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Update Arbeitsrecht
Neue Rechtsprechung und Gesetzgebung
2015/2016
Seminar der IHK-Akademie München Westerham
26. November 2015
Anke Voswinkel
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht,
Mediatorin
Einleitung
Copyright
Die folgenden Dokumentationsunterlagen wurden im Auftrag der IHK Akademie München
und Oberbayern erstellt und sind vom Verfasser durch das Urheberrecht geschützt.
Nachdruck, Vervielfältigung, (Weiter)-Bearbeitung – auch auszugsweise – und / oder
Weiterleitung an Dritte ist urheberrechtlich nicht gestattet. Verfasser/-in dieser Unterlagen:
Rechtsanwältin Anke Voswinkel
Kontaktdaten:
Voswinkel Rechtsanwälte
Rechtsanwältin Anke Voswinkel
Grillparzerstr. 10
81675 München
Tel.: 089/ 55 05 47 80
Fax: 089/ 55 05 47 85
E-Mail: [email protected]
www.ra-voswinkel.de
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 2
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 3
Gliederung
A. Einstellung
B. Betriebsübergang
C. Befristung
D. Teilzeit
E. AÜG - Werk- und Dienstvertrag
I. Gesetzgebung
II. Rechtsprechung
F. Geldleistungen
G. Vertragsklauseln
I. Gesetzgebung
II. Rechtsprechung
H. Arbeitszeit – Überstunden
I. Krankheit
J. Urlaub/Pflegezeit
K. Mutterschutz - Elternzeit
I. Gesetzgebung
II. Rechtsprechung
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 4
Gliederung
L. Schadensersatz – Vertragsstrafe
M. Betriebsrat
N. Soziale Mitbestimmung
O. Versetzung – Vertragsänderung
P. Abmahnung - Beurteilung
Q. Kündigung
R. Personenbedingte Kündigung
S. Leistungskündigung
T. Betriebsbedingte Kündigung
U. Mitbestimmung Kündigung
V. Freistellung – Suspendierung
W. Austrittsvereinbarung
X. Zeugnis
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 5
Einleitung
Einleitung
Update Arbeitsrecht ist eine jährliche Veranstaltung der IHK. Sie dient der
Vertiefung arbeitsrechtlicher Kenntnisse und dem Erfahrungsaustausch
unter Praktikern. Die Referentin stellt Ihnen gesetzliche Neuregelungen und
ausgewählte Gerichtsentscheidungen vor. Sie bespricht aktuelle Probleme
zum Arbeitsvertrags-, Kündigungs- und Betriebsverfassungsrecht. Erörtert
werden insbesondere die Konsequenzen neuer arbeitsrechtlicher
Entwicklungen für die betriebliche Praxis und Personalarbeit.
Die zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) finden Sie
veröffentlicht in vielen Fachzeitschriften und regelmäßig auch unter
www.bundesarbeitsgericht.de, dort unter Entscheidungen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 6
A. Einstellung
Bewerbungsunterlagen für den BR
AG mit Betriebsrat haben diesen nach § 99 BetrVG über geplante Einstellungen und
Versetzungen unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten. Die
erforderlichen Unterlagen schließen Schriftstücke, die der AG im Bewerbungsverfahren
über den Bewerber erstellt hat, ein, z.B. Ergebnisse von Einstellungstests.
Gesprächsnotizen, die für die Auswahl des AG ohne Bedeutung waren, muss
der AG nicht vorlegen, BAG 14.07.2015, 1 ABR 58/13.
Dies betrifft insbesondere formlose, unstrukturierte Gesprächsnotizen - hier „der
Personalsachbearbeiterin“ beim Vorstellungsgespräch.
Eine Protokollierungspflicht des AG über Bewerbungsgespräche besteht nicht.
Grund: der BR hat kein Teilnahmerecht an Bewerbungsgesprächen; dies muss nicht
durch die Wiedergabe der Gespräche ausgeglichen werden.
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B. Betriebsübergang
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 8
C. Befristung
Befristete Vertragsverlängerung nach Renteneintritt
Vereinbaren AG und AN nach Erreichen des Renteneintrittsalters, das
Arbeitsverhältnis befristet fortzusetzen, kann die Befristung sachlich
gerechtfertigt sein, wenn der AN gesetzliche Altersrente bezieht und die
Befristung der Einarbeitung einer Nachwuchskraft dient, BAG 11.02.2015, 7 AZR
17/13.
Erforderlich ist, dass die befristete Fortsetzung einer „konkreten, im Zeitpunkt der
Befristung bestehenden Personalplanung des Arbeitgebers dient“.
Dass der AN gesetzliche Altersrente bezieht, stellt allein keinen Sachgrund für die
Befristung „in der Person des AN“ gemäß § 14 Abs. I S. 2 Nr. 6 TzBfG
Tipp: Der Sachgrund ist also sorgfältig zu prüfen und die Beweisbarkeit sicherzustellen
Seit 01.07.2014 bietet der neue § 41 Satz 3 SGB VI erweiterte Befristungsmöglichkeiten
nach Renteneintritt, die Europarechtskonformität ist jedoch bestritten, so dass das
Risiko eines unbefristeten Arbeitsvertrags besteht.
