abhängig, ob sich dasKind schnell und problemlos in die neue Situati-on einlebt oder aber mit Trennungsängsten undUnsicherheit reagiert. Im Mittelpunkt der Gestal-tung und Reflexion dieses Übergangs steht daherdie Qualität der Bindungen des Kindes an dieBezugspersonen innerhalb und außerhalb derFamilie.

Von den Institutionen frühkindlicher Bildungin die Schule

Der Übergang vom Kindergarten in die Grund-schule ist ein besonders herausfordernder Lebens-abschnitt, denn zu den informellen und nonfor-malen treten nun formale Bildungsprozesse hinzu.Standen bisher in den Institutionen frühkindlicherBildung die individuellen Interessen des Kindes,seine Eigenthemen und sein individueller Lern-und Entwicklungsfortschritt im Mittelpunkt, soverändert sich die pädagogische Perspektive nunbeim Übergang vom Kindergarten in die Grund-schule. Schule und Unterricht sind Orte, in undneben denen weiterhin Gelegenheiten zu infor-meller und nonformaler Bildung bestehen. Siesind jedoch in erster Linie der institutionelle Rah-men für formale Bildung: Unterricht findet in klardefinierten Strukturen statt, setzt die Entwicklungeiner angemessenen Lernhaltung sowie passen-der Arbeitstechniken voraus und beinhaltet dieBewertung von Leistungen auf der Basis inhaltli-cher Maßstäbe, die für alle Kinder verbindlichsind.

Für die Kinder bringt der Übergang vom Kinder-garten in die Grundschule zunächst eine Status-veränderung in doppelter Hinsicht: Zum einen er-fahren sie einen Statusgewinn. Denn als ältesteKinder verlassen sie den Kindergarten und werdenSchüler. Zum anderen bedeutet die Einschulungjedoch auch einen Statusverlust. Denn in der Schu-le sind die Erstklässler nun die jüngsten Kinderund befinden sich erst am Anfang ihres schu-lischen Bildungsweges. Ältere Schüler haben ihnengegenüber einen erheblichen Erfahrungsvor-sprung. Die in diesen Kontext eingebetteten Ver-änderungen im Alltag können dann mehr Chanceals Risiko sein, wenn in der neuen Lebenssituati-on für das Kind Bekanntes enthalten ist. Vonbesonderer Bedeutung sind Kontakte zu anderenKindern und Freundschaften, die das Kind überdie Kindergartenzeit hinaus auch in der Schulefortführen kann.

Im Kontext von Schule und Unterricht gehen dieKinder – anders als im Kindergarten – ihren Bil-dungsbedürfnissen nicht mehr überwiegend imselbst gewählten Tempo und entlang selbst ge-wählter Themen nach. Der Unterricht verlangt eszu lernen, eigene zeitliche und thematische

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Bedürfnisse aufzuschieben, um auch anderen alsden selbst gewählten Rhythmen und Gewohnhei-ten folgen zu können. Neu ist auch, dass die Tä-tigkeiten und Arbeitsergebnisse des Kindes nichtmehr überwiegend auf der Grundlage seines eige-nen Lern- und Entwicklungsfortschrittes, sondernauch auf der Grundlage abstrakter Maßstäbe be-wertet werden, die für alle Kinder Gültigkeit ha-ben. Kinder, die diesen Anforderungen von Schu-le und Unterricht ohne Schwierigkeiten entspre-chen können, gewinnen aus der Übergangssitua-tion Vertrauen in ihre eigenen Kompetenzen undZuversicht für die Bewältigung der neuen Lebens-situation. Kinder, die mit risikobehafteten Voraus-setzungen in den Übergang zwischen Kindergar-ten und Grundschule eintreten, haben ein Rechtauf eine angemessene und wirksame Unterstüt-zung, um sie vor vermeidbaren Belastungen undvor drohender Entmutigung zu schützen.

Für die Eltern bedeutet dieser Übergang ebenfallsmehr als die Neuordnung von Alltagssituationen.Schule und Unterricht haben nicht nur für die Kin-der, sondern auch für ihre Eltern eine höhereinhaltliche und strukturelle Verbindlichkeit als dieAngebote frühkindlicher bzw. vorschulischer Bil-dung. Auch für Eltern ist der Schuleintritt ihresKindes ein kritisches Lebensereignis. Sie bewältigendieses Ereignis gut, wenn sie darauf vertrauenkönnen, dass ihr Kind in der Schule seine Poten-ziale bestmöglich nutzen kann. Häufig erinnernsich Eltern in dieser Situation an ihre eigeneSchulzeit und vergleichen sie mit der ihrer Kinder.Dabei ist für sie besonders die Frage bedeutsam,ob sich ihr Kind in der Schule zurechtfinden underfolgreich lernen wird. Reformpädagogische An-sätze der Grundschulpädagogik wie die Schulein-gangsphase, der gemeinsame Unterricht von Kin-dern mit und ohne Behinderungen oder alternati-ve Formen der Leistungsbewertung bewirken, dasssich der Alltag von Grundschülern heute erheblichvom früheren Schulalltag ihrer Eltern unterscheidet.Eltern haben deshalb ein Recht auf differenzierteInformation, gründliche Beratung und ausreichen-de Gelegenheiten zum Gespräch, um das pädago-gische Konzept der Grundschule kennenzulernen.Auf dieser Grundlage können sie einschätzen, inwelcher Weise die in der Schule tätigen Lehrerin-nen und Lehrer ihrer Verantwortung für die indivi-duelle Unterstützung jedes einzelnen Kindes ge-recht werden. Eltern sollten aber grundsätzlich

den in der Schule Tätigen einen Vertrauensvor-schuss in ihre professionelle Arbeit einräumen.

Für die Erzieherinnen und Lehrerinnen ist derÜbergang vom Kindergarten zur Grundschule einpädagogisches Arbeitsfeld, in dem die Kooperati-on mit allen Beteiligten erforderlich ist. Sie unter-stützen Kinder und Eltern bei der Entwicklung vonBewältigungsstrategien und neuen Alltagsrouti-nen, indem sie für vielfältige Verknüpfungen undAustauschprozesse zwischen Kindergarten undGrundschule sorgen: Kinder und Eltern lernen imletzten Jahr des Kindergartenbesuchs den künfti-gen Schulweg, das Schulgebäude und »ihre« Leh-rerin bzw. »ihren« Lehrer kennen. Die Kinder ha-ben in dieser Zeit Gelegenheit, erste Vorstellungenvon Schule und Unterricht zu gewinnen, indem sieSchulkinder kennenlernen, sich mit ihnen austau-schen und sie in der Schule besuchen.

Eltern, Kindergärtnerin und Lehrerin verständigensich in der Übergangssituation über die Bildungs-bedürfnisse des Kindes sowie darüber, wie diesenBedürfnissen in der Schule, in außerschulischenKontexten und zu Hause am besten entsprochenwerden kann. Diese ökologische Kind-Umfeld-Ana-lyse hat für Kinder mit besonderen Bildungsbe-dürfnissen (Kinder mit Behinderungen/Kinder mitHochbegabung) eine zentrale Bedeutung. Die lang-fristige und nachhaltige Sicherung der materiellenund personellen Rahmenbedingungen für die päda-gogische Unterstützung von Kindern mit beson-deren Bildungsbedürfnissen stellt für Erzieherin-nen und Lehrerinnen eine professionell zu lösendeAufgabe dar. Sie beraten und unterstützen in Zu-sammenarbeit mit weiteren Kooperationspartnerndie Eltern u.a. bei der Bewältigung verwaltungs-bezogener Schritte, die der Berücksichtigung derbesonderen Bildungsbedürfnisse ihrer Kinder die-nen (z.B. Maßnahmen zum Nachteilsausgleichdurch Förderunterricht, Integrationshelfer, zusätz-liche Hilfsmittel, kompensatorische Angebote).Zum gelingenden Übergang vom Kindergarten indie Grundschule trägt in besonderer Weise bei,dass Pädagogen das Dilemma zwischen der Qua-lifikationsfunktion und der Selektionsfunktion vonSchule professionell reflektieren und Entscheidun-gen im Sinne und zum Wohl des Kindes treffen.Hieraus folgt, dass der Übergang nicht allein aufSeiten der Kinder und ihrer Eltern, sondern auchauf Seiten der Schule und der Pädagogen innere

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und äußere Umstrukturierungen und Entwicklun-gen verlangt. Denn es ist Aufgabe von Schule undUnterricht, passende Bildungsangebote für Kinderzu gestalten, statt darauf zu warten, dass Kinderin die Schule kommen, die zu den vorhandenenAngeboten passen.

Auf dem Weg von der Grundschule in dieweiterführende Schule

Der Übergang von der Grundschule in die weiter-führende Schule ist für alle Beteiligten mit hohenErwartungen verbunden. Häufig setzen die an derÜbergangssituation beteiligten Personen die Ent-scheidung über die weitere Schullaufbahn schongleich mit der Entscheidung über die beruflichePerspektive und damit über den gesamten Le-bensweg des Kindes. Diese hohen Erwartungenerschweren mitunter eine ausgewogene und an-gemessene Entscheidung über die weitere Gestal-tung des individuellen Bildungsweges des Kindes.So führen anhaltend prekäre Entwicklungen in derWirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt beispiels-weise zu existenziellen Ängsten, zu erhöhtem Lei-stungsdruck oder zu dem Wunsch, mit der Ent-scheidung für eine bestimmte Schulart das sozialeAnsehen zu erhöhen. Andererseits orientieren sichEltern bei der Wahl der weiterführenden Schulartnicht selten an der eigenen Bildungsbiographie.Diese Orientierung kann dazu führen, dass Kinderim Rahmen der gewählten Schulart ihre Potenzia-le nicht ausreichend ausschöpfen können.

Aus diesen Gründen ist es bedeutsam, nicht nurzu einer Entscheidung über die weitere Gestaltungdes Bildungsweges für das Kind zu gelangen, son-dern auch die Erwägungen und Motive für die zutreffende Entscheidung kritisch zu reflektieren. Füralle am Entscheidungsprozess Beteiligten ist esaußerdem hilfreich, sich über die Durchlässigkeitdes Thüringer Bildungssystems in den weiterfüh-renden Schulen zu informieren. Das Wissen umdiese Durchlässigkeit ist Voraussetzung dafür, dieEntscheidung mit der notwendigen Sensibilitätund Flexibilität treffen zu können. Basis jeder Ent-scheidung über den weiteren Bildungsweg ist esschließlich, dem Kind eine möglichst breite Ent-wicklungsperspektive zu eröffnen. Diese bietendie Thüringer Bildungswege über die Regelschuleund das Gymnasium mit Blick auf den Abschluss

in gleicher Weise, jedoch auf verschiedenen We-gen. Zu vermeiden sind schließlich Entscheidungen,die zu frühen Festlegungen der Bildungsbiogra-phie führen.

Für die Kinder ist der Übergang von der Grund-schule zur weiterführenden Schule eine Situation,von der sie unmittelbar betroffen sind, die siejedoch nur begrenzt mitgestalten und mitbeein-flussen können. Außerdem können sie selbst dielangfristigen Folgen der zu treffenden Entschei-dung noch nicht umfassend einschätzen. Zugleichkann das Kind mit der Entscheidung über denweiteren Bildungsweg Wertschätzung und Aner-kennung, aber auch Entmutigung und Frustrationerfahren. Aus diesen Gründen ist es notwendig,dass die Übergangssituation für das Kind trans-parent gestaltet ist und es vielfältige Möglichkei-ten der Mitwirkung hat: Zukunftswerkstätten undZukunftskonferenzen sind Rahmen, in denen Kin-der über ihre eigene Perspektive nachdenken undsie thematisieren können. Lernorte außerhalb derSchule bieten Gelegenheiten, über die eigeneZukunft nachzudenken. Zu einem gelingendenÜbergang für das Kind trägt eine Entscheidungs-situation bei, die frei von sachfremden Erwägun-gen und auf eine Entscheidung fokussiert ist, diedem Kind einen möglichst offenen und zugleichentwicklungsfördernden Bildungshorizont eröffnet.Am Übergang von der Grundschule zur weiterfüh-renden Schule gewinnen zugleich die Beziehungender Kinder untereinander eine große Bedeutung.Wertorientierungen und Normen, Alltagspraktikenund Verhaltensweisen der Familie treten zugun-sten der peer group zunehmend in den Hinter-grund. Die Möglichkeit, bisher gepflegte Kontakteund Freundschaften auch nach dem Übergang auf-rechterhalten zu können, stellt deshalb eine be-deutsame Ressource für das Gelingen des Über-gangs dar.

Für die Eltern ist der Übergang von der Grund-schule in die weiterführende Schule zumeist mitbeträchtlichen Erwartungen, aber auch mit erheb-lichen Unsicherheiten verbunden. Waren die Lern-gegenstände und Themen ihres Kindes in derGrundschulzeit zumeist für die Eltern nachvoll-ziehbar, so erwerben die Kinder in den weiterfüh-renden Schulen nun auch Wissensbestände, dieim Schulalltag der Elterngeneration noch keineRolle gespielt haben. Eltern vertrauen auf die Kom-

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petenzen und die Potenziale ihres Kindes, wennsie wissen, dass ihr Kind auch in der weiterfüh-renden Schule als eine Persönlichkeit mit indivi-duellen Interessen und Lernbedürfnissen ein Rechtauf individuelle Unterstützung hat. Dieses Wissenbestärkt Eltern darin, ihren Kindern Bildungswegezuzutrauen, die sie selbst nicht absolviert haben.Eltern wissen auch, dass für die Entwicklung ihresKindes nicht nur Wissen und Kompetenzen not-wendig sind, die aus der Perspektive des Arbeits-marktes verlangt werden. Sie unterstützen ihrKind nachdrücklich darin, Eigenthemen und Hob-bies zu pflegen, Interessen und Betätigungsfelderzu entwickeln, die sich der unmittelbaren Verwer-tung in Schule bzw. im künftigen Berufsleben ent-ziehen, die aber dazu beitragen, Muße, Gelassen-heit und Selbstvertrauen zu gewinnen.

Lehrerinnen und Lehrer sind am Übergang von derGrundschule zur weiterführenden Schule für Elternund Kinder Kooperationspartner, die professionel-le Unterstützung bieten. Lehrerinnen und Lehrerder Grundschule nehmen vorausschauend Kontaktzu den Kollegen der weiterführenden Schulartenauf und verständigen sich mit ihnen über die mög-lichen Bildungswege und die notwendige Unter-stützung für die Kinder. Sie tragen dafür Sorge,

dass neben den Zeugnisnoten auch durch Portfo-lios, Projektpräsentationen und andere Arbeitser-gebnisse die Kompetenzen der Kinder deutlichwerden und bei der Schullaufbahnentscheidungangemessene Berücksichtigung finden. Lehrerin-nen und Lehrer der weiterführenden Schule infor-mieren sich über die Lebenssituation der Kinder.Sie bieten vor dem Eintritt in die weiterführendeSchule Möglichkeiten an, das Schulgebäude undalle Personen der neuen Schule kennenzulernen.Den Lehrerinnen und Lehrern an Grundschulenund an den weiterführenden Schulen kommt einebesondere Verantwortung bei der Begleitung vonKindern im Übergang zu, die besondere Lernbe-dürfnisse haben (Kinder mit Behinderungen/Kin-der mit Hochbegabung). Zum gelingenden Über-gang trägt auch hier in besonderer Weise bei,dass Lehrerinnen und Lehrer das Dilemma zwi-schen der Qualifikationsfunktion und der Selekti-onsfunktion von Schule professionell reflektierenund Entscheidungen im Sinne und zum Wohl desKindes treffen. Hieraus folgt auch für die weiter-führende Schule, dass der Übergang nicht alleinauf Seiten der Kinder und ihrer Eltern, sondernauch auf Seiten der Schule und der Lehrerinnenund Lehrer innere und äußere Umstrukturierungenund Entwicklungen verlangt.

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Für die Qualität der privaten und der öffentlichenErziehung ist von großer Bedeutung, wie sich dasVerhältnis zwischen der Familie und den öffentli-chen Institutionen kindlicher Bildung gestaltet.Dies meint, dass die gemeinsame Verantwortungfür die Erziehung der Kinder im Mittelpunkt derBeziehung zwischen beiden Seiten steht. Eine»Erziehungspartnerschaft« kann als Ziel gelunge-ner Zusammenarbeit angesehen werden. DerBegriff »Partnerschaft« meint, dass die Familieund die Institutionen kindlicher Bildung gleichbe-rechtigt sind, ein »Bündnis« geschlossen haben,ähnliche Ziele verfolgen, gemeinsam Verantwor-tung tragen und Vertrauen zueinander haben.Diese Komponenten entwickeln sich im Prozessund basieren auf gemeinsamen Erfahrungen inder Zusammenarbeit. Vertrauen und Respekt sindeinerseits Voraussetzungen und andererseits Er-gebnisse von Zusammenarbeit. Vertrauen und Re-spekt sind Haltungen, die sich auch auf das Kindpositiv auswirken: Weiß das Kind, dass die Erzie-herinnen bzw. Lehrerinnen seine Familie wert-schätzen, wird es eher Selbstachtung entwickeln.Merkt es, dass seine Eltern die Erzieherinnen undLehrerinnen respektieren, fördert dies den pädago-gischen Bezug und die Lernmotivation. Öffnung aufSeiten der Familie bedeutet aber auch, dass dieEltern über das Verhalten des Kindes in der Fami-lie, über besondere Erlebnisse sowie über die Er-ziehungsziele und Erziehungsmethoden sprechen.

Auf Seiten der Institutionen geht es darum, denAlltag in der Bildungsinstitution für die Familientransparent zu machen. Die Eltern möchten wis-sen, wie normalerweise ein Tag abläuft, welche

Bildungsziele, -vorstellungen und -praktiken dieProfessionellen haben, wie sie sich in schwierigenSituationen (z.B. gegenüber einem trotzendenoder aggressiven Kind) verhalten. Auch wollen sievon dem entwicklungspsychologischen und päda-gogischen Fachwissen und den Erfahrungen derErzieherinnen und Lehrerinnen profitieren. Vor allemaber wünschen sie Informationen darüber, wiesich ihr Kind in der Gruppe verhält, wie es sichentwickelt, welchen Lernfortschritt es macht undob es Schwierigkeiten hat. Wenn die Eltern wis-sen, was ihr Kind leistet, haben sie mehr Ver-ständnis für seine Aktivitäten, z.B. für die Bedeu-tung des Spiels in der kindlichen Entwicklung.

Erziehungspartnerschaft bedeutet aber nicht nurden Austausch von Informationen über das Ver-halten, die Bildung und Erziehung des Kindes,sondern geht einen entscheidenden Schritt weiter.Die Familie und die Institutionen kindlicher Bil-dung versuchen, ihre Bildungs- und Erziehungs-bemühungen aufeinander abzustimmen, den Bil-dungs- und Erziehungsprozess gemeinsam zugestalten, sich wechselseitig zu ergänzen und zuunterstützen. Sie kooperieren miteinander, wennes gilt, Probleme mit dem jeweiligen Kind zubewältigen oder ihm zu helfen, bestimmte Schwie-rigkeiten zu meistern. Durch Erziehungspartner-schaft kann Kontinuität zwischen beiden Lebens-bereichen gewährleistet, der größtmögliche Bil-dungserfolg erreicht und die kindliche Entwick-lung am besten unterstützt werden. Professionellefühlen sich aufgrund ihrer Fachkompetenzen nichtals »Besserwisser«, sondern sehen in den Elterngleichberechtigte Partner.

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1.5 Kooperation mit Eltern – Erziehungspartnerschaft

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Bildungsbereiche

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Präambel

Sprache ermöglicht Verständigung und Verstehen.Sprache ist eine Grundbedingung des Zusammen-lebens. Sie ermöglicht den Austausch von Gedankenund das gemeinsame Handeln. Schrift materiali-siert Sprache und ermöglicht dadurch Verständi-gung und Verstehen über Raum und Zeit hinweg.Wichtige Voraussetzungen zum Spracherwerb sindangeboren. Das Vermögen, sich durch Sprachemitzuteilen und durch Sprache wirksam zu wer-den, entwickeln Kinder jedoch erst durch denGebrauch der Sprache – in vertrauensvollen Bezie-hungen und im Kontext individuell bedeutsamerSituationen und Handlungen.

Kontexte sprachlicher und schriftsprachlicher Bildungsprozesse

Sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozessesind nicht auf den Bildungsbereich »Sprachen undSchriften« beschränkt. Alle Alltagssituationen unddamit alle Situationen, in denen Kinder sich bil-den, sind sprach- und schrifthaltig und bietenGelegenheiten zum Lernen. Erwachsene könnenKinder zu Sprache und Schrift nicht »hinführen«oder »befähigen«, aber sie müssen Rahmenbe-dingungen schaffen und Angebote vorhalten, umdie sprachliche Bildung bei Kindern anzuregenund nachhaltig zu unterstützen. Der gelingendeSchriftspracherwerb ist notwendige Voraussetzung

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2.1 Sprachliche und schriftsprachlicheBildung

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für eine erfolgreiche Bildungsbiographie und fürdie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Sprachliche Bildungsprozesse sind individuell. Kin-der entwickeln subjektive Zugänge, Vorlieben undInteressen mit Blick auf Sprache und Schrift.Gleichaltrige verfügen über sehr verschiedene Mög-lichkeiten der sprachlichen Interaktion. Gleichwohlgelingen Verständigung und Verstehen zwischenKindern sowie zwischen Kindern und Erwachse-nen. Denn Kinder verstehen Sprache in einem er-heblich größeren Umfang, als sie Sprache selbstaktiv verwenden. Erwachsene und Kinder stellensich aufeinander ein und kooperieren bei der ge-genseitigen Verständigung. So können auch dieUnterschiede, die zwischen Kindern in der sprach-lichen Interaktion zu Tage treten, sprachliche Bil-dung unterstützen. Kinder begegnen Sprachen undSchriften in verschiedenen Kontexten. Für einengelingenden Sprach- und Schriftspracherwerb istdie Kooperation zwischen Professionellen und denEltern bzw. nächsten Bezugspersonen des Kindesunerlässlich. Kinder aus Migrationsfamilien wach-sen in zwei oder mehr Sprachen mit je eigenenSchriftsystemen auf. Der sichere Erwerb ihrer Fa-miliensprache ist ein unterstützender Faktor fürden Erwerb des Deutschen als Zweitsprache. DieZugangsmöglichkeiten zu Sprache und Schrift sindaußerdem an die sozioökonomische Lebenssitua-tion gebunden. Nicht nur Kinder aus Migrations-familien, auch Kinder aus sozial benachteiligten so-wie schriftfernen Familien sind in besonderem Maßeauf Bildungsangebote außerhalb ihrer Herkunfts-familie angewiesen. Erzieherinnen und Lehrerinnenkooperieren bei der pädagogischen Unterstützungdes kindlichen Spracherwerbs mit Professionellenaußerhalb der eigenen Institution (Deutsch alsFremdsprache, Logopädie usw.). Die Erfahrung an-derer als der eigenen sprachlichen, sozialen undkulturellen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglich-keiten ist Basis für die Anerkennung von Ver-schiedenheit und für die Entwicklung von Respektgegenüber anderen.

Kinder begegnen Sprachen und Schriften schließ-lich nicht nur durch Erwachsene und andere Kin-der. Neben den herkömmlichen Medien (Bücher,Zeitschriften, Briefe usw.) sind neue Medien (Fern-sehgerät, Computer, CDs usw.) bedeutsame Ele-mente sprachlicher und schriftsprachlicher Bil-dungsprozesse. Neue Medien können vertrauens-

volle Beziehungen sowie sinnvolle Handlungenund Situationen als Kontexte sprachlicher Bildungnicht ersetzen. Vielfältige sprach- und schrifthalti-ge Alltagssituationen sind jedoch an neue Mediengebunden. Sie können sprachliche Bildungspro-zesse dann unterstützen, wenn sie sinnvoll insprachliche und schriftsprachliche Bildungsange-bote einbezogen werden.

Basale sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse

Schon vor der Geburt nehmen Kinder Sprache wahr.Von Geburt an ist das Kind in sprachliche Interak-tionen einbezogen und an Sprache interessiert.Zunächst wendet es sich bevorzugt Erwachsenenzu. Früh erkennt es die Stimmen (Klang, Melodie,Rhythmus) und Gesichter vertrauter Bezugsperso-nen, hält Blickkontakt und zeigt auf Gegenständeund Personen.

Auf diese Weise entwickelt sich zwischen Erwach-senen und dem Kind ein gemeinsames Interessean der Welt. Gefühle und Bedürfnisse teilt das Kindzunächst mimisch und gestisch, stimmlich sowiedurch körperliche Nähe und Distanz mit. Mit Wohl-behagen erproben Kinder ihre Bewegungsmög-lichkeiten und ihre Stimme, sie produzieren unter-schiedlichste Laute und haben Vergnügen an Wie-derholung und Rhythmisierung. Ihr Weltwissenkommunizieren Kinder mit ersten Wörtern, die zu-nächst stark individuell geprägte Bedeutung ha-ben. Im Dialog mit Erwachsenen und später auchim Dialog mit anderen Kindern nähern sich dieseindividuell geprägten Bedeutungen allmählich denkonventionalisierten Wortbedeutungen an. Mit der

Basale sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse

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Entdeckung von Handlungszusammenhängen, zeit-lichen und räumlichen Bezügen sowie dem Be-dürfnis, diese zur Sprache zu bringen, beginnt dieEntwicklung grammatischer Strukturen. Mit Zwei-und Mehrwortäußerungen stehen nun zunehmendkomplexer werdende Möglichkeiten des sprachli-chen Austauschs zur Verfügung. Kinder verbalisie-ren Gegenwärtiges, zum Beispiel Beobachtungenin ihrer Umwelt, Kontakte zu ihren Bezugsperso-nen und eigene Wünsche.

Kinder und Erwachsene teilen ein gemeinsames In-teresse an Reimen, Liedern, Geschichten und Bil-dern. In den Dialog zwischen Kind und Erwachse-nem werden Kinderbücher einbezogen. Die sichdabei nun entwickelnden Rituale der Erzähl- undVorlesesituationen sind ein früher Zugang zurSchriftkultur.

Elementare sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse

In der sprachlichen Interaktion gewinnen Kinderzunehmende Unabhängigkeit. Sie begleiten sichselbst beim handelnden Problemlösen durch Mo-nologe und werden dadurch unabhängiger vondirekter Hilfe. Sie gebrauchen Sprache kreativ, in-dem sie Wörter erfinden, täglich neue Wörter er-lernen, mit sprachlichen Formen unkonventionellumgehen und ihre grammatischen Fähigkeiten aus-differenzieren.

Kinder entwickeln nun gemeinsame Interessenund differenzierte Möglichkeiten des sprachlichenAustauschs mit anderen Kindern. Mit Sprachegestalten sie Kooperation, bewältigen sie Alltags-situationen, tragen Meinungsverschiedenheiten aus,

erzählen sich Geschichten und gestalten gemein-sam Rollenspiele. Insbesondere im Rollenspiel zeigtsich, dass die sprachliche Interaktion der Kindersich von konkreten Handlungen abzulösen beginnt.Denn hier werden, ähnlich wie beim Erzählen,durch Sprache fiktive Situationen geschaffen.

Im Kontext des Rollenspiels löst sich zugleich derZusammenhang zwischen der Bezeichnung (Wort)und dem Bezeichneten (Gegenstand, Vorgang oderPerson). Der Baustein wird als Auto oder Mahlzeitbezeichnet; das mitspielende Kind kann beispiels-weise die Rolle einer Katze oder einer Großmutterübernehmen. Auf diese Weise lässt sich über Per-sonen und Dinge sprechen, die in der konkretenSituation nicht vorhanden sind.

Die in den fiktiven Situationen des Rollenspielsvorgenommene Trennung der Bezeichnung vom Be-zeichneten und die damit verbundenen Umdeu-tungen (der Baustein wird zur Mahlzeit) verweisenauf die Entdeckung der Symbolfunktion der Spra-che. Kinder gewinnen die Einsicht, dass sie nichtnur über die bezeichneten Gegenstände, sondernauch über die Bezeichnungen selbst nachdenkenkönnen. Sie interessieren sich besonders für Wör-ter, für Lautklänge und Sprechrhythmen. Spracheist nicht mehr nur ein Verständigungsmittel imgemeinsamen Handeln. Sie wird nun selbst Ge-genstand des Nachdenkens und Gegenstand dessprachlichen Handelns, beispielsweise in Sprach-spielen, bei der Suche nach Reimen und bei derErfindung von Fantasienamen.

Zugleich interessieren sich Kinder ausdrücklich fürSchrift. Sie finden Zeichen, Symbole und Schriftenim Alltag. Sie »beschriften« eigene Arbeitsergeb-nisse und ihr Eigentum mit ihrem Namen. Schriftbegegnet ihnen auch beim Betrachten und Vorle-sen von Bilderbüchern und Kinderzeitschriften.Wenn sie Erwachsene oder ältere Kinder beimLesen und Schreiben beobachten, entwickeln sieerste Einsichten in die kommunikative Funktionvon Schrift. Indem sie Buchstaben, Wörter undTexte untersuchen sowie eigene Zeichen und Sym-bole ausprobieren, gewinnen sie auch erste Ein-sichten in die Struktur der Schrift. Bevor also dersystematische Schriftspracherwerb im Rahmen pri-marer sprachlicher Bildung beginnt, gewinnenKinder bereits komplexe Voraussetzungen für daserfolgreiche Lesen- und Schreibenlernen.

Sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Primare sprachliche und schriftsprachlicheBildungsprozesse

Anders als das Sprechen wird das Lesen undSchreiben nicht intuitiv angeeignet, sondern durchErwachsene tradiert. Auf dieser Basis erarbeitensich Kinder im Schriftspracherwerb eine neue Unab-hängigkeit von den Erwachsenen. Denn der Schrift-kultur begegnen sie nun nicht mehr indirekt. Viel-mehr sind sie – auf der von ihnen jeweils erwor-benen Stufe des Schriftspracherwerbs – selbstkompetente Leser und Schreiber: Kinder entdek-ken den alphabetischen Aufbau der Schrift undsind in der Lage, Sätze in Wörter und Wörter inLaute zu durchgliedern. Beim Lesen und Schreibennutzen sie die akustische, visuelle bzw. sprechmo-torische Analyse. Sie lernen es, die Bedeutungvon Geschriebenem herauszufinden und Erfahrun-gen und Gedanken so zu notieren, dass sie vonanderen gelesen werden können. Lesen- undSchreibenlernen greifen ineinander und unterstüt-zen sich gegenseitig. In diesem Prozess differen-zieren sich Einsichten in die Funktion und dieStruktur von Schrift weiter aus. Im Schriftsprach-erwerb steht den Kindern die Erfahrung offen,dass durch Schriftliches das eigene Leben reicherund interessanter wird. Selbst Erlebtes und Ge-dachtes kann durch Aufschreiben kommuniziertund für andere Anlass des Nachdenkens und Han-delns werden. Texte halten Reales und Fiktivesaus anderen Zeiten und Räumen bereit und erwei-tern so den Horizont der eigenen Gedanken, Er-fahrungen und Handlungsmöglichkeiten. So tretenKinder zur Welt und zu sich selbst in einer neuenQualität in Beziehung. Anders als das gesproche-ne Wort ist das geschriebene nicht flüchtig. Eserlaubt ein genaues Nachdenken und einen ver-tieften Austausch.

Zu dem bislang spielerischen Umgang mit Sprachetritt die gedankliche Analyse hinzu. Nun erwerbendie Kinder abstrakte Begriffe für die Struktur derSprache (z.B. Wort, Satzglieder, Satz). Sie sind inder Lage, Grammatik nicht nur zu gebrauchen, son-dern über grammatische Phänomene auch nach-zudenken und zu sprechen. Mit dem Wissen, dassWörter häufig nicht so geschrieben werden, wieman sie spricht, entwickeln Kinder Einsichten indie Rechtschreibung. Durch Sammeln, Vergleichenund Zuordnen entdecken sie orthographische Re-gelhaftigkeiten und Ausnahmen. Rechtschreibsicher-heit gewinnen sie durch geeignete Arbeitstechni-ken und Übungsformen.

Der direkte Zugang zur Schriftkultur erweitert auchdie Möglichkeiten der sprachlichen Interaktion. In-dem Kinder über eigene Gefühle und Überlegun-gen sprechen, thematisieren sie nicht nur Sichtba-res, sondern auch der direkten Beobachtung ent-zogene, innerpsychische Vorgänge. Schriftlicheserweitert die mündlichen Fähigkeiten der Kinderin mehrfacher Hinsicht. Durch Texte haben sie Zu-gang zu Erfahrungen, die in ihren eigenen Lebens-zusammenhängen nicht möglich sind. InteressanteFormulierungen können sie in eigene Texte über-nehmen, beispielsweise reizvolle Wörter oder Re-dewendungen. Schriftliches und Mündliches ver-mitteln auch ästhetische Qualitäten. So wirken ge-lesene Texte auf erzählte Geschichten, wie auchErzähltes in selbst verfasste Texte einfließt. DieEntwicklung des pragmatischen, analytischen undästhetischen Umgangs mit Sprache und Schriftfindet in primaren sprachlichen Bildungsprozes-sen nicht ihren Abschluss. Sie dauert vielmehr le-benslang an.

Primare sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse

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Sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Basale BildungSprachliche undSchriftsprachlicheBildung

Schon früh beginnen Kinder,ihre Stimme auszuprobierenund Laute zu produzieren; da-bei genießen sie Wiederholun-gen und Rhythmisierungen.Kinder nutzen Körpersprache,Mimik und Stimme, um ihreBedürfnisse, Gefühle undWünsche mitzuteilen. Aufinteressante Situationen, Dingeund Personen aus ihrer Um-welt reagieren sie sprachlich.Die Kinder nehmen zu ihrenerwachsenen Bezugspersonenund zunehmend auch zu an-deren Kindern sprachlichenKontakt auf. Im Dialog entwik-keln sie ihren Wortschatz undihre grammatischen Fähigkei-ten. Das Interesse an Schriftund an verschiedenen Medienist geweckt. Die Kinder wissen,dass sie durch Sprache ande-re Personen zum Handeln be-wegen und Veränderungen inihrer Umwelt bewirken können.

Kinder haben Bezugspersonen(Erwachsene und Kinder), diesich für ihre Äußerungen inter-essieren, sie wohlwollend auf-nehmen und empathisch be-antworten. Bei den Bezugs-personen können sie Mimik,Sprechbewegungen und diestimmliche Gestaltung gutbeobachten. Durch den auffor-dernden Charakter des sprach-lichen Angebotes werden siezur Antwort angeregt. DasKind und seine Bezugsperso-nen entwickeln gemeinsameInteressen, die die Grundlagefür sprachliche Interaktionensind. Sie kooperieren in dergemeinsamen Verständigung.In den Dialog zwischen Kindund Erwachsenem werdennicht nur Dinge, sondern auchBilderbücher, Sprachspiele undKinderreime einbezogen.Rituale bieten hierfür einenverlässlichen Rahmen.

Mit Sprache können Kinder ihrWeltwissen kommunizieren.Die Sprachentwicklung ist mitder Entwicklung des Weltwis-sens eng verbunden. Vielseiti-ge und abwechslungsreicheUmwelten unterstützen daherdie sprachliche Bildung desKindes. Alltägliche und auchnicht alltägliche Situationen,Handlungen, Dinge und Perso-nen fordern sprachliche Inter-aktionen heraus. Kinderhaben häufig Gelegenheit,Erwachsene und andere Kin-der beim Erzählen und Zuhö-ren, beim Lesen und Schrei-ben zu beobachten und sichselbst mit einzubringen. Kinderlieder und Singspiele,in die Kinder und Erwachseneeinbezogen sind, regen diestimmliche und sprachlicheEntwicklung intensiv an.

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

In den meisten Alltagssituatio-nen sind Beziehungen mitanderen Kindern und mit Er-wachsenen enthalten. Die Auf-nahme und Fortsetzung vonKontakten bestärkt die Kinderin ihrer sprachlichen Selbst-wirksamkeit. Im erfolgreichensprachlichen Austausch erwer-ben sie Fähigkeiten für neueInteraktionen. Der Kreis derBezugspersonen erweitert sichüber den Rahmen der Familiehinaus auf weitere Kinder undErwachsene. In diesem kom-plexer werdenden Umfeld er-weitern neue Dialogangeboteund Ausdrucksformen das Re-pertoire der Kinder und führenzu zunehmend ausdauerndenund intensiven Kontakten.

Bezugspersonen fassen vieleverschiedene Äußerungsformendes Kindes als Interaktionsan-gebot auf und beantworten siedurch Zuwendung, körperlicheNähe und Trost. Sie stellensich sprachlich auf die Wahr-nehmungs- und Handlungs-möglichkeiten des Kindes ein(Baby-Talk). Das Kind reagiertinteressiert auf andere Kinder,es beobachtet sie und unter-nimmt unterschiedliche Versu-che der Kontaktaufnahme. Mitden anderen Kindern kann esein gemeinsames Interesse anHandlungen, Situationen, in-teressanten Materialien, Spiel-zeug und Ritualen teilen (Ver-stecken und Hervorholen, Ge-ben und Nehmen usw.). DasMitmachen bei alltäglichenVerrichtungen ist eine wichtigeBasis zum Erwerb neuer Be-griffe und damit neuer Wörter.

Im nahen Umfeld der Kinderkönnen Spielzeuge, Dinge ausder Welt der Erwachsenen undeigene Fundstücke in vielfälti-ger Weise und selbstständiggehandhabt, ausprobiert, aufEigenschaften hin untersuchtund auf mögliche Funktionenhin erprobt werden. Zur Unter-suchung und Erforschung bie-ten sich neben der Welt derAlltagsgegenstände auch Na-turphänomene (Wetter, Jahres-zeiten, Landschaften, Tiere undPflanzen) sowie Naturmateria-lien (Sand, Steine, Hölzer) an.Das Beobachten, Ausprobierenund Erforschen dieser Umwelt-aspekte unterstützt ebenfallsden Erwerb neuer Begriffe undBedeutungen.

Tabelle Basale sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Tabelle Basale sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

Den Kindern ist es möglich:• beim Zuhören, Erzählen undzur Unterhaltung auf ent-spannte und emotional unter-stützende Alltagssituationenzurückzugreifen

• beim Ausprobieren und Han-deln, beim Sprechen undbeim Zuhören darauf zu ver-trauen, dass erwachsene Be-zugspersonen Muße, Geduldund Zeit haben und je nachSituation beruhigend, anre-gend oder auffordernd ant-worten

• sich Gehör bei Erwachsenenund anderen Kindern zu ver-schaffen, wenn ihr Bedürfnisnach Äußerung und Gesprächzunächst keine Berücksichti-gung findet

• bei dringenden Anliegen zuerfahren, dass Erwachseneoder ältere Kinder ihre eige-nen Interessen zunächst zu-rückstellen können, um aufsie einzugehen

Erwachsene wissen, dass:• Kinder zu jedem Zeitpunktihrer Entwicklung schonweitaus mehr sprachlicheÄußerungen verstehen kön-nen, als sie selbst zu äußernin der Lage sind

• sie sprachliches Lernen desKindes unterstützen, indemsie Äußerungen des Kindesin vervollständigter Formsowie die Bezeichnung vonGegenständen, Namen undBegrüßungsformeln wieder-holen

• sie das Kind durch Lob undErmutigung, Respekt undAnerkennung unterstützen

• es wichtig ist, den Kindernzu sagen, wie sie sich selbstfühlen und was sie denken,um das Verständnis der Kin-der für nicht beobachtbare,innerpsychische Vorgängevorzubereiten

• Kinder schon früh mit ande-ren Kindern spielen könnenund nicht nur parallel zuanderen Kindern hantieren

• Kinder früh Strategien erwer-ben, um sich untereinandernonverbal und verbal zu ver-ständigen

• gelingende sprachliche Inter-aktionen die Kinder ermuti-gen, neue Kontakte mitanderen Kindern aufzuneh-men und neue Situationenauszuprobieren

Sprachliche Bildungsprozessesind in nahezu jeder Lebens-situation des Kindes möglich,z.B. indem:• es überall in sprachlicheInteraktionen einbezogenwerden kann

• vertraute Gegenstände, bekannte Situationen undHandlungen durch Kinderund Erwachsene immer wie-der sprachlich begleitet undmit Spaß an der Sache erlebtwerden

• Alltagssituationen und -hand-lungen auf Abbildungen, inZeichen und Symbolen wie-der erkannt, bezeichnet undbesprochen werden können

• Pantomime sprachliche Inter-aktionen bei Ritualen beglei-tet

• wiederkehrende Spiele, Reimein den Alltag eingebettet sind

• insbesondere individuell be-deutsame Situationen guteGelegenheiten bieten, imHandeln sprachlich zu lernen

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Sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Zu sprachlichen Interaktionenregt zuerst an, was zum Nah-raum des Kindes gehört, z.B.• vertraute, lieb gewonneneund interessante Gegenstände(Puppen, Plüschtiere, Spiel-zeuge, das eigene Besteckusw.), die Kinder freudig wie-dererkennen, bezeichnen, ein-fordern, verstecken, suchen,suchen lassen usw.

• Tierstimmen und Geräusche,die der Aufmerksamkeit derKinder für Laute und Lautpro-duktionen entgegen kommen

• neben bekannten auchunbekannte Gegenstände(Werkzeuge, Gerätschaften,Schreibutensilien, Haushalts-geräte usw.), die erkundetund ausprobiert werden unddazu einladen, Hypothesenüber ihre Verwendung zuentwickeln

• bekannte und neue Gegen-stände mit Bezeichnungenversehen, die sich aus denkonkreten Situationen lösenund sich allmählich konven-tionalisierten Bezeichnungenannähern

• komplexer werdende Hand-lungen und Situationen, indenen die Kinder sichzurechtfinden und die dasBedürfnis anregen, komplexeSachverhalte zu versprachli-chen

• die Beschäftigung mit Bilder-büchern, die sich Kindergern vorlesen lassen, diedas Interesse an der Wieder-holung unterstützen unddazu anregen, über dasGehörte zu sprechen

• das Interesse an Farben undam Malen wecken

• Kinderbücher, Fingerspiele,Reime

Erwachsene sorgen dafür, dass:• Kinder eigenen Besitz haben,über den sie frei verfügen:Dinge können verschenkt,vertauscht oder zum Zweckder Erforschung auseinandergenommen werden

• Kinder Gelegenheiten haben,die Welt der Dinge der Er-wachsenen zu untersuchenund auszuprobieren:Schrank- und Tascheninhalte,Kleidung, Papier, Zeitungen,Küchenutensilien, Gerätschaf-ten, Werkzeuge, Schreibuten-silien, Haushaltsgeräte usw.

• Kinder verschiedene Materi-alerfahrungen sammeln unddiese versprachlichen können

• Erwachsene und ältere Kin-der an den Eigenthemen desKindes interessiert sind unddiese in der sprachlichenInteraktion und im gemein-samen Handeln aufgreifen

• auch andere Bezugspersonenauf diese Eigenthemen desKindes aufmerksam werden

• die sprachlichen Äußerungendes Kindes willkommen sind

• Alltagssituationen und Hand-lungen bezeichnet, erklärtund kommentiert werden

• Erwachsene oder ältere Kin-der, wenn sie etwas nichtverstanden haben, nachfragenund in der sprachlichen Inter-aktion mit dem Kind koope-rieren

• Erwachsene beiläufig unvoll-ständige oder missverständ-liche Äußerungen der Kindervervollständigen und daraufverzichten, die vollständigeFormulierung vom Kind nocheinmal wiederholen zu lassen

Kinder können auf sprachlichanregende Angebote zurück-greifen, z.B.• besondere Aufmerksamkeitverlangen Werkzeuge undGerätschaften, die mit Vor-sicht zu handhaben sind; sieauszuprobieren, ist einebesondere Herausforderungund erweitert Handlungs-und somit auch sprachlicheMöglichkeiten

• differenzierte Erfahrungenkönnen Kinder insbesonderedann sammeln, wenn siesich Lebewesen zuwenden:Pflanzen benötigen Pflegeund Geduld, um ihr Wachs-tum und ihre jahreszeitlichenVeränderungen erfahren zukönnen

• Tiere sind auf Pflege undZuwendung angewiesen;Pflanzen und Tiere könnenzu Begleitern über längereZeiträume werden und sieermöglichen sprachlichesLernen in interessanten undwechselnden Beobachtungs-und Handlungskontexten,die wiederum die Entwick-lung des Wortschatzes undgrammatischer Strukturenintensiv unterstützen

• Kinder sammeln Mediener-fahrungen; sie schalten Ra-dios ein und aus, verfolgenam Fernsehgerät aufmerksamSequenzen in Kindersendun-gen; hören Kinderlieder undHörkassetten; probieren dieComputertastatur aus

• Kinder können Bilderbücherhandhaben, öffnen Briefe, be-trachten Ansichtskarten undZeitungen; sie kennen Papier,schreiben Kritzelbriefe undhinterlassen auf unterschied-lichen Materialien selbst pro-duzierte Spuren

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Tabelle Elementare sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare BildungSprachliche undSchriftsprachlicheBildung

Kinder treten in intensivesprachliche Interaktionen mitanderen Kindern ein. Sie nut-zen Sprache, um sich mit an-deren Kindern und mit Erwach-senen über konkrete Dingeund Situationen, aber auchüber Bedürfnisse, Gedankenund Gefühle zu unterhalten.

Beim Erzählen und im Rollen-spiel schaffen sie in dersprachlichen Interaktion fiktiveSituationen. In diesen Situa-tionen können sie die Schön-heit von Sprache entdecken.Durch handlungsbegleitendesSprechen nutzen sie Sprachezur Bewältigung von Proble-men. Darüber hinaus beginnensie, mit Sprache zu experimen-tieren und über Sprache nach-zudenken.

Mit dem Nachahmen von Lesenund Schreiben und durch einausgeprägtes Interesse an Zei-chen, Symbolen und Schriftenentwickeln sie erste Vorstel-lungen darüber, welche Funk-tion Schrift hat und wie sieaufgebaut ist. Kinder entdek-ken Sprachen und Schriften zuHause, im Kindergarten, unter-wegs und in den Medien.

Sie wissen, dass Kinder nichtnur eine, sondern mehrereSprachen sprechen können,und dass dies andere Sprachenals die eigene sind. Mehrspra-chigkeit eröffnet den Kindernerweiterte Möglichkeiten, umSprachen und Schriften zumThema eigenen Nachdenkenszu machen. Sie eröffnet zu-gleich Zugänge zu anderenKulturen.

Kinder können mit anderenKindern in unterschiedlichenSituationen zusammenkommen,um sich über gemeinsameVorhaben, unterschiedlicheAbsichten und auch Konfliktezu verständigen.

Aus ihrem Weltwissen gewin-nen Kinder Themen und Ver-haltensmöglichkeiten für Rol-lenspiele. Hier greifen sieHandlungen Erwachsener aufund gestalten sie eigenstän-dig aus. In den Spielhandlun-gen gelingt es ihnen, zwischenfiktiven Handlungen und denrealen Beziehungen zu anderenKindern so zu differenzieren,dass ein dynamisches Spiel inGang kommt und sich die Mit-spieler zugleich über fiktivewie reale Situation im Klarensind. Diese feinen Unterschei-dungen werden direkt und in-direkt über sprachliche Inter-aktionen vermittelt.

Aus der eigenen Fantasie undaus Märchen und Geschichtenspeist sich das erzählerischeRepertoire der Kinder. Es ent-faltet dann seine Wirkung,wenn die Kinder sich in denRollen des Erzählenden bzw.des Zuhörenden zurechtfinden.

Erwachsene können von denKindern als einfühlsame Ge-sprächspartner erlebt werden,die Dinge genauer wissenwollen. Sie können vom Kindals kompetente Leser undSchreiber erlebt werden. Sowerden sie zu Rollenmodellenfür die sprachliche und dieschriftsprachliche Bildung derKinder.

Der Alltag ist reich an vielfälti-gen Gesprächsanlässen mitunterschiedlich alten Kindernund Erwachsenen, die überdie gleiche und auch überandere Familiensprachen ver-fügen. Situationen, in denensprachliche Interaktionenerforderlich sind, wechseln mitSituationen, in denen dasKind bei Problemlösungenund beim Experimentierenallein zurechtkommt.

Kinder und Erwachsene bezie-hen sich gemeinsam aufSchriftliches: Sie besuchen dieBibliothek und den Buchladen,erkunden Situationen, indenen Kinder und Erwachseneschreiben. Sie untersuchendie Verwendungsformen vonSchrift (Werbung, Medien, Zei-tungen, Zeitschriften) underforschen Druck- und Hand-schriften. Das Kind hat in sei-nem persönlichen Besitz vieleunterschiedliche Dinge, dieder Schriftkultur angehörenund die es mit seinem Namenkennzeichnen kann. Das Kindhat Erfahrung mit materiellerSchrift (Holzbuchstaben,Moosgummibuchstaben, Buch-stabenstempel). Es hat im All-tag Gelegenheiten, zwischenBuchstaben und Ziffern zuunterscheiden.

Tabelle Elementare sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Das Kind erfährt sich in sprach-lichen Interaktionen als kom-petenter Gesprächspartner.Seine Meinungen, Gedankenund Fragen sind für andereinteressant und wichtig. SeineVorschläge werden mit denenanderer Kinder und Erwachse-ner diskutiert. Das Kind weiß,dass es durch seine Äußerun-gen etwas bewirken kann:Veränderungen in alltäglichenSituationen und in den Bezie-hungen zu anderen.

Das Kind weiß, dass Gedan-ken, Fragen und Ideen durchZeichen, Symbole und Spra-che aufgeschrieben und so anandere übermittelt werdenkönnen.

Kinder und Erwachsene begeg-nen sich in der sprachlichenInteraktion gleichberechtigt.Grundlegende Verhaltensfor-men wie das Äußern der eige-nen Meinung, das Zuhörenund der Widerspruch, sind füralle Kinder und Erwachsenenverbindlich. Meinungsverschie-denheiten und Konflikte wer-den sprachlich ausgehandelt.

Erwachsene unterstützen denZugang der Kinder zur Schrift-kultur. Sie lesen vor und spre-chen über das Gelesene. Kin-der diktieren ihnen Nachrich-ten und Briefe an wichtigeBezugspersonen. Erwachseneund Kinder entwickeln gemein-sam Zeichen und Symbole,mit denen sie kommunizierenkönnen.

Kinder sind in Umgebungen,die ausgesprochen kommuni-kationsfreudig sind. Gespräch,Unterhaltung, Erzählung undFrage-Antwort-Situationengehören selbstverständlich indie Alltagskultur.

Kinder haben frei wählbareZugänge zur materiellen Seiteder Schriftkultur. Sie bekom-men Briefe und Postkarten,können auf viele Bücher zu-rückgreifen, probieren Schreib-utensilien aus, benutzenSchreibtisch, Lesesessel undLeselampe, legen Hefte undOrdner an, lochen, heften undbinden Papiere, stellen Papierselbst her, stempeln unddrucken.

In welchen päda-gogischen Settingserfolgen dieseAngebote?

Das Kind kann sich in unter-schiedlichen Situationensprachlicher Interaktion kompetent verhalten:

• im Gespräch mit einem oderwenigen anderen Kindern

• im Dialog mit einem Erwach-senen oder beim Sprechenin einer großen Gruppe teiltes sich gelassen und angst-frei mit

• es erzählt mit Muße• Kinderwitze und Quatschge-schichten fordern Humor undKritikfähigkeit heraus

• Schriften und Zeichen kannes überall, gemeinsam mitanderen Kindern und auchallein erkunden

• Kinder wagen sich auch inneue, unbekannte Situationenund können das Gesprächmit unbekannten Kindern undErwachsenen aufnehmen

Im Alltag sind wiederkehrendeGelegenheiten verankert, in de-nen jedes Kind zu Wort kom-men kann und geduldig undinteressiert angehört wird:• im Gespräch werden die Eigen-themen der Kinder, aber auchKonflikte thematisiert

• Kinder gewinnen im Gesprächneue Erkenntnisse; beispiels-weise, wenn sie sich in Ex-pertengesprächen mit Er-wachsenen ein Bild von ihrenBerufen verschaffen oder In-formationen für ihr Eigenthe-ma gewinnen

• die Erfahrung, dass ein Dingin verschiedenen Sprachenjeweils andere Namen hatund dass zu diesen Spra-chen verschiedene Schriftengehören, unterstützt dasNachdenken über Sprachenund Schriften

• Kinder haben Erwachsene insehr unterschiedlichen Kon-texten als Gesprächspartnerzur Verfügung

• ihre Umgebung ist so ausge-stattet, dass sie in ProjektenDinge und Zusammenhängeauch über einen längeren Zeitraum verfolgen können

• in ihrer Umwelt gibt es Mög-lichkeiten, die gewonnenenErkenntnisse zu präsentierenund zu kommunizieren

• Beobachtungen, Experimen-te, Expertengespräche undandere Nachforschungenkönnen ergänzt werden,indem in Büchern, Zeitungenund Zeitschriften, in Doku-menten- und Materialsamm-lungen und auch am Compu-ter recherchiert wird

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Tabelle Elementare sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Kinder:• haben Lieblingsgeschichtenund Lieblingsreime, die sieimmer wieder gern anhören,erzählen bzw. sprechen

• sie lassen wiederkehrendeFormulierungen, die aus derSchriftsprache entnommenwerden (»Es war einmal«), indie eigenen Erzählungen ein-fließen

• sammeln Lieblingsnamen undLieblingswörter (z.B. »Luft-drehkreuz«), die sie sich vonErwachsenen aufschreibenlassen, abmalen, zeichnerischumsetzen und im eigenenSchatzkästchen aufbewahren

• haben Freude an der Wieder-holung von Hörbüchern, diesie sich unabhängig von Er-wachsenen anhören könnenund die sie anregen, mit demKinderrecorder selbst Auf-nahmen von Verwandten undFreunden zu bestimmten In-teressen und Themen oderzu bestimmten Anlässen zumachen

• setzen im Rollenspiel die beiErwachsenen beobachtetenSprach- und Verhaltenswei-sen kreativ um, indem siesie an die Spielsituationanpassen und umgestalten

• spielen auch Vorlese- undSchreibsituationen

• hantieren mit Sprache:suchen Reimwörter, verglei-chen am Wortbild die Längeder Wörter, denken darübernach, wie viele Wörter ineinem Satz sind, welcheLaute man in einem Worthört und wie ein Wort sichanhört, wenn man denersten Laut weglässt

In der Familie, im Kindergar-ten und anderen Institutionenhaben Kinder ein Mitsprache-recht; sie:• handeln sprachlich mit ande-ren Kindern und Erwachsenenbeispielsweise aus, wie dernächste Feiertag gestaltetwerden soll, welche Verände-rungen in ihrem Zimmer/imGruppenraum sie begrüßen,welche Rituale sie sich wün-schen usw.

• interessieren sich im Gesprächdafür, warum jemand traurigund niedergeschlagen ist,trösten und teilen Freude

• haben ältere Kinder oder Er-wachsene als Schreib- undLesepaten, mit denen siesich regelmäßig treffen, umin Büchern zu stöbern, Ge-schichten in Fortsetzung zuhören, Briefe vorgelesen zubekommen, Briefe zu diktie-ren usw.

• kommunizieren per Telefon,sind am Versenden von E-Mails und Briefen beteiligt

• beschäftigen sich mit ande-ren Schriften als der ihrerFamiliensprache

• probieren unterschiedlicheSchreibtechniken aus undinteressieren sich dafür, wiedie Menschen vor vielenhundert Jahren geschriebenhaben

• untersuchen moderne undhistorische Bilderschriftenund stellen Unterschiedesowie Gemeinsamkeiten fest

• untersuchen Zeichen- undSymbolsysteme, Piktogram-me usw.

• gestalten Reime, Gedichteund Geschichten szenisch

• haben ein professionellesTheater besucht

Kinder können:• für Rollenspiele und szenischeDarstellungen auf umfang-reiche Materialien, Kostümeund Kulissen zurückgreifen,die sie in Kooperation mitälteren Kindern und Erwach-senen hergestellt undbeschafft haben

• unterschiedliche Situationen,in denen Sprache und Ge-spräch wichtig sind, erkun-den: auf dem Bahnhof, inder Bürgersprechstunde, imGeschäft, beim Friseur usw.

• außerdem unterschiedlicheSituationen erkunden, indenen Schrift wichtig ist: aufder Post, in der Bibliothek,in der Schule usw.

• auf die materiellen Voraus-setzungen zurückgreifen, umSprache zu fixieren: Kinderre-corder, Schreibgeräte, Papiere

• unterschiedliche Schreibma-terialien ausprobieren: Sand,Schiefer, Papiere, Schreibma-schinen usw. und sammelnSchriften und Symbole:Autokennzeichen, Etikettenin der Kleidung, die Namenvon Haushaltsgeräten, Nameund Startnummer von Sport-lern

• ein individuelles Papier- undSchriftmuseum anlegen, indem sie interessante Papiereund Schriften aufbewahren

• ihren Namen untersuchenBuchstaben ihres Namens inanderen Namen wiederfinden

• im Freundes- und Bekannten-kreis Autogramme sammeln

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Sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungSprachliche undSchriftsprachlicheBildung

Die Kinder können sich diffe-renziert mitteilen: Sie tauschensach- und situationsangemes-sene Argumente aus, verstän-digen sich über Dinge, Sach-verhalte, Gefühle und Proble-me. Sie können Konflikte mitsprachlichen Mitteln lösen.Kinder sind geduldige undaufmerksame Zuhörer undübernehmen für die Aufrecht-erhaltung der Kommunikationeine Mitverantwortung, wennVerstehen und Zuhören schwerfallen.

