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Wissenschaft Bricht Monopole_Anton Zischka_1941

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  • ANTON ZISCHKA

    WISSENSCHAFTBRICHT

    MONOPOLE.,

    LEIPZIG

    WILHELM GOLD MANN VERLAG

  • Copyright 1936 by

    Wilhelm Goldmann Verlag in Leipzig

    Auch jeder TeiJabdruck bedarf der besonderen

    Genehmigung des Verlages

    VNr. 4026 X

    \

    Es erschienen:

    1.-Z0. Tausend November 1936

    21.-40. Tausend Dezember 1936

    mit geringfgigen nderungen

    41.-50. Tausend im April 1937

    neu durchgesehen und ergnzt

    51.-60. Tausend im Juni 1937

    61.-70. Tausend im Oktober 1937

    71.-80. Tausend November 1937

    neu durchgesehen und erweitert

    81.-90. Tausend Dezember 1937

    91.-100. Tausend im Mai 1938

    neu durchgesehen und erweitert

    101.-110. Tausend im August 1938

    I I 1.- I ZO.Ta usend im Mrz 1939

    Made in Ge r'm a n y

    Druck von C. G. Rder in Leipzig

    Schutzumschlag-Entwurf: Kurt Gundermann, Leipzig

    Photovermerk : Keystone View Company: ZII. Scherl-

    Bilderdienst: 18, 35, 36, 53, 54,71,72,89,9,107,108,142,159,

    160,193,194,2II, zu, 229,230,247,248. Wide World Pboto: loB_

    VORBEMERKUNG

    Dieses Buch handelt von Rohstoffen, von Kohle und Eisen undNickel und Holz, von Kautschuk und Weizen, Zucker und Zinn.'Zumindest scheint es so. Aber was hier in Jahren des Schauensund Lernens zusammengetragen wurde, was der Autor in seinenfrheren Rohstoffbchern tastend zu verstehen suchte, ist ja seitder Verkndigung des zweiten deutschen Vierjahresplanes mehr ge-worden als nur ein Bericht. Das wurde zum technischen und welt-wirtschaftlichen Hintergrund eines Riesenprogramms, das nichtnur den Weg zur deutschen Unabhngigkeit, sondern zum Friedenberhaupt, das den Weg aus einer Welt der Angst und Not ineine Welt des Selbstbewutseins und des Reichtums zeigen kann.Und das ist das Thema. Wie man durch unzhlige, viele Forscher-leben ausfllende Einzelarbeit Hunger und Kleidermangel, Raum-und Energienot bekmpfte, soll hier geschildert werden, mehr abernoch, was diese friedlichen Siege fr die Menschheit bedeuteten.Technik und Wissenschaft fllen dieses Buch, aber nicht um ihret-willen allein, sondern nur als die unentbehrlichen Mittel zu dem,was Mussolini das Schwerste und das Wichtigste nannte: so starkzu sein, da man gut bleiben kann.

    Schon deshalb also ist dieses Buch nicht vom Standpunkt desSpezialisten aus geschrieben, sondern von dem des Hunger undKrieg hassenden Propagandisten. Es vernachlssigt mit Absichtviele Einzelheiten, es versucht einen berblick zu geben, weil esunmglich scheint, in die letzten Geheimnisse des Kautschuk- oderBenzinmolekls vorzudringen und dabei gleichzeitig die weltwirr-schaftliehen Auswirkungen neuer Rohstoffsynthesen, die Arbeitenauf etwa vierhundert anderen Fachgebieten und ihre sozialen, poli-tischen und kulturellen Hintergrnde, zu berblicken. Was abergesagt wird, wurde von einem Chemiker berprft, der seit vielenJahren eines der grten deutschen Rohstofflaboratorien leitet;es enthlt keine Theorien, sondern allein die Schilderung von ingrotechnischen Anlagen er pro b t en synthetischen Verfahren.

    Wie begeistert der Autor auch von vielem sein mag, was erhier schilderte, wie sehr er auch davon berzeugt ist, da For-

  • VORBEMERKUNG

    schung und Technik geeignetste Mittel nicht nur zu materiellemFortschritt, sondern zur Verwirklichung der meisten Menschheits-ideale berhaupt sind, er bersah natrlich auch nicht die Ge-fahren des Wissens, die Bedeutung von Herz und Seele. Wiema~erialistisch dieses Buch auch auf den ersten Blick scheinen mag,es ist doch voll von reinstem Idealismus, voll von Helden; dennu.m wissenschaftlichen Fortschritt zu kmpfen, bedeutet ja meiste1~ganzes Leben, nicht nur einen Augenblick der Entsagung. UndW1esehr diese Arbeit auch rein autarkisch eingestellt scheint, derAutor sieht trotzdem im Welthandel, im freien Austausch vonIdeen und Gtern ein groes Ziel, er betrachtet die Welt alsri~siges Syst.em kommunizierender Rhren. Allerdings glaubt erlicht, da dieses Ideal durch Reden und Konferenzen verwirklichtwerden kann oder durch das sFreie Spiel der Krfte; das Zeit-alter der wirtschaftlichen Expansion und des ) Laissez faire scheintihm unwiderruflich vorbei, eine nur auf Rentabilitt eingestellteWirtschaft kann er sich nicht mehr als zweckerfllend vorstellen.Der Verfasser glaubt, da allein Sicherheit vor Hunger und Ab-sperrung, da nur ruhiges Gefhl der Kraft, Bewutsein vollerUnabhngigkeit zu einer Zusammenarbeit der Vlker fhrenknnen, da Welthandel wie politische Staatenvertrge auf freiemWillen aller Beteiligten aufgebaut sein mssen. Handel aus freiemWillen, Veredelung, Austausch besonderer Kenntnisse, nicht Aus-fuhr um jeden Preis, um lebenswichtige Rohstoffe um jeden Preiszahlen zu knnen, mu es geben. Und da die wichtigsten Roh-stoffe nun einmal nicht gleichmig auf alle Lnder verteilt sind,da alle weltweiten Plne der Neuaufteilung so kindisch oder ver-logen wie die Trume von Weltrepubliken oder einem Paradiesauf Erden sind, so mssen wir, was wir brauchen, eben erarbeitenoder erfinden.

    Was hier erreicht wurde, wie es erreicht wurde und wie grund-legend schon heute nicht nur das materielle Leben der Menschheitsondern auch ihr Denken durch Wissenschaft und technischenFortschritt gewandelt worden sind, soll hier durch Tatsachen be-wiesen werden. Aber bei allem Optimismus, bei allem Stolz auf

    VORBEMERKUNG 7

    das Vollbrachte mat dieses Buch sich natrlich nicht an, denAusweg aus dem Wirrwarr und den Nten unsrer Zeit zu zeigen,es versucht nur, ein winziges Stck dieses Weges zu schildern.Wenn hier Triumphe des Geistes und des Willens ber scheinbarunberwindliche Hindernisse geschildert werden, so in aller De-mut: der Verfasser ist sich bewut, da die siegreiche Vernichtungvon Monopolen dem Kampf mit der Hydra gleicht, weil ja dieAusweitung unsres Wissens immer neue Mglichkeiten zu Mono-polen schafft, weil ja gerade durch Forschung und Erweiterungdes Lebensraumes und der Lebensmglichkeiten Stoffe lebens-.wichtig werden, die vorher wertlos schienen.

    Der Verfasser wei, da Sieg ber Hunger und Angst nur einAnfang sind. Da der Herrschaft ber die Natur vor allem dieHerrschaft ber den Menschen, seine Leidenschaften, Sehnschteund Trume, folgen mu. Aber gerade, da man nun eddlich beiden Grundmauern des neuen Weltgebudes beginnt, gibt Mut.Gerade, da man nicht mehr nur herrliche Ideengebude auf-richtet, Luftschlsser, zu denen es keine Treppen gibt, scheint demAutor der wesentlichste Fortschritt unsrer Zeit.

    Anton Zischka

    I Januar 1938

  • ~~

    I-

    I

    .

    ERSTES KAPITEL

    DER GEWALTIGSTE ALLER SIEGE:

    SIEG BER DIE ANGST

    Monopole und die Furcht vor Hunger,Absperrung und Krieg

    Vor vierzig Jahren war das. Da kamen in die Urwlder Malayasund Borneos, Sumatras und Javas, in die dichten Wlder, die demGrtel roter Erde von Kambodscha nach Sd-Annam folgen, indie Dschungel um Kuala Lumpur wie in jene Indochinas Pflanzer,die die Baumriesen in die Luft sprengten und sie dann verbrannten.In die noch warme Asche stellten Geometer ihre Mestangen, zogman kilometerweit je zehn Meter voneinander abliegende Linien.Kulis steckten Bambusstbe in die lockere, verfaulende Erde,gruben tiefe Lcher. Dann kamen die jungen Heveas, winzige,lederblttrige Gummibumchen mit glatter glnzender Rinde,dann kamen Straen und Feldbahnen, Bungalows und Arbeiter-baracken, dann kamen sechs, manchmal acht Jahre entnervendstenWartens, whrenddessen die Aktionre ungeduldig wurden unddie Verwalter zwischen himmelhohen Hoffnungen und schwr-zestem Pessimismus schwankten, und schlielich waren die Bumestark genug, da man sie anstechen konnte. Weier, milchartigerSaft rann aus den Wunden. Man brachte ihn zum' Gerinnen,trocknete ihn. Heute rinnen aus den Gummibumen Britisch-Malak-kas, Niederlndisch-Indiens und Ceylons jhrlich rund eine MillionTonnen Kautschuk, heute liefern diese Plantagen jhrlich gutdreiigtausend Eisenbahnzge voll Rohgummi. Und nur hier gibtes Kautschuk. Amerika, das dreiviertel aller Autos der Welt laufenhat, dessen Reifenindustrie die bedeutendste der Erde ist, besitztnicht einen Gummibaum. Deutschland, wie alle anderen mitteleuro-pischen Industriestaaten, mu sich dem Gummimonopol derTropen fgen. Wie Amerika dreiviertel aller Baumwolle beherrscht,beherrschen England und Holland allen Kautschuk der Welt ...

