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Von der Antike zum Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft by Perry Anderson Review by: Jochen Martin Geschichte und Gesellschaft, 10. Jahrg., H. 1, Universität und Gesellschaft (1984), pp. 147-154 Published by: Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG) Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40185190 . Accessed: 20/04/2012 21:35 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG) is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Geschichte und Gesellschaft. http://www.jstor.org

Von der Antike zum Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft by Perry Anderson

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Von der Antike zum Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft by Perry AndersonReview by: Jochen MartinGeschichte und Gesellschaft, 10. Jahrg., H. 1, Universität und Gesellschaft (1984), pp. 147-154Published by: Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG)Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40185190 .Accessed: 20/04/2012 21:35

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LITERATURBERICHT

Renzension: Perry Anderson, Von der Antike zum Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft, Frankfurt 1978

von Jochen Martin

Im Vorwort seines Buches „Von der Antike zum Feudalismus" weist A. „auf den begrenzten und provisorischen Charakter4' der vorliegenden Ar- beit und des zweiten Bandes über den absolutistischen Staat hin. „Wissen- schaftlichkeit und Gelehrsamkeit des professionellen Historikers sind ih- nen fern" (8). Für den professionellen Historiker als Rezensenten entsteht daraus ein doppeltes Dilemma: Erstens reicht sein Fachwissen nicht über die ganze von A. behandelte Geschichte (von der klassischen Antike bis zum Spätmittelalter), zweitens kann er es, wo er es hat, nicht ohne weiteres einsetzen, denn im Buch werden theoretische Positionen vertreten, die - wenn überhaupt - nur nach mühsamen Vermittlungsprozessen empirisch überprüfbar sind. Um Gegenpositionen einsichtig zu machen, müßte man im Grunde eine Gegentheorie aufbauen, was im Rahmen einer Bespre- chung aber nur unvollkommen gelingen kann. Bleibt also, sich zunächst einmal auf A. einzulassen. Die Lektüre ist span- nend, bietet überraschende Perspektiven und fasziniert - unabhängig von der Konzeption - auch dadurch, daß sonst nur sehr verstreut vorhandene Informationen in übersichtlicher Form zusammengetragen werden. Dem Anspruch des Autors entsprechend werde ich im folgenden auf strittige Einzelheiten nur dann eingehen, wenn sie für den Gesamtansatz A.s Be- deutung haben. Thema des Buches ist „die allgemeine Entstehungsgeschichte des europä- ischen Feudalismus" (16). Da traditionell in der Historiographie ein schar- fer Unterschied zwischen dem westeuropäischen Feudalismus und den Ge- sellschaftsformationen der osteuropäischen Länder gemacht werde, ist für A. die Leitfrage seiner Untersuchung, „wie weit und in welcher Weise im Westen und Osten eine divergente Geschichte zurückzuverfolgen ist" (16). Das Buch ist in zwei große Abschnitte gegliedert, deren erster die „Vor- läuferinnen der feudalen Produktionsweise", d. h. die klassische Antike und den Übergang zum Feudalismus behandelt; im zweiten wird der Feuda- lismus zunächst im westlichen, dann im östlichen Europa dargestellt. Meine Besprechung wird sich wesentlich auf den ersten Abschnitt konzentrieren. Einleitend wird in einem glänzenden kurzen Kapitel, das auf Forschungen vor allem von M. Weber, A. H. M. Jones und M. I. Finley zurückgreift, die „Produktionsweise der Sklaverei" skizziert (17-30). In einer Stadtkultur „ohne entsprechende urbane Ökonomie" (18) hätten die Städte „Zusam-

Geschichte und Gesellschaft 10 (1984) 147-154 © Vandenhoeck & Ruprecht 1984 ISSN 0340-613 X