Sie sind an Sprache als Ge-genstand ihres Nachdenkensinteressiert, sie spielen mitSprache und lernen Arbeitsver-fahren kennen, mit deren HilfeSprache untersucht werdenkann. Zugleich lernen sie dietheoretischen Begriffe kennen(z.B. Wort, Satz, Subjekt, No-minativ usw.).

Vom Beginn des Lesen- undSchreibenlernens an verfassenKinder Texte zu Themen, dieihnen wichtig sind. Sie wissen,dass Schrift die Lautfolge dergesprochenen Sprache durchBuchstaben fixiert, erarbeitensich zunächst einen phonolo-gischen Zugang zur Schrift(»Schreibe, wie du sprichst«)und interessieren sich zuneh-mend für orthographischeBesonderheiten.

Die Kinder erfahren Lesen-und Schreibenlernen als zweiineinander greifende und sichgegenseitig unterstützendeProzesse. Sie sind stolz dar-auf, sehr unterschiedliche Textesinnentnehmend lesen zukönnen, und entwickeln Freu-de an poetischen Texten. Ihremündlichen und schriftsprach-lichen Kompetenzen nutzenKinder nicht nur beim Umgangmit »alten«, sondern auch

Kinder haben vielfältige Gele-genheiten, sich mit anderenKindern und mit Erwachsenenüber komplexe Sachverhalteausgiebig zu verständigen. Sieerleben Situationen, in denenerst durch den geduldigen Aus-tausch von Argumenten dieLösung für ein Problem odereinen Konflikt gefunden wird.Kinder wissen, dass Raum undGelegenheit besteht, sich übereigene Sorgen und Nöte ineiner ruhigen und zugewand-ten Atmosphäre auszutauschen.Zugleich erleben sich Kinderals wichtigen Gesprächspart-ner für andere.

Gegenstand des Gesprächessind auch Sprachen und Schrif-ten selbst; ihre Funktion undihre Struktur, die Verwendungs-formen und die Verwendungs-zusammenhänge von Sprachenund Schriften.

Zwischen Kindern bzw. zwi-schen Kindern und Erwachse-nen werden Texte ausgetauscht;dies können Briefe oder Notiz-zettel sein, interessante Zei-tungsmeldungen oder bei-spielsweise Gedichte und Kin-derbücher. Über diese Textekann gemeinsam reflektiertwerden; und im freien Umgangmit diesen Texten könnenmündliches und schriftlichesSprachhandeln miteinanderverknüpft werden.

Im täglichen Zusammenlebenvon Kindern und Erwachsenenhaben Sprachen und Schrifteneine zentrale Bedeutung.Sprechen und Schreiben, dasNachdenken über Sprache,das Lesen und der Austauschüber Texte sind Kommunikati-ons- und Arbeitsformen, dienicht nur im Bildungsbereich»Sprachen und Schriften«,sondern auch in allen anderen

Kinder finden Spiel- und Lern-umwelten sowie Alltagssitua-tionen vor, in denen mündlicheund schriftliche Kommunikationunverzichtbar ist. Sie werdendarauf aufmerksam, dass an-dere Kinder und Erwachsenegleiche, ähnliche und auchandere Formen und Mittel derKommunikation haben als sieselbst. Sie erwerben Kompe-tenzen in der Kommunikationinsbesondere im Austauschmit Kindern mit Behinderun-gen und bei Kindern, die eineandere Familiensprache spre-chen als sie selbst.

Die eigene(n) Sprache(n) unddie anderen Sprachen (Fami-liensprachen, Gebärdenspra-chen, Blindenschrift, Blissusw.) sind die Basis dafür,dass Kinder über die Strukturund die Funktion von Schriftabstrakt nachdenken.

In den Umwelten der Kindersind unterschiedlichsteMedien enthalten, die zumSprechen und Zuhören, zumLesen und Schreiben sowiezum Nachdenken über Spra-che auffordern: Bücher undZeitschriften, unterschiedlich-ste Textsorten; Schreibmaschi-ne, Computer und Lernsoftwa-re sowie Software zum eigen-ständigen Recherchieren undExperimentieren, das Telefon,das Fax usw.

Alle Lernarrangements, indenen sich Kinder befinden,sind so strukturiert, dass siemöglichst viele Gelegenheitenzur mündlichen und schriftli-chen Kommunikation beinhal-ten. Dies bedeutet, dass auffrontale Situationen mit lan-gen Monologen weitgehendzu verzichten ist zugunstenvon offenen Lernsituationen,beim Umgang mit »neuen«

Tabelle Primare sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Tabelle Primare sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungSprachliche undSchriftsprachlicheBildung

Medien umfassend und flexi-bel. Lesen und Schreiben wer-den für die Kinder zu Mittelnder Verständigung mit derWelt und mit sich selbst.

Bildungsbereichen eine her-ausgehobene Bedeutunghaben (siehe auch Literacy-Erziehung).

Kinder haben in ihrem näch-sten Umfeld ältere Kinder undErwachsene, bei denen siebeobachten können, wie derUmgang mit Sprachen undSchriften den eigenen Horizonterweitert und das Leben rei-cher und interessanter werdenlässt.

in denen Kommunikationständig erforderlich ist (Pro-jekte, Experimente, Exkursio-nen, Expertenbefragung usw.)

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Das Kind weiß, dass sein Be-dürfnis nach Gespräch undAustausch, nach Kommunikati-on durch Briefe und Notizen,nach freiem Ausdruck durchTexte, darstellendes Spiel u.ä.bei anderen Kindern und Er-wachsenen willkommen ist. Essucht nicht nur Gelegenheiten,sich in bereits bestehendeKommunikationen und Arbeits-zusammenhänge einzubringen,sondern initiiert eigene, in diees wiederum Erwachsene undandere Kinder einbinden kann.Das Kind ist stolz darauf, nichtnur mündlich, sondern auchdurch Lesen und Schreiben vonErwachsenen zunehmend un-abhängiger zu werden. DieFreude der Erwachsenen überdas Lesen- und Schreibenkön-nen des Kindes ist für dasKind zugleich eine weitereMotivation, dieses Könnenauszudifferenzieren und zuvertiefen.

Kinder erleben Situationen, indenen sie sich als Autor, alsSchauspieler, als Nachrichten-sprecher, als Sekretär, als Mo-derator, als Spielleiter u.ä. er-folgreich betätigen können.Sie arbeiten gemeinsam mitanderen Kindern und Erwach-senen an Sprache: indem sieSprachen in Kleingruppen erfor-schen, Dialoge führen, Schreib-konferenzen leiten, sich ander Überarbeitung von Textenbeteiligen, bei der Präsentationvon Arbeitsergebnissen inmündlicher oder schriftlicherForm kooperieren. Sie pflegenKlassenkorrespondenzen undBrieffreundschaften mit Kindernin anderen Orten und Ländernund nutzen dazu »alte« und»neue« Medien. In diesen un-terschiedlichen Zusammenhän-gen kommunizieren Kinder mitgroßem und kleinem Publikum,mit unterschiedlich alten Part-nern und über Themen, die ih-nen bekannt und vertraut oderaber neu und noch fremd sind.

Kinder haben Orte und Gele-genheiten, die zum Verweilenin Muße, zum Lesen und zumSchreiben einladen. In allenBildungsbereichen können sieauf eine umfangreiche Materi-albasis zurückgreifen (Sachbü-cher, Zeitschriften, Dokumen-tensammlungen, Abbildungen),die es ihnen erlaubt, sich durchLesen neues Wissen anzueig-nen, es mit bereits bekanntemWissen zu verknüpfen und alsLern- und Erkenntnisfortschrittzu präsentieren. Ihre Arbeitser-gebnisse fließen wiederum inbestehende Materialsammlun-gen ein und können auf dieseWeise zur Basis für das Lernenanderer Kinder werden. Klas-sen- und Schulzeitungen,Klassentagebücher, Dialogjour-nale, Poster u.ä. übermittelnWissen und Erfahrungen durchSchrift.

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

Kinder:• wissen, dass Sprechen undZuhören, Lesen und Schrei-ben dazu dienen, sich übersich selbst, über andere undüber die Welt klar zu werden

• erleben sich als erfolgreichin der mündlichen undschriftlichen Kommunikation

Kinder und Erwachsene wis-sen, dass:• Lesen- und SchreibenlernenProzesse sind, für die Kinderausreichend Zeit, hilfreicheUnterstützung und geeigneteÜbungsmöglichkeiten benöti-gen

• die Schreibungen und Lesar-ten des Kindes die jeweilige

Lehrerinnen und Lehrer habenselbst kognitive Klarheit überStruktur und Funktion vonSchrift. Sie: • wissen, welche Lernvoraus-setzungen Kinder für dasLesen- und Schreibenlernenbenötigen und in welchenStufen sich der kindlicheSchriftspracherwerb vollzieht

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Sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• erfahren, dass ihre Erzählun-gen, Gesprächsbeiträge undTexte nicht nur in Übungssi-tuationen, sondern auch inalltäglichen »Ernstsituationen«(zu Hause, in der Schule, inder Freizeit) nicht nur für sieselbst, sondern auch für an-dere Bedeutung haben undBerücksichtigung finden

• vertiefen durch Lesen undSchreiben ihr Wissen überdie Welt und erschließen sichdurch Lesen und Schreibenzugleich neue Welten: fiktiveund auch reale, die sich derunmittelbaren Erfahrung ent-ziehen

Stufe des kindlichen Schrift-spracherwerbs zeigen undnicht primär als Fehler, son-dern als intelligente Lösungs-möglichkeit im Kontext derjeweiligen kindlichen Ent-wicklung zu deuten sind

• kindliche Schreibungen undLesarten nicht zu sanktionie-ren, sondern Anlass des Aus-tausches darüber sind, wasals nächstes zu lernen ist

• Schreiben- und LesenlernenProzesse sind, bei denen dieKinder Ermutigung undGeduld erfahren müssen undnur auf dieser emotionalunterstützenden Basis eineausgeprägte Lese- undSchreibmotivation entwickelnkönnen

• können diese theoretischenModelle als Reflexionsfoliefür ihr professionelles päda-gogisches Handeln nutzen,wenn es darum geht, denEntwicklungsstand jedes ein-zelnen Kindes zu beobach-ten und die jeweils nächstenpassenden Lernschritte undBildungsangebote zu bestim-men und den Bezugsperso-nen des Kindes zu erläutern

• bieten Lehr- und Lernmate-rialien an, die Möglichkeitender Selbstkontrolle enthalten

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Ihre Möglichkeiten der mündli-chen Kommunikation erweiternKinder, indem sie beispiels-weise:• ihre Position auf Kinderkon-ferenzen innerhalb undaußerhalb der Schule sowiein Schülerräten vertreten

• in Diskussionen über Sach-fragen und Probleme eineteilnehmerorientierte, diskur-sive Gesprächskultur pflegen

• gemeinsam philosophischeGespräche führen (»mit Kin-dern philosophieren«)

• Ideen zum Erzählen mitMindmapping und Brainstor-ming weiter entwickeln undErzählsituationen ritualisieren

• Gedichte und Geschichten inszenische Darstellungenumsetzen

• bekannte Geschichten umge-stalten und spielerischumsetzen (Schattentheater,Puppentheater, darstellendesSpiel, Pantomime)

• Sprechübungen mit Hilfeeines Spiegels, einer Digital-kamera, eines Kassettenre-corders ausprobieren unddie Aufnahmen diskutieren

Mündliche Kommunikations-fähigkeit kann beispielsweiseunterstützt werden bei:• Spielen wie »Stille Post«oder »Ich sehe was, was dunicht siehst«

• dem Erzählen von Reihum-bzw. Fortsetzungsgeschichtenim Stuhlkreis

• der Partnerarbeit, z.B. beimErraten von mündlichbeschriebenen Gegenständen

• bei der Koordinationgemeinsamer Tätigkeiten inder Partner- und Kleingrup-penarbeit sowie beim Stati-onslernen

• Expertengesprächen an Lern-orten außerhalb der Schule

• der Durchführung von Umfra-gen unter Schülern auf demSchulhof oder unter Passan-ten auf der Straße

• Gesprächen mit Autoren überTexte und Bücher, die sieverfasst haben

• dem Nacherzählen von Ge-schichten, Filmen, Hörbüchern,Diaserien

• dem Erzählen zu Bildvorlagen• Streitschlichtergesprächen

Kinder erkunden öffentlicheund private Orte und Gelegen-heiten, um Gespräch undUnterhaltung zu pflegen:• sie laden sich Freunde nachHause ein, besuchen Festeund Feiern im Freundes- undVerwandtenkreis

• sie besuchen Cafés, Museen,Galerien und andere Ausstel-lungsorte, Parks und Gärten,in denen man Entspannungfinden und mit anderenMenschen in Kontakt kom-men kann

• sie nutzen Infrastrukturen, indenen die Partizipation vonKindern und Jugendlichenunterstützt wird, und wirkendort mit (Kinderbüros, Kin-derwahlen, Kinderbürgermei-ster usw.)

• sie besuchen Autorenlesun-gen, Buchpräsentationenund Ausstellungseröffnungen

• sie sind in vielfältige infor-melle Nachbarschaftskontak-te und Kontakte im Wohnge-biet bzw. im Wohnort einge-bunden und wirken an derGestaltung von besonderenAnlässen in diesen Rahmenmit

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Tabelle Primare sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Ihre Möglichkeiten der schrift-lichen Kommunikation erweiternKinder, indem sie beispiels-weise:• von Beginn an freie Texte zuden sie interessierenden The-men schreiben und in Eigen-büchern sammeln

• eigene Texte durch Drucken,Stempeln usw. vervielfältigenund veröffentlichen

• neben einem Klassenwort-schatz auch einen individuel-len Wortschatz entwickeln

• Arbeitstechniken und Übungs-formen kennenlernen, umallmählich zur orthographischkorrekten Schreibung zu ge-langen (über schwierige Wör-ter sprechen, Wortfamilienund Ableitungsmöglichkeitenkennen, in Lernkartei undWörterbuch nachschlagen,Wörter sammeln und ortho-graphische Regeln im Wort-material selbst entdecken)

• selbst gern lesen, Spaßdaran haben, unbekannteTexte und Bücher zu lesenund anderen Kindern weiterzu empfehlen

• gern vorgelesenen Geschich-ten zuhören

Ihre Möglichkeiten, über Spra-che nachzudenken und Sprachezu analysieren, erweitern Kin-der, indem sie beispielsweise:• sich mit interessantenSprachspielen beschäftigen

• Wörter untersuchen und nachBesonderheiten sortieren

• Einsichten in die morphema-tische Struktur von Wörterngewinnen und diese Einsich-ten zur orthographisch kor-rekten Schreibung nutzen

• Wörterbücher kennen lernenund mit unterschiedlichenWörterbüchern arbeiten

• der Aneignung von Wörternund häufigen sprachlichenWendungen aus Familien-sprachen der Mitschüler

Schriftliche Kommunikations-fähigkeit kann beispielsweiseunterstützt werden bei:• Lese- und Schreibsituatio-nen, in denen nicht grob-bzw. feinmotorische Abläufedes Schreibens im Vorder-grund stehen, sondern indenen der kommunikativeAspekt von Lesen undSchreiben betont wird

• Schreibgelegenheiten undÜbungsformen, bei denenEinsichten in die Strukturder Alphabetschrift gewonnenwerden können, statt Schön-schrift bzw. Abschreiben imSinne von Abmalen zu üben

• der Nutzung freier Textedurch die Lehrerin und denLehrer, um sich einen Über-blick über den Lernstandjedes einzelnen Kindes zuverschaffen und die jeweilsnächsten Lernschritte zubestimmen

• Verzicht darauf, im Recht-schreibunterricht überwiegendDiktatwörter zu bearbeitenund Diktate zu schreiben

• der Schaffung einer breitenBasis für die Rechtschreib-entwicklung müssen gleicher-maßen das Lesen und Vorle-sen, das Schreiben freierTexte, die Entwicklung vongeeigneten Arbeits- undÜbungsformen sowie dasUntersuchen und Sortierenvon Wortmaterial berücksich-tigt werden

Über Sprache nachzudenkenkann unterstützt werden bei:• der Beschriftung von Gegen-ständen im Klassenraum,von Wegen und Türen imSchulgebäude in den ver-schiedenen Familiensprachen

Lehrerinnen und Lehrer wäh-len didaktische Materialien(Fibeln, alternative Materialien,Lesebücher, Lehrbücher, Arbeits-hefte, Lernspiele usw.) nachzeitgemäßen pädagogischenund fachdidaktischen Kriterienaus. Diese Materialien können• Kinder dabei unterstützen,kognitive Klarheit über Funk-tion und Struktur von Schriftzu gewinnen

• das Lesen- und Schreibenler-nen als integrierte Prozesseunterstützen

• Orientierung an der ortho-graphisch korrekten Schreib-form zulassen

• als Ausgangsschrift zunächstdie Großantiqua nutzen, dieaus klar strukturierten Buch-stabenformen besteht, keinelangen motorischen Vorübun-gen erforderlich macht undKinder schnell zu eigenenSchreibversuchen kommenlässt

• mit der zunehmendenBeherrschung der Buchstabe-Laut-Beziehung zur Gemisch-tantiqua hinführen

• und daran anschließend dieEntwicklung einer individuel-len Handschrift auf der Basisder empfohlenen Schulaus-gangsschrift anregen

In der Umgebung der Kinderwerden Lerngelegenheiten ge-nutzt, die:• das Vorhandensein unter-schiedlicher Sprachen, Schrif-ten und Zeichensysteme ver-deutlichen

• es ermöglichen, verschiede-ne Signal- und Zeichensyste-me selbst auszuprobieren

• es zulassen, dass Kinder Er-wachsene in unterschiedlichenBerufen bei Umgang mitSprachen, Schriften und Zei-chensystemen beobachtenkönnen (Gebärdendolmet-scher, Fremdsprachen-

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Sprachliche und schriftsprachliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Wortfelder zusammenstellenund untersuchen

• Wörter in verschiedenenSprachen notieren und sievergleichen

Ihre Möglichkeiten, mit Textenund Medien umzugehen, er-weitern Kinder beispielsweise,indem sie:• nach Rezepten kochen undnach Gebrauchsanweisungenhandeln bzw. selbst Rezepteund Gebrauchsanweisungennotieren

• interessante Ereignisse foto-grafieren, die Fotos mit Textversehen und die erarbeiteteDokumentation für andereKinder als Lesestoff zur Ver-fügung stellen

• im Internet nach interessan-ten Informationen suchen(zu Eigenthemen, zu Veran-staltungen, zu Urlaubsortenusw.)

• pädagogisch begleitete Chat-rooms im Internet besuchenund nutzen

• Absprachen (für Ausflüge, Ex-kursionen) am Telefon oderdurch E-Mail treffen

• sich über das Radio- undFernsehprogramm informierenund sich interessante Sen-dungen auswählen

• Kinderzeitschriften lesen undKinderbeilagen in anderenZeitungen kennenlernen

der Kinder, in Blindenschrift,Bliss, bei der Erprobung vonGebärdensprachen u. ä.

• der Erfindung eigener Alpha-bete, mit denen die KinderWörter verschriftlichen undentziffern können

• der Untersuchung histori-scher Schriften (Bilderschrif-ten, Silbenschriften, Alpha-betschriften)

• der Untersuchung von Sätzenaus Texten und der Analyseder Satzbestandteile

• der Untersuchung häufig vor-kommender sprachlicherPhänomene

• bei der Entdeckung ortho-graphischer Regelhaftigkeiten

Der Umgang mit Texten undMedien kann beispielsweiseunterstützt werden bei:• Leseangeboten in »neuen«und »alten« Medien, diedem Stand der Lesetechnik,dem Niveau der Sinnentnah-me und dem Weltwissen derKinder entsprechen und aufdieser Grundlage das sinn-entnehmende Lesen undGespräche über das Gelese-ne ermöglichen

• einer Nutzung »neuer«Medien, die in Kommunikati-on mit anderen Kindern undErwachsenen eingebundenist und nicht zur Vereinze-lung und Vereinsamung z.B.vor dem Computer führt

• der sinnvollen Einbindung»neuer« und »alter« Medienin Projektstrukturen, in the-mengebundene Recherche-vorhaben, in die Bearbeitungvon Eigenthemen, in die Vor-bereitung von Präsentationenusw., um der Verselbststän-digung des Umgangs insbe-sondere mit »neuen« Medienpräventiv zu begegnen

• gleichzeitiger Nutzung »neu-er« und »alter« Medien, umdie Vorzüge und Nachteilebeider Medienarten bewusstwerden zu lassen

sekretärin, Programmierer,Journalisten usw.)

• die Erkundung von Wort-und Bedeutungsfeldern sowievon grammatischen Strukturenanregen (z.B. zweisprachigeKinderbücher)

In der Umgebung der Kinderwerden Möglichkeiten genutzt:• Zeitungsredaktionen, Rund-funksender, das Kinderfern-sehen, Telefonanbieter undandere Medienunternehmenzu besuchen und zu erkun-den

• Expertengespräche darüberzu führen, wie beispielswei-se der Computer, das Inter-net, Handys oder Kopiergerä-te funktionieren

• im öffentlichen und im priva-ten Raum »neue« und »alte«Medien zur Kommunikationzu nutzen

• eigene Texte durch »alte«und »neue« Medien zu bear-beiten, zu vervielfältigen undzu veröffentlichen

• historische Medien der Kom-munikation mit Sprache undSchrift zu untersuchen (z.B.traditionelle Buchdrucke-rei/Buchbinderei, Signal- undOrientierungssysteme usw.)

• den verantwortlichen undkritischen Umgang mit »neu-en« Medien zu erlernen

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Präambel

Bewegung und Gesundheit sind Grundlagenkindlicher Bildungsprozesse.

Jede menschliche Äußerungsform ist geprägt vonder Bewegung. Bewegung ist Ausdrucksträger undKommunikationsmittel. Sie ermöglicht die handeln-de Auseinandersetzung mit der Welt. Alltags- undArbeitsbewegungen, sportliche, tänzerische, musi-kalische und sonstige Spezialfertigkeiten zeichnensich durch die Wechselbeziehung zwischen Sen-sorik und Motorik aus. Nerven- und Muskelsystemarbeiten vernetzt mit allen anderen Körpersyste-men zusammen und bilden die biologische undneurophysiologische Grundlage der Bewegung.Menschliche Bewegung schließt die innerkörperli-chen vegetativen Bewegungsvorgänge mit ein.Atmung, Haltung und Bewegung bedingen einan-der. Aus bildungstheoretischer Sicht können mo-torische Vorgänge nicht unabhängig von Person

und Situation betrachtet werden. Der Begriff Psy-chomotorik betont den affektiven Anteil und diepsychische Regulation der menschlichen Bewe-gung, die die Begegnung mit sich selbst, der mate-rialen und sozialen Umwelt ermöglicht. EmotionaleGeborgenheit ist Grundvoraussetzung für die ge-sunde Entwicklung von Kindern. Zugleich drückensie ihre Gefühle durch Bewegung aus. Die (kogni-tive) Verarbeitung und Planung von Bewegungsteht im Zusammenhang mit anderen Bildungsbe-reichen und schließt die Entwicklung von Selbst-reflexion in der Auseinandersetzung mit dem eige-nen Körper, Körperkenntnis und Wissen über Be-wegungsvorgänge ein.

Das Bewegungslernen äußert sich im immer prä-ziseren Zusammenspiel von Grob- und Feinmoto-rik. Bewegung enthält konditionelle und koordi-native Komponenten und kann sich nur unterangemessenen sozialökonomischen, psychologi-schen, räumlichen und personellen Bedingungen

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2.2 Motorische und gesundheitlicheBildung

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entfalten. Die Entwicklung von Körperwahrneh-mung und Körperbewusstsein ist entscheidendfür das Wohlbefinden und eine lebenslange Ge-sundheit. Körperbild und Körperschema umschrei-ben differenzierte Aspekte im Verhältnis Mensch-Körper und betonen die emotional-affektive bzw.perzeptiv-kognitive Auseinandersetzung des Indi-viduums mit dem eigenen Körper. Kinder undErwachsene nutzen Grob- und Feinmotorik, Ge-stik, Mimik und Sprechmotorik als Informations-träger und Feedbacksystem.

Motorische und gesundheitliche Bildung hängeneng miteinander zusammen, denn Gesundheit istin hohem Maße von Bewegung abhängig. Aus demnatürlichen Bewegungsbedürfnis entwickelt sicheine lebenslange Motivation zu sportlicher Betäti-gung. Die Gesundheit von Kindern wird jedochnicht nur durch ihre körperlichen und motorischenVoraussetzungen bestimmt, sondern auch durchgesundheitsspezifische Verhaltensweisen (z.B. ge-sunde Ernährung und viel Bewegung) sowie durchunspezifische Verhaltensweisen (z.B. angemessenerUmgang mit Mitmenschen, mit Leistungserwartun-gen, mit Stress, Frust und Trauer). Die Reaktionenauf solche Emotionen sind bei Kindern allerdingsoft motorischer Art. So zappeln sie vor Freude oderUnruhe und laufen bei Angst weg. Außerdem grei-fen Bildungsprozesse motorischer und gesund-heitlicher Bildung ineinander beispielsweise beider Entwicklung von Wissen über den eigenenKörper und bei Bewegungs- und Verhaltensmög-lichkeiten, die Gesundheit unterstützen oder ihrschaden können. Gesundheit ist ein zentralerWunsch aller Menschen. Sie ist mehr als die Abwe-senheit von Krankheit, sondern wird im weiterenSinne als physisches, psychisches und sozialesWohlbefinden verstanden. Gesundheit ist deshalbnicht objektiv messbar, sondern ein subjektiverProzess, der von zahlreichen inneren und äußerenFaktoren abhängig ist.

Kontexte motorischer und gesundheitlicher Bildung

Motorische Bildungsprozesse können nicht unab-hängig von kognitiven und psycho-sozialen Merk-malen gesehen werden. In der Geborgenheit dernäheren Wohnumgebung erkundet das Kind seineeigenen Bewegungen, entdeckt die materiale und

soziale Umwelt in Interaktion mit den nächstenBezugspersonen. Das Kind wird getragen und ge-schaukelt. Es genießt Kniereiter-, Finger- und Be-rührungsspiele, die der Kommunikation dienen unddie Lust an der Bewegung anregen. Häusliche undaußerhäusliche Materialien werden mit Händen undMund untersucht. Mit der Aneignung basaler undelementarer Bewegungsformen vergrößert sich derBewegungsradius, das Kind nutzt seine Mobilitätfür die Erkundung der Umgebung, ohne den Kon-takt zur Bezugsperson zu verlieren. Innen- undAußenräume bieten Anlass für Roll-, Kriech- undKrabbelbewegungen bis hin zum Gehen und Lau-fen. Die allmähliche Erlangung des Gleichgewichtsim Sitzen und Stehen geht Hand in Hand mit derEntwicklung des Greifens. Spielmaterialien und -ge-räte, sowie die Interaktion mit den Bezugsperso-nen bieten vielfältige Möglichkeiten für Funkti-onsspiele, in denen der Gleichgewichtssinn, daskinästhetische (auf die Muskelempfindungen ge-richtete) und das kutane (das auf die Haut gerich-tete) Sinnessystem stimuliert werden.

Zu Hause und in Institutionen kindlicher Bildungwird das Kind zu grob- (wie Gehen, Laufen, Sprin-gen, Klettern, Werfen, Tragen) und feinmotori-schen (wie Hantieren, Allein-Essen, Malen) Bewe-gungshandlungen angeregt. Die Erfahrungen mitder Schwer- und Fliehkraft werden als lustvollerlebt und immer wieder aufgesucht. Die Sprech-motorik entwickelt sich beim Saugen, Essen, Trin-ken, Lallen, Sprechen, Singen. Feinmotorische Fer-tigkeiten der Hand differenzieren sich allmählichaus und erfordern ein gutes Zusammenspiel meh-rerer Muskelgruppen. Die Entwicklung von Bewe-gungsfertigkeiten ist abhängig von biologischenVoraussetzungen und dem funktionellen Gebrauch,der sich im familiären Umfeld und in außerhäusli-chen Erfahrungsbereichen anbietet. Neue Bezugs-personen kommen mit wachsendem Alter hinzu,neue Spielgeräte und Fortbewegungsmittel for-dern komplexere Bewegungen. Schule, Freizeit undMedien wirken sich auf das Bewegungsverhaltenaus. Das allgemeine Bewegungsrepertoire erweitertsich. Sportliche und/oder künstlerische Spezialfer-tigkeiten und Bewegungspräferenzen bilden sichin Schule, Sportverein, Musik-, Tanz-, Theater-oder Kunstschule heraus. Die Gelegenheiten undMöglichkeiten für motorische Bildungsprozessesowie das Wissen über den eigenen Körper habenkonkrete Auswirkungen auf die gesundheitliche

Motorische und gesundheitliche Bildung

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Situation von Kindern. Unzureichendes Wissen überden eigenen Körper befördert riskantes Ernäh-rungsverhalten, andauernder Bewegungsmangel imZusammenhang mit massiver Fehlernährung führtbei einer steigenden Zahl von Kindern zu Überge-wicht bis hin zur Entwicklung von Altersdiabetesschon bei Kindergarten- und Grundschulkindern.Kinder, die ausreichende Möglichkeiten zur Bewe-gung haben, entwickeln eher ein positives Ver-hältnis zu ihrem Körper, sind mobiler und habenmehr Gelegenheiten für neue Erfahrungen. Ihnenstehen umfangreiche Möglichkeiten beispielswei-se des sensomotorischen Lernens zur Verfügung,die neben dem Schulsport auch Angebote derSportvereine im Land Thüringen umfassen. Kindersammeln Primärerfahrungen in Lebensbereichenund in Bewährungssituationen, die bewegungsär-mere Kinder lediglich aus den Medien, also auszweiter Hand haben.

Die gesundheitliche Situation von Kindern, insbe-sondere mit Blick auf ihre Bewegungsmöglichkei-ten und ihre Ernährung, hängt maßgeblich vonder sozialen Lage ihrer Herkunftsfamilie ab. Kin-der aus sozial benachteiligten Familien wachsenhäufig in beengten Wohnungen und in wenigerbevorzugten Wohngegenden auf. Ihre Eltern neh-men im Kontext ihrer prekären Lebenssituationkindliche Vorsorgeuntersuchungen weniger regel-mäßig wahr und haben weniger Ressourcen zurVerfügung, um Stress positiv bewältigen zu kön-nen. Kinder aus armen und sozial benachteiligtenFamilien sind deshalb häufiger Entwicklungsrisikenausgesetzt und von Behinderung bedroht, und siesind häufiger krank. Ihrer gesundheitlichen Bil-dung kommt – im Kontext wirksamer Elternarbeit– in Institutionen kindlicher Bildung besondereAufmerksamkeit zu. Angebote gesundheitlicherBildung schließen ein, dass Kinder und ihre ElternVorstellungen von gesundheitsfördernden Umwel-ten, von gesundem Leben und davon erwerben,wie man beides erhalten kann. Ebenso gehörtdazu, dass Gefahrenquellen und Risiken erkanntwerden (z.B. im Straßenverkehr: Geschwindigkei-ten ein- und Entfernungen abschätzen).

Basale motorische und gesundheitliche Bildungsprozesse

Schon im Mutterleib bewegt sich das ungeboreneKind und erhält Stimulanzen für das kinästheti-sche, statico-dynamische und kutane Sinnessy-stem. Die Nahsinne spielen für die Kommunikati-on und Interaktion zwischen Bezugsperson undKind eine lebensnotwendige Rolle. Die von Nah-und Fernsinnen empfangenen Reize lösen Bewe-gungsantworten aus, in denen der Säugling seinWohl- oder Missbehagen ausdrückt. Das ausbalan-cierte Wechselspiel zwischen aktiver Bewegungund passivem Bewegtwerden löst beim Kind Wohl-befinden aus. Die ersten Lebensmonate sind vonzwei motorischen Entwicklungsrichtungen ge-prägt: die vom Kopf nach unten (cephalo-caudale)und die von der Rumpfmitte nach außen (proxi-modistale). Der Säugling ist kein Mangelwesen,sondern er signalisiert und befriedigt seine Be-dürfnisse selbst, indem er beispielsweise schreit,seinen Muskelwiderstand ändert, saugt und trinkt.Die Mutter-Kind-Interaktion beruht auf der Abstim-mung taktiler, kinästhetischer, visueller und audi-tiver Signale. Die intermodale Wahrnehmungsver-arbeitung von Stimm-, Bewegungs- und Berüh-rungsverhalten der Bezugsperson gibt dem KindSicherheit, wenn diese verschiedenen Äußerungs-formen im Ausdruck übereinstimmen. Kniereiter-und Schaukelspiele, Rollen, Kriechen, Krabbeln,

Basale motorische und gesundheitliche Bildungsprozesse

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Vierfüßlergang, Sitzen, Stehen, Gehen, Greifen undLoslassen sind Tätigkeiten, die das Kind gerneaufsucht, um sich selbst zu erleben und die Weltzu erkunden. Die Fortbewegung stoppen und dieRichtung ändern sind neue Erfahrungen, die sichdurch ständigen Gebrauch weiterentwickeln. Kör-per und Bewegung sind die Mittler zwischenSelbstempfindung, Bezugsperson und Umwelt.

Stabile emotionale Bindungen zu den nächstenBezugspersonen sind ebenso Voraussetzung fürbasale gesundheitliche Bildungsprozesse wie dieOrientierung des Kindes über seinen Körper.Gesundheitliche Bildung ist deshalb einstruktu-riert in das Spannungsfeld zwischen Nähe undDistanz, Ruhe und Bewegung. Zunächst nimmtdas Kind im Kontext motorischer Bildungsprozes-se seine einzelnen Körperteile wahr, bezeichnetsie und entdeckt diese Körperteile auch bei sei-nem jeweiligen Gegenüber wieder. Sukzessiv ent-decken Kinder ihr Geschlecht und interessierensich für das anderer Kinder. Zugleich entwickelnsie einfache Vorstellungen über Körperfunktionen;beispielsweise zu den Funktionen der Sinnesorga-ne und zum Zusammenhang zwischen Essen undVerdauen. Kinder nutzen das Essen auch zur sozia-len Kontaktaufnahme, sie entwickeln Geschmacks-vorlieben und Sensibilität für Sättigung. Sie genie-ßen körperliche Pflege, helfen bei der Körperpfle-ge mit und sind daran interessiert, möglichstselbstständig zu werden (z.B. beim Zähneputzenund beim Baden). Kinder erwerben schließlichbasale Verhaltensmöglichkeiten, um Unfälle undKrankheiten zu vermeiden.

Elementare motorische und gesundheitlicheBildungsprozesse

Die motorischen Fähigkeiten erweitern sich all-mählich. Bewegungskombinationen wie Laufen undSpringen, Werfen und Fangen sind nun möglichund werden verfeinert. Das Nachahmungslernen,Symbol- und Rollenspiel nehmen einen hohenStellenwert ein und beinhalten zahlreiche motori-sche Aktivitäten. Der Tast- und kinästhetischeSinn spielen eine große Rolle bei der Bewältigungmotorischer Aufgaben. Die Bewegungen sind voneinem hohen Bewegungsüberschuss gekennzeich-net, da die Erregungs- gegenüber den Hem-mungsprozessen noch überwiegen. Bewegung istnach wie vor Ausdrucksträger und Kommunikati-onsmittel. Neben der bewussten Körperwahrneh-mung kann das Kind körperlich-seelische Befind-lichkeiten benennen und sein Wissen über denKörper verbal ausdrücken. Durch sportliche Aktivi-täten in ihrer nächsten Umgebung, aber auchdurch die Angebote neuer Medien entwickelt esein Interesse an ausgewählten Sportarten.

Das Wissen der Kinder über ihren Körper undseine Gesunderhaltung differenziert sich weiteraus. Sie verfügen über komplexer werdende sub-jektive Theorien darüber, wie ihr Körper funktio-niert. Sie nehmen körperliche Veränderungen undUnwohlsein bei Krankheiten wahr und kommuni-zieren diese auch. Ebenso teilen sie Frust undAngst, Freude und Überraschung nicht nur moto-risch, sondern zunehmend auch sprachlich mit.Zugleich werden sie sensibler gegenüber den Be-findlichkeiten anderer Kinder und Erwachsener.Sie verdeutlichen durch körperliche Nähe oder

Motorische und gesundheitliche Bildung

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durch Rückzug Beziehungsqualitäten und prägenein Gefühl für die eigene Intimsphäre aus. Auf die-ser Grundlage entwickeln sie Verhaltensmöglich-keiten im Umgang mit belastenden Veränderun-gen und beunruhigenden Momenten in ihrem Le-bensalltag. Kinder gewinnen im Kontext von Be-wegungs- und Verhaltensmöglichkeiten ein Gefühldafür, was risikoreich ist, und gelangen so zu einemzunehmend reflektierten Umgang mit Gefahren.Sie gewinnen psychische Widerstandskraft gegen-über widrigen Lebensumständen. Hierzu gehört dieReflexion von tatsächlichen oder potenziell vor-handenen Bedrohungen und belastenden Umwelt-bedingungen ebenso wie die Fähigkeit, für sichselbst herauszufinden, was bei Verunsicherung oderErkrankung gut tut, beruhigt und Geborgenheitschaffen kann. Eine wohltuende und entspannen-de Atmosphäre genießen Kinder z.B. beim ge-meinsamen Kochen und bei geselligen Mahlzei-ten. Das Interesse für gesunde Lebensmittel, fürdie Zubereitung von Mahlzeiten und für die Ent-wicklung einer kommunikativen Esskultur kommtder gesundheitlichen Bildung nicht nur in spezifi-scher, sondern auch in unspezifischer Weise ent-gegen. Neben dem Gefühl der Sättigung entwik-keln die Kinder zugleich ein Gefühl der »Sätti-gung« in anderen Kontexten; zum Beispiel beimFernsehen, beim Umgang mit Spielkonsolen undComputern.

Primare motorische und gesundheitliche Bildungsprozesse

Eine präzisierte Feinabstimmung der Erregungs-und Hemmungsprozesse ermöglicht eine Verbes-serung der koordinativen Fähigkeiten wie Steue-rungsfähigkeit, Anpassungs- und Umstellungsfä-higkeit, Reaktions- und Kombinationsvermögen.Die nun mögliche Bewegungsantizipation verfei-nert den Bewegungsfluss und lässt notwendigeBewegungsphasen zyklischer und azyklischerBewegungen effizienter verschmelzen. Geschick-lichkeits- und Gleichgewichtsspiele zeugen vonder Komplexität der Bewegungsmöglichkeiten.Bewegungspräferenzen beim Sport, in der Begeg-nung mit Tanz und Musik oder in anderen Kunst-formen bilden sich heraus. Kinder entwickeln Vor-lieben für bestimmte Bewegungsabläufe, die sieaus Freude am eigenen Können weiter ausdiffe-renzieren. Ihr Interesse am Sport bezieht sich

nicht nur auf den Medienkonsum (Übertragung vonSportveranstaltungen im Fernsehen), sondern auchauf die eigene sportliche Betätigung. Auseinan-dersetzungen mit den Audio- und Videomedien,mit Computer- und Informationstechnologie prä-gen auch das Bewegungsverhalten. Die Verringe-rung motorischer Primärerfahrungen und die ge-sellschaftlich bedingte Bewegungsarmut verlangennach Kompensation in vielen Bildungsbereichen.

Kinder gewinnen zu ihrem Körper ein differenzier-tes Verhältnis. In den Freundschaftsbeziehungender Kinder wirkt der Genderaspekt hinein, dennsie bevorzugen zunächst eher gleichgeschlechtli-che Freunde und wenden sich späterhin wiederdem anderen Geschlecht mit explizitem Interessezu. Sie setzen sich zunehmend differenziert mitunterschiedlichen Vorstellungen über Schönheitund Leistungsfähigkeit auseinander. Kinder habenumfangreiches Wissen zu gesunder Lebensweise(Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung, Ver-meidung von Unfällen, Krankheiten usw.). Auf die-ser Grundlage kennen sie nicht nur Verhaltens-weisen, die zur Gesunderhaltung beitragen, son-dern sie begründen auch, weshalb diese derGesunderhaltung dienen. Alltägliches Verhaltenvon anderen Kindern und von Erwachsenenreflektieren sie kritisch; beispielsweise unausge-wogene Ernährung und übermäßigen Medienkon-sum. Zugleich entwickeln sie ein Gefühl dafür,welches Verhalten bei anderen Kindern und beiErwachsenen als Suchtverhalten bezeichnet wer-den kann. In das Verständnis von Gesundheitschließen die Kinder auch gesunde Umweltbedin-gungen mit ein. Die eigene Gesundheit zu bewah-ren bedeutet nun, sich auch für eine intakteUmwelt zu engagieren.

Primare motorische und gesundheitliche Bildungsprozesse

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Motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Basale Bildung Motorische undgesundheitlicheBildung

Die bereits vorgeburtlich wirk-same Wechselwirkung zwischenMotorik und Sensorik prägtauch die Sinnes- und Bewe-gungserfahrungen des Neuge-borenen. Tast-, Gleichgewichts-und Bewegungssinn sind amfrühesten angelegt. Die ange-borenen Reflexe wie Muskelei-genreflexe, Fluchtreflexe, Saug-und Schluckreflexe garantierendas Überleben. Bedingte Re-flexe und neue Bewegungser-fahrungen im Schwerefeld derErde kommen hinzu. Von derGeburt an ist der Säuglingaktiv und kontaktfähig. Er in-teressiert sich für seine Um-gebung und reagiert auf dieZuwendung der Erwachsenen.Dabei gibt er durch Schreienund muskuläre Aktivitätendeutliche Zeichen des Wohlbe-findens oder Missbehagens.

Die Befriedigung der physiolo-gischen Bedürfnisse wie dieRegulation von Atmung, Wärme,Hunger, Durst, Ausscheidung,Schlaf und Wachheit ist durcheindeutige Signale des Säug-lings garantiert. Er benötigtsowohl Geborgenheit als auchFreiraum für neue Körper- undBewegungserfahrungen. Überdie Stimme und die Bewegungteilt er sich mit und drücktsich aus. Die Integration vonHautsinn, Gleichgewichts-,Muskel- und Stellungssinnspielt eine große Rolle beimBewegungslernen und wirktsich auf viele andere Lernbe-reiche aus.

Die Kommunikation und Inter-aktion zwischen Kind und Er-wachsenem ist geprägt durchdie feine Abstimmung vonEmpfinden und Erleben desKindes auf der einen Seite mitdem Wahrnehmen und Verhal-ten der Bezugsperson auf deranderen. Ein gut abgestimmtesFeedback-System sorgt für denraschen Informationsaustauschzwischen Kind und Bezugsper-son. Das Kind fordert und ge-nießt die Widerspiegelung sei-ner stimmlichen und Bewe-gungsaktivitäten durch den Er-wachsenen. In der Pflege undbeim Spiel entsteht ein Dialogzwischen Kind und Erwachse-nem durch Berührung, Blick-kontakt, Gestik und Mimik.

Die einfühlsame und behutsa-me Zuwendung der Bezugs-person ermöglicht das Erken-nen von Anzeichen der kindli-chen Aktivitäten. Greift der Er-wachsene diese rücksichtsvollauf, so entsteht Raum für dieEigenbewegungen des Kindes.Stimme, Gesten und Bewegun-gen ergänzen sich und lösensich ab. Erwachsener und Kindbleiben offen für die Situation.

Die Eigenständigkeit des Kin-des wird von Anfang an re-spektiert. Die Erkundung deseigenen Körpers und die Er-oberung der Welt durch Sin-neswahrnehmung und Motorikfinden in der schützendenBindung zur Bezugspersonstatt, ohne einzuengen. Kindervertrauen darauf, dass sie inverlässliche Beziehungen ein-gebunden sind. Auf dieserGrundlage entwickeln sie ihrfrühes Bemühen um Selbstän-digkeit.

Kleidung, Möbel, Raumtempe-ratur, Raum- und Bodenbe-schaffenheit sind auf die Be-dürfnisse des Kindes abge-stimmt. Die Bewegungsmög-lichkeiten drinnen und drau-ßen sind ausgewogen. Reiz-mangel und Reizüberflutungwerden vermieden. Möbel, Ge-räte, Materialien und Objektestehen zur Verfügung, mit de-nen das Kind seine Umwelt inder freien Bewegungshand-lung ungefährdet entdeckenkann.

Die Pflege des Kindes undseine Mahlzeiten finden inkindgemäßen Räumen stattund sind in anregende sozialeInteraktionen eingebunden.

Erwachsene Bezugspersonensind über die basalen physi-schen und psychischen Be-dürfnisse des Kindes infor-miert, sie nehmen körperliche,mimische und stimmlicheÄußerungen des Kindes sensi-bel wahr und interpretierensie. Erwachsene und ältereKinder sorgen dafür, dass sichKinder in den verschiedenenUmwelten wohl und geborgenfühlen.

Tabelle Basale motorische und gesundheitliche Bildung

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Tabelle Basale motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Das Kind erfährt Resonanz aufseine physiologischen Bedürf-nisse wie Hunger, Durst, Aus-scheidung, Müdigkeit und Se-xualität. Die Stimulierung derNahsinne (taktiler Sinn, Mus-kel- und Stellungssinn, Gleich-gewichtssinn) und entspre-chende Bewegungsantwortentragen zum körpersinnlichenWohlbehagen bei. Sucht dasKind einerseits die Nähe undVerbundenheit mit der Bezugs-person, so hat es andererseitsFreude an den eigenen Körper-bewegungen und deren Effek-tivität sowie dem Erforschenseiner Umwelt. Das Bedürfnisnach Rückzug und Verneinungist ebenfalls vorhanden undeinfühlsam zu respektieren.

Greifen, Loslassen, Rollen, Wäl-zen, Kriechen, Krabbeln, Zie-hen, Schieben, Tragen, Gehen,Laufen, Steigen, Klettern, Hän-gen, Schwingen, Balancieren,(Nieder-)Springen, Hüpfen,Fangen und Werfen, Hochge-worfen- und Aufgefangen-Wer-den sind wichtige Bewegungs-aktivitäten, die entsprechendRaum beanspruchen. Auge-Handkoordination und Hand-dominanz bilden sich bei ent-sprechendem Gebrauch heraus.Das Zusammenspiel von Stütz-und Zielmotorik sowie vonGrob- und Feinmotorik entwik-kelt sich allmählich.

Die Vorliebe des Säuglings fürGesicht, Stimme und Geruchder Mutter deutet auf dasstarke Bedürfnis nach Nähe,Bindung und Verbundenheithin. Saug- und Greifreflexesowie emotionale und kom-munikative Verhaltensmusterbestätigen dies und forderneine entsprechende Berück-sichtigung im Bildungsgesche-hen. Die Fähigkeit des Säug-lings, affektive Äußerungender Mutter zu imitieren, lassenein Bedürfnis nach Geborgen-heit und Abstimmung der Mut-ter-Kind-Beziehung erkennen,das von der ersten Bezugsper-son im Leben eines Kindesintuitiv erfüllt wird. DasBedürfnis nach Bindung ver-teilt sich im Laufe der Ent-wicklung auf weitere Personenwie Vater, Geschwister oderandere Bezugspersonen.

Neben günstigen äußeren Be-dingungen hat das Kind genü-gend Zeit für die Interaktionmit der Bezugsperson und fürdie Exploration seiner Umge-bung.

Räume, Möbel, Geräte, Mate-rialien und Objekte stehen zurVerfügung, die dem Kind An-reize für körpersinnliche undBewegungserfahrungen bieten.

Kinder haben vielfältige Mög-lichkeiten, ein Körperschemazu entwickeln. Sie betrachtensich in verschiedenen Spiegelnund aus unterschiedlichenPerspektiven, in Ruhe und inBewegung. In vorbereitetenUmgebungen probieren sieverschiedenste Bewegungs-möglichkeiten und Sinnes-wahrnehmungen aus.

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• ungestörtes Ausleben körper-sinnlicher und bewegungs-orientierter Bedürfnisse

• Raum und Zeit für die wach-sende Bewältigung eigen-ständiger Alltagsbewegungenbeim Essen und Anziehen

• Möglichkeiten zum Allein-spiel und jederzeitige Rück-kehr zur Bezugsperson

• unterstützende Begleitungder vielfältigen Bewegungs-aktivitäten, die das Kind vonselbst aufsucht

• Beobachtung des kindlichenExplorationsdranges ohne un-angemessenes, vorschnellesEingreifen

• strukturiertes, nicht reglemen-tiertes Bewegungsumfeld, indem sich Kinder gefahrlosbegegnen und aktiv werden

• bewegungsfreundliche Räume• Fußböden (und entsprechendeUmgebung) laden zum Rol-len, Kriechen, Krabbeln ein

• Möbel, an denen sich dasKind hochziehen kann

• ungefährliche Materialien, diedas Kind greifen und imMundraum ertasten kann

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Motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Ausdruck von Zuwendungoder Ablehnung durch Näheund Distanz

• Strukturierte Angebote zurExploration von Bewegungs-objekten, Gegenständen,Materialien

• Mahlzeiten und Körperpflegezu individuell unterschiedli-chen Zeitpunkten und mitMuße

• stress- und angstfreier Um-gang mit Körperfunktionen

• Respekt gegenüber demkindlichen Nahraum

• positive emotionale Unter-stützung beim Ausprobierenneuer Nahrungsmittel undbei der Entwicklung individu-eller Vorlieben

• Gelassenheit bei der Sauber-keitserziehung und Respektvor den individuellen Bedürf-nissen und dem individuellenEntwicklungstempo des ein-zelnen Kindes

• Möglichkeiten zur Beobach-tung und zum Mittun (z.B.bei der Zubereitung von Mahl-zeiten; bei der Untersuchungvon Lebensmitteln nachGeschmack und Konsistenz)

• sensible Rhythmisierung imTagesverlauf, um Strukturenfür die Regulation von Kör-perfunktionen anzubahnen

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Bereitstellung von Raum, Ma-terialien und Gelegenheiten,um sich vielfältig zu bewe-gen; das Kind lässt sich tra-gen, »hochwerfen«, schau-keln, wiegen

• Berührungsspiele, Kniereiter-spiele, Fingerspiele

• Suchspiele (Wo ist deineNase, dein Bauch usw.?)

• Bewegungs- und Tanzspielemit Musik

• Ausprobieren von Bewe-gungsmöglichkeiten im Was-ser, auf dem Boden, auf fle-xiblen und beweglichenUnterlagen

• An- und Auszieh- sowie Ver-kleidungsspiele

• Tassen, Teller, Becher,Geschirr, Besteck, Töpfe wer-den erkundet und zuneh-mend sicher gehandhabt

• Entwicklung von Vorliebenbei den Mahlzeiten

• Entwicklung von Ritualenund Vorlieben bei der Kör-perpflege

• Erwachsener bekundet Inter-esse an den Bewegungenund Explorationen des Kindes

• Erwachsener beobachtet dieBewegungsaktivitäten desKindes

• Erwachsener spiegelt die Be-wegungen des Kindes mitder Stimme

• Erwachsener regt das Kindzur Exploration des eigenenKörpers und zum Vergleichdes eigenen Körpers mit demanderer Kinder und andererErwachsener an

• Kind hat Gelegenheit, Bewe-gungskontakte mit anderenKindern und Erwachsenenaufzunehmen

• Erwachsene fragen nach demWohlbefinden des Kindes,sie verbalisieren Gefühle undStimmungen und spiegelndiese dem Kind

• Erwachsene erkennen dasBedürfnis nach Ruhepausenund das Bedürfnis nachBewegung des Kindes undrespektieren beides

• Interesse an anderen Kin-dern und Erwachsenen anre-gen, die nicht zum Kreis dernächsten Bezugspersonengehören

• ungefährliches Spielzeug undNaturmaterialien zum Greifenund in den Mund stecken

• Nachziehspielsachen• Spielsachen, die zum Werfenanregen

• Alltagsgegenstände, die zurBewegung anregen (grob-und feinmotorisch)

• Naturmaterialien, die dasErkunden von unterschiedli-chen Oberflächen- und Mate-rialeigenschaften ermögli-chen

• Schaukeln und Balancier-möglichkeiten

• Klettermöbel• Räume oder Raumabschnitte,die bestimmten Tätigkeitenund Tagesabschnitten exklu-siv vorbehalten sind (zumSchlafen, zur Körperpflege,für Mahlzeiten, zum Toben)

• Puppen und andere Lieb-lingsgegenstände, die bei-spielsweise beim Tröstenund beim Einschlafen hilf-reich sind

• Räume, in die sich das Kindzum Ausruhen zurückziehenkann

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Tabelle Elementare motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare Bildung Motorische undgesundheitlicheBildung

Die Individualität von Bewe-gung, Gestik, Mimik und Stim-me des Kindes erfährt Akzep-tanz und kann sich frei entfal-ten. Die Integration der Sinnespielt für die Erfahrungen vonRaum, Zeit und Kraft einewichtige Rolle. Das Kind suchtintuitiv Spielgelegenheiten, indenen es Körper- und Schwer-kraftempfinden mit visuellenund auditiven Wahrnehmun-gen verbinden kann.

Gleichgewichts-, Tast- und Be-wegungssinn sind mit denFernsinnen vernetzt und wer-den beim Spielen, Sprechen,Bewegen beansprucht undrückwirkend durch Gebrauchverfeinert.In Rollenspielen ahmt dasKind die Bewegungen andererPersonen, Tier- und Fantasie-gestalten nach.

Bodennahe Bewegungen wieRollen, Kriechen, Krabbeln undaufrechte Fortbewegungsartenwie Gehen, Laufen, Hüpfen,Galoppieren, Drehen, Springenbereiten körpersinnliche Freu-de und werden verbalisiert. Ein gutes Zusammenspiel derNah- und Fernsinne unterstütztdie Entwicklung der Feinmoto-rik beim Malen, Basteln, Schrei-ben, Musikmachen.

Mit den komplexer werdendenmotorischen Fähigkeiten diffe-renziert das Kind seine Vorstel-lungen über seinen Körper aus.Es nimmt körperliches Wohlbe-finden und Unbehagen wahr,verbalisiert beides und suchtgemeinsam mit Erwachsenenund anderen Kindern nachMöglichkeiten der Veränderung.

Kinder entwickeln Vorstellun-gen darüber, welche Verhal-tensweisen gesundheitsför-dernd sind.

Familiäre Bewegungsmusterwerden vom Kind übernommen.In der Gruppe nehmen KinderRücksicht auf das körperlicheWohlbefinden und die Bewe-gungsäußerungen anderer. DieKinder erleben Alltags- und Ar-beitsbewegungen, Bewegungs-stereotypen der Geschlechterund deren Relativierung, Sport-und Tanzbewegungen. BeiRollen- und Bewegungsspielenlernen die Kinder voneinander.Sie beobachten die Bewegun-gen der anderen, imitieren sieoder geben eigene Impulse.Beim Zusammenspiel ohneund mit Geräten wie Schaukelund Wippe stimmen die Kin-der ihre Bewegungen aufein-ander ab. In Interaktion mitden Bezugspersonen lernensie Schwimmen, Fahrrad fah-ren und andere Bewegungs-fertigkeiten.

Mit den komplexeren Bewe-gungsmöglichkeiten werdenKinder auch mit komplexerenWissensbeständen über ihrenKörper konfrontiert (z.B. Mus-keln, Knochen, Organe) Hier-durch erfahren sie Möglichkei-ten, ihren Körper beim Sport,bei Exkursionen, im Straßen-verkehr und in anderen Situa-tionen vor Gefahren und Ver-letzungen zu schützen.

Erwachsene und ältere Kinderhaben Vorbildfunktion für diegesundheitliche Bildung: Siebieten ein positives Modell fürgesunde Ernährung, für risiko-bewusstes Verhalten, für aus-geglichene Beziehungen zuanderen sowie für einen sorg-samen Umgang mit der eige-nen psychischen Befindlich-keit.

Bewegungsfreundliche Innen-und Außenräume sind äußerstwichtig für eine gesunde Ent-wicklung der Sensomotorik.Bodennahe Bewegungen sindgenauso möglich wie raum-greifende Fortbewegungen.

Bewegungsanimierende Ge-räte, flexibel verwendbaresbewegungsfreundliches Mobi-liar und der Größe der Kinderangepasste Sitz- und Spiel-möbel sind wichtige Voraus-setzungen für die gesundeEntfaltung von Grob- undFeinmotorik.

Kinder finden Räume und Ge-legenheiten vor, um Stressabzubauen, sich zu erholenund Ruhe zu finden. Hierzustehen ihnen Angebote deroffenen Kinder- und Jugendar-beit sowie Angebote vonSportvereinen offen.

Kinder haben ein Recht dar-auf, ausgeschlafen und sattan den Bildungsangebotenteilhaben zu können. Wo diesoziale Situation der Her-kunftsfamilie diese Vorausset-zungen nicht bieten kann, istdringend professionelle sozial-pädagogische Unterstützungerforderlich. Kinder, die durchÜberernährung in ihrer weite-ren psychischen und physischenEntwicklung bedroht sind, ha-ben ebenfalls ein Recht aufumfassende professionelleHilfe. Die Zusammenarbeitzwischen der Institution kind-licher Bildung und den Elternist unerlässlich. In ihrer Um-welt setzen sie sich mit risiko-haltigen Situationen und an-gemessenen Reaktionen (z.B.Verhalten im Straßenverkehr)auseinander.