    *berall in Westindien trifft man auf weite Felder, auf ganze

    Landstriche riesiger Grser, auf Wlder von bergroem Mais,auf ein Meer von gigantischem Schilf. Manchmal armdickes, matt-

  • 10 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    glnzendes Rohr steht hier in endlosen Reihen. Kilometerweit,hunderte Kilometer weit. Tagsber macht glhende Sonne diesePlantagen oft menschenleer. Dann stehen nachts zwischen denRohrreihen Petroleumlampen, und in ihrem fahlen Licht schwingennackte Mnner breitklingige Messer. Ein weitausholender Hieb, einAufglnzen des Metalls, und das Zuckerrohr sinkt nieder. Bffel-gezogene zweirdrige Karren warten in langen Reihen. Irgendwoprustet ein Motor, der lange, sthlerne Greifer bewegt, eine ArtBagger, der das Zuckerrohr auf die Wagen ldt. Die Bffel trottenzu Gleisen, auf denen riesige lgeheizte Lokomotiven stehen,endlose Ketten von Gitterwaggons. Der Zug fhrt ab, kommt indie ~Zentrale-s, wo das Rohr zermalmt und ausgepret, der Safteingedickt wird, wo Rohrzucker entsteht.

    Besonders auf Kuba gibt es solche Plantagen, solche Rohr-zuckerfabriken, auf Java findet man sie, in Britisch-Indien, aufden Philippinen und auf Hawai. Nirgends in Europa wchstZuckerrohr (I), nicht in Nordamerika. Rohrzucker, das ist einMonopol der Tropen. Es war ein absolutes, ein hundertprozen-tiges Monopol bis 1802., bis zur Rbenzuckererzeugung durchAchard, bis zur Zuckerfabrik in Kunern in Schlesien. Heute?

    *Ein schmaler Pfad, an steilen Abhngen vorbei, in Berghalden

    eingesprengt, die voll spitzer, schwarzer Steintrmmer liegen, inviereinhalbtausend Meter Hhe dann Schnee, in dem Lamas nachGrasresten scharren. Ein kleiner runder See, in dem rot, grn,gelb, violett phantastische Felsen sich spiegeln, und schlielichein ghnendes, schwarzes Loch in einer Steilwand, die sich in denWolken verliert. Aus diesem Loch, fnftausend Meter ber demMeeresspiegel, kommen kleine Wgelchen mit schmutziggrauenSteinbrocken, auf denen manchmal Kristalle sitzen, die schwarzenDiamanten hneln. Sie werden vor einer Reihe barfiger In-dianerinnen umgekippt, die in einem sausenden, eiskalten Windhocken und das Erz kleinschlagen. Nachts gibt es hier acht bisfnfzehn Grad Klte, und da schlafen diese Weiber dann unter

    (1) Die Mauren brachten Zuckerrohr nach Spanien; noch heute wird es in Anda-lusien angebaut. Weltwirtschaftlich aber sind diese winzigen Pflanzungen ohne jedeBedeutung.

    DER GEWALTIGSTE ALLER SmGE: SmG BER nrs ANGST IX

    einem dnnen Poncho auf den Steinbden in den Fels gehauenerHhlen. Ihre Mnner im Stollen dagegen haben es nicht kalt.Dieser Stollen kriecht in den Berg, so niedrig, da man sich bckenmu, er steigt und fllt, wie es gerade kommt. Die Luft ist dnnund wird mit jedem Schritt schlechter. Jede Bewegung hier ltdas Herz wilde Tnze auffhren, lt Schwei ausbrechen. Hieralso sprengt man das Zinnerz los, die Steine, die etwa vier Prozentdes Metalls enthalten, die dann sortiert, zermahlen, ausgeschwemmtwerden, die man in einen gelben Zinnbrei verwandelt, der in einemgroen Bassin von rasend sich drehenden Schrauben mit Teerlvermischt zu Schaum geschlagen wird, einem Schaum, der dieFremdstoffe festhlt, das schwere Zinn zu Boden sinken lt. Hier,ganz hoch oben in der bolivianischen Kordillere, gewinnt manso sechzigprozentiges Zinn, den blauen Sand, der in England zuBarren geschmolzen wird. Neunzig Prozent aller bolivianischenAusfuhr besteht aus Zinn. Mit dem Zinnpreis fllt und stehtBolivien. Sein Zinn, fnfundfnfzigtausend Tonnen jhrlich etwa,stellt ein Drittel alles auf der Welt gefundenen Zinns dar. Diezwei andern Drittel stammen aus China und den Gummilndern,aus Indonesien, den Straits Settlements, aus Hollndisch-Indienund Siam. Statt aus unertrglichen Berghhen stammen sie ausfieberheien Dschungeln. Statt von halberfrorenen Indios werdensie von Maschinenkolossen gefrdert, haushohen Baggern, die aufdreiig Meter langen, zwlf Meter breiten Pontons stehen undaus stinkenden, graugelben Sumpflchern mit jedem Stahlkbelein Drittel Kubikmeter Zinnschlamm holen. Jede Minute, Tag undNacht, taucht der Bagger in den verseuchten Tmpel, knirschend,sthnend, Dampfwolken in die heie Luft stoend.Der Mann, dem die meisten Zinnminen Boliviens gehren, be-

    treibt heute auch sehr viele der Zinnbagger Indonesiens. DieserMann heit Simon Patino, und 1903 war er noch ~erkufer ineinem kleinen bolivianischen Krmerladen. Ein Kunde dieses La-dens, ein Portugiese mit vielen Schulden, bot ihm einen Zinnclaiman die Mine Salvadora: er wollte dafr zweihundert Dollar von,seiner Rechnung gestrichen haben. Patino tat es und flog aus demGeschft. Er borgte zwei Mulas und verschaffte sich Kokabltterfr ein Dutzend Indios; er brachte zwei Jahre in den eisigen Berg-hhen der Kordillere zu, ein wenig Mais, ein paar Bohnen auf

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  • WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    stinkenden Lamadungfeuern kochend, und dann war die Salvadora-Mine als die reichste des Landes erwiesen. Patino verkaufte nicht~bwohl die amerikanischen Guggenheims ihm ein paar nette Mil~lionen boten, er schuftete weiter, und so ist er heute nicht nurGesan~ter seines La~des in Paris, hat er nicht nur einen spanischenMarqU1~ zum Schw1~gersohn und eine Bourbonenprinzessin alsFrau seines Erben, Simon Patino regiert auch mit John J. Howe-son, dem Herrn des malaiischen Zinns, mit den Englndern Mair,Thomas und Stephens, die die British Tin Investment Co. kon-tro~~ren, das Rohzinn der Erde. Er verschrfte das NaturmonopolBoliviens und Indonesiens durch ein Trustmonopol. Beherrscht~o den Rohsto~, der ungemein wichtig fr viele Metallegierungenist, unentbehrlich fr alle Konservenbchsen und somit fr dieArmeeverpflegung. Kann so Amerika, das die Hlfte alles auf derWelt erze~gten Zinns verbraucht, aber selber kein Zinn hat,ebenso Tribut zahlen lassen wie Deutschland, wie Europa, wiealle Industriestaaten der Welt.

    *.Wir 'Yare~ in Edmonton in das groe Flugzeug der Canadian

    Airways gestiegen, hatten die Provinz Alberta berflogen warennach Regina gekommen, dem Hauptort Saskatchewans landetenschlielich in Winnipeg, dem Zentrum Manitobas - ~ine Reisevon etwa fnfzehnhundert Kilometern, ein Flug, der etwa dem vonBerlin nach Sofi~gleichkommt. Acht Stunden lang hatten wir nichtsanderes als We1zen gesehen: unendliche gelbe Flchen, in denen~anc?mal ~aschinengiganten ihre Kreise zogen, Mhdrescher,~e diese We1zenfelder in mahlfertiges Getreide verwandelten dieJeder, v~n einem einzigen Mann bedient, tglich die Arbeit t~ten,zu ?er ~In Bauer ohne Maschinen sein ganzes Leben brauchte.

    ~che ~lge konnte man in Argentinien, im Westen derVereinigten ~~~aten~in Australien machen. berall riesige men-schenleere Prrien, in denen Maschinen den ohne Dnger reichaus dem Neuland schieenden Weizen ernteten. Mit Kanada ander Spitze beherrschten die vier berseestaaten den Getreidemarkt~er Welt. I~ Pitt~( von Winnipeg, einer achteckigen Arena,einem Saal mit aufsteigenden hlzernen Stufen, im siebenten Stockdes Wheat Exchange und an der Getreidebrse Chikagos wurden

    DER GEWALTIGSTE ALLER SIEGE: SIEG BER DIE ANGST

    die Preise bestimmt, die die ganze Welt fr ihr Brot zu zahlenhatte, den die rund tausend Millionen Bauern, die es auf der Weltgibt, fr ihr Getreide bekommen sollten. Dort w u r d e das be-stimmt ... Und wie die Natur, wie Klima und Spekulanten Mo-nopole fr Zucker und Kautschuk und Brot schufen, so sind dievierzig Staaten, die Textilindustrien haben, so ist die Baumwoll-industrie der Welt, deren Produktionswert jhrlich auf fnfund-zwanzig Milliarden Mark geschtzt wird, die direkt rund zwanzigMillionen Menschen ernhrt und indirekt gut hundert Millionenandere, so sind die Pneufabrikanten wie die Spinner, die Watte-erzeuger wie die Konfektionre von zw e i Baumwollproduzentenabhngig: die Hlfte aller Baumwolle der Welt wchst in denVereinigten Staaten, der Rest in gypten, im Sudan, in Britisch-Indien, in den englischen Kolonien Afrikas, in von London be-herrschten Lndern also. Wie neun Zehntel alles Zinns mehr alszehntausend Kilometer zurcklegen mssen, um an den Ort ihrerVerarbeitung zu gelangen, so werden neunzig Prozent aller Baum-wollwaren in Lndern erzeugt, deren Klima keinen einzigen Baum-wollstrauch reifen lt.

    Monopole herrschen ber unsere Nahrung wie berunsere Kleidung. Drei Vlker besitzen alle Kopra der Erde.Zwei Staaten, Norwegen und England, beherrschten bis 1936 denWalfischfang, damit die Tranversorgung der Welt, vier Kolonial-reiche, das britische, franzsische, niederlndische und belgische,beherrschen 97 Prozent allen Palmls, des wichtigsten Grund-stoffes der Margarine- und Seifenfabrikation. Und ein einzigerTrust wiederum, der Unilever-Konzern, hat die Verteilung undWeiterverarbeitung dieser lebenswichtigen Fette in der Hand.