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mensiedlungen von Grundbesitzern" dargestellt (18). Voraussetzung „für die ungewöhnliche Überlegenheit der Stadt über das Land innerhalb einer vorwiegend ländlichen Ökonomie" „war das Vorhandensein von Sklaven- arbeit auf dem Land" (24), welche „die ständige Trennung von Wohnort und Einkünften" (25) bewirkt habe. Auf der gesellschaftlich-politischen Ebene habe der Sklaverei „als ein äußerster Zustand von totalem Freiheits- verlust eine neue und schrankenlose Freiheit" entsprochen (23). Es sei ein Gegensatz „zwischen der Lebendigkeit von Kultur und Überbau einerseits und der Schwäche der Infrastruktur andererseits" entstanden (27), die sich besonders auch in einer Stagnation der Technik bemerkbar gemacht habe. „Der typische Weg der Expansion war deshalb in der Antike für jeden Staat immer ein ,lateraler\ nämlich geographische Eroberung, und nicht ökono- mischer Fortschritt. Infolgedessen war die klassische Kultur ihrem Charak- ter nach kolonial" (30). A. vergißt einige seiner Beobachtungen, wenn er im folgenden die Bedin- gungen des Aufstiegs der klassischen „kolonialen" Kulturen der Antike, nämlich Athens, der makedonisch-hellenistischen Welt und Roms behan- delt. Nach A. vollzog sich der „entscheidende Übergang zur klassischen Po- lis" in Griechenland „unter den Tyrannen des 6. Jahrhunderts" (32). Neue ökonomische Möglichkeiten (Aufkommen des Münzwesens, Verbreitung der Geldwirtschaft, Bevölkerungswachstum, Aufschwung des Handels, Vorteil der Griechen wegen Wein- und Ölanbau) hätten „außerhalb des traditionellen Adels eine Schicht von in der Landwirtschaft reich geworde- nen Besitzern" geschaffen und die „Spannungen in der Klasse der Ärmsten auf dem Land" verschärft. Aus der Schicht der „Emporkömmlinge mit be- trächtlichem Reichtum" seien die Tyrannen hervorgegangen, die „sich die radikalen Beschwerden der Armen zunutze machten" und mit ihnen zu- sammen „den Ring der aristokratischen Herrschaft" sprengten (33). Wich- tigste Wirkung der Tyrannis war nach A. (neben der Förderung des Hand- werks und des Handels) die Konsolidierung des kleinen und mittleren Bau- erntums, das zusammen mit der Einführung der Sklavenwirtschaft (nach der „Befreiung der unabhängigen Bauernschaft") und der sich selbst be- waffnenden Bürgerinfanterie die Voraussetzung für die Entstehung der Demokratie gewesen sei. Als Zusatzbedingungen für die imperiale Vor- herrschaft Athens in Griechenland werden eingeführt: die Silberminen von Laurion, die den Bau der attischen Flotte in den Perserkriegen ermöglicht hätten, und die Überlegenheit des attischen Münzwesens (45). A. bemüht sich immer darum, einen unmittelbaren Zusammenhang zwi- schen Ökonomie, Sozialstruktur und politischem System herzustellen. Für ihn entsprechen sich mittleres agrikoles Eigentum, eine Bürgerschaft „ohne dramatische Risse" und die Unmittelbarkeit der Demokratie. Dazu gleich noch einige Bemerkungen. Zunächst drängt sich hier die Frage auf, wie denn angesichts der von A. selber dargestellten ökonomischen Bedingun- gen der Antike neue ökonomische Möglichkeiten im Innern eines Staates