Tabelle Elementare motorische und gesundheitliche Bildung

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Motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Das Zusammenwirken vonRaum, Zeit und Kraftdosierungsollte vielfältig erfahren, er-probt und gestalterisch ge-nutzt werden. Das Zusammen-spiel von Atmung und Haltung,Stütz- und Zielmotorik, Grob-und Feinmotorik kann in vielenSituationen unterstützt undangeregt werden. Die verschie-denen Phasen des Bewegungs-lernens werden dabei berück-sichtigt, die psychosozialen,affektiven und kognitiven An-teile integriert.

Balancespiele, Lauf- und Fang-spiele, das Laufen im Kreisals Spiel mit Schwer- undFliehkraft sind wichtige grob-motorische Erfahrungen, aufdenen sich die Entwicklungder Feinmotorik aufbauenkann.

Die Handdominanz ermöglichtfeinmotorische Koordination.Die Kinder drücken sich inimitierenden und kreativenBewegungsimprovisationenund -gestaltungen aus. Rhyth-mik (Musik und Bewegung)und elementarer Tanz ermögli-chen den Ausdruck kindlicherErfahrungen, Wünsche, Träumeund Befindlichkeiten. Sie un-terstützen das Ausleben undAusgestalten verschiedenerVitalitätsaffekte.

Es bringt körperliches Wohlbe-finden oder Unbehagen bzw.Krankheiten in Zusammenhangmit bestimmten Ursachen (Er-nährung, Bewegung, Schlafusw.). Gemeinsam mit anderenKindern und Erwachsenenschafft es entspannende underholsame Situationen undbewältigt auch anspannendeund belastende Situationenerfolgreich.

Kinder verfeinern im gemein-samen Bewegungsspiel ihremimetischen und imitatori-schen Fähigkeiten. Sie über-nehmen Bewegungscharakterund -ideen anderer und steu-ern eigene Bewegungseinfällebei. Fernsehsendungen, Com-puterspiele, Besuche im Zirkus,Konzert, Kindertheater, Kinosind Anlässe, Bewegungennachzuspielen und über Be-wegungsvollzüge zu sprechen.

Kindgemäße Bilderbücherüber den Körper und überBewegungssituationen bietenGelegenheit, Wissen auszutau-schen und über Körper- undBewegungszusammenhängezu sprechen.

Erwachsene sprechen mit Kin-dern darüber, wie sie sichselbst fühlen, wann es ihnengut, und wann es ihnen nichtso gut geht. Sie regen Kinderauf diese Weise dazu an, nichtnur über Sichtbares, sondernauch über innerpsychischeVorgänge zu sprechen. Kinderwissen, dass Erwachsene undandere Kinder daran interes-siert sind, wie es ihnen geht,und dass sie sich ihnen an-vertrauen können.

Auf Ausflügen und kurzen Rei-sen mit der Kindergruppe ler-nen die Kinder andere Alltags-routinen als zu Hause kennen.In Lernorten außerhalb derBildungsinstitution informierensich Kinder über gesunde Le-bensweise. Sie befragen Exper-ten (z.B. Kinderärzte) und re-cherchieren in kindgerechtenInformationsmaterialien.

Kinder und Erwachsene be-trachten im Fernsehen und inZeitschriften kritisch Werbebei-träge für Lebens- und Genuss-mittel.

An erster Stelle stehen dieMöglichkeiten der Primärerfah-rungen von Zeit, Kraft, Raumdurch entsprechende Innen-und Außenräume, Geräte undMaterialien.

Daneben sind Bilderbücherund Spielsachen vorhanden,die das Wissen über Körper-und Bewegungsfunktionenerweitern und zum Sprechendarüber anregen.

Besuche von Zirkus, Theater-und ausgewählten Kinopro-duktionen sind ebenso einge-plant, wie die kritische, bewe-gungsorientierte Auseinander-setzung mit Computerspielen,Fernsehsendungen und Sport-veranstaltungen.

Sachbücher und Lernmateria-lien, didaktische Spiele undDokumentensammlungen re-gen die Auseinandersetzungmit dem eigenen Körper an.

Die Einbeziehung der Kinderin die Organisation des Alltags(insbesondere bei der Zube-reitung der Mahlzeiten, beiAufräum- und Reinigungsarbei-ten, aber auch bei der Gestal-tung von Bewegungs- undRückzugsräumen) stärkt dasgemeinsame Verantwortungs-gefühl für eine gesunde Le-bensweise und vermittelt denKindern das Wissen darum,dass sie auf die Gestaltungeiner gesundheitsförderndenUmgebung selbst Einflussnehmen können. Pinnwände,Kinderkonferenzen u.ä. stellenGelegenheiten dar, Sorgen,Wünsche und Ängste in derGruppe zu thematisieren undaufzuarbeiten.

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Tabelle Elementare motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Raum, Zeit und Muße fürkindliche Bewegungsexplora-tionen lassen

• sinnstiftende Anlässe fürBewegungen anbieten

• kindliche Erfahrungen, Wahr-nehmungen und Wünschebei Bewegungsäußerungenberücksichtigen

• Ess-, Trink-, Bekleidungs-und Bewegungsgewohnhei-ten bei sich und bei anderenKindern in unterschiedlichenKontexten beobachten

• unterschiedliche Situationen,in denen Kinder vor neueHerausforderungen (moto-risch, psychisch und sozial)gestellt sind, und in denensie sich mit Anstrengungbewähren

• Raum für eigene Bewegungs-und Spielideen der Kinder inAbsprache mit Partnerinnenund Gruppe

• Beteiligung der Kinder ander Planung von Bewegungs-projekten

• Kinder entwickeln gemeinsamBewegungsideen, stellenSpielregeln auf

• Mitwirkung bei Feiern undFesten durch Bewegungs-und Tanzgestaltungen

• über Körper und Bewegungbei geeigneten Anlässensprechen

• Thematisieren von Essenund Trinken in privaten undöffentlichen Räumen

• Verhalten bei unterschied-lichen Gefühlslagen (Trauer,Niedergeschlagenheit, Freude)und bei Krankheiten bei sichund bei anderen diskutieren

• gut ausbalancierter Aktivie-rungszirkel zwischen Ruheund Aktivität

• genügend Platz und guteRaumstrukturierung für groß-räumige und platznaheBewegungsmöglichkeiten

• ausgewählte Angebote vonGeräten, Objekten und Mate-rialien – Vermeidung vonReizüberflutung

• Musikinstrumente und Stim-me zur Bewegungsanimationund Bewegungsbegleitung

• angemessener Einsatz vonAudio- und Videomedienohne Reizüberflutung

• gesundheitsbezogene Lern-orte außerhalb der Familieund außerhalb der Institu-tionen frühkindlicher Bildung

• strukturierte Raum-, Material-und Themenangebote ohneeinengende Reglementie-rungen

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Motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Bewegungsspiele im Freien• Barfuß gehen und Laufenauf verschiedenem Unter-grund

• Spiele auf Schaukeln, Wip-pen, Drehscheiben, Sport-kreiseln, Balanciergeräten

• Spiel mit Bällen, Luftballons,Seilen, Reifen, Stäben,Tüchern und anderen Mate-rialien

• Schwimmen und Fahrrad fahren

• Bodennahe und aufrechteFortbewegungsarten

• Raumwege, Raumrichtungen,Raumebenen grobmotorischerleben

• Umfunktionieren von Sitzmö-beln zu Bewegungsmöbeln

• Tanz- und Bewegungsspiele• Musik und Bewegung• Singen und Bewegung• Feinmotorische Betätigung• Ausprobieren von Lieblings-rezepten und Entwicklungneuer, gesundheitsbewussterRezepte

• Ausprobieren von unter-schiedlichen Lebenssituatio-nen (z.B. Krankheit) in Rol-lenspielen

• Wissen darum entwickeln,wann Fernsehen, Spielen amComputer u.ä. anstrengendund zu viel wird

• geschlechterspezifische Ver-haltensweisen bei Kindernund bei Erwachsenen beob-achten und diskutieren

• bewegungsorientierte Partner-und Gruppenspiele

• Imitieren der Bewegunganderer Personen durchBewegungsechospiele,Schatten- und Spiegelspiele

• eigene Bewegungsideen inEcho-, Schatten- und Spie-gelspielen verwirklichen undResonanz durch andereerfahren

• Abstimmen der Bewegungs-impulse bei gemeinsamemSpiel auf Geräten

• berührt, gestützt, gehaltenwerden

• »Flugzeugspiele« zum Erlebendes sicheren Halts durch denErwachsenen und den gleich-zeitigen Genuss der Fliehkraft

• mit Erwachsenen und älterenKindern aushandeln, was inbestimmten Situationen guttut und was man nichtmöchte

• andere Kinder einladen undbewirten, selbst andere Kin-der zu Hause besuchen, umandere als die Alltagsprakti-ken der eigenen Familie ken-nenzulernen

• Kinderfilme, Kinderbücherund andere Medien, die psy-chisches, soziales und physi-sches Wohlbefinden bzw.Unwohlsein thematisierenund zum Gespräch anregen

• Spiele und Bewegungsmög-lichkeiten in der freien Natur(z.B. auf der Wiese, im Sand,im Wasser)

• Schaukeln, Wippen, Dreh-scheiben, Sport- und Balan-ciergeräte

• Spiele und Bewegungsmög-lichkeiten drinnen

• Bälle, Reifen, Stäbe, Tücher,Luftballons

• Themen aus der Alltags-,Traum- und Fantasiewelt alsAnlass für Bewegungs- undRollenspiele

• Bilderbücher und Lieder alsAnlass für Bewegungsspiele

• Objekte und Materialien fürfeinmotorische Spiele (Puzz-le, Steckspiele, Schere)

• Musikinstrumente (Gitarre,Trommeln, Percussionsinstru-mente, Glockenspiel, Xylo-phon, Metallophon, Kalimbausw.)

• CDs mit Tanzmusik undbewegungsanimierenden Lie-dern

• Exkursionen und Expertenge-spräche zum Thema Gesund-heit in der nächsten Umge-bung des Kindes (Verwand-te, Nachbarschaft, Gesund-heitsamt, JugendärztlicherDienst, Zahnarzt usw.)

• Erkunden und Nutzen vonFußgängerwegen und Ver-kehrsanlagen (Ampeln,Schranken, Haltestellen, Verkehrsgarten usw.)

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Tabelle Primare motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare Bildung Motorische undgesundheitlicheBildung

Die im basalen und elementa-ren Bereich gewonnenen sen-somotorischen Erfahrungenbleiben lebenslang wirksam,sofern sie nicht durch einseiti-ge Belastungen verkümmern.Nach wie vor lebt das Kindintuitiv seinen Drang nach Mo-bilität und Lebendigkeit aus.

Der Anstieg konditioneller undkoordinativer Fähigkeiten äußertsich in der Differenzierung derBewegungsformen sowie inder Ausweitung und variablenVerfügbarkeit der elementarenBewegungsformen. Die Verbes-serung des Zusammenspielsunwillkürlicher und willkürli-cher motorischer Steuerungs-prozesse und der allmählicheAbbau der cerebralen Antriebs-gegenüber den Hemmungspro-zessen wird begleitet von einererhöhten Konzentrations- undmotorischen Merkfähigkeit.

Bewegungsaktivitäten werdenaufgesucht, die das Körper-empfinden erhöhen und kom-plexere Steuerungs- und Wahr-nehmungsvorgänge abverlan-gen. Komplizierte Bewegungs-sequenzen beim Tanzen, imSport und bei Mannschafts-spielen mit taktischen Anfor-derungen werden nun aufge-sucht und entsprechen denhinzugewonnenen kognitivenFähigkeiten. Die Selbstreflexi-on, das Wissen über Körperund Bewegungsvorgänge kannverbalisiert werden.

In der Gruppe werden Ideenfür Bewegungsspiele ausge-tauscht, verworfen, akzeptiert.Strategien bei Mannschafts-spielen werden entwickelt undbesprochen.

Regeln für selbst entworfeneBewegungsspiele werden auf-gestellt und auf ihre Brauch-barkeit hin überprüft.

Bewegungsgestaltungen undBewegungsprojekte werdengemeinsam geplant, organi-siert und durchgeführt.

In der gesamten Gruppe, inKleingruppen und in individu-ellen Situationen ist dasbewegte Ausagieren ebensomöglich wie das Erholen undRuheschöpfen. Kinder undErwachsene sind dafür sensi-bel, wann Bewegung bzw.Ruhe erforderlich sind, undsorgen gemeinsam dafür, dassWechsel zwischen beidenstattfinden.

Kinder wissen, dass zu ihremWohlbefinden nicht nur dieVermeidung von belastendemStress, sondern auch diegesunde Ernährung gehört. Inder Gruppe wird kritischreflektiert, was dazu beiträgt,gesund zu bleiben. Diegemeinsamen Anstrengungensind darauf gerichtet, diegemeinsam verbrachte Zeit sozu gestalten, dass sie mög-lichst viele und intensiveGelegenheiten zur Gesunder-haltung bietet.

Nach wie vor sind bewegungs-freundliche Räume mit Platzfür raumgreifende Bewegun-gen drinnen und draußenwichtig. Sport-, Spiel- undBewegungsgeräte müssendem Bedürfnis nach komple-xeren Bewegungen in denInstitutionen kindlicher Bil-dung und in Sportvereinengerecht werden. Dabei bleibendie Möglichkeiten zum Ausle-ben basaler und elementarerBewegungsmöglichkeiten wieBalancieren, Schaukeln, Wie-gen, usw. erhalten. Bewe-gungsausgleich zu sitzendenTätigkeiten ist ohne großenorganisatorischen Aufwandspontan möglich.

Materialien, wie sie im basa-len und elementaren Bereichangeboten werden, sind wei-terhin verfügbar, ergänzt durchObjekte, Geräte und Materia-lien, die das komplexere Zu-sammenspiel von Wahrneh-mung und Bewegung erfordern.

In der Umwelt sind zahlreicheMöglichkeiten enthalten, ge-sunde Ernährung, Stressbe-wältigung, die Vermeidungvon Krankheiten und Unfällen(insbesondere im Straßenver-kehr) sowie den sinnvollen Um-gang mit Medien zu erlernen.

Am positiven Modell ältererKinder und Erwachsener erfah-ren Kinder, wie man sich füreine gesunde Umwelt enga-gieren kann, und erwerben inalltagspraktischen HandlungenFähigkeiten, sich nachhaltigökologisch zu verhalten.

Tabelle Primare motorische und gesundheitliche Bildung

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Motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Das Kind drückt sich weiterhinmit seinen Bewegungen aus,beantwortet Erfahrungen undWahrnehmungen motorisch.Es geht sportlichen, tänzeri-schen, musikalischen und an-deren Bewegungsaktivitätennach und wählt diese frei aus.Dabei erweitert es seine Rhyth-misierungs-, Koordinations-,Kombinations- und Planungs-fähigkeiten. Ein Interesse fürden Erwerb von Spezialfertig-keiten wird unterstützt undgefördert. Das Kind nutzt seinWissen über Körper- und Be-wegungsvorgänge selbstregu-lativ.

Das Kind beobachtet Alltags-und Arbeitsbewegungen, aberauch sportliche oder künstleri-sche Bewegungsaktivitäten. Esbeschreibt, analysiert undnutzt diese als Grundlage füreigene Bewegungsversuche.Das Kind lernt Körper- undBewegungskonzepte im histo-rischen Kontext kennen undeignet sich ein systematischesWissen über Körper- und Be-wegungszusammenhänge an.

Das Kind kennt schmackhafteund gesunde Nahrungsmittelund lernt sie zuzubereiten. Eskennt Gefahrensituationen imAlltag und weiß, wie es sievermeiden kann.

In der Gruppe entwickeln dieKinder sportliche, tänzerische,darstellerische und musikali-sche Bewegungsaktivitäten.Sie probieren gemeinsam neueBewegungen aus, analysierenund beschreiben Bewegungs-muster, die sie übernehmenmöchten, variieren vorgegebe-ne Modelle und erfinden neue.Jede Idee findet zunächst Ak-zeptanz, auch wenn sie imVerlauf der gemeinsamen Ar-beit verworfen werden kann.

Angeregt durch die gemein-same Arbeit mit Erwachsenenaus verschiedenen Bewegungs-bereichen üben Kinder neueBewegungsmuster und berei-chern ihr Bewegungsrepertoirequalitativ.

Gemeinsames Kochen undgemeinsame Mahlzeiten in derKindergruppe tragen nicht nurzur Kommunikation und zumStressabbau bei, sondern sindauch eine gute Gelegenheit,Essgewohnheiten und Tisch-kulturen kennenzulernen, diesich von denen zu Hause un-terscheiden. Wissen über dieHerkunft und die Zubereitungder Lebensmittel wird in fach-übergreifenden Projekten er-worben und unterstützt Ein-sichten in grundlegende öko-logische Zusammenhänge.

Unterschiedliche Bewegungs-möglichkeiten und Bewegungs-angebote begegnen den Kin-dern innerhalb und außerhalbder Bildungseinrichtung, diedie Entscheidung für eine in-tensivierte Beschäftigung er-leichtern kann. Der Kontaktund die Kooperation mitSportvereinen und -schulen,Zirkus- und Akrobatikschulen,Tanz- und Musikschulen erwei-tern den (Bewegungs-)Horizontund ermöglichen Kindern, eige-ne Vorlieben zu entwickeln.Gemeinsame Projekte und AGsmit speziellen Bewegungs-,Sport-, Tanz- und Musikinstitu-tionen bereichern den Bil-dungsalltag und helfen, spezi-fische Bewegungskonzeptekennenzulernen. Audio- undVideomedien stehen zur Verfü-gung, die Impulse für die eige-ne Bewegungskreativität aus-lösen können.

Kinder informieren sich übergesunde Ernährung und Be-wegung, über Gefahrenvermei-dung, über den sinnvollenGebrauch von Medien undüber Suchterkrankungen beiExperten; sie befragen hierzuunterschiedliche Professionelle(Ärzte, Psychologen, Gesund-heitsberater, Angehörige derFeuerwehr, Energieberater usw.).

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Tabelle Primare motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Das Kind wählt selbst Bewe-gungssituationen, in denenes die Bewegungsgrundfor-men lustvoll ausleben kann

• Bewältigung strukturierterBewegungssituationen, indenen Körper-, Raum- undZeitwahrnehmungen verfei-nert werden

• Förderung von Eigen- undFremdwahrnehmung in ver-schiedenen Bewegungssitua-tionen

• Zeit für Übungsmöglichkeitenvon Spezialfertigkeiten ohneVernachlässigung der freienBewegungsentfaltung

• Wissen über Körper- undBewegungszusammenhänge

• Wissen über Zusammenhän-ge zwischen Ernährung undBewegung, Belastung undEntspannung

• Herausfinden, was in belas-tenden Situationen gut tut

• Fähigkeit, in belastendenund anstrengenden Situatio-nen mit sich selbst schonendumzugehen

• erste Vorstellungen zur Diffe-renzierung zwischen Krank-heit und Behinderung ent-wickeln sich

• bewusste Anregung einfacherRegeln für das unfallvermei-dende Verhalten im Straßen-verkehr

• Freiraum für selbst regulierteBewegungsbedürfnisse

• angeleitete Bewegungsange-bote mit Raum für Eigenin-itiative der Kinder

• Wechsel von solistischemHervortreten mit Partner-und Gruppenarbeit

• Planung und Ausgestaltungvon Bewegungsprojekten mitgrößtmöglicher Verantwor-tung der Kinder für Organisa-tion, Inhalt und Ausführung

• Bereicherung von Feiern undFesten mit gemeinsamenBewegungsaktivitäten

• Sprechen über Körper- undBewegungsfunktionen

• Thematisieren von Vorlieben(Essen, Lieblingstätigkeiten)

• Auswahlmöglichkeiten(Bewegung, Nahrung), dieKinder in Entscheidungssi-tuationen versetzen

• Begegnungen mit unter-schiedlich alten Menschen;Thematisierung der Gemein-samkeiten und Unterschiedein der Lebenssituation vonMenschen mit und ohneBehinderungen

• bewegungsgeeignete Innen-und Außenräume

• Zeit für vielfältige Bewe-gungsaktivitäten

• möblierte Räume zu Bewe-gungsräumen umfunktionieren

• Musikinstrumente zum Ein-satz für Bewegungsanimati-on und Bewegungsbegleitung

• CD- und Videoanlage• Audio- und Videoaufnahme-geräte

• kindgerechte Möglichkeiten,um Lebensmittel einzukaufenund zuzubereiten

• Informationsmöglichkeitenüber Gesundheit und Krank-heit

• Informations- und Recherche-möglichkeiten über Sucht-erkrankungen, über Ursachenund Möglichkeiten der Ver-meidung von Suchterkran-kungen

• aktive Einflussnahe auf dieUmgebung, um Erkrankungenund Unfälle zu verhindern(Fürsorge für jüngere Kinder,Stressvermeidung)

• aktives Engagement für einennachhaltigen ökologischenLebensstil, um Umweltschutzzu erlernen

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Bewegungsgrundformen undderen Kombinationen verfei-nern (Laufen, Gehen, Hüpfen,Galoppieren, Federn, Sprin-gen, Rollen, Überschlagen,Werfen, Fangen, Stoßen,Schleudern, Hängen, Schwin-gen, Schaukeln, Stützen, Klet-tern, Ziehen, Schieben, Tra-gen, Heben, Balancieren)

• Bewusstsein für Atmung undeine ökonomische Körperhal-tung im Sitzen, Stehen, Be-wegen entwickeln

• Bewegungsspiele ohne undmit Geräten/Objekten

• gemeinsame Planung undGestaltung von Bewegungs-landschaften

• Entwickeln und Einbringenvon Bewegungsideen alleine,zu Paaren, in Kleingruppen

• gemeinsamer Besuch vonZirkus, Tanzvorstellung, Tanz-film, Konzert, Sportveranstal-tung und Austausch übersubjektive Wahrnehmungenund Erfahrungen

• Gesprächsaustausch überKörperkenntnis und Wissens-aneignung zum Thema Kör-per und Bewegung

• Tücher, Bälle und Wurfge-genstände zum gezieltenWerfen und Jonglieren

• Sport-, Gymnastik- undRhythmikgeräte

• Requisiten, Kostüme• Ausflüge zum Besuch vonBewegungsveranstaltungen

• Audio- und Videomedien zurBewegungsanimation undBewegungsbeobachtung

• Bücher, Abbildungen undComputersoftware zum The-ma Körper und Bewegung

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Motorische und gesundheitliche Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• geeignete sportliche Betäti-gungen (wie Schwimmen,Schlittschuh- und Rollschuh-laufen, Skifahren, Badminton,Tennis, Bodenturnen, Geräte-turnen, Leichtathletik, Hand-ball und Fußball usw.)

• Gruppen- und Mannschafts-spiele

• geeignete Körperwahrneh-mungskonzepte für Kinder

• Tanzspiele• Pantomime und Darstellen-des Spiel

• Bewegung und Sprache• Rhythmik (Musik und Bewe-gung)

• selbst individuelle zeitlicheRhythmen für Ruhe und Be-wegung herausfinden

• an sich selbst beobachten,wann Situationen (Medien-konsum, körperliche Bela-stungen) einseitig und an-strengend werden, und dieseSituationen selbst unter-brechen

• »geschlechtstypische« und»geschlechtsuntypische« Ver-haltensweisen bei Kindernund bei Erwachsenen beob-achten und kritisch thema-tisieren

• Anzeichen von körperlichenVeränderungen und Krank-heiten an sich selbst bemer-ken und kommunizieren

• über gesundheitsförderndesVerhalten Bescheid wissenund dieses Wissen in kon-kreten Situationen praktischhandelnd nutzen

• Gespräch mit Bewegungs-profis (Sportler, Tänzer, Schau-spieler, Artisten, Musiker)

• Aufmerksamkeit für das Wohl-befinden der anderen Kinderund Erwachsenen

• Gestaltung von gesundheits-fördernden Alltagssituationen(Vermeidung von Lärm, Müll)

• gesundheitsfördernde Ritualeim Alltag (z.B. Entspannungs-übungen, Bürstenmassage,Wassertreten, Spaziergängeusw.)

• regelmäßiger Kontakt zu Ein-richtungen der Gesundheits-vorsorge (Kinder- undJugendärztlicher Dienst u.ä.)

• Respektierung des individu-ellen Leistungsvermögensund Abstimmung pädagogi-scher Angebote auf das indi-viduelle Leistungsvermögen

• Strukturierung von Koopera-tions- und Partneraufgabenso, dass geschlechtsrollen-spezifische Typisierungenvermieden werden

• Bewusst machen, dass indi-viduelle Verhaltensweisenauf andere Kinder undErwachsene Auswirkungenhaben, auch wenn man sienicht sofort beobachtenkann (ökologisches Denken)

• eigene Verhaltensweise inübergeordneten Kontextenreflektieren und kritischbewerten (z.B. sparsamerVerbrauch von Wasser undEnergie)

• Besuch, Vorführung vonSportlern, Tänzern, Schau-spielern, Artisten, Musikern

• Erkundung von verschiede-nen öffentlichen Orten, dieder Gesundheitspflege die-nen (Beratungsstellen, Arzt-praxis, Krankenhaus, Physio-und Ergotherapiepraxis, Kur-einrichtung usw.).

• Expertengespräche mit Pro-fessionellen aus dem Bereichder Suchtprävention undErkundung von Möglichkei-ten der Suchtprävention inder nächsten Umgebung

• mittel- und langfristige Pro-jekte zur Verbesserung dergesundheitsbezogenen Spiel-,Lern- und Arbeitsmöglichkei-ten in der Institution (Anpas-sen von Stühlen und Tischen,Untersuchung der Beleuch-tung, Gestaltung von Ruhe-zonen, Einrichtung einesSchülercafés mit gesund-heitsbewusster Pausenver-sorgung usw.)

• mittel- und langfristige Pro-jekte für den nachhaltigenSchutz der Umwelt (Mülltren-nung, Wiederverwendungvon Materialien, Vermeidungvon unnötigem Materialein-satz, Suche nach ökologischenAlternativen)

• Ausstellungen, Material-sammlungen, Diskussions-runden und Expertenbefra-gungen zu den Zusammen-hängen zwischen Bewegung,Gesundheit, Medienkonsumund nachhaltigem ökologi-schem Verhalten

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Präambel

Naturwissenschaften und Technik erweitern eigene Handlungsmöglichkeiten.

Die Naturwissenschaften beinhalten das Wissenüber die belebte und unbelebte Natur. Physikali-sche Fragestellungen richten sich auf die Erfor-schung gesetzmäßiger Vorgänge in der Natur, che-mische Fragestellungen auf die Erforschung vonEigenschaften von Stoffen sowie deren Umwand-lung, biologische Fragestellungen auf die Erfor-schung des Lebendigen. Zur Beantwortung dieserFragen werden experimentelle Methoden undtheoretische Überlegungen eingesetzt. Zum natur-wissenschaftlichen Denken gehört aus dieser Per-spektive auch das Erlebnis der Zeit und das Wis-sen über die Zeit, die ein umfangreiches und mitunterschiedlichen Inhalten geprägtes Thema inallen Phasen der kindlichen Bildung darstellt.

Naturwissenschaftliches Wissen fließt seit jeher indas menschliche Bemühen ein, das Leben samt sei-nen Arbeitsvorgängen durch technische Errungen-schaften zu erleichtern. Naturwissenschaftliche Ge-setzmäßigkeiten finden bei Werkzeugen, Maschi-nen und Apparaten technische Anwendung. Dietechnische Umwelt bestimmt wesentlich die Le-bensqualität und den Lebensalltag der Menschenund ist auf das Engste mit der menschlichen Zivi-lisation und Kultur verbunden. Ganze Zeitalterwurden und werden durch technische Erfindungengeprägt. Technik ist die Entwicklung, Herstellungund sinnvolle Anwendung von Werkzeugen undMaschinen, die von Menschen geschaffen wurden,um menschliche Arbeit zu erleichtern. Technik istsomit auch ein vom Menschen geschaffenes Mit-tel zum Zweck seiner Bedürfnisbefriedigung. MitHilfe von Technik kann der Mensch seine ihmangeborenen Fähigkeiten erweitern. Er kann sichauch mit Fähigkeiten versehen, die ihm nicht

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2.3 Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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angeboren sind. Oft werden die Entwicklung unddie Verwendung von Technik nur unter dem Aspektder Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnis-se thematisiert. Nur was naturwissenschaftlichmöglich und technisch realisierbar ist, kann auchgebaut und sinnvoll eingesetzt werden. Dennoch,Technik allein unter diesem Aspekt zu betrachten,greift zu kurz. Es gilt, ihre Entwicklung und Ver-wendung immer mit den Fragen ökonomischer Lei-stungsfähigkeit, ökologischer Verträglichkeit undsozialer Gerechtigkeit zu verbinden.

Kontexte naturwissenschaftlicher und technischer Bildung

Naturwissenschaftliche Bildungsprozesse könnensich in jeder Alltagssituation, in jeder bewusstenNaturbetrachtung und in jeder Begegnung mit derbelebten und unbelebten Natur entzünden. Annaturwissenschaftlichen und technischen Fragensind Mädchen und Jungen gleichermaßen interes-siert. Viele Warum-Fragen von Kindern beziehensich auf naturwissenschaftliche und technischeThemen (z.B. Wie entsteht ein Regenbogen? Wa-rum schwimmt ein Schiff?). Beim gemeinsamenBeobachten, Probieren und Nachdenken über sol-che Fragen erschließen sich Kindern grundlegendenaturwissenschaftliche Erfahrungen. Naturwissen-schaftliche Bildungsprozesse sind somit abhängigvon der Neugier und Motivation der Kinder. DieseBildungsprozesse sind eingebettet in unterschied-liche soziale Kontexte, in denen die Natur (z.B.das Wetter, das Wachstum der Pflanzen) mit Inter-esse beobachtet wird. Die Erfahrungen und Beob-achtungen der Kinder werden vertieft, wenn Elternoder andere Bezugspersonen die Kinder zumNachdenken anregen und sie in ihren Erklärungs-versuchen unterstützen. Technische Bildungspro-zesse entzünden sich an Einrichtungen im Wohn-bereich (z.B. Kühlschrank, Wasserhahn, Licht-schalter), im Kindergarten, bei Verkehrsmittelnu.a. Die Kinder werden in eine technische Umwelthineingeboren, müssen sich in ihr zurechtfindenund sich mit ihr auseinandersetzen. Sie lernen,die Technik zu bedienen, bestimmte Regeln imUmgang mit Technik einzuhalten und beginnenauch damit, sich die Funktion technischer Gerätezu erschließen. Sie sehen, wie Technik im Haus-halt, in der Hobbywerkstatt, im Garten, auf derBaustelle usw. zum Einsatz kommt, und erleben

die Vor- und Nachteile. Sie spielen mit technischemSpielzeug, erschaffen mit großem kreativem Poten-zial beispielsweise im Rollen- und Konstruktions-spiel eigene Welten und versuchen dabei, einfacheArbeitsgänge nachzuahmen. Später erfahren sie,dass man zum Einsatz von Werkzeugen und Maschi-nen Fachkenntnisse braucht, dass Material undEnergie Geld kosten und deshalb die Herstellungeines Werkstücks gut geplant werden muss.

Naturwissenschaftliche und technische Bildungfinden heute verstärkt im Kontext von Medien-kindheiten statt. Kinder machen viele Erfahrungennicht mehr selbst, sondern erwerben Wissen auszweiter Hand: Statt Naturphänomene zu beobach-ten und einfache technische Konstruktionen aus-zuprobieren, wird ihnen beides am Fernsehgerät,am Computer und in Büchern demonstriert. Eskommt im Bereich der naturwissenschaftlichen undtechnischen Bildung deshalb in besonderem Ma-ße darauf an, dass Kinder nicht nur kognitiv, son-dern auch handlungspraktisch gefordert werden.Zudem wachsen Kinder in gefährdeten Umweltenauf: Die technischen Möglichkeiten des Menschenhaben beispielsweise zum Aussterben von Arten,zum Abholzen der Regenwälder und zur Klimaer-wärmung geführt. Diese Veränderungen wirkensich weltweit aus. Ein wesentliches Element dernaturwissenschaftlichen und technischen Bildungist deshalb das Wissen um ökologische Zusam-menhänge, um die Möglichkeiten des Umwelt-schutzes und um den nachhaltigen Gebrauch vonRessourcen. Naturwissenschaftliche und techni-sche Bildung können deshalb nicht voneinanderabgekoppelt, sondern müssen im Sinne nachhal-tigen ökologischen Denkens und Handelns kon-sequent miteinander verbunden werden.

Basale naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse

Ihre Sinne ermöglichen den Kindern beim Beob-achten, beim Anfassen, Riechen, Hören und Schmek-ken die ersten Zugänge zu Naturphänomenen undtechnischen Errungenschaften. Beim Hantieren mitkonkreten Dingen lernen Kinder die Eigenschaftenvon Objekten, deren Oberflächenbeschaffenheitund Handhabbarkeit kennen, die sie immer wie-der mit allen Sinnen nachprüfen. Erste Erfahrun-gen mit Natur und Technik sind in den Alltag der

Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Kinder eingebettet. So sammeln Kinder z.B. Erfah-rungen mit den verschiedenen Aggregatzuständenvon Wasser (Eis, Nebel) im Verlauf der Jahreszei-ten. Und erste Erfahrungen mit chemischen Phä-nomenen gewinnen sie beispielsweise in der Kü-che beim Kochen und beim Kuchenbacken (Wasser,Dampf). Die Wirkung der Schwerkraft bzw. des Ge-wichts von Gegenständen wird durch die Beob-achtung des Herunterfallens entdeckt. Erste opti-sche Eindrücke gewinnen Kinder durch die be-wusste Beobachtung des Wechsels von Hell undDunkel, von Licht und Schatten. Die Fragen derKinder sind in erster Linie auf »wenn-dann«-Be-ziehungen in der Natur gerichtet. Solche frühenEinsichten in alltäglich zu beobachtende Phäno-mene bilden die Basis für ein ausdifferenziertesNaturverständnis. Über ihre fünf Sinne eröffnensich den Kindern auch die Zugänge zu Materialien,die als Werkstoffe verwendet werden können. Sieunternehmen Versuche, technische Geräte undEinrichtungen zu bedienen. Bevorzugt handelt essich um solche Geräte und Einrichtungen, beidenen die Wirkung der Handlung unmittelbar

erlebbar ist. Dabei benutzen Kinder neben einfa-chen Werkzeugen (Messer, Gabel, Sandspielzeuge,Gartengeräte) die Hand als Werkzeug und üben soihre Feinmotorik sowie die Auge-Hand-Koordina-tion. Sie beobachten den Umgang von Erwachse-nen mit Technik und ahmen die beobachteten Tä-tigkeiten nach. Über technisches Spielzeug schaf-fen sich Kinder erste Zugänge zu technischenZwecksetzungen und Vorgängen. Zugleich erken-nen sie einfache Regeln im sicheren Umgang damit.

Elementare naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse

Den Kindern gelingt es zunehmend, die Natur undihre Prozesse genau zu beobachten und differen-ziert zu beschreiben. Ihre Vorstellungen von Raumund Zeit werden komplexer. Die Beobachtungsga-be und die sprachlichen Möglichkeiten der Kinderwerden durch die wiederholte Durchführung vonkindgerechten Experimenten gestärkt. Sie lernen,ihre subjektiven Theorien über Naturvorgänge mit

Basale naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse

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eigenen Experimenten zu prüfen, und gewinnenweitere Einsichten in naturwissenschaftliche Zu-sammenhänge. Im Austausch mit anderen Kindernund mit Erwachsenen erproben sie, inwieweit ihreVorstellungen zutreffend sind. Die Kinder lernendie Eigenschaften verschiedener Stoffe kennen undkönnen sie z.B. nach der Konsistenz sortieren(feste Körper, Flüssigkeiten, Gase). Sie lernen, Ge-genstände und Entfernungen zu vermessen, undmachen mit Hilfe von Experimenten Erfahrungenmit physikalischen Gesetzmäßigkeiten (welche Ma-terialien schwimmen, welche sinken, wie werdenTöne erzeugt, welche Eigenschaft hat Luft usw.).Durch das Sammeln, Sortieren und Ordnen vonverschiedenen Naturmaterialien lernen sie die Na-tur gründlicher kennen. Naturvorgänge wie dasWachsen von Pflanzen und Tieren erleben siebewusst mit. Sie entwickeln differenzierte Vorstel-lungen zu der Frage, was Lebewesen sind. DieJahreszeiten sind ihnen mit jahreszeittypischenNaturphänomen bekannt, und sie beobachtenund unterscheiden Veränderungen in der Natur.

Die Kinder verwenden selbstverständlich undzunehmend selbstständig technische Produkte,Geräte und Einrichtungen. Sie gebrauchen dabeiauch solche Geräte und Hilfsmittel, deren Wir-kungsweise ihnen zunächst unbekannt ist, bzw.beobachten deren Gebrauch bei Erwachsenen undälteren Kindern. Diese Beobachtungen befördernihre Neugier und ihren Erkundungsgeist. ÜberWie- bzw. Warum-Fragen und über Ausprobierenverschaffen sie sich Zugänge zur Funktion vontechnischen Geräten und Einrichtungen sowie zuVerhaltensregeln im Umgang mit diesen. In die-sem Zusammenhang erschließen sich den Kindernfolgerichtig die mit der Konstruktion, Herstellung

und Verwendung von Technik verbundenen öko-nomischen, ökologischen und sozialen Fragestel-lungen. Die Kinder sind in dieser Entwicklungs-phase auf Anregung, Unterstützung und vielfältigeErprobungsmöglichkeiten angewiesen. Das tech-nische Handeln der Kinder entwickelt sich überdas Ausprobieren und kindgemäße Entdecken inspielähnlicher Form bis hin zum Erkunden undErproben in realen Situationen. Die Kinder inter-essieren sich für historische Technologien undGeräte und probieren selbst einige aus. Die Be-schäftigung mit historischen und modernen tech-nischen Gegenständen und Sachverhalten kannso Freude, Selbstbestätigung und Erfolgserlebnis-se schaffen sowie geistige und körperliche Grund-bedürfnisse des Kindes befriedigen. Kinder wis-sen, dass technisches Wissen notwendig ist, umGeräte reparieren zu können. Erste handwerklicheFähigkeiten und Fertigkeiten bilden sie bei derHerstellung von Fantasiegebilden, aber auch beider Herstellung und bei der Reparatur von Ge-brauchsgegenständen aus.

Primare naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse

Grundlegende Sachkenntnisse über die Beschaf-fenheit der Welt beziehen sich auf das Verhältnisdes Menschen zu Natur und Technik. Die Kinderunterscheiden zwischen der belebten und derunbelebten Natur und präzisieren ihr Wissen überdie Merkmale von Lebewesen. Die Sichtweisen derKinder, ihre Fragen, Zugänge und Deutungskon-zepte sind Voraussetzung für Handlungen und Zie-le naturwissenschaftlicher Lernprozesse. Im Mit-telpunkt stehen nicht von vornherein festgesetzteThemen, sondern die Entwicklung von Fähigkei-ten, um Fragen an Natur und Technik zu stellen,um diesen Fragen selbst nachzugehen und sieeiner Lösung zuzuführen. Auf diese Weise eignensich Kinder gesellschaftlich bereits erarbeitete, kul-turell bedeutsame Interpretationen, Problembear-beitungen und fachliche Zugänge an. Die Kinderhaben vielfältige Gelegenheiten, ihre Erfahrungenund Erklärungen zu äußern, mit anderen zu erör-tern und zu vertiefen. Ihre Erklärungsansätze ent-wickeln sie weiter und stellen sie sprachlich ange-messen dar.

Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Die Kinder setzen sich mit verschiedenen Werk-stoffen und ihren Eigenschaften auseinander. Sieentwickeln die Fähigkeit, unter Einbeziehung vonÜberlegungen zu Zweck, Funktionsweise, Strukturund Form Gegenstände herzustellen. Dabei be-rücksichtigen sie ökonomische und ökologischeAspekte. Sie wählen geeignete Werkstoffe ausund planen den Arbeitsprozess, die Arbeitsverfah-ren sowie die notwendigen Werkzeuge und Hilfs-mittel. Sie erwerben das sachgerechte Handhabenvon Werkzeugen und stellen die Gegenstände inkooperativer Arbeitsweise her. Beim Bau techni-scher Modelle und bei der Reparatur von Gegen-ständen findet oft ein elementarer Nacherfindungs-prozess statt, der den Charakter entdeckendenLernens trägt. Kinder experimentieren und findenheraus, dass technische Funktionen über verschie-dene Strukturen realisiert werden können, dass esaber in Bezug auf vorher gesetzte Bedingungen

mehr oder weniger optimale Lösungen gibt. In derAuseinandersetzung mit Funktionszusammenhän-gen und Bewegungsabläufen lernen sie anschau-lich das Wirken elementarer naturwissenschaftli-cher Gesetzmäßigkeiten und die technischen Prin-zipien kennen. Besonders fasziniert sind Kindervon Geräten, Maschinen und Einrichtungen, die aufmechanischer und elektromechanischer Grundlagefunktionieren. Hier lassen sich an den Modellendie genutzten naturwissenschaftlichen Gesetzmä-ßigkeiten und technischen Prinzipien sehr gut er-kunden (Hebelgesetz, Übertragung von Kraft undBewegung durch Wellen und Zahnräder, magneti-sche Wirkung des elektrischen Stroms usw.). Aberauch der Computer übt einen großen Reiz auf dieKinder aus. Kinder entwickeln bemerkenswerteStrategien zum Erkennen und Lösen technischerAlltagsprobleme.

Primare naturwissenschaftliche und technische Bildungsprozesse

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Basale BildungNaturwissen-schaftliche undtechnische Bildung

Kinder bringen ihrer Umweltviel Aufmerksamkeit entgegen;schon früh beginnen sie, sichin Raum und Zeit zu orientie-ren. Mit Neugier wenden siesich der belebten und unbe-lebten Natur zu. Mit allen Sin-nen erkunden sie die Phäno-mene, die in ihrer Umgebungzu beobachten und zu erfor-schen sind, und reagierenspontan und kreativ auf Ereig-nisse in ihrem näheren Um-feld. Ihre ersten relevantenErfahrungen erleben sie imUmgang mit der eigenen Per-son, bezüglich der Hygiene,der Ernährung und der Ge-wohnheiten ihres Alltags.

Weiterhin finden die »Grund-elemente« Erde, Wasser, Luftund Feuer ihre Aufmerksam-keit. Je nach Jahreszeit zeigenErde und Wasser verschiedeneEigenschaften, die beobachtet,erfahren und teilweise auchverändert werden. So gewin-nen die Kinder erste Einsich-ten in die Natur mit ihrenPhänomenen und beginnen,sich ein Bild von ihr zumachen.

Durch die Beobachtung vonzeitlich wiederkehrenden Er-eignissen (im Tages- und Jah-reslauf) und durch die bewuss-te Gestaltung von markantenPunkten im Zeitverlauf (Jahres-zeitenwechsel, Geburtstageusw.) differenzieren Kinderihre Vorstellungen über dieZeit aus.

Durch das Hantieren mit einfa-chen technischen Vorrichtungen(Lichtschalter, Türklinke usw.)werden Kinder auf Technikaufmerksam.

Kinder sammeln u.a. durchtägliche Handlungsabläufesowie über das Kommentierenund Erklären ihrer Handlungendurch Erwachsene und ältereKinder erste begriffliche Vor-stellungen der belebten undunbelebten Natur in ihrerunmittelbaren Umgebung.

Gemeinsam mit anderen Kin-dern beobachten sie die Ver-richtungen der Erwachsenenim Alltag, die Zubereitung vonNahrung, die Pflege vonPflanzen im Haus und im Gar-ten sowie die Pflege von Tie-ren. Erwachsene unterstützendie Kinder in ihren Erfahrungenmit Erde, Wasser und Luftwährend der wechselnden Jahreszeiten, indem sie Beob-achtungen und Erkenntnissekommunizieren. Erkundungenwerden zusammen unternom-men, um Hilfestellungen zugeben und zum ersten Sam-meln anzuregen. BesonderesInteresse finden in diesemAlter Tiere, die in ihren äuße-ren Erscheinungen, in ihrenBewegungsmöglichkeiten undin ihrem Ausdruck bei Kindernein großes Interesse hervor-rufen.

In Spielsituationen versehenKinder Gegenstände mit ande-ren Bedeutungen und Funktio-nen und gestalten Situationen,in denen Technik gebrauchtwird, schöpferisch nach.Gemeinsam mit anderen Kin-dern und Erwachsenen probie-ren sie technische Spielzeugeund Materialien aus, die zumKonstruieren geeignet sind.

Das Kind bewegt sich in unter-schiedlichen Räumen, die sei-nem Erkundungsinteressereichlich Spielraum bieten. Es kann sich zusammen mitanderen Kindern ungefährdetbewegen. In Räumen werdenbewegliche Objekte je nachihrer Beschaffenheit gescho-ben, gerollt, gehoben, gekippt.Das Kind untersucht unter-schiedliche Materialien, ver-gleicht, ordnet und verändertsie auf verschiedene Eigen-schaften hin. Räume werdenals hell oder dunkel erfahren,und die Kinder spielen mitunterschiedlichen Lichtverhält-nissen (z.B. beim »Höhlen-bau«).

Auf Spielplätzen, in Parks, imWald usw. werden neue Ein-drücke gewonnen und Natur-materialien gesammelt. Natur-materialien bieten sich auchzum Spielen an. Das Sammelnvon Dingen der belebten undunbelebten Natur fördert dasWahrnehmungsvermögen undist Anlass und Ausdruck eige-nen Nachdenkens. Im Laufeder Jahreszeiten und bei un-terschiedlichem Wetter werdenverschiedene Phänomene wiez.B. Sonnenschein, Regen,Nebel, Schnee und Frost zumLernanlass.

Zum Erkunden und zum Aus-probieren stehen neben einfa-chen Haushaltsgeräten undWerkzeugen auch technischeSpielzeuge und unterschiedli-che Materialien (Ton, Papier,Holz, Kunststoff) zur Verfügung.

Tabelle Basale naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Tabelle Basale naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Das Spektrum der Wahrneh-mungen ist durch die fünfSinne geprägt, mit denen sichdie Kinder ein immer genaue-res Bild von der belebten undunbelebten Natur machen. Siebeobachten Ereignisse und Ob-jekte in ihrer Umwelt, die siehinsichtlich ihrer verschiedenenEigenschaften in ihrer kindli-chen Sichtweise wahrnehmen.Besonderes Interesse entwik-keln Kinder an Lebewesen inihrer nächsten Umgebung.

Aufeinander folgende Ereignis-se und Handlungen deuten sieals voneinander abhängig undmachen damit frühe Erfahrun-gen mit physikalischen Gesetz-mäßigkeiten. Kinder bewährensich beim Erkunden und Aus-probieren von Werkzeugenund Geräten erfolgreich. Da-durch werden sie ermutigt,sich auch komplexeren undschwieriger zu handhabendenGegenständen und Wirkungs-zusammenhängen zuzuwenden.

Kinder nehmen Dinge, Erschei-nungen und Tätigkeiten ihresGegenübers differenziert wahr,tauschen sich darüber aus undversuchen, Erklärungen zu fin-den. Im Austausch mit anderenerwerben sie sukzessive pas-sende Begrifflichkeiten. Phä-nomene der Natur werden nachihren Erscheinungsformen er-forscht. Kinder interessierensich besonders für Tiere: fürihre Größe und ihre Bewegun-gen, für die Geräusche, diesie erzeugen, und für ihreNahrung. In gemeinsamenSpiel- und Erkundungssitua-tionen werden Gegenständenach ihren physikalischenEigenschaften untersucht. Kinder entwickeln erste Vor-stellungen zum Gebrauch undzur Funktion von technischenGeräten und Werkzeugen,indem sie ältere Kinder undErwachsene im Umgang mitTechnik beobachten und vonihnen zum Mittun angeregtwerden.

Erste Erfahrungen mit demZeitbegriff (Zeitspanne, Zeit-punkt) machen die Kinderdurch die von anderen Kin-dern und Eltern vorgelebtenstrukturierten Tagesabläufe.Vergangenheit und Zukunftwerden eher als diffuse Zeit-räume erlebt. Mit zuverlässi-gen Raum- und Zeitordnungenerfahren Kinder ihre Umweltals ein sicheres Terrain, indem sie sich zurechtfindenund Erkundungen durchführenkönnen.

Mit Natur und Technik kom-men die Kinder überall inKontakt: zu Hause, in Institu-tionen der kindlichen Bildungund in öffentlichen Räumen.Ihr Interesse an Natur undTechnik wird unterstützt, wennverschiedene interessante Orteaufgesucht und erkundet wer-den, z.B. der Tierpark, eineBaustelle, eine Autowerkstatt– und wenn kompetenteErwachsene an diesen Ortenals Gesprächspartner zur Ver-fügung stehen.

In welchenpädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Unter technischem bzw.naturwissenschaftlichemAspekt werden alle (Spiel-)Materialien, Alltagsgegen-stände und Objekte derUmwelt sowie alle Ereignissein der Natur Anlass zurgenauen Erkundung undBetrachtung, zu ersten Aktio-nen der Handhabung.

• Alle Alltagssituationen (z.B.Einkaufen von Lebensmitteln,Wäsche waschen, Gemüseputzen, Reparaturen ausfüh-ren) bieten den Kindern dieMöglichkeit, naturwissen-schaftliche und technischeSachverhalte zu erkunden.

• Gemeinsam mit anderen Kin-dern und mit Erwachsenenwird die »Eroberung« derLebenswelt unternommen.

• Die Entdeckungen der Kinderwerden durch Erwachseneverständnisvoll kommentiertund möglicherweise durchpassende Erklärungen er-gänzt.

• Durch bewusste Zuwendungzum Kind gelingen gemein-same Aktionen mit anderenKindern und mit Erwachse-nen drinnen und draußen;sie ermöglichen den Kindernin einem ausgewählten Rah-men, belebte und unbelebteNaturvorgänge sowie dieHandhabung technischerGeräte zu beobachten undzu erforschen.

• Schon in den ersten Lebens-jahren eröffnen sich unter-schiedliche Lebensräume, jenachdem, ob das Kind aufdem Land, an der See, imGebirge, in einem Dorf oderin der Großstadt aufwächst.

• Das Angebot an unterschied-lichen Materialien aus derbelebten und unbelebtenNatur ist vielfältig und er-möglicht in der gemeinsamenAuseinandersetzung genauesBeobachten.

• Beim Vorlesen aus Bilder-büchern sowie beim gemein-samen Betrachten von Ab-bildungen ergeben sich Ge-legenheiten zum Austauschund zu Erklärungsversuchen.

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• mit den Anfängen kindlicherWahrnehmung entwickelnsich auch erste Vorstellungenvon Raum und Zeit

• Raumerfahrungen entstehenzunächst innerhalb der Woh-nung, die dann erweitertwerden durch das Kennenler-nen anderer Räume drinnenund draußen

• nach den ersten Erfahrungenmit und in der Natur werdendie Naturereignisse mit be-sonderem Erstaunen kom-mentiert, die nicht den Er-wartungen der Kinder ent-sprechen

• durch Krabbeln und Laufenwerden erste Erfahrungen mitebenen und schiefen Flächengemacht; Kinder nutzen un-terschiedliche Flächen zumLegen, Bauen, Kippen, Schieben

• das Bauen und Konstruierenvon Bauten mit Klötzen er-möglicht erste Erfahrungenmit Stabilität

• die Eigenschaften von unter-schiedlichen Gegenständenwerden mit allen Sinnen er-kundet

• im Spiel mit Bällen und an-derem Spielzeug werden Vor-stellungen vom Ablauf ver-schiedener Bewegungsartengewonnen und durch Aus-probieren wird die Beweg-lichkeit als Voraussetzungder Ortsveränderung entdeckt

• durch Beobachten, Anfassenund Verformen erwerben Kin-der Kenntnisse im Umgangmit festen bzw. weichenMaterialien

• Materialeigenschaften wer-den handlungspraktisch er-kundet, z.B. beim Formenvon Knete, beim Reißen vonPapier, beim Zusammen-knüllen von Folien usw.

• gemeinsam mit älteren Kin-dern und Erwachsenen wer-den Lernorte außerhalb derWohnung bzw. außerhalb derInstitution kindlicher Bildungaufgesucht

• zum Kennenlernen von Naturund Technik ist das Lernenin Projekten, in Experimentenund bei eigenständigenBeobachtungen besondersgeeignet

• Erwachsene sind dafür ver-antwortlich, dass sich Kinderin diesen Situationen nichtgefährden, stehen als hilfrei-che Begleiter zur Verfügungund lassen ausreichend Raumund Zeit für Erkundung undErprobung von Naturmateria-lien, technischen Gerätenund Werkzeugen

• gemeinsame Erkundungender Elemente Erde, Wasser,Feuer und Luft finden dasbesondere Interesse der Kinder

• im Umgang mit natürlichenGegebenheiten (Flüsse, Bäche,Böschungen, Wiesen) unter-stützen die ErwachsenenKinder mit ihren eigenenErfahrungen

• Erlebnisse werden durch ver-bale Erklärungen abgerundet

• Erfahrungen mit Haus- undWildtieren werden gewonnen

• ältere Kinder und Erwachseneermuntern Kinder dazu, sichan häuslichen Betätigungenaktiv zu beteiligen und selbstkleinere Arbeiten erfolgreichzu bewältigen

• im Haushalt und in den In-stitutionen kindlicher Bildungerwerben Kinder wichtigeRegeln im Umgang mit Tech-nik (Bügeleisen und Herd-platten nicht berühren, frem-de Geräte nicht in Gang set-zen oder benutzen, Steckdo-sen meiden)

• entsprechend seinem Wahr-nehmungsvermögen eröffnensich dem Kind Möglichkeiten,die belebte und auch dieunbelebte Natur kennenzu-lernen

• Raumerfahrungen werden imAußenbereich erweitert (z.B.Spielplatz, Supermarkt, Kin-dergarten)

• Erfahrungen mit der belebtenNatur sind innerhalb einesGartens, eines Parks, im Zoooder im Wald möglich

• Kinder beobachten Vorgängez.B. am Wasser: an Bach,Fluss, See und Meer

• Kinder beobachten Wetterer-eignisse (z.B. Sonne, Regen,Schnee, Luftbewegungen wieWind, Sturm) und gehen denPhänomen der vier Jahreszei-ten nach (z.B. Kühle, Kälte,Wärme, Hitze, Feuchtigkeit)

• jahreszeitlich bedingte Verän-derungen lassen sich ambesten im kindlichen Nahraumund im Kontext der kindlichenErfahrungen beobachten(z.B. jahreszeitliche Verände-rungen des Wetters und ihrZusammenhang mit der Klei-dung)

• geeignete Materialien ermög-lichen unterschiedliche Ver-wendungszusammenhänge;zur Verfügung stehen sowohlNaturmaterialien (Ton, Sand,Kies, Wasser, Holz, Laub usw.)als auch künstliche Materia-lien (Verpackungen, Kunst-stoffe, Bastelmaterial usw.)

• verschiedene (Spiel-) Mate-rialien, die sowohl in ihrerOberflächenbeschaffenheitals auch in ihrer Form zumgenauen Wahrnehmen Anlassgeben, regen die Kinder da-zu an, ihr nahes Umfeld nachMustern (Bewegungsmuster,Zustände) zu erkunden

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Tabelle Basale naturwissenschaftliche und technische Bildung

85

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Erfahrungen mit Erde/Sandgewinnen Kinder beim Um-gang mit Sand im Sandka-sten; beim Formen undBauen erkunden Kinder ver-schiedene Wasser-Sand-Gemische und sammelnErfahrungen beim Trennenund Mischen unterschiedli-cher Materialien

• Erfahrung mit Luft gewinnenKinder beim Aufblasen vonLuftballons, beim Flötespie-len, beim Ausblasen von Kerzen sowie beim »Durch-zug« von Wind durch Räumemit geöffneten Türen undFenstern

• Erfahrungen mit Wasser ge-winnen Kinder durch Plan-schen, durch das Füllen undLeeren von Gefäßen, durchUmschüttübungen, durch dasAusprobieren von schwim-menden und sinkendenGegenständen

• Erfahrungen mit Feuer ge-winnen Kinder durch dasAnzünden von Kerzen, Laub-und Holzfeuern, beim Grillen

• durch das Ein- und Ausschal-ten von Licht wird der Hell-Dunkel-Gegensatz wahrge-nommen

• durch den Umgang mit unddie Pflege von Pflanzen undTieren differenzieren Kinderihre Vorstellungen über Lebe-wesen aus

• Kinder benutzen die eigeneHand als Werkzeug zumGreifen, Festhalten, Drücken,Drehen usw.; sie bedieneneinfache technische Vorrich-tungen (Lichtschalter, Toilet-tenspülung, Halteknopf inBus und Straßenbahn u.ä.)

• Löffel, Gabel und Messerwerden als »Werkzeuge« beiMahlzeiten benutzt

• ältere Kinder und Erwachse-ne sind Vorbilder, an derenBeispiel der zweckgerichteteUmgang mit natürlichen Res-sourcen sowie technischenGeräten und Materialienbeobachtet und erlernt wird(z.B. Licht nicht unnötigbrennen, Wasser nicht un-nötig laufen lassen)

• durch das Beobachten ältererKinder und Erwachsener so-wie durch eigenes Ausprobie-ren gewinnen Kinder ersteEinsichten in Ursache-Wir-kungs-Zusammenhänge; siehaben Gelegenheit, Handlun-gen immer wieder auszufüh-ren bzw. wiederholt zu beob-achten, um diese Zusammen-hänge zu entdecken und zuverstehen (z.B. wenn derSchalter gedrückt wird, danngeht das Licht an; wenn Toi-lettenspülung gedrückt wird,dann fließt Wasser; wennder Taster gedrückt wird,dann öffnet sich die Straßen-bahntür)

• Erwachsene machen Kinderauf interessante technischeEinrichtungen aufmerksam(Seilbahn, Kran, Fahrstuhl,Rolltreppe, Eisenbahn, Flug-zeuge, verschiedene Trans-port- und Baufahrzeugeusw.)

