2
Band LVII 7 Erbring, Aufnahme organischer Fltissigkeiten durch Gelatinegele 195 Heft 2 (193l)_1 tiber die Aufnahme organischer Fliissigkeiten durch Gelatinegele ohne Volum~inderung. Von H. Erbring (Leipzig). (Aus der Kolloid-Abteilung des Physikal.-chemischen Instituts Leipzig.) (Eingegangen am 9. Juni 1931.) 1. Bei einem Studium der Literatur, die Sich mit Gelen und Gallerten besch/iftigt, trifft man in letzterer Zeit sehr h/iufig die Frage nach einer Ordnung bzw. Klassifikation tier hierher geh0rigen Systemel). Es sind zu diesem Zweck yon einer Reihe yon Forschern bereits verschie- dene Einteilungsprinzipien vorgeschlagen worden, deren Anwendung bei einem genauen und ein- gehenden Studium der Ciberaus grogen Mannig- faltigkeit gelartiger Systeme sich jedoch nicht immer als.durchfahrbar erwiesen hat. Von diesen verschiedenen Einteilungsprinzi- pien -- von denen hier nur genannt sein m6gen die in reversible und irreversible Gallerten, in Gallerten, unterschieden durch ihre optischen Beschaffenheiten (M c B a i n, v. We i m a r n), dutch ihre elastischen bzw. unelastischen Eigenschaften (H. Freundlich), durch einen verschiedenen Dispersit/itsgrad (Zsigmondy), in emulsoide und suspensoide Gallerten und endlich in Gal- lerten, unterschieden durch ihre verschiedene Entstehungsweise (Wo. Ostwald) -- scheint das letztere yon Wo. Ostwald als genetisches Klassifikationsprinzip bezeichnete die wenigsten theoretischen Voraussetzungen zu enthalten und am zwanglosesten durchffihrbar zu sein. Von noch nicht genannten Einteilungs- prinzipien sei weiterhin der interessante Vor- schlag erw/ihnt, eine Einteilung in tier Weise vorzunehmen, dab man unterscheiden solle zwischen Gelen, die Flfissigkeit aufnehmen unter Q~ellung bzw. V o 1 u m v e r m e h r u n g und solchen, die Flfissigkeit aufnehmen unter Konstanz des Gelvolumens. Es ist bei diesem Einteilungs- prinzip wohl an die sehr charakteristischen Bei- spiele: Gelatine und Kiesels/iure gedacht worden. Aus den folgenden Versuchen geht jedoch hervor, dab es nicht ohne weiteres m6glich ist in der Volum/inderung bei der Flfissigkeitsauf- nahme ein Kennzeichen zu sehen, das allgemein charakteristisch f~r das betr. Gel w/ire. Wir nehmen z.B. an, dab Gelatine ein typischer Vertreter der Gele ist, die Flfissigkeit nur unter Volum/inderung aufzunehmen imstande sind. Wie die folgenden Versuche jedoch zeigen werden, ist es m0glich, auch Gelatine in einen solchen 1) Siehe z.B. Wo. Ostwald, Koll.-Ztschr. 44, 248 (1928). Zustand zu versetzen, bei dem sie Flfis- sigkeiten aufnehmen kann unter Kon- stanz ihres Ausgangsvolumens (innerhalb tier Meggenauigkeit). 2. Es wurde zu diesem Zweck eine zehn- prozentige Gelatinel6sung hergestellt, die nach dem Erstarren in ca. l cm lange W~irfel zer- schnitten wurde. Diese Wfirfel wurden nach dem Vorgang yon O. Bfitschli u. a. einer allm/ih- lichen Entw~isserung unterzogen, indem sie in Wasser--Alkoholgemische mit fortschreitender Zunahme tier Alkoholkonzentration und schlieB- lich in absoluten Alkohol gelegt wurden. Bei einer solchen Entwfisserung entsteht, wie auch S p i e r e r 2) neuerdings durch ultramikroskopische Untersuchungen zeigen konnte, innerhalb des Systems eine Struktur yon vielen feinen Ketten bzw. Kapillaren, die mit fortschreitender Ent- w/isserung und Verfestigung immer stabiler wet- den. Die harten, weig erscheinenden Stacke wurden sodann zur Entfernung tier letzten Fl~issigkeitsreste in ein Vakuum gebracht. Dutch dieses starke ,,Evakuieren" wurde weiterhin noch erreicht, dab die vorhandenen Kan/ilchen und Kapillaren aufplatzten und sich aufschlossen. Es wurde auf diese Weise eine sehr enge, nach ,,augen und innen ge6ffnete" Kapillarstruk- tur gebildet. Bringt man nun eine solche vorbehandelte Gelatine mit organischen Flfissigkeiten in Be- rfihrung, so beobachtet man eine ,,Aufnahme" dieser Flfissigkeiten, was durch die Gewichts- ver/inderung der betr. Gelsubstanz festgestellt werden konnte. Die Gelatine selbst bleibt hierbei jedoch unver/indert, und weiterhin ist auch alas Gelvolumen vor und nach tier Flfissig- keitsaufnahme das gleiche. In der folgen- den Tabelle I sind einige dieser Versuche wieder- gegeben. Wir beobachten, dab bei allen ffinf unter- suchten organischen Fliissigkeiten eine Ge- wichtszunahme des reinen Gelatinegels fest- gestellt werden konnte. Die Temperatur, bei der die Versuche ausgeffihrt wurden, betrug 20~ die Zeit tier gegenseitigen Einwirkung 24 Stunden. In der Tabelle I sind weiterhin die gefundenen Gewichtszunahmen umgerechnet 2) Spierer, Koll.-Ztschr. 55, 40 (1931).

