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Uber ,,Schizoidisierung" bei innersekretorischen St~rungen. Von Prof. Dr. reed. et phil. M. Serejski (Moskau). (Eingegangen am 18. Juli 1928.) Indem ich die charakterologische S~ruktur der Siichtigen studierte, hob ich 1924 den Begriff der ,,Schizoidisierung" hervor (Z. Neur. 95), der sowohl in der ausl~ndischen wie in der russischen Presse einen Widerhall fand (Jo~l und Fraenkel, Schwarz, Brandeburg, Simson, Ssucharewa, Ossipowa, Jislin, Frumkin, Wnuko/], Ksenokrato//, Michel- son u.a.). Dieser Begriff hat eine prinzipielle Bedeutung und bezieht sich nicht nur auf Siichtige; so bedient sich Simson seiner beim Studium der Psyche yon Tuberkulosekranken usw. 1926 deutete Ho//mann, indem er die Frage der dynamischen Typen und der M6glichkeit einer Ver~nderung der charakterologischen Struktur beriihrte, darauf hin, dal~ diese Veri~nderungen ebenso durch exogene wie endogene Ursachen bedingt sein kSnnen. Zu den exogenen Ursachen reehnet Ho//mann die psychischen Traumen, veri~nderte soziale Bedingungen u. a. ; der- artige Beispiele sah dieser Autor nicht selten in Deutschland in der auf den Krieg gefolgten schweren Zeitperiode. Die endogenen Ursaehen sind vor allem mit den ,,kritischen Lebensphasen" verkniipft, meisten- teils mit der Pubert~tsperiode und der Involutionsperiode. Anl~lMich des ~berganges einer eyeloiden Konstitution in eine schizoide im Zu- sammenhang mit dem Pubert~tsalter weist Ho//mann auf Bleuler hin, der bis zu diesem Alter cycloid war und naehher schizoid wurde. In dieser Periode kann sich auch der somatische Typus veri~ndern. So kann ein syntoner Mensch mit pyknischem Habitus in einen schizoiden Astheniker umgewandelt werden. Der Zusammenhang der charakterologischen Strukturver~nderungen mit den erw~hnten endokrinen Phasen brachte mich auf den Gedanken einer M6ghchkeit derartiger Veranderungen aueh bei anderen endo- krinen Verschiebungen. Indem ieh in diese Richtung meine Aufmerk- samkeit lenkte, stieB ieh sehr bald auf eine Reihe Patienten, meist Basedowf/~lle, die deutlich auf Schizoidisierung nach Beginn dieser Krankheit hinwiesen. Dies ist um so merkwiirdiger, als ja gerade bei Basedowikern die charakterologische Reaktion eher in der ,,cycloiden" Richtung hegt. Ein Teil dieser Kranken hatte deutliehe Symptome

Über „Schizoidisierung“ bei innersekretorischen Störungen

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Uber ,,Schizoidisierung" bei innersekretorischen St~rungen. Von

Prof. Dr. reed. et phil. M. Serejski (Moskau).

(Eingegangen am 18. Juli 1928.)

Indem ich die charakterologische S~ruktur der Siichtigen studierte, hob ich 1924 den Begriff der ,,Schizoidisierung" hervor (Z. Neur. 95), der sowohl in der ausl~ndischen wie in der russischen Presse einen Widerhall fand (Jo~l und Fraenkel, Schwarz, Brandeburg, Simson, Ssucharewa, Ossipowa, Jislin, Frumkin, Wnuko/], Ksenokrato//, Michel- son u.a.). Dieser Begriff hat eine prinzipielle Bedeutung und bezieht sich nicht nur auf Siichtige; so bedient sich Simson seiner beim Studium der Psyche yon Tuberkulosekranken usw. 1926 deutete Ho//mann, indem er die Frage der dynamischen Typen und der M6glichkeit einer Ver~nderung der charakterologischen Struktur beriihrte, darauf hin, dal~ diese Veri~nderungen ebenso durch exogene wie endogene Ursachen bedingt sein kSnnen. Zu den exogenen Ursachen reehnet Ho//mann die psychischen Traumen, veri~nderte soziale Bedingungen u. a. ; der- artige Beispiele sah dieser Autor nicht selten in Deutschland in der auf den Krieg gefolgten schweren Zeitperiode. Die endogenen Ursaehen sind vor allem mit den ,,kritischen Lebensphasen" verkniipft, meisten- teils mit der Pubert~tsperiode und der Involutionsperiode. Anl~lMich des ~berganges einer eyeloiden Konstitution in eine schizoide im Zu- sammenhang mit dem Pubert~tsalter weist Ho//mann auf Bleuler hin, der bis zu diesem Alter cycloid war und naehher schizoid wurde. In dieser Periode kann sich auch der somatische Typus veri~ndern. So kann ein syntoner Mensch mit pyknischem Habitus in einen schizoiden Astheniker umgewandelt werden.