• in diesen Kontexten erwer-ben Kinder frühe Einsichtenin ökologisches Denken undHandeln

• in der belebten und unbe-lebten Natur dienen ver-schiedene Materialien (z.B.Äste, Zweige, Blätter, Früch-te, Steine, Sand) zur Explo-ration ihrer Eigenschaften

• alle Naturerscheinungen, alleDinge des näheren Umfeldes,alle Geräte, die im Haushaltzu beobachten sind, stellenLernangebote für die Kinderdar

• Haushaltsgegenstände undGeräte, deren Erkundung fürKinder ungefährlich sind,stehen den Kindern zur frei-en Verfügung: sie können sieauseinandernehmen, spiele-risch in neue Kontexte inte-grieren und verfremden

• Materialien, die sich beliebigkombinieren lassen und denUmgang mit unterschiedlichenMaterialien zulassen, stehenzur Verfügung (Behälter,Rohre, Trichter, Messbecher,Schachteln, Dosen usw.)

• Spielzeuge, die das technischeVerständnis unterstützen,werden ergänzend angebo-ten (Steckbausteine, Holz-bausteine, Funktionsspiel-zeuge, Fahrzeuge usw.)

• Sachbücher regen dazu an,sich vorlesen zu lassen

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

86

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare BildungNaturwissen-schaftliche undtechnische Bildung

Kinder entwickeln ein ausge-prägtes Interesse für ihr nähe-res Umfeld. Insbesonderedurch Warum-Fragen äußernsie Interesse an physikalischen,chemischen und biologischenSachverhalten. Die Orientierungder Kinder im Raum und inder Zeit differenziert sich aus.Sie nehmen durch Beobachten,Beschreiben, Vergleichen undBewerten die belebte undunbelebte Umwelt intensivwahr. Sie haben Freude amErforschen und Experimentie-ren in der belebten und unbe-lebten Natur. Sie interessierensich für die »Elemente« Erde,Wasser, Feuer und Luft sowiefür verschiedene Möglichkei-ten der Energiegewinnung undder Energienutzung.

Das technische Interesse derKinder wird unter anderembeim Bau von Fantasieweltensowie bei der Reparatur vonGebrauchsgegenständen deut-lich. Sie erkunden handelndmechanische Zusammenhängeund physikalische Gesetzmä-ßigkeiten.

Erwachsene ermuntern undhelfen dem Kind bei seinenBeobachtungen, Erkundungenund Experimenten. Sie regenes an, genau zu beobachten,Fragen zu stellen und seinenErkundungen auch konsequentnachzugehen. Andere Kindermit ähnlichem Interesse gebenImpulse, Erkundungen zu vari-ieren. Durch gemeinsames Er-forschen und Diskutieren wirddie sprachliche Ausdrucksfähig-keit gestärkt.

Bei Experimenten und beiKonstruktionsversuchen tau-schen sich Kinder darüber aus,welche Lösungswege möglichsind. Sie kooperieren bei derBewältigung von Problemenund entwickeln gemeinsamKreativität. Erwachsene undältere Kinder begleiten Kinderbei der Entdeckung von natur-wissenschaftlichen und techni-schen Eigenthemen; sie bietenUnterstützung beim Sammelnvon Materialien und Informa-tionen.

Im Tages- und Jahreslauf ent-wickeln Kinder komplexereRaum- und Zeitvorstellungen.Bei der Erkundung von Naturund Technik werden Kindernentwicklungsgemäße undsachgerechte Angebote zumEntdecken und Ausprobierenunterbreitet.

Neben Naturmaterialien sinddies auch technische Geräteund Werkzeuge, z.B. Schau-feln, Roller und Räder. Ver-schiedene Naturräume (Gär-ten, Parks, Wälder) werdenerkundet.

Die Kinder lernen verschiede-ne Berufsfelder kennen, indenen naturwissenschaftlichesbzw. technisches Wissen erfor-derlich ist. Begriffe und Kate-gorien, die die Kinder erwer-ben, beziehen sich auf dieBeschaffenheit von Dingen,auf Ähnlichkeiten und Unter-schiede, z.B. bei Pflanzen undTieren. Dabei nehmen Kindererste Klassifizierungen vor.Sachbücher zu Naturerschei-nungen bieten weiterführendeInformationen.

Tabelle Elementare naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Tabelle Elementare naturwissenschaftliche und technische Bildung

87

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Kinder kennen sich in ihrervertrauten Lebenswelt aus.Sie verstehen alltägliche Zeit-angaben und orientieren sichim Raum. Tägliche Lernortesind ihnen vertraut, und siefinden sich in ihnen zurecht.Mit den erweiterten Fähigkeitenzum Verständnis naturwissen-schaftlicher und technischerVorgänge dehnt sich der Akti-onsradius der Kinder aus. DieKinder interessieren sich fürchemische, physikalische undbiologische Phänomene, z.B.beim Kochen und Backen, beider Wetterbeobachtung oderbeim Transport von Gütern.

Sie erwarten, dass ihre Warum-Fragen fundiert beantwortetwerden. Kinder erkennen Pro-bleme und versuchen sie zulösen. In diesem Zusammen-hang entwickeln sie Möglich-keiten, einfache Gebrauchsge-genstände selbst herzustellenund zu reparieren. Sie erwei-tern ihre Kenntnisse undFähigkeiten zur Handhabungeinfacher Werkzeuge. Zugleicherweitern sie ihre Kenntnisseund Fähigkeiten zu Technikendes Bauens und Konstruierens.

In der Erkundung des Umfel-des haben Kinder andere Kin-der und Erwachsene als ver-ständige Begleiter, die ihreFragen aufgreifen. Mit anderenKindern bilden sie thematischeArbeitsgruppen, die für be-stimmte Themen und Frage-stellungen besonders aufge-schlossen sind (z.B. Umgangmit Tieren, Arbeit im Garten,Erkundungen im Park).

Bei Experimenten und bei derHandhabung von Experimen-tiergegenständen und Werk-zeugen ziehen sie auch Exper-ten hinzu (z.B. Hausmeister,Installateur, Maler). Sie koope-rieren mit anderen Kindernbei gemeinsamen Erkundun-gen und Experimenten. Sieentwickeln Verantwortungs-bewusstsein im Umgang mitTieren, sie füttern diese undspielen mit ihnen. Zugleichhaben sie Geduld bei derPflege von Pflanzen. Bei alldiesen Aktivitäten sind Kinderin Einzel-, Partner- oder Grup-penarbeit tätig. Erwachsenegewährleisten hierbei kreativenFreiraum und Selbstständig-keit.

In den entsprechenden Um-weltbereichen beziehen sichdie Experimente auf Erde,Wasser, Feuer und Luft, sowieauf die Phänomene Magnetis-mus und Elektrizität. Täglichmachen die Kinder Wetter-erfahrungen.

Alltägliche und didaktischstrukturierte Experimentier-und Untersuchungsmaterialienbieten dem Kind sinnvolleErgänzungen seiner Beobach-tungen und lenken seine Auf-merksamkeit auf naturwissen-schaftliche Zusammenhänge.

Baukästen, technisches Spiel-zeug, kindgerechte Werkzeugeund kindgerechte technischeGeräte aus Werkstatt undHaushalt sind die Grundlagefür die technische Bildung.Zugleich stehen den Kindernvielseitige Materialien zumBauen und zum Experimentie-ren zur freien Verfügung.Naturmaterialien und künstli-che Materialien werden für dieBearbeitung naturwissenschaft-licher und technischer Frage-stellungen und Probleme ein-gesetzt.

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchenpädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• alle Alltagsphänomene bie-ten gute Beobachtungsmög-lichkeiten, z.B. beim Pflegender Pflanzen, Füttern einesHaustieres, beim Spielen mitSand, Wasser und Steinen,beim Drachen steigen lassenund Luftballons aufblasen

• viele Stoffe des Haushaltsermöglichen Beobachtungen,die zum Experimenten anregen

• beim Backen und Kochenvertiefen sich physikalische,chemische und biologischeErkenntnisse

• ergänzende Experimentier-kästen runden die Erkun-dungsmöglichkeiten ab

• Projekte zu einzelnen The-men vertiefen naturwissen-schaftliches und technischesInteresse und ermöglichendie Bearbeitung entspre-chender Fragestellungen

• Kinder spielen miteinander,verfolgen bei Problemen ihreFragestellungen und probie-ren Lösungen aus

• bei unterschiedlichen Aus-gängen von Experimentenvergleichen sie ihre Ergebnisse

• gemeinsam besprechen sieMerkmale von Objekten, ord-nen sie gegebenenfalls einund tauschen ihre Erkennt-nisse aus

• Erwachsenen gegenübermachen sich Kinder in denpassenden Begriffen ver-ständlich, oder sie erfragennoch unbekannte Begriffe

• auch gemeinnützige Einrich-tungen wie Feuerwehr undPolizei binden die kindlicheAufmerksamkeit, sie werdenaufgesucht und erkundet

• Kinder wählen sich Konstruk-tions- und Bauvorhabensowie Spielpartner selbstaus

• Kinder sammeln und ordnenObjekte ihrer Aufmerksamkeit

• sie haben Interesse daran,andere Lebenswelten zuerkunden und in ihnennaturwissenschaftliche undtechnische Phänomene zuentdecken: Zoo, Kino, Be-triebe, Hafen, Speditionen,unterschiedliche Handwerks-betriebe

• Kinder nutzen Raum undZeit sowie Bau- und Kon-struktionsmaterialien, umvertiefende Einsichten in ver-schiedene Techniken desBauens und Konstruierenssowie des Werkzeugeinsat-zes zu gewinnen

• Kinder beziehen Experten(Handwerker, Techniker usw.)in die Bearbeitung von Eigen-themen und Projekten inner-halb und außerhalb der Insti-tution kindlicher Bildung ein

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Tabelle Elementare naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Erfahrungen mit RäumenKinder nutzen Hilfen zur Orientierung im Raum wieKarten, Atlanten, Globen und Wegbeschreibungen

• Erfahrungen mit der Zeit:kurze Zeiträume werden mitStopp- und Küchenuhr ge-messen; Orte, an denenUhren sind, erkundet (z.B.Bahnhof); Pinnwände fürTages- und Wochenplänegestaltet

• Erfahrungen mit Phänome-nen des Wetters und derJahreszeiten werden gemacht(Wind, Sturm, Hitze, Kälte,Wolken; Sonnenstand, langeund kurze Tage usw.) und ineinem Wetterkalender aufge-zeichnet

• Erfahrungen mit Wasser:Ausprobieren von schwim-menden und sinkendenMaterialien, Beobachtungvon größer werdenden Krei-sen und Wellen an der Ober-fläche, Beobachtung vonGefrieren, Auftauen und Ver-dunsten; Erkundung von Kri-stallbildungen

• Erfahrungen mit Feuer undWärme werden z.B. beimKochen und Backen, beimVerbrennen im offenen Feuer(Kamin, Herbstlaub) gesam-melt

• Erfahrungen mit Licht wer-den durch Schattenspiele,Schattentheater, durch Lupe,Mikroskop und LaternaMagica, durch die Erkundungvon Spiegelungen und beimMalen durch das Mischenvon Farben möglich

• Erfahrungen mit Luft sam-meln Kinder z.B. beim Dra-chensteigen, bei der Erkun-dung von Mühlen und Wind-rädern, und indem sie Pflan-zensamen auf Flugtauglich-keit untersuchen

• Erwachsene und Kinder er-forschen gemeinsam Zusam-menhänge, z.B. Warum machtder Rasenmäher Lärm?Warum braucht das AutoBenzin? Warum wachsen Kin-der noch? Warum muss manPflanzen gießen und Tierefüttern?

• Erwachsene beobachten sen-sibel, welche Alltagssituatio-nen sich zur Entdeckung vonNatur und Technik anbieten,und unterstützen das Inter-esse des Kindes

• naturwissenschaftliche undtechnische Themen werdenhandlungspraktisch und durchBeobachtung erschlossen

• Kinder und Erwachsene ver-halten sich bei Erkundungenund Experimenten rücksichts-voll und vermeiden Unfälleund Verletzungen

• Kinder lernen im Umgangmit Elektrizität, Feuer, Was-ser usw. mögliche Gefahrenkennen (z.B. Kurzschluss,Brand, Überschwemmungund Hochwasser) und

• sie erfahren, wie man dieseSituationen meiden und wiesie selbst bei der Vorbeugunghelfen können

• Kinder entdecken naturwis-senschaftliche und techni-sche Zusammenhänge in derUmwelt wieder (Flaschenzug,Gabelstapler, Kran, Nutzungder schiefen Ebene usw.)

• Kinder wissen, welche Gerä-te sie besonders gern undgeschickt benutzen, welcheTätigkeiten sie gern undgekonnt ausführen; diesesWissen nutzen sie, um sichin kooperativen Lern- undArbeitsvorhaben gegenseitigzu unterstützen

• alle nahen und fernen Lern-orte, Spiel- und Zeichenma-terial, Experimentierkästenund Untersuchungsmateria-lien zu allen Phänomenen,die in der Natur zu beobach-ten sind, stellen Gelegenhei-ten zur Gewinnung naturwis-senschaftlicher Erkenntnissedar

• bei der Erkundung ihrerUmwelt finden die Kinderheraus, wie Technik ihren All-tag erleichtert, indem Dingemöglich werden, die demMenschen von seiner biolo-gischen Ausstattung hernicht gegeben sind (z.B. flie-gen, schwere Lasten heben )

• Sach- und Bilderbücher,Dokumente, Materialsamm-lungen zu naturwissenschaft-lichen und technischen The-men ergänzen die Erfahrun-gen der Kinder, regen neueEigenthemen an und bietenkindgemäße Erklärungen

• Kinder lernen in Handwerks-betrieben und Produktions-stätten den Unterschied zwi-schen Produkten kennen, diein Handarbeit bzw. inMaschinenarbeit entstandensind; sie erfahren, dass vomÜbergang von Hand- zuMaschinenarbeit viele natur-wissenschaftliche und techni-sche Wissensbestände erfor-derlich sind

• Kinder nutzen Lernorteaußerhalb der Institutionenkindlicher Bildung wieMuseen, um historischeTechniken und Geräte ken-nenzulernen (Windräder,Dampflokomotiven, histori-sche Landwirtschafts- undHaushaltsgeräte usw.)

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Erfahrungen mit demGewicht (der Masse) gewin-nen die Kinder, indem sieGegenstände, sich selbstund andere Kinder wiegenund mit dem freien Fallexperimentieren

• Erfahrungen mit Elektrizitätgewinnen die Kinder z.B.,indem sie batteriebetriebeneMotoren und Lampen inBaukastensystemen auspro-bieren

• Erfahrungen mit Magnetis-mus machen Kinder, indemsie Magnete ausprobierenund Materialien in magneti-sche und nicht magnetischeeinteilen

• Erfahrungen mit Energie ste-hen den Kindern z.B. offen,indem sie Wasser, Wärmeund Strom als Energieformenerkunden

• Erfahrungen mit Technikgewinnen Kinder, indem siemechanische Technologienselbst ausprobieren (z.B. Fla-schenzug, Wellen und Zahn-räder, Hebel) und historischeTechniken und Geräte repro-duzieren (Papierschöpfen,Getreide per Hand mahlen,Mahlzeit über offenem Feuerzubereiten, Zeit mit Sand-und Sonnenuhren messenusw.)

• Erwachsene verdeutlichenKindern die Vorzüge moder-ner Technik, verweisen aberauch darauf, welche negati-ven Technikfolgen vermiedenwerden müssen (z.B.Umweltverschmutzung undRessourcenverschwendung)

• Kinder üben sich in alltägli-che Verhaltensweisen ein,die die Umwelt schützen(Energie sparen, Müll tren-nen, kürzere Strecken mitdem Fahrrad statt mit demAuto fahren, in der nächstenUmgebung Lebensräume vonPflanzen und Tieren schützenusw.)

• Kinder befragen Großelterndanach, wie bestimmte All-tagsverrichtungen in derenKindheit bewältigt wurden(Wäsche waschen, Nachrich-ten übermitteln, Lebensmit-tel konservieren usw.)

• Kinder planen und realisierenProjekte, in denen die Her-stellung eines Gebrauchsge-genstandes im Mittelpunktsteht (z.B. Figuren aus Ka-stanien, Vogelhäuschen)

• Kinder kochen und backenselbst, sie stellen unter-schiedliche Gerichte her undexperimentieren dabei(Fruchtjoghurt, Pudding,Plätzchen usw.)

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Tabelle Primare naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungNaturwissenschaft-liche und techni-sche Bildung

Kinder erkennen naturwissen-schaftliche und technischeAspekte ihrer Lebenswirklich-keit und beschreiben sie. Kin-der lernen, Fragen zu stellen,naturwissenschaftliche undtechnische Probleme zu er-kunden, sich auf diese Weiseaktiv-forschend mit ihrer Le-benswirklichkeit auseinander-zusetzen und Sachverhalteangemessen sprachlich darzu-stellen. Die Vorstellungen vonRaum und Zeit werden auchbiographisch geprägt (z.B.durch das Älterwerden, durchWohnortwechsel).

Neben naturwissenschaftlichenund technischen Wissensbe-ständen haben die Kinderauch Vorstellungen von histo-rischen Erklärungen und Tech-nologien. Beispielsweise habensie Wissen über die geschicht-liche Entwicklung der unter-schiedlichen Medien seit derErfindung des Buchdrucks bisheute. Zur geschichtlichen Per-spektive und zum Verständnisheutiger Lebensumstände ge-hören auch Kenntnisse frühererLebensweisen.

Naturwissenschaftliche undtechnische Bildung vollziehtsich in Alltags- und Spielsitua-tionen sowie in schulischenund außerschulischen Lernor-ten. Kinder greifen auf unter-schiedliche Ansprechpartner(Experten und Laien) zurück.In Alltagssituationen, in Lern-situationen innerhalb undaußerhalb der Institutionenkindlicher Bildung haben Kin-der Gelegenheit, selbst Experi-mente zu planen, durchzufüh-ren und ihre Ergebnisse zuveröffentlichen.

Dabei werden in der Kommu-nikation mit den Gesprächs-partnern passende Begriffeverwendet bzw. eingeführt,die Ergebnisse der Experimen-te diskutiert und ihre Bedeu-tung für weitere Erkundungenbesprochen.

In Verbindung mit naturwis-senschaftlichen Erkundungenentwickeln Kinder allein undgemeinsam mit anderen Kin-dern sowie mit ErwachsenenTechniken des Beobachtens,Vergleichens, Planens, Unter-suchens, Probierens, Suchensund Experimentierens weiter.

Allein und mit anderen diffe-renzieren Kinder ihre Fähigkei-ten beim Zuordnen, Bauenund Werken aus und übensich im Lesen von Tabellen.Die gemeinsame Aufbereitungvon Informationen zu natur-wissenschaftlichen und techni-schen Vorgängen ordnet dieErkenntnisse und verhilft zurÜbersicht.

Zum Lebensraum der Kindergehören landschaftliche Struk-turen (z.B. Gebirge, Flachland,Flüsse, Seen) mit der beleb-ten und unbelebten Natur. Sieermöglichen einen Einblick inheutige und in frühere Lebens-bedingungen (z.B. Eiszeiten,Gletscher, Saurier, Fossilien).

Auf dieser Grundlage werdenfrühe Einsichten in die Ent-wicklung des Lebens und indie Entstehung der Arten aufder Erde vorbereitet. Zur all-täglichen Lebenswelt der Kin-der gehören außerdem die aufder Basis von Naturwissen-schaften und Technik gepräg-ten Umwelten, die moderneInfrastrukturen, Kommunikati-onsmittel und Informationsme-dien enthalten. Diese alltägli-chen Lebensumwelten basie-ren auf der Nutzbarmachungverschiedener Energien (fossi-le Brennstoffe, erneuerbareEnergien usw.).

Naturwissenschaftliche undtechnische Wissensbeständesind in den alltäglichen Le-benswelten der Kinder überallenthalten. Deshalb kann nahe-zu jede Alltagssituation inner-halb und außerhalb von Insti-tutionen kindlicher Bildunggenutzt werden, um naturwis-senschaftliche und technischeBildungsprozesse zu initiierenund zu unterstützen. DieseBildungsprozesse nehmen inbesonderer Weise die nach-haltige ökologische Nutzungder dem Menschen zur Verfü-gung stehenden Ressourcenin den Blick.

Tabelle Primare naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Der Lebensraum der Kinderlädt dazu ein, naturwissen-schaftliche und technischeSachverhalte zu beobachten,zu erkunden und zu erklären.

Beim Erkunden, Experimentie-ren und Ausprobieren habenKinder vielfältige Gelegenhei-ten, unter Berücksichtigungihrer körperlichen Entwicklung(Feinmotorik) und ihrer Mög-lichkeiten im Umgang mitMaterial und Werkzeugenselbstständig tätig zu werden. Hierbei entwickeln sie beson-dere Vorlieben sowie techni-sche Interessen und Neigun-gen. Alltagsbeobachtungengestalten Kinder nach, zumBeispiel im Umgang mit tech-nischen Baukästen und Spiel-zeugen.

Sie erfahren, dass ihre Fragenernst genommen werden, undbewähren sich in Situationen,die selbstständige Entschei-dungen verlangen und dasnaturwissenschaftliche undtechnische Verständnis heraus-fordern.

In gemeinsamen Spiel- undLernsituationen mit unter-schiedlichen Bezugspersonengeraten Gegenstände des täg-lichen Alltags, Naturereignisse,Phänomene der belebten undunbelebten Natur in den Blick,die unter naturwissenschaftli-chen Fragestellungen und mitHilfe passender Begriffe unter-sucht werden.

Beim Experimentieren und Er-forschen nehmen Kinder undErwachsene sinnvolle Arbeits-teilungen und Kooperationenin der Gruppe unter Berück-sichtigung von Interessen undStärken des Einzelnen vor.

Kinder lernen in konkretenHandlungssituationen, diebesonderen Fähigkeiten unddas Wissen anderer zu schät-zen und diese, beispielsweisebei der Entdeckung neuerPhänomene oder beim Pro-blemlösen, einzubeziehen undfür eigene Erkenntnisse zunutzen.

Alle Gegenstände, deren Funk-tionsweise auf naturwissen-schaftlichen und technischenErkenntnissen beruhen (z.B.Kalender, Uhr, Verkehrsmittel,Haushaltsgeräte, Werkzeuge,technische Hilfsmittel), bildenKristallisationspunkte zumErforschen.

Zur Entdeckung der belebtenNatur ist es notwendig, dassKinder über einen längerenZeitraum Verantwortung fürdie Pflege von Pflanzen undTieren übernehmen und Gele-genheit haben, zu Tieren einelangfristige Beziehung aufzu-bauen.

Moderne Medien ergänzenund vertiefen die alltagsbezo-genen Gelegenheiten des Kin-des, seine Umwelt zu erkun-den. Hierbei ist zu berücksich-tigen, dass dem Alter und derkörperlichen Entwicklung desKindes entsprechende Lern-und Arbeitsbedingungen vor-handen sind.

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Tabelle Primare naturwissenschaftliche und technische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchenpädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• alle Ereignisse des Alltagsund alle Handhabungendrinnen und draußen bietenAnlässe, naturwissenschaftli-che und technische Erschei-nungen zu beobachten undzu beschreiben sowie dieVorstellungen zu Zeit undRaum zu vertiefen

• das Kind gewinnt weiterge-hende Erkenntnisse durchgenaueres Erforschen undNachfragen

• es differenziert seine Vorstel-lungen über Zweck- und Wir-kungsweisen aus underwirbt passende Begrifflich-keiten

• das Kind unternimmt selbst-ständige Versuche je nachNeigung und erweitert aufdiese Weise sein Wissen

• neben diesen informellenLernsituationen begegnendem Kind in schulischen undaußerschulischen Kontextenauch didaktisch strukturierteAngebote, die u.a. daseigenständige Lernen zumZiel haben

• diese Anleitungen fließen indas Nachdenken über Natur-phänomene und in das krea-tive Bearbeiten technischerProbleme ein

• im gemeinsamen Austauschüber durchgeführte Experi-mente und deren Ergebnisse,in Partnerarbeit bzw. Grup-penarbeit, in Projekten undweiteren Formen offenen Ler-nens schulen Kinder ihrekommunikativen Fähigkeiten

• in inner- und außerschuli-schen Bereichen verfolgenKinder Projekte, die in vielenFällen mehrperspektivischangelegt sind und die einselbstständiges Dokumentie-ren erfordern

• Kinder stellen Arbeitsergeb-nisse gemeinsam und alleindurch Poster, Referate u.ä.dar und nehmen die vonanderen Kindern und Er-wachsenen auf diese Weisepräsentierten Informationenwissbegierig auf

• Kinder verständigen sich mitanderen Kindern undErwachsenen auch zuneh-mend schriftlich über natur-wissenschaftliche und techni-sche Sachverhalte

• hier wird insbesondere dassinnentnehmende Lesengefordert

• mit Hilfe unterschiedlicherMaterialien gelingen Experi-mente zu naturwissenschaft-lichen und technischen Fra-gestellungen

• Exkursionen zu außerschuli-schen Lernorten, Unterrichts-gänge sowie Recherchen inder Nachbarschaft vertiefendas Lernen mit allen Sinnen

• durch technisches Spielzeug,kindgerechte Werkzeuge undWerkstoffe vertiefen Kinderihre Einblicke in naturwissen-schaftliche und technischeAbläufe

• außerdem stehen Anschau-ungsmaterial, Maschinen undHilfsmittel sowie technischeBaukästen zur Verfügung

• in der Familie und in denInstitutionen kindlicher Bil-dung fordern immer wiederAlltagssituationen dazu auf,über Technik und über Natur-phänomene nachzudenken

• Lehr- und Lernmaterialienbeinhalten Möglichkeiten derSelbstkontrolle

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

94

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Naturwissenschaftliche undtechnische Kenntnisse derKinder beziehen sich auf dieunmittelbare und auch mittel-bar erfahrbare Umwelt. Hierzugehören:• die Orientierung in näherenund ferneren Umgebungenmit Hilfe von Globus, Stadt-plänen und Karten (grobeOrientierung auf dem Globusüber die Erde; Orientierungdurch Karten u.ä. über dasLand Thüringen, über Nach-barländer, über Kreise undkreisfreie Städte, über dieOberflächengestalt und dieLandeshauptstadt usw.)

• die Bestimmung von Haupt-und Nebenhimmelsrichtun-gen (Windrose) durch einenKompass

• Wissensbestände über Natur-denkmäler und Naturschön-heiten, über Umwelt- undNaturschutz

• das Erfassen der jahreszeitli-chen Veränderungen in Floraund Fauna

• Wissensbestände überZusammenhänge in derUmgebung; z.B. die Kenntnisder Lage, der Bodenarten undder Vegetation, auch derland- und forstwirtschaftlichensowie industriellen Nutzung

• das Denken in komplexenZusammenhängen wie z.B.der Zusammenhang zwischenWärme, Licht und Pflanzen-wachstum

• die Orientierung über Lageund Struktur des Wohnortes(bekannte Plätze, Gebäudeusw.)

• das Wissen über moderneInfrastrukturen wie Verkehrs-wege und Transportmöglich-keiten

Kinder erfahren gemeinsammit anderen Kindern und Er-wachsenen:• Naturphänomene als bedeut-same Elemente des eigenenLebens wahrnehmen (wiez.B. den Wechsel der Jahres-zeiten und die Anpassungs-leistungen, die der Menschim Wechsel der Jahreszeitenvollbringt)

• sich selbst auf dieser Grund-lage als Bestandteil natürli-cher Abläufe im Lauf der Zeitreflektieren und thematisieren

• Abbildungen und Informatio-nen zu lebenden und ausge-storbenen Pflanzen und Tie-ren sammeln und vergleichen

• Beobachtungen, Erkundun-gen und Experimente unter-nehmen, die Einblicke inkomplexe Wechselbeziehun-gen in Natur und Technikermöglichen

• einen verantwortungsbe-wussten Umgang mit techni-schen Möglichkeiten undnatürlichen Ressourcen the-matisieren und praktizieren

• menschliche Eingriffe innatürliche Prozesse kritischreflektieren

• den Wohnort und die Regionmit ihren Besonderheiten alsTeil der eigenen Identitätschätzen

• Projekte gemeinsam planenund durchführen

• an unterschiedlichen Orten,zu unterschiedlichen Themenund in verschiedenen Zusam-menhängen Interviews mitExperten führen

• Ergebnisse im Plenum, aufPostern, durch Vorträge undin Diskussionsrunden sowiein Portfolios vorstellen underläutern

Naturwissenschaftliche undtechnische Erkundungen erfor-dern häufig den Einsatz geeig-neter Geräte, Instrumente undHilfsmittel bzw. deren Herstel-lung, wobei Materialkenntnis-se erforderlich sind. Naturwis-senschaftliche und technischeBildungsprozesse werden z.B.unterstützt durch:• Atlanten, Globen, Karten undAnsichten der Erde, die imInternet zu finden sind

• den Umgang mit dem Kalen-der als Darstellung festerZeitabläufe

• die Kenntnis des Thermome-ters und die Kenntnis vonWettersymbolen für Wetterer-kundungen und deren Doku-mentation

• die Verwendung von Tabel-len und grafischen Darstel-lungsformen, um bei derWetterbeobachtung Messrei-hen anzulegen

• die Beobachtungen vonunbelebter Natur im jahres-zeitlichen Wechsel, um kom-plexe Zusammenhänge zuerfassen und zu verstehen(z.B. Aggregatzustände desWassers)

• die Beobachtung von Pflan-zen und Tieren im jahreszeit-lichen Wechsel, um komple-xe Zusammenhänge zu erfas-sen und zu verstehen

• den Vergleich lebender Tiereund Pflanzen mit Fossilien

• differenzierte Nutzung vonNaturräumen als Lernorte,z.B.: der Wald als Lebens-raum, Luft- und Wasserfilter,als Faktor zum Ausgleich desKlimas, Rohstoffquelle, Erho-lungsraum und Arbeitsplatz

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Tabelle Primare naturwissenschaftliche und technische Bildung

95

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Kenntnisse über wichtigeProduktionsstandorte sowieüber regionalspezifischeHandwerkstraditionen undtechnische Denkmäler

• Einblicke in Arbeitsabläufe,Kenntnisse über Materialien,Werkzeuge und Maschinen,um Arbeit wertzuschätzen

• Wissensbestände über Um-weltveränderungen durchArbeit und durch die Ver-wendung von Technik

• Kenntnisse über komplexeZusammenhänge, z.B. zwi-schen der Energiezufuhr unddem Funktionieren vonMaschinen und Fortbewe-gungsmitteln

•das Entwerfen vonGebrauchsgegenständen unddas Planen sowie Realisierendes Herstellungsprozesses;hierbei sind u.a. bedeutsam:- Kenntnis von Materialienund ihren Eigenschaften

- Kenntnis, dass eine Funkti-on über verschiedeneStrukturen realisiert werdenkann

- Verfahren zur Ermittlungvon optimalen Lösungenund zur Planung des Her-stellungsprozesses (Arbeits-verfahren, Werkzeuge, Hilfs-mittel), Herstellung vontechnischen Skizzen bzw.Zeichnungen

- fachgerechtes Durchführender einzelnen Arbeitsschrit-te; Einhaltung der Regelnzu Ordnung und Sauberkeitsowie zum Arbeitsschutz

•die Analyse technischer Ob-jekte aus dem unmittelbarenErfahrungsbereich der Kinderund Nachbau als Modell u.a.mit Hilfe:

• verschiedene Infrastrukturenund Verkehrswege nutzenund Vor- und Nachteile er-kunden (z.B. auf einem Fahr-rad oder als Fußgänger aktivam Verkehr teilnehmen undsich dabei mit physikalischenTatsachen wie Stabilität,Gleichgewicht, Übersetzungund Geschwindigkeit ausein-andersetzen)

• in der Kindergruppe und imKontakt mit Professionellenund Laien regionale undlokale Produktionsweisen,Produkte und Spezialitätenkennenlernen, historischeKontexte und moderneAspekte erkunden

• Gebrauchsgegenstände jenach Komplexität in Einzel-,Partner- oder Gruppenarbeitherstellen und sich dabeigegenseitige Hilfe und Unter-stützung leisten

• Expertenteams zur Ergründungder Funktion verschiedenerBaugruppen bilden undErgebnisse durch Teamspre-cher im Plenum vortragen

• bei der Herstellung vonGebrauchsgegenständen,Modellen und einfachentechnischen Geräten selbst-ständig arbeiten, indem sieausgehend von einer Ideeden Herstellungsprozess pla-nen und sich verschiedeneWege der Realisierung ver-gegenwärtigen, von deneneiner in seinen einzelnenArbeitsschritten fachgerechtausgeführt wird

• in der Kooperation bei Part-ner- und Gruppenarbeit dieErfahrung machen, dass Ge-duld und Anstrengung wich-tige Voraussetzungen zumGelingen von Arbeitsschrittenund handwerklichen bzw.technischen Vorhaben sind

• die Fähigkeit, Gegenstände,Sachverhalte und Abläufezeichnerisch zu fixieren, umBeobachtungen zu schulenund Vorstellungen zu präzi-sieren

• die bewusste Wahrnehmungund grafische Darstellungvon Bewegungen (z.B. An-trieb, Bremswirkung) undLuft (z.B. Windrad, Drachen,Heizkörper)

• Erfahrungen mit Licht undSchatten (Kaleidoskop, Lupe,Mikroskop, Spiegel, Prismen,Farbfilter, Laterna Magica,Schattentheater usw.)

• Erfahrungen im Umgang mitFeuer, die den Besuch bei derFeuerwehr mit einbeziehen

• Erfahrungen mit elektrischenGeräten, um Kenntnisse überdie Nutzung des elektrischenStroms zu vertiefen

• die Erkundung von Wir-kungszusammenhängen imAlltag; beispielsweise werdenGleichgewicht und Stabilitätdurch Spielgeräte wie Wippeund Schaukel erkundet

• das praktische Handeln mitdiversen Werkstoffen undunterschiedlichen Werkzeu-gen, um Material- und Werk-zeugeigenschaften kennenzu-lernen und sie zweckmäßigeinzusetzen (Papiere, textileWerkstoffe, Holzwerkstoffe,Kunststoffe, Halbzeug, leereVerpackungen) usw.

• diverse technische Baukä-sten wie z.B. Metall- oderSystembaukästen, bei denendie Modelle auch durchComputer gesteuert werdenkönnen

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Naturwissenschaftliche und technische Bildung

96

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

- funktionalen und konstruk-tiven Denkens der Kinderdurch Analyse der zu reali-sierenden Funktionen mitHilfe der White-Box- oderBlack-Box-Methode am Ori-ginal

- der Diskussion von Möglich-keiten, am Modell stabileVerbindungen zu realisieren,Reibung zu vermindernusw., um eine optimaleGewährleistung der an-gestrebten Funktion zusichern.

- der Ermittlung von System-eigenschaften und System-verhalten durch technischeExperimente

• Arbeiten zu Ende führen unddabei auch Schwierigkeitenund Probleme tolerieren,ohne vorschnell aufzugeben

• Freude über gelungeneArbeitsergebnisse entwik-keln, die zugleich Motivationdafür sind, sich neueren undkomplexeren Aufgaben zuzu-wenden

• auf der Basis der Erfahrungeigener Anstrengungen auchdie Leistungen und Arbeits-ergebnisse anderer wertzu-schätzen

• eine realistische Bewertungder eigenen Leistungen undArbeitsergebnisse auf derGrundlage vereinbarter Krite-rien vornehmen

• die Dokumentation undPublikation von Experimen-ten und Erkundungen durchFoto- und Videoaufnahmen,Flipchart und Pinnwand, dieEinrichtung von thematischenAusstellungen, Themeneckenusw.

• die Einbeziehung vielfältigerMedien, insbesondere Sach-bücher, Lexika, Poster undFotos, Portfolios, Dokumen-tensammlungen, amtlicheBroschüren, Zeitungen undZeitschriften

• die Nutzung von Fernsehsen-dungen wie Dokumentarfil-me, Wissenssendungen undkindgerechte Lernsoftware

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Präambel

Mathematik ist die Sprache für Muster und Problemlösungen.

Mathematik ist grundlegender Teil unserer Kulturund bietet Lösungen praktischer Probleme desAlltags durch Zählen, Messen und Rechnen. ImLaufe der Jahrhunderte führten mathematischeProblemlösungen immer wieder zu neuen begriff-lichen Sprech- und Schreibweisen und auch zuneuen mathematischen Ideen. Zu einer der letztenEntwicklungsstufen gehört die Idee, Mathematikals die Wissenschaft von Mustern zu verstehen,wobei der Begriff des Musters hier weiter gefasst

ist, als im Alltag üblich. Er bezieht sich nicht nurauf sichtbare Muster wie zum Beispiel auf Dekoreund Ornamente, sondern umfasst auch abstrakteStrukturen wie zum Beispiel die Abfolge von gera-den und ungeraden Zahlen. Muster kommen über-all in der Natur vor und können sehr unterschied-liche Ausprägungen annehmen, z.B. in Form vonSymmetrien bei Blättern und Blüten oder auch beiKlangmustern. Der Begriff des Musters erlaubt es,strukturelle Beziehungen zu erkennen und zu be-schreiben. Muster finden sich auch in der »Re-chenkunst« (Arithmetik). Sie lassen sich auch inregelmäßigen bzw. unregelmäßigen geometrischenFormen erkennen.

97

2.4 Mathematische Bildung

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Kontexte mathematischer Bildungsprozesse

Mathematische Bildungsprozesse umfassen weit-aus mehr als beispielsweise das Zählen oder dasBeherrschen von Grundaufgaben. Sie beinhaltenunter anderem die Strukturierung von Alltagser-fahrungen und Alltagssituationen durch die Ent-deckung bzw. Verwendung von Mustern. Deshalbsind mathematische Bildungsprozesse an ganz-heitliche Lernprozesse gebunden. Sie können dortin Gang kommen, wo Kindern anregungsreiche Um-welten zur Verfügung stehen, in denen strukturier-te und unstrukturierte Materialien vorhanden sind,die das Entdecken, Ausprobieren und Verändernvon Mustern ermöglichen. An diesen Bildungsange-boten haben Mädchen und Jungen gleichermaßenInteresse. Da insbesondere frühkindliche Bildungauf dem Zusammenwirken von Wahrnehmung undBewegung basiert, sind Primärerfahrungen auchin diesem Bildungsbereich grundlegend. In alltäg-lichen Situationen erfahren die Kinder mathemati-sche Operationen, beispielsweise, indem etwasgerecht aufgeteilt wird; bei der Entdeckung, dassviele Tiere vier Beine haben; bei der Erfahrung,dass am eigenen Körper zwei Beine, Arme, Augen,Ohren vorhanden sind usw. Aus der Lebenswirk-

lichkeit der Kinder und von alltäglichen Notwen-digkeiten erschließen sich mathematische Sach-verhalte: ob von Dingen viel oder wenig zur Ver-fügung steht; ob etwas mehr oder weniger, gleichviel oder gar nicht vorhanden ist. Kinder benöti-gen deshalb Erwachsene, die alltägliche Situatio-nen und Zusammenhänge sensibel für die Ent-deckung mathematischer Sachverhalte erschließenund zugleich weitere Bildungsbereiche (z.B. musi-kalische Bildung, bildnerisch-gestaltende Bildungsowie naturwissenschaftlich-technische Bildung)als Kontexte mathematischer Bildungsprozessenutzen.

Basale mathematische Bildungsprozesse

Die Voraussetzungen für die Auseinandersetzungmit mathematischen Mustern sind in der Natur desMenschen angelegt. Bereits vor der Geburt ent-wickeln sich differenzierte Wahrnehmungen z.B.akustischer Art. Und schon früh setzen kindlichemathematische Bildungsprozesse ein, die durchkonkrete Gegebenheiten ausgelöst werden, so-bald Kinder damit beginnen, sich zu bewegen unddie Umwelt mit allen Sinnen wahrzunehmen. Schon

Mathematische Bildung

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bei den ersten Bewegungsversuchen besteht dieNotwendigkeit einer Orientierung. Gemeinsam mitErwachsenen und anderen Kindern erfährt das Kindin spielerischen Situationen seine Umwelt. Es ent-deckt und erkundet in unterschiedlichen Räumenseiner alltäglichen Umgebung verschiedenste Ma-terialien. Die Bezugspersonen des Kindes unter-stützen in ihren Interaktionen mit dem Kind dasBegreifen von Beziehungen und Regelmäßigkeiten,also das frühe Verständnis für Muster im mathe-matischen Sinne. In unterschiedlichen räumlichenund sozialen Kontakten werden erste Orientierun-gen im Raum und in der Zeit ausdifferenziert. Soerkennt das Kind beispielsweise regelmäßig wie-derkehrende Elemente des Tagesablaufes (z.B.das Tischdecken) und beginnt damit, kleine An-zahlen wiederzuerkennen. Drinnen und draußensammelt das Kind vielfältige Erfahrungen mitMengen und mit Anzahlen, mit Formen und mitEigenschaften künstlicher sowie natürlicher Mate-rialien. Kinder finden Mengen, Größenverhältnissesowie vielfältige Muster in ihrer Umwelt vor, ver-ändern sie und schaffen neue. Dies gelingt beson-ders mit handlichen Materialien, die hinsichtlichihrer Form, Farbe und Größe untersucht werdenkönnen. In der Interaktion mit Erwachsenen undanderen Kindern werden seine Orientierungsmög-lichkeiten in der größer werdenden Umgebungerweitert. Parallel mit dem anwachsenden Wissenentwickeln sich auch die sprachlichen Möglichkei-ten der Kinder, über einfache mathematischeSachverhalte zu kommunizieren. Basale mathema-tische Bildungsprozesse schließen somit die Ent-deckung und die Analyse von Mustern mit allenSinnen und auch mit wachsender Abstraktheit ein.

Elementare mathematische Bildungsprozesse

Auf der Grundlage sich erweiternder Denk- undHandlungsmöglichkeiten können sich Kinder mitzunehmend komplexeren Mustern auseinanderset-zen. Alle Dinge und Vorgänge in der kindlichenUmgebung sind geeignet, um das Interesse anmathematischen Fragestellungen zu initiieren undzu vertiefen. Sowohl Regelmäßigkeiten als auchUnregelmäßigkeiten sind dazu geeignet, die Er-kundung von Mustern im mathematischen Sinnezu unterstützen. Die Kinder können Veränderun-gen und Umgestaltungen von Mustern sprachlichbeschreiben. Es gelingt ihnen aufgrund von

sprachlichen Äußerungen und in der Kommunika-tion mit anderen Kindern und mit Erwachsenen,selbst Veränderungen in Mustern vorzunehmen.Im gemeinsamen Umgang mit Formen, Mengenund Zahlen erwerben Kinder ausdifferenzierte Mög-lichkeiten, ihre Sicht der Dinge darzustellen undzu begründen sowie nach Ursachen und Bezie-hungen zu fragen. Ausgehend von der Fragestel-lung, wie viele Dinge vorhanden, d.h. wovon we-niger, mehr oder gleichviel vorhanden sind, set-zen sie sich intensiv mit Mengen und mit den dieMenge repräsentierenden Zahlen auseinander.

Das Vergleichen von Mengen, die Feststellung vonUnterschieden sowie das Zählen sind wichtige Stra-tegien, die Kinder in elementaren mathematischenBildungsprozessen weiterentwickeln können. Hier-bei greifen die Entwicklung des Mengen-, desZahl- und des Operationsverständnisses ineinan-der. Das Vergleichen von Mengen und das Zählender einzelnen Elemente von Mengen sind zugleichwichtige Strategien, um Alltagsprobleme praktischzu lösen. Deshalb können viele Alltagssituationendazu genutzt werden, um die mathematischen In-teressen und das Wissen der Kinder über Musterim mathematischen Sinne weiterzuentwickeln. Ele-mentare mathematische Bildungsprozesse unter-

Elementare mathematische Bildungsprozesse

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stützen die Denkentwicklung von Kindern in be-sonderer Weise: Können die Kinder zunächst aufein anschauliches Vorgehen, wie zum Beispiel diePaarbildung zugreifen, so entwickeln sie zuneh-mend symbolische, also abstrakter werdende For-men der Problemlösung.

Primare mathematische Bildungsprozesse

Die mathematische Bildung im Primarbereich um-fasst die Inhalte von rechnerischen (arithmeti-schen) und geometrischen Möglichkeiten im Um-gang mit mathematischen Mustern sowie komple-xere mathematische Lösungen von Alltagsproble-men. Zur Entwicklung solider Zahlvorstellungenfür Zahlen im Raum bis zu einer Million dienenunterschiedliche Kontexte. Kinder lernen dabei,dass Zahlen Anzahlen (Mengen) symbolisierenund Zahlen in unterschiedlichen Sinnzusammen-hängen verschiedene Aspekte betonen. In ver-schiedenen Kontexten kommen unterschiedlicheGrößen vor, zu denen Kinder klare Größenvorstel-lungen entwickeln, um alltägliche Situationen zuverstehen. Voraussetzung für die Entwicklung dessicheren Rechnens ist die Verfügbarkeit vongrundlegenden Wissensbeständen wie dem Eins-pluseins und dem Einmaleins. Dieses Können bil-

det die Grundlage für das sichere Anwenden deshalbschriftlichen und schriftlichen Rechnens.Dabei sind die Kinder in der Lage, zwischen ver-schiedenen Rechenverfahren abzuwägen. Derkompetente Einsatz moderner Rechenhilfsmittelwie Taschenrechner und Computersoftware ver-langt eine verantwortungsbewusste Hinführung.Alltagspraktische Lösungen werden in Problemlö-seaufgaben, wie sie besonders im Sachrechnenauftreten, gefordert. Hier wenden Kinder ihrerechnerischen Fähigkeiten an und üben sich imUmgang mit verschiedenen Darstellungsformen.Ihre verbalen Möglichkeiten setzen sie ein, ummathematische Probleme und deren Lösungen zubeschreiben und zu diskutieren. Kinder differen-zieren weiterhin Größenvorstellungen aus, und siekönnen mit Größen in ihren verschiedenen Ein-heiten rechnen. Die sich bei den Kindern ausdif-ferenzierende Raumvorstellung führt zu Orientie-rungsvermögen und dem Erkennen von Lagebe-ziehungen zwischen Objekten in der Ebene undim Raum. Dazu gehört auch, sich Bewegungen imRaum und in der Ebene gedanklich vorstellen zukönnen. Auf dieser Grundlage können sie geome-trische Grundformen und deren Beziehungenuntereinander betrachten, beschreiben und analy-sieren. Zur Vorbereitung und zur Vertiefung geo-metrischer Fragestellungen nutzen Kinder unter-schiedliche Tätigkeiten wie Legen, Falten, Schnei-den, Bauen und Zeichnen. Standen den Kindernbei elementaren mathematischen Bildungsprozes-sen eher alltagssprachliche Bezeichnungen fürmathematische Muster und Probleme zur Verfü-gung, so erwerben sie innerhalb der primarenmathematischen Bildungsprozesse theoretischeBegriffe wie Rechnen mit ganzen Zahlen, Ausse-hen geometrischer Körper u.a. Ziel der primarenBildungsprozesse ist das Verständnis des Kindesfür zahlenbezogene (numerische) sowie elementargeometrische Fragestellungen des Alltags undderen Lösungen. Dazu gehören auch Kenntnisseüber Problemlösungsmöglichkeiten sowie die Ein-sicht, dass Lösungen auf verschiedenen Wegenund mit unterschiedlichen Methoden gefundenwerden können. Das Kind ist in der Lage, mit denpassenden alltagssprachlichen und theoretischenBegriffen zu kommunizieren, adäquate Fragen zustellen und sich Problemlösungen selbstständigzu erarbeiten.

Mathematische Bildung

100

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Tabelle Basale mathematische Bildung

101

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Basale BildungMathematischeBildung

Kinder entdecken ihren Körperund orientieren sich im Raum.Sie beobachten das Kommenund Gehen ihrer Bezugsperso-nen sowie das Auftauchen undVerschwinden von Gegenstän-den. In alltäglichen Handlungs-zusammenhängen (bei Mahl-zeiten, bei der Körperpflege,beim Spielen) erleben sie, wieMengen größer oder kleiner,geteilt und zusammengeführtwerden. Natürliche, soziale undkünstlerische Elemente der Um-welt werden nach wiederkeh-renden und neuen Musternerkundet.

Insbesondere beim Ordnenund Sortieren von interessan-ten Gegenständen wird dasErkennen von gemeinsamenund unterscheidenden Eigen-schaften vorbereitet. MitMusikinstrumenten, Mal- undZeichenutensilien sowie Spiel-zeug lassen Kinder selbstMuster entstehen.

Durch den Umgang mit All-tagsgegenständen probierenKinder Größenverhältnisse,Proportionen und Handlungs-abfolgen aus. In diesen Kon-texten entdecken sie Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge.

Erwachsene und andere Kin-der unterstützen durch Ver-steck- und Suchspiele, durchKinderreime usw. die Entwick-lung des Körperschemas unddie Orientierung im Raum.

In alltäglichen Situationen re-gen Erwachsene zu erstenmathematischen Überlegungenan (Tischdecken, Austeilenusw.). Das Kind beobachtetandere Kinder und Erwachsenebeim Zählen und bei der Ver-wendung von Ziffern, beimMessen und Rechnen und ent-wickelt durch das handlungs-begleitende Sprechen derbeobachteten Bezugspersonenerste Vorstellungen vom Sinnihrer Handlungen.

Erwachsene und andere Kinderunterstützen die Entdeckungvon Ziffern, von Zeichen undSymbolen in der Umgebung.So entwickelt das Kind ersteVorstellungen zum Umgangmit mathematischen Musternund Problemen. Es wird vonanderen Kindern und Erwach-senen in die Lösung alltags-praktischer mathematischerSachverhalte und Problemeeinbezogen.

Dem Kind stehen Räumlichkei-ten zur Verfügung, die seinemBewegungs- und Erkundungs-interesse entgegenkommen,und in denen es sich ungehin-dert und ungefährdet bewegenkann. In diesen Räumen sindvielfältige Gelegenheiten ent-halten, neue Bewegungsformenselbst auszuprobieren undverschiedene Positionen imRaum einzunehmen.

Das Kind ist von unterschiedli-chen Materialien umgeben,die zum Hantieren, zum Ord-nen, Sortieren, Zählen undVergleichen anregen. Alltäg-liche Gegenstände und Situa-tionen eröffnen dem Kind dieErfahrung, dass es von man-chen Dingen sehr viele, vonanderen sehr wenige gibt.

Es findet in seiner Umgebungviele große, kleine, schwereleichte, einfarbige, bunte, ein-fach und komplex strukturier-te Gegenstände vor. Zum Aus-probieren stehen auch einfa-che Gerätschaften zum Verglei-chen und Messen zur Verfü-gung.

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Das Kind setzt sich mit ver-trauten und unbekannten Din-gen auseinander, vergleichtBekanntes mit Unbekanntemund probiert Neues aus (z.B.Gegensätze wie eckig undrund, Hin- und Her-Bewegung;Erkundung von neuen Räumen,Zuordnen der Spielzeuge zuKisten bzw. Aufbewahrorten).Einzelteile werden zu einemGanzen zusammengesetzt.

In gemeinsamen (Spiel-)Situa-tionen mit Bezugspersonenund anderen Kindern werdenRäume erkundet, Funktionen(z.B. öffnen/schließen) ent-deckt und Funktionen zuge-wiesen (z.B. Schalter an- undausschalten). In Spielen wer-den einfache Reihenfolgenausprobiert: Wer ist Erster?Wer ist am schnellsten? usw.

Im Rahmen des Angebots anMaterialien, Bewegungs- undSpielmöglichkeiten sowieRäumlichkeiten erkunden undbegreifen Kinder Gegenständehinsichtlich ihrer Eigenschaf-ten und Funktionen. Alltagsge-genstände werden durch ent-wicklungsangemessene didak-tische Materialien ergänzt(Steckfiguren, Form- und Farb-täfelchen, Material zur Sinnes-erziehung usw.).

Tabelle Basale mathematische Bildung

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Mathematische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchem pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• das Kind fühlt sich in unter-schiedlichen Umgebungensicher aufgehoben und ent-wickelt Interesse an der Entdeckung und Erforschungvon Räumen, Dingen, Men-gen und Mustern

• mit anderen Kindern undErwachsenen erkundet dasKind Räume, Funktionen,Zusammenhänge, Proportio-nen usw.

• diese Erkundungen sind inSpiel- und Alltagssituationeneingebunden

• in der Umgebung des Kindessind vielfältige interessanteObjekte enthalten, auf diedas Kind zurückgreift

• Spiel- und Alltagssituationenladen zum Nachdenken überMengen und Operationen(Teilen, Abzählen) ein

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Das Kind greift auf Angebotezurück, die seine Wahrnehmungund seine kognitiven Möglich-keiten in Bezug auf Musterund Problemlösungen heraus-fordern. Geeignet sind unteranderem Materialien, die•das Betrachten von unter-schiedlichen Flächen erlauben

• interessante und veränder-bare Flächen und Strukturenhervorbringen

•einen Perspektivwechsel,also die Betrachtung vonoben, unten, vorn hinten,aus nächster Nähe und ausgroßer Entfernung ermög-lichen

•das Betrachten, Verändernund Gestalten von Musternzulassen

•Greifen, Festhalten, Material-erkundung mit allen Sinnenveranlassen

•zum Krabbeln, Laufen, Krie-chen, zu unterschiedlichenFormen der Fortbewegungauffordern und somit unter-schiedlichste Raum- und Körpererfahrungen zulassen

•die Entwicklung von Geschick-lichkeit und die körperlicheKoordination unterstützen

•das Entdecken und Erforschenvon Ursache-Wirkungs-Zu-sammenhängen zulassen

•das Nachdenken anregenüber Mengen, über das Vor-handensein/ Nichtvorhanden-sein, über mehr oder wenigerviel

Das Kind nimmt zu Bezugs-personen Kontakt auf, hältdiesen aufrecht und gestaltetdiesen Kontakt auch übereine gewisse zeitliche undräumliche Distanz hinweg. Esstellt sich auf sein Gegenüberein, verfolgt seine Bewegungenim Raum und im Verhältnis zusich selbst. In unterschiedlichensozialen Kontexten erfährt dasKind Kontakt zu einer einzel-nen oder zu mehreren Per-sonen; es erlebt sich als Be-standteil einer großen Gruppe,aber auch allein. Bezugsperso-nen regen durch Interaktionenzu Orientierungen im Raumund in der Zeit an:•sich zu einer Person hin-und wieder von ihr wegbewegen

•die Entfernungen zu anderenabschätzen und erkennen,ob sie gut bewältigt werdenkönnen

•größer werdende Entfernun-gen allein und ohne fremdeHilfe überwinden

•Blickkontakt aufnehmen undverfolgen

•Versteckspiele mit Dingenund Personen

•gemeinsames gezieltesSuchen und Raumerkunden

•gemeinsam Anlässe gestaltenund feiern, um Sensibilitätfür herausgehobene Zeit-punkte und deren Wieder-kehr zu ermöglichen

Das Kind macht unter anderemfolgende Materialerfahrungen:•glatte und runde, ruhige undbewegte Flächen

•unterschiedliche Materialien,die sich in Form und Strukturwiederholt verändern lassen(Papier, Pappe, Stoffe, Folien,Bänder, Schnüre, Kartons,Tapeten, Knete, Kuchenteig,Flüssigkeiten usw.)

•Entdecken von Mustern(Brettspiele, Ornamente undDekorationen usw.) auf All-tagsgegenständen

•Formen, Farben und Mustervon Spielzeugen (Legosteine,Konstruktionsspielzeug, Bau-steine usw.)

•hinter großen Gegenständenkann man sich verstecken, insie hineinkriechen, auf sieklettern usw.

•öffentliche und private,geschlossene und offeneRäume erkunden

• im Umgang mit Alltagsgegen-ständen werden Ursache-Wirkungs-Zusammenhängeausprobiert (an Vorhängenund Decken ziehen, denStandort von Möbeln verän-dern, Dinge aus Behältnissenein- und wieder aussortierenusw.)

•Sammeln und Vergleichenvon bevorzugten Gegenstän-den (Knöpfe, Murmeln,Naturmaterial, ausgewählteSpielzeuge usw.), um Men-genvorstellungen auch überden eigenen Besitz aufzu-bauen

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Tabelle Elementare mathematische Bildung

103

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare BildungMathematischeBildung

Kinder entwickeln ein ausge-prägtes Interesse für mathe-matische Muster, wenn sie inSpielhandlungen eingebundensind (Würfel, Domino, Symbo-le auf Spielkarten, Spielchipsusw.). In spielerischen Situa-tionen erfahren sie auch denVorteil der simultanen Erfas-sung kleinerer Mengen.

Zunächst gewinnen die Zahlenbis 10 alltagspraktische Be-deutung: Sie werden bei derBewältigung alltäglicher Situa-tionen, zum Abzählen sowiezum Vergleichen herangezogen.Über diesen Zahlbereich hin-aus interessieren sich Kinderfür Mengen und Zahlwörter in größeren Dimensionen, diesie gemeinsam mit anderenthematisieren.