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D. Teilzeit
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 10
E. AÜG - Werk- und Dienstvertrag
I. Gesetzgebung
E. AÜG - Werk- und Dienstvertrag
Referentenentwurf zur Leiharbeit und Werkverträgen
1. Zweck des Referentenentwurfs des BMAS vom 16.11.2015:
Umsetzung des Koalitionsvertrags
„Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir verhindern“.
2. Auswirkungen
Der vorgelegte Entwurf geht über die Koalitionsvereinbarung und
Missbrauchsfälle weit hinaus
Da der Entwurf erst in der regierungsinternen Abstimmung steht, lässt sich
der endgültige Inhalt der Rechtsänderungen noch nicht präsentieren
Was absehbar ist, ist aber äußerst bedenklich und schwierig anzuwenden,
es stellt viele etablierte Vertragsmodelle in Frage, z. B. in den Bereichen IT-
Services, Wach- und Sicherheitsdienst, Catering, Logistik
Unternehmen sollten frühzeitig ihre Vertragsmodelle, v.a. die
Zusammenarbeit mit Freien Mitarbeitern überprüfen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 11
E. AÜG - Werk- und Dienstvertrag
3. Abgrenzung Arbeitsvertrag – Werkvertrag, § 611 a BGB neu
„(1) Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrages zugesagten Leistungen um
Arbeitsleistungen, liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste
erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen
unterliegt. Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander
widersprechen, ist für die rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche
Durchführung maßgebend.
(2) Für die Feststellung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 für das Vorliegen eines
Arbeitsvertrages erfüllt sind, ist eine wertende Gesamtbeurteilung aller Umstände des
Einzelfalls vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich,
ob jemand
a. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder
seinen Arbeitsort zu bestimmen,
b. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
c. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
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E. AÜG - Werk- und Dienstvertrag
d. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem
anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
e. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
f. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu
erbringen,
g. Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten
Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,
h. für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.
(3) Das Bestehen eines Arbeitsvertrages wird widerleglich vermutet, wenn die
Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch
insoweit das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat.“
Nach dem Koalitionsvertrag sollten die wesentlichen von der Rechtsprechung
entwickelten Abgrenzungskriterien gesetzlich festgeschrieben werden, tatsächlich
werden sie deutlich verändert
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E. AÜG - Werk- und Dienstvertrag
4. Leiharbeit – Änderung des AÜG
Begrenzung der Höchstüberlassungsdauer bei demselben Entleiher auf 18
aufeinanderfolgende Monate
Längere Zeiten durch Tarifvertrag bei Tarifgeltung möglich, auch durch
Betriebsvereinbarungen aufgrund TV, nicht aber durch Übernahme einer tariflichen
Regelung von nicht tarifgebundenen Unternehmen
Gleichstellung hinsichtlich aller wesentlichen Arbeitsbedingungen, tarifliche
Abweichung maximal für 12 Monate; Übernahme durch Bezugnahme auch für nicht
tarifgebundene AG möglich
Anrechnung von Zeiten der Überlassung durch anderen Verleiher, wenn zwischen den
Einsätzen nicht mehr als 6 Monate liegen (für Überlassungszeiten ab 01.01.2017)
Kein Einsatz von Leih-AN beim Entleiher, der unmittelbar bestreikt wird
Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher, § 9 Nr. 1a und b AÜG n.F.
a) wenn in dem Vertrag Verleiher-Entleiher die Überlassung nicht ausdrücklich als AÜ
bezeichnet ist oder
b) darin die Person des Leih-AN nicht konkretisiert ist oder
c) bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer,
wenn Leih-AN nicht schriftlich am Vertrag mit dem Verleiher festhält.
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E. AÜG - Werk- und Dienstvertrag
II. Rechtsprechung
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 16
F. Geldleistungen
Mindestlohn bei Entgeltfortzahlung
Nach dem BAG ist in Fällen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an
Feiertagen der Mindestlohn und nicht ein etwa vereinbarter geringerer
vertraglicher Lohn fortzuzahlen, BAG 13.05.2015, 10 AZR 191/14.
Entschieden hat das BAG dies für einen nach § 7 AEntG allgemein verbindlichen Tarifvertrag
für pädagogisches Personal, die Begründung liegt jedoch in dem Entgeltausfallprinzip gemäß
§ 4 EFZG, so dass dies
auch für den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zutreffen dürfte.
Entsprechendes hat das BAG für die Pflegebranche gem. § 2 PflegeArbbV, 11 AEntG
angedeutet, BAG 19.11.2014 5 AZR 1101/12.
F. Geldleistungen
Mindestlohn bei Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst
Für das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV hat das BAG entschieden:
Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst begründen wie Vollarbeit einen
Anspruch auf das Mindestentgelt, nicht aber Rufbereitschaft, BAG 19.11.2014,
5 AZR 1101/12.
Übertragbar auf das MiLoG
Arbeitsbereitschaft: wache Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung;
Bereitschaftsdienst: AN hält sich außerhalb der regulären Arbeitszeit an einem vom
AG vorgegebenen Ort auf, um bei Bedarf die Arbeit unverzüglich aufzunehmen;
Rufbereitschaft: AN kann den Aufenthaltsort wählen.