    Schwefel, das wichtige Ausgangsprodukt der chemischen In-dustrien: Monopol der Vereinigten Staaten und Italiens. Platin,als Katalysator ebenfalls unentbehrlich fr die Chemotechnik:Monopol Sowjetrulands, Kanadas und Kolumbiens. Und dieTreibstoffe? Zwei Monopole, das der Standard Oil und der RoyalDutch Shell, beherrschten fast alle lquellen, beherrschten so fastalle Verbrennungsmotoren der Welt, zwei winzige Gruppen vonMenschen, hinter denen im besten Fall zwei Staaten stehen, be-herrschten so Luftflotten und Tanks, Unterseeboote, Schlacht-schiffe und Autos von vierzig Nationen.

  • 14 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Rohrzucker: Tropenmonopol.Tee, Kakao, Kaffee: Tropenmonopol.Kautschuk, Kopra, Palml: Tropenmonopol.Nickel: Monopol eines einzigen Landes, Kanadas, das 86 Pro-

    zent der Weltausbeute liefert, einer einzigen Firma, der s Inter-national Nickel Co., die wieder ein einziger Mann regiert, Robert~roockes Stanley. Denn wie Nationen um Rohstoffmonopoleringen, so kmpfen natrlich seit undenklichen Zeiten auch ein-zelne um Vormachtstellungen. Patino ist durchaus keine Aus-nahme, ~mmer wieder sind sCornere gelungen, haben Speku-lanten die Kufermassen sich tributpflichtig gemacht, indem sielebenswichtige Waren aufkauften und zurckhielten, den knstlicher~eugten Ma~gel dann dazu benutzten, sich Vermgen zu schaffen.Wl~ Joseph gyptens Korn monopolisierte, so monopolisiertendreitausend Jahre spter Leiter und Hutchinson alles GetreideAmerikas. Und wenn schon die Spekulation in Getreide das so. ,zle.mlich.berall wchst, gigantische Formen annahm, die Speku-lation mit Baumwolle und Gummi, Zucker und Zinn, die nur aufeng beschrnkten Rumen vorkommen, wurde fr ganze Lnder,fr ganze Kontinente lebensgefhrlich. Der berhmte SpekulantSully zum Beispiel, der 1904 die amerikanische Baumwollerntes cornertee, zwang nach den offiziellen Ziffern des internationalenSpinner- und Weberkongresses in Zrich allein Deutschland indiesem Jahr einhundertundsiebzehn Millionen Mark mehr 'frBaumwolle auszugeben, als die Produzenten erhielten. Europamute 194 fr den lebenswichtigen Rohstoff einhundertundzweiMillionen Pfund Sterling mehr an Amerika zahlen als 1895, ob-wohl man zehn Millionen Ballen statt der sieben des Baissejahrsgeerntet hatte.Monopol: griechisch, Alleinverkauf , steht im Lexikon, ) ein

    Zustand der Tauschwirtschaft, bei dem das Angebot von oderdie Nachfrage nach einem Gut entweder ganz in den Hndeneinzelner Personen oder Unternehmungen oder Organisationensolcher Personen oder Unternehmungen liegt oder doch vonihnen zu einem so groen Teil beherrscht wird, da dadurch einentscheidender Einflu auf den Preis ausgebt werden kann.Um Preise allein aber geht es lngst nicht mehr. Monopole

    verschaffen nicht nur Gewinn, sie geben vor allem Macht. Macht

    DER GEWALTIGSTE ALLER SIEGE: SIEG BER DIE ANGST 15

    dem Milliardr. Macht seinem Land. Macht einem Kontinent berden andern (I).Weil Kaffee nur auf einem ganz kleinen Teil der Erde wchst,

    nur vier Lnder nennenswerte Weizenberschsse haben, die sieausfhren knnen, Baumwolle an ganz gewisse klimatische Vor-aussetzungen gebunden ist, wie Kautschuk und die lquellenhchst unregelmig verteilt sind, wollen die Besitzer dieserSchtze die Nichtbesitzenden in alle Ewigkeit Tribute zahlenlassen. Lieber vernichten sie Kaffee, Baumwolle und Weizen, alsda sie sie gegen die berschuprodukte der andern tauschten.Aber auch die, die die Rohstoffe zahlen knnten, sollen sie jetztnicht mehr so ohne weiteres haben. Mitten im Frieden gibt eswirtschaftliche Blockaden. Weltpolitik und Weltwirtschaft werdenimmer enger verquickt. Und diese Sanktionen, gegen die Italiensich wehren mute, die man Deutschland androhte, machen ausden Sorgen der Geopolitiker und Weltwirtschaftler pltzlich Nah-rungssorgen fr hundert Millionen Europer, aus wirtschafts-politischen berlegungen Fragen der nackten Not. Immer deut-licher wird durch das Stocken des internationalen Zahlungsver-kehrs jedem von uns klargemacht, was Rohstoffnot bedeutet, jeden

    (I) Nach einem Vlkerbundsbericht vom Mrz 1937 war der prozentuale Anteilan der Weltrohstofferzeugung :

    Briti- Frank- Nieder- Ver- Sowjet-Deutsch- sehes reich lande einigte Ru-land Welt- und und Staaten landreich Kolonien Kolonien

    Steinkohle. 12,4 24,7 4,4 1,2 34,0 8,5Petroleum. 11,5 2,9 59,5 11,7Eisenerz 4,0 12,2 28,6 20,7 18,4Blei 4,3 43,0 0,4 19,5 2,1Kupfer. 12,2 15,9 3,4Zink 9,3 31,8 0,5 28,4 2,0Zinn . 42,5 1,0 16,8Bauxit 5,2 42,5 7,9 12,6 4,8Nickel . .. 85,7 9,0 0,2Kautschuk 57,9 2,0 37,4Zellstoff 19,6 1,5 0,6 21,0 1,3Kali 59,5Palml 48,4 12,2 22,0Kopra 29,5 1,9 3,5 34,5

  • 16 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Tag klarer fhren uns politische Spannungen und Zollgrenzen vorAugen, was Monopole praktisch darstellen, wie sehr sie zu schadenvermgen, wie gefhrlich es ist, vom Kauf oder Verkauf eineslebenswichtigen Grundstoffs vllig abhngig zu sein: mitten imReichtum herrscht Not, mitten im Frieden ist Kriegswirtschaftntig geworden. Und da die Betroffenen sich natrlich wehren,ist mehr denn je von Neuverteilung der Rohstoffe, von brder-licher Gemeinschaft und Weltzusammenarbeit die Rede. Wiedereinmal berufen die Monopolbesitzer Konferenzen ein, die dieNichtbesitzenden von Taten zurckhalten sollen. Wieder machtman Plne, wie man seit Tausenden von Jahren Kriegsplne gegendie Monopole schmiedete. Von den Reden, die Lysias 387 v. ehr.gegen die Spekulanten Athens hielt, bis zu den Anklagen derAnhnger des New Deal vor dem amerikanischen Kongre sindja immer wieder flammende Proteste gegen die Rohstoffwuchererlaut geworden. Von den Beratungen zur Aufteilung der Kolonial-schtze im 16.Jahrhundert bis zur Weltzuckerkonferenz, der Welt-getreidekonferenz und der Weltwirtschaftskonferenz des Jahres1933; von den Kongoakten und den Marokkovertrgen bis zurinternationalen Rohstoffkommission des Jahres 1937 ist ja immerwieder versucht worden, eine gerechtere Verteilung der Nahrungs-mittel und der Rohstoffquellen zu erreichen. Immer wieder wurdeversucht, die Spekulanten zu vernichten, allen Vlkern die ntigenGrundstoffe zu sichern. Trotzdem aber beherrschen Angst vorHunger und Absperrung immer noch die Welt. Wie unsre AhnenBlitz und Donner, Mondfinsternis und wilde Tiere frchteten, inewiger Angst vor dem Hunger lebten, so frchten wir uns heutemehr denn je voreinander. Wir errichten nicht mehr Gtzenbilder,dafr aber riesige Festungsgrtel, die Pyramiden an Zwecklosig-keit wie an Ausmaen bersteigende Bauwerke aus Stahl undBeton. Angst macht die internationalen Konferenzen zu lgne-rischen Rededuellen. Angst vor den Vertragspartnern macht alleweltumspannenden Wirtschaftsabkommen zu kurzlebigen Not-lsungen. Angst und Mitrauen vergiften unser Leben mehr, alssie je die Steinzeitmenschen plagten: Angst aber hat nur, wersich schwach fhlt. Angst entsteht aus ungleicher Verteilungder Krfte, aus Minderwertigkeitskomplexen.Der Ferne Osten brodelt, weil Japans hundert Millionen Men-

    JUSTUSLIEB1Gwurde am 12. Mai 1803 in Darmstadt als Sohn des Farben~ndlersJohann Georg Liebig geboren. Nachdem er kurze Zeit Apothekerl~hrlmg war,studierte er in Bonn, Erlangen und Paris, WO er die AufmerksamkeIt Alexandervon Humboldts auf sich zog. Im Alter von 21 Jahren wurde er als Professor derChemie an die Universitt Gieen berufen. Hier grndete er das erste Muster-laboratorium in Deutschland. Gieen wurde durch ihn zum Mittelpunkt deschemischen Studiums der gesamten Kulturwelt. 1852 folgte er einem Ruf andie Universitt Mnchen. Zahllos sind die Entdeckungen, die wir Liebig ver-danken. Seine bedeutendste Tat aber bleibt doch, da er lehrte, wie man er-schpften Feldern ihre Kraft zurckgeben kann. Weite Landstriche Europaswurden so vor dem Verden bewahrt. Liebig wurde 1845 geadelt und starb

    am 18. April 1873 in Mnchen.