Durch Zeichen und Symboleunternehmen Kinder erste Versuche, Zahlen, Muster undGrößenverhältnisse zeichnerischfestzuhalten. Auf der Basissehr unterschiedlicher Merk-male (Oberbegriff, Eigenschaf-ten, situative Zusammenge-hörigkeit u.ä.) schaffen Kinderselbst neue Mengen undMuster, experimentieren mitihnen und bezeichnen sie.Zeit- und Raumvorstellungenwerden vertieft.

Das Kind tritt mit Erwachsenenund anderen Kindern in Ge-spräche über mathematisier-bare Problemlösungen undMuster ein. Dies geschiehtauch weiterhin in Spielsitua-tionen, aber auch in verschie-densten Alltagssituationen.

Die Kinder haben Gelegenheit,Erwachsene in vielfältigenberuflichen Zusammenhängendabei zu beobachten, wie siedie Sprache der Mathematikzur Problemlösung nutzen,und mit ihnen darüber insGespräch zu kommen. In dieSpielhandlungen der Kinderfließen diese Erfahrungen mitein.

Außerdem erhalten Kinderzahlreiche Möglichkeiten, mitErwachsenen und anderenKindern in bedeutsamen All-tagssituationen zu vergleichen,zu messen und zu zählen.Kinder interessieren sichzunehmend für die Möglich-keit, Problemlösungen undMuster durch Zeichen undSymbole zu kommunizieren.

Im Kontext dieser Tätigkeitenwird das Interesse der Kinderan Problemlösungen und anMustern zunehmend mathe-matisiert.

Die in der Umwelt beiläufigund zugleich konstant ent-haltenen Elemente der mathe-matischen Sprache (Hausnum-mern, Seitenzahlen, Preisan-gaben usw.) werden ebensozum Material der mathemati-schen Bildungsprozesse wieAlltagsgegenstände, Spiel-sachen und auch einschlägigedidaktische Materialien. Vonbesonderem Interesse sindMaterialien, die in großerMenge vorkommen; sie regendas Interesse für die Entdek-kung jeweils neuer Zahlraum-bereiche an.

Hier sind in besonderer WeiseNaturphänomene (Sand, Regen-tropfen usw.) geeignet. In derunbelassenen und bezähmtenNatur (Wald, Wiese, Gärten,Teich, Fluss usw.) sowie imUmgang mit Tieren ergebensich Möglichkeiten für dieUntersuchung von Größenver-hältnissen, Proportionen undOberflächeneigenschaften.

Im Kontext der Zeitläufe (Tag,Nacht, Woche, Monat, Jahrusw.) differenzieren sich dieEinheiten der Zeitmessungaus.

Tabelle Elementare mathematische Bildung

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Mathematische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Das Kind erhält vielfältigeMöglichkeiten des Beobach-tens, des Bewusstwerdenssowie der sprachlichen Dar-stellung der gewonnenen Ein-drücke und Erfahrungen inBezug auf Zahlen, Mengen,Muster und Problemlösungen.Der Aktionsradius des Kindesfür diese Tätigkeiten breitetsich über die unmittelbareUmgebung aus.

In alltäglichen Situationenerfährt das Kind den Sinn vonHandlungen, die einen mathe-matischen Kontext haben (z.B.etwas aufteilen, nachprüfen,ob von einer bestimmtenMenge an Gegenständen aus-reichend viele vorhanden sind,ob eine bestimmte Menge anGegenständen aufgebrauchtist).

Kinder spielen gemeinsam mitanderen Kindern und mit Er-wachsenen an Symbole undZiffern gebundene Regelspielewie »Mensch-ärgere-dich-nicht«.Sie erkunden verschiedeneRäume (Spielplatz, Wald, Stra-ße usw.). Sie messen und über-winden unterschiedliche Ent-fernungen. Kinder erkundenauch verschiedene Funktionen(z.B. das Fahrrad) und übensich im Gebrauch von Funktio-nen (z.B. beim Ein-und Aus-schalten von Geräten). In Bil-derbüchern entdecken underkennen Kinder allein undgemeinsam Mengen und Zah-len wieder. In Rollenspielen(z.B. Post, Kaufmannsladen)erproben sie Alltagshandlun-gen und ihre mathematischenBezüge spielerisch.

Den Kindern stehen vielfältigeMaterialien zum Hantieren,zum Spielen und Basteln(Puppen, Autos, Papier,Pappe, Gummi u.ä.) zur Verfü-gung. Diese Materialien for-dern dazu auf, mathematischeTätigkeiten wie Zählen, Ord-nen, Zuordnen, Vergleichen,Wegnehmen, Teilen, Verpak-ken usw. auszuprobieren.

Handlungspraktische Tätigkei-ten wie Malen, Zeichnen, Kneten,Schneiden sind nutzbar, ummathematische Formen wieDreiecke, Vierecke, Rechteckehervorzubringen und zuerkunden. Dieses Angebot aneher unstrukturierten Materia-lien wird um einschlägigesdidaktisches Material ergänzt.

In welchem pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Kinder erproben sich beimUmgang mit Mengen, Zahlen,Mustern sowie beim Problem-lösen in spielerischen Situa-tionen, aber auch in realenAlltagssituationen wie z.B.beim Bezahlen, beim Entwer-ten von Fahrscheinen, beimEinlösen von Gutscheinen,bei der Interpretation derWetterkarte und bei ähnlichenGelegenheiten

• gemeinsam mit anderen Kin-dern und Erwachsenen wer-den »zahlhaltige« Situatio-nen erkundet und bewältigt:Einkaufen, Abwiegen, Auftei-len usw.

• bei Bau- und Konstruktions-spielen wird das Nachdenkenüber Größen und Proportio-nen herausgefordert

• Brettspiele und Abzählreimeusw. unterstützen das Ver-trautwerden mit Zahlwörtern.

• Kinder schließen aus demUmgang mit konkreten Ge-genständen auf die Bedeu-tung von Zahlen (Skalen,Anzeigen, Nummerierungenusw.)

• sie beobachten Tätigkeitendes Ordnens, Messens, Pro-blemlösens usw. zu Hause,in Institutionen kindlicherBildung, beim Einkauf

• Waagen, Thermometer,Lineale, Uhren u.a. werdenselbstständig gehandhabtund ausprobiert

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Tabelle Elementare mathematische Bildung

105

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Das Kind greift auf Angebotezurück, die insbesondere seinekognitiven und seine sprachli-chen Möglichkeiten herausfor-dern. Zugleich differenzierensich seine Möglichkeiten desBeobachtens, des Bewusst-werdens, der sprachlichenKommunikation über die ge-wonnenen Eindrücke und Er-fahrungen aus. Der Aktions-radius zur Erkundung undSchaffung von Mustern undzum Problemlösen weitet sichaus. Diese Entwicklung wirdu.a. durch folgende Angeboteunterstützt:• Erkunden und Unterscheidenvon vielfältigen Objekten mitunterschiedlichsten Eigen-schaften und verschiedenenMöglichkeiten des Ordnens,Sortierens und Vergleichens

• unterschiedlichste Möglich-keiten des Abzählens, siche-res Abzählen bis zur Zahl 10und Interesse an größerenZahlräumen; simultanesMengenerfassen

• Mengenvergleiche über Stück-für-Stück-Zuordnung, Paar-bildung und durch Abzählensowie durch simultanes Mengenerfassen

• Zuordnen von sinnvollen Gegenständen (Geschirr, Kleidung usw.)

• Erkennen, Nutzen und Ver-wenden von Abbildungenund Symbolen

• Erforschen von Größen- undFormzugehörigkeiten

• Entdecken und Ausprobierenvon vielfältigen Material-und Objekteigenschaftenund Nutzung dieser Eigen-schaften, um nach ausge-wählten Kriterien zu sortie-ren und Mengen zu bilden(Sortieren nach Oberbegrif-fen, nach sachlogischerZusammengehörigkeit usw.)

Mathematische Bildungspro-zesse sind in soziale Interak-tionen einstrukturiert. Sinnvollsind unter anderem die fol-genden Interaktionsmöglich-keiten:• gemeinsame Spiele und Er-kundungen des Raumes(Wälder, Spielplätze, öffentli-che Gebäude, tägliche Wegeusw.)

• mit anderen Kindern und Er-wachsenen Entfernungen zuFuß, per Zug, mit dem Autousw. überwinden, Geschwin-digkeiten wahrnehmen,gemeinsam Karten von Woh-nungen, Institutionen undvon alltäglichen Wegen her-stellen

• mit Erwachsenen Karten, At-lanten, Fahrpläne usw. unter-suchen

• gemeinsame Funktionserkun-dungen, Reparaturen (Roller,Fahrrad, Spielzeuge usw.)vornehmen

• in Regel-, Funktions- undRollenspielen Zahlen erkennenund nutzen

• Notizen von Erwachsenen undanderen Kindern empfangen,entschlüsseln und beantwor-ten (Austausch von Rezep-ten, Einkaufszetteln, Tauschvon Telefonnummern, Adres-sen, Visitenkarten)

• gemeinsame Gestaltung undReflexion von Höhepunktenam Tag, im Jahr usw. unterEinbeziehung von Kalendern,Uhren, Thermometern

• in der Gruppe Kardinalzahlenund Ordinalzahlen spiele-risch verwenden:

• Wie viele Jungen und/oderMädchen sind da?

• Wie alt sind die einzelnenKinder?

• Welches Kind ist am größten/welches ist am kleinsten?

Das Kind setzt sich mit Musternund Problemlösungen ausein-ander:• Material zum Spielen undBasteln, zum Zählen, Ordnenund Vergleichen

• praktische Tätigkeiten wieFormen, Malen, Schneiden,Basteln, Kneten, Zeichnen,Backen nutzen, um geome-trische Formen zu entdecken

• Räume sind bestimmtenAnlässen und Gelegenheitenvorbehalten und entspre-chend gestaltet (Ruhe/Bewe-gung/Lernen/Arbeit usw.);dadurch werden differenzier-te Körper- und Raumerfah-rungen möglich

• Erforschung von öffentlichenInstitutionen (Post, Bahnhof,Schule, Laden, Rathaus, Fri-seur usw.) nach Zahlen,Mustern und Problemlösun-gen (Funktion von Autokenn-zeichen, Briefmarken, Geld-scheinen, Preisen, Gewichts-angaben, Hausnummernusw.)

• den eigenen Körper und deneigenen Besitz nach Zahlenund Mustern erforschen(Schuh- und Kleidergrößen,Körperhöhe, Gewicht; Ent-decken von unterschiedli-chen Anzahlen am eigenenKörper wie z.B. Arme, Beine,Finger, Haare)

• historische »Körpermaße«(Fuß, Elle usw.) mit demeigenen Körper anwenden;historische Varianten desZählens, Messens und Ver-gleichens ausprobieren;historische Zahlsystemeerkunden und ausprobieren

• sich mit der Verwendung derbesonderen Bedeutung vonZahlen in Märchen, Sagen,Kinderreimen und Liedernauseinandersetzen

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Mathematische Bildung

106

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungMathematische Bildung

Kinder interessieren sich fürmathematische Sachverhalte.Sie beschreiben reale Alltags-situationen mathematisch,lösen die zugehörige Aufgabeund beziehen die Lösung wie-derum auf die realen Situatio-nen. Kinder sind in der Lage,mathematische Sachverhaltesowohl in der Sprache des All-tags als auch mit passendenmathematischen Begriffen zubeschreiben und zu begründen(in mündlicher als auch inschriftlicher Form). Kinder sindin der Lage, über die Bedeu-tung mathematischer Begriffezu reflektieren, die sich so-wohl auf arithmetische, aufelementar geometrische alsauch auf elementar kombina-torische Inhalte beziehen.

Kinder lesen Rechentexte undverfassen diese auch selbst.Sie lesen Sinn erfassend undfragen bei Texten nach nochnicht bekannten Wörtern. Siewerden zunehmend selbst-ständiger im Lernen und ent-wickeln Strategien, wie sie zumathematischen Lösungenvon mündlichen und schriftli-chen Rechenaufgaben kommen.Dabei wenden sie sowohlstandardisierte schriftliche Re-chenverfahren als auch halb-schriftliche Verfahren an, jenach dem vorhandenen Zah-lenmaterial und nach ihrenindividuellen Lernvorausset-zungen.

Kinder lernen mathematischeSachverhalte sowohl durchHandlungen und Veranschauli-chungen als auch auf abstrakteWeise kennen.

Kinder erleben und erforschengemeinsam mit anderen Kin-dern und Erwachsenen im All-tag und in Spielsituationenmathematische Sachverhalte.In vielfältigen Situationen stel-len sich ihnen bekannte undauch herausfordernde mathe-matische Probleme, die sieuntereinander sprachlich be-schreiben und mit eigenenSichtweisen begründen. Siehaben individuelle Ideen fürProblemlösungen, die sie sichgegenseitig sowohl mündlichals auch schriftlich darlegen.

Die Kinder tauschen ihre sub-jektiv unterschiedlichenmathematischen Erfahrungenaus. Sie nennen Beispiele fürihre Vorerfahrungen und ihreVorstellungen von mathemati-schen Ideen, Begriffen undVerfahren. Kinder erklären, wiesie zum Ergebnis kommen.Fehler in mathematischenDenkprozessen werden vonErwachsenen als individuelleintellektuelle Anstrengung desKindes interpretiert; sie sindAnlass, um über die Vorstel-lungen des Kindes gemeinsamnachzudenken. So lernen Kin-der, eine korrekte Lösung zufinden und weitere Schlüssezu ziehen. Sie sind in der Lage,ihre Strategien einander zubegründen.

In außer- und innerschuli-schen Bereichen kann eineEntwicklungsmischung beimSpielen und Lernen von Vor-teil sein, indem die Unter-schiede zur vergleichendenSelbstwahrnehmung führen.Auf diese Weise helfen ältereKinder den jüngeren und tei-len so ihre Erfahrungen mit.

Im Austausch mit anderenerwerben Kinder differenzierteMöglichkeiten zum Beschrei-ben mathematischer Muster,Regelmäßigkeiten und Bezie-hungen sowie im Begründen.Ihnen begegnen Mengen undZahlen in unterschiedlichenKontexten, so dass sie dieverschiedenen Zahlaspekte ver-stehen und gebrauchen lernen.

In institutionellen Lernumge-bungen reagieren sie auf offe-ne Lernsituationen und bear-beiten selbstständig bzw. ge-meinsam in Gruppen gestellteProbleme. Sie hören aberauch in einer strukturiertenLernsituation zu und unter-scheiden das Wichtige vomUnwichtigen. Sie sind in derLage, einer Erklärung zu fol-gen, und vollziehen sie ge-danklich und sprachlich nach.Bei Verständnisschwierigkeitenfragen sie nach.

Die Kinder verwenden Compu-tersoftware und Taschenrech-ner. Sie wissen, dass es ver-schiedene Rechentechnikengibt, und interessieren sichfür historische Rechengeräteund Rechenverfahren.

Kinder entdecken, dass ma-thematische Verfahren einerEntwicklung unterworfen sindund dass Schriftliches vomMedium (z.B. Schulbuch, PC,Lexikon) abhängt. So unter-scheiden sie z.B. die Symbolikbeim Rechner von ihrer eige-nen.

Tabelle Primare mathematische Bildung

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Tabelle Primare mathematische Bildung

107

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Das Kind ist sich der Zuwen-dung seiner Bezugspersonenbei seinen Fragen nach ma-thematischen Sachverhaltensicher und erwartet auf seineFragen angemessene Antwor-ten. Diese Antworten vertiefenwiederum sein weiteres Inter-esse an mathematischenSachverhalten. So differenzie-ren sich Vorstellungen vonMustern und mathematischenZusammenhängen weiter aus.Aus den individuellen Theo-rien und Hypothesen der Kin-der wird gesichertes Wissenüber mathematische Sachver-halte.

Die zunächst individuellenTheorien und Hypothesen die-nen als Anlass, über mathe-matisch nicht zutreffendeLösungswege und Lösungennachzudenken. Kinder erfahren,dass sich Lösungen mathe-matischer Fragen nicht schnellergeben müssen, sonderndass Lösungen auch längereDenkprozesse in Anspruchnehmen, in denen die Lösunggedanklich »umkreist« wird.

Die Bezugspersonen der Kin-der sind sich der Sinnzusam-menhänge, in denen Mathe-matik eine Rolle spielt, be-wusst und unterstützen dieKinder bei der Systematisie-rung. Kinder erleben zusam-men mit anderen in institutio-nellen Lernumgebungen sowohloffene als auch systematischvorbereitete Lernsituationen.Hier teilen sie ihre Vorstellun-gen mit und beteiligen sichaktiv an Lösungsprozessen.

Kinder lernen von Kindern ausanderen kulturellen Kontextenweitere Rechenweisen undHilfsmittel kennen. So erfah-ren sie, dass es für Problem-lösungen oft nicht nur einenWeg gibt, sondern dass meh-rere Möglichkeiten zum Zielführen.

Kinder nehmen auf andereKinder Rücksicht, wenn diesenach noch Unverstandenemfragen und mehr Zeit zum Lernen und zum Lösen vonmathematischen Problemenbenötigen.

Situationen mit mathemati-schen Aspekten durchziehenden Alltag. So sind die Kinderin der Lage, ihr Verständniseinfacher mathematischerSituationen sowohl umgangs-sprachlich als auch mathema-tisch auszudrücken. Handlun-gen wie Kaufen und Bezahlenerfordern das Erkennen undLösen mathematischer Aufga-benstellungen. In den Institu-tionen kindlicher Bildung sindstrukturierte Angebote zurSystematisierung mathemati-scher Vorerfahrungen bedeut-sam. Hier sind Vertiefungenfür arithmetische, elementargeometrische und kombinato-rische Inhalte vorgesehen.

Kinder erfahren auch in Lern-orten außerhalb der Schule(z.B. an ausgewählten Arbeits-plätzen Erwachsener in Be-trieben und öffentlichen Insti-tutionen) Beispiele anwen-dungsorientierter Mathematik,die sich u.a. auf Größen (z.B.Länge, Zeitspanne undGewicht) beziehen.

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Mathematische Bildung

108

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchem pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

Kinder:• geraten in ihrer Umwelt inSituationen, in denen siearithmetische und geometri-sche Muster wahrnehmen

• entdecken mathematischeBeziehungen, die aus mehre-ren Bereichen stammen

• kommunizieren umgangs-sprachlich und mit mathema-tischen Begriffen, sowohlschriftlich als auch mündlich

• festigen ihr Wissen in Einzel-gesprächen und gewinnenso Sicherheit im mathemati-schen Denken, insbesonderebeim Argumentieren

• arbeiten selbstständig, ins-besondere bei Hausaufgaben

• wissen, dass mathematischeAngaben, z.B. bei Größen,besonders genau sein müs-sen; sie kennen aber auchFehlermöglichkeiten beimMessen und schätzen Größen-angaben dementsprechendein

• schätzen ihren eigenen Lern-prozess ein und suchenBegleitung in noch offenenFragen und möglichen Erfah-rungen

• nutzen mathematisches Wis-sen zur Bearbeitung vonnaturwissenschaftlichen undtechnischen Fragestellungen

Lehrerinnen und Lehrer wissen,dass:• das Lernen von Mathematikein sich allmählich entwik-kelnder Prozess ist, der Zeitbraucht und immer wiederUnterstützung benötigt

• entwicklungsgemischte Grup-pen durch das Kommunizierenmathematischer Sachverhaltederen Verständnis unterstützen

• Lernvoraussetzungen zuunterschiedlichen mathemati-schen Themen bei den ein-zelnen Kindern verschiedensind

• mathematische Lernschwie-rigkeiten entwicklungsnot-wendig sein können, undkennen verschiedene Mög-lichkeiten der Unterstützungvon Kindern mit diesenSchwierigkeiten

• sie Eltern und anderen Be-zugspersonen detaillierteAuskunft über den Lernstandsowie Hinweise zur Vertiefungder Kenntnisse des Kindesgeben

Kinder:• schätzen Gruppengespräche,um ihr Verständnis darzu-stellen, zu überprüfen bzw.zu erweitern; um Lob zuerfahren und gemeinsameAktionen zum Kennenlernenmathematischer Muster undBeziehungen zu planen unddurchzuführen

Lehrerinnen und Lehrer:• kennen aktuelle fachdidak-tische Prinzipien und Me-thoden

• kennen für Kinder relevantemathematische Muster undBeziehungen in ihren ver-schiedenen Ausprägungen

• kennen für Kinder relevanteLexika und andere Nach-schlagewerke

• stellen altersgemäße Mate-rialien bereit, die Möglichkei-ten der Selbstkontrolle ent-halten

• sind offen dafür, alltäglicheGegenstände, Zusammenhän-ge und Situationen innerhalbund außerhalb der Institutio-nen kindlicher Bildung zunutzen, um Kinder aufMathematik im Alltag auf-merksam werden zu lassen

Kinder:• nutzen Alltagsgegenständewie Maßbänder, Waagen,Skalen und Anzeigen undwerden so auf Größen auf-merksam

• haben vielfältige Materialienzur Verfügung, um geometri-sche Phänomene in Alltagssi-tuationen zu erkunden

• verwenden Lexika und ähnli-che Medien, um ihr Wissenselbstständig zu erweiternbzw. zu vertiefen

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Tabelle Primare mathematische Bildung

109

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Kinder sind in der Lage, be-wusst mathematische Zusam-menhänge, Muster und Bezie-hungen wahrzunehmen. Siekonzentrieren sich auf mathe-matische Inhalte und gewinnenin vielfältiger Weise Interessean der Mathematik. Ihre Kennt-nisse (über Zahlen, über dasRechnen mit ihnen, über For-men und Körper, über Kombi-natorisches, über wahrschein-lichkeits-theoretische Begriffe)dienen dem kompetenten Ver-halten in der alltäglichen Um-gebung. Hierzu gehört:• die Zahlzeichen und Zahlwör-ter bis zu 1 Million kennenund sie lesen und schreiben

• zählen können (Bestimmungder Mächtigkeiten von Men-gen)

• natürliche Zahlen ordnen• mathematische Grundope-rationen kennen und durch-führen (mündlich, halb-schriftlich, schriftlich)

• Zeitbestimmungen verstehenund anwenden

• Merkmale von Materialienerkennen und benennen:groß und klein, rund undeckig usw.

• geometrische Formen kennenund zeichnen (Vielecke, Krei-se usw.)

• geometrische Körper (Würfel,Quader, Kugel u.a.) und ihreEigenschaften kennen

Kinder:• gehen in Gruppen mathema-tischen Spielen, Tätigkeiten,Aufgaben, Themen und Pro-jekten nach

• sind in der Lage, sich um-gangssprachlich und mitHilfe mathematischer Begriffegegenüber anderen Kindernund Erwachsenen mitzuteilen

• verwenden die passendenTermini und beschreiben undbegründen sinnvoll ihre Re-chenwege in Kleingruppen,in der Partnerarbeit und vorder gesamten Gruppe

• gehen gemeinsam einemmathematischen Problemnach und gelangen zu einerLösung; dabei wenden sieGeduld auf und kommunizie-ren ihre Ideen

• wissen, dass es möglicher-weise verschiedene Lösungs-wege gibt

• kommunizieren Vor- undNachteile der unterschiedli-chen Möglichkeiten

• entscheiden allein, mit demLernpartner oder in der Grup-pe darüber, welche Hilfsmit-tel zum Bewältigen bestimm-ter mathematischer Problemehilfreich sind (Taschenrech-ner, Computer usw.)

• Alltagssituationen enthaltenmathematische Muster sowieBeziehungen und damitmathematische Strukturen

• Alltagssituationen erforderndie Fähigkeit des Zählensund des Rechnens, des Er-kennens von Figuren undihrer Eigenschaften und denUmgang mit Größen; insbe-sondere das Messen und dasUmrechnen von Einheiten

• pädagogisch-didaktischstrukturierte Lernsituationenbieten ausgewählte Bereicheder Arithmetik und der Geo-metrie zum systematischenLernen spezifischer Inhalte

• die Verwendung von Alltags-,Spiel- und didaktischen Ma-terialien betont einerseitsdie haptische Komponentedes Lernens und unterstütztaußerdem die Anschauungund das Verständnis dersymbolischen Ebene

• historische Varianten desZählens, des Messens unddes Vergleichens werden er-kundet und angewandt

• Wandkarten, Atlanten undder Globus dienen dem Ver-tiefen und Systematisierenmathematischer Sachverhalte(Maßstab)

• Computersoftware unterstütztmathematisches Lernen

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Präambel

Musik ist ein bedeutsames Kommunikations- undAusdrucksmittel.

Musik verbindet körpersinnliche und geistige Be-tätigung und ermöglicht ästhetische Erfahrungenauf vielen Ebenen. Jeder Mensch ist mit dem Po-tenzial zum musikalischen Erleben ausgestattet.Über Akkulturation und Sozialisation bilden sichbei Kindern im ersten Lebensjahrzehnt die Grund-lagen zum Musikverständnis heraus. Für die musi-kalische Entwicklung sind die Wahrnehmung, dieBewegung, das Singen, der Umgang mit Instru-menten und Musikmedien besonders wichtig.

Das Reproduzieren, das Improvisieren und Gestal-ten mit Stimme und Instrumenten bieten Hand-lungsfelder, um sich auszudrücken und die non-verbale Kommunikation als Brücke zu anderenMenschen zu nutzen. Querverbindungen zu weite-ren Bildungsbereichen bieten unter anderen die

rhythmisierte und melodisierte Sprache von Lie-dern und Sprechversen, die Visualisierung vonmusikalischen Strukturmerkmalen sowie die Ver-netzungen von Hören, Sehen, Fühlen und Bewegen.

Kontexte musikalischer Bildungsprozesse

Kinder sind schon vor der Geburt von Tönen,Klängen, Geräuschen und Musik umgeben. DieStimme der Bezugsperson, die Geräusche der ver-trauten Umgebung und das Erkunden der akusti-schen Umwelt bieten Geborgenheit und Raum fürdas neugierige Erforschen der Klang-Welt. Klang-lich-musikalische Äußerungen sind je nach Kon-text mehr oder weniger geprägt von Affekt, Vitali-tät, Intensität, Kontur und Zeitverlauf. Das musi-kalische Verständnis der Kinder eilt dem eigenenUmsetzen von Musik weit voraus. Kinder sindangewiesen auf musikalische Impulse durch dieBezugspersonen und setzen diese in eigenes Han-deln um. Das Gurren, Lallen, Plappern, Sprechen

110

2.5 Musikalische Bildung

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und Singen entwickelt sich aus der Nachahmungund den eigenen Erfindungen allmählich zu rhyth-misch, melodisch und tonal gegliederten Sprech-versen und Liedern. Das klangliche Erkunden vonAlltagsgegenständen lässt sich auf Klangexperi-mente beim elementaren Instrumentalspiel in Kin-dergarten, Hort, Grundschule und Musikschule über-tragen. Das Erlernen eines Instruments im Grup-pen- oder Einzelunterricht ermöglicht das Spielvon Kompositionen verschiedener Epochen undMusik-Genres, das Improvisieren in unterschiedli-chen Stilistiken sowie das Erkunden anderer Mu-sikkulturen. Das Singen in einem Chor, das Zu-sammenspiel im Kammermusik-Ensemble, im Or-chester oder in einer Band bietet einen breiten Er-fahrungsschatz musikalischer Kommunikation undAusdrucksmöglichkeiten. Kinder, die kein Instru-ment erlernen, können im Gruppenunterricht einenvertieften Zugang zur Musik über Stimme, Body-percussion, Bewegung, elementares Instrumental-spiel und Visualisierung erlangen. Der Einsatz vonCDs und anderen Musikmedien bietet vertiefendemusikalische Erfahrungen, wenn er fachgerecht er-folgt. Reflexionen der Erwachsenen über die eigenemusikalische Sozialisation und über die musikali-sche Biografie der Kinder helfen, angemesseneBedingungen für individuelle musikalische Bil-dungsprozesse zu finden.

Basale musikalische Bildungsprozesse

Schon vor der Geburt ist das Hörsystem so weitausgebildet, dass Kinder akustische und musika-lische Reize aufnehmen können. Säuglinge verfü-gen bereits über auditive Unterscheidungsfähig-keiten wie hoch-tief, laut-leise, kurz-lang, regel-mäßig-unregelmäßig, sowie sinnvoll gegliedertePhraseneinteilungen-musikalisch nicht sinnvolle

Phraseneinteilungen. Kleinkinder erfassen den Emo-tions- und Ausdrucksgehalt von Musik; sie kön-nen Klangfarben unterscheiden.

Das Singen mit den Bezugspersonen und das Ex-perimentieren mit Klangobjekten und Instrumen-ten lässt sie Geborgenheit erfahren, ermöglichtdie sensomotorische Erkundung der (Klang-) Weltund fördert ihre musikalische Entwicklung. Musikund Bewegung tragen zur vernetzten Verarbeitungvon Sinneseindrücken bei.

Elementare musikalische Bildungsprozesse

Musik ist ein wichtiges Kommunikations- und Aus-drucksmittel im Alltag des Kindes. Sie bietet An-lass, sich zu bewegen, die Stimme zu erkundenund mit Klängen zu experimentieren. MusikalischeLernprozesse verlaufen von Kind zu Kind sehrunterschiedlich. Im Elementarbereich gilt es, sinn-stiftende musikalische Betätigungsfelder anzubie-ten, die den affektiven Bedürfnissen sowie denkognitiven und sensomotorischen Fähigkeiten derKinder gerecht werden. Rhythmen und Melodienwerden von den Kindern als ganze Gestalt erfasst.Beim Aufmalen von gehörten »Rhythmus-Gestal-ten« durchlaufen die Kinder verschiedene Phasender Abstraktionsfähigkeit. Das Lernen von Liedernentwickelt sich erst allmählich bis hin zu einergenauen Wiedergabe der Tonhöhen. Auch die Ent-wicklung eines Tonalitätsgefühls braucht Zeit undmusikalische Erfahrung. Musikalische Prozessekönnen bewusst nachvollzogen und verbalisiertwerden.

Basale musikalische Bildungsprozesse

111

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Primare musikalische Bildungsprozesse

Aus dem Alltagsleben der Kinder ist die Musikkaum wegzudenken. Sie erfüllt viele Bedürfnisse,lässt der Fantasie freien Raum, bietet ein Medium,um sich und seine Gefühle auszudrücken undästhetischen Genuss zu erleben. Neben der Live-Musik spielen die Musik-Medien eine immer grö-ßere Rolle. Die musikalischen Fähigkeiten sindgekoppelt an die Vernetzung emotionaler, geisti-ger und sensomotorischer Vorgänge. Im Rhyth-musbereich lassen sich nun beim Visualisieren vonGehörtem die sogenannte prämetrische und me-

trische Phase beobachten, welche eine hohe Ab-straktionsfähigkeit voraussetzt. Melodien könnenin ihrem Verlauf erkannt und aufgemalt werden,Tonskalen werden bei entsprechender Erfahrungunterschieden. Konsonanzen und Dissonanzen wer-den erkannt, das Interesse und Verständnis fürharmonische Zusammenhänge wächst. Zunehmendbilden sich musikalische Vorlieben heraus.

Musikalisches Können und Wissen werden kom-plexer. Das Nachdenken über Musik und die Ana-lyse musikalischer Vorgänge sind Bestandteil viel-fältiger musikalischer Aktivitäten.

Musikalische Bildung

112

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Tabelle Basale musikalische Bildung

113

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Basale BildungMusikalische Bildung

Auditive Wahrnehmung beginntbereits vor der Geburt. Neuge-borene lassen erkennen, dasssie der Stimme der Mutterbevorzugt Aufmerksamkeitschenken. Die Sprachmelodieist in den ersten Lebensmona-ten dem Inhalt der Sprachevorgeordnet.

Schon Neugeborene könnenregelmäßige akustische Ereig-nisse von unregelmäßigenunterscheiden. Säuglingeerkennen den Unterschiedzwischen kurz-lang und lang-kurz; sie nehmen strukturelleEntsprechungen zwischen vi-suellen, auditiven und taktilenReizen wahr. Dieser Wahrneh-mungstransfer ist Grundlageder Affekt-Abstimmung zwi-schen Bezugsperson undSäugling.

Kommunikation und Interakti-on zwischen Säugling undBezugsperson sind durch dieAbstimmung von Intensitätsni-veau, Zeitmuster und Gestaltbestimmt (z.B. Stimme,Geräusch/Ton/Klang, Bewe-gung, Berührung).

Das Kind sucht die Geborgen-heit in der Begegnung mit derBezugsperson und in der Grup-pe. Ebenso braucht es dengeschützten Raum für neugie-rige Erkundungen der sozialenund materiellen Umwelt. DieBezugsperson nimmt überStimme, Geräusche, Töne,Klänge Kontakt zum Kind aufund lässt sich intuitiv auf eineabgestimmte Kommunikationmit ihm ein.

Sie erkennt die nonverbalenSignale des Kindes und rea-giert auf seine Bedürfnissenach Nähe und Distanz auchim akustisch-musikalischenBereich. Dies setzt Empathieund eine situativ stimmigemusikalische Improvisations-bereitschaft der Bezugspersonvoraus. Sie setzt Stimme, Ge-genstände und Instrumentezur klanglich-musikalischenKontaktaufnahme ein.

Sie nutzt Bilderbücher, Stoff-tiere, Spielsachen und andereRequisiten zur Anregung undals Auslöser für die musikali-sche und bewegungsmäßigeKommunikation mit dem Kind.

Räume, in denen Kinder musi-kalisch tätig sind, benötigeneine gute Akustik (Bewegungenund Schritte sollen keinenLärm erzeugen; Dauergeräu-sche z.B. von Heizungen odervon Klimaanlagen sind eben-so zu vermeiden wie die Lärm-belästigung von draußen oderaus den Nebenräumen).

Geräusche, Klänge, Musikbelästigen andere nicht; Säug-linge und Kleinkinder benöti-gen den vor akustischer Reiz-überflutung geschützten Raumzur Entfaltung ihrer stimmli-chen, klanglichen und bewe-gungsmäßigen Äußerungen.

Der Raum ist bewegungsge-eignet. Die Erkundung klangli-cher Merkmale der Umweltsetzt die Erfahrung der Stillevoraus. Die Bezugspersonenachten auf ein günstiges aku-stisches »Klima« und ermögli-chen den Kindern den explo-rativen und experimentellenUmgang mit Klangmaterialienund Instrumenten.

Tabelle Basale musikalische Bildung

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Musikalische Bildung

114

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Kinder sind umgeben vonGeräuschen, Tönen, Klängen,Stimmen, Musik. Sie erkundenmittels eigener Bewegungenund Handlungen die Klang-möglichkeiten von Gegenstän-den und Materialien. Sie reagieren auf die stimmli-che Zuwendung und Kontakt-aufnahme der Bezugspersonmit eigenen stimmlichen undBewegungsäußerungen.Sprechverse, Lieder undinstrumentale Musik löseneigene Lautäußerungen undBewegungsantworten aus.

In Abstimmung mit der Bezugs-person entsteht zwischen Kindund Erwachsenem Resonanzauf auditiver, visueller, taktilerund kinästhetischer Ebene.Die Bezugsperson bietet struk-turierte Reize an, die das Kindintuitiv sucht und gut verar-beitet.

Das Kind übt in der Begegnungmit der Bezugsperson, mitseiner sozialen und materiel-len Umwelt visuo-motorischeund auditiv-motorische Koor-dinationen. Es hört Lieder,Sprechverse, Musikstücke ineinem Klima der Geborgenheit.Seine stimmlichen Reaktionenund Bewegungsantworten fin-den Widerhall bei der Bezugs-person und werden von ihr ge-spiegelt. Neben der verbalenspielt die nonverbale Kommu-nikation eine herausragendeRolle in der Musikvermittlung.

Die Bezugsperson verfügtüber eigene stimmlich-klangli-che Erfahrungen und drücktsich in Musik und Bewegungstimmig aus.

Noch vor der Entschlüsselungder semantischen Bedeutungder Sprache versteht das Kinddurch Rhythmus, Melodiever-lauf, Dynamik und Artikulationdes Gesprochenen den affekti-ven Gehalt einer Botschaft.

Die Bezugsperson gibt mit derStimme und ihrer Bewegungeine Fülle musikalischer Anre-gungen und Impulse (Dyna-mik, Tempo, Rhythmus, Ton-höhe, Klangfarbe, Artikulation,Phrasierung, Form).

Sie bietet dem Kind geeigneteLieder, Fingerspiel-Verse undKniereiterspiele, improvisierteRhythmen und Melodien zurmusikalisch-bewegungsmäßi-gen Interaktion an.

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Angebot vertrauter, aberauch Neugier weckenderStimm-, Material- und Instru-mentalklänge in einer Atmo-sphäre der Geborgenheit

• Klangangebote zum Wohlbe-hagen des Kindes

• Rahmen bieten für stimmliche,materiale und instrumentaleKlangerfahrungen

• situative Offenheit für dieKlangäußerungen des Kindes

• interaktive, bewegungsorien-tierte Klang-Kommunikation

• kindliche Signale des Unbe-hagens (Lautäußerungen,Bewegungen) bei Reizüber-flutung erkennen

• akustische Reizüberflutungvermeiden

• das Kind beschäftigt sichselbstvergessen mit seineneigenen klanglichen Äuße-rungen und mit den Klängender Umwelt

• Kind und Bezugsperson tretenin Interaktion mittels Stimme,Körperklänge, Instrumental-klänge und Bewegung

• mehrere Bezugspersonenund Kinder erleben Klangund Musik in einer Gruppe(Kind im Parallelspiel nebenanderen Personen; Kind undBezugsperson als Mitgliedeiner Gruppe; Kind nimmt zuden anderen Kindern und zuden Erwachsenen Kontaktauf )

• Klang- und Musikerfahrungenin den Alltag des Kindes in-tegrieren (z.B. bei der Pflegedes Kindes)

• Musik in Verbindung mitdem Anschauen von Bilder-büchern und dem Erzählenvon Geschichten erleben lassen

• Zeit und Empathie für jedeseinzelne Kind haben

• Musik in der Kindergruppeoder in Eltern-Kind-Gruppenso anbieten, dass differen-zierte Klangerfahrungen füralle Gruppenmitglieder mög-lich sind

• eine ausgewogene Balancezwischen angeleiteten, durch-strukturierten Phasen undSettings mit Explorations-,Ruhe- und Ausklangphasenanstreben

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Tabelle Basale musikalische Bildung

115

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• auditive, taktile, kinästheti-sche und visuelle Erkundungvon Alltagsgegenständen,Geräusch- und Klanginstru-menten

• Erkundung unterschiedlicherKlangfarben und Klangmerk-male (z.B. lang-kurz, regel-mäßig-unregelmäßig, hoch-tief, laut-leise durch Stimmeund Instrument/Gegenstand)

• stimmliche Lautäußerungender Bezugsperson in Abstim-mung mit Intensitätsniveauund Zeitverlauf einer Bewe-gung, eines Tanzes erlebenlassen: auf dem Arm schau-keln, »in die Luft werfen«,Kniereiter- und Fingerspieleintuitiv mit der Stimmebegleiten

• Alltagsgegenstände zumMusikinstrument umdeutenund zur rhythmischen oderklanglichen Begleitung vonLiedern nutzen

• körpereigene Klangmöglich-keiten erkunden und in Ver-bindung mit Atemspielen,Sprechversen und Liedernrhythmisch-klanglich einset-zen

• Musik auswählen, die ver-schiedene Stimmungen undVitalitätsaffekte ausdrückt

• Musik mit unterschiedlichenGestaltungselementen(metrum- und grundschlag-gebunden-ohne Metrum;tonal-freitonal)

• das Hinhören (statt Neben-beihören und Weghören) för-dern und feine Unterschiedewahrnehmen lassen

• Geräusche, Töne, Klänge vonAlltagsgegenständen undMaschinen, Natur- undUmweltgeräusche, Tierlaute,die menschliche Stimme,Gesang und Instrumental-klänge, live oder in Verbin-dung mit verschiedenenMedien in der Interaktionmit dem Kind aufgreifen undals Kommunikationsmittelnutzen

• dem freien, explorativenakustischen Spiel des Kindesallein und mit anderen Raumlassen

• Klangäußerungen des Kindesaufgreifen und zu unter-schiedlichen Aktionsformenanregen

• daraus verschiedene Aktivie-rungsketten ableiten (z.B.Exploration – Improvisation– Gestaltung)

• Kontraste als Erlebnisprinzipin der Musikvermittlung ein-setzen, u.a. durch kontrast-reiche Gestaltungsmittel inTempo, Metrum, Dynamik,Klangfarbe, Tonhöhe, Artiku-lation, Klang – Stille

• Unterschiede und Selbstwirk-samkeit erleben lassen

• Gestaltungsmittel tradierterals auch avantgardistischerMusik als eigenes Ausdrucks-mittel im Kontakt mit derBezugsperson erleben lassen

• Spiel mit Instrumenten,Objekten, Alltags- und son-stigen Materialien

• geeignete Alltagsgegenstände,Stofftiere, Handpuppen, Spiel-sachen und ausgewählte Bil-derbücher zur Verfügungstellen

• altersgerechte robuste Per-kussion- und Melodieinstru-mente anbieten (keine aus-einandernehmbaren Kleinst-teile, möglichst mit Händenbespielbar, kindgerechteSchlegel)

• die Ausdrucksvielfalt und dieVitalitätsaffekte des Kindesdurch Lieder, Sprechstückeund andere Stimmäußerun-gen aufgreifen und spiegeln

• vielfältige Erfahrungen vonUrsache und akustischer Wir-kung ermöglichen

• ausgewählte Musik von CDsund anderen Medien anbieten

• Musik mit unterschiedlichenFunktionen (Schlaf- und Wie-genlied/Wiegenmusik, Tanz-lied/Tanzmusik usw.) berück-sichtigen

• Instrumente nicht als chaoti-sches Sammelsurium anbie-ten, sondern methodischsinnvoll auswählen

• Instrumentengruppen wie Me-tallklinger, Holzklinger, Fell-klinger und Shaker möglichstfür alle Kinder anschaffen

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Musikalische Bildung

116

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare BildungMusikalische Bildung

Das Kind erfasst und reprodu-ziert rhythmische und melodi-sche Konturen. Es reagiert aufMusik mit imitierenden, variie-renden und erfinderischenStimm-, Gesangs- und Bewe-gungsäußerungen. Das Kinderfasst den Stimmungsgehalteiner Musik und ist fähig,musikalische Strukturen zuerkennen und wiederzugeben.

Es kategorisiert Umweltgeräu-sche und Musik und drücktsich durch Musik und Bewe-gung aus. Die kognitive Ent-wicklung des Kindes sowieseine ausdifferenzierte Wahr-nehmung ermöglichen diealtersgemäße Reproduktionund Produktion elementarermusikalischer Abläufe. DasKind erwirbt ein Repertoire anLiedern und Sprechversen.

Es begleitet sich und andereauf Perkussion- und Melodie-Instrumenten. Es hat musikali-sche Medienerfahrung und hörtMusik verschiedener Kulturen,Stile, Genres und Epochen.

Neben der Einzelbeschäftigung,dem Parallelspiel und demSpiel in der Gruppe sind aucheinfache musikalische und be-wegungsmäßige Partnerspielesowie das Solospiel möglich.Musikalisches Zusammenspielwird langfristig entwickelt, in-dem die auditive Selbst- undFremdwahrnehmung prozess-haft sowie im Sinne der Selbst-regulation von den Bezugsper-sonen angeregt wird.

Musik wird vom Kind sinnstif-tend, nicht als isolierte Vorga-be erlebt. Altersgemäße Fanta-sie-, Märchen- und Alltagsge-schichten, Bilderbücher, Bewe-gung und Tanz sind Auslöserfür musikalisch-klangliche Aus-gestaltungen in der Gruppe.

Das Kind lässt sich auf struk-turierende Regeln ein, wennes von Musik und Bewegungangesprochen ist. Es genießtKontraste in Musik und Bewe-gung. Die nicht verordneteStille/Pause in der Musik,Klangfarbe, Melodie, Harmonieund Rhythmus erlebt das Kindals Ausdrucksmittel seinerVitalitätsaffekte.

Bewegungsgeeignete Räume,die verschiedene Möglichkei-ten der einfachen Strukturie-rung bieten, sind notwendig:Bewegungsareale, Erzählecken,Fantasielandschaften usw.sind beispielsweise durchDecken, Klebebänder alsRaumzonen kenntlich zumachen.

Der Raum ist mit Klavier,Gitarre und vielfältigen Per-kussions- und Melodie-Instru-menten, Audio- und Video-Medien ausgestattet.

Eine musikalische Bildung derBezugspersonen ist Vorausset-zung für die Gestaltung vonpädagogischen Angeboten imBereich der musikalischen Bil-dung (musikalisches Könnenund Wissen); hierzu gehörtauch die Ausweitung von fach-spezifischen Fortbildungen inden Bereichen Stimme, Musikund Bewegung/Tanz, Perkussi-onsinstrumente, Improvisationmit Objekten und Materialien,Visualisierung.

Tabelle Elementare musikalische Bildung

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Tabelle Elementare musikalische Bildung

117

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Angeregt durch auditive, takti-le, kinästhetische und visuelleReize stellt das Kind eine Syn-chronisation zwischen seinerBewegung und der Musik her,wenn die Bewegungsaufgabenseinen sensomotorischen undkognitiven Möglichkeiten an-gepasst sind. Mit der Stimmereproduziert und produziertdas Kind musikalische Gestal-ten, auch ohne Instrumental-fertigkeiten. Das Hören wirdsensibilisiert und differenziert.

Die Aneignung instrumenten-spezifischer Spielfertigkeitenentwickelt sich allmählichdurch die prozessorientierteAnleitung.

Geeignete Bilderbücher, eigeneund vorgegebene Geschichtenregen zum Singen, zur Körper-perkussion, zum Spiel auf Per-kussion- und anderen Instru-menten an.Imitierendes und entdeckendesMusiklernen, das Nachspielenund Erfinden von Musik bein-haltet sowohl traditionelle,harmonisch-melodisch gebun-dene als auch freitonale undfreimetrische Musik.Zeit, Raum, Dynamik und Formsind wesentliche ästhetischeGestaltungsparameter, die dasKind im sozialen Kontext er-fahren und beeinflussen kann.Die Präsentation von gemein-sam erarbeiteten Musikproduk-tionen wird von den Institutio-nen nicht zur Selbstdarstellungmissbraucht und instrumenta-lisiert.

Eine musikalische Qualifizie-rung der Bezugspersonenwirkt sich bereichernd auf denAlltag des Kindes aus. Eserfährt Musik als selbstver-ständliches Ausdrucksmittelund bekommt durch dieBezugsperson und die ande-ren Kinder Impulse zur musi-kalisch-sozialen Interaktion.

Live-Musik und Musik vonAudio-Medien wie CDs usw.ist zugänglich (Klassik undNeue Musik; Jazz-, Rock-, Pop-musik; Musik verschiedenerKulturkreise; Vokal- undInstrumentalmusik usw.). Das Kennenlernen verschie-dener Instrumentengruppen,Ensembles und Orchester istmöglich.

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote

• Freiraum zum Entdecken vonKlängen ermöglichen; hierbeiberücksichtigen: das Kindvertieft sich beim Entlockenvon Klängen ganz in dieseTätigkeit

• Neugier und Engagiertheitbei der klanglichen Erkun-dung von Gegenständen undInstrumenten nicht durchvorschnelle Aufgaben ein-schränken

• Zeit und Raum des Erkundensje nach Zusammenhang sostrukturieren, dass das Kindneben der ausgiebigen Ein-zelbeschäftigung auch dasSpiel mit anderen Kindernund Erwachsenen sowie dasgemeinsame Spiel in derGruppe als Bereicherungerleben kann

•Angebote, in denen Kindersich in der Gruppe als Verur-sacher von Klängen erleben

•Selbstwirksamkeit erfahrendurch die musikalische Un-terstützung eigener Bewe-gungen

•eigene musikalische Betäti-gung als Impulsgeber fürBewegungsaktivitäten ande-rer erfahren

•Musik in Bewegung umset-zen (und umgekehrt) unddas Wechselspiel von Musik(Stimme, Instrument, CD)und Bewegung erfahren

• in verschiedenen Aktionsfor-men solistisch hervortreten,abwarten und Spannunggenießen, initiativ werdenund sich entscheiden

•verschiedene musikalischeund bewegungsmäßige Inter-aktionsmodi und Spielformen(Alleinspiel, Parallelspiel,Rollenspiel mit wechselndenRollen, Regelspiel usw.) alsBereicherung der Aktionsfor-men untereinander auspro-bieren

•Musik und Bewegung zuHause und in Institutionenkindlicher Bildung

•Musikalische Früherziehungin der Musikschule

•Kooperationen zwischen Pro-fessionellen der musikali-schen Früherziehung, z.B.der Musikschule, und denProfessionellen anderer Ein-richtungen kindlicher Bildung

•Musikraum einrichten, in demdas Kind selbstständig mitKlängen experimentierenkann

•Strukturierung des Musikma-chens in der Gruppe durchBodypercussion, Bewegung,Visualisierung

•Bilderbücher, Geschichtenund nachvollziehbare Regelnfür das Nebeneinander-,Nacheinander- und Zusam-menspiel nutzen

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Musikalische Bildung

118

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Zugang zu den Ausdrucksme-dien Musik und Bewegungdurch verschiedene Aktions-formen vertiefen (wie Aus-probieren, Nachahmen, Erfin-den, Gestalten und Üben)

• Aktionsformen situativ vari-ieren

• senso- und psychomotorischeBedürfnisse, affektive, sozia-le und kognitive Ansprüchedes Kindes in Musik und Be-wegung sinn- und identitäts-stiftend berücksichtigen

• ein breites Spektrum musi-kalischer Betätigungsfelderanbieten

• kontrastreicher und nuan-cierter Umgang mit den Pa-rametern Dynamik, Tempo,Tonhöhe, Klangfarbe, Arti-kulation usw.

• Musik und Bewegung in ihrerWechselwirkung, ihren Ent-sprechungen und Unterschie-den erleben lassen, bewusstmachen und reflektieren

• Unterstützung von Selbst-und Fremdwahrnehmung inder Begegnung mit Musik,Bezugsperson und Gruppe

• Freude an klanglich-musika-lischer Kommunikation undästhetischem Genuss erhal-ten und steigern

• freies Spiel mit Klangmög-lichkeiten der Stimme (z.B.Atemspiele, gleitendes, glis-sandohaftes Einschwingenauf verschiedene Tonhöhen)

• Singen von Liedern undImprovisation von Melodien

• Umsetzen körperperkussiverKlänge und Rhythmen mitPartner und Gruppe

• instrumentale Betätigung(solistisch, mit einem Partnerund in der Gruppe)

• Bewegung und Tanz zu Lie-dern und Musikstücken

Gestaltung von Musik-, Bewe-gungs- und Tanzaufführungen

• Sprechverse und Lieder mitunterschiedlichen Rhythmus-konzepten, Taktarten, Ton-skalen, Begleitungen, Stimm-improvisationen, ausgelöstdurch Bilderbücher, Vorstel-lungsbilder, Bewegung, Diri-gat, grafische Notation

• Rhythmisch-klanglicheSprechsilben auf Bodyper-cussion übertragen

• Bodypercussion-Musterallein, mit Partner und in derGruppe als Begleitung vonLiedern und Sprechstücken

• Klanggestaltung, rhythmisches,melodisches und harmoni-sches Spiel auf Perkussions-instrumenten und Stabspielen

• Live-Musik und Musik vonCDs (verschiedene Epochen,Stile, Genres, Kulturkreise,Besetzungen usw.) hörenund in Bewegung umsetzen

• Bewegung in Musik umsetzen• szenisches Spiel in Verbindungmit Musik

• Verbalisierung von Musikein-drücken

• Aneignung von Musikwissen,abgeleitet aus der Musik-praxis

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Tabelle Primare musikalische Bildung

119

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungMusikalische Bildung

Die Musik spielt im Alltag desKindes eine immer größereRolle. Der selbstständige Um-gang mit den Musikmediennimmt zu.

Musikvorlieben bilden sichheraus und verändern sich.Musik wird häufig über dieMedien, seltener live erlebt.

Die Identifikationsangeboteder Audio-, Video- und Print-medien werden vom Kind u.a.zur stimmlichen und bewe-gungsmäßigen Imitation ge-nutzt. Figurale Musikstrukturenerfasst das Kind und setzt siebewegungsmäßig, taktil oderbildnerisch um. Die wachsendeFähigkeit zur Bewegungsanti-zipation, die beschleunigtemotorische Fehlerkorrektur unddie kognitiven Fähigkeiten er-möglichen das verfeinerte undkomplexere Spiel auf Instru-menten. Die körperperkussiveUmsetzung von Rhythmenwächst mit der Koordinations-fähigkeit zwischen Händenund Füßen.

Bewegungs- und Musik-Timingwerden vom Kind differenzier-ter abgestimmt. KomplexereAufgaben in der Wechselwir-kung von Musik und Bewegungsowie das Erlernen vorgege-bener Bewegungs- und Tanz-elemente und das Erfindeneigener Bewegungen zur Musiksind möglich.

Der Prozess des gemeinsamenMusizierens ist getragen vonverbaler und nonverbalerKommunikation und Interakti-on. Das Kind erfährt den eige-nen Stimm- und Instrumental-klang eingebettet in die Klang-äußerungen der Gruppe.

Es lernt, das eigene Tun alsGestaltungsmittel im Kontextder anderen Beiträge zu ver-stehen. Bei gemeinsamenKlanggestaltungen entwickeltdas Kind Ideen, die es mitanderen Kindern abstimmt,verwirft oder weiterverfolgt.

Musik wird zu verschiedenenGelegenheiten aufgeführt wer-den, z.B. bei Festen, Theater-und Tanzaufführungen, Konzer-ten. Das Zusammenspiel mitanderen gewinnt an Selbst-ständigkeit.

Für ein ungestörtes, vitalesMusikerlebnis sind bewegungs-freundliche Räume mit einerguten Akustik und Ausstattungnötig. Kleingruppenarbeit istin Ausweichräumen möglich.

Die räumlichen Bedingungenlassen Aufnahmen und Live-Präsentationen von Klangge-staltungen, Improvisationenund komponierten Musikstük-ken zu.

Neben einem Arsenal vonKlangmaterialien, -objektenund »akustischen« Instrumen-ten (Small Percussion, Fell-instrumente, Stabspielinstru-mente, Streich- und Zupfin-strumente, Tasteninstrumente,Blasinstrumente usw.) stehenelektronische Instrumente,Computerinstrumente, Audio-und Videomedien zur Verfü-gung.

In einer Mediothek und Biblio-thek informieren sich die Kin-der hörend bzw. lesend überMusik verschiedener Kulturen,Epochen und Genres.

Tabelle Primare musikalische Bildung

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Musikalische Bildung

120

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Eine bewegungsorientierteMusikpädagogik erschließtdem Kind musikalisches Kön-nen und Wissen. Das Kindkann im Einzel- oder Gruppen-unterricht ein Musikinstrumentlernen, aber auch außerhalbdes Instrumentalunterrichtssind vielfältige vertiefendeErfahrungen mit Musik mög-lich. Das Kind lernt die Musikverschiedener Epochen, Kul-turkreise, Genres und Stilekennen. Das bewegungsorien-tierte Musiklernen führt vomfiguralen, impliziten Wissenallmählich zur musikalischenAbstraktionsfähigkeit undintegriert explizites Wissenüber Musik. Das Kind kannsich immer differenzierterdurch Musik und Bewegungausdrücken. Es imitiert, verän-dert und erfindet Musik mitStimme, Perkussion und ande-ren Instrumenten. Es verstehtStruktur- und Gestaltungs-merkmale der Musik.

Das Kind erhält vielfältigeZugänge zur Musik, durch:Besuche von Konzerten, Betei-ligung an Education-Projekten,Besuch von Musikern undKomponisten in der Bildungs-einrichtung. Das gemeinsameMusikmachen und Musikler-nen in der Gruppe wird durchangemessene Aktivitätenunterstützt (differenzierter,aber nicht ablenkender Bewe-gungsvollzug beim Musikhö-ren). Der kritisch-kreativeUmgang mit Audio- undMusikvideo-Medien schließtWissensbestände und Wis-sensaneignung über dieMusik, die Musikszene unddie Musikindustrie ein. Derintermediale Transfer wirddurch das Erfinden von Musikim Zusammenhang mit Szeni-scher Darstellung, Tanz,Videoproduktionen, Hörspiel,Bildender Kunst gefördert.

Der Musikunterricht wird voneinschlägig qualifizierten Fach-lehrkräften erteilt.Die Kooperation mit Musik-schulen schafft zusätzlicheAngebote im instrumenta-len/vokalen Einzel- und Grup-penunterricht, in der Rhythmik(Musik und Bewegung) undder Elementaren Musikpäda-gogik.Die Erzieherinnen und Lehre-rinnen singen im Unterrichtüberzeugend und setzenInstrumente live ein.Vorhandene Ansätze und Kon-zepte aus dem Bereich derRhythmik und ElementarenMusikpädagogik eignen sichu.a. wegen ihrer Methoden-vielfalt und Multimedialität fürden Einsatz in verschiedenenBildungseinrichtungen.

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote

• zu Hause Musik hören, sin-gen, ein Instrument spielen

• im Konzert Musik hören• in der Klasse, in der Gruppeoder im Ensemble die Di-mension des musikalischenZusammenspiels erleben

• im instrumentalen Einzelun-terricht oder im Gesangsun-terricht einen vertieftenZugang zur Musik gewinnen

• Integration sensomotorischer,affektiver und kognitiverAnteile beim Musiklernen

• Klassenmusizieren, Gruppen-improvisation, Partner-, Klein-gruppen- und Großgruppen-arbeit

• instrumentale Spielkreise,Chor, Musikensembles, Bands,Tanz- und Bewegungsensem-ble usw.