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entstehen können. Ist die Aussage, der typische Weg der Expansion in der Antike sei ein lateraler gewesen, noch einsichtig, wenn im Innern ökonomi- sche Expansion nicht lateral verläuft, wie es A. für die Entstehung der Ty- rannis voraussetzt? Warum konnten sich die nach A. im 7./6. Jahrhundert neu entstehenden ökonomischen Möglichkeiten nicht nach außen fortset- zen? Die Analyse Roms zeigt, warum A. zu solchen Annahmen gezwungen ist. Sie setzt mit dem „Sturz der archaischen Monarchie durch den Adel" ein, die „mit der griechischen Entwicklung vergleichbar" gewesen sei. „Aber anders als die griechischen Städte erlebte Rom danach nie eine Tyrannen- herrschaft, die, gestützt auf kleine oder mittlere Bauern, die aristokratische Vorherrschaft hätte zerbrechen und im darauffolgenden zu einer Demo- kratisierung führen können" (60). Der patrizische Erbadel habe alle Macht ausgeübt; die Struktur der Herrschaft sei „später nach anhaltenden Kämp- fen in zwei wichtigen Punkten verändert und modifiziert worden": „Ge- rade reich gewordene Plebejer" hätten sich 366 den Zugang zu den Ämtern und dann auch zum Senat erkämpft, was aber nur zu einem „erweiterten Adel", nicht „zu einer politischen Überwindung des aristokratischen Herr- schaftssystems selbst" geführt habe (61). Die ärmeren Schichten hätten sich das Volkstribunat und die legislative Gewalt ihrer Tribusversammlungen erkämpft. Aber: „Tribunat und Stammesversammlung wurden einfach (sie!) zusätzlich zu den zentralen, bereits vorhandenen Institutionen von Senat, Konsulat und Zenturiatsversammlung eingerichtet: sie bedeuteten nicht die innere Aufhebung des oligarchischen Machtkomplexes . . . Denn der Kampf der ärmeren Klassen war im allgemeinen von reichen Plebejern angeführt worden, die für das Anliegen des Volkes eintraten, um ihre eige- nen Parvenu-Interessen zu fördern" (62). Blättert man zurück, wird auch für Griechenland gesagt, daß „Empor- kömmlinge" mit neu gewonnenem Reichtum sich die Beschwerden der Armen zunutze gemacht hätten. Wo also liegt der Unterschied zu den „ge- rade reich gewordenen Plebejern"? Warum kommt es in Griechenland zur Tyrannis, in Rom nicht? A. kann die Frage innerhalb seines Ansatzes nicht beantworten, weil er der politischen Organisation in Griechenland vor der Tyrannis, in Rom vor den Ständekämpfen, zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Bei ihm sieht es so aus, als ob griechische Geschichte bis um 650 und römische Geschichte bis um 450 genau parallel verlaufen wären. Ich sehe hier entscheidende Unterschiede (doch sei zugegeben, daß die Sache in der Forschung umstritten und von den Quellen her schwer zu einer end- gültigen Lösung zu bringen ist): Der griechische Adel war bis ins 7. Jahr- hundert hinein kein Polisadel in dem Sinn, daß er sich einer „politischen" Organisation eingeordnet hätte; es bestand keine Notwendigkeit zu einer solchen Organisation. Der Adel entwickelte eine spezifische Kultur und ein „Konkurrenzverhalten" auf verschiedenen Ebenen (vgl. etwa die entste- henden gesamtgriechischen Spiele), und in den Rahmen dieses „Sich-mes-

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sens" (aei aristeuein) gehört auch das Streben nach der Tyrannis, die nur, wie schon die Griechen selber erkannt haben, äußerster Ausdruck adliger Möglichkeiten war. Es bedarf nicht der Annahme einer neureichen Schicht als Trägerin der Tyrannis; prosopographisch läßt sie sich ohnehin nur schwer nachweisen, und die begriffliche Scheidung zwischen Eupatriden und anderen Reichen vor der Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert ist kaum zu vollziehen. Adlige haben sich - und hier ist A. zuzustimmen - die Unzufrie- denheit der unterdrückten Bauern zunutze gemacht; entscheidende Vor- bedingung der Tyrannis war aber die mangelnde Organisiertheit (die ihrer- seits nur Ausdruck mangelnder auf eine Polis bezogener gemeinsamer In- teressen ist) des griechischen Adels. In Sparta, das ebensowenig wie Rom eine Tyrannis durchgemacht hat, bestand die Notwendigkeit zu einer Orga- nisation wegen der unterworfenen Lakonier und später Messenier, in Rom wegen der von der Griechenlands völlig unterschiedlichen Situation Italiens nach der indogermanischen Einwanderung; verstärkt wurde hier der Orga- nisationsdruck durch die etruskische Herrschaft und später die Organisa- tion der von der Herrschaft ausgeschlossenen plebs. Wenn die Grundlinie meines Ansatzes stimmt, läßt sich methodisch hier schon folgender Einwand gegen A. formulieren, der auch für andere Par- tien seines Buches (vgl. unten) gilt: A. berücksichtigt zu wenig, daß sich in der griechischen Geschichte vor 650 und der römischen vor 450 schon Denkstrukturen und Handlungsmuster ausgebildet haben können, welche die Reaktion auf neue Situationen entscheidend bestimmten. So ist z. B. auch die „begriffliche Entdeckung der Freiheit" nicht einfach eine Folge der systematischen Einführung der Sklaverei, sondern knüpft auch an die Erfahrungen eines lange Zeit politisch nicht oder nur schwach gebundenen Adels an; in Rom wurde Freiheit ganz anders formuliert als in Griechen- land. Ebenso ist die von A. für die athenische Expansion eingeführte Zu- satzbedingung, die Silberminen von Laurion, im Kontext der Analyse A.s rein zufällig. A. bemüht sich nicht zu erklären, warum der Ertrag dieser Mi- nen nicht, wie vorher, an die attische Bevölkerung verteilt, sondern zum Bau einer Flotte verwendet wurde, was ja alles andere als selbstverständlich war. Wenn ich A. recht verstehe, wird er hier seinen eigenen Prämissen nicht gerecht: Angesichts des von ihm betonten Gegensatzes „zwischen der Lebendigkeit von Kultur und Überbau einerseits und der Schwäche der In- frastruktur andererseits" muß man mit eigenständigen Entwicklungen im Bereich der Kultur und der politischen Organisation rechnen. A. versucht dennoch immer wieder, politisch-kulturelle Phänomene unmittelbar mit ökonomischen Prozessen uqd der daraus resultierenden Sozialstruktur zu verknüpfen. Das Ergebnis ist der - unfreiwillige - Verzicht auf systemati- sche Erklärungsmöglichkeiten im Bereich der Perzeption von Situationen und der Art und Weise von Reaktionen. Die Konsequenzen dieses Verfahrens werden auch bei der Behandlung der Sozialstruktur Roms in der Republik deutlich (63-65). Wenn ich recht