Die Vergütung für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst darf geringer als für
Vollarbeit sein, muss jedoch den Mindestlohn erreichen
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 17
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 18
F. Geldleistungen
Übernahme höherwertiger Tätigkeiten
Verrichtet ein Praktikant höherwertige Dienste, als für das Praktikum vereinbart
waren, so hat er Anspruch auf die übliche Vergütung für diese außervertraglichen
höherwertigen Leistungen gemäß § 612 Abs. 1 BGB, BAG 10.02.2015, 9 AZR
289/13.
Wer als AG den Praktikant praktikumswidrig zu höherwertigen Dienstleistungen
heranzieht, muss also mit einer Nachforderung rechnen.
Entsprechendes hat das BAG am 25.03.2015, 5 AZR 874/12 auch für die
Übernahme höherwertiger Vertretungstätigkeiten durch einen AN entschieden,
auch insoweit hatte der AN Anspruch auf die übliche Vergütung für die
höherwertige Tätigkeit.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 19
G. Vertragsklauseln
I. Gesetzgebung
G. Vertragsklauseln
Gesetz zur Tarifeinheit
In Kraft seit 10.07.2015; keine Anwendung jedoch auf zu dem Zeitpunkt
bereits geltende TV, § 13 Abs. 3 TVG = erst bei Neuverhandlung von TVen
Ziel: Sicherung der Tarifautonomie in Fällen kollidierender Tarifverträge im
Betrieb, insbesondere Schutz-, Verteilungs-, Befriedigungs- und
Ordnungsfunktion von Flächentarifverträgen
Inhalt: neuer § 4a Tarifvertragsgesetz (TVG) „Tarifkollision“
Hintergrund/Problemstellung: Nach § 3 TVG kann der AG an mehrere
Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein, wenn er
Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist oder einen Haustarifvertrag
geschlossen hat, sog. Tarifpluralität. Die Anwendung kollidierender
Tarifverträge in einem Betrieb ist für den AG jedoch schwierig, insbesondere
soweit es um betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen geht.
Anlass: Änderung der BAG-Rechtsprechung 2010, Aufgabe des
Grundsatzes der Tarifeinheit; Arbeitskämpfe der Sparten- bzw.
Berufsgewerkschaften in der Daseinsvorsorge.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 20
G. Vertragsklauseln
§ 4a Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 TVG
(2) „… Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge
verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge),
sind im Betrieb
nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar,
die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden
Tarifvertrags
im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat.
Kollidieren die Tarifverträge erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist dieser für die
Mehrheitsfeststellung maßgeblich …“
= Mehrheits- statt Spezialitätsprinzip
„(3) Für Rechtsnormen eines Tarifvertrags über eine betriebsverfassungsrechtliche Frage
nach § 3 Absatz 1 und § 177 Absatz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt Absatz 2
Satz 2 nur, wenn diese betriebsverfassungsrechtliche Fragen bereits durch Tarifvertrag
einer anderen Gewerkschaft geregelt ist.“ (= Mehrheits- statt Windhundprinzip)
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 21
G. Vertragsklauseln
§ 4a Abs. 4 TVG
Zwangsverdrängung soll nur „ultima ratio“ sein
die beteiligten Gewerkschaften sind aufgefordert, sich vorher friedlich zu
einigen, z. B. durch verbandsinterne Konfliktlösung oder
Abstimmung und Abgrenzung der Zuständigkeit
Bildung von Tarifgemeinschaften
Abschluss inhaltsgleicher Tarifverträge
Abschluss von Anschlusstarifverträgen/Nachzeichnung (Anspruch einer
Gewerkschaft gegenüber dem AG)
Infopflicht über die Aufnahme von Verhandlungen über einen TV für AG
oder AG-Vereinigung, mündliches Vortragsrecht anderer Gewerkschaften
hinsichtlich ihrer Vorstellungen und Forderungen, § 4a Abs. 5 TVG
(einklagbar; keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Mehrheits-TV)
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 22
G. Vertragsklauseln
Auswahlrisiko des Arbeitgebers hinsichtlich der geltenden
Tarifverträge!
Prüffolge bei Tarifverträgen unterschiedlichen Inhalts
1. Welche (überschneidenden) Tarifverträge (verschiedener Gewerkschaften) kommen
für eine Anwendung in Frage?
2. Liegen dabei inhaltliche Abweichungen/Kollisionen vor? Falls ja weiter mit 3.
Falls inhaltlich identische Abschlüsse, Nachzeichnung oder Anschlusstarifverträge:
Anwendung nebeneinander, Tarifpluralität
3. - Welche Gewerkschaft hat die meisten Mitglieder
- zum Zeitpunkt des letzten kollidierenden Tarifvertrags
- im maßgeblichen Betrieb?
- Im Zweifel Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens zur Klärung
des anwendbaren TV, § 2a Abs. 1 Nr. 6 ArbGG n.F.
Nachweis der Mehrheitsposition durch die Gewerkschaft aufgrund notarieller
Bestätigung des Mitgliederbestands, § 58 Abs. 3 ArbGG!?– Risiko, da gänzlich unklar
4. Wiederaufleben des verdrängten (= nicht unwirksamen oder nichtigen)
Minderheitstarifvertrags, wenn der Mehrheitsvertrag endet?
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 23
G. Vertragsklauseln
Offene Fragen
Verfassungsmäßigkeit angesichts des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit der
verdrängten (idR kleineren) Gewerkschaft und deren Mitglieder?