• Planung und Reflexion dermusikalischen und bewe-gungsmäßigen Zusammenar-beit im Team (ergänzend zuden interaktiven Konstella-tionen, die in den basalenund elementaren Bildungs-bereichen bereits möglichsind und im Primarbereicherhalten bleiben)

• Einzel- und Gruppenunter-richt (Instrument, Gesang)

• Entfaltungsmöglichkeiten fürpraktische musikalische Akti-vitäten zu Hause und in denInstitutionen kindlicher Bil-dung (Musik hören, singen,Instrument spielen, tanzenusw.)

• Wissensaneignung und Re-flexion über Musik zu Hauseund in den Bildungseinrich-tungen, Musikunterricht ander Grundschule

• Arbeitsgemeinschaften in derGanztagsschule

• Elementare Musikpädagogik/Rhythmikunterricht in derMusikschule

• verschiedene musikalischeAktionsformen situativ an-regen: Exploration, Spiel,Übung, imitierendes undentdeckendes Lernen, Im-provisation und Gestaltungusw.

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Tabelle Primare musikalische Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Gestaltungselemente derMusik wie Tempo, Dynamik,Artikulation, Phrasierung,Tonhöhe, Klangfarbe undForm durch eigenes Musizie-ren und durch Bewegungenzur Musik erfahren

• Rhythmus-, Melodie- undHarmoniegestalten verschie-dener Kulturen, Epochen,Stile und Genres hören,visualisieren und analysieren

• Musik und Bewegung alsAusdrucksmedien verfeinern

• komponierte und improvi-sierte Musik anderer alsästhetische Bereicherungerfahren

• Reflexionen über Musik ver-balisieren

• Wissen über Musik erlangen(historisch, systematisch)

• kritische Auseinandersetzungmit der sozialen, materiellenund medialen (Hör-) Umwelt

• Widerspruch und Resonanzbeim Musikmachen undMusiklernen mit anderenerfahren

• musikalische Improvisationenund Reproduktionen vorge-gebener Musik in der Grupperealisieren

• Musik (akustisch und elek-tronisch/computergesteuert)gemeinsam kreieren und inBewegung umsetzen (undumgekehrt)

• Visualisierung von Musik alsGedächtnisstütze und alsInspirationsquelle im Ensem-ble nutzen

• Tänze und Bewegungsimpro-visationen zur Musik

• textliche, musikalische, sze-nische und Bewegungs-An-regungen aus Alltags- undFantasiewelt der Kinderableiten (z.B. Comic-Hefte,Computerspiele, Kinderbü-cher, Sport, Fernseh- undRadiosendungen, eigeneFantasie-Geschichten)

• Vokal- und Instrumentalmu-sik verschiedener Genres,Epochen, Kulturen, Funktionenaktiv erschließen

• Lieder und Songs verschie-dener Genres, Epochen undKulturen singen

• Kanon und mehrstimmigeLieder singen

• Liedbegleitung auf Percussi-on-Instrumenten, Stabspielenund anderen Instrumenten

• grundschlagbezogene undfreie Improvisationen mitStimme und Instrumenten

• Klangpartituren entwickelnund stimmlich sowie instru-mental umsetzen

• geeignete Instrumentalstückespielen

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Präambel

Künstlerisch-gestaltendes Tätigsein ist ein Grundbedürfnis.

Das Kind nimmt mit allen Sinnen wahr, besondersdas, was ihm nah ist. Mit Bewegung und Wahr-nehmung beginnen Kinder, sich mit der Welt zubeschäftigen; sie begreifen und verändern sie. DieMöglichkeiten des eigenständigen Gestaltens ent-wickeln sich mit den geistigen, körperlichen undsinnesbezogenen Fähigkeiten des Kindes in ver-trauensvollen Beziehungen und in der Auseinander-setzung mit der Umgebung. Eigenen Wahrneh-mungen und Erfahrungen Ausdruck zu verschaffen,ist ein menschliches Grundbedürfnis. Künstleri-sches Gestalten ermöglicht Kindern, ihre Erfah-rungen mit und ihre Sichtweise auf die Welt dar-zustellen.

Kontexte künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse

Die Entwicklung des Denkens und der Wahrneh-mung ist für künstlerisch-gestaltende Bildungs-prozesse grundlegend. Wahrzunehmen und dasWahrgenommene gedanklich zu verarbeiten, be-deutet beispielsweise zu sehen und gleichzeitigdas Gesehene zu interpretieren, zu assoziieren undmit anderen Erfahrungen zu vergleichen. Denn dieWahrnehmungen und deren gedankliche Verarbei-tung begleiten unser Handeln und sind damit füralle Bildungsbereiche relevant. So ist z.B. die vi-siomotorische Koordination, also die Koordinationder Körperbewegungen mit dem Sehen, für diemathematische Bildung bedeutsam. Sie unter-stützt beispielsweise die Fähigkeit, Gegenständein Bezug zur eigenen Person wahrnehmen zu kön-nen. Außerdem wird in künstlerisch-gestaltenden

122

2.6 Künstlerisch gestaltende Bildung

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Bildungsprozessen auch die naturwissenschaft-lich-technische Bildung des Kindes vertieft, z.B.durch den Umgang mit künstlerischen Materialienund Techniken. Hier können die Eigenschaftenvon Gegenständen und Materialien erkundet undausprobiert werden, z.B. Form, Farbe, Größe undKonsistenz. Die Kommunikation über künstlerisch-gestaltende Tätigkeiten und deren Ergebnisse for-dern schließlich das sprachliche Vermögen der Kin-der heraus. Fehlende künstlerisch-gestaltende Er-fahrungen in der frühen Kindheit können deshalbnicht nur bei der Entwicklung eines eigenenästhetischen Urteilsvermögens oder bei der Ent-wicklung eigener Ausdrucksfähigkeit nachteilig wir-ken. Sie können sich vielmehr in allen Bildungs-bereichen benachteiligend niederschlagen.

Basale künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse

Kinder haben das Bedürfnis, sich mitzuteilen, underwarten eine unmittelbare Reaktion. Über denBlick und über den Körper nehmen sie Kontakt zuAnderen auf. Sie antworten mit Lächeln, Gestenund Lauten. Kinder sehen sich neugierig ihreUmgebung an, fixieren Dinge mit den Augen undäußern sich komplex; sie sind z.B. freudig oderenttäuscht. Ebenso signalisieren sie Staunen, Wie-dererkennen oder Langeweile. Früh entwickeln sichGefühle wie Stolz und Scham. Nach und nach kön-nen Kinder dem Blick der Bezugspersonen undderen Interesse an Gegenständen folgen. Sie su-chen selbst den Kontakt, spiegeln sich in denReaktionen und beginnen so ihre Identität zu ent-werfen. Beim Erforschen ihrer Umgebung entwer-fen Kinder Strategien, das Gesehene oder Erfah-rene einzuordnen. Mit ihren visuellen wie psycho-motorischen Fähigkeiten lernen sie mehr und

mehr, in ihre Umgebung einzugreifen. Über dieAuge-Körper-, bzw. Auge-Hand-Koordination diffe-renzieren Kinder ein Raum- und Richtungsver-ständnis sowie die Körperwahrnehmung aus. Ihrsinnliches Interesse am Material führt sie zumBetasten, Befühlen, Schmecken und gleichzeitigemBetrachten der Dinge. Spielt am Beginn noch derMund eine wesentliche Rolle, so übernehmenbald auch die Hände und die Finger die Kontrol-le. Das aufmerksame Sehen wird zum Betrachtenund Beobachten. Hierdurch wird das mimetischeVerhalten möglich; das Spielen und das Auspro-bieren von und das Experimentieren mit allen Ge-genständen, die greifbar sind. Durch Tätigsein, seies Malen, Schmieren, Bauen oder Zerpflücken,sehen und erfahren Kinder, dass sie selbst etwashervorbringen und gestalten können.

Elementare künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse

In selbst gestalteten Bildern oder Objekten zeigtsich die Individualität von Kindern. Gern präsen-tieren sie »Selbstgemachtes«. Häufig erzählen sieetwas zu ihrem Bild oder sie begleiten ihre gestal-tende Tätigkeit sprachlich. Der Übergang zum Spielist dabei fließend. Parallel zu der Versprachlichungvon Wahrgenommenem nimmt das eigene Gestal-ten aus der Vorstellung oder aufgrund von Gefüh-len, Wünschen und Ideen zu. Gesehenes kannselbsttätig eingeordnet, gedeutet und befragt wer-den. Soll sich das Gestaltungsvermögen der Kinderkünstlerisch entwickeln, sind Schablonen undAusmalbilder ebenso wenig gefragt wie dekorati-ve Vorgaben und Aufgaben, um zu »schönen«oder »ordentlichen« Ergebnissen zu gelangen.Ebenso kann es nicht darum gehen, »schöne Bil-der zu fröhlichen Themen herzustellen« oder Raum-dekorationen in dieser Hinsicht zu gestalten. Die

Basale künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse

123

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Erwachsenen haben sich mit ihren vermeintlich gutgemeinten Geschmacksurteilen zurückzuhalten,ebenso mit »kindertümelnden« oder im modischenTrend liegenden Bildern wie z.B. »Mangas« oder»Mandalas«. Es sei denn, die Kinder bringen dieseein. Dann muss mit ihnen auch weitergearbeitetwerden, um sich gemeinsam über spielerische Er-weiterungen von diesen Formalisierungen wiederzu lösen. Naheliegend sind hier zunächst Überma-lungen, Collagen oder Materialmixbilder. Im Mittel-punkt der erzieherischen Bemühungen steht beigestaltenden Bildungsprozessen, nichts zu verhin-dern oder zu blockieren. Die Kinder sollen ihrenFähigkeiten, etwas zu gestalten, zu verändern oderzu malen, vertrauen können.

Die Erwachsenen unterstützen sie in diesemZutrauen. Materialerfahrungen geben Anreize, dieAusdrucksmöglichkeiten zu erweitern, wobei die-ses Material wie in der Bildenden Kunst nicht ein-grenzbar ist. Möglich sind Farbe, Stein, Sand oderSchnee, aber auch Zeitungen, digitale Bilder, Nah-rungsmittel oder Texte, Geschichten und Ideen.Über das bildnerische Gestalten können Kinderlustvoll und freudig ihre Vorstellungskraft entwik-keln. Die Erfahrungen mit Kunstwerken ermögli-chen den Kindern schließlich den Zugang zu

einem sich einlassenden, differenzierteren Wahr-nehmen, Assoziieren und Interpretieren, z.B. aufdie Farben und Formen in der Malerei, auf groß-formatige Fotografien von inszenierten Situationen,Rauminstallationen oder Schriftbänder.

Die Auseinandersetzung mit Werken der BildendenKunst führt häufig auf unbekanntes Terrain, zu neu-en oder fremden Themen. Sie ermöglicht auch un-gewöhnliche, weil immer individuelle Darstellungs-und Sichtweisen, und eröffnet damit das gesamteSpektrum der Darstellung von Gefühlen und Ge-danken sowie deren Uneindeutigkeit und Offenheit.

Primare künstlerisch-gestaltende Bildungsprozesse

Künstlerisches Gestalten ist ein individueller Pro-zess. Die Bilder und Objekte einer Persönlichkeitsind unverwechselbar ihr eigen. Wie in der Hand-schrift zeigt sich auch hier der Umgang mit demMaterial, mit der Wirklichkeit, mit sich selbst. So wieKinder von Anfang an ihre Welt und sich selbstwahrnehmen und interpretieren, so äußern sie sichauch dazu und greifen gestaltend und beschreibendin sie ein. Ihr Material-Interesse führt sie zum Spie-

Künstlerisch gestaltende Bildung

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len, Ausprobieren von und Experimentieren mit al-len Gegenständen, die sich ihnen anbieten. Dieseoffene Zuwendung zu den Dingen gilt es, für daskünstlerische Gestalten zu erhalten, denn prinzipiellkann alles zum künstlerischen Material werden.Unter der künstlerischen Perspektive können dieWelt, die Umgebung, die Dinge anders gesehenwerden, als die Gewohnheit es vorgibt.

Kinder sehen und beobachten fragend. Sie produ-zieren, wenn man ihnen Gelegenheit, Zeit undRaum gibt, von sich aus eigene Bilder oder Gebil-de. Ebenso schauen sie sich gern und aufmerksamBilder an. Dieses selbsttätige Lernen und der kom-munikative Austausch darüber, was z.B. sichtbaroder unsichtbar ist und welche Gedanken undEmpfindungen dabei entstehen oder mit hinein-spielen, führt zum Philosophieren über Bilder, Wahr-nehmung, Kunst usw. Die Bilder der Kinder solltensich auf positive wie negative Gefühle und Gedan-ken, utopische Wünsche oder aggressive Ideen be-ziehen. In diesem Sinne gibt es keine Fehler, diefestgestellt werden könnten, sondern vielmehr Fä-higkeiten, die besprochen und so erweitert werden,dass Sprünge in der Kreativität entstehen. Für dieKinder bedeutet ein so entwickeltes gestalterischesBewusstsein, dass sie Vertrauen in ihre Fähigkeitenhaben, selbst etwas zu machen und eine eigeneSichtweise auf ihre Welt zu haben.

Die Auseinandersetzung mit Kunst fordert denindividuellen Blick. Künstler fordern ihn heraus,wenn sie aus subjektiver Perspektive vielleicht zu-nächst absurd oder abseitig Erscheinendes zei-gen, das aber gemeinsam wahrgenommen einegesellschaftliche Dimension erreicht und damit zuunserer Kultur gehört. Regelverstöße und Grenz-verletzungen sind dabei als produktives Elementzu sehen. In der Gegenwart besteht eine Vielfaltan Materialien und Medien. Kinder machen Seh-erfahrungen in visueller wie in geistiger Hinsichtvon Malerei, Skulptur, Objekt, Video, Fotografie,Installation, Performance, Aktion und insbesonde-re konzeptioneller Kunst sowie vielen weiterenMischformen. Die künstlerischen Grenzen zuanderen Bereichen wie der Natur- und Geisteswis-senschaft, Philosophie oder Musik sind offen.Dies muss sich im Unterricht widerspiegeln.Neben den zeichnerischen und malerischen Fähig-keiten sowie den technischen Fertigkeiten sindauch die Medien und vor allem das Experimentie-ren mit Materialien sowie das konsequente Fanta-sieren bis zum Philosophieren bei der Arbeit derKinder bedeutsam. Im differenzierter werdendenSprechen über Kunst lernen Kinder betrachten,beschreiben und deuten, also das Gesehene ineinen Kontext zu stellen und ihre Umgebunganders zu sehen und neu zu entdecken.

Kolumne

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Künstlerisch gestaltende Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Basale BildungKünstlerisch-gestaltende Bildung

Kinder nehmen ihre Welt undsich selbst von Anfang anüber ihre Sinne wahr. Siebeobachten ihre Welt undnehmen über den Blick undeigene Äußerungen Kontaktzu ihren Bezugspersonen auf.Beim Entdecken und Erforschenihrer Umgebung entwickelnsie Strategien, das Geseheneoder Erfahrene einzuordnenund in die Umgebung einzu-greifen.

Ihr Materialinteresse führt siezum Spielen, zum Ausprobierenvon und zum Experimentierenmit allen Gegenständen, diesich ihnen anbieten. DurchMalen, Zeichnen, Matschenund Bauen erfahren sie, dasssie selbst gestalten, beobach-ten und beschreiben können.

Erwachsene reagieren auf denBlickkontakt und Äußerungenwie Gestaltungen des Kindesund nehmen den Dialog zuge-wandt oder auch im Spiel auf.Sie regen zu gestalterischenHandlungen wie zum gemein-samen Betrachten und Beob-achten, also zum Zuschauen,genauem »Hin-Sehen« an undunterstützen auch das mime-tische Verhalten.

Alle möglichen Materialien,natürliche wie künstliche, vonunterschiedlichster taktilerund visueller Qualität, werdenin das Spiel der Kinder aufge-nommen. Bilder, Bilderbücherund die räumliche wie natürli-che Umgebung werden in denkommunikativen Austauschmit einbezogen.

Damit Kinder Materialerfahrun-gen machen können, brauchensie eine anregende Umgebung,die vielfältige Erfahrungen mitFarben, Oberflächen, Texturen,Utensilien, Werkzeugen usw.enthält. Dazu gehören z.B.auch das Spiel bei der Nah-rungsaufnahme und das Han-tieren mit Alltagsgegenständen.

Kinder beschäftigen sich kon-tinuierlich mit Bildern, miteigenen wie fremden, undbeobachten andere beimkünstlerischen Gestalten. Für Bildbetrachtungen sindebenso ereignisreiche wie stille, konkrete wie abstrakte,farbige, malerische und foto-grafische Bilder vorhanden.

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Kinder erweitern ständig ihreWahrnehmungsmöglichkeiten,indem sie z.B. zunehmend dif-ferenzierter sehen und beob-achten lernen, immer mehreigene Bilder (vom Linien-Knäuel bis zum Kopffüßler)oder Gebilde produzieren undandere Bilder aufmerksamanschauen und beschreibenlernen bzw. sich selbst aufBildern erkennen.

Kinder lernen selbsttätig undteilen sich zunehmend dar-über mit, was sie sehen odergesehen haben und was siedabei denken und empfinden.Sie entwickeln ein Bewusst-sein dafür, dass sie selbstetwas machen, und haben insich das Vertrauen, etwasmachen zu können.

Erwachsene wenden sich denBildern und Gestaltungen derKinder zu, sprechen mit ihnenüber das »Sichtbare« undlassen die Kinder über das»Unsichtbare« sprechen. DasEigene wird gegenüber demAnderen abgegrenzt undUngleiches erkannt.

Gemeinsame Malaktionen stärken das Gemeinschafts-gefühl. Die Kinder lernen beimAustausch von Ideen, im Wei-tergeben und Übernehmenvoneinander. Ebenso lernenKinder, sich über ihre Bilderauseinanderzusetzen, einanderzu helfen und sich helfen zulassen.

Ein vielfältiges, ständig erwei-tertes Materialspektrum wirdangeboten. Alltagsgegenstän-de stehen zum Spielen, zumAusprobieren und zum Unter-suchen bereit. Die Kindergenießen die gemeinsameLektüre oder das Erleben vonBilderbüchern (z.B. von detail-reichen »Wimmelbüchern«neben solchen mit großenund klaren Illustrationen).

Die Bildbetrachtung ist in denTagesablauf eingebunden. DieBilder und Objekte der Kinderwerden ausgestellt und ineigenen »Mappen« gesam-melt.

Tabelle Basale künstlerisch-gestaltende Bildung

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Tabelle Basale künstlerisch-gestaltende Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

Kinder haben:• kontinuierlich die Möglichkeit,ihre Umgebung zu erforschen

• Gelegenheiten, sich in ihren»Lieblings«-Tätigkeiten zubestätigen und auch mitneuen Dingen umzugehen

• die Möglichkeit, sich alleinmit einem Gegenstand aus-einanderzusetzen

• Gelegenheit, sich in Situatio-nen aufzuhalten, die im Hin-blick auf den Aktionsradiusund die Beschäftigungsdauerwenig reglementieren unddennoch sicher sind

• erwachsene Bezugspersonen,die sich auf ein Spiel einlas-sen und sich zurückziehen,wo sie überflüssig werden

Erwachsene vertrauen undachten darauf, dass Kinder:• von sich aus einander beob-achten

• voneinander lernen • sich untereinander akzeptieren• sich verständigen• unterschiedlich mit demMaterial umgehen

• Gelegenheiten haben, ge-meinsam mit anderen Kindernund Erwachsenen Bilder undBilderbücher zu betrachten

• Bilder als Spiel- und Ge-sprächs-«Partner« kennenlernen

• einen Bezug zwischen Bildernund ihrem eigenen Erlebenherstellen

• Materialien werden bereit-gestellt; sie können eherunstrukturiert und auchgruppenspezifisch oder in-dividuell vorsortiert sein

• die Kinder haben genügendFreiraum, Muße und Zeit, umsich ausführlich mit demMaterial zu beschäftigen undzu spielen

• Bilder, Fotos und andereAbbildungen liegen z.B. inBüchern zum mehrmaligenAnschauen bereit

• die Bilder der Kinder werdenausgestellt und gesammelt

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Künstlerisch gestaltende Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Kinder möchten Erwachsenebei alltäglichen Tätigkeitennicht nur beobachten, sondernselbst auch:• entdecken, erforschen, aus-probieren, kennenlernen,nachahmen, mitmachen

• Kinder gestalten, verändernund spielen mit Materialienihrer Umgebung, z.B. ver-schiedene Papiere und Pap-pen zum Malen, Zerreißenund Knistern (Bunt-, Seiden-,Toiletten-, Pack- und Butter-brotpapier usw.); mit großenPappkartons und Papp-schachteln arbeiten; Gummi-bänder, Joghurtbecher, Federn,Korken, Holzklötze, Stöcke,Bretter, Steine, Schnecken-häuser, tote Käfer zum Ge-stalten verwenden; Farbenausprobieren

• Schminkzeug verwenden• die angebotenen Dinge nichtnur als Bastelmaterial, son-dern auch frei verwendenkönnen

• Alltagsgegenstände, die ver-traut oder neu sind, beimExperimentieren einbeziehen(ausrangierte Telefone, Com-putertastaturen, alte Schlüs-sel, Holzlöffel, Schneebesen,Becher oder Bürsten, Maß-band, Nähgarn, Wäscheklam-mern, Handfeger, Taschen,Kissen, Decken, Tücher,Taschenlampen, Knöpfeusw.)

Von einer sicheren Basis ausstarten Kinder ihre Erkundun-gen; sie:• greifen ein • verändern• hinterlassen Spuren• werden auf diese Verände-rungen und Prozesse auf-merksam gemacht

• begegnen der Präsentationvon Bildern und gestaltetenSituationen stets aufmerksamund zugewandt

• erhalten auf Verlangen Hilfe-stellung bei der neuen Hand-habung von Stiften oderformbaren Material wie Knete,Drähten oder Stoffen

• schärfen z.B. durch Spielewie Verstecken ihre Beob-achtungsgabe und gehen aufdie Entdeckungslust andererein

• nutzen allein und mit anderenKindern oder Erwachsenenden Sandkasten und ver-schiedene Wasserstellen

• betrachten Bilder, Fotos usw.alleine und gemeinsam mitanderen und tauschen sichüber das Gesehene aus

• finden allein und zum ge-meinsamen Betrachten Büchervor und haben dazu eineeigene »Lesezeit« zur Ver-fügung

• können den Umgang mitgefährlichen oder spitzenGegenständen unter Aufsichtausprobieren und vertrauendabei auf die Erklärungenvon Erwachsenen und vonälteren Kindern

• bereiten Nahrungsmittel wieObst oder Gemüse, Körnerusw. gemeinsam zu

• untersuchen und verwendenWasser und andere Flüssig-keiten gemeinsam

Die Kinder haben Zugang zu:• verschiedenen Stiften, zuunterschiedlichen Mal- undSchreibutensilien (Bleistifte,Buntstifte, Straßenkreide,Schiefertafel usw.)

• verschiedenen formbarenMaterialien wie Knete, Tonund Sand

• Papieren unterschiedlicherQualität (Packpapier, Mal-und Zeichenpapiere, Tapeten,Zeitungen, unterschiedlicheAlltagspapiere wie Verpak-kungen, Fahrscheine, Rech-nungen usw.)

• unterschiedlichsten Naturma-terialien (Steine, Muscheln,Zweige, Schnecken, verschie-dene Hölzer, Pflanzen, Früch-te usw.)

• künstlichen Materialien mitverschiedenen Eigenschaften(Stoffe, Folien usw.)

• Lichtspielen, Spiegeln, Kalei-doskopen, Lupen usw.

• Bilderbüchern mit dem ThemaFarbe und Farbmischungensowie Kinderbuchliteraturder Gegenwart, die im Illu-strationsstil möglichst unter-schiedlich sind

• Reproduktionen von Grafiken,Gemälden, Collagen, Kupfer-stichen, Mosaiken, Plastiken,Installationen usw.

• Naturräumen, die sehr ver-schiedene Material- undRaumerfahrungen ermögli-chen (Wiese, Wald, See,Meer, Strand, Ufer usw.)

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Tabelle Elementare künstlerisch-gestaltende Bildung

129

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare BildungKünstlerisch-gestaltende Bildung

Im künstlerischen Gestaltenspiegelt sich die Individualitätder Kinder. Mit Lust und Neu-gier entwickeln sie ihre bild-nerischen und gestalterischenFähigkeiten. Gesehenes undErfahrenes wird selbsttätigeingeordnet und interpretiert.Die Kinder vertrauen in dieeigenen Fähigkeiten, etwas zuverändern, um- oder neu zugestalten.

Ihre Ausdrucksmöglichkeitenerweitern sich über das Expe-rimentieren mit Materialien,Techniken und Medien. DieVersprachlichung von Eindrük-ken und das bewusste eigeneGestalten aus der Vorstellungund aufgrund von positivenwie negativen Gefühlen, Wün-schen und Ideen nehmen zu.Parallel dazu lernen Kinderverschiedene Künstler undKunstwerke kennen.

Sie entdecken, dass es in derKunst um Kontexte geht undum Absurdes, um Subjektives,Individuelles, Humorvolles oderauch Bedrohliches.

In der Gruppe werden die un-terschiedlichen Bilder undObjekte verschiedener Kinderbetrachtet und besprochen.

Die Kinder kommentieren ihrMalen, Zeichnen und Gestal-ten und erzählen über undvon Bildern aus den Medien.Dabei stehen beispielsweisedie Verschiedenheit der Bilderund die Akzeptanz einesanderen als des eigenen Bil-des im Vordergrund. JedesKind fühlt sich mit seinemBild oder hergestelltem Objektanerkannt. Gleichzeitig lerntes die Sichtweisen andererkennen und kann vielleichtneue Bezüge herstellen.

Im Mittelpunkt steht das»Sehen lernen« im Sinnekomplexer Wahrnehmung und differenzierter subjektiverInterpretation über genauesBeobachten und Zuhören. Kin-der werden auf diese Weisez.B. darauf aufmerksam, wasandere Kinder über ein Bilderzählen.

Dieses Vermögen zur Nuancie-rung und Differenzierung wirddurch die Betrachtung vonKunstwerken in Katalogen, in Museen oder in Künstler-ateliers erweitert.

Für das künstlerische Gestaltenstehen große, durchgängigeAtelierräume zur Verfügung. Eswird soviel Platz angeboten,dass Gruppenarbeit und Ein-zelbetreuung nebeneinandermöglich sind.

Daneben ist genügend Platz,um beispielsweise Bilder undObjekte eine Zeitlang stehenzu lassen oder um sie in Re-galen zu archivieren. Die Räumekönnen so umgestaltet wer-den, dass auch eine Ausstel-lungssituation entstehenkann.

Außerdem wird ein großerMaterial-Fundus eingerichtet,der über Farben auch Sperri-ges wie Bretter, Stöcke, Fund-stücke usw. bereithält.

Für umfangreichere Projektesteht auch ein geeigneterAußenbereich zur Verfügung.

Tabelle Elementare künstlerisch-gestaltende Bildung

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Künstlerisch gestaltende Bildung

130

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Um die Ausdrucksmöglichkeitenzu erweitern, eignet sich wei-terhin alles als künstlerischesMaterial – nicht nur Farben,Papier und Pinsel. Erlebtwerden können ein Grund-verständnis von Farben undFarbmischungen in den ver-schiedenen Medien (z.B. Mal-farbe, Licht) und das Zeichneneines Menschen. Die Aus-druckskraft von Farben undihre Wirkung auf Stimmungenwerden ebenso ausprobiert wiedas Beschreiben von Formen.

Neben dem freien Experimen-tieren erlernen Kinder Techni-ken wie das Halten von Stiftund Pinsel; das Schneiden mitSchere oder Messer; den Um-gang mit verschiedenen Werk-zeugen. Medienerfahrungenbeziehen sich auf das Bedie-nen von Foto- bzw. Video-Kameras sowie von Computern.

Kinder differenzieren dasSprechen über Bilder aus.Dabei spielt nicht nur dasvisuell Sichtbare eine Rolle,sondern auch Empfindungen,Gefühle, Fantasien, Entdek-kungen, Erlebnisse und Ge-danken fließen ein. Regelmä-ßig werden mit den KindernKunstwerke im Original, inKatalogen oder auch als Posterbetrachtet und die kulturellenund künstlerischen Kontextemit ihnen thematisiert.

Kinder lernen voneinanderund auch von Erwachsenenetwas über Bildinhalte, überkünstlerische Materialien undTechniken, über Farben, überMal- und Zeichentechniken,über Künstler usw. In gemein-samen Projekten, die für Kin-der und für Erwachsene eige-nes Schaffen mit dem gemein-samen Tun verbinden, werdenWissensbestände über Mate-rialien und Techniken sowieFähigkeiten in ihrer kreativenAnwendung bedeutsam. Dieskann in komplexen Projektengeschehen, wie z.B. dabei,eine große Fantasielandschaftzu entwerfen und herzustellen,in der eigentümliche Wesenund Dinge vorkommen und inder Seltsames passieren kann.

Durch das Gespräch über Bil-der lernen die Kinder derenQualitäten zu würdigen, neueBezüge zu anderen Kunstwer-ken, zu den Ergebnissen eige-ner künstlerischer Betätigungoder zu eigenen Erfahrungenherzustellen sowie Unterschie-de zu anderen Bildern zu er-kennen.

Durch Besuche in Museen oderbei Künstlern in ihren Ateliersund an anderen Arbeitsortenlernen Kinder Malerei, Skulp-tur, Installation, Performanceund Aktion als essenzielle Bei-träge zur Kultur kennen undwertschätzen.

In den Arbeits- und Präsenta-tionsräumen ist Zeit zur Be-trachtung von Bildern undObjekten und eine Atmosphä-re der Konzentration, der Muße,der Ruhe oder auch des ge-meinsamen, lauten Agierensgegeben.

Neben regelmäßigen Museums-besuchen werden eigene Aus-stellungen organisiert undKünstler besucht oder eingela-den. Dabei werden verschie-dene Ausdrucksformen undunterschiedliche Materialienkennengelernt. Hierzu zählenunter anderem das großforma-tige Malen, die Performancesowie angrenzende Theaterfor-men einschließlich Maskenbauund Kostümierung.

In solchen Zusammenhängenwerden Überschneidungen mitanderen Bildungsbereichenerreicht; beispielsweise mitder sprachlichen und schrift-sprachlichen, mit der musika-lischen und der gesundheit-lich-motorischen Bildung.

Bei einer experimentellen Vor-gehensweise finden außerdemimmer auch naturwissen-schaftlich-technische sowiemathematische Bezüge Be-rücksichtigung.

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Tabelle Elementare künstlerisch-gestaltende Bildung

131

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Kinder brauchen genügendZeit, Raum und Muße, umsich ihren eigenen Bildern zuwidmen, denn die Bilder ent-falten sich nur in der Ausein-andersetzung mit eigenenEmotionen, Wahrnehmungen,Gedanken und Erfahrungen

• der gestalterische Impulsgeht vom Kind aus und wirdnicht von außen vorgeschrie-ben oder bestimmt

• das Kind erlebt, dass seineBilder und andere künstleri-sche Produkte im GesprächWürdigung und Akzeptanzbei Betrachtern erfahren; espräsentiert seine Bilder undandere Arbeitsergebnissegern und mit Stolz

• Kinder kennen Originale undReproduktionen von Kunst-werken und entwickeln indi-viduelle Vorlieben

• künstlerisches Denken undHandeln hängt eng mit derSprachentwicklung zusam-men, deshalb erfahren Kin-der, dass Sprechen und auchZuhören mit dem Gestalteneng verbunden sind

• Projektarbeit und Bildbe-sprechungen in der Gruppeermöglichen Austausch vonErfahrungen und machen dieBilder bewusst

• die Kinder teilen eigene Ein-schätzungen, Gefühle undIdeen auf ihre Weise mit

• durch die gemeinsame Or-ganisation von Arbeitsstruk-turen, im freien Spiel unddurch gemeinsame gestal-terische Aktionen in Klein-gruppen entwickelt sich dieFähigkeit, sich in einer Grup-pe einem gemeinsamenGestaltungsprozess anzu-schließen

• die Gruppen sollten immerwieder unterschiedlich sein;z.B. entwicklungsgemischtoder geschlechtsspezifisch

• zum künstlerischen Gestaltengehört ebenso Platz wie auchRuhe und Konzentration, aberauch Spiel und Aktion; diesePhasen wechseln je nachKindergruppe

• es entstehen so viele unter-schiedliche und verschiedeneBilder oder Objekte, wie sichKinder beteiligen

• neben Museumsbesuchensollten auch eigene Aus-stellungen organisiert oderKünstler eingeladen undbesucht werden

• auf Festen werden die Kinderals Persönlichkeiten mitihren Bildern und Objektengefeiert

• dem Kind werden individuellzugeschnittene, neue odervon ihm verlangte Arbeits-mittel und Medien bereitge-stellt

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Künstlerisch gestaltende Bildung

132

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Kinder haben vielfältige Gele-genheiten:• unter dem Motto: »Jeden Tagein Bild« ständig auf Papierund Stifte zurückzugreifen

• sich einen eigenen Arbeits-platz einzuräumen, der auchüber längere Zeit Bestandhat

• auf einen großen Material-fundus einschließlich Kunst-katalogen und Bilderbüchernzurückzugreifen und ihn nacheigenen Interessen und Vor-lieben zu nutzen

• regelmäßig fachkundige Ein-führungen in neue und alteTechniken sowie in die Hand-habung von Werkzeugen undMedien zu nutzen, um daseigene Repertoire an Aus-drucksmöglichkeiten zu er-weitern

• viele unterschiedliche Mate-rialien zu gebrauchen, z.B.unterschiedliche Farben inbreiter Palette (Wasser-, Fin-ger-, Plakatfarbe); verschie-dene Papiere und Pappenzum Malen, zum Zerreißenund zum Kombinieren (Bunt-,Seiden- und Packpapier oderPlastik- und Alufolie usw.);große Pappkartons, Schach-teln, und Dosen; unterschied-liche Naturmaterialien sowieWerkzeuge wie Hammer,Messer, Säge, Scheren, Boh-rer und Klebstoffe, Leim undKlebeband

• den Materialfundus frei undselbstbestimmt zu nutzen,d.h. die angeboten Dingewerden frei verwendet, siesind nicht an einen vorge-schriebenen Verwendungs-und Gebrauchszusammen-hang oder an eine konkreteAufgabe gebunden

Gemeinsam mit anderen Kin-dern und mit Erwachsenenhat das Kind Möglichkeiten:• auf eine permanent vorhan-dene Gestaltungszone zu-rückzugreifen (Mal- und Ar-beitstisch, Raum für Projekt-arbeit drinnen und auchdraußen)

• künstlerisch Gestaltetes undkulturell Ausgeformtes zumThema des Nachdenkensund der Diskussion werdenzu lassen

• sich zu Situationen und zuAufgaben ins Verhältnis zusetzen und solche Situatio-nen auch selbst zu initiieren,die zur Ausdifferenzierungder eigenen künstlerischenWahrnehmungs-, Denk- undHandlungsmöglichkeiten her-ausfordern

• das bereitgestellte, selbstgesuchte oder mitgebrachteMaterial zu erkunden und zubearbeiten

• darüber zu sprechen, wie essich beim Betrachten vonBildern und anderen Kunst-werken fühlt, was es denktund assoziiert, und damitnicht nur über die sichtbareSeite künstlerischen Handelnsnachzudenken und zu spre-chen, sondern zunehmendauch deren unsichtbare Seitewie innerpsychische Prozes-se ins Gespräch zu bringen

• »Geschmacksfragen« zu thematisieren, indem ersteErfahrungen zu themen- undmaterialgerechten Gestaltungs-fragen diskutiert werden,zum Beispiel darüber, wasals passend und unpassend,als harmonisch oder störend,als sicher und verstörend,als bekannt oder fremdempfunden wird

Beim Umgang mit künstleri-schen Techniken und Materia-lien:• ist bei thematisch gebunde-nen Vorhaben der Themen-kreis so weit gefasst, dassindividuelle Arbeiten entste-hen können

• lernen Kinder verschiedeneAusdrucksformen kennen; zuihnen gehören beispielswei-se das großformatige Malen,das Gestalten von Miniatur-formaten, die Erarbeitungvon Materialcollagen, dasErkunden und Konstruierenvon Installationen, der Um-gang mit digitalen Bildernsowie mit Farb- undSchwarz-Weiß-Fotos

• sammeln Kinder Primärerfah-rungen, insbesondere imUmgang mit Naturmaterialiensowie im Umgang mit inter-essanten und vielseitigenAlltagsgegenständen, dievertraut sind oder erst er-kundet werden müssen; diessind alle für Kinder ungefähr-lichen Alltagsgegenstände,die ihnen zum Spielen undExperimentieren zur Verfü-gung gestellt werden

• sammeln Kinder Sekundärer-fahrungen, indem sie sichnicht nur mit Originalen,sondern auch mit Reproduk-tionen in Kunstkatalogen undKunstbänden, in Bilderbüchernsowie auf Postern und aufKunstpostkarten usw. aus-einandersetzen

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Tabelle Primare künstlerisch-gestaltende Bildung

133

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungKünstlerisch-gestaltende Bildung

Die Kinder setzen sich zuneh-mend mit ihrer Wahrnehmungund dem Wahrgenommenensowie mit ihren Empfindungenund Gedanken auseinander. Inihren Bildern spielen die eige-nen Fantasien und Vorstellun-gen eine Rolle. Auch die Er-fahrungen mit der medialenund sozialen Umwelt der Kin-der fließen mit ein.

Die Auseinandersetzung mitKunst ermutigt zum eigenenBlick und individuellen Aus-druck, denn in den Werkenvon Künstlern zeigt sich aussubjektiver Perspektive auchzunächst absurd oder abseitigErscheinendes.

Ihren Humor, ob feinsinnig bisderb oder ironisch bis brutal,bringen die Kinder offensivmit ein, ebenso ihre Aggres-sionen oder Ängste, denn inder Bildenden Kunst geht esauch immer um Regelverstöße,um Grenzverletzungen als pro-duktives Element.

In der Bildenden Kunst kannheute alles zum künstlerischenMaterial gemacht werden, nichtnur Farbe oder Holz, sondernauch Alltagsgegenstände, Texte,Handlungen oder Theorien.

In der Gruppenarbeit lernenKinder, ihre eigenen Ideen an-deren zu vermitteln, sie zudiskutieren und sich mit ande-ren über gemeinsam zu be-wältigende Arbeitsschritte ab-zustimmen. Dadurch erfahrenKinder unterschiedliche Per-spektiven (Perspektivwechsel).

Zur Projektarbeit gehört jedochnicht nur die Kommunikationüber gemeinsame Themenfel-der, sondern auch die Organi-sation, Konzeption und Mate-rialbeschaffung oder der Ein-satz von Medien.

Beim gemeinsamen Experimen-tieren werden unterschiedlicheRollen eingenommen und Ver-haltensweisen und Fertigkeitenoder Talente gezeigt, die je-weils ihre individuelle Aner-kennung finden. Durch pro-duktive Auseinandersetzungenmit künstlerischen Technikenund Materialien wird ein ge-meinsamer gestalterischer Pro-zess vorangetrieben, verändertoder beendet.

Entscheidend sind hierbei dieErfahrungen der Kinder wäh-rend des Gestaltungsprozes-ses. Der Fokus liegt im künst-lerischen Gestalten und somitnicht auf dem perfektenArbeitsergebnis, sondern aufden Erfahrungen der Kinderim Arbeitsprozess selbst.

In großen Atelierräumen findenGruppenarbeit und Einzelbe-treuung nebeneinander statt.Es steht ein reichhaltiges undkontinuierlich zu bestückendesMateriallager zur Verfügung(Naturmaterialien, Alltagsmate-rialien, Farben, Papiere, Ton,Stein, Holz usw.) sowie Platz,um Bilder und Objekte eineZeitlang stehen zu lassenoder zu archivieren.

Die Räume sollten so umge-staltet werden, dass auch eineAusstellungssituation entsteht,und sind so ausgebaut, dassauch gemeinsame laute undbewegungsintensive Aktionenmöglich sind.

Um immer wieder eine Atmo-sphäre der Ruhe und Konzen-tration herzustellen, ist eineKunstbibliothek mit einladen-der Sitzgelegenheit und gro-ßem Tisch eingerichtet.

Für größere Projekte oderbildhauerische Arbeiten stehtaußerdem auch ein geeigneterAußenbereich zur Verfügung.

Tabelle Primare künstlerisch-gestaltende Bildung

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Künstlerisch gestaltende Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehen Kindern zu?

Kinder entfalten ihre Aus-drucksmöglichkeiten weiter,indem sie über Wahrnehmungphilosophieren. Dies betrifftnicht nur das Farbensehenoder das Formbestimmen,sondern auch die Eindrücke,die sie von ihrer Umgebung,von Personen oder aus denMedien haben. Hier werdenauch die eigenen Bilder undObjekte einbezogen. Dasbedeutet jedoch nicht, dassjedes Bild einer »Analyse«unterzogen wird. Kinder habentäglich die Möglichkeit zumkünstlerischen Gestalten.

Jedoch bleibt der Umfang, dieIntensität und auch der the-matische Bezug den Kindernüberlassen. Im differenzierterwerdenden Sprechen überKunst, Künstler und Kunst-werke lernen die Kinder beob-achten, betrachten, befragen,beschreiben und deuten. Sieinterpretieren also das Gese-hene und Erfahrene und stel-len es in einen Kontext.

Kinder planen gemeinsam mitanderen Kindern und mit Er-wachsenen Projekte zu künst-lerischen Strategien, zu Künst-lern und zu Kunst- bzw. Stil-richtungen. Dabei lernen Kin-der, untereinander und ge-meinsam konstruktive Kritikzu üben, Erfahrungen austau-schen und sich mit Künstlernund Kunstwerken auseinander-zusetzen. In Projekten und aufErkundungen außerhalb derInstitutionen kindlicher Bildunglernen Kinder Bilder und Skulp-turen aus fremden Kulturenkennen, was sich besondersin Gruppen mit Kindern ausverschiedenen kulturellen Kon-texten anbietet. Kinder sam-meln reichhaltige Erfahrungenbeim Sprechen und Diskutierenüber Kunst und Künstler.

Eigene Bilder und eigene me-diale Erlebnisse begleiten daskünstlerische Gestalten alleinund in der Gruppe und lösenintensive Phasen des Machensab. Kinder sammeln Erfahrun-gen mit künstlerischen Verfah-ren, die Teamarbeit erfordern,wie z.B. das Herstellen großerBauten sowie die Aufnahmevon Videos.

Die Kinder greifen auf einegroße Vielfalt von Medien undMaterialien, auf Strategienund Haltungen zurück, diejedoch durch die Vorlieben,Begabungen und sachlichenPrioritäten der Bezugsperso-nen strukturiert sind. Nebenschulischen Angeboten sindaußerschulische Angebotebedeutsam. Hierzu zählen bei-spielsweise Projekte in Koope-ration mit Museen, Galerien,Künstlern und Kunstvereinen.InstitutionenübergreifendeProjekte leisten zugleich einenBeitrag zur Öffentlichkeitsar-beit der Institution kindlicherBildung, indem Arbeitsergeb-nisse und Reflexionen vonKindern im öffentlichen Raumpräsentiert werden. Übergreifende Kunstprojekteschaffen zugleich Kontakte zuanderen Bildungsbereichen;z.B. zur Sprache, wenn etwaszu »Dada« gemacht wird.

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• es nutzt verschiedensteAngebote zu künstlerischenMaterialien, Techniken undStrategien

• das Kind greift auf Ansprech-partner zurück, die kompe-tent Hilfestellung in selbst-organisierten Lernprozessenund anregende Impulse ge-ben, indem sie z.B. den Blickauf ein Bild erweitern oderneue Materialien anbieten

• Kinder tauschen sich im an-geleiteten und moderiertenGruppengespräch aus

• Kinder erleben gemeinsameAktionen als bereichernd,z.B. Projektarbeit, Präsenta-tionen vor der Gruppe undVorträge

• im Team werden neue Tech-niken ausprobiert, Medienkennengelernt oder neueThemen erschlossen

• die Kinder verhalten sich da-bei ebenso produktiv wie auchrezeptiv; sie werden in beidenAktivitätsformen unterstütztund auch dazu angehalten,»dran zu bleiben«

• großzügig bemessene Räumeumfassen Ateliers mit Lagersowie Materialfundus

• Gruppenarbeiten und Einzel-arbeiten sind nebeneinandermöglich

• Arbeitsprozesse gehen inMuße vonstatten und bietenausreichend Gelegenheit zuindividueller Betrachtungund Reflexion

• Kinder haben ausreichendZeit und Raum zur Verfügung,um (unfertige) Arbeiten stehenzu lassen, zu überdenkenund weiterzuführen

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Tabelle Primare künstlerisch-gestaltende Bildung

135

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Beim künstlerischen Gestaltenwerden Eindrücke anders struk-turiert und führen durch dieseVerfremdung zur Selbst- undzur Welterkenntnis. Zu diesemProzess gehört, dass Kinder:• einen eigenen Arbeitsplatzhaben, über den sie frei ver-fügen und der als Rückzugs-raum zum Arbeiten und Nach-denken geeignet ist

• in Kunstkatalogen, Zeitschrif-ten, DVDs und Videos stöbern,um sich beispielsweise aufdie Spur eines »Lieblings-künstlers« oder eines »Lieb-lingsmotivs« zu begeben

• über diese Möglichkeitenihren individuellen Einstiegin die Kunstgeschichte undin die Gegenwartskunst ge-winnen (z.B. in unterschied-liche Stile und Strategien derMalerei, Grafik, Skulptur undPlastik, Fotografie, Video,Performance, Aktion undInstallation)

• in ihrer alltäglichen Umweltoffen sind für die Suche nachneuen Motiven und geeigne-ten Gestaltungsmöglichkeiten

• mit einem breiten Spektrumvon Farben und Stiften, Pa-pieren und weiteren Materia-lien vertraut sind und sie zurEntwicklung eines eigenenkünstlerisch-gestaltendenAusdrucks auch gebrauchen(z.B. Farben, Materialien,Techniken sowie Medien)

Künstlerisch-gestaltendes Han-deln, gleich ob es produktiveroder rezeptiver Natur ist, istimmer auf den Austausch mitanderen und auf den Rückzugund die Verständigung mit sichselbst angewiesen. Kinder er-fahren:• dass künstlerische Ausdrucks-formen Gegenstand des Nach-denkens sind

• dass andere Kinder und Er-wachsene gemeinsam überkünstlerische Arbeiten undArbeitsprozesse diskutierenund dass sie unterschiedli-cher, aber auch ähnlicheroder manchmal sogar glei-cher Meinung sein können

Kinder: • genießen es, sich mit anderenauszutauschen und Differen-zen bzw. Übereinstimmungenin ästhetischen und künstle-rischen Urteilen festzustellen

• erfahren, dass ihre individu-elle Meinung für andere be-deutsam ist

• wissen, dass Positionen zukünstlerischen Arbeiten undGestaltungsprozessen etwassehr Individuelles sind, underfahren, dass die Meinungenüber Bilder, Plastiken, Instal-lationen usw. immer auchetwas über die Persönlich-keit desjenigen, der sichüber sie äußert, mitteilen

• diskutieren künstlerische Ar-beiten anderer im Wissen umdie eigenen Erfahrungen unddie eigenen Fähigkeiten imUmgang mit künstlerischenMaterialien und Techniken

• gewinnen Selbstvertrauenund entwickeln Stolz in demEmpfinden, dass ihnen etwasgut gelungen ist, und sinddadurch zum Weitermachenmotiviert

Kinder gewinnen individuellekünstlerisch-gestaltende Aus-drucksmöglichkeiten, wenn siein anregenden Umwelten han-deln können. Hierzu gehören:• eine Vielfalt von Alltagsmate-rialien und von künstlerischenMaterialien, von »alten« und»neuen« Medien

• Bücher, Zeitungen, Zeitschrif-ten, Kunstkataloge, Sachbü-cher und Lexika, um Themen,Motive, Künstler und Kunst-stile zu entdecken und siezu einem individuellen Themafür sich selbst zu machen

• Künstler, die eingeladen undauch in Projekte aktiv einge-bunden werden, um dasLehr- und Lernangebot inden Institutionen kindlicherBildung zu bereichern

• Museumsbesuche, Atelierbe-suche und Exkursionen, dieregelmäßig stattfinden undmit Projekten verbundensind

• ausreichend Materialien oderApparate für alle Kinder derLerngruppe sowie technischeMittel, die medienbewussteingesetzt werden

• genügend Raum und Gelegen-heit zum freien Improvisieren

• regelmäßig stattfindende»Bildbesprechungen«

• eigene Ausstellungen undFeste

• ein Atelierraum in der Insti-tution kindlicher Bildung

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Präambel

Sozialität und Kultur bilden den Rahmen, in demsich die eigene Identität entwickelt.Sozialität und Kultur sind die Voraussetzung da-für, dass ein Kind Bilder von sich, von anderenund der Welt entwickeln kann. Dazu gehört, sichselbst in seiner Wirkung auf die Mitmenschen so-wie auf seine Lebenssituation zu erfahren, alsoeine eigene Identität zu erwerben. Identität bein-haltet einerseits, sich als Individuum wahrzuneh-men (personale Identität), und andererseits, sichals Teil der Gesellschaft zu erleben (soziale Iden-tität). Auf dieser Grundlage erfolgt die Auseinan-dersetzung und die Identifikation mit Werten undNormen im Kontext sozialer Beziehungen, wozuauch religiöse Fragen und Antworten gehörenkönnen. Soziokulturelle und moralische Bildungs-prozesse schließen ein, sich zunächst von außen

kommende Anforderungen entsprechend den indi-viduellen Bedürfnissen und Interessen anzueig-nen und damit gleichzeitig so zu werden, wie keinanderer, und zu sein wie jeder andere. Entwick-lungslinien betreffen dann insbesondere:

• die Bedürfnisse – von den physiologischen Be-dürfnissen über die Sicherheitsbedürfnisse, dieBedürfnisse nach Orientierung, sozialem Kon-takt, Liebe und Anerkennung bis hin zu Selbst-findung und Selbstverwirklichung,

• die Emotionen – von den Lust-Unlust-Gefühlenzur Differenzierung der Grundemotionen bis zumErkennen und Verstehen komplexer und wider-sprüchlicher Gefühle einschließlich der Sensibili-sierung für Emotionen (für deren Stabilität, dienotwendig wird, wenn Konflikte und Brüche zuverarbeiten sind, bis zur Kontrollierbarkeit derEmotionalität)

136

2.7 Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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• das Erleben der Körperlichkeit – vom Körper-schema bis zur Geschlechtsidentität,

• die Beziehungsgestaltung – vom frühen Bin-dungserleben im engeren sozialen Bezugsraumder Familie bis zur Fähigkeit, aktiv Beziehungenherstellen, aufbauen und erhalten zu können,Konfliktsituationen zu bewältigen und in Grup-pen Rollenanforderungen gerecht zu werden,

• das Selbstbewusstsein – von der in sozialen Be-ziehungen erworbenen Selbsterkenntnis, eineeigenständige Person zu sein, bis zur stabilenund für Veränderungen offenen Persönlichkeit,die auf Grund des SelbstwirksamkeitserlebensVertrauen in sich selbst gewinnt und das eigeneLeben aktiv gestaltet,

• die Leistungsmotivation – vom Stolz auf jedenProzess und jedes Produkt eigenen Tuns bis zurEntwicklung personaler, sozialer und sachbezo-gener Maßstäbe,

• das Wertebewusstsein – von der Auseinander-setzung und Identifikation mit Werten und Nor-men bis zur Thematisierung religiöser Fragen,die in einstellungsgesteuertem moralischemHandeln wirksam werden,

• die Reflexivität – vom ersten Fragen des Kindesnach dem ›Woher‹ und ›Wohin‹, dem ›Warum‹und ›Wozu‹ seines Lebens über vertrauensbil-dende Grunderfahrungen bis zum bewussten Su-chen nach Antworten auf Sinn- und Deutungs-fragen.

Diese genannten Aspekte sind nicht losgelöstvoneinander, sondern bedingen sich gegenseitig.Identität als Ergebnis soziokultureller Bildungs-prozesse wird in dem Vermögen deutlich, ein insich gefestigtes, aber zugleich nach außen offe-nes Selbst zu entwickeln und zu bewahren(Selbstkompetenz), sowie in der Fähigkeit, sich inInteraktionen einbringen zu können (Sozialkom-petenz). Getragen von einem positiven Selbst-wertgefühl kann Verantwortungsbereitschaft undAchtsamkeit gegenüber sich selbst und der eige-nen Entwicklung, gegenüber anderen Personen,dem engeren Umfeld, der Gesellschaft und derWelt entstehen. Interaktionsfähigkeit zeigt sichz.B. durch Beziehungsfähigkeit, Empathie, Solida-rität und Konfliktfähigkeit. Kinder sind erst dannin der Lage, gemeinsam und solidarisch zu han-deln, wenn sie eigene Interessen wahrnehmen,diese anderen gegenüber ausdrücken und sichentscheiden können. Dazu gehört auch, sich mit

Rollenerwartungen kritisch auseinandersetzen zukönnen – ebenso wie die Fähigkeit, sich in Grup-pen einzuordnen und sich gegebenenfalls durch-zusetzen. Im Prozess der Interaktion entwickelnKinder Verantwortung für sich selbst und für an-dere, Wertschätzung und die Einsicht in Regelnund Normen, wenn sie in subjektiv sinnvollen Zu-sammenhängen erworben werden.

Sich zu einer eigenständigen und kommunikati-onsfähigen Persönlichkeit zu entwickeln, eigeneBedürfnisse und Wirkungen wahrnehmen zu kön-nen, sie formulieren und ausdrücken zu können,sie jedoch auch kritisch hinterfragen zu lernen,gehört somit wesentlich zur Identitätsentwick-lung. Vertrauen in sich selbst zu erfahren, sich alswertvolle und vielseitige Person erleben und ent-wickeln zu dürfen, gelingt vor allem in stabilenund vertrauensvollen Beziehungen. Die Anerken-nung der eigenen Person durch wichtige Bezugs-personen ermöglicht die Selbstwahrnehmung alsaktiver Teil von Beziehungen und Gemeinschaft.Soziale Bindungen zeichnen das Leben eines je-den Menschen von Geburt an aus. Von hier auswird die Welt erfahren und entdeckt. Die Bezie-hungen, in die das Kind geboren wird, ermögli-chen Wege in die Welt und prägen die eigenenWahrnehmungen, Einstellungen und Orientierun-gen. Zunehmend wird in diesen Beziehungen dieaktive Gestaltung übernommen. Das Kind erfährtsich als Teil der Beziehungen und erlernt Rollen inverschiedenen Gruppen: z.B. in Familie, in Nach-barschaft, in Freundschaften. Das Erleben von ver-lässlichen und stabilen Vertrauensbeziehungenermöglicht die Entwicklung von Selbstwirksam-keitsüberzeugungen und unterstützt damit ent-deckendes und neugieriges Verhalten.

Diese soziale Einbindung besteht darüber hinausauch in gesellschaftlichen und kulturellen Kontex-ten. Schon früh werden Formen sozialer Bezie-hungen – wie Freundschaft, Verwandtschaft, Nach-barschaft – erlebt und gestaltet. Kinder lernenbeispielsweise, das Leben als wertvoll zu empfin-den, den anderen und anderes zu achten, Gleich-berechtigung zu gestalten. Hierzu sind Regeln undRituale der Gestaltung von Gemeinschaft erforder-lich. Zugleich wird ein frühes Verständnis dafürerworben, dass Kinder und Erwachsene aus an-deren kulturellen Kontexten andere Antwortenauf Fragen des Lebens finden. Auf diesem Wege

Präambel

137

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lernen Kinder, dass ein wertschätzender Umgangnicht nur mit der eigenen Person, der eigenen Kul-tur und den eigenen Selbstverständlichkeitenwichtig ist, sondern dass dieser Umgang auf allevorfindlichen Formen von Werten, Religiosität,Kultur und Gemeinschaft zutrifft, sofern sie dermenschlichen Würde nicht widersprechen.

Zur Kultur gehören Formen von Sozialität ebensowie Kulturgüter, Sinndeutungen weltanschaulichersowie religiöser Natur, Werte und Antworten aufexistenzielle Fragen, Regeln des Zusammenlebensund das Selbstverständnis der Mitglieder einerGemeinschaft. Kultur stellt also den Orientie-rungsrahmen menschlichen Handelns dar. Wertewerden erfahrbar u.a. in der Art und Weise desUmgangs mit sich selbst, mit anderen Menschensowie mit dem natürlichen und sozialen Umfeld.Die Natur, der eigene Körper, das kulturelle Erbein Musik, Kunst und Wissenschaft, die Religionen,die Sprachen und nicht zuletzt die Menschen,seien sie nun nah oder fern, ähnlich oder ver-schieden, sind für Kinder wie für Erwachsenemehr oder weniger wichtig, können faszinierenoder gleichgültig lassen, machen den Sinn aus,der zum Handeln anregt.

Kinder erfahren sich als Mensch bedingungslosakzeptiert – d.h. unabhängig von Aussehen, Lei-stung, Stärken oder Schwächen – und lernen, sichund andere in ihrer Einzigartigkeit wahrzunehmenund zu tolerieren.