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sehe, ist sich die Forschung heute darin einig, daß es bis in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts hinein ein starkes mittleres und kleines Bauerntum in Italien gab; eine deutliche Entwicklung zur Landkonzentration hat erst mit dem 2. Punischen Krieg eingesetzt; erst seitdem wird auch das Zensusmi- nimum für den Kriegsdienst mehrfach herabgesetzt. A. selber spricht in an- derem Zusammenhang (69 f.) vom „Niedergang des römischen Bauern- tums, das in der Sozialpyramide der Stadt einmal eine robuste Basis aus Kleinbauern gebildet habe". Warum gibt es dann aber andere „Folgen die- ser Konfiguration für den spezifischen Verlauf des römischen Expansio- nismus" als für den des griechischen? Als solche Folgen nennt A., daß „gerade die eigenartige Sozialstruktur von Rom" es ermöglichte, das eigene politische System zu erweitern, die Bun- desgenossen zu integrieren. „Auch die oligarchischste griechische polis der klassischen Zeit fußte im wesentlichen auf einer Mittelgruppe begüterter Bürger und schloß eine extrem ungleiche ökonomische Verteilung von Reichtum und Armut innerhalb der Stadt aus". „Die klassische griechische polis, mit welchem Grad von relativer Demokratie und Oligarchie auch immer, blieb eine bürgerliche Einheit, die im Grundeigentum ihrer unmit- telbaren Umgebung wurzelte: gerade deswegen war sie territorial unela- stisch, unfähig, sich ohne Identitätsverlust auszudehnen" (66 f.). Gab es eine „extrem ungleiche ökonomische Verteilung von Reichtum und Ar- mut" in Rom während der Phase der italienischen Expansion? Wie immer man auf diese Frage antwortet: Träger der militärischen Kraft Roms war die gleiche „sich selbst bewaffnende Bürgerinfanterie", die A. als Voraus- setzung der griechischen Demokratie bezeichnet und der auch in Rom ein nicht unerhebliches mittleres und kleines Bauerntum entsprochen haben muß. Es ist A. zuzugeben, daß die Form der Außenpolitik in Griechenland und Rom jeweils strukturell mit der Herrschaftsform zusammenhing; aber beides ist nicht unmittelbar aus unterschiedlichen Sozialstrukturen ableit- bar, sondern unterliegt Bedingungen, die jeweils weit in die griechische und römische Geschichte zurückreichen und die A. wegen der schon erwähnten Begrenztheit seines Ansatzpunktes nicht in den Blick bekommt (S. 82 apostrophiert A. übrigens merkwürdigerweise den „engen Munizipalismus der senatorischen Oligarchie in Rom"). Als „entscheidende Innovation der römischen Expansion" sieht A. „die in der Antike erstmalige Einführung des großangelegten, durch Sklaven be- wirtschafteten latifundium" (68). Die Sklavenwirtschaft sei im Zuge der römischen Eroberungen in den westlichen Mittelmeerraum exportiert wor- den, während im Osten kaum Eingriffe in die überkommene Sozialstruktur stattgefunden hätten. „Die massive Expansion der senatorischen Ökono- mie" sei „von einer beispiellosen Überbauentwicklung begleitet" gewesen. „Denn in eben dieser Epoche entstand das römische Zivilrecht in all seiner Einheitlichkeit und Einzigartigkeit" (76). Für A. ist es vor allem durch das Eigentumsrecht charakterisiert, welches „das ehrwürdige, begriffliche De-