Über die Aufnahme organischer Flüssigkeiten durch Gelatinegele ohne Volumänderung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Über die Aufnahme organischer Flüssigkeiten durch Gelatinegele ohne Volumänderung

Band LVII 7 Erbring, Aufnahme organischer Fltissigkeiten durch Gelatinegele 195 H e f t 2 (193l)_1

tiber die Aufnahme organischer Fliissigkeiten durch Gelatinegele ohne Volum~inderung.

Von H. Erbr ing (Leipzig). (Aus der Kolloid-Abteilung des Physikal.-chemischen Instituts Leipzig.)

( E i n g e g a n g e n a m 9. J u n i 1931.)

1. Bei einem Studium der Literatur, die Sich m i t Gelen und Gallerten besch/iftigt, trifft man in letzterer Zeit sehr h/iufig die Frage nach einer O r d n u n g bzw. K l a s s i f i k a t i o n tier hierher geh0rigen Systemel). Es sind zu diesem Zweck yon einer Reihe yon Forschern bereits verschie- dene Einteilungsprinzipien vorgeschlagen worden, deren Anwendung bei einem genauen und ein- gehenden Studium der Ciberaus grogen Mannig- faltigkeit gelartiger Systeme sich jedoch nicht immer als.durchfahrbar erwiesen hat.

Von diesen verschiedenen Einteilungsprinzi- pien - - von denen hier nur genannt sein m6gen die in reversible und irreversible Gallerten, in Gallerten, unterschieden durch ihre optischen Beschaffenheiten (M c B a i n, v. We i m a r n), dutch ihre elastischen bzw. unelastischen Eigenschaften (H. F r e u n d l i c h ) , durch einen verschiedenen Dispersit/itsgrad ( Z s i g m o n d y ) , in emulsoide und suspensoide Gallerten und endlich in Gal- lerten, unterschieden durch ihre verschiedene Entstehungsweise (Wo. Os twa ld ) - - scheint das letztere yon Wo. O s t w a l d als g e n e t i s c h e s Klassifikationsprinzip bezeichnete die wenigsten theoretischen Voraussetzungen zu enthalten und am zwanglosesten durchffihrbar zu sein.

Von noch nicht genannten Einteilungs- prinzipien sei weiterhin der interessante Vor- schlag erw/ihnt, eine Einteilung in tier Weise vorzunehmen, dab man unterscheiden solle zwischen Gelen, die Flfissigkeit aufnehmen unter Q~ellung bzw. V o 1 u m v e r m e h r u n g und solchen, die Flfissigkeit aufnehmen unter K o n s t a n z des G e l v o l u m e n s . Es ist bei diesem Einteilungs- prinzip wohl an die sehr charakteristischen Bei- spiele: Gelatine und Kiesels/iure gedacht worden.