Die Aneignung moralischer Werte hängt von derBedeutung für die eigene Person und dem Wissenüber den Umgang mit diesen Werten ab. Das sub-jektiv Bedeutsame bekommt für Kinder einen per-sonalen Sinn, wenn sie den Bezug zu ihrem eige-nen Leben erkennen können. Wertebewusstseinentwickelt sich besonders dadurch, dass KinderDinge, Menschen und deren Verhaltensweisenwahrnehmen, die sich in ihrer Lebenswelt befin-den und die für sie entwicklungsnotwendig sind.Die Entwicklung verantwortlichen Handelns undmoralischen Urteilens trägt zur personalen Identi-tät in den unterschiedlichsten Interaktionsfeldernsowie sozialen und ökologischen Zusammenhän-gen bei (z.B. Verantwortungsübernahme, Gerech-tigkeit, Vertrautes und Fremdes, Werte und Nor-men, Schutz von Natur und Umwelt). Erwachsenekönnen nicht immer darauf vertrauen, dass ein

Kind von allein sagt oder zeigt, was es zu lernenwünscht, sondern es ist wichtig, ihm dazu auchAnregungen zu geben. Soziokulturelle Bildungheißt demnach, Wissen über einen Sachverhalt zuerwerben, subjektive Sinnzusammenhänge herzu-stellen und die dazu gehörenden Normen desHandelns zuzuordnen. Insofern trägt eine früheaktive Auseinandersetzung mit Phänomenen derNatur, der Mathematik, der Musik, der Kunst, demBereich des Körpers und dessen Gesundheitimmer auch potenziell die Entwicklung eines Wer-tebewusstseins in sich und eröffnet Kindern viel-fältige gestalterische Möglichkeiten.

Kontexte soziokultureller, moralischer undreligiöser Bildungsprozesse

Soziale und kulturelle Bildungsprozesse vollzie-hen sich in den individuellen Lebenssituationen:in der Gestaltung des Alltags sowie in den Festenund Ritualen, die Kinder in der Familie und in ihrenGruppen erleben. Soziale Beziehungen, Freund-schaften, Verwandtschaft, der Kontakt zu wichti-gen Bezugspersonen begleiten das Aufwachsenvon Geburt an. Fragen und Antworten des Lebenswerden sowohl in alltäglichen und beiläufigenSituationen erfahren, als auch in Höhepunkten,die durch Feste markiert sind (z.B. Geburt, Hoch-zeit, Ostern, Weihnachten, Zuckerfest, Pessach,Laubhüttenfest, Channukkha), ebenso wie in be-sonderen Situationen (z.B. Krankheit, Leid, Tod).Sie bilden die Grundlage des Selbstverständnis-ses und des Verständnisses von Welt.

Soziokulturelle Bildungswelten sind zunächst dieFamilie, zunehmend dann die sozialen Gruppen,denen Kinder angehören: z.B. die Kindergemein-schaft bei der Tagesmutter, im Kindergarten, inder Schule, in Freizeitgruppen. Bei der Gestaltungdes Lebens in diesen Gruppen ist es wichtig zuwissen, was gemeinsames Leben ausmachen soll.Dass die Welt aus mehr als den eigenen Sinn- undBedeutungszusammenhängen besteht, erfahrenKinder schon sehr früh. Beispielsweise können inNachbarfamilien andere Sprachen, andere Rituale,andere Religionen als in der eigenen Familie prak-tiziert werden. Die vorhandene Pluralität von Le-bensformen erfordert somit einen aufgeschlosse-nen und wertschätzenden Umgang mit den eige-nen wie mit anderen Formen der Alltagspraktiken

Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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und Wertorientierungen. Dazu gehört, verschiede-ne Werthaltungen kennenzulernen und sich damitauseinanderzusetzen. Das Aufwachsen mit Medien(Bücher, Fernsehgerät, Computer usw.) stellt einbedeutsames Merkmal moderner Kindheit dar. Die»Medienkindheit« erfordert die Unterscheidung vonselbst gemachten Erfahrungen (primäre Bildungs-erfahrungen) und durch Medien vermittelten Er-fahrungen (sekundäre Bildungserfahrungen). Des-halb ist es wichtig, einen kritischen Umgang mit Me-dien und deren Inhalten zu erwerben (z.B. bei Ge-waltdarstellungen). »Neue« Medien eröffnen aberauch neue Wege des Lernens, der Kommunikationund Interaktion, die im Rahmen von soziokulturel-len Bildungsprozessen ebenfalls eine Rolle spielen.

Unterschiedliche sozioökonomische Hintergründeverdienen besondere Aufmerksamkeit, da der Zu-gang zu gesellschaftlichen Ressourcen und zu ge-lingender Bildung stark davon abhängt, ob undinwiefern Kindern Möglichkeiten zur Entfaltungihrer Ressourcen und Potenziale zur Verfügungstehen. Dabei gilt es besonders, einen konstruk-tiven Umgang auch mit Misserfolgen, Enttäu-schungen und Rückschlägen zu erlernen. Erwach-sene tragen dafür Sorge, dass sich trotz solcherFrustrationen jedes Kind über seine Stärken undTalente im Klaren ist. Kinder machen die Erfah-rung, als Teil der Welt etwas bewegen zu können,selbst wirksam zu werden und die Umwelt aktivmit gestalten zu können.

Basale soziokulturelle, moralische und religiöse Bildungsprozesse

Die zentrale Grundlage für soziokulturelle (weltan-schaulich oder religiös geprägte) Bildungsprozes-se ist das Gefühl des Angenommenseins, des sichVerlassen-Könnens, das sich in einer sicheren Bin-dung zur Bezugsperson ausdrückt. Die Emotiona-lität in ihrer Verbindung mit der Bedürfnislage desKindes bestimmt primär das Handeln. In sicherenBindungen erfahren Kinder erste regelhafte Abläu-fe, die sie wiedererkennen. Diese Regeln sind andie Grundsituation gebunden und noch nichtübertragbar. Kinder sind in der Lage, mit ihrenVorerfahrungen neuen Situationen so zu begeg-nen, dass sie damit beginnen, selbst Lösungswe-ge zu suchen. Dabei erleben sie Differenzen inden Bedeutungen, die soziale Partner ausdrücken.Sie erkennen diese und gelangen im Austauschmit unterschiedlich alten Kindern und mit Erwach-senen zu gemeinsamen Bedeutungen. Die Mittelder Verständigung sind zunächst eher nonverbal.Später setzen die Kinder ihre Stimme, erste Worteund auch komplexere sprachliche Äußerungenein, die sie durch ihre Körpersprache bekräftigen.Kinder erleben so ihre Wirksamkeit in einer Situa-tion, erfahren dabei ihre Eigenständigkeit undspüren die Wirkung ihrer sozialen Partner auf sichselbst. Sie beantworten dies primär mit emotio-nalen Reaktionen, verwenden Sprache, um Be-dürfnisse zu befriedigen, zunehmend auch, umandere konstruktiv zu beeinflussen. Gelingt dies,so reagieren sie auf die Umwelt mit Freude. Dabeikopieren Kinder nicht einfach das Vorbild ihrersozialen Partner. Vielmehr entwickeln sie in Aus-einandersetzung mit diesen Partnern ihre eigenenVorstellungen von der Welt, in der sie gemeinsammit anderen leben. Erwachsene und Kinder gebenihnen dabei Orientierungen. Erkennbar wird diesan der Übernahme von Sprach- und Handlungs-mustern, die Kinder in subjektiven Sinnzusam-menhängen verwenden. Sie erkennen die Gefühleanderer und stellen sich darauf ein. NormativeForderungen werden abhängig von der Bedürfnis-lage erfüllt, zunehmend auch von der Reaktionder Bezugsperson abhängig gemacht. Kinder ent-wickeln Vertrauen in die eigenen körperlichenFähigkeiten, und sie sammeln erste Erfahrungendes Rollenhandels.

Basale soziokulturelle, moralische und religiöse Bildungsprozesse

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Elementare soziokulturelle, moralische undreligiöse Bildungsprozesse

Kinder können zunehmend eigene Wirkungen aufsich selbst zurückführen und erwerben die Fähig-keit, über sich selbst und ihre Umwelt nachzu-denken. Neben der nonverbalen ist dies an dieverbale Kommunikation gebunden. Die Spracheermöglicht es, eigene Interessen zu artikulieren,zu differenzieren und zu vertreten. In der Kommu-nikation entwickeln sich auch Selbstwertgefühleauf der Grundlage sozialer Rückkopplungen ins-besondere durch die Wertschätzung von Bezugs-personen. Kinder erfahren Werte, so z.B. denRespekt vor und die Verantwortung für Lebewe-sen, Natur, materielle Dinge und setzen sich mitderen Veränderlichkeit auseinander. Sie erfahren,dass neben Erfolg und Können auch Schwäche,Schuld und Versagen sowie eine Kultur des Ver-zeihens und Versöhnens zum Leben gehören. Solernen sie, sich selbst und andere anzunehmen,weil sie in ihrer Würde als Person geliebt sind. Siekönnen Fehler anderer akzeptieren und eigeneFehler zugeben. Die Kinder sind in der Lage, ent-sprechend ihrer kognitiven Möglichkeiten Erfah-rungen mit sich und der Welt zu reflektieren,indem sie selbst Theorien zu ihrer Erklärung auf-stellen. Kinder lernen zu unterscheiden, wasRegeln des alltäglichen Zusammenlebens und wasgrundlegende Werte sind, die zu ihrer Identitätgehören und das Selbstbild mitbestimmen. Beste-

hende Regeln werden erkannt und neue Regelnkönnen mit anderen Kindern und mit Erwachse-nen ausgehandelt werden. Den flexiblen Umgangmit Regeln erproben Kinder zunächst im Spiel. Sieverstehen die Situationen, in denen sie handeln:die eigenen und die Gefühle anderer werden ernstgenommen. Kinder können Bedürfnisse zurück-halten, wenn dies für sie einen Sinn hat. Sie ent-wickeln ein »Wir«-Bewusstsein und übernehmengern Verhaltensformen von anderen Kindern undErwachsenen, denen sie sich zugehörig fühlen.Gleichzeitig nehmen sie sich als Individuum wahr,das sich von anderen unterscheidet. Im Umgangmit Gleichaltrigen lernen die Kinder, sich abzu-stimmen, sich in andere einzufühlen (Perspektiv-übernahme) und mit unterschiedlichen Erwartun-gen und Regeln umzugehen. Das Zusammenlebenvon Kindern mit unterschiedlichen Entwicklungs-voraussetzungen hat wesentlichen Einfluss aufdie Werteentwicklung, die ein solidarisches Mit-einander garantiert. Die Kinder sind fähig, unter-schiedliche kulturelle Lebenswelten zu erkennen,und wissen, dass sie nebeneinander existieren.Deren Akzeptanz können sie ausdrücken, Ambi-guität (Mehrdeutigkeit) noch nicht immer tolerieren.Sie sind in der Lage, sich mit den Anforderungenan spezifische soziale Rollen auseinanderzuset-zen. Die Kinder erfahren sich in ihrer Leistungsfä-higkeit, nicht zuletzt durch gelebte Partizipation,und lernen so, ihr Leben aktiv zu gestalten.

Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildungsprozesse

Die Kinder verbalisieren ihre Interessen und Be-dürfnisse und erwerben Strategien des Aushan-delns. Sie sind fähig, über sich und ihre soziokul-turellen Bezüge zu reflektieren und sich eine Mei-nung zu bilden. Die Kinder erkennen die objektiveBedeutung normativer Forderungen; sie könnendanach handeln ohne »äußeren Druck«, wenn die-ses Handeln für sie einen subjektiven Sinn hat.Unterschiedliche, einander ausschließende Werteund Interessen sowie die daraus folgenden Hand-lungsmuster werden zunehmend akzeptiert unddamit verbundene Spannungen ausgehalten. In derBegegnung und im gemeinsamen Lernen mit Kin-dern und Erwachsenen, die einen anderen kultu-rellen und weltanschaulichen Hintergrund haben,lernt das Kind, sich mit diesen Themen auseinan-derzusetzen. Es entwickelt eigene Grundhaltungengegenüber der eigenen wie auch gegenüber ande-ren Überzeugungen. Es achtet die Freiheit der Welt-anschauungen, des Glaubens und des Gewissens.Moralisches Handeln orientiert sich an grundle-genden Mustern (wie z.B. Man darf/man soll;gut/böse). Kinder reflektieren Äußerungen und Er-wartungen an sie kritisch und finden Argumentedafür, Gestaltungsspielräume – auch im Rahmensozialer Rollen – aktiv zu nutzen. Sie haben Vor-stellungen darüber, was Freundschaften sind, undbemühen sich darum, diese zu schließen und zupflegen. Mit der sprachlichen Ausdrucksfähigkeitist eine bewusste Wahrnehmung individuellerBesonderheiten anderer Kinder verbunden. Kindervergleichen sich in ihren Eigenschaften, Fähigkei-

ten, Interessen und Handlungsweisen und freuensich über Ähnlichkeiten. So wählen sie auch ihreFreunde aus. Im Übergang vom Kindergarten zur Schule sindsich Kinder bewusst, dass sich die Bedingungenihrer Lebenssituation ändern. Sie haben Vorstel-lungen darüber, dass Bezugspersonen wechseln,befürchten möglicherweise auch, Freunde und Ver-traute zu verlieren. Sie wissen, dass sie neue Lern-inhalte erwarten, und freuen sich darauf, sich denveränderten Anforderungen zu stellen. Das Selbst-bild der Kinder ist durch das Vertrauen in die eige-ne Leistungsfähigkeit und durch Freude am eige-nen Erfolg gekennzeichnet. Das Kind erwirbt nunMaßstäbe, seine schulischen Leistungen zu bewer-ten und zu eigenen Ansprüchen ins Verhältnis zusetzen. Die Kinder wertschätzen jedoch insbeson-dere ihren individuellen Lernzuwachs sowie denanderer Kinder. Dabei gilt das Prinzip, ein Kind nurmit sich selbst zu vergleichen. Die Ziele schuli-schen Lernens entsprechen jedoch in erster Liniegesellschaftlichen Anforderungen, die an das Kindherangetragen und deren Erreichen von ihm aucherwartet werden. Es besteht die Gefahr, durch Miss-erfolgs- und Versagenserlebnisse die eigene Lei-stungsfähigkeit und damit die eigene Person inFrage zu stellen. Aufgabe aller erwachsenen Be-zugspersonen ist es deshalb, Kinder in ihren Fä-higkeiten zu bestärken, sie zu ermutigen und zubekräftigen. Alle Kinder erfahren, unabhängig vonihrer individuellen Leistungsfähigkeit, das gleicheRecht auf Wertschätzung durch andere Kinder unddurch Erwachsene. Auf dieser Basis entwickelnKinder gute Voraussetzungen, um sich den Anfor-derungen des schulischen Lernens zu stellen.

Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildungsprozesse

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Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Basale BildungSoziokulturelle,moralische undreligiöse Bildung

Das Kind erlebt sich als Teileiner Beziehung, nimmt eigeneBedürfnisse und Gefühle wahrund lernt, Grundemotionen zudifferenzieren. FrühkindlichesAutonomiestreben ist Kenn-zeichen dafür, dass sich dasKind als eigenständige Personerlebt. Es kann Gefühle zu-nehmend regulieren, Bedürf-nisbefriedigung aufschieben(Anfänge der Selbstbeherr-schung), und lernt auszuhal-ten, dass eigene Bedürfnissenicht immer erfüllt werdenkönnen.

Eine spezifische emotionaleBindung zur Bezugsperson(sichere Bindung, Vertrauen)wird entwickelt, die Gefühleanderer werden erwidert undSympathie, Hilfsbereitschaft,Mitleid, Zärtlichkeit werden be-kundet. Die Kinder teilen auchKränkung bei Ungerechtigkeitund Stolz bei Lob sowie Zu-neigung, Ärger und Freude mit.Ausgehend von eigenen Ge-fühlen zeigt das Kind Empa-thie. Es kennt verschiedeneBezugspersonen und reagiertdifferenziert auf diese. Fremdeund bekannte Personen könnenvoneinander unterschiedenwerden. Der Kontakt zu Gleich-altrigen wird gesucht.

Kinder verteidigen ihren Be-sitz – sie haben erste Vorstel-lungen davon, was »mein« und»dein« bedeutet. Allmählichbeginnen Kinder, eigene Lei-stungen mit denen anderer zuvergleichen. Es bereitet ihnenFreude, anderen eine Freudezu machen.

Das Kind erlebt eine Umwelt,die sich ihm wertschätzendund wohlwollend zuwendet.Die ersten Bezugspersonengestalten verlässliche und sta-bile Beziehungen, in denensich das Kind aufgehobenfühlt. Gefühlen und Emotionendes Kindes, seinen Bedürfnis-sen und Äußerungen wird Auf-merksamkeit geschenkt undsie werden wohlwollend erwi-dert. Erwachsene und Kindernehmen Äußerungen des Kin-des auf, reagieren darauf undermöglichen so die Erfahrung,Teil einer Beziehung zu sein.Das Kind erlebt, dass Emotio-nen zugelassen und Beziehun-gen verlässlich sind. Kinderwerden in ihrem Tun bestätigtund vergleichende Erfahrungensind für sie möglich.

Beim Übergang von der Familiein eine Institution der kind-lichen Bildung ist es notwen-dig, eine erneute sichere Bin-dung zu den Bezugspersonenaufzubauen. Erwachsene wis-sen, dass frühkindliches Auto-nomiestreben ein wichtiger Ent-wicklungsschritt ist, in dessenVerlauf Kinder lernen, sichselbst Ziele zu stellen unddiese auch zu erreichen. Aufdem Weg zum Ziel unterliegenKinder häufig der Selbstüber-schätzung – eine Tatsache, dievom Erwachsenen berücksich-tigt werden muss. Erste Hand-lungsmuster (Regulationsstra-tegien) werden in Abhängig-keit vom kulturellen Hinter-grund und eigenen Erfahrungenübernommen: z.B. die Art undWeise des Tröstens, aber auchdes Ärgerns.

Ausdrucksweisen und Mittei-lungen gestalten den Umgangmit der Umwelt. Dabei wirddie eigene Person gleichzeitigals Teil einer Beziehung wieauch als eigenständig erlebt.In alltäglichen Interaktionenwerden Bedeutungen zuge-schrieben, die Welt sowieRoutinen des Alltags erfahren.Verbale und nonverbale Aus-drucksmittel für Emotionenwerden vom Kind verstandenund selbst erprobt. Hand-lungsmuster werden in Ab-hängigkeit vom jeweiligen kulturellen Hintergrund undeigenen Erfahrungen über-nommen und bilden die Vor-aussetzung für die Erschließungder Welt.

In alltäglichen Situationen er-fahren Kinder, dass Dingewertvoll sind (z.B. Spielzeugnicht kaputt gemacht werdensoll). So werden bereits frühWerte erfahren und verstanden.Kinder erkennen Äußerungendes Gefühlsausdrucks wieder;zunächst werden passiv einfa-che Emotionswörter verstanden.Allmählich werden diese aktivgebraucht. Das Kind beginnt,über Gefühle nachzudenken(»Bist du traurig?«), und zeigtRespekt gegenüber den Gefüh-len anderer.

Tabelle Basale soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Tabelle Basale soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Das Kind braucht die Erfahrungeiner sicheren Bindung, umvon dieser aus neugierig undaktiv die Welt zu erkunden. Eserfährt körperliche Nähe undfühlt sich durch die Befriedi-gung seiner Grundbedürfnissesicher.

Das Kind braucht berechen-bare und zuverlässige Bezugs-personen, die es in seinenindividuellen Besonderheitenerkennen. Beim »Blick in dieWelt« braucht es (noch) Rück-versicherung. Kinder werdensich ihres Tuns, seiner Wirkungund ihrer selbst bewusst.

Dabei haben sie anfänglichimmer das Vertrauen in denErfolg einer Handlung. Sie orientieren sich am Lustge-winn und an den Folgen, dieeine Handlung für sie selbsthat.

Kinder erfahren das Gefühl,von anderen beachtet zu werden. Hierbei sind sowohlStolz als auch Verlegenheits-reaktionen Ausdruck einesWertbewusstseins. Kinderhaben die Möglichkeit, ihrenKörper durch spielerischen,experimentellen Umgang zuerkennen. Sie werden sich all-mählich geschlechtsspezifischerUnterschiede bewusst undmachen die Erfahrung, alsJunge bzw. Mädchen ange-sprochen zu werden.

Eltern und Geschwister alszentrale Bezugspersonenschaffen eine Atmosphäre, inder das Kind Gegenseitigkeit,Vertrauen und Freude in Be-ziehungen erlebt. Soziale Part-ner zeigen eigene Gefühle,Bedürfnisse und Wünsche. Siegeben dem Kind die Sicher-heit, dass es eigene Gefühlezeigen kann. Sie helfen durchnonverbale Zuwendung undGespräche über Gefühle dabei,dass eigene Gefühle erkanntwerden können. Wichtig sindmehrere Bezugspersonen, dieshilft, das »Fremdeln« besserzu überwinden. Bezugsperso-nen ermöglichen die spieleri-sche Erprobung der Umweltund regen zur Nachahmungan.

Die Aktivitäten der Kinder wer-den wertgeschätzt, ein selbst-ständiges Handeln ermöglicht.Kinder sind in Situationen desalltäglichen Zusammenlebensauch an Entscheidungen be-teiligt. Erwachsene handelnauthentisch, um Kinder zurIdentifikation anzuregen. Mäd-chen und Jungen werden inihrer geschlechtlichen Identitätbestärkt, ohne sie in spezifi-sche Rollenmuster zu drängen(Auch Jungen weinen undMädchen spielen »wild«).

An Rollen gebundene normati-ve Erwartungen betreffen u.a.Formen des Gefühlsausdrucks(z.B. Gesten, die einen Kon-taktwunsch ausdrücken) oderauch die Geschlechterrolle, dieu.a. durch geschlechtsspezifi-sches Spielzeug beeinflusstwerden kann. Das Kind lerntBedeutungszusammenhängezwischen seinem Gefühl undden Ausdrucksmitteln kennen.Die räumlich-materiellen Be-dingungen beeinflussen dieemotionalen Zustände: Licht,Ruhe, Schlaf- und Rückzugs-möglichkeiten, Erholung undEntspannung, gemeinsameMahlzeiten, Zeit füreinanderusw.

Die Bindung an Bezugsperso-nen erfordert kleine Gruppenbesonders in der Eingewöh-nungszeit. Soziale Umgangs-formen und erste Problemlö-sestrategien sind für Kindersichtbar. Erwartungen an dassoziale Verhalten werden ge-stellt, z.B. durch Rituale eben-so wie durch Normen der All-tagsgestaltung. Medien wieBücher, Musik und Computersind als Wege der Weltaneig-nung bereits in den Alltagintegriert.

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Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Kinder erkennen mit Hilfeder Erwachsenen ihre Gefüh-le in emotionalen Situationen

• das Erkennen der Körper-funktionen und deren Be-herrschung macht KindernSpaß und erfüllt sie mit Stolz

• Selbstständigkeit in verschie-denen Bereichen lässt einKind zunehmend autonomhandeln, führt in Anforde-rungssituationen zu Selbst-vertrauen und Unabhängig-keit

• das Kind möchte zunehmendselbst bestimmen

• Gefühlsausbrüche bei Grenz-setzung sind wahrscheinlich

• erste Märchen und Geschich-ten ermöglichen es dem Kind,sich mit den Figuren zuidentifizieren

• Konfliktsituationen beobach-ten und bei Bedarf Hilfengeben

• frühkindlichem Autonomie-streben Raum geben (z.B.Gefühlsausbrüchen); gleich-zeitig erfährt das Kind Gren-zen für sein Handeln

• Märchen und Geschichtenerzählen/vorlesen und damitsignalisieren, dass Erwachse-ne die enthaltenen guten undbösen Handlungen kennenund negative Tendenzennicht tabuisieren

• um Kinder bei der Entwick-lung von Verhaltensformenund basalen Wertorientierun-gen zu unterstützen, sindVideos und Hörmedien weni-ger geeignet, weil der direk-te Kontakt zur Bezugspersonfehlt; sie sind deshalb eherals Zusatzangebote zu ver-wenden

• Sicherheit durch Rituale undGewohnheiten im Tagesab-lauf gewähren: Schlafens-

und Essenszeiten, Begrü-ßungsrituale, Rituale zumSchlafengehen usw.

• Respekt vor den physiolo-gischen Bedürfnissen deskleinen Kindes in der Um-welt, z.B. hinsichtlich derSauberkeitserziehung undhinsichtlich der Funktion des»Nuckels«

• Möglichkeiten eröffnen, mitsich und den Gefühlen um-zugehen, die eigenen Gefüh-le motorisch, stimmlich undsprachlich zu äußern sowiesich über Nähe und Distanzauszudrücken

• Wissen zu spezifischen Ver-haltenserwartungen in geeig-neter Form vermitteln (z.B.gemeinsam am Tisch zu sit-zen erfordert die notwendigeAnzahl an Stühlen für alle)

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Tabelle Basale soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Kinder haben Gelegenheiten,sich an Gesprächen zu betei-ligen

• während des Spielens undGestaltens verleihen Kinderihren Gefühlen freien Aus-druck

• im Spiel werden Als-Ob-Situationen von der Realitätunterschieden

• Kinder nutzen das Spiel, umeinzelne Handlungsabläufeerkannter Rituale und Nor-men zu üben

• Kinder übernehmen besondersgern schon Rollen, die sie inder Realität noch nicht aus-füllen können: z.B. Vater,Mutter, Feuerwehrmann

• Funktionslust der Kinder inallen Tätigkeiten, besondersim Spiel, unterstützen

• Massagen zur Körpererfah-rung

• Gesichter malen, Körperformennachzeichnen

• vielseitige Angebote sinnlicherErfahrungen

• sich selbst im Spiegel erken-nen und Veränderungenbeobachten/vornehmen

• Kinder machen anderen eineFreude

• Kinder übernehmen gernAufgaben, auch solche, beidenen Anstrengung und Be-harrlichkeit notwendig sind

• Kinder stellen Produkte her,die z.B. als RaumschmuckVerwendung finden

• Aktivitäten/Projekte zu unter-schiedlichen Gefühlen undderen Ausdrucksformen, wiesie für die Differenzierungder Grundemotionen (Wut,Trauer, Angst, Fröhlichkeitusw.) gebraucht werden

• in alltäglichen Situationenwird erfahren, dass Andereauch Gefühle und Bedürfnis-se haben

• sensorische Möglichkeitennutzen, um positive emotio-nale Zustände erlebbar zumachen, z.B. beim Wickeln

• Liebkosungen, Hautkontaktein dem vom Kind gewünsch-ten Maß geben

• Beobachten und Verbalisierender Gefühle

• Hochwerfen, Fallen – Auffan-gen, Schaukeln, Fliegen

• Sprechen über emotionaleBefindlichkeiten

• Spiele mit anderen Kindern• Erkundungsspiele• Teilhaben lassen an beson-deren Ereignissen wieFesten, Geburtstagen usw.,diese in geeigneter Weisemit den Kindern vorbereiten

• Kinder suchen Allein- undParallelspiel-Situationen auf

• Kinder haben die Möglich-keit, eigenes Tun mit demder anderen zu vergleichen

• sie erkennen Unterschiedeund ihnen ist es frei gestellt,neue Maßstäbe an sich selbstanzulegen

• ungestörtes Spielen; auchden erkundenden Umgangmit ungefährlichen Dingenaus der Welt der Erwachse-nen ermöglichen

• Erkunden des eigenen Körperszulassen; Verständigung überSignale der Körpersprachemit bekannten Bezugsperso-nen und Fremden interessiertausprobieren

• Einbeziehen in Gesprächs-rituale in bekannten undfremden Situationen/mitbekannten und fremdenGesprächspartnern

• Rituale für Mahlzeiten, Schla-fen und Ruhen/Rückzug,Spielen

• Kuscheltiere/Puppen zumAusleben emotionaler Zu-stände(z.B. der Teddy, dernicht gewaschen werdendarf )

• Medien: Lieder, Märchen, Ge-dichte, Reime, Bilderbücher,die die Gefühlswelt der Kinderdeutlich machen

• Spiegel• Spielsachen zum Auseinan-dernehmen und Zusammen-setzen

• Handlungsfolgen, die zu spe-zifischem Rollenspielwissengehören

• einfache Lieder, Gedichteund Reime zu feierlichenAnlässen, aber auch zu allenanderen Ereignissen, die be-sondere Gefühle der Kinderwiderspiegeln

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Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare BildungSoziokulturelle,moralische undreligiöse Bildung

Das Kind lernt, über eigeneEmpfindungen und Bedürfnis-se zu sprechen. Es erfährteigene Wünsche und Bedürf-nisse, eigene Stärken undGrenzen und nimmt sie an.Ängste, Trauer, Verletzungen,Verluste lernt es einzuordnenund mit ihnen umzugehen.

In Übergangssituationen lerntdas Kind, Abschied zu nehmen,aber auch mit einer positivenGrundhaltung in die Zukunftzu blicken. Geburt und Tod,Trennung, Krankheit und Lei-den werden als Teil des Lebenskennengelernt. Zunehmendkann das Kind seine Gefühlekontrollieren, entsprechendindividueller Besonderheitenentwickelt sich ein differen-ziertes Ausdrucksverhalten.

Es versteht, dass unterschied-liche Gefühle nebeneinanderbestehen und dass diese wi-dersprüchlich sein können.

Ursachen und Konsequenzenvon Gefühlen können verbali-siert werden. Das Kind erkenntden Zusammenhang zwischenWünschen und Emotionen.

Eigene Produkte werden wert-geschätzt, das Kind besitzterste Maßstäbe dafür, ob ihmselbst ein Ergebnis gefällt bzw.ob und wie es im Vergleichmit den anderen seinem Urteilstandhält. Im Handeln stelltsich das Kind Ziele und nimmtErgebnisse vorweg.

Aus Misserfolgen zieht esKonsequenzen für künftigesHandeln. Sachliche Kritik wirdzunehmend akzeptiert, dasInteresse ist vorhanden, einErgebnis künftig »besser« zumachen.

Das Kind beginnt, sich inAndere hineinzuversetzen: Per-spektivübernahme wird mitder Entwicklung der Fantasiemöglich. Das Kind benenntzunächst eigene Gefühle: »Ichbin traurig«, später die deranderen: »Du bist traurig«.Gefühle entstehen nicht nurallein durch die Befriedigungoder Nichtbefriedigung derBedürfnisse, sondern auchdurch die Wertung durchandere: Anerkennung bzw.Missbilligung. Dadurch ent-steht das Gefühl der Verant-wortlichkeit für das eigeneHandeln.

Das Kind lernt, dass der Aus-druck von Gefühlen Anderebeeinflusst und dass mit demäußeren Ausdruck nicht immerauch das innere Gefühl über-einstimmen muss. ErwachseneBezugspersonen fangen dieKinder auf, wenn sie in ihrenGefühlen Hilfe nötig haben –sie stellen nicht sofort eine»Schuldfrage«.

Neben der Geborgenheit undZuwendung entwickeln Kinderein starkes Bedürfnis nachsozialer Wertschätzung, diezunehmend eine Leistungsori-entierung einschließt. Erwach-sene achten darauf, dass sichdas Kind an seinen Stärkenorientiert und darauf aufbau-end ein positives und gleich-zeitig realistisches Selbstbildentwickelt, so dass erfolgsmo-tiviertes Handeln ermöglichtwird.

Kinder brauchen den Kontaktzu Kindern mit unterschiedli-chem Entwicklungsniveau wieauch zu Kindern, die einenähnlichen Entwicklungsstandhaben.

Das Kind weiß um Normen(z.B. es ist schlimm, anderenwehzutun), kann aber aktuellstarke Gefühle noch nicht im-mer der willentlichen Steue-rung unterwerfen. Kinder ken-nen neben den Grundemotio-nen auch komplexe Emotionenund wissen, dass Gefühle sichändern können. Sie differen-zieren sicher, ob es einem an-deren gut oder nicht gut geht.Dabei gilt die Norm: »AlleGefühle sind erlaubt, abernicht alle Verhaltensweisen«.

Mädchen und Jungen wachsenin die sie umgebende Lebens-welt hinein, indem sie sichderen Werte erschließen undeinen persönlichen Bezug da-zu herstellen. Sie festigen da-bei ihre Kenntnisse in ver-schiedenen Bereichen und er-fahren, dass kulturelle Güterden Menschen Nutzen, Freudeund Hilfe bringen.

Sie erfahren, dass sich darinauch das Wissen der Menschenwiderspiegelt, die früher gelebthaben, dass sich Menschendafür angestrengt haben unddass das Vorfindbare ge-schützt und geachtet wird. Sieerfahren gesellschaftlicheWertmaßstäbe und gültigeNormen des Zusammenlebens,die durch Rituale, Feste undAlltagsroutinen in die Lebens-gestaltung aktiv einbezogensind.

Die Übergänge von zu Hausein die Institutionen kindlicherBildung und von dort in dieSchule stellen Übergangssitua-tionen dar, für die das KindBewältigungsstrategien erwer-ben muss. Damit verbundenist das neue Rollenbewusst-sein als »Kindergartenkind«bzw. als »Schulkind«.

Tabelle Elementare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Tabelle Elementare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Elementare BildungSoziokulturelle,moralische undreligiöse Bildung

Kinder sind zunehmend in derLage, eigene Meinungen nichtnur zu äußern, sondern auchzu vertreten und aktiv in Ent-scheidungsprozesse einzubrin-gen.

Sie sind bereit, Mitverantwor-tung zu tragen, und zeigenAutonomie in der Übernahmevon Aufgaben und der Reali-sierung eigener Vorhaben.Kinder unterscheiden zunächstfür eigenes, dann für das Ver-halten anderer, ob es absicht-lich oder unabsichtlich war. Sie beurteilen, ob etwas gutoder nicht gut ist, und orien-tieren sich dabei noch vor-wiegend am Vorgelebten imsozialen Umfeld. Mit der wach-senden Fähigkeit, bei sichund anderen Eigenschaftenfestzustellen, wächst diebegründete Suche nachFreundschaften.

Jungen und Mädchen habenein relativ gefestigtes Ge-schlechtsrollenbewusstseinund verbinden es mit speziel-len Verhaltenserwartungen.

Sie wissen, dass es unter-schiedliche Umwelten gibt unddass dadurch die Lebensver-hältnisse von Kindern undFamilien verschieden seinkönnen.

Die Kinder haben Vorstellungendavon, was von ihnen in be-stimmten Situationen und inder Übernahme spezifischerRollen erwartet wird. Sie ent-wickeln zunehmend eine eige-ne Haltung dazu (z.B. machtdas Abwaschen mit drei Jah-ren wesentlich mehr Spaß alsmit sechs).

Unter Gleichaltrigen befindensich die Kinder auf gleicherEbene. Sie lernen Konflikteauszutragen, Kompromisse zuschließen, kooperativ zu han-deln, zu argumentieren, sichdurchzusetzen.

Wettbewerb und Leistungsver-gleich sind möglich. Freund-schaften suchen Kinder gezielteher unter Gleichaltrigen. DerKontakt zu jüngeren Kindernist wichtig für die Entwicklungvon Toleranz und Rücksicht-nahme, die Kinder erfahren,dass sie Vorbild sein und Hilfegeben können. Im Kontakt zuälteren Kindern haben Kinderdie Möglichkeit, sich mit ihnenzu identifizieren.

Erwachsene achten darauf,dass diese vielfältigen Kontak-te unter den Kindern ermög-licht werden. Das ist insbe-sondere für Kinder z.B. mitBehinderungen, mit Hochbe-gabung oder Migrationshinter-grund wichtig. Auf dieser Basisist die Entwicklung von Kinder-freundschaften gegeben, diegegenseitige Wertschätzungund Achtung einschließen. Einvorurteilsbewusster Umgangmiteinander schützt die Kindervor Diskriminierung.

Erwachsene sorgen dafür, dassdie Kinder ihr kulturelles Um-feld erschließen, und suchengezielt nach Möglichkeiten,dass sie darüber hinaus not-wendige andere Erfahrungenmachen (z.B. Stadtkinder er-fahren das Leben auf demLand).

Bewältigungsstrategien sindebenfalls notwendig für denUmgang mit Niederlagen undVersagenssituationen, z.B. mitTod, Verlust, Angst, Trennungund Krankheit.

In der Verantwortung für Tieresetzen sich die Kinder gleich-zeitig mit dem Unterschiedzwischen Menschen und Tierenauseinander.

Bildungsorte sind Orte desgemeinsamen Lernens. Dasdrückt sich in offenen Organi-sationsformen der Institutionenkindlicher Bildung aus. Kinderlernen, mit gefahrvollen und/oder Angst auslösenden Situa-tionen der Lebenssituationinsgesamt umzugehen. Siekönnen Regeln aushandelnund deren Einhaltung kontrol-lieren.

Durch das gemeinsame Han-deln der Eltern und Erziehererwirbt das Kind – aufbauendauf dem emotional gestütztenUrvertrauen – erste inhaltlicheEinstellungssysteme, die seinHandeln spezifisch charakteri-sieren. Dies zeigt sich z.B.durch die Herausbildung be-sonderer Stärken und Interes-sen und auch im Leistungsver-halten.

Die eigene Familie ist für dieKinder bewusst, sie kennenihre Mitglieder und könnenüber sie erzählen. Sie wissen,wo sie wohnen und was imnäheren Umfeld für sie wichtigist.

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Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

148

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Wichtig ist eine Atmosphäre,in der das Kind seine Gefühlezeigen kann und im Umgangdamit Orientierungen erhält.Wertschätzung und Verständnisfür die emotionale Situationmotivieren das Kind, entspre-chende Handlungsmuster zu-zuordnen und damit zu lernen,Gefühle zu kontrollieren stattzu unterdrücken. Das Kindkann sagen, wenn es nacheiner Anstrengung Erholungbraucht.

Mädchen und Jungen erleben,dass sie Fehler machen dürfen,sie erfahren, dass ihre Stärkenbeachtet werden und ihnen zu-gestanden wird, nicht überallgleich »gut« sein zu müssen.Es ist wichtig für das Kind,dass es erfährt, auch in schein-bar ausweglosen SituationenKraft und Stärke zur Verände-rung zu finden. Es übernimmtVerantwortung und sucht beiSchwierigkeiten zielstrebig undbeharrlich nach Lösungen.

Kinder fühlen sich in gelebtenkulturellen Traditionen gebor-gen und nehmen aktiv Anteilan deren Gestaltung (z.B. Jah-reskreise, Feste, Rituale). Siesind stolz auf die eigene Fa-milie und erzählen über sie,z.B. über die Berufe der Eltern,die Hobbies, Ereignisse, die inder Familie bedeutsam waren.

Kinder bringen wesentliche»Werthaltungen« von zu Hausemit. Hieran anknüpfend ist ge-meinsames Handeln wichtig.Die Kinder sind in der Lage, dieBedeutung gemeinsam aufge-stellter Regeln zu benennenund sich danach im Handelnzu richten. Zunehmend ist esden Jungen und Mädchen mög-lich, eine kritische Distanz zuden Dingen und Verhaltens-weisen anderer einzunehmen.

Das Kind braucht Hinweisedarauf, dass sein Handeln Fol-gen für andere hat (z.B. Habeich den anderen verletzt?Habe ich ihm eine Freude ge-macht?). Das Kind fühlt sichzunehmend für sein Handelnverantwortlich und kann all-mählich einschätzen, wenn esandere verletzt. Es lernt, sach-liche Kritik zu akzeptieren undFehler einzugestehen. DemBedürfnis nach vielfältigensozialen Kontakten wird ent-sprochen. Die Rollenübernah-me in der Gruppe fördert dasGefühl der Gruppenzugehörig-keit, Verantwortungsbereitschaftund die Identifikation mit denWerten, die in der Gruppe gel-ten. Dabei identifiziert sichdas Kind sowohl mit Erwach-senen als auch mit Kindern.

Mit der Integration in dieGruppe erlebt das Kind, dasses durch gegenseitige Unter-stützung und Aufgabenteilungerfolgreich handeln kann.Regeln und Normen desZusammenlebens werdengemeinsam festgelegt. Dabeispüren die Kinder, dass ihreMeinungen und Gefühle ernstgenommen und berücksichtigtwerden. Im Zusammenlebenwird darauf geachtet, dasssich alle Kinder an Entschei-dungen beteiligen und sieanteilig Aufgaben übernehmen,die zum Gelingen der Lebens-gestaltung beitragen. Individu-elle und kulturelle Unterschiededer Kinder werden thematisiertund auch dann nebeneinanderstehen gelassen, wenn siescheinbar unvereinbar mitein-ander sind.

Der Platz in der Geschwister-reihe, die Rolle in der Kinder-gruppe beeinflussen die emo-tionale Entwicklung. Kontaktezu Gleichaltrigen, aber auchzu Kindern unterschiedlichenAlters unterstützen die Fähig-keit zur Perspektivübernahme,auch in außerfamiliären Lern-orten, wie z.B. im Kindergarten.

Die Art und Weise des Zusam-menlebens in der Gruppe be-tont Werte, die das konkreteHandeln leiten und die durchGruppennormen die Art derGefühlsäußerungen beein-flussen.

Das Erschließen des näherenUmfeldes mit den kulturellenund sozialen Besonderheiten(z.B. Straßen, Plätze undSpielplätze, Kirchen, Museen,Denkmäler, Parks, Post, Spar-kasse, Bäcker, Schule, Zoo-schule, Friedhof ) vermitteltden Kindern notwendiges Wis-sen über ihre Umwelt.

Die Vermittlung von Kenntnis-sen über und die Kontaktauf-nahme mit anderen Herkunfts-kulturen, ihren Traditionenund Lebensweisen förderteinen wertschätzendenUmgang mit anderen Alltags-praktiken und Lebensentwür-fen als den je eigenen.

Kinder haben Gelegenheit, sichals Jungen und Mädchen zuidentifizieren, ohne auf spe-zielles Verhalten festgelegt zuwerden. Die Kinder kennenunterschiedliche Märchen undGeschichten, die sie wieder-holt hören, erzählen odernachspielen wollen.

Die Welt der Medien ist fürKinder ein selbstverständlicherTeil ihres Alltags.

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Tabelle Elementare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

149

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Sie lehnen begründet Forde-rungen ab und setzen sichaktiv für die Realisierung eige-ner Ziele ein. Dabei vollziehtsich ein Prozess der Ablösungvom egozentrischen Handelnzum Abstimmen eigenerBedürfnisse und Interessenmit denen der anderen.

Die Partnerschaft zwischenden Eltern und den Einrich-tungen kindlicher Bildung er-möglicht es, die dort vorfind-baren sozialen und materiellenBedingungen im gemeinsamenHandeln zu berücksichtigen.Kinder erleben sich in ihrensozialen Bezügen und werdenim jeweiligen Rollenverständ-nis unterstützt. Sie erlebeneine positive Streitkultur.

Durch Bewegung im Freien,Spaziergänge sowie durch dieBeobachtung von Tieren undPflanzen erfahren Kinder dieEinzigartigkeit der Umwelt.Der Wandel der Natur imLaufe der Jahreszeiten weckterste philosophische Fragennach dem Lauf des Lebens,nach Werden und Vergehen,nach Endlichkeit usw.

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Gespräche über Gefühle infreudvollen, aber auch bela-stenden Situationen führen

• Nachdenken über eigeneGefühle anregen mit demZiel, sie kontrollieren undregulieren zu können

• Bewältigungsstrategien fürVerlust, Versagen und Trauererwerben

• Konflikte als mit widerstrei-tenden Gefühlen verbundenreflektieren

• Konfliktbewältigung erleben• in Gestaltungs- und Entschei-dungsprozesse einbezogensein

• sich in der Gemeinschaft auf-gehoben fühlen

• Leistungssituationen erfahrenund bewältigen

• Situationen aufsuchen, indenen Ziele beharrlich ver-folgt, Ausdauer gezeigt undbei Widerständen nicht auf-gegeben wird

• eigene Wünsche äußern,Meinungen begründen

• Gerechtigkeit erleben • Situationen aufsuchen, diePflichterfüllung und Verant-wortung für eine Sacheoder/und das soziale Umfeldbeinhalten

• das konstruktive Streiten inspielerischen und in anderenalltäglichen Situationen lernen

• Konflikte allein und mit derHilfe anderer Kinder und auchErwachsener konstruktiv lösen

• in Rollenspielen Gefühleerleben, ausleben und sichdabei auch an Inhalte undRollen binden

• in Regelspielen gewinnenund verlieren

• Partizipation leben• Gruppenerlebnisse schaffen• Achtung der Individualitätjedes Kindes und gegensei-tige Achtung der Gefühleanderer

• Integration aller Kinder indie Gruppe, z.B. Kinder mitBehinderungen oder Ent-wicklungsverzögerungen,Kinder mit Hochbegabung,Kinder mit Migrationshinter-grund

• Kennenlernen von Menschenverschiedener kultureller,religiöser und weltanschauli-cher Hintergründe

• Respekt vor anderen Kulturen• Thematisierung der InstitutionFamilie

• Entdecken verschiedener For-men familiären Zusammenle-bens

• soziale Beziehungen durchfreundliches Miteinander, ge-genseitige Hilfe und Rück-sichtnahme pflegen

• Emotionen durch Mimik undGestik, durch Stimme undSprache ausdrücken, erkennenund interpretieren

• Strategien zur Spannungs-und Emotionsregulation

• Orte und Rituale zur Ent-spannung bewusst einsetzen

• Regeln zur Konfliktbewälti-gung kennen

• Signale für gefahrvolle Situa-tionen erkennen lernen

• Bereitstellung unterschiedli-cher Spiel- und Aktionsräume

• Besuch von Synagogen, Kir-chen, Moscheen

• gezielt Lernorte im soziokul-turellen Umfeld aufsuchen:landwirtschaftliche Betriebe,Geschäfte, Bäckereien, Fabri-ken usw.

• Nutzung von Straßenbahnund Zug als Alternative zumAuto

• Kinder vom Land lernen dieStadt kennen und umgekehrt

• Pflegen von regionalen undlokalen Traditionen ebensowie die Pflege von Traditio-nen der Herkunftskulturenanderer Kinder in der Gruppe

• Einbindung der Institutionkindlicher Bildung in Feste,Feiern und andere öffentlicheAnlässe vor Ort und in derRegion

• Öffentlichkeitsarbeit bzw. Ge-meinwesenorientierung beiProjekten, Erkundungen usw.

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Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

150

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

Die konkreten Angebote be-ziehen sich auf die Lebenssi-tuation und die Eigenthemender Kinder. Mögliche Fragenund Themen hierbei könnensein:• Meine Eltern lassen sichscheiden.

• Ich bekomme ein Geschwi-sterchen.

• Warum bin ich ein Junge?• Lisa lässt mich nie mitspielen.• Unsere Erzieherin ist sehrkrank.

• Gibt es einen Gott?• War ich auch in Muttis Bauch?• Die anderen lachen mich aus.• Was ist eine Oper?• Kann ich in die Schule kom-men?

• Ich trau mich etwas nicht.• Ich will Krankenschwesterwerden.

• Ist das viel oder wenig Geld?• Was machen wir mit demMüll?

• Ich möchte euch was erzählen!

Im Kontext solcher Fragen undThemen können Kinder ihresprachlichen Ausdrucksmög-lichkeiten ausdifferenzieren,z.B. durch:

• Kontakte zu Personen, dienicht in den Kreis der näch-sten Bezugspersonen gehören

• das Kennenlernen der Kinderund Erzieher, Küchenfrauenusw. in der Institution früh-kindlicher Bildung

• das Kennenlernen verschie-dener Berufe, mit denen dasKind im Alltag konfrontiertwird (Arzt, Krankenschwester,Hausmeister, Busfahrer, Ver-käuferin usw.)

• gemeinsame Erlebnisse, diezur Identifikation mit demWohnort, der Familie, dennächsten Bezugspersonenund anderen Menschen, derKindergruppe usw. führen

• Feste wie z.B. Geburtstag,Weihnachten, Laubhütten-fest, Zuckerfest zur Struktu-rierung des Tages- und Jah-reslaufes und zur Ausdiffe-renzierung der zeitlichen Ori-entierung nutzen

• Erwachsene sind Gesprächs-partner, die Inhalte und Hin-tergründe solcher Feste er-läutern und für Kinder ver-stehbar machen

• Erwachsene sind Gesprächs-partner für erste Sinn-Fragennach dem Woher und Wohinebenso wie in Situationen,in denen Antworten schwerzu finden sind

• in Gesprächsgelegenheitenerfahren sich Kinder als Part-ner auf der Suche nach Lö-sungen für Konflikte, bei Fra-gen des Lebens, der Suchenach Antworten

• Gelegenheiten, die Schönheitder Natur und der Elementezu erleben und sich auch ankleinen Dingen zu erfreuen

• Gestaltung der Räume, indenen die Kinder leben

• dem Spiel, insbesonderedem Rollenspiel, in besonde-rem Maße Raum geben

• die in den Medien enthaltenenBildungs- und Lernmöglich-keiten entsprechend des je-weiligen Entwicklungsniveausder Kinder realisieren

• Erwachsene achten darauf,dass gegenseitige Wertschät-zung nicht am materiellenBesitz festmacht

• Märchen und Geschichtensind wesentlicher Erfahrungs-hintergrund für das Aufarbei-ten von Krisen und Konflikten,von Ängsten und Unsicher-heiten; durch die Polarisie-rung der Charaktere lernenKinder Unterschiede leichteinzuschätzen

• Nutzung von »neuen« und»alten« Medien wie Bücher,Kinderfilme und Musik, dieGefühle verbal erlebbar wer-den lassen

• Kinder haben die Möglich-keit, durch die jeweiligenMärchenfiguren auch Verhal-tensweisen auszuleben, vondenen sie wissen, dass sienicht erwünscht sind

• Möglichkeiten schaffen,Gefühle durch verbale undnonverbale Formen auszu-drücken, z.B. durch Musik

• Medien erhalten zunehmen-de Bedeutung; ihr Besitz istnicht selten ausschlaggebendfür soziale Wertschätzung

• bewusst erlebter Wechselzwischen Ruhe und Bewe-gung; bewusste Entspannungz.B. durch Entspannungsge-schichten

• Erkundung von anderen Or-ten kindlicher Bildung, z.B.Besuch von Schulen, vonInstitutionen der offenenKinder- und Jugendarbeitund Besuch von Freizeit-einrichtungen

• Nutzung der Turnhalle • Besuch des Seniorenclubs(z.B. Rentnergeburtstage mit-gestalten)

• Besuch der Kinderbibliothek• Kinobesuche• Besuch öffentlicher Bäder• Tierparkbesuche• Sportfeste• Ausstellungen/Museen be-suchen

• Kinderzeichnungen in derGemeinde ausstellen

• Konzerte besuchen/selbstgestalten

• Besuch der Sternwarte• Besuch der Feuerwehr

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Tabelle Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

151

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungSoziokulturelle,moralische undreligiöse Bildung

Kinder haben große Lust amEntdecken und Lernen neuerSachverhalte und gehen mithoher Lernmotivation auf dieneuen formalen Bildungsar-rangements zu. Ihre eigenenWünsche und Bedürfnisse for-mulieren und vertreten sieAnderen gegenüber.

Die Wahrnehmung eigener undfremder Bedürfnisse, die un-terschiedlich sind, wird alsBasis von Begegnungen undAushandlungen verstanden.

Kinder entwickeln zunehmendsolidarisches Handeln.

Jungen und Mädchen erkennendemnach auch die Ursachenvon Gefühlen, beachten undberücksichtigen sie in ihremHandeln.

Zunehmend werden auch kom-plexe Emotionen wie Eifer-sucht, Zorn oder Empörungreflektiert. Andere Wertvor-stellungen werden mit deneigenen verglichen und alsgleichberechtigt angenommen.

Die eigene Geschlechtsidenti-tät spielt nun zunehmend eineRolle und wird öfter im Spiel,in Abgrenzungssituationenoder Auseinandersetzungenthematisiert. Dabei werdenUnterschiede nicht im Sinnevon Hierarchien thematisiert,sondern als nebeneinanderbestehende Vielfalt betrachtet.

Die Kinder gehen mit kritischenErlebnissen, mit Problemen,Verletzungen und Trauer umund entwickeln Strategien,aufgefangen zu werden odersich selbst aufzufangen.

Es ist Aufgabe der Erwachse-nen, Kindern die Freude amLernen zu erhalten und aucherfolgsmotiviertes Handeln zuunterstützen. In der Schulklas-se nehmen Mädchen und Jun-gen verschiedene Rollen ein,die sie zunehmend auch flexi-bel gestalten: Neben leistungs-bezogenen Positionen inner-halb der schulischen Gruppebestehen Freundschaften, In-teressengemeinschaften undZweckgemeinschaften.

Die Perspektiven und Gefühleanderer werden in eigene Über-legungen und Handlungen ein-bezogen. Kinder unterscheiden,dass andere in gleichen Situa-tionen unterschiedliche Gefüh-le haben, eine andere Sichtauf die Dinge besitzen. Dieswird in Konflikten und Aus-handlungen reflektiert undthematisiert.

So werden gemeinsame Begeg-nungen oder auch Auseinander-setzungen zunehmend tieferund sicherer gehandhabt. Kin-der und Erwachsene ko-ope-rieren bei der Planung undGestaltung von Projekten, sodass das gemeinsame Tun dieindividuellen Möglichkeitendes einzelnen Kindes unter-stützt und würdigt.

Die Verteilung von Aufgabenin Gruppen, die Übernahmevon bestimmten Positionenübt darin ein, sich selbst undandere besser einzuschätzen.Mit dieser Erfahrung wird dieVielfältigkeit von Kindern alsgewinnbringend erlebt. DieseGruppenerfahrungen beziehensich dabei nicht nur auf dieschulische Klasse, die gestaltetwird, sondern auch auf denBereich der privaten Freund-schaften und Cliquen.

Räumlich und sachlich stehenden Kindern genügend Res-sourcen zur Verfügung, in de-nen sie ihre Ideen und Projek-te entwickeln und verfolgen.Spielformen und Möglichkeitensind alltäglich vorhanden, umsich selbst in verschiedenenSituationen zu erfahren undauszuprobieren. Dadurch wirdihnen zusammen mit anderenKindern auch die Möglichkeitgegeben, die Vielfalt von Fähig-keiten im Zusammenspiel zuerleben.

Durch Feste und Rituale wer-den Formen von Gemeinschafterlebt, die jeden Einzelnen zurGeltung bringen und dennochGemeinsamkeit stiften. Kinderübernehmen dabei selbst Teileder Gestaltung solcher Festeund Rituale. Sie lernen dieHintergründe und den Sinnvon Traditionen kennen, sodass sie diese selbsttätig mit-gestalten.

Kinder erlernen Strategien desUmgangs mit Konflikten undAuseinandersetzungen, die siedurch Übernahme von verant-wortlichen Rollen in der Schul-klasse oder in Vereinen ein-üben. Sie erleben sich damitauch selbst als jemand, deretwas in seiner Umwelt bewe-gen kann, und damit als wich-tiger Teil ihrer Welt. KulturelleEinrichtungen wie Theater,Museen, Ausstellungen werdenaufgesucht und schließen sichan Themen der Kinder an.

In alltäglichen Situationensind kulturelle und ökonomi-sche Unterschiede für die Kin-der in selbstverständlicherWeise präsent.

Tabelle Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

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Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

152

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Primare BildungSoziokulturelle,moralische undreligiöse Bildung

Kinder haben das Gefühl, inihrer Welt Bedeutsames leistenzu können, ein wichtiger Teilihrer Umwelt zu sein. Dieserfahren sie durch Teilhabeund Teilnahme, durch dieÜbernahme von Verantwortungund Sorge für andere.

Sie entwickeln eigene Interes-sen, die sie selbstständig ver-folgen und mit anderen teilenwollen. Sie können eigeneProjekte verfolgen und anderefür ihre Ideen begeistern.

Diese bilden sich nun zuneh-mend aufgrund gemeinsamerInteressen und Aktivitäten.

Kinder helfen sich gegenseitigund versuchen, für andere inschwierigen Situationen da zusein.

Sie werden thematisiert undin ihren jeweiligen Hintergrün-den verstehbar. Unterschiede,Differenzen und Gemeinsam-keiten werden erfahren undwerden zunehmend anhandvon Wissensbeständen einge-ordnet bzw. begriffen.

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Tabelle Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

153

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche Bildungs-angebote stehendem Kind zu?

Kinder erwarten, dass ihre In-teressen und Bedürfnisse ernstgenommen werden. Kinderkönnen andere Perspektivenin ihr Denken und Handelneinbeziehen und sie suchennach Lösungswegen in Kon-fliktsituationen. Sie entwickelnihren eigenen Ehrgeiz zu schu-lischen Leistungen und auchzu ihren eigenen Interessen,die sie gezielt verfolgen undverwirklichen wollen. Traurigeund belastende Erlebnisse wer-den angemessen thematisiertund als Teil des Lebens ver-standen.

In Abschiedsritualen werdenFormen des Umgangs mit kri-tischen Situationen aufgefan-gen. Durch Erfahrungen miteigenen Produkten, mit eige-nen Leistungen, mit eigenenArbeiten wird zunehmend eineEinschätzung eigener Stärkenund Grenzen erfahren. EigeneGrenzen zu erkennen, zu über-winden, zu akzeptieren eben-so, wie eigene Möglichkeitenzu nutzen, lassen ein gesundesSelbstwertgefühl entstehen.

Der Umgang mit Unterschieden(schulische Leistungen, kultu-relle Hintergründe, Stadt/Land,alt/jung, arm/reich, usw.) istfür Kinder selbstverständlich.Sie stellen ihre eigenen Fragenin diesem Zusammenhang, siesuchen und finden ihre Erklä-rungen.