  • DER GEWALTIGSTE ALLER SIEGE: SIEG BER DIE ANGST 19

    schen wissen, da sie nur leben knnen, so lange Australien ihnenWolle verkauft, Indien und Amerika Baumwolle schickt, weilJapan im Weltkrieg Hunger litt, als es von seinen Nahrungs-mittellieferanten abgeschnitten war, weil es wei, da Zollschran-ken oder Einfuhrkontingente seinen Handel vernichten, es so inden Bankrott, in Not und Verzweiflung treiben knnen.Europa fiebert, weil England fr seine Vormachtstellung, fr

    den Weg nach Indien, gypten und seine Plantagen im Sudanfrchtet, Angst hat, da Italien als Herrscher ber Abessinien,damit ber die Nilquellen und den Tsanasee, einmal seine Machtdazu bentzen knnte, dem Nil so viel Wasser zu entziehen, dadie in drei Jahrzehnten mhsam erworbenen, mit ungeheurenOpfern zum Blhen gebrachten Baumwollfelder vertrocknen undLancashire zu wenig Rohstoff bekommt. Europa fieberte, weilItalien seine Bevlkerung auf der armen Apenninenhalbinselnichtmehr ernhren konnte, neuen Raum, neue Mrkte, neue Rohstoff-quellen brauchte.Angst um den Arbeitsplatz, Angst um den Kufer, Angst um

    Nahrung und Freiheit und menschenwrdiges Dasein, Angstpeitscht uns vorwrts wie nur je. Aber wenn die Natur durchKlima und willkrliche Verteilung der Bodenschtze auch Mono-pole fr fast alle lebenswichtigen Dinge schuf, wenige nur knnenwir heute noch nicht brechen. Wenn wir aber Monopole brechen,naturgegebene bermacht, geschenkte Vorteile, dann berwindenwir auch die Angst vor Hunger und Absperrung. Da bekmpfenwir Neid und Migunst. Da arbeiten wir fr dauerhaftenFrieden, denn wer wird um etwas kmpfen, das alle haben?

    Gewi, Monopole brechen knnen nicht Volksredner und nichtweltbeglckende Philosophen, nicht Armeen und nicht gigantischeBankenkartelle. Keine wirklich bedeutende nderung im Lebender Menschheit wurde ohne Hilfe der Techniker und Gelehrtenvollbracht. Nicht Philantropen besserten die Lebensbedingungender Arbeiter, sondern die billige Erzeugung der Massengterdurch Maschinen; und wenn die allzu rasche Mechanisierung auchdie Welt vor schwerste Probleme stellte, manchmal die Maschineals Feind erschien, der Millionen arbeitslos verelenden lie, dieTechnik ist doch auf dem Weg, die seit Jahrtausenden andauerndenWirtschafts kmpfe zu beseitigen, Monopole der Gewinnsucht2 ZI W1 X

  • 20 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    ebenso wie des Klimas zu brechen. Alle Reden, alle politischenReformen konnten auf die Dauer den Drang des einzelnen wieder Vlker, sich Monopole und dadurch fette Gewinne zu schaffen,nicht ausmerzen. Whrend aber die feurigsten Proteste wirkungs-los verhallten, arbeiteten berall Gelehrte daran, die Menschheitvon Sklaven der Natur zu Beherrschern der Natur zu machen.Monopol auf Monopol wurde gebrochen, Schritt fr Schritt sichvorwrtstastende Forscher eroherten immer neuen Lebensraum,beendeten Kmpfe um Rohstoffe, indem sie sie allenzugngig machten.Solange es nur Rohrzucker gab, Zucker nur unter ganz ge-

    wissen klimatischen Bedingungen erzeugt werden konnte, ver-mochte man ihn zu monopolisieren, wie man Baumwolle mono-polisieren konnte. Die Wissenschaft fand den Rbenzucker, undRben wachsen berall, sind nicht auf kleinen Raum beschrnkt;man kann Rbenfelder nicht aufkaufen wie Rohrplantagen : dasMonopol zerfiel, vor Zuckernot braucht niemand mehr Angst zuhaben. Sully cornerte die ganze Baumwollernte des Jahres 1904;aber dann wurden Kunstseide und Zellwolle erfunden, und heutemte ein Textilspekulant nicht nur alle Baumwollernten auf-kaufen, sondern auch noch mehr als vierhundert Zellfaserfabrikenin neununddreiig Lndern, er mte Macht ber neununddreiigRegierungen haben, um sie stillegen zu knnen.Unzhlige Chemiker und Ingenieure, Forscher und Organisa-

    toren arbeiten seit ein paar Jahrzehnten gegen den Zufall, gegenererbten Reichtum, gegen naturgeschenkte Macht. Ganz langsammachten sie Leistung, nicht Glck, zum Mastab der Welt-geltung. Und sie arbeiteten so gleichzeitig fr Frieden und Fort-schritt, gewaltiger und sicherer als alle Politiker und Diplomaten.Sie arbeiteten, ohne viel Aufhebens davon zu machen, und so istvieles von ihren Taten vergessen worden. Die Welt streitet berWert oder Unwert des synthetischen Benzins, des Kautschuks ausKalk und Kohle; viele bekritteln noch die Zellwolle oder die Seifeaus Kohle und vergessen dabei ganz, da uns chemischer-sZucker, der Rbenzucker Achatds, lngst so selbstverstndlichwie Kunstseide wurde, da der Luftstickstoff das Monopol desChilesalpeters brach wie die chemischen Farben das' Monopol desIndigo, da lngst synthetischer deutscher Kampfer den Kampfer

    DER GEWALTIGSTE ALLER SIEGE: SIEG BER DIE ANGST 21

    der Wlder Formosas ersetzt, man lngst plastische Stoffe ausMilch macht und Papier aus Holz.Gewi, wir stehen erst am Anfang, unendlich viel bleibt noch

    zu tun. Kaum hundert Jahre sind ja vergangen, seit organischeStoffe synthetisch hergestellt werden. Trotz ungeheurer Fort-schritte ist unsre Behandlung von natrlichen Rohstoffen noch sounvollkommen wie ihre Verbesserung durch knstliche. Aber seitder Gttinger Chemiker Friedrich Whler 1828 als Achtund-zwanzigjhriger aus einer anorganischen Substanz, aus zyansauremAmmonium, synthetisch Harnstoff herstellte, seit die Grenze zwi-schen sorganisch- und sanorganische fiel, hat man mehr als drei-hunderttausend organische Stoffe in ihrem chemischen Aufbaugenau kennengelernt, stellt man acht- bis neuntausend dieser Stoffetechnisch her. Seit Whler wei man, da nicht eine unbekanntesLebenskraft s entscheidend fr das Entstehen organischer Krperist; seit Whler wei man, da nur eines die Menschheit daranhindert, alles synthetisch herzustellen, vllig unabhngig vonallen Monopolen zu werden: der Mangel an Kenntnissen.

    Gewi, vllig besiegt wird die Angst erst sein, wenn alles, wasdie Prometheus-Sage ausdrckt, berwunden ist: Prometheusbrachte den Menschen das Feuer, das entscheidendste Zeichen derZivilisation. Aber er mute es den Gttern stehlen, wurde dafrvon Zeus zu entsetzlichen Leiden verdammt. Immer noch ist dieMenschheit in zwei Lager geteilt: die, die auf seiten des strafendenZeus stehen, Prometheus als Tempelschnder, als Eindringling ingeheiligte Gefilde betrachten, und jene, fr die er der Lichttrgerist, der Mrtyrer fr die Rechte der Menschheit. Immer nochbringen Zeiten der Not, Krisen, wie die der Nachkriegszeit, eineWelle von Pessimismus mit sich, ein schlechtes Gewissen der Zivi-lisation, ein Ableugnen allen Fortschritts und Verzagen vor denimmer neu sich auftrmenden Schwierigkeiten. Immer wiederfallen wir zurck auf die Stufe der Primitiven, deren ganzes Lebenvon Tabu umgeben ist, die jeder Schritt in verbotenes gttlichesGebiet fhrt. Wie Prometheus gemartert wird und Wotan seinWissen mit einem Auge bezahlte, wie die alten griechischen Stdtein ihre Mauern lebende Jungfrauen einschlossen, als Opfer fr diefrevelhafte Anmaung, sich anders als durch Gottheiten schtzenzu wollen, so stehen immer wieder Maschinenstrmer auf und

  • 22 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Prediger einer Rckkehr zur Natur. Aber gerade die Gesetzedieser Natur leiten uns ja: alles was wir tun, ist ja nichts anderes,als uns der naturgegebenen Tatsache anzupassen, da heute mehrals zwei Milliarden Menschen leben, wo vor tausend Jahren hch-stens hundert Millionen lebten. Wir knnen nicht mehr zurck.Ob der Weg, den die Menschheit heute geht, auf- oder abwrtsfhrt, was sein Ziel ist, das steht nicht zur Diskussion, solangees nur diesen einen Weg gibt. Zum Triumph ist deswegen eben-sowenig Anla wie zum schlechten Gewissen. Mit dem Wissenwchst die Verantwortung; da der Kreis, den wir berblicken,immer grer wird, sehen wir auch immer deutlicher das Mi-verhltnis zwischen Aufgabe und Erfllung. Aber alle Schwierig-keiten drfen die Dankbarkeit fr das Erreichte nicht vergessenlassen. Die Geschichte der Menschheit ist eine lange Kette vonVerzagen und Sichbernehmen. Aber ganz langsam kommen wirin hgeliges Gelnde, das den Ausblick freier macht. Immer deut-licher sehen wir, da die, die auf seiten Zeus' stehen und die Trgerdes technischen wie des politischen Fortschritts als Tempelschnderund Aufrhrer gegen die geheiligte Ordnung behandeln, vondiesen Aufrhrern ernhrt werden. Allen lebenden Wesen ist derDrang zur Vermehrung eingeimpft, aber auch die Gabe der An-passung. Die, die Prometheus als Dieb hinstellen und seine Qualenals gerechte Strafe, vermehren sich wohl, aber sie passen sichnicht an. Sie fragen, wohin unser Fortschritt uns noch bringenwird, aber nur dank dieses Fortschritts haben sie ja zu essen. Wirbrauchen nur den Weg der groen Forscher zurckzuwandern, umunzhlige Beweise dafr zu finden. Tun es hier, nicht um uns anunserer Gre zu berauschen, sondern nur um Mut zu schpfenfr die Zukunft.Beginnen wir mit dem Kampf gegen den Hunger, mit der viel-

    fltigen und vielverzweigten Geschichte des Kampfes gegen Klima-monopole, mit dem Kampf gegen die Verdung Europas ; dennnur zhes Ringen um Kenntnisse hat ja unseren Erdteil davor be-wahrt, das Schicksal Arabiens, Nordpersiens oder Westturkestanszu teilen, die wie die meisten heutigen Wsten Zentralasiens vordrei- oder viertausend Jahren noch blhendstes Ackerland waren.Durch Ausgrabungen und alte Berichte wissen wir ja, da dort,

    wo heute ein paar armselige Beduinen leben, einmal die prchtigen

    DER GEWALTIGSTE ALLER SIEGE: SIEG BER DIE ANGST 23

    Tempel, die riesigen Stdte der Assyrer und Babyionier standen,die vom Getreide der umliegenden reichen Ebenen lebten. Wirwissen aus Funden von Goldschmuck und Ackerbaugerten, ausversunkenen Vorratshusern, da vor gar nicht langer Zeit dieheute nur aus Steppen und Urwald bestehende Halbinsel Yukatan,da groe Teile Zentralamerikas zu den reichsten Ackerbauge-bieten der Erde zhlten, da dort Mais wuchs, dessen Kolbendreimal so schwer als die unserer Arten wurden, da es dortbraune und hellblaue, weie und gelbliche Baumwolle gab.Die blhenden Kulturen Arabiens und Mesopotamiens ver-

    sanken, als der Boden zu arm wurde, um die rasch steigende Be-vlkerung zu ernhren, als die Not zu Revolten und Krieg fhrte,als der Krieg die Bewsserungsanlagen vernichtete. Manche derdurch Hunger vertriebenen asiatischen Vlker grndeten neueReiche, wie das der Sarazenen, wie das osmanische; die meistenaber verschwanden, sind heute vergessen wie die Lnder, die sieeinst bebauten.