Aus den folgenden Versuchen geht jedoch hervor, dab es nicht ohne weiteres m6glich ist in der Volum/inderung bei der Flfissigkeitsauf- nahme ein Kennzeichen zu sehen, das a l l g e m e i n charakteristisch f~r das betr. Gel w/ire. Wir nehmen z.B. an, dab Gelatine ein typischer Vertreter der Gele ist, die Flfissigkeit nur unter V o l u m / i n d e r u n g aufzunehmen imstande sind. Wie die folgenden Versuche jedoch zeigen werden, ist es m0glich, auch G e l a t i n e in e inen so l chen

1) Siehe z.B. Wo. Ostwald, Koll.-Ztschr. 44, 248 (1928).

Z u s t a n d zu v e r s e t z e n , bei dem sie Flfis- s i g k e i t e n a u f n e h m e n k an n u n t e r Kon- s t a n z ih res A u s g a n g s v o l u m e n s (innerhalb tier Meggenauigkeit).

2. Es wurde zu diesem Zweck eine zehn- prozentige Gelatinel6sung hergestellt, die nach dem Erstarren in ca. l cm lange W~irfel zer- schnitten wurde. Diese Wfirfel wurden nach dem Vorgang yon O. Bf i t sch l i u. a. einer a l lm/ ih- l i chen Entw~isserung unterzogen, indem sie in Wasser--Alkoholgemische mit fortschreitender Zunahme tier Alkoholkonzentration und schlieB- lich in absoluten Alkohol gelegt wurden. Bei einer solchen Entwfisserung entsteht, wie auch S p i e r e r 2) neuerdings durch ultramikroskopische Untersuchungen zeigen konnte, innerhalb des Systems eine Struktur yon vielen feinen Ketten bzw. Kapillaren, die mit fortschreitender Ent- w/isserung und Verfestigung immer stabiler wet- den. Die harten, weig erscheinenden Stacke wurden sodann zur Entfernung tier letzten Fl~issigkeitsreste in ein Vakuum gebracht. Dutch dieses starke ,,Evakuieren" wurde weiterhin noch erreicht, dab die vorhandenen Kan/ilchen und Kapillaren aufplatzten und sich aufschlossen. Es wurde auf diese Weise eine sehr enge, nach ,,augen und innen ge6ffnete" K a p i l l a r s t r u k - t u r gebildet.

Bringt man nun eine solche vorbehandelte Gelatine mit o r g a n i s c h e n Flfissigkeiten in Be- rfihrung, so beobachtet man eine , ,Aufnahme" dieser Flfissigkeiten, was durch die Gewichts- ver/inderung der betr. Gelsubstanz festgestellt werden konnte. Die Gelatine selbst bleibt hierbei jedoch unver/indert, und weiterhin ist auch alas G e l v o l u m e n vor und nach tier Flf iss ig- k e i t s a u f n a h m e das gle iche. In der folgen- den Tabelle I sind einige dieser Versuche wieder- gegeben.

Wir beobachten, dab bei allen ffinf unter- suchten organischen Fliissigkeiten eine Ge- w i c h t s z u n a h m e des reinen Gelatinegels fest- gestellt werden konnte. Die Temperatur, bei der die Versuche ausgeffihrt wurden, betrug 20~ die Zeit tier gegenseitigen Einwirkung 24 Stunden. In der Tabelle I sind weiterhin die gefundenen Gewichtszunahmen umgerechnet

2) Spierer, Koll.-Ztschr. 55, 40 (1931).

Page 2: Über die Aufnahme organischer Flüssigkeiten durch Gelatinegele ohne Volumänderung

196 Erbring, Aufnahme organischer Flfissigkeiten dureh Gelatiaegele [- Konoid- L Ze i t sch r i f t

Entw~isserte Gelatinemenge

in g

0,6660 1,2300 1,0500 1,6410 1,9200

Art der Gewichts- FRissigkeit zunahme

" in g

Hexan 0,4354 CC14 0,9262 Toluol 0,2944 Benzol 0,3034 Nther 0,0992

T a b e l l e I.