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stillat von kommerzialisierter Produktion und Warenaustausch, die der re- publikanische Imperialismus ermöglicht hatte, innerhalb eines vergrößer- ten Staatssystems" darstellte (78). „Die reine Farbe des ,Eigentums'" her- ausgestellt zu haben, sei gegenüber dem von der griechischen Kultur gefun- denen „absoluten Pol der ,Freiheit'" die spezifisch römische Errungen- schaft. Das ist sicher richtig, aber stimmt die Ableitung? A. überschätzt nicht nur die Bedeutung des Warenaustauschs, sondern er unterschätzt auch, daß das römische Recht eine eigene Geschichte hat. Schon in den Zwölftafeln ist die Verfügungsgewalt des Hausvaters über die familia eine andere als etwa in den Gesetzen Solons. Eigentum wurde von Besitz schon im Zuge der „Okkupationen" getrennt. Man müßte also deutlich sagen, worin genau die Bedeutung der Expansion der senatorischen Ökonomie für die Entwicklung des Eigentumsrechts besteht. A. bleibt hier viel zu pau- schal. Im Prinzipat verdeckte zwei Jahrhunderte lang „die friedliche Größe der städtischen Kultur des römischen Imperiums die Grenzen und Brüche der Produktionsgrundlage, auf der sie ruhte" (90). Mit dem Ende der römi- schen Expansion im Prinzipat sei die Sklavenzufuhr geringer geworden; das habe, da der „Wachstumstypus" der Sklavenwirtschaft „der Struktur nach auf Vermehrung der Arbeitskraft ausgerichtet und letztendlich technischen Innovationen gegenüber resistent" gewesen sei (93 f.), zusammen mit der staatswirtschaftlichen Organisation der Rüstung und großer Teile der Ver- sorgung im 3. Jahrhundert zu einer Krise geführt, deren Symptome Wäh- rungsverfall, Inflation, Verfall der politischen Stabilität, Invasionen, eine De- zimierung der Bevölkerung infolge der Kriege und eingeschleppten Seuchen und Erhebungen ausgebeuteter Massen auf dem Lande gewesen seien. Die Thesen sind ebensowenig neu wie mögliche Einwände gegen eine sol- che Konzeption. Ins Zentrum der Problematik führt die Kritik, daß zwi- schen dem Ende der Expansion (am Beginn des Prinzipats) und der Krise im 3. Jahrhundert ein zu großer Zeitraum klaffe, als daß man letztere aus ersterem erklären könne. A. ist sich dieser Kritik bewußt und betont des- halb auch, daß durch den Prinzipat die allgemeinen Bedingungen für die Wirtschaft entscheidend verbessert worden seien. Das Ende der Bürger- kriege, die Verringerung der Zahl der Legionen, der Verzicht auf Zwangs- konskriptionen, die Verhinderung der privaten Aussaugung der Provinzen durch Statthalter und Staatspächter sowie die Tatsache, daß in manchen Gebieten durch die Pax Romana überhaupt erst die Voraussetzungen für eine geregelte Landwirtschaft geschaffen wurden, hatten in der Tat eine Blüte der Provinzen zur Folge. Das hätte nun für A. Anlaß sein müssen, noch einmal genau nach dem Verhältnis von politischem und militärischem System einerseits, Wirtschafts- und Sozialstruktur andererseits zu fragen. Aber für A. sind politische Maßnahmen bestenfalls retardierende Ele- mente in einem Prozeß, dessen innere Logik von vornherein festgelegt ist. Obwohl Ende des 3., Anfang des 4. Jahrhunderts durch Ausweitung des