Wirksamkeit nach Art. 11 EMRK, Nr. 87, 98 ILO-Übereinkommen?
Wie wird der anwendbare Tarifvertrag im Urteilsverfahren eines AN
ermittelt, der tarifvertragliche Ansprüche einklagt?
Sperrwirkung des verdrängten (aber nicht unwirksamen oder nichtigen) TV
im Sinne der §§ 87 Abs. 1 Halbsatz 1, 77 Abs. 3 BetrVG?
Welcher Tarifvertrag gilt, wenn arbeitsvertragliche Verweisungsklauseln auf
- den verdrängten TV ( Günstigkeitsprinzip?)
- den „für das Unternehmen einschlägigen“ Tarifvertrag verweisen?
Auswirkungen auf Arbeitskämpfe? Unzulässigkeit eines Streiks der
Minderheitengewerkschaft im Betrieb um einen TV? Bewusst vom
Gesetzgeber keine Regelungen dazu aufgenommen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 24
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 25
G. Vertragsklauseln
II. Rechtsprechung
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 26
G. Vertragsklauseln
Veröffentlichung von Videoaufnahmen eines AN
Bildnisse von AN dürfen nur mit ihrer schriftlichen Einwilligung veröffentlicht werden, § 22
KUG.
Eine ohne Einschränkung erteilte Einigung des AN erlischt nicht automatisch mit
Vertragsbeendigung. Der AN kann sie aber widerrufen unter Voraussetzung, dass
er dafür einen plausiblen Grund angibt. BAG 19.02.2015, 8 AZR 1011/13
Hier ging es um einen Werbefilm auf der Website eines Unternehmens, das für die
Filmaufnahmen von Teilen der Belegschaft und für die Verwendung zur
Öffentlichkeitsarbeit einschließlich Ausstrahlung die schriftliche Einwilligung des AN
eingeholt hatte: korrekt anlassbezogen, im Einzelfall, klar, gesondert. Nach Ausscheiden
aus dem Arbeitsverhältnis forderte der AN seinen ehemaligen AG auf, das Video aus
dem Netz zu nehmen und Schmerzensgeld zu zahlen.
Das BAG widerspricht ausdrücklich der Auffassung, im Arbeitsverhältnis könne es
generell keine freiwillige Einwilligung des AN i.S.v. § 4a Abs. 1 S.1 BDSG geben.
Aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist grundsätzlich ein
Widerruf möglich, jedoch muss sich der AN dazu auf einen plausiblen Grund berufen,
nicht nur die Vertragsbeendigung als solche, und bedarf es einer Interessenabwägung.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 27
G. Vertragsklauseln
Datentransfer in die USA
Der Transfer personenbezogener Daten an ein US-amerikanisches-Unternehmen
kann nicht mehr darauf gestützt werden, dass sich dieses den „Safe-Harbor-
Prinzipien“ unterwirft, EuGH 06.10.2015, Rs.C-362/14
Der EuGH hat die entsprechende Entscheidung der Kommission für nichtig erklärt, da
das rudimentäre Datenschutzrecht der USA kein angemessenes Datenschutzniveau
biete; der Zugriff amerikanischer Behörden auf solche personenbezogenen Daten gehe
über das hinaus, was zum Schutz der nationalen Sicherheit notwendig und
verhältnismäßig sei.
Damit ist die konzerninterne Übermittlung an Konzerngesellschaften in den USA,
ebenso wie Cloud-Anwendungen amerikanischer Anbieter, die Nutzung von Netzwerken
wie facebook oder die Einbindung von Plugins auf der Unternehmens-Website in die
Unternehmenskommunikation unzulässig.
Lösungsmöglichkeiten ?
G. Vertragsklauseln
Als vorübergehende Lösungsmöglichkeit wird die Nutzung sog.
Standardvertragsklauseln, deren Text durch die Kommissionsentscheidung
2001/497/EG bzw. im Beschluss 2010/87/EU festgelegt ist, empfohlen oder
die Nutzung konzerninterner, von den zuständigen Datenschutzbehörden
genehmigter Binding Corporate Rules
- die dauerhafte Akzeptanz dieser Verfahren wird jedoch bezweifelt.
Für bestimmte Nutzungen, z. B. facebook, ist auch die Einwilligung des Betroffenen
möglich, sofern diese eindeutig und freiwillig ist, also nicht generell zur
Voraussetzung zur Nutzung eines Dienstes oder der Einstellung des Mitarbeiters
gemacht wird.
Erlaubt ist der Transfer personenbezogener Daten aufgrund besonderer gesetzlicher
Vorschriften (z.B. für Flugpassagierdaten) oder, soweit dies für eine Vertragserfüllung
zwingend erforderlich ist (z.B. für die Hotelbuchung in den USA).
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 28
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H. Arbeitszeit – Überstunden
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 30
I. Krankheit
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 31
J. Urlaub/Pflegezeit
Verweigerung doppelter Urlaubsansprüche
Ein AN hat keinen Urlaub für das laufende Kalenderjahr, soweit bereits von einem früheren
AG Urlaub gewährt worden ist (§ 6 Abs. 1 BUrlG).