Gewichts- zunahme

pro 1 g Gel

0,6538 0,7530 0,2803 0,1849 0,0517

Menge des pro 1 g Gel aufgenommenen Flfissigkeitsvolums

in ecru

0,9913 0,4725 0,3237 0,2104 0,0724

in Proz.

ca. 99 ca. 47 ca. 32. ca. 21 ca. 7

worden auf die pro 1 g 'Gel aufgenommenen Flfissigkeits v o I u m i n a.

3. Die hier besonders hervorzuhebende Er- scheinung ist nun die, dab das Volumen des Ausgangsgels, obgleich es Flfissigkeit aufgenom- men hat, sich in keiner megbaren Weise ge- f inder t hat.

Zur genaueren Prfifung wurde ein kleines Stfick des Gelatinegels auf einen Objektivtdiger, der in der Mitte eine schwache Vertiefung besag, gebracht, Tetrachlorkohlenstoff hinzugegeben und mit einem Deekgl~ischen gegen Verdunstung luft- dicht abgeschlossen. Nach einsttindiger Ein- wirkungsdauer konnte dutch Beo.bachtung im Mikroskop mit Okularmal~stab festgestelit wer- den, dab das Volumen sich nicht megbar ver- gr6gert hatte. Dasselbe Resultat zeigte sich nach ca. 24 Stunden.

Die gefundene Gewichtszunahme ist also nur dadurch zu erkl/iren, dal3 die organische Flfissig- keit in die Kapillaren des Systems ,,eingesaugt" wird, ohne die Gelatine selbst irgendwie zu ver- ~indern. Die Erscheinung ist also ganz die gleiche wie bei tier Kiesels~iure.

Es ist also ificht ohne Schwierigkeiten m6g- lich, eine neue Einteilung der Gallerten nach dem oben erw~ihnten Prinzip - - unterschieden durch volumkonstante und volumver~inderliche Flfissig- keitsaufnahme - - vorzunehmen.

4. Interessant ist, dab bei einer Betrachtung der aufgenommenen Flfissigkeitsmengen wir mit einer nur geringen Abweichung dieselbe Reihen- folge vorfinden, wie sie yon Wo. O s t w a l d und W. H a l t e r 3) bei der Erscheinung tier L y o s o r p - t i on beobachtet worden ist, was vielleicht auf

einen Zusammenhang beider Erscheinungen hin- weisen k6nnte.

Z u s a m m e n f a s s u n g . 1. Eine zehnprozentige Gelatinel6sung wurde

durch Alkohol einer allm~hlichen Entw/isserung unterzogen und nach dem Erstarren in kleine Wfirfel zerschnitten, die zwecks Erzeugung einer festen K a p i l l a r s t r u k t u r l~ingere Zeit im Vakuum behandelt wurden.

2. Bringt man eine auf diese Weise vorbehan- delte Gelatine mit verschiedenen o r g a n i s c h e n Flfissigkeiten zusammen, so beobachtet man eine A u f n a h m e dieser Flfissigkeiten durch das Gel, wobei dieses - - was besonders wichtig ist - - sein V o l u m e n n i c h t ~indert. Die Gelatinegallerte verh/ilt sich also jetzt wie ein t(iesels~iuregel.

3. Die Reihenfolge der pro 1 g Gel aufgenom- menen Flfissigkeitsvolumina entspricht der yon Wo. O s tw a ld und W. H a l l e r bei der Erschei- nung der L y o s o r p t i o n . beschriebenen.

4. Die vorliegenden Versuche zeigen, dab es nicht ohne weiteres m6glich ist, 'eine allgemeine Klassifikation der Gallerten durchzuffihren in solche, die Flfissigkeiten aufnehmen unter Vo- l u m v e r m e h r u n g (Gelatine gegen Wasser) oder unter K o n s t a n t h a l t u n g des G e l v o l u m s (Kiesels~iure).

$ $

Die vorliegenden Versuche gehen auf eine Anregung yon Prof. Wo. O s t w a l d zurfick, dem ich hierffir bestens danken m0chte.

3) Wo. Ostwald und W. Hailer , Kolloidchem. Beih. 29, 6 (1929).