    Wer hat Europa davor bewahrt, sich ebenfalls in Wsten, inSteppen, Weiden oder Urwald zurckzuverwandeln? Wie kann,trotz unglaublicher Zunahme der Bevlkerung, Europa sich nochimmer ernhren? Warum sind nicht lngst all unsere Bauern indie unendlich weiten, fruchtbaren Kornebenen Amerikas undKanadas, Australiens und Argentiniens gezogen, wie gegen Endedes zweiten Jahrhunderts Zimbern, Teutonen und Ambronen vonden zu arm gewordenen Feldern Nordschleswigs und Jtlandskmpfend nach Sden wanderten?

  • ZWEITES KAPITEL

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER

    Die Erweiterung des Lebensraumes vonLiebig bis zur Bodenbiologie

    Wir wissen nicht genau, ob vor zehn- oder vor zwanzigtausendJahren unsere Vorfahren begannen, Samenkrner in die Erde zuscharren, den Boden zu bebauen, statt als Jger, spter als No-maden zu leben. Wir wissen nicht, wann sie begannen, Gemein-schaften zu bilden, statt, wie es die groen Affen heute noch tun,vereinzelt und ungesellig herumzuwandern, weil jede kleine Gruppeweite Wlder oder Weiden brauchte, um genug Nahrung zu finden.Wir wissen allein, da es sehr lange, da es viele Jahrtausendedauerte, bevor die Menschheit den vollen Zusammenhang zwi-schen Saat und Ernte begriff, da es weitere Jahrtausende dauerte,bevor sie entdeckte, da das Wetter sich regelmig ndert, eseinen Zyklus, ein Jahr mit Jahreszeiten gibt, da es unendlichlange dauerte, bevor man die richtige Zeit zur Aussaat fand. Umdiesen Zeitpunkt nicht zu verpassen, waren dann Tempel undPriester ntig - die ersten Astronomen, denn Kalender gab esja nicht, Kalender sind eine verhltnismig sehr neue Erfindung-,um die Gtter zur Frderung der Saat zu bewegen, waren berallMenschenopfer blich. Selbst als die Zeit der Saat und der Erntedann aber in allen Kulten durch Opfer und Dankfeste geregeltwar, blieb Ackerbau eine vllig empirische, eine vom Zufall soabhngige Ernhrungsart wie Jagd und Viehzucht. Nachdem sichder Ackerbau jahrtausendelang nur in den berschwemmungs-gebieten der groen Flsse erhielt, es nur am Nil, am Euphratund am Tigris regelmig bebaute Felder gab, dort also, wo derBoden durch Neulandschlamm alljhrlich aufgefrischt wurde, gabes spter nur ausreichende Ernten, wo man Urwald frisch gerodet,oder wo der Boden sehr lange brachgelegen hatte.

    Seit die Menschen Ackerbau auerhalb der Fludeltas betrieben,machte sich die Erschpfung des Bodens bemerkbar, bis zur Mittedes neunzehnten Jahrhunderts aber fand man keine Erklrungdafr. Der Boden trug Frchte, die Sonne lie das Korn reifen,wie und warum aber, das blieb in vlliges Dunkel gehllt. Homergab schon in der Odyssee Ratschlge zur Verbesserung des Bodens.

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER

    Irgendwo hatte ein Bauer gefunden, da Holzasche den Ertragsteigert; die Chinesen verwendeten menschliche Exkremente undKnochenasche zur Dngung, man brachte manchmal den Stallmistauf die Felder, um ihn .Ios zu sein. Als die ersten Bauern nachNeu-England kamen, lernten sie von den Indianern, als Opfer frden sGroen Geist Fische in jedes Kornfeld vergraben. Siedngten so mit Fischphosphor, wie die Alten mit dem Blut dergeopferten Hekatomben oder dem Blut menschlicher Opfer ihrecker auffrischten. All das aber wurde im Aberglauben und vlligzufllig, mit durchaus zuflligem Erfolg, getan. Im groen wurdeder unangenehmen Tatsache, da der Ertrag des Bodens bei jederErnte abnahm, nur dadurch Rechnung getragen, da man Neulandzu erobern suchte, durch Krieg oder Vlkerwanderungen aufFelder und Weiden zu kommen trachtete, die noch unerschpftwaren. Jahrtausendelang trieb man Raubbau, schpfte man ausdem vollen. Und fr die wenigen Menschen, die es zu Anfangder europischen Geschichte gab, war das ja auch das Einfachste,ihnen mute ja der Vorrat an jungfrulicher Erde unerschpflichscheinen. Immer neue Wlder brannten sie nieder, aber schlielichwar doch die Grenze erreicht. Kurz vor dem DreiigjhrigenKrieg war ganz Mittel- und Westeuropa besiedelt.Dieser Krieg lie dann dort, wo bei seinem Ausbruch fnfund-

    zwanzig Millionen Menschen gelebt hatten, vier Millionen zurck,er schob die Folgen der Bodenverarmung hinaus. Bald aber gabes wieder mehr Menschen in Europa als Neuland, obgleich manUngarn von den Trken befreite, Hunderttausende der bestenDeutschen Siebenbrgen besiedelten, mit dem Schwabenzug dieZeit der groen Auswanderung begann; obgleich man nach Ostenvorstie, reichten die Ernten Europas bald nicht mehr aus, umden Hunger zu bannen. Und wie immer fhrte Unkenntnis zuKrieg und Blut und unvorstellbarer Not.

    Jedes Land versuchte auf seine Art, sich gegen die Verarmungzu wehren; wo Eisen und Kohle gefunden wurden, versuchte' man,durch Industrie die Ernten zu ergnzen, durch Handel Brot zuverdienen. Aber das brachte ja im besten Fall eine Verschiebung.Brot konnte man ja auch mit Industrieartikeln und mit Handels-gewinnen nur so lange bezahlen, wie es Brot gab. Das rasche An-wachsen der Stdte linderte die Not nicht, verschlimmerte sie nur.

  • 2.6 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Je rmer die Felder wurden, desto mehr Bauern flchteten in dieStdte; jetzt fiel der Ertrag auch noch durch Mangel an Arbeits-krften. Die Drfer verdeten. Dafr verschlang allein Paris zuEnde des 18.Jahrhunderts jhrlich vierzig Millionen Liter Wein,der die beste und fetteste Erde aussog, hunderttausende KiloSchmalz und Butter wurden in Pomaden und Seifen verwandelt;da man damals mit Eiwei appretierte, wurden jhrlich rund zehnMillionen Eier in die Kloaken gesplt. Ungeheure Mengen vonLebensmitteln brauchten die groen Stdte, und jetzt blieb nichteinmal mehr ihr Abfall auf den Feldern, der wurde ja in die Flssegesplt, vergiftete die Fische ... Wie Geschwre sogen die Stdtealle Kraft an sich, verwandelten sie alles in Eiter. Mit den Steuernder Bauern wurden Theater errichtet, in die der Bauer nicht kam,Museen, die er nie betrat, Universitten erhalten, die nicht frihn arbeiteten, die sich erhaben dnkten ber den Acker und seineGeheimnisse, die Philosophie und Theologie trieben und auf dieschchtern sich regende Naturwissenschaft mit Verachtung undHohn herabsahen. Und selbst als man sich dann mehr und mehrmit der Nahrung der Maschinen, mit der Kohle, mit Bergbau undMetallurgie beschftigte, regierte vllige Unwissenheit die wich-tigste aller Industrien: die Herstellung des Brotes. Unwissenheitrcht sich bitter, und so wurden die englischen Slums immer ent-setzlicher, so kam die Franzsische Revolution, die wie die rascheKolonisation Kanadas, Amerikas und Australiens zu einem nichtgeringen Teil auf die Unkenntnis der chemischen Vorgnge imAckerboden zurckgeht. Und whrend England das Problemdurch Handel und Maschinisierung zu lsen suchte, whrend diehungernden Massen Frankreichs glaubten, satt zu werden, wennsie die Reichtmer des Adels verteilten, fanden sich auch immermehr Philosophen, die durch Ideen die Not lindern wollten. Manpredigte den Imperialismus, behauptete, man msse den Natur-menschen ihr Land wegnehmen, durch Kolonien die Nahrungs-basis der Mutterlnder vergrern. Man predigte, Krieg sei gott-gewollt, nur durch viele Kriege knne man der bervlkerungvorbeugen. Sekten wurden gegrndet, die Enthaltsamkeit vor-schrieben, damit nicht immer neue Kinder den Hunger noch ver-schrften. Schlielich schrieb der englische Pfarrer Robert Malthus1798 ein Buch, das all die Angst vor dem Hunger in eine einzige