Beantragt der AN in einem neuen Arbeitsverhältnis Urlaub, muss er mitteilen,
dass sein früherer AG den Urlaubsanspruch noch nicht – weder vollständig noch
teilweise – erfüllt hat. Dazu muss er grundsätzlich eine entsprechende
Bescheinigung des früheren AG nach § 6 Abs. 2 BUrlG über den gewährten
oder abgegoltenen Urlaub aushändigen. Legt der AN die Bescheinigung dem
neuen AG nicht vor, kann dieser den Urlaub zunächst verweigern. BAG
16.12.2014, 9 AZR 295/13
Tipp: Bei Neueinstellungen den AN nach bereits gewährtem oder
abgegoltenem Urlaub fragen!
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 32
J. Urlaub/Pflegezeit
Urlaub bei Verringerung der Wochenarbeitstage
Verringert ein AN im Laufe des Jahres seine Wochenarbeitstage, so stellt sich die Frage,
was mit nicht verbrauchtem Urlaubsanspruch aus der Zeit der Vollzeitarbeit/5-Tage-
Woche geschieht. Aufgrund der EuGH-Rechtsprechung musste das BAG seine
Rechtsprechung ändern:
Der für die Zeit der 5-Tage-Woche erworbene Erholungsurlaub ist nach
Wechsel in die Teilzeit noch in vollem Umfang durch bezahlte freie Tage zu
gewähren, BAG 10.02.2015, 9 AZR 53/14.
eine anteilige Kürzung findet nur für die Zeit ab Arbeitszeitreduzierung statt.
Beispiel: Reduzierung von 5 auf 4 Wochenarbeitstagen am 15.07.2010. 30
Urlaubstage in der 5-Tage-Woche 15 Urlaubstage für 1. HJ 2010, 12 Urlaubstage
für 2. HJ 2010 (30: 2 x 4 : 5), insgesamt 27 Urlaubstage für 2010
J. Urlaub/Pflegezeit
Urlaubsgewährung durch vorsorgliche Freistellung
Kündigt der AG einen AN außerordentlich, hilfsweise ordentlich, so reicht es
nicht, den AN im Kündigungsschreiben für den Fall der Unwirksamkeit der
außerordentlichen Kündigung vorsorglich unter Anrechnung sämtlicher
Urlaubsansprüche unwiderruflich freizustellen. Das BAG hat in einem neuen
Urteil v. 10.02.2015, 9 AZR 455/13 festgehalten, dass der Urlaub bei
vorsorglicher Freistellung wirksam nur dann gewährt wird, wenn dem AN die
Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs gezahlt oder jedenfalls vorbehaltlos
zugesagt wird unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im
fraglichen Zeitraum.
Nach dem BAG ist es eine unzumutbare Einschränkung der Urlaubsgestaltung und
ein Verstoß gegen die EU-Arbeitszeitrichtlinie, wenn der AN bei Urlaubsantritt nicht
weiß, ob er das Urlaubsentgelt erhalten wird.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 33
J. Urlaub/Pflegezeit
Kürzung des Erholungsurlaubs wegen Elternzeit
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG kann der AG den Erholungsurlaub der AN für jeden vollen
Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen.
Die Kürzungsmöglichkeit wegen der Elternzeit besteht nicht, wenn das
Arbeitsverhältnis beendet ist und der/die AN Anspruch auf Urlaubsabgeltung
hat, BAG 19.05.2015, 9 AZR 725/13.
Der Kürzungsanspruch setzt den noch bestehenden Anspruch auf Erholungsurlaub
voraus.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nach neuer Rechtsprechung kein Surrogat des
Urlaubsanspruchs sondern ein reiner Geldanspruch.
Tipp: Checklisten ändern und vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags zum
Ende der Elternzeit oder innerhalb einer Kündigungsfrist die Kürzung
erklären.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 34
K. Mutterschutz - Elternzeit
I. Gesetzgebung
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 35
K. Mutterschutz - Elternzeit
Neuregelungen von Elternzeit und Elterngeld
Geltung (seit 01.01.2015) für ab 01.07.2015 geborene oder zur Adoption
aufgenommene Kinder, § 27 BEEG, für früher geborene/aufgenommene
Kinder bleibt es bei bisheriger Rechtslage
Zweck: Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Erleichterung
der Bindung von AN an den Betrieb
Kern der Neuregelungen:
1. Anteil der Elternzeit (EZ) von bis zu 24 Monaten – neu: ohne Zustimmung
des AG – bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres (= Tag vor 8. Geburtstag)
des Kindes übertragbar (bis 12 Monate mit Zustimmung des AG bei vorher
geborenen/adoptierten Kindern), § 15 Abs. 2 BEEG
2. Elterngeld Plus: Verdoppelung der möglichen Bezugsdauer auf 28 Monate bei
maximal hälftiger Höhe zur Erleichterung von Teilzeitarbeit während der EZ (24 + 4
Monate Partnerschaftsbonus bei TZ zwischen 25 und 30 Wochenstunden in den 4
aufeinanderfolgenden Monaten), § 4 Abs. 3-5 BEEG.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 36
K. Mutterschutz - Elternzeit
Verteilung auf 3 (statt bislang 2) Zeitabschnitte möglich. Aber:
AG kann 3. Abschnitt innerhalb von 8 Wochen nach Antrag aus dringenden
betrieblichen Gründen ablehnen, wenn er (insgesamt) zwischen 3.