Die Bedürfnisse und Wünschevon Kindern finden Berück-sichtigung. Sie werden mitihren individuellen Interessenernst genommen. Pädagogi-sche Angebote setzen an derjeweiligen Situation des Kindesan und wirken entwicklungs-fördernd. Dabei lernen Mädchenund Jungen auch, sich mit denBedürfnissen und Wünschenihrer Freunde, ihrer Familien-mitglieder oder ihrer Lehrerin-nen und Lehrer zu beschäftigen.

Interessen der Kinder sowiesuchendes Auseinandersetzenmit sich und der Welt werdenangeregt und unterstützt. Ihre eigenen Aktivitäten werdenunterstützt, so dass Kinderzunehmend auch ihre Welt ge-stalten. Sie suchen sich Freun-de und Freundinnen selbst, sieübernehmen Verantwortungfür jüngere Geschwister, sietragen ihren Teil im Haushalt,in der Schulklasse, im Schul-haus, in Vereinen bei. Sie erobern sich eigene Gestal-tungsräume und sie habenGelegenheit, in verschiedenenSituationen (Lernsituation, Frei-zeitgestaltung) zu kooperieren.

Eltern, Lehrerinnen und Lehrer,Freundinnen und Freundegehen auf traurige Ereignisseein: Sie begleiten Kinder ins-besondere in Krisen, die alsein Teil des Lebens verstandenwerden. Durch die Begegnungmit Menschen verschiedenenAlters (ältere/jüngere Schüler,Geschwister, Klassenpaten-schaften für Kindergruppen,Senioren) werden Fragen zumWandel des Lebens angeregt,über Vergangenes und Zukünf-tiges wird reflektiert.

Kinder kommunizieren undreflektieren intensiv über Er-lebnisse und Projekte. Hierfürstehen ihnen differenzierteAusdrucksmittel und Ressour-cen zur Verfügung. Gelegen-heiten, ihre Umwelt mitzuge-stalten, zeigen sich u.a. imAngebot, Gruppen und Räumeaktiv mitzugestalten. Die Kin-der richten eigene Bereicheein, die ihnen dann als Privat-sphäre zur Verfügung stehen.Verschiedene Medien (Telefon,Bücher, PC usw.) werden an-gemessen im Alltag integriert,sie unterstützen Lernprozesse,werden zur Kommunikation ge-nutzt. Über die Wirklichkeitenund Wahrheiten verschiedenerMedien gewinnen Kinder zu-nehmend Klarheit.

Natur und Umwelt sind alltäg-liche Begegnungsräume, dieVerantwortung für Tiere undPflanzen wird immer selbst-ständiger übernommen. IndemKinder sich selbst als Teil derNatur begreifen und diese alswertvoll ansehen, werden auchphilosophische Fragen überEntstehen und Vergehen ange-regt.

Geschriebene und ungeschrie-bene Regeln (Stundenpläne,Sitzordnungen, gegenseitigeRücksichtnahme usw.) werdenkennengelernt und selbststän-dig im Alltag angewandt.

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Soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

154

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

In welchen pädagogischenSettings erfolgendiese Angebote?

• Geschichten, Gedichte, szeni-sches Spiel zur Selbstwahr-nehmung: »Wie ich mich se-he«, »Was ich mir wünsche«,»Wenn ich … dann…«,

• sich selbst in verschiedenenRollen wahrnehmen (alsSchülerin, als Mädchen, alsJunge, als Bruder)

• Erlebnisberichte, Präsentationeigener Ergebnisse

• Gedankenexperimente• mit Ausdrucksformen spielen• Begründen und Argumentieren• eigenes Lerntempo entwickelnund mit An- und Entspan-nungsbedürfnissen in Ein-klang bringen

• Dilemmageschichten themati-sieren, um Wege für Ent-scheidungen und Konfliktezu erfahren und erproben

• Rollenspiele, gemeinsameTänze

• Patenschaften• Verantwortung in der Klasseübernehmen (Klassenspre-cher, Klassenkonferenz)

• Projektarbeiten• Umgangsformen miteinander(Grüßen, Höflichkeit, Tischsit-ten, Anrede usw.) im Alltagverankern

• gemeinsame Bildgeschichtenanfertigen, Partnerspiele

• gemeinsames Lernen, gegen-seitige Hilfe bei Hausaufgaben

• Partnerarbeiten, Gruppenar-beiten

• Freundschaften sowohl inschulischen als auch außer-schulischen Bereichen knüp-fen, erleben und pflegen(gemeinsam wegfahren, bei-einander übernachten, sichhelfen, zueinander stehen,sich verzeihen usw.)

• Wandzeitungen und Pinn-wände

• Schul-, Sportfeste mitgestalten• Feste und Rituale mitgestalten• selbst gestaltete Zeitungen,Texte, Filme zur Auseinander-setzung mit eigenen undanderen Positionen

• Klassenräume, eigene Zimmerwerden mit anderen zusam-men als gemeinschaftlicheRäume mitgestaltet und mit»eigener Handschrift« ver-sehen

• Erfahrungsberichte und Er-lebnisberichte sowie Souve-nirs erinnern an individuelleund gemeinsame Erlebnisse

• Gesprächsorte für Fragen andas Leben und seinen Sinnwerden aufgesucht, z.B. derWald, ein Friedhof, eine Wie-se, eine Kirche

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• im Morgen- oder Stuhlkreiswerden sowohl die eigenenWahrnehmungen benannt alsauch die Wahrnehmungender anderen erfahren

• ein Arbeiten nach eigenemTempo, aber auch nach vor-gegebenen Zeitrhythmen

• Eigenes zu leisten, dieumgebende Welt aktiv mitzu-gestalten und Veränderungenzu bewirken, bildet dieGrundlage von Selbstvertrau-en und Selbstwirksamkeits-vorstellungen

• die Einnahme von Rollen inGruppen wird sicherer, Rol-lenerwartungen werden klarerbenannt, und das Kind kannsich davon auch kritischdistanzieren

• mit anderen älteren und jün-geren Kindern, Erwachsenenund Freunden wird koope-riert, werden gegenseitigHilfe und Konfliktlösungenermöglicht

• in Projekt- und Gruppenar-beiten werden Formengemeinsamen Arbeitens alsBereicherung erfahren

• gemeinsames Schaffen undAusprobieren ermöglichendas Einbeziehen verschiede-ner Perspektiven

• durch Aufgabenverteilung inKlassen, in Vereinen oder inder Familie erfahren Jungenund Mädchen Verantwor-tungsübernahme für andere;so erleben sich Kinder alswichtiger und unverzichtba-rer Teil ihrer Welt

• zunehmend gestalten Kinderihre eigene Freizeit undgehen mit ihren Ideen aufErwachsene zu

• Anregungen nehmen sie oftdankbar auf, möchten aberauch ihre eigene Welt ent-decken und gestalten

• ihre individuellen Leistungenauf verschiedenen Gebietenwerden anerkannt und unter-stützt

• Kinder haben Gelegenheitenzu Begegnungen mit Men-schen verschiedenen Alters,unterschiedlicher Regionen,anderer Kulturen, verschiede-ner Herkünfte und Religionen,so dass über Gemeinsamesund Fremdes reflektiert wer-den kann: »Wie der anderelernt«, »Wie der anderespricht«, »Wie der anderewohnt«, »Was will, kann,darf ich (nicht) tolerierenund akzeptieren?«

• Traditionen, Feste, Rituale,Feiern und wichtige Ereignis-se sind soziale Anlässe, diegebührend begangen werden

• internationale Feste werdengefeiert, in denen verschie-dene Kulturen kennengelerntwerden

• der Sinn von Ritualen undFesten wird erklärt, erlerntund so vermittelt, dass Jun-gen und Mädchen zunehmendaktive Rollen in der Gestal-tung übernehmen können

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Tabelle Primare soziokulturelle, moralische und religiöse Bildung

155

Dimensionen von Bildung

personal sozial sachlich

Welche konkretenAngebote sollengemacht werden?

• Veränderungen in der Um-welt, im Freundeskreis, inder Familie, in der Wohnsi-tuation usw. werden als zumLeben gehörend verstanden,wenn eine eigene stabileIdentität und Vertrauen insich selbst und die Welt vor-handen ist

• die Lust am Entdecken undLernen wird durch sachge-mäße und lebensnahe Aufga-benstellungen herausgefor-dert und erhalten

• schrittweise werden eigenesKönnen, eigene Stärken undSchwächen kennengelernt

• äußere Wertmaßstäbe (z.B.Noten) und eigene Einschät-zungen werden voneinanderunterschieden (z.B. kanneine Vier in Sport für denEinzelnen je nach eigenemKönnen als großer Erfolggesehen werden)

• in Entscheidungs- undBewertungssituationenbeziehen Kinder zunehmenddas eigene Gewissen mit ein

• den Platz in der Schulge-meinschaft, im Chor, in derGeschwisterreihe, in derSchulklasse, im Hort, im Ver-ein, unter Freunden nehmenKinder verantwortlich wahrund gestalten ihn aus

• in ihrem Bemühen um ge-meinsames Arbeiten, Problem-lösen und Bewältigen vonKonflikten werden Mädchenund Jungen unterstützt

• in partnerschaftlichenArbeitsformen, in Tages- undWochenplanarbeit wird zu-nehmend selbstgesteuertesund selbstverantwortlichesLernen realisiert

• Leistungsmotivation wird soangeregt und gleichzeitigauch auf Anstrengung in formalen Lernsituationenreagiert und Rücksichtgenommen

• selbstständiges Lernen undPlanen wird durch Arbeitsfor-men angeregt, die auf ent-deckendes und handelndesErschließen angelegt sind

• auf diesem Wege wird diehohe Lernmotivation vonMädchen und Jungen erhal-ten und stabilisiert

• partnerschaftliche, gruppen-bezogene und projektorien-tierte Arbeitsformen regenkooperierendes und gemein-sames Arbeiten an

• über Medien und deren In-halte (z.B. Werbung) wird re-flektiert und es wird kritischmit ihnen umgegangen

• es bestehen verschiedeneGelegenheiten für Mädchenund Jungen, sich mit anderenauseinanderzusetzen

• Erwachsene und ältere Kinderschaffen Gelegenheiten undOrte, die Gespräche über»Wohin?« und »Woher?«,»Wozu?« und »Warum?«eröffnen

• Räume sind so gestaltet,dass die Kinder sie für sichnutzen können und Platz fürgemeinsame Aktionen gege-ben ist

• die eigentätige Gestaltungvon Gemeinschaft drücktsich auch in der Beteiligungan Raumgestaltung oder inder Übernahme von Paten-schaften für andere aus

• dadurch erfahren Kinder,dass sie Beziehungen ge-stalten, entwickeln undbereichern können

• Museen und Theater werdenaufgesucht

• die Nutzung von Medien ver-schiedener Art (Bücher, PC,Fernsehgerät usw.) übt ineinen selbstverständlichenUmgang mit verschiedenenmedialen Wirklichkeiten (z.B.Körperbilder, Werbung) ein

• das Erleben der Schönheitder Natur und ein sorgsamerUmgang mit den natürlichenRessourcen wird durch Beob-achtungen und Experimente,durch vielfältige Naturerfah-rungen und Spaziergängeangeregt

• Kinder lernen moralischesHandeln nach Gerechtig-keitsvorstellungen (z.B. dieGoldene Regel), die vonanderen geteilt werden

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3

Qualitätsmanagement in pädagogischen Kontexten

Die Qualität einer Institution kindlicher Bildung wird dadurch bestimmt, wie sie ihrem Betreuungs-,Erziehungs- und Bildungsauftrag gerecht wird. Die Qualität der Bildungsinstitutionen ist somit auchdavon abhängig, wie es den in ihnen tätigen Professionellen gelingt, den pädagogischen Alltag aufder Grundlage des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre zu gestalten und zu reflektie-ren. Im vorliegenden Kapitel werden deshalb Möglichkeiten aufgezeigt, wie Bildungsinstitutionen einpädagogisches Qualitätsmanagement entwickeln können.

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Für die erfolgreiche Gestaltung und Reflexion pä-dagogischer Angebote auf der Grundlage des Bil-dungsplans ist ein pädagogisches Qualitätsmana-gement erforderlich. Als Qualitätsmanagement wirdhier die Gesamtheit aller Aktivitäten bezeichnet, diedarauf abzielen• die Qualität der pädagogischen Arbeit zu defi-

nieren und festzustellen, • die vorhandene Qualität zu erhalten und sicher-

zustellen sowie• zukunftsgerichtet Innovationen und Weiterent-

wicklungen im Arbeitsfeld voranzutreiben.

Qualitätsmanagement beinhaltet den Aufbau syste-matischer und kontinuierlicher Entwicklungsprozes-se, die sich sowohl auf die Konzeptionsentwick-lung, die Umsetzung als auch auf die Evaluationder Bildungsinstitution beziehen. Solche institu-tionellen Entwicklungsprozesse sind grundsätzlichzirkulär, d.h. die einzelnen Schritte ›planen‹, ›um-setzen‹, ›evaluieren‹ und ›verbessern‹ folgen auf-einander. An den Schritt ›verbessern‹ schließt wie-derum der Schritt ›planen‹ an.

Abb.: Prozesskreislauf des Qualitätsmanagements

Grundlegend für den hier geltenden Qualitätsbe-griff ist die primäre Orientierung an der Perspek-tive des Kindes und der an seiner Erziehung be-teiligten Bezugspersonen. In diesem Sinne solldie pädagogische Qualität:• das körperliche, emotionale, soziale und intel-

lektuelle Wohlbefinden und die Entwicklung derKinder fördern und

• die Familien in ihrer Betreuungs- und Erziehungs-aufgabe unterstützen.

Pädagogische Qualität kann unter drei Aspektenbetrachtet werden: als Prozessqualität, als Struk-turqualität sowie als Wirkungsqualität.

• Die Prozessqualität beschreibt alle Aktivitäten, diein einer Institution kindlicher Bildung ablaufen.Hierzu gehören die grundlegenden Prozesse vonBildung, Erziehung und Betreuung, aber auch diePlanung und Steuerung sowie die Innovation die-ser drei grundlegenden Prozesse. Mit der Prozess-qualität geraten somit alltägliche Interaktionen undErfahrungen in den Blick, die das Kind in seinergesamten Entwicklung unterstützen, ihm emotio-nale Sicherheit und vielfältige Anregungen geben.

• Die Strukturqualität (die häufig auch als Kontext-qualität bezeichnet wird) beinhaltet die strukturel-len, räumlichen, materiellen, personellen und finan-ziellen Rahmenbedingungen einer Bildungsinstitu-tion. Hinzu kommen Vorgaben aus Gesetzen, Lehr-plänen, dem Bildungsplan und aus Trägerprofilen.Die individuellen Einstellungen und Haltungen derProfessionellen können ebenfalls der Strukturqua-lität zugeordnet werden. Auch sie bestimmen dieindividuelle Ausgestaltung von Verhaltensspielräu-men im Arbeitsfeld der Professionellen maßgeb-lich mit. Mit der Strukturqualität werden also alleRahmenbedingungen erfasst, unter denen die In-stitution ihren Bildungsauftrag wahrnimmt.

• Zur Wirkungsqualität (die auch als Ergebnisqua-lität bezeichnet wird) zählt das in der persona-len, sozialen und sachlichen Dimension von Bil-dungsprozessen Erreichte, das sich als Ergebnisdes pädagogischen Handelns bei Kindern be-schreiben lässt. Außerdem geht in die Wirkungs-qualität der Grad der Zufriedenheit aller am Bil-dungsprozess Beteiligten (Kinder, Eltern, weitereBezugspersonen, Professionelle) ein. Zur Wir-kungsqualität zählt auf Seiten der Kinder schließ-lich die ihnen durch Bildung ermöglichte Teilhabeam sozialen und gesellschaftlichen Leben.

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3.1 Pädagogische Qualität

planen

evaluieren

verbessern umsetzen

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Die Entwicklung pädagogischer Qualität ist immerauf konkrete Felder pädagogischer Praxis bezogen.Schwerpunkte in der Qualitätsentwicklung sind u.a.die berufliche Qualifikation und Fortbildung, dieBeobachtung und Dokumentation der kindlichenEntwicklung, die Planung und Reflexion der pro-fessionellen pädagogischen Arbeit, die partner-schaftliche Elternarbeit, die Teamleitung und Team-arbeit sowie die Kooperationen mit Institutionen.Die hier genannte Reihenfolge der Entwicklungs-felder pädagogischer Qualität stellt keine Rangfol-ge dar. Alle Entwicklungsfelder sind gleicherma-ßen bedeutsam.

Berufliche Qualifikation und Fortbildung

Professionelle sind Lehrende und Lernende zu-gleich. Weil sich nicht nur pädagogische Wissensbe-stände, Konzepte und Modelle, sondern auch ge-samtgesellschaftliche Rahmenbedingungen konti-nuierlich weiterentwickeln und verändern, sind be-rufliche Qualifikation und Fortbildung als Prozesseanzusehen, die sich über die gesamte Berufsbio-graphie erstrecken. Die Qualität der pädagogi-schen Arbeit in den Thüringer Bildungsinstitutionenist in entscheidendem Maße von der Aus-, Fort-und Weiterbildung der in ihnen tätigen Professio-nellen abhängig! Der Wertschätzung frühkindlicherBildung durch Bildungspolitik und Öffentlichkeitentspricht die hohe Bereitschaft der Professionel-len zur kontinuierlichen Qualifikation. Die Ausge-staltung und Schwerpunktsetzung für Aus-, Fort-und Weiterbildung obliegt den Trägern.

Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Entwicklung

Beobachtung

Die Beobachtung und die Dokumentation derkindlichen Bildungsprozesse auf der Grundlagedes Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10Jahre dienen der Entwicklung passender Angebo-te zur pädagogischen Unterstützung kindlicher Bil-dung. Pädagogische Beobachtungen finden folg-lich immer unter einer bildungsbezogenen bzw.erzieherischen Fragestellung statt. Sie durchzu-führen bedeutet, sich auf einzelne Situationen,auf die beteiligten Kinder, auf Prozesse und Ab-läufe zu konzentrieren, genau hinzusehen und ge-nau hinzuhören. Beobachtungen sind hilfreich,einerseits, um individuelle Entwicklungsprozesseauf Seiten der Kinder transparent zu machen, undandererseits, um die aktuelle pädagogische Qua-lität der Bildungsangebote zu beschreiben undgegebenenfalls weiterzuentwickeln. Die Ergebnis-se von pädagogischen Beobachtungen werden ineiner Dokumentation festgehalten. Beobachtungund Dokumentation bilden den Ausgangspunktfür pädagogisches Handeln und geben Rückmel-dungen über Ergebnisse sowie Anstöße für päda-gogische Planungen und Umsetzungen.

Für eine angemessene Unterstützung von Bildungs-prozessen müssen Professionelle versuchen, sichden Wirklichkeiten von Kindern zu nähern. DieWirklichkeit eines Kindes erschließt sich beispiels-weise über sein Verhalten (Fragen, Spielinhalteusw.) und über die Produkte seines Tätigseins (wiez.B. Zeichnungen und Erzählungen).

Das Beobachten des Verhaltens ist daher unab-dingbar für das Verstehen von Kindern und ver-mittelt Hinweise darauf, was Kinder wie tun, wel-che Interessen und Bedürfnisse sie haben und wiesie diese mitteilen und umsetzen.

159

3.2 Entwicklungsfelder pädagogischer Qualität

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Beobachtet wird, um:• mit dem Kind über sein Tun und Erleben in Aus-

tausch zu kommen,• den Entwicklungsstand und die Bildungsbedürf-

nisse des Kindes zu erkennen, • die individuellen Entwicklungsprozesse, die ak-

tuelle Bedürfnis- und Interessenslage jedes Kin-des in seiner Umgebung wahrzunehmen und zuverstehen,

• Ressourcen, Stärken, Potenziale und Entwick-lungsfelder des Kindes zu beschreiben,

• im Team gemeinsam die Entwicklung des Kindeszu reflektieren,

• pädagogische Zielstellungen und entsprechendeAngebote im Team unter Berücksichtigung derMaterialbereitstellung und Raumgestaltung zu ent-wickeln, die die Themen der Kinder aufgreifen,

• die Wirksamkeit der eigenen Angebote zu über-prüfen,

• Transparenz der pädagogischen Arbeit zu ge-währleisten,

• mit Eltern in Austausch über den Entwicklungs-verlauf des Kindes zu kommen und

• Eltern informieren und beraten zu können undmit Eltern gemeinsame Ansätze der Unterstüt-zung der kindlichen Bildungsprozesse zu ent-wickeln.

Jedes Beobachten verdeutlicht die subjektive Per-spektive des Beobachters. Da subjektive Anteile indie Beobachtung einfließen, ist es notwendig, dieeigene Wahrnehmung mit der Wahrnehmung An-derer im Team/Kollegium und mit den Eltern abzu-gleichen. So können sich die Erwachsenen derkindlichen Wirklichkeit aus verschiedenen Per-spektiven annähern. Dabei sind Beobachtungenvon Interpretationen zu trennen. PädagogischesBeobachten unterscheidet die folgenden Ebenen:

1. Sachverhalt: Was lässt sich konkret an Verhal-tensweisen beim Kind beobachten (genaue undwertfreie Beschreibung)? Welche Verhaltens-weisen lassen sich in einer bestimmten Situa-tion beobachten? Wie oft zeigt das Kind einbestimmtes Verhalten?

2. Interpretation: Was vermute ich, warum dasKind ein bestimmtes Verhalten zeigt? Was ver-mute ich, wie sich das Kind fühlt?

3. Fachliche Reflexion (im Team/Kollegium):Was sind die Themen des Kindes? WelcheSchlüsse ergeben sich daraus für das pädago-

gische Handeln? Welche weiteren Fragen erge-ben sich aus der Beobachtung?

Mit der Reaktion des Kindes auf die pädagogischenAngebote signalisiert es, ob die Schlüsse, die ausden Beobachtungen gezogen wurden, eine ange-messene Antwort auf die Bildungsinteressen desKindes sind. Reagiert das Kind nur mit geringemoder keinem Interesse, dann sind Professionelleund Bezugspersonen aufgefordert, ihre fachlichenDeutungen und Planungen neu zu überdenken.Wichtig dabei ist die Ressourcenorientierung: esist wenig sinnvoll, das »Gescheiterte« zu isolierenund im speziellen Training »umbauen« zu wollen.Erfolgreicher ist, dem Kind individuell zugeschnit-tene Herausforderungen und Anlässe zu bieten,damit es selbst an seinen Entwicklungsfeldernarbeiten will.

Dokumentation

Mit Hilfe eines guten Dokumentationssystems ge-lingt es der Bildungsinstitution, ihre Professiona-lität und Qualität nach außen sichtbar zu machen.Die Professionellen können auf dieser GrundlageEltern zu den Entwicklungsthemen des Kindeskompetent informieren und beraten. Zudem bietenDokumentationen kindlicher Entwicklung eine ge-eignete Basis für die Zusammenarbeit und denfachlich reflektierten Austausch mit den Professio-nellen anderer Institutionen (Grundschule, Jugend-amt usw.).

Die Dokumentation von Beobachtungen kann auszwei Perspektiven heraus vorgenommen werden:als professionelle Dokumentation der Erwachse-nen und als Selbstzeugnisse des Kindes:

• Professionelle Dokumentation: In der Dokumen-tation der Professionellen werden die aus derBeobachtung erkannten Sachverhalte, die Erklä-rungen möglicher Ursachen und die Bewertungenin zeitlicher Reihenfolge (chronologisch) aufbe-wahrt, um Entwicklungsschritte, Erschwernisseund Perspektiven genau nachvollziehen zu kön-nen. Diese Dokumentationen dienen zugleichauch der Bestimmung eventuell erforderlicherbesonderer pädagogischer Angebote und Unter-stützungsmöglichkeiten.

Qualitätsmanagement in pädagogischen Kontexten

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• Selbstzeugnisse: Portfolio, Tagebücher, kontinu-ierliche Notizen, Sammlungen usw. bieten demKind die Möglichkeit, Erlebtes und Erschlosseneszu sichern, als Anlass für neue Fragestellungenzu nutzen oder um sich neuen Themen zuzu-wenden. Selbstzeugnisse sind zugleich Aus-druck einer individuellen Bildungsbiographie, inder sich die Einmaligkeit jedes einzelnen Kindesausdrückt. Sie sind Begleiter der Zeit im Kinder-garten sowie in der Grundschule und erzählendem Kind aus seinem Leben als Kindergarten-kind, als Grundschulkind, von seinen Stärken,Fragen, Gedanken und seiner Sicht auf die Welt.Kinder werden dadurch angeregt, ein Bewusst-sein für die eigene Bildungsbiographie zu ent-wickeln. Selbstzeugnisse können sich beispiels-weise auf die folgenden Themen beziehen:

• Das Kind und seine Familie (Selbstporträts;Selbstdarstellung der Familie und von Men-schen, die ihm wichtig sind; Fotos usw.)

• Sammlung kindlicher Aktivitäten in der Bildungs-institution (Zeichnungen, Videos, Gesprächsauf-nahmen, Fotos usw.)

• Verschiedene Entwicklungswege (»Was dichzur Zeit beschäftigt«; »So drückst du deine Ge-fühle aus« »Das kannst du besonders gut«)

• Übergangssituation in die Grundschule (»Dei-ne Gedanken über die Schule«)

• (spontane) Beobachtungsnotizen• Gesprächsnotizen mit den Eltern

Die Beobachtung und die Dokumentation kindlicherBildungsprozesse gewinnen in Übergangssituatio-nen besondere Bedeutung: Der in einer Institutionkindlicher Bildung dokumentierte Entwicklungs-stand stellt die Lernausgangslage des Kindes inder jeweils folgenden Bildungsinstitution dar. Des-halb ist es erforderlich, dass die in den verschie-denen Institutionen kindlicher Bildung tätigenProfessionellen auf jeweils anschlussfähige Formender Beobachtung und Dokumentation zurückgrei-fen können.

Planung und Reflexion der professionellenpädagogischen Arbeit

Die Planung pädagogischer Arbeit ist Ausdruck fürdie absichtsvolle Nutzung vorhandener Qualität derDimensionen kindlicher Bildung zur Gestaltung vonBildungsprozessen. Ausgangspunkt ist eine Analyseder Lebens- und Bildungssituation des Kindes inallen drei Dimensionen:

• Personale Dimension: Über welche Möglichkei-ten verfügt das Kind, sich selbst aktiv in denBildungsprozess einzubringen? Wie weit ist esentwickelt? Welche Bedürfnisse und Interessenhat es? Was möchte das Kind? Welches ist sein»Thema«?

• Soziale Dimension: Welche sozialen Interakti-onsprozesse unterstützen die kindliche Aktivi-tät, fordern sie heraus, sind notwendige Bedin-gung für Bildungsprozesse?

• Sachliche Dimension: Welche sachlich-kulturel-len Gegebenheiten im Umfeld des Kindes liegenvor? Welches sind notwendige Bildungsvoraus-setzungen (Vielfalt und Nutzung von Material,räumliche Bedingungen usw.)?

Die Analyse-Instrumente zur Beantwortung der hiergenannten Fragen sind unterschiedlich. Hauptme-thode ist die Beobachtung des in seiner sozial-kul-turellen und sachlichen Welt aktiv handelnden Kin-des. Auf dieser Grundlage ist es möglich, planvolldie jeweils nächsten sinnvollen und notwendigenEntwicklungsschritte des Kindes zu begleiten undes dabei entwicklungsangemessen in Entschei-dungs- und Gestaltungsprozesse einzubeziehen. Jenach pädagogischer Zielsetzung entfaltet sich diePlanung entlang der personalen, sozialen und sach-lichen Dimension von Bildung. Die in den Tabellenfür die einzelnen Bildungsbereiche exemplarischgenannten Bildungsinhalte stellen eine Auswahl vonInhalten dar, auf die sich die Planung bezieht.

Hier finden sich pädagogische Settings (Hand-lungsräume) sowie konkrete methodische Varian-ten, die kindliche Bildungsprozesse anregen undvertiefen können. Die Planung von Bildungspro-zessen bedeutet, die Gestaltung des Tages mitallen darin enthaltenen Tätigkeiten und Ereignis-sen kritisch zu reflektieren und gedanklich zu ord-nen. Der Tag bietet vielfältige Möglichkeiten fürdie Kinder, spontan oder mit der Unterstützung

Entwicklungsfelder pädagogischer Qualität

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von Erwachsenen Aktivitäten auszuwählen und ih-nen interessiert, forschend, erkundend und ge-staltend nachzugehen. Für den gesamten Tagesab-lauf, von der Begrüßung bis zur Verabschiedung,gilt es, gemeinsam mit den Kindern und den Er-wachsenen das Leben zu gestalten: zu spielen,Projekte zu verwirklichen, Pflichten zu überneh-men, spezifische Angebote zu unterbreiten, Erfah-rungsräume zu schaffen und in ihnen gemeinsamzu lernen. Diese Komplexität ist gedanklich zustrukturieren. Für die Professionellen ist mit Blickauf jede geplante Aktivität zu berücksichtigen, dassdie geplanten Aktivitäten von den Kindern ange-nommen werden, wenn sie für das einzelne Kindsubjektiv sinnvoll sind.

Die Planung der pädagogischen Arbeit bezieht sichauf unterschiedliche Formen der Auseinanderset-zung des Kindes mit seiner Welt. Für Kinder imgesamten ersten Lebensjahrzehnt sind der Thü-ringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre sowieder Lehrplan der Grundschule Orientierungsrah-men für Planungsprozesse. Für die Planung sinddrei verschiedene Formen von Bildung zu berück-sichtigen, die je unterschiedlich ausdifferenziertePlanungen erforderlich machen:

• Reflexion informeller Bildungsprozesse: Hierbeihandelt es sich um Bildungsprozesse, die inhohem Maße vom Kind selbst als Erfahrungsler-nen im Alltag erfolgen. Das Kind kann in seinerUmwelt erkunden, entdecken, experimentierenund ausprobieren. Grundlage hierfür ist eine an-regungsreiche Umwelt.

• Planung nonformaler Bildungsprozesse: Das Kindnutzt Angebote in seinem gesellschaftlichen undsozialen Umfeld, die als Lernsituationen struk-turiert sind. Die Planung dieser Prozesse beziehtsich auf die Vorbereitung und die Reflexion derNutzung von Lern- und Bildungsorten auch außer-halb von Kindergarten, Schule, Heim usw. (zumBeispiel Museen, Tierparks, Konzerte, Feste, Aus-stellungen). Gleichermaßen ist die Planung di-daktisch strukturierter Settings gemeint, an de-ren Strukturierung Kinder aktiv mitwirken.

• Planung formaler Bildungsprozesse: Das Kindlernt in einem klar strukturierten Rahmen (Schu-le und Unterricht) und wird zugleich einer nor-mativen Bewertung seiner Leistungen unterzo-gen. Planung bedeutet hier, die entwicklungs-notwendigen Lernvoraussetzungen des Kindes

sowie die Sachlogik des Lerngegenstandes dif-ferenziert zu berücksichtigen.

Partnerschaftliche Elternarbeit

Wie bereits im Abschnitt 1.5 (Kooperation mit El-tern) dargestellt wurde, setzt die Erziehungspart-nerschaft zwischen Eltern und Professionellen einegelungene Zusammenarbeit voraus. Während fürEltern der Grundsatz der freiwilligen Zusammenar-beit gilt, gehört für Pädagogen Zusammenarbeitzum professionellen Verständnis ihrer Arbeit.

Das In-Kontakt-Treten mit Eltern ist oftmals mitbewussten und unbewussten Vorbehalten von bei-den Seiten unterlegt, die im pädagogischen Alltagsorgfältig reflektiert werden müssen. Beispielswei-se haben Professionelle zu berücksichtigen, dasssie von Eltern nicht nur als individuelle Personenerlebt werden, sondern auch als Mitarbeiterinneneiner mit »Macht« ausgestatteten Institution. Zu-gleich müssen Professionelle auch davon ausge-hen, dass nicht nur sie, sondern auch Eltern überfundiertes Wissen über die kindliche Bildung undEntwicklung verfügen. Auch Eltern sind deshalbExperten. Wird ihr spezielles Wissen in die Gestal-tung und in die Reflexion der pädagogischen Ar-beit in der Bildungsinstitution einbezogen, dannerfahren sie Wertschätzung.

Das oftmals am Beginn der Zusammenarbeitschon als vorhanden vorausgesetzte Vertrauenund eine gegenseitige Wertschätzung entwickelnsich jedoch erst schrittweise in einem Prozess aufder Basis gemeinsamer Erfahrungen. Es ist dieAufgabe der Professionellen, diese gemeinsamenErfahrungen zu initiieren und gemeinsam mit denEltern auszugestalten.

Im Austausch zwischen Eltern und Professionellenist das Kind, sind seine individuellen Interessen,Ressourcen und Potenziale, seine Fortschritte undEntwicklungsperspektiven der gemeinsame Bezugs-punkt. Eltern und Professionelle erleben »ihre«Kinder jeweils nur in Ausschnitten eines Tages.Der Austausch über dieses unterschiedliche Erle-ben in verschiedenen Situationen ist eine bedeut-same Grundlage für die pädagogische Arbeit.

Qualitätsmanagement in pädagogischen Kontexten

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Grundsätzlich sind alle Formen der partnerschaft-lichen Elternarbeit und insbesondere die Eltern-bildung ein bedeutsamer Resilienzfaktor für diekindliche Entwicklung. Der Austausch über dasKind, die Vernetzung von Professionellen und dieAkzeptanz von institutionellen Bildungsangebotenin der Familie sind einflussreiche Faktoren, dieEntwicklungsrisiken und Entwicklungsgefährdun-gen mindern bzw. kompensieren können.

Teamleitung und Teamarbeit

Die Qualität der Bildungsinstitution wird maßgeb-lich durch die Leitung des Teams/Kollegiums be-einflusst. Leitungskräfte haben daher im Qualitäts-management und bei der Ausgestaltung des Bil-dungsauftrags der Institution eine Schlüsselrolle.Sie sorgen dafür, dass eine fortlaufende Teament-wicklung durch gemeinsame Absprachen, Bera-tungen, Planungsarbeiten und Teamschulungenmöglich ist. Erforderlich hierzu sind:

• die Beratung und Unterstützung der einzelnenTeammitglieder,

• die Klärung der Verantwortlichkeit für die Initiie-rung und Anleitung von Organisations- und Qua-litätsentwicklung,

• die Weiterentwicklung des Konzepts der Bil-dungsinstitution,

• die verbindliche und transparente Aufgaben-delegation und Ergebnisrückkopplung an dieTeammitglieder,

• das Personalmanagement (Mitarbeitergespräche,Teamsitzungen, Fortbildung usw.) sowie

• die Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit.

Die Umsetzung und Ausgestaltung des Bildungs-auftrags auf der Grundlage des Thüringer Bildungs-plans für Kinder bis 10 Jahre ist eine gemeinsameAufgabe des Gesamtteams (Teamleitung und Team-mitglieder). Dazu gehören u.a. Verständigungspro-zesse, klare und transparente Aufgaben- sowie Rol-

lenteilungen. Alle Teammitglieder entwickeln ge-meinsam das Leitbild sowie das Konzept der Insti-tution kindlicher Bildung und vertreten es nachaußen. Sie zeigen Eigeninitiative für Veränderun-gen und beteiligen sich aktiv an Selbststeuerungs-prozessen.

Kooperationen mit Institutionen

Eltern und Professionelle kooperieren mit unter-schiedlichsten Institutionen, um kindliche Bildungs-prozesse zu unterstützen. Zur Ergänzung der Ange-bote in den Bildungsinstitutionen nutzen Erwachse-ne gemeinsam mit Kindern Angebote der offenenKinder- und Jugendarbeit (Kinder- und Schülerläden,Kinderfreizeiten, Lernwerkstätten, Arbeitsgemein-schaften u.ä.) von öffentlichen und freien Trägern.

Eine besondere Bedeutung kommt der institutio-nellen Kooperation bei der Gestaltung von Über-gängen in der kindlichen Bildungsbiographie zu,bei denen Jugendamt, Sozialamt, Kinder- undJugendärztlicher Dienst sowie Schulamt zusam-menwirken. Zur Unterstützung von Kindern mitBehinderungen und Entwicklungsrisiken sowie zurUnterstützung von Kindern mit Hochbegabung ko-operieren Eltern, Erzieherinnen, Lehrerinnen undandere Bezugspersonen mit Therapeuten, Ärzten,Sozialarbeitern und weiteren Fachdiensten.

Besondere Sorgfalt bei der Gestaltung von pro-fessionellen Kooperationsbeziehungen ist erfor-derlich, wenn in konkreten Einzelfällen von Kin-deswohlgefährdung (durch Vernachlässigung,Missbrauch und Gewaltanwendung) ausgegangenwerden muss. Zur Prävention von Kindeswohlge-fährdungen ist außerdem die Kooperation mit denKinder- und Jugendschutzdiensten sowie mit ver-gleichbaren Verbänden und Vereinen erforderlich(vgl. Abschnitt 1.3 Bildungskulturen; Kinderrechte,Kinder- und Jugendschutz).

Entwicklungsfelder pädagogischer Qualität

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Qualitätsentwicklung und Konzeptionsentwick-lung gehen Hand in Hand. Konzeptionsentwick-lung hat zum Ziel, pädagogische Qualität zu ver-bessern, pädagogische Standards zu verankernund Verantwortlichkeiten zu klären. Jede Bil-dungsinstitution erstellt deshalb eine für sie ver-bindliche pädagogische Konzeption, die kontinu-ierlich fortzuschreiben ist (§6, Abs. 3 ThürKitaG).Folgende exemplarische Fragen sind im Rahmender Entwicklung von Fortschreibung der Konzeptionzu beantworten und zu dokumentieren:

Analyse der bestehenden Qualität (Ist-Zustand)

Zur Analyse der bisherigen Qualität werden dieProzessqualität, die Strukturqualität sowie dieWirkungsqualität reflektiert:

• Prozessqualität: Welche thematischen pädagogi-schen Lernfelder/Schwerpunkte bieten wir be-reits? Welche tagtäglichen Interaktionen und Er-fahrungen der Kinder werden durch unsere An-gebote möglich? Wie unterstützen wir die Kinderin ihrem Bildungsprozess im jeweiligen basalen,elementaren und primaren Bildungsbereich? Wiebeobachten und dokumentieren wir die Entwick-lungsprozesse? Welches Informationssystem istbei uns etabliert? Wie wird die Institution kind-licher Bildung geleitet?

• Strukturqualität: Wie viel Personal steht zur Ver-fügung? Welche sozioökonomischen und regio-nalen Besonderheiten sind zu beachten? WelcheStruktur haben wir zu Verantwortlichkeiten (Or-ganigramm), zur Aufgabenverteilung, zu Arbeits-zeiten und Ausbildungen? Wie sind die Innen-und Außenräume, die materielle Ausstattung be-schaffen? Welche persönlichen pädagogischenOrientierungen, Werte und Einstellungen dereinzelnen Kollegen existieren? Wo liegen dieStärken der einzelnen Kollegen? Wie arbeiten

wir miteinander? Wie kommunizieren wir mitein-ander? Wie gehen wir mit Konflikten um?

• Wirkungsqualität: Welche kindlichen Bildungs-prozesse lassen sich in der personalen, sozialenund sachlichen Dimension in den einzelnen Bil-dungsbereichen beobachten? Wie zufrieden sindalle am Bildungsprozess Beteiligten? Wie sinddie Kinder an ihrem eigenen Entwicklungswegbeteiligt? Wie wird die Anschlussfähigkeit für dieSchullaufbahn eingeschätzt?

Erstellung von Zielsetzungen (Soll-Zustand)

• Leitziele geben die Grundausrichtung einer Bil-dungsinstitution an. Es handelt sich hierbei umlangfristig angelegte Ziele. Die Leitziele sindnicht mit dem Leitbild des Trägers zu verwech-seln. Leitziele müssen sorgsam ausgewählt wer-den. Eine mögliche hilfreiche Frage bei der Be-stimmung von Leitzielen könnte sein: WelcheVisionen leiten uns in unserer Arbeit?

• Wirkungsziele richten sich nach den Bedürfnis-sen der Kinder und der Eltern. Sie beschreiben,welche Wirkungen mit der pädagogischen Arbeiterreicht werden sollen, und müssen in einemnächsten Schritt durch Handlungsziele präzisiertwerden. Eine mögliche hilfreiche Frage bei derBestimmung von Wirkungszielen könnte sein:Welche Wirkungen will ich durch meine Arbeitbei den Kindern und den Eltern erreichen?

• Handlungsziele beschreiben zukünftige Ereignis-se oder Zustände und können durch konkreteHandlungen erreicht werden. Sie sollten so for-muliert sein, dass die Professionellen eine kon-krete Vorstellung über diesen gewünschtenZustand entwickeln und diesen künftig mög-lichst auch erreichen können. Aus einem Wir-kungsziel leiten sich in der Regel mehrere Hand-lungsziele ab, die wiederum durch verschiedeneMaßnahmen und Angebote realisiert werden kön-nen. Eine mögliche hilfreiche Frage bei der Be-

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3.3 Konzeptionsentwicklung

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stimmung von Handlungszielen könnte sein:Welche Handlungen sind notwendig, um die be-schriebenen Wirkungen zu erreichen?

Um feststellen zu können, ob die oben genanntenZiele erreicht wurden, sind zur Reflexion der Qua-lität von Bildungsangeboten Indikatoren erforder-lich. Die Indikatoren sind der Zugang zur Über-prüfung der Wirkung und müssen die jeweiligenZielstellungen mit der konkreten Situation vor Ortin den Blick nehmen. Bestimmte Indikatoren gel-ten für alle Bildungsinstitutionen, andere sindspezifisch für bestimmte Einrichtungen kindlicherBildung. Eine hilfreiche Frage zur Bestimmung vonIndikatoren könnte sein: Woran kann ich erken-nen, dass das Ziel erreicht ist?

Die Erstellung von Zielsetzungen kann somit alsein Prozess der Zielfindung aufgefasst werden,der sich wie folgt abbilden lässt:

Abbildung: Zielpyramide

Erarbeitung der Konzeption

Für eine Qualitätsentwicklung im pädagogischenKontext ist eine fortlaufende Anpassung der Bil-dungsangebote an die fachlichen Anforderungensowie an regionale Gegebenheiten erforderlich.Die Entwicklung von Qualität bedarf einer Ist-Ana-lyse der pädagogischen Qualität auf verschiede-nen Ebenen (Qualitätsbereiche), um mit bestimm-ten Maßnahmen und Strategien eine Zielstellung(Soll-Zustand) erreichen zu können. Der Soll-Zu-stand kann individuell oder kollektiv anvisiertwerden, sollte sich aber aus einem gemeinsamentwickelten Leitbild oder Profil erschließen. Als»verbindende Strategien« zwischen dem Ist-Zu-stand und dem Soll-Zustand werden hier exem-plarisch die kontinuierliche Fort- und Weiterbildungzu bestimmten Fachthemen, die (Weiter-)Entwick-lung des pädagogischen Konzepts und die Team-entwicklung aufgeführt.

Die pädagogische Arbeit in einer Institution kind-licher Bildung für Kinder bis 10 Jahre basiert aufder vorhandenen Konzeption. Die Konzeption ent-hält zunächst Informationen über die pädagogi-sche Grundorientierung der Bildungsinstitution (z.B.Entwicklungsmischung, reformpädagogische An-sätze, inhaltliche Schwerpunktsetzungen, organi-satorische Strukturen wie z.B. die besondere Ge-staltung des Übergangs vom Kindergarten in dieGrundschule oder die Ausgestaltung der Schulein-

Konzeptentwicklung

165

Wirkungszielp

Handlungszielp

Indikatorp

Bildungsangebot

IST-Zustand Verbindende Strategien SOLL-ZustandSituationsanalyse Maßnahmen: Optimale pädagogischeder pädagogischen z.B. QualitätQualität • Weiterbildung durch Leitbild und Profil beeinflusst

• (Weiter-)Entwicklung despädagogischen Konzepts

Analyse der Entwicklungs- Visionen für die Entwicklungsfelderfelder pädagogischer Qualität: pädagogischer Qualität:• Prozessqualität • Berufliche Qualifikation und• Strukturqualität Fortbildung• Wirkungsqualität • Beobachtung und Dokumentation

der kindlichen Entwicklung• Planung und Reflexion der profes-

sionellen pädagogischen Arbeit• Teamleitung und Teamarbeit• Kooperationen mit Institutionen

AnforderungenZufriedenheit erwarteter Nutzen

(Abbildung: Übersicht Zusammenhang zwischen Ist-Stand und Soll-Zustand)

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gangsphase). Darüber hinaus enthält die Konzep-tion überprüfbare Ziele: Leitziele, Wirkungszieleund Handlungsziele (s.o.). Im Rahmen der Kon-zeptionsentwicklung werden Leitziele, Wirkungs-ziele und Handlungsziele für die einzelnen Ent-wicklungsfelder pädagogischer Qualität formu-

liert. Auf diese Weise können Schwerpunkte derKonzeption konkret benannt und ihre Erreichbar-keit auch transparent überprüft werden.

Zur Orientierung kann die folgende Übersicht ge-nutzt werden:

Qualitätsmanagement in pädagogischen Kontexten

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Leitziele Wirkungsziele Handlungsziele

Berufliche Qualifikation und Fortbildung

Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Entwicklung

Planung und Reflexion der professionellen pädagogischen Arbeit

Partnerschaftliche Elternarbeit

Teamleitung und Teamarbeit

Kooperationen mit Institutionen

Abbildung: Orientierungsrahmen zur Konzeptionsentwicklung

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Evaluation umfasst die Bewertung von Strukturen,Handlungen und Ergebnissen. Die Aufgabe von Eva-luation ist es, Prozesse transparent zu machen.Evaluation dient somit auch der Überprüfung derpädagogischen Qualität der Bildungsinstitutiondurch Informationsgewinnung mittels klar beschrie-bener Methoden. Sie ist die Grundlage für die Dis-kussion der Qualitätsentwicklung in der Bildungs-institution. Die erkenntnisleitende Frage der Evalua-tion einer Bildungseinrichtung kann daher sein:Wie wird die Konzeption der Einrichtung im päda-gogischen Alltag umgesetzt?

Selbstevaluation

Qualitätskriterien (z.B. nach Tietze) sind die in-haltliche Grundlage für Verfahren der Evaluation.Evaluationen dienen dazu, sich der eigenen Res-sourcen bewusst zu werden, eigene Stärken zuerkennen, Erreichtes festzuhalten sowie noch offe-ne Fragen und Ziele weiter zu bearbeiten. Eineinterne Evaluation bietet Sicherheit und Anerken-nung der pädagogischen Arbeit des Gesamtteams.Diese Selbstaufklärung hat mehrere Vorteile: z.B.persönliche Beteiligung und damit unmittelbarerNutzen, einfacher Zugang zu Informationen sowieWissen über interne Abläufe und Strukturen. DieSelbstevaluation des Teams/Kollegiums und derLeitung wird von den Mitarbeiterinnen selbst initi-iert und durchgeführt. Die subjektiven Einschät-zungen werden mit anderen Beteiligten (andereTeammitglieder, evtl. Eltern, Kinder, Leiterinnen)diskutiert. Die kontinuierliche Selbstevaluation derInstitutionen kindlicher Bildung unter Einbezie-hung der Eltern und in Verbindung mit internen

Zielvereinbarungen stellt die Basis für eine kon-sequente und systematische Weiterentwicklungvon Qualität (vgl. z.B. §6, Abs. 4 ThürKitaG) dar.

Beispielhafte Verfahren zur Selbstevaluation:• strukturierte Selbsteinschätzung• strukturierte Gruppendiskussion• strukturierte kollegiale Beobachtung• Elternfragebogen• Dokumentenanalyse

Fremdevaluation

Die verwendeten Kriterien und Einschätzungenwerden offengelegt und transparent erörtert. DieAußenperspektive der Fremdevaluation bietet dieMöglichkeit, die Selbstwahrnehmung zu reflektie-ren, »blinde Flecken« aufzudecken und somit (an-dere) Innovationsprozesse in Gang zu bringen.Ziel ist es, die verschiedenen Sichtweisen und Per-spektiven der Innen- und Außensichten zu einemaussagefähigen Gesamtbild über die Institutionkindlicher Bildung zusammenzufügen.

Elemente eines Verfahrens zur Fremdevaluationkönnen für die im pädagogischen Feld Handelndensein:• Fragebogen für die Bildungsinstitution• Gruppendiskussion• Beobachtung von Professionellen• Befragung von Professionellen• Elterngespräch• Leitungsbefragung• Trägerbefragung• Dokumentenanalyse

167

3.4 Evaluation

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Anhang

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111 Praxispartner haben sich mit der Textfassungdes Entwurfs des Thüringer Bildungsplans für Kin-der bis 10 Jahre intensiv beschäftigt, Fragebögenzur Rückmeldung bearbeitet und an Workshopsteilgenommen. Sie haben damit entscheidend zurinhaltlichen Gestaltung der in diesem Band vor-gelegten Textfassung beigetragen und wichtigeErfahrungen aus ihrer Alltagspraxis eingebracht.Für diese wichtige Mitarbeit sagen die Verant-wortlichen für diesen Bildungsplan ein herzlichesDankeschön:

den Kindertageseinrichtungen

Kindertagesstätte »Zwergenhaus«; ErfurtIntegratives Kinderzentrum; IlmenauIntegrative Kindertagesstätte »Villa Kinderglück«;

JenaKindergarten »Brummkreisel«; AltenburgKindergarten »Pfiffikus«; RudolstadtKindergarten »Friedrich Fröbel«; Oberweißbach/

Thüringer WaldKindertagesstätte »Bienchen«; HeldrungenKindertagesstätte »Blauer Vogel«; Effelder-Rauen-

steinIntegrative Kindertagesstätte der AWO; Leinefelde-

WorbisKindertagesstätte »Springmäuse, am Südpark«;

ErfurtKatholischer Kindergarten »St. Franziskus«; Len-

genfeld unterm SteinDomkindergarten St. Marien; ErfurtEvangelische Kindertagesstätte »Haus für Groß

und Klein«; ErfurtEvangelische Kindertagesstätte »Arche Noah«;

SonnebergKindergarten Neuenhof; EisenachKindertagesstätte »Am Spielplatz«; AltenburgKindertagesstätte »Kinderland«; Mühlhausen/Thü-

ringenFreier Waldorfkindergarten Weimar; WeimarKindertagesstätte »Kinderland«; GeraIntegrative Kindertagesstätte BILLY; JenaKindertagesstätte »Pinocchio«; Jena

Kindertagesstätte »Waldgeister am Steintisch«;Blankenhain

Integrative Kindertagesstätte; VachaKinderkrippe »Kinderland am Borntal«; ErfurtKinderhaus von Wintzingerode; AulebenKindertagesstätte Munketal; JenaKindertagesstätte »Frohe Zukunft«; Zeulenroda-Trie-

besKindertagesstätte »Sonnenschein«; Zeulenroda-Trie-

besKindergarten »Regenbogen«; GerabergIntegrative Kindertagesstätte Ibenhain; Walters-

hausenKindertagesstätte »Clara Zetkin«; SondershausenKindertagesstätte »Sonnenblume«; GothaKindertagesstätte »Ruppbergspatzen« Feldgasse;

Zella-Mehlis

der Kindertagespflegepersonen

Frau Gunda Metzler-Ruder; JenaFrau Freya Freitag; MeiningenFrau Uta Grams; MeiningenFrau Kerstin Gundelwein; MeinigenFrau Ines Orel; GothaFrau Petra Kröhnert; ApoldaFrau Cornelia Reifert; RamslaFrau Birgit Krone; GothaFrau Wibke Eis; RastenbergFrau Dagmar Taubert; Erfurt

der Kinder- und Jugendarbeit/-hilfe

Kinder- und Jugendhäuser GmbH; JenaJugendzentrum/Schullandheim »Gleichberge« e. V.;

RömhildFrohe Zukunft Nordhausen e. V.; NordhausenMitMenschen e. V.; ErfurtFamilienzentrum Bad Sulza; Bad SulzaSchul- und Jugendberatungsstelle Apolda; ApoldaTagesgruppe Apolda; ApoldaKinder- und Jugendstützpunkt; Schleiz

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Ein Dankeschön an die Praxispartner

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den Förderschulen

Staatliches regionales Förderzentrum »Johann-Hein-rich-Pestalozzi«; Nordhausen

Staatliches regionales Förderzentrum »Johann Hein-rich Pestalozzi« ; Sondershausen

Christian-Ludwig-Wucke-Schule Staatliches regina-les Förderzentrum; Bad Salzungen

Staatliches regionales Förderzentrum Erfurt För-derschwerpunkt körperliche und motorische Ent-wicklung; Erfurt

Staatliches regionales Förderzentrum I; GeraStaatliches regionales Förderzentrum; SonnebergStaatliches regionales Förderzentrum; ArnstadtStaatliches regionales Förderzentrum »Erich Käst-

ner«; AltenburgChristophorus-Schule Hermsdorf; HermsdorfStaatliches regionales Förderzentrum Weimar;

Weimar

den Frühförderstellen

Frühförderstelle Leinefelde; Leinefelde-WorbisFrühförderstelle Zeulenroda; Zeulenroda-TriebesFrühförderstelle Arnstadt; ArnstadtFrühförderstelle Sonneberg; SonnebergFrühförderstelle Unstrut-Hainich-Kreis; Bad Langen-

salzaFrühförderstelle Lebenshilfe e.V. St. Georg Klini-

kum Eisenach; EisenachFrühförderstelle Jena; JenaFrühförderstelle der Lebenshilfe Erfurt e. V.; ErfurtFrühförderstelle Gera; GeraFrühförderstelle Zella-Mehlis; Zella-Mehlis

den Grundschulen

Evangelische Grundschule; EisenachFreie Ganztagsschule Milda; MildaStaatliche Grundschule »Heinrich Heine«; JenaStaatliche Grundschule; HeldrungenStaatliche Grundschule; SömmerdaStaatliche Grundschule; StraußfurtStaatliche Grundschule Nikolaischule; Mühlhausen/

ThüringenStaatliche Grundschule »Peter Andreas Hansen«;

GothaStaatliche Grundschule »Burgenland«; Günthersle-

ben-Wechmar

Staatliche Grundschule »Am Schlosspark«; Wutha-Farnroda

EUROPA-SCHULE; ErfurtStaatliche Grundschule; GeraStaatliche Grundschule I; HildburghausenStaatliche Grundschule »Anne Frank«; ThemarStaatliche Grundschule; SachsenbrunnStaatliche Grundschule »Am Stadtpark«; Sonne-

bergStaatliche Grundschule »Ludwig Bechstein«; Arn-

stadtStaatliche Grundschule »Am Stollen«; IlmenauStaatliche Grundschule; KatzhütteStaatliche Grundschule; Bad BlankenburgStaatliche Grundschule; SuhlStaatliche Grundschule »Am Pulverrasen«; Mei-

ningenStaatliche Grundschule; MünchenbernsdorfStaatliche Grundschule; AltenburgStaatliche Grundschule; AltkirchenStaatliche Grundschule; StadtrodaStaatliche Grundschule; »Am Rosenhügel«; Pöß-

neckStaatliche Grundschule: »Lorenz Kellner«; Heilbad

HeiligenstadtStaatliche Grundschule; GernrodeStaatliche Grundschule; »Käthe Kollwitz«; Nord-

hausen

Ein besonderes Dankeschön gilt den Familien, diesich aus dem hohen Interesse an der Bildung ihrerKinder heraus schon mit der Entwurfsfassung desBildungsplans beschäftigt und wichtige Rückmel-dungen zur Lesbarkeit aus der Sicht der Eltern ge-geben haben:

Familie GolmFamilie Fuica-BrevisFamilie HinzFamilie Rost Familie KristenFamilie List Familie Flurschuetz Familie HornFamilie WeddingFamilie NeuschäferFamilie GrimmFamilie Kaes

Ein Dankeschön an die Praxispartner

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Malin, 4 Jahre, S. 8Christian, 4 Jahre, »Grüne Gestalt«, S. 13 Elisabeth, 5 Jahre, »Elisabeth«, S. 44Gordon, 5 Jahre, »Totenköpfe«, S. 46Colleen, 2 Jahre, S. 47 rechtsVanessa, 5 Jahre, S. 50 linksAnna, 10 Jahre, »Quittung«, S. 49Annika, S. 61Antonia, S. 63 rechtsSimone, 6 Jahre, »Schwimmer«, S. 64Sina-Marie, S. 65Laura-Noelle, »Früchte«, S. 77Mia, S. 79Lena, 6 Jahre, »Auto«, S. 80 linksSimone, 6 Jahre, »Hasen«, S. 81Paula, »Gespenster«, S. 97Ben, 2 Jahre, S. 98Anna Lena, 6 Jahre, »Weihnachtsgeschenke«, S. 99Tobias, 6 Jahre, »Kreis«, S. 100 links Johannes, 7 Jahre, »Orchestermaschine«, S. 110Hanna, S. 111 linksMartin, 5 Jahre, S. 111 rechtsUlrike, 7 Jahre, »Klavier«, S. 112Laura-Noelle, S. 122Maurice 1,5 Jahre, S. 123 linksLea, 5 Jahre, S. 123 rechtsCelia, S. 124Simone, 7 Jahre, S. 136Maja, S. 139 linksLeonie, S. 140 Paul & Karl, S. 141Johannes, 3 Jahre, »Sonnenblume«, S. 156Autor unbekannt, »Hund«, S. 168

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