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER

    dstere Prognose zusammenfate : die Lebensmittel lieen sich nurin arithmetischer Steigerung vermehren, Felder knne man nuraneinanderreihen, also addieren. Die Menschheit aber vermehresich in geometrischer Progression, jedes Kind wird wieder Vateroder Mutter, die Menschheit wachse durch Multiplikation. DerBoden verarme noch dazu mit jeder Ernte mehr. Bald also werdeein Teil der Menschheit keinen Platz auf der Erde haben. Nureine Rettung gbe es: keine Kinder mehr.Die LehrenMalthus' wurden nur zu gern geglaubt. Die sMal-

    thusianer, die sie befolgten, wuchsen berall in Europa zu starkenGruppen. Unzhlige von Malthus inspirierte Schriften kndigtendas Ende der Welt an; eine Periode der Unrast, des Kampfes,der Verzweiflung begann. Whrend die Schwachen in die Kirchenliefen, der Mystizismus eine Blte erlebte wie der Glaube an dieMaschinen, wanderten die Starken aus, besiedelten die tchtigstenBauern Europas das Neuland in bersee. Vierunddreiig MillionenEuroper gingen zwischen 1820und 1921nach Amerika. Trotzdemaber wurde der Hunger in Europa immer fhlbarer. Die neuenKolonien lieferten noch nichts, im Gegenteil, sie muten nochvon Europa miterhalten werden; bis zur Mitte des 19. Jahr-hunderts verschlechterte die Kolonisation die NahrungsmittellageEuropas, entzog sie der Alten Welt Kraft. Als im Mai 1803 demDarmstdter Farbenhndler Johann Georg Liebig ein Sohn ge-boren wurde, waren die Befrchtungen, die Malthus' Lehre hervor-gerufen hatte, noch sehr lebhaft im Bewutsein Europas ; sieblieben es, whrend dieser Sohn Justus aufwuchs und mit denDrogen und Chemikalien des Vaters herumexperimentierte ; mandiskutierte sehr heftig ber sie, als Justus Liebig mit einem Sti-pendium nach Paris an die Sorbonne ging, und die Angst, daein Teil der Menschheit bald keinen Platz mehr auf der Erdefinden wrde, steckte ihn an wie die meisten verantwortungsbe-wuten Menschen seiner Zeit. "Alles, was wir tun , schrieb erspter an seinen Freund Whler, salles, was wir schaffen und ent-decken, scheint mir unbedeutend gegen das, was der Landwirterzielen kann. Unsre Fortschritte in Kunst und Wissenschaft ver-mehren nicht die Bedingungen der Existenz der Menschen, undwenn auch ein kleiner Bruchteil der menschlichen Gesellschaft angeistigen und materiellen Lebensgenssen gewinnt, so bleibt die

    2.7

  • 28 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Summe des Elends. in der groen Masse die nmliche. Ein Hun-gernder geht nicht in die Kirche, und ohne ein Stck Brot gehtkein Kind in die Schule. Der Fortschritt des Landwirts hingegenlindert die Not und die Sorge der Menschen und macht sie empfin-dungsfhig und empfnglich fr das Gute und Schne, was Kunstund Wissenschaft erwerben, und gibt unseren Fortschritten erstden Boden und den rechten Segen ...

    Whrend die andern aber immer nur redeten, hatte Justus Liebig,lange bevor er dies schrieb, den Bauern schon die Waffen in dieHand gegeben, um die Prophezeiungen Malthus' als falsch erkennenzu lassen. Liebig hatte sich nicht mit der seit Jahrtausenden alsnaturgegeben betrachteten Tatsache abgefunden, da die Felderimmer rmer wurden, sondern er hatte wissen wollen, warum. Erhatte in Paris schon, wo der Botaniker de Saussure hnliche Wegeging, unzhlige Versuche angestellt, hatte, als er dann auf dieFrsprache Alexander von Humboldts und Gay-Lussacs hin vier-undzwanzigjhrig Chemieprofessor in Gieen wurde, Tag undNacht Bodenanalysen gemacht und schlielich 1840 beweisenknnen, da neben Luft und Wasser vier Stoffe unentbehrlich frdas Leben aller Pflanzen sind: Stickstoff, Phosphorsure, Kali undKalk. Er hatte ausgerechnet, wieviel dieser Stoffe durch jedeErnte dem Boden entzogen wird, hatte durch Verbrennung vonWeizen und Roggen, Mais und Hafer nachgewiesen, da siePhosphor, Kali und Kalk in ihrer Asche enthalten. Nun, da manendlich wute, warum der Boden arm wird, konnte man auchersetzen, was man ihm nahm, konnte man ihn auch wieder reichmachen. Die Agrikulturchemie war begrndet, der erste wirksameSchritt gegen den Hunger, gegen Revolution und Krieg getan.Nach Jahrtausenden des Ungewiseins konnte man darangehen,Pflanzennhrstoffe herzustellen, den Bodenertrag zu steigern.

    Nach der Verffentlichung von Liebigs Schrift ber die Chemiedes Bodens htte man darangehen knnen. Aber zuerst mute,wie immer, der Forscher einen erbitterten Kampf gegen Vorurteilund Festhalten an ererbten Anschauungen auskmpfen, jahrelangmute Liebig sich gegen hhnische Anfeindungen verteidigen. Umdie ganze Gre Liebigs zu begreifen, mu man sich daran er-innern, da er ja in der sguten alten Zeit lebte, in der Bieder-meierzeit, whrend der man romantische Ideale hatte, Weltschmerz

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER

    beliebt war, da er in der .Bltezeit des Partikularismus lebte.Whrend die Agrikulturchemie geboren wurde, reiste FriedrichList, der ~Deutsche ohne Deutschland , von Frstenhof zu Fr-stenhof, umsonst fr Niederlegung der inneren Zollschranken,umsonst fr den Ausbau des Eisenbahnnetzes werbend. Als Liebigseine Bodenanalysen machte, gab es in Preuen vier Dampfschiffeund alles in allem vierhundertundneunzehn Dampfmaschinen; esgab noch keinen Koksofen in Deutschland, nur elf Maschinen-spinnereien. Man t~ppte im bertragenen Sinn genau so im dun-keln, wie man es in Wirklichkeit tat, und wie Liebig alle analy-tischen Methoden selber hatte finden mssen, wie er zh um jedeeinzelne wissenschaftliche Erkenntnis hatte ringen mssen, somute er jetzt noch zher um die Anerkennung seiner Ideenkmpfen. Wie Galvani als Froschtanzmeister verhhnt wordenwar und man Ohm totschwieg, wie man Fulton sagte, man kmeeher zum Mond als smit angewrmtem Wasser - seinem Dampf-boot Clairemont - ber den Ozean, wie Walter Scott berFriedrich Winzer, der die Erlaubnis erhalten hatte, Gaslaternenin London aufzustellen, schrieb: s-Das ist nur ein Verrckter, dervorschlgt, Straen mit Rauch zu beleuchten, so nannte man auchLiebig einen Narren. Sein Kollege an der Universitt Gieen, derChemieprofessor Zimmermann, sperrte Liebig aus dem Labora-torium aus, Kollegen von der Rechtsfakultt zeigten Liebig hh-nisch einen Zeitungsausschnitt ber einen seiner Pariser Freunde,den Maler und Erfinder Daguerre. ~Flchtige Spiegelbilder fest-halten zu wollen, stand da ber die Photographie zu lesen, s diesist nicht nur ein Ding der Unmglichkeit, wie es sich nach grnd-licher Untersuchung herausgestellt hat, sondern schon der Wunsch,dies zu wollen, ist eine Gotteslsterung. Man mu sich doch klar-machen, wie unchristlich und heillos eitel die Menschheit erstwerden wird, wenn sich jeder fr seine Goldbatzen sein Spiegelbilddutzendweise anfertigen lassen kann. Und wenn jener Musje Da-guerre in Paris hundertmal behauptet, mit seiner Maschine mensch-liche Spiegelbilder auf Silberplatten festhalten zu knnen, so istdies hundertmal eine infame Lge zu nennen ... Wenn es aberschon gottlos war, zu photographieren, wie gottlos war es dannerst, an der Scholle herumzudoktern, gottgeschenkte Ernten ver-bessern zu wollen?

  • WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Alle Anfeindungen aber brachen Liebigs Energie nicht nieder,langsam fand er Anhnger, Mitarbeiter, langsam setzten seine An-sichten ber die Vorgnge in der Pflanze sich durch. NachdemLiebig selber versucht hatte, einen brauchbaren Kunstdnger zuschaffen, indem er Kalk, Kali und Phosphorsure mit Salpeter zu-sammenschmolz, sie so aber unlslich und damit unbrauchbarmachte, errichtete 1843 der Englnder Lawes die erste chemischeDngemittelfabrik. Er behandelte Knochen mit Schwefelsure underhielt so Superphosphat; und damit begann ein ganz neues Zeit-alter fr den Ackerbau, ja fr die Menschheit. Damit war die Ent-wicklung eingeleitet, die die Welternten um ein Drittel erhhte,jhrlich Mehrwerte schuf, die man vor dem Weltkrieg auf dreiMilliarden Goldmark schtzte. Mit der praktischen Auswertungder Erkenntnisse Liebigs begannen die brachliegenden Felder zuverschwinden. Whrend im siebzehnten und achtzehnten Jahr-hundert immer grere Lndereien fr den Getreidebau zu armgeworden waren, ging im neunzehnten die Brache von 33 vomHundert auf 41/2 vom Hundert zurck, statt der 18 MillionenTonnen Getreide des Jahres 1885 erntete man in Deutschland 1910rund 2.6 Millionen Tonnen, also um vierzig Prozent mehr. (I) Mitjedem Bauer, der sich zur Verwendung des Kunstdngers ent-schlo, wurden die Befrchtungen des Reverend Malthus grund-loser. Und schlielich war der groe Sieg der Ackerbauchemie

    (I) Die jhrlichen Durchschnittsertrge fr den Hektar bebaute Flche betrugenin Deutschland:

    im Jahresdurchschnitt an Weizen an Kartoffeln an Roggen(Doppelzentner fr ein Hektar)

    I8zo 8,6I879-I885 u,6 80,0 9,3I885-I890 I5,I roo.s II,8I900--I9IO I9,3 u8,9 I5,8I9I3 z3,9 I58,6 I9,zI930 ZI,3 I67,9 I6,3I934 zo,6 I60,9 I6,9I935 ZZ,Z I49,I I6,5I936 ZI,Z I65,9 I6,4

    In Amerika dagegen wurden infolge der geringen Anwendung von Kunstdngernur gewonnen:

    I935 65,0 9,8IO,O

    EUROP.A.S KAMPF GEGEN DEN HUNGER

    nicht mehr anzuzweifeln: whrend Europas Bevlkerung umdreiig Prozent stieg, stiegen die Ernten um vierzig und fnfzigProzent. Jetzt waren nicht nur ungeheure Werte geschaffen -1913 schon gewann man mit chemischem Nhrstoff, der zwanzigMark je Hektar kostete, Mehrertrge im Wert von sechzig Markje Hektar, verzinste man also das in Kunstdnger angelegte Ka-pital mit zweihundert Prozent -, man schuf vor allem neuenLebensraum. Jetzt erst war die Menschheit dauernd sehaft ge-worden, erst jetzt, da man dem Boden zurckgeben konnte, wasman ihm nahm, da Hunger den Bauern nicht mehr von seinemLand vertreiben konnte wie frher wilde Kriegerhorden, jetzt erstwar die Menschheit von Nomaden zu Siedlern geworden, hrtendie Vlkerwanderungen auf, die, wenn sie auch nicht mehr sohieen, im neunzehnten Jahrhundert ja genau so weitergedauerthatten wie im vierten.Forschung hatte Brot fr unzhlige neue Millionen geschaffen.