Geburtstag und vollendetem 8. Lj. liegen soll (neu für ab 1.7.2015
geborene/ zu adoptierende Kinder), § 16 Abs. 1 S. 6 BEEG;
Verteilung auf weitere Abschnitte nur mit Zustimmung des AG
Schriftliches Verlangen der EZ durch den AN beim AG,
a) bis vollendetem 3. Lj. grundsätzlich spätestens 7 Wochen vor gewünschtem Beginn und (nach wie vor, auch bei Übertragung)
unter Angabe, für welche innerhalb von 2 Jahren Elternzeit beansprucht wird (Festlegung bleibt!),
b) bei Übertragung zwischen 3. Geburtstag und vollendetem 8. Lj.: spätestens 13 Wochen vorher (neu für ab 1.7.2015 geborene/ zu adoptierende Kinder)
Tipp: Bei EZ-Antrag von (neuen) AN vom AG-Recht Gebrauch machen, vom AN die Bescheinigung eines früheren AG über bereits genommene EZ verlangen, § 16 Abs. 1 S. 9 BEEG.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 37
K. Mutterschutz - Elternzeit
Teilzeitanspruch während Elternzeit, § 15 Abs. 7 BEEG: Schriftliche Geltendmachung für Teilzeit
bis vollendetem 3. Lj. mindestens 7 Wochen vorher,
neu: für die ev. übertragenen 24 Monate zwischen 3. Geburtstag und vollendetem 8. Lj. 13 Wochen vorher
Fiktion einer Zustimmung des AG zur Arbeitszeitverringerung und Verteilung, wenn er nicht schriftlich mit Begründung ablehnt
spätestens 4 Wochen bei EZ bis vollendetem 3. Lj.
spätestens 8 Wochen bei EZ zwischen 3. Geburtstag und vollendetem 8. Lj.
Kündigungsschutz: Der AG darf ab dem Zeitpunkt, von dem ab Elternzeit verlangt worden ist, höchstens jedoch 8 Wochen vor Beginn der Elternzeit bzw. höchstens 14 Wochen vorher bei übertragener Elternzeit, und während der Elternzeit nicht kündigen, es sei denn, die Landesbehörde hat zugestimmt, § 18 BEEG
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 38
K. Mutterschutz - Elternzeit
II. Rechtsprechung
Siehe J, im übrigen keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 39
2015/2016 © Anke Voswinkel Rechtsanwältin 40
L. Schadensersatz - Vertragsstrafe
Zulässigkeit der Überwachung durch einen Detektiv
Die Überwachung eines AN durch einen Detektiv wegen des Verdachts einer
vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit ist nur zulässig, wenn der Verdacht des AG
auf konkreten Tatsachen beruht. Gleiches gilt für dabei heimlich hergestellte
Abbildungen.
Verletzt der AG diese Grenzen, kann dies einen Schmerzensgeldanspruch
wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des AN begründen.
BAG, 10.02.2015, 8 AZR 1007/13
Im entschiedenen Fall begründeten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von
unterschiedlichen Ärzten wegen unterschiedlicher Erkrankungen innerhalb von 8
Wochen keinen berechtigten Anlass beobachtete Sekretärin erhielt € 1000
Schmerzensgeld.
Nicht entschieden wurde über die Zulässigkeit von Videoaufnahmen im Fall eines
berechtigten Anlasses zur Überwachung.
L. Schadensersatz - Vertragsstrafe
Erstattung von Anwaltskosten in Höhe ersparter Reisekosten
Im arbeitsrechtlichen Verfahren I. Instanz trägt grundsätzlich jede Partei ihre Kosten
selbst. Dies gilt auch für einen Prozessbevollmächtigten, nicht aber für die eigenen
Reisekosten der Partei.
Erscheint die Partei nicht selbst zum Termin, sondern entsendet sie in der I.
Instanz einen Prozessbevollmächtigten, so sind die hypothetischen
Reisekosten, die der Partei statt dem Prozessbevollmächtigten entstanden
wären, grundsätzlich erstattungsfähig, BAG 2015, 10 AZB 27/15.
Wichtig für Verfahren an einem anderen Gerichtsort als dem
Arbeitgebersitz, insbesondere Streitigkeiten mit Außendienstlern an deren
Wohnsitz: Der AG kann vom AN, wenn dieser den Prozess verliert u.U. die
Reisekosten seines Anwalts statt den eigenen Reisekosten verlangen.
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M. Betriebsrat
Übernachtungskosten für den Betriebsrat
Übernachtet ein Betriebsratsmitglied anlässlich einer Schulung im Hotel, so ist
der AG zur Kostentragung verpflichtet, soweit die Übernachtung erforderlich
war. Dies ist grundsätzlich danach zu beurteilen, ob das Betriebsratsmitglied im
Zeitpunkt der Beschlussfassung oder Buchung des Hotelzimmers die Kosten für
erforderlich halten durfte. Nach dem BAG, 27.05.2015, 7 ABR 26/13 sind
ausnahmsweise die nachträglich eingetretenen Umstände zu berücksichtigen,
wenn sich die Umstände erheblich geändert haben und das Betriebsratsmitglied
die Kosten für erforderlich halten durfte.