Der Zusammenhang der charakterologischen Strukturver~nderungen mit den erw~hnten endokrinen Phasen brachte mich auf den Gedanken einer M6ghchkeit derartiger Veranderungen aueh bei anderen endo- krinen Verschiebungen. Indem ieh in diese Richtung meine Aufmerk- samkeit lenkte, stieB ieh sehr bald auf eine Reihe Patienten, meist Basedowf/~lle, die deutlich auf Schizoidisierung nach Beginn dieser Krankheit hinwiesen. Dies ist um so merkwiirdiger, als ja gerade bei Basedowikern die charakterologische Reaktion eher in der ,,cycloiden" Richtung hegt. Ein Teil dieser Kranken hatte deutliehe Symptome

522 M. Serejski: t~ber ,,Sehizoidisierung" bei innersekretorisehen St6rungen.

von Disharmonie, besal3 eine cycloid-schizoidide Mischkonst i tut ion; der Morbus Basedowii ha t t e hier nichts Neues geschaffen, sondern blol3 die schizoiden Ziige an den Tag gebracht . Aber das war nicht immer so. I ch werde hier einen Fall reiner cycloider Kons t i tu t ion anftihren, der diese Sachlage illustriert und uns auf3erdem besonders fiberzeugend scheint, da die Kranke spontan darauf kam, von ihrer , ,Schizoidisierung" zu sprechen, und nicht durch darauf beziigliche Fragen dazu veranlaBt wurde, da nicht immer eine Beeinflussung dieser oder jener An twor t auszuschliel3en m6glich ist.

Patientin W., 40 Jahre, Vater starb mit 63 Jahren an einem Insult, Alkoholiker, ,,stumpfsinnig"; Mutter starb mit 38 Jahren an Kehlkopftuberkulose, Bruder starb mit 21 Jahren an Lungentuberkulose. Die Kranke selbst war als Kind gesund. Beendigte die Dorfschule, lernte gut, Menstruation yon 17 Jahren regelm~Big, aber stark und schmerzhaft. Heiratete zu 24 Jahren, hatte 9 Schwangersehaften, darunter 3 Aborte, 4 Kinder starben. Familienleben befriedigend. Die Kranke arbeitet von 13 Jahren anin einer Fabrik; die Arbeit ist nicht sehwer. 1919 Grippe. Von 1919 an eifrige sozialparteiliehe T~tigkeit. Die jetzige Krankheit begann im August 1927, im Zusammenhang mit Aufregungen hiiuslicher und sozialer Art. Sehr abgeschw~cht, arbeitet schlecht, bedeutend abgemagert, Menstruation h/~u- tiger und noch schmerzhafter und blieb in den letzten 2 Monaten aus. Eine ob- jektive Untersuchung ergab das deutliche Bild einer Basedowsehen Krankheit. Vergr6Berung der Schilddrfise, Tachykardie (Puls 100), Tremor der Finger, starke Abmagerung, Schweil3e, Haarausfall, erhShte Temperatur, allgemeine Schw~che, zuweilen Diarrh6en; yon Augensymptomen nur Moebins rechts. In den Lungen verl/~ngertes Exspirium rechts; im Herzen Arhythmia perpetua. Pupillenreaktion alff Licht und Akkommodation gut. Die Sehnenreflexe erh6ht. Roter Dermo- graphismus.

Die Kranke betont, dal3 sie vor ihrer Krankheit ausgesproehen gesellig, gut, nachsichtig war, mit niemandem in Streit geriet, immer munter, lebensfroh und ruhig war. Im vorigen Jahre hat sich ihr Charakter ganz veri~ndert. Sie sucht nun die Einsamkeit, ftihlt sich in der Gesellschaft yon Menschen schlecht, emp- findet Sehtiehternheit, Angstgeffihl, ist gereizt und dabei apathiseh.

MSglicherweise h~t ten die an den Tag gelegten schizoiden Mecha- nismen auch nach der erblichen Linie entdeckt werden k6nnen. Leider haben wir nicht die M6glichkeit, diese Vermutung zu prfifen.

Es scheint uns also berechtigt , allgemein prinzipielle Bedeutung des Begriffes der , ,Schizoidisierung" zu betonen.