    Direkt durch erhhten Bodenertrag, durch die Steigerung derWelternten, die nach den Berechnungen Professor AlbrechtSchmidts schon 192.8 um etwa 2.3 bis 2.4 Milliarden Goldmarkmehr wert waren als die des Jahres 1888; indirekt auch noch durcheine Reihe neuer Industrien, die heute zu den bedeutendsten derErde gehren, die 192.8/2.9Dngemittelim Wert von etwa 31/2 Mil-liarden Goldmark herstellten. Liebig machte nicht nur aus Bauern,die zu arm waren, um Zucker zu kaufen, die mit Honig ihreSpeisen sten wie vor tausend Jahren, aus Bauern, die ihre Klei-der selber weben muten, weil sie zu arm waren, sie zu kaufen,neue Kunden fr die aufstrebende Industrie Europas, er schufnicht nur eine ganz neue, gewaltige Kufermasse, sondern legteauch den Grund zur Kaliindustrie, zur Phosphat- und Stickstoff-industrie.

    Gewi, damit begann auch wieder neuer Kampf, neues Suchenund Forschen; jetzt, da man endlich wute, welche Stoffe unent-behrlich fr die Pflanzen sind, mute man ja auch versuchen, siein groen Mengen billig herzustellen, und zur Zeit Liebigs ver-stand man das nur bei einem chemischen Dngemittel, beim Kalk.Kali gewann man damals nur durch Verbrennen von Seetang oderals Pottasche durch Verbrennen von Holz; Phosphor stammte fastausschlielich aus Knochen, man hatte die Aufbereitung der in

    r.'

  • WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    der Natur vorkommenden Phosphate, des.Apatits und des Phos-phorits, noch nicht recht gelernt. Aber eben dieses Suchen brachteauch ungeheuren Nutzen.

    Die meisten Steinsalzbergwerke zum Beispiel hatten ber denSalzlagern bitter schmeckende Kaliumverbindungen vorgefunden;besonders in Stafurt, in Mitteldeutschland, hatte man jahrzehnte-lang sich nicht gegen diese dicken Schichten wertlosen ~Abraum-salzes zu wehren gewut; fluchend hatte man sie auf immerriesigere Dimensionen annehmende Halden geworfen. Jetzt, daman wute, da Kalisalze fr Pflanzen so wichtig wie Kochsalzfr den Menschen sind, bekam dieser Abfall pltzlich Wert. Manbegann, die Abraumsalze auszukochen, den Sud in riesigen Kri-stallisierrumen in Dnger zu verwandeln, langsam wurde inStafurt der Abfall wichtiger als das Steinsalz. Als der Hollndervan't Hoff auch noch die wissenschaftliche Basis fr eine moderneKaliindustrie lieferte, klaren Einblick in die chemischen Vorgngebot, durch die man Chlorkalium aus den Rohsalzen ausscheidenkann, da wuchs die neue Industrie rasch zu Weltbedeutung. Stattder 28000 Tonnen des Jahres 1890 verbrauchte 1929 allein diedeutsche Landwirtschaft 870000 Tonnen Reinkali, heute betrgtder Weltverbrauch an Kali 2050000 Tonnen. 25000 Arbeiter undAngestellte beschftigt die deutsche Kallindustrie, 18000 die deranderen Lnder, und whrend seit 1929 der Verbrauch sich ver-doppelte, fielen die Preise auf die Hlfte, weil immer bessere Ab-baumethoden, immer vervollkommnetere Lseprozesse gefundenwerden (I).

    Parallel mit der Kallindustrie hatte sich die Phosphatgewinnungentwickelt, und besonders hier wird klar, wie neue Erkenntnisseweit ber ihr eigentliches Gebiet hinausreichende Folgen haben.

    (I) 1913 wurden pro Hektar in Deutschland 38 Kilo Kalidngesalz gebraucht,1929 62,5 Kilo, 1933 infolge des Niederganges der deutschen Landwirtschaft durchdie Benachteiligung des damaligen Systems 47,5 Kilo. Die erforderlichen Mengenwren 100 Kilo, da eine mittlere Ernte dem Boden jhrlich zwischen 50--25 KiloKali entzieht. In dem Appell Hermann Grings, dem Beauftragten fr den Vier-jahresplan, an die deutsche Landwirtschaft vom 23. Mrz 1937 wurde eine um min-destens 30 Prozent steigende Anwendung des Kunstdngers gefordert, jedocherwartet, da der Absatz ein wesentlich hherer sein wird. Die Preise fr Kali wurdenvom 16. Mai 1937 um 25 Prozent gesenkt, die fr Stickstoffdnger rckwirkendvom I. Januar des gleichen Jahres um 30 Prozent.

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER 33

    Als die Agrikulturchemie sich durchsetzte, begann auch der Auf-stieg der Metallurgie; whrend die Felder immer reichere Erntentrugen, entri man auch den Minen immer neue Schtze. Stahlkonnte man bis 1856 nur in Tiegeln herstellen wie die Inder, dienoch zu Anfang des 19. Jahrhunderts den besten Stahl lieferten,fr eine Tonne bis zu 150000 Mark bekamen. Man mute, wiesie, kohlenstoffarmes Eisen mit pulverisierter Holzkohle sechsWochen lang auf Rotglut halten, bis Bessemer die Stahlbereitungdurch Einblasen von Luft in geschmolzenes Eisen erfand. MitBessemers Erfindung begann erst das Zeitalter des Stahls, jetzterst konnte man billig und im groen aus nichtschmiedbaremschmiedbares Eisen machen, jetzt erst wurde die Massenherstellungvon Trgern und Eisenbahnschienen mglich. Mit Bessemers Er-findung aber war auch ein neues Monopol geschaffen, denn nurphosphorarmes Eisen ergibt im Bessemerproze guten Stahl. Undpraktisch besa nur England solche phosphorarmen Erze.

    Whrend die junge Kunstdngerindustrie noch nach billigemPhosphor suchte, wute die ebenso junge Stahlindustrie Europasnicht, wohin mit dem Phosphor ihres Eisens. Aber wieder lsteForschung das Problem. Der junge Httentechniker Thomas, derin einer Londoner Abendschule leidenschaftlich Chemie studierte,fand 1879, da man Bessemerfen nur mit basischen Stoffen aus-zukleiden, da man sie nur mit Ziegeln aus Kalkerde, Magnesiaund Steinkohlenteer auszufttern brauchte, um dem Eisen seinenPhosphor zu entziehen. Er brach damit Englands Stahlmonopol,machte mit einem Schlag alle deutsche und franzsische Minetteebenso wie die schwedischen Erze verwendbar und gewann dabeiauch noch einen wichtigen Dnger, das sogenannte Thomasmehl.Whrend in den achtziger Jahren die kontinentale Eisenindustrieder englischen weit unterlegen war, hatte sie diese 1895 bereitsberflgelt; statt der 2,2 Millionen Tonnen Flustahl des Jahres1890 erzeugt heute Deutschland fast 12 Millionen Tonnen imWert von 563 Millionen Mark, um 3Millionen Tonnen jhrlichmehr als England. Durch die Einfhrung der Thomasschlackesank der Preis fr lsliche Phosphorsure um die Hlfte; jetztkonnten auch kleinere Betriebe mit Phosphor dngen und so erstdie anderen Kunstdngemittel zur rechten Wirkung bringen. Von358000 Tonnen im Jahre 1890 stieg der Thomasmehlverbrauch

  • 34 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    auf 2.1/2 Millionen Tonnen im Jahre 1930, auf ber 3 Millionenim Jahre 1936 (I), und durch seine Verwendung konnte Moor undHeideland ertragreich gemacht werden, das bisher als unverwend-bar galt. Mit der Gewinnung der Thomasschlacke war das Phos-phorproblem fr die Landwirtschaft gelst wie das Kaliproblem.