Hier ging es um die nachträgliche Notwendigkeit der Übernachtung wegen winterlicher
Witterungsbedingungen und Verkehrsbehinderungen
N. Soziale Mitbestimmung
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
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O. Versetzung – Vertragsänderung
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
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P. Abmahnung
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
Q. Kündigung
Altersdiskriminierende Kündigung im Kleinbetrieb
Auch im Kleinbetrieb, in dem das allgemeine Kündigungsschutzgesetz nicht gilt, sind
Kündigungen nicht ohne weiteres zulässig, BAG 23.07.2015, 6 AZR 457/14:
Ist nach § 22 AGG bei der Kündigung einer AN aufgrund der von ihr
vorgetragenen Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des
Lebensalters zu vermuten und gelingt dem AG die Widerlegung der Vermutung
nicht, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam.
Im entschiedenen Fall ging es um eine Arzthelferin einer Praxis, die noch 4 jüngere
beschäftigte. Die Kündigung erfolgte wegen des Wegfalls von Laborleistungen mit der
zusätzlichen Begründung, die AN sei „inzwischen pensionsberechtigt“.
Diese Entscheidung erging nach den Beweislastregeln des AGG trotz § 2 Abs. 4
AGG, nach dem für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen des allgemeinen
und besonderen Kündigungsschutzes gelten.
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R. Personenbedingte Kündigung
BEM bei voller Erwerbsminderung
Eine personen- bzw. krankheitsbedingte Kündigung kann scheitern, wenn der AG nicht
vorher ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführt. Die
Verhältnismäßigkeit der Kündigung kann er ohne vorheriges BEM nur begründen, wenn er
die objektive Nutzlosigkeit des BEM darlegt.
Dass dem AN eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden ist,
belegt allein nicht die objektive Nutzlosigkeit eines BEM, BAG 13.05.2015, 2 AZR
565/14.
Die volle Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI sagt nur etwas über den
zeitlichen Umfang der verbliebenen Leistungsfähigkeit unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarkts, nämlich dort nicht mindestens 3 Stunden täglich
erwerbstätig sein zu können, u.U. 6 Stunden.
Prüfungspunkt: steht dem AG eine leistungsrechte Beschäftigungsmöglichkeit zur
Verfügung, insbesondere ein freier oder durch Umsetzung frei zu machender
leistungsgerechter Arbeitsplatz? Darüber sagt die Rentenbewilligung nichts aus.
R. Personenbedingte Kündigung
Nur wenn fest steht, dass keine Rückkehr an den Arbeitsplatz in den nächsten 24
Monaten zu erwarten ist, bedarf es keiner weiteren Darlegung betrieblicher
Beeinträchtigungen; die befristete Gewährung einer Erwerbsminderungsrente sagt
darüber nichts.
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R. Personenbedingte Kündigung
Berücksichtigung von Hilfen von Reha-Trägern
Will der AG kündigen, ohne ein BEM durchgeführt zu haben, muss er darlegen und
beweisen, dass dieses neuerlichen Krankheitszeiten nicht vorgebeugt haben und das
Arbeitsverhältnis hätte erhalten können. Die betriebsärztliche Begutachtung ersetzt kein
BEM.
Der AG muss auch darlegen, dass außerbetriebliche Therapiemöglichkeiten
nicht bestehen und auch durch die gesetzlich vorgesehenen Hilfen oder
Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten in nicht relevantem
Umfang hätten vermieden werden können, BAG 20.11.2014, 2 AZR 755/13.
Ggf. muss der AG dem AN eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der
Leistung setzen. Eine Kündigung ist erst möglich, wenn die Frist trotz
Kündigungsandrohung ergebnislos verstreicht.
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R. Personenbedingte Kündigung
Leidensgerechter Arbeitsplatz und Freikündigung
Zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung kann der AG verpflichtet sein,
einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts „frei zu
machen“. Er ist nicht gehalten, einen nicht benötigten Arbeitsplatz zu schaffen.
Es besteht keine Pflicht zur Freikündigung, auch nicht für einen
Schwerbehinderten, wenn der Inhaber der in Frage kommenden Stelle
allgemeinen Kündigungsschutz genießt, BAG 20.11.2014, 2 AZR 664/13.
Offen ist, ob eine Freikündigung gegenüber einem nicht schwerbehinderten und nicht
kündigungsgeschützten Mitarbeiter notwendig ist, wenn die Kündigung für diesen
keine besondere Härte darstellt. Die Darlegungslast hätte der erkrankte AN, auch
wenn kein BEM durchgeführt wurde.
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S. Leistungskündigung
Nutzung dienstlicher Ressourcen zur Herstellung privater
Raubkopien
Ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann darin liegen,
dass ein AN privat beschaffte Bild- oder Tonträger während der Arbeitszeit unter
Verwendung seines dienstlichen Computers unbefugt und zum eigenen oder
kollegialen Gebrauch auf dienstliche „DVD-“ bzw. „CD-Rohlinge“ kopiert, BAG
16.07.2015, 2 AZR 85/15.
Hier hatte ein Landesbediensteter IT-Verantwortlicher innerhalb von 2,5 Jahren etwa
über 6.000 E-Book, Bild-, Audio- und Videodateien auf seine dienstliche Festplatten
geladen und etwa 1.100 DVD-Rohlinge bearbeitet, ungefähr die gleiche Zahl, wie er für
den AG bestellt hatte. Dies möglicherweise auch unter Beteiligung weiterer Mitarbeiter.