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staatlichen Zwangsapparates noch einmal eine Stabilisierung gelang, kam es, wie es kommen mußte. Als Bedingungen für „die endgültige Krise der Antike" (111), die schon in der Situation des 3. Jahrhunderts vorgeprägt seien, nennt A.: „Die Arbeit von Sklaven" werde „zunehmend rar und schwer erhältlich" (111); „durch einen konvergenten Prozeß" -zum einen hören Sklaven auf, „konventionelle Ware zu sein", und werden zu abhängi- gen Pächtern, zum anderen geraten Kleinbauern und freie Pächter in Ab- hängigkeit - entstehe der Kolonat, durch den aber der Reichtum der Land- besitzer nicht abnehme (1 12 f.). „Der zentrale Faden des ganzen ökonomi- schen Systems" verlaufe jetzt „wesentlich entlang den Beziehungen zwi- schen abhängigen ländlichen Produzenten, Grundherren und Staat" (119). Angesichts wachsenden Steuerdrucks, der „drastischen Konzentration des Privateigentums auf dem Land" und der zusätzlich durch die „etablierte Kirche" verursachten „parasitäre(n) Last" werde das Kaiserreich „von wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sozialer Polarisierung zerrissen" (115). Der Zusammenbruch des imperialen Systems im Westen sei strukturell bedingt; denn vor allem im Westen habe sich „die etablierte Produktionsweise der Sklaverei" ausbreiten können. „Es war daher logisch und vorhersehbar, daß die inneren Widersprüche dieser Produktionsweise sich am heftigsten im Westen auswirken würden" (117). Der Rückgang der Bevölkerung habe den dünner besiedelten Westen härter getroffen als den Osten, wo auch die Steuerlasten leichter gewesen seien. Ebenso habe sich das patrocinium im Westen stärker verbreitet. Für entscheidend hält aber A., daß der Osten keine Führungsschicht besaß, die an Macht, Reichtum und gegen das Kaisertum gerichteter Tradition mit der westlichen ver- gleichbar gewesen wäre. Die westlichen Aristokratien hätten nie ihren Reichtum verloren, ihr Einkommen vom 1. bis zum 4. Jahrhundert sogar verfünffacht. Obwohl zeitweise von der militärischen und politischen Füh- rung ausgeschaltet, hätten sie ihren Einfluß auf den Staat zurückgewinnen können. Weder Arbogast noch Stilicho noch die Kaiser hätten sich ihnen gegenüber durchsetzen können. Zu dieser Spannung sei die soziale Polari- sierung gekommen. A. hat überzeugend herausgearbeitet, daß es lange zurückreichende Unter- schiede in der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung des Ost- und Westrei- ches gegeben hat, die sich in der Geschichte der Spätantike auswirkten. Weniger überzeugend ist es, diese Unterschiede allein von den Problemen der Sklaven Wirtschaft her zu verstehen. Die Schwierigkeiten dieser These sind deutlich: Wenn die Zufuhr von Sklaven schon im ersten Jahrhundert durch das Ende der Expansion gestoppt worden ist und das mit ein Grund für die ökonomischen Schwierigkeiten des 3. Jahrhunderts gewesen sein soll, ist es wenig einleuchtend, daß „unter den rezessiven Bedingungen des späten Kaiserreichs" „die Arbeit von Sklaven" wiederum „zunehmend rar und schwer erhältlich" geworden sein soll (111). Damit wird dem Ende der Sklavenzufuhr zu viel an Erklärungskraft zugemutet.

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A. zwingt sich mit seinem Interpretationsansatz immer wieder in ein Kor- sett. Er muß Unterschiede etwa im Verlauf der griechischen und der rö- misch-republikanischen Geschichte durch Rekurs auf unterschiedliche ökonomisch-soziale Ausgangssituationen erklären, ohne diese überzeu- gend nachweisen zu können. Das gilt auch für den Weg von der Antike ins Mittelalter: Der Gegensatz zwischen westlichen Magnaten und kaiserlicher Zentrale hat sicher zur „Parzellierung der Souveränität" beigetragen, die nach A. „konstitutiv für die gesamte feudale Produktionsweise gewesen" ist (176). Aber kann dieser Gegensatz tatsächlich die Unterschiede der westlichen und östlichen Entwicklung erklären, wenn man z. B. danach fragt, ob die westlichen Führungsschichten des 5. und 6. Jahrhunderts noch identisch mit denen des 1. Jahrhunderts gewesen sind? Die Parzellierung der Souveränität im Westen ist auf verschiedenen Ebenen erfolgt, z. B. auch dadurch, daß im Westen - anders als im Osten - die Kirche als eigenstän- dige Organisation dem Kaisertum gegenübertrat. Die Bedingungen dafür haben eine lange Geschichte und sind in der Forschung unter den Stichwör- tern politische Theologie, Philosophie oder Metaphysik behandelt worden.

A. geht von der Möglichkeit einer materialen Geschichtsphilosophie aus, denn sonst könnte er nicht immer wieder die Begriffe „logisch", „notwen- dig" usw. gebrauchen, ohne durch historische Interpretation einsichtig zu machen, was jeweils logisch ist und was nicht. Das Gegenkonzept müßte nicht eine unlogische Geschichte, sondern die Erweiterung des Koordina- tensystems sein, innerhalb dessen bei A. Geschichte abläuft. Man gewänne dann sogar die Möglichkeit, Phänomene systematisch zu verstehen, die im Rahmen des Anderson'schen Ansatzes nur kontingent mitlaufen können.