Nach dem BAG kommt es nicht darauf an, ob ein strafbewehrter Verstoß gegen das
Urheberrechtsgesetz vorliegt.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet im Rahmen verhaltensbedingter Kündigung
keine Anwendung, d. h. ob andere beteiligte AN auch gekündigt wurden, ist
unerheblich.
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S. Leistungskündigung
Unerheblich ist auch, ob der AN ggf. nicht alle fraglichen Handlungen selbst
vorgenommen hat, sondern die Handlungen anderer bewusst ermöglicht oder mit diesen
zusammengewirkt hat; anders als die Vorinstanzen war es für das BAG nicht
entscheidend, den konkreten Tatbeitrag zu ermitteln.
Unschädlich war auch, dass der AG nicht sofort die Strafverfolgungsbehörden
eingeschaltet hat, sondern sich mit eigenen Ermittlungen begnügt hat. Voraussetzung ist
jedoch, dass die Ermittlungen zügig durchgeführt werden.
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S. Leistungskündigung
Verdachtskündigung und Berufsausbildungsverhältnis
Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung eines Azubi
kann einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen, wenn der Verdacht bei
Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses dessen
Fortsetzung objektiv unzumutbar macht, BAG 12.02.2015, 6 AZR 845/13.
Dem Azubi ist vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und bei
erkennbarer Überforderung des Azubi ggf. das Gespräch zu unterbrechen.
Zu unterbrechen ist auch, wenn der Azubi Beratung mit einem Anwalt oder einer
sonstigen Vertrauensperson verlangt.
Aber: Keine Hinweispflicht des Ausbildenden gegenüber dem Azubi auf die Möglichkeit
der Unterbrechung oder Beratung.
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T. Betriebsbedingte Kündigung
Outsourcing bei tariflichem Kündigungsausschluss
Das BAG hat für ein Arbeitsverhältnis, für das ein tariflicher Ausschluss der ordentlichen
Kündbarkeit galt und das daher nur außerordentlich kündbar war, entschieden:
Der AG muss grundsätzlich auch dann nicht von einem Outsourcing absehen,
wenn dies ein ordentlich unkündbares Arbeitsverhältnis betrifft, auch nicht, wenn
nur ein einzelner AN betroffen ist, BAG 18.06.2015, 2 AZR 480/14.
Die Vergabe von Aufgaben eines einzelnen AN an ein Drittunternehmen ist nicht schon
per se rechtsmissbräuchlich.
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T. Betriebsbedingte Kündigung
Befristete anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit
Eine betriebsbedingte Kündigung ist ausgeschlossen, wenn der AG den AN auf einem
anderen freien, ggf. geringer wertigen Arbeitsplatz einsetzen kann.
Der AG muss dem kündigungsgeschützten AN den anderen Arbeitsplatz auch
dann anbieten, wenn er diesen nur vorübergehend einrichten und daher mit
einem AN abdecken möchte, den er wirksam befristet beschäftigen kann, BAG
26.03.2015, 2 AZR 417/14. Die Möglichkeit, mit einem Stellenbewerber wirksam
eine Befristung zu vereinbaren, stellt kein kündigungsschutzrechtlich
beachtliches tätigkeitsbezogenes Anforderungsprofil dar.
Der AG muss den Arbeitsplatz auch dann anbieten, wenn er ein höheres
Beschäftigungsvolumen hat, als der von der Kündigung bedrohte AN, hier Angebot
einer freien Vollzeitstelle an eine zu 75 % in Teilzeit Beschäftigte. Eine Erhöhung der
Arbeitszeit stellt keine Beförderung dar, die nicht zu beanspruchen wäre.
T. Betriebsbedingte Kündigung
Berücksichtigung von Fremdgeschäftsführern bei einer Massen-
entlassung
Nach dem EuGH sind abhängige GmbH-Geschäftsführer Arbeitnehmer im
Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG und zählen also für die Betriebsgröße und die
Anzahl der zu Entlassenden mit, EuGH 09.07.2015, C-229/14.
Für die Abhängigkeit spielt neben der fehlenden Beteiligung an der GmbH die
jederzeitige Abberufungsmöglichkeit und damit die mittelbare Weisungsabhängigkeit
des Organs eine Rolle.
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U. Mitbestimmung Kündigung
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
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V. Freistellung - Suspendierung
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
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W. Austrittsvereinbarung
Aufhebungsverträge als Massenentlassung
Aufhebungsverträge zur Vermeidung einer betriebsbedingten Arbeitgeber-
kündigung stehen im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer Entlassung
gleich BAG 19.03.2015, 8 AZR 119/14.
Sie zählen daher für die Schwellenwerte von Entlassungen, die eine
Massenentlassungsanzeige verpflichtend machen, mit.
Die nahtlose Weiterbeschäftigung entlassener Mitarbeiter als freie Mitarbeiter ist
unerheblich.
Vorgeschaltete sog. Freiwilligenprogramme vor einer größeren Kündigungswelle lösen
also u.U. die Anzeigepflicht aus.
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X. Zeugnis
Keine neue Rechtsprechung vorzustellen.
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den konkreten Einzelfall nicht ersetzen. Es wird um Verständnis gebeten,
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