    Luftstickstoff beendet den Salpeter krieg

    Kali, Kalk und Phosphor dem Boden rckzuerstatten, das be-deutete einen ungeheuren Fortschritt, aber es fehlte nun doch nochdas Wesentlichste, es fehlte noch der Stickstoffdnger. Stickstofffindet sich in unerschpflichen Mengen in der Luft. Auf die Idee,ihn der Luft zu entziehen, kam man aber zur Zeit Liebigs nicht,die Luft blieb ungenutzt wie das Wasser, unerschlossen, wie heutenoch zum Groteil die Sonnenenergie unerreichbar ist. Stickstoffin lslicher Form konnte man den Pflanzen damals nur durch Stall-dnger, durch Vogelmist, den Guano, oder in Form von Salpeterzufhren. Guano in wesentlichen Mengen aber gibt es nur in Peruund auf einigen Inseln nahe der Westkste Afrikas; fr die Dn-gung brauchbaren Salpeter, salpetersaures Natron, hatte man nurim damaligen Bolivien und Chile gefunden, auf dem trockenen,menschenleeren Hochland zwischen der Kordillere und dem Pazi-fischen Ozean, das etwa beim 18. Grad sdlicher Breite beginnendsich bis zum 2.6. Grad hinzieht.Der Groteil dieser salzglitzernden Wsten, in deren Boraxseen

    sich schneebedeckte Vulkane spiegeln, etwa 600 Kilometer Ksten-linie eines Landes, das bis zu Liebigs Arbeiten gemieden war wiedie Sahara, gehrte also Bolivien, der kleinere Teil Chile; aber alsdie Agrikulturchemie siegte, Salpeter pltzlich wichtig wurde,

    (1) Nach dem Office Chcrifien des Phosphates steigerte sich der Phosphat-verbrauch in Europa folgendermaen: Frankreich, dessen Verbrauch 1929mit 1,7 Millionen Tonnen der grte der Welt war, wies zwar 1936 gegenber demVorjahr einen um 130000 Tonnen vermehrten Absatz auf, lag jedoch mit insgesamt937000 Tonnen weit hinter dem Vorkrisenstand zurck. Zudem wurde es vonDeutschland berholt, das 1936 infolge des verstrkten Dngereinsatzes einenVerbrauchszugang von 300000 Tonnen aufwies und mit 1,06 Millionen Tonnen andie erste Stelle im europischenVerbrauch gerckt ist. Dicht nach Frankreich folgtheute Italien mit einem Zuwachs von 146000 Tonnen oder 20 Prozent und einemGesamtverbrauch von 794000 Tonnen.

    Rieseltrme im Ammoniakwerk Merseburg. 'Der unten im Bild sichtbare Mannlt die Gre dieser technischen Anlage erkennen.

  • Einer der gewaltigen Silos fr den Stickstoff-Dnger des Werkes Oppau. Rundeine halbe Million Tonnen werden heute in Deutschland von diesem fr die

    Landwirtschaft unentbehrlich gewordenen Dnger hergestellt.

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER 37

    waren es zuerst die Chilenen, die den Wert eines Salpetermonopolsbegriffen. Sie sandten als erste Ingenieure in die Salpeterpampas.sprengten berall den Salpeter aus den Felslchern, in denen ersa, bauten Officinas, Fabriken, die den Salpeter auskochten,den Sud in riesige Eisenbassins leiteten, ihn hier auskristallisierenlieen. Die Chilenen taten das zuerst: berall blitzten bald dieweien, salzberkrusteten Salpeterbecken in der klaren Luft dersdlichen Atacarna, immer mehr Salpeter wurde ausgefhrt, undschlielich lieen sich chilenische Firmen von der bolivianischenRegierung auch noch eine Konzession zur Ausbeutung der nrd-lichen Atacama geben.

    Sie frderten dort so viel Salpeter und Guano, verdienten sounglaublich viel Geld, da den Bolivianern der Handel bald leidtat, da sie Ausfuhrzlle einfhrten. Die Chilenen protestierten.Und als das nichts half, kam es zum l> Salpeterkrieg. Statt umNeuland, fhrte man nun um Dnger Krieg. Am 14. Februar 1879besetzte Chile Antofogasta, den bolivianischen Hafen, der denmeisten Salpeter nach Europa verschiffte; als Peru sich einmischte,Boliviens Verbndeter, erklrte Santiago auch Peru den Krieg. Esgab fr Chile siegreiche Seegefechte, Chile eroberte Tacna undArica, es schlug zwei Jahre lang immer wieder seine Gegner, er-oberte schlielich sogar Callao und Lima, zwang Bolivien, seingesamtes Kstengebiet abzugeben, nahm ihm den Zugang zumMeer und seinen Salpeter. Und als es dann ein fast absolutes Mo-nopol fr Salpeter hatte, ntzte es dieses Monopol natrlich aus.Der Krieg hatte viel Geld gekostet, und so erhhte man natrlichdie Ausfuhrzlle: Salpeter wurde immer teurer. Allein Deutschlandmute 1913 170 Millionen Mark fr Chilesalpeter bezahlen. Undneben den finanziellen Lasten, die das chilenische Monopol Europaaufbrdete, gab es bald noch schwerere Sorgen: jetzt, da manendlich die Landwirtschaft zur allgemeinen Anwendung chemi-schen Dngers gebracht hatte, drohte Stickstoffnot; nicht nur jedesdamerikanische Revolution konnte die Salpeterlieferungen zumAufhren bringen, die Lager wurden auch sichtlich kleiner. DerStickstoffverbrauch nahm so rasch zu, da der Ammoniakdnger,den man als Nebenprodukt der Gasfabrikation zu gewinnen be-gann, kaum eine Rolle spielte, da man sich an den fnf Fingernausrechnen konnte, wann Chiles Lager erschpft sein wrden. WiesZIWIX

  • ;8 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLEMalthus eine vllige Erschpfung des Bodens prophezeit hatte, soprophezeite hundert Jahre spter Sir William Croockes auf derKonferenz der British Assbciation des Jahres 1898 die Erschpfungdes Naturvorrates an Nitraten. Er wies nach, wie der Weizenbedarfimmer mehr steige und gerade Weizen besonders viel Stickstoffbrauche, wie sehr bald also schon die Arbeiten Liebigs wertlos wer-den wrden, wenn man nicht neue Stickstoffquellen finden sollte.

    Whrend Malthus aber nur Unheil malte, zeigte Sir WilliamCroockes auch gleich einen Ausweg: als erster schlug er die Ge-winnung von Stickstoff aus der Luft vor, die doch achtundsiebzigProzent davon enthlt. Eindringlich machte er auf die VersucheLord Rayleighs aufmerksam, der einige Jahre frher nachwies, dabei jeder elektrischen Entladung in der Luft sich Stickoxydebilden, die unter gewissen Bedingungen isoliert werden knnten.

    Zwischen der Idee und der industriellen Verwirklichung aller-dings lagen ungeheure Schwierigkeiten; bevor das Salpetermono-pol Chiles gebrochen werden konnte, muten Dutzende von For-schern noch einen sehr weiten, sehr mhseligen Weg gehen. Umden Stickstoff der Luft zu gewinnen, mute man riesige Umwegegehen, vor allem einmal die Elemente stimulieren, sie aktiv, an-griffslustig, vereinigungsbereit machen; da mute man vor allemeinmal den Geheimnissen der Katalysatoren nachspren, sich mitdem Platin und dem Eisen verbnden.

    Seit langem gibt es zum Beispiel einen Zndholzersatz, einenHolzgriff mit einer winzigen Platinspitze, und wenn man die indas Gasluftgemisch hlt, das Gasherden entstrmt, so glht dasPlatin auf, entzndet es das Gas. Man wei heute noch nicht,warum, wei nur, da das Platin anregt, selber dabei aber vlligunverndert bleibt. Man kannte andre Flle der Anregung einerchemischen Reaktion, aber erst Professor Walther Nernst undspter Fritz Haber, der sich zuerst mit Elektrochemie beschftigte,dann in Karlsruhe sein grundlegendes Werk ber die )}Thermo-dynamik technischer Gasreaktionen herausbrachte, hatten dieIdee, mit Hilfe von Katalysatoren den reaktions trgen Luftstick-stoff zu binden: elf Jahre lang sprte er allen Reaktionen desStickstoffs nach. Und whrend durch die Entwicklung der Elek-trotechnik, durch den Ausbau billiger Wasserkrfte die Forschungs-ergebnisse realisierbar wurden, die die Umwandlung von Luft in

    EUROP.AS KAMPF GEGEN DEN HUNGER 39

    Salpetersure durch den elektrischen Lichtbogen vorsahen, wh-rend man Kalkstickstoff aus Kalziumkarbid und Luft gewann,gelang es Haber 198/9, den Luftstickstoff auf noch bessere Artzu zhmen. Mit Hilfe eines solch geheimnisvollen Reaktions-mi'l:tlerserzwang er bei hohen Drucken und Temperaturen naheder Rotglut die Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff zuAmmoniak. Whrend Wasserstoff und Stickstoff bei gewhnlicherTemperatur und ohne Katalysator sich umeinander berhauptnicht kmmern, vollzog sich jetzt in Habers Gasdruckofen diegewnschte Reaktion. Ohne da irgendwelche Vernderungen anden Katalysatoren beobachtbar gewesen wren, hatte man nunpltzlich aus Luft Stickstoff gemacht (1).

    Gewi, ganz so einfach, wie sich das hier liest, ist der Vorgangvielleicht doch nicht, vieles ist noch unbekannt, vor allem warauch vom ersten kleinen Versuchsofen bis zu den Werken in Op-pau und Leuna noch ein weiter Weg. Ammoniak aus Luftstickstoffwre vielleicht ein Laboratoriumsprodukt geblieben, wenn derForscher nicht einen Techniker gefunden, wenn Professor Haberin Geheimrat Bosch nicht einen Verbndeten erhalten htte, derseine Methode fr den Grobetrieb reif machte, der in jahrelangerArbeit Apparate schuf, die auch bei Rotglut von Wasserstoff nichtzerstrt werden und dabei zweihundert Atmosphren Druck aus-halten. Nur durch die engste Zusammenarbeit zwischen Wissen-schaftler und Techniker entstanden die gewaltigen Stickstoffabriken,deren Khltrme haushoch in den Himmel ragen, deren Rohr-leitungen Labyrinthen gleichen, die Dutzende von KilometernWerksbahnen haben. Nur durch ungeheure technische und organi-satorische Leistungen gruppierten sich um die Druckkessel Habersdie Riesenanlagen, die nicht nur den Inlandbedarf Deutschlandsan Stickstoffdnger von 92.0000 Tonnen im Jahre 1913 auf2. Millionen 2.50000 Tonnen im Jahre 1936 steigen lieen,die nicht nur die Einfuhr von Chilesalpeter von 170 MillionenMark im Jahre 1913 auf 8 Millionen im Jahre 1933 herab-drckten, sondern das Salpetermonopol Chiles berhaupt brachen.Whrend - auf reinen Stickstoff umgerechnet - 1903 der Welt

    (1) Wilhe1m Ostwald gelang es dann, durch katalytische Verbrennung von Am-moniak mit Luft Salpetersure zu erzeugen; Birkeland-Eyde und Schnherr zeigtendie Verbrennung von Luft zu Salpetersure im Lichtbogen-Ofen.

    s*

  • WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    nur 352000 Tonnen Nitrate zur Verfgung standen und all dieserStickstoff aus natrlichen Vorkommen stammte, gab es 1933/341787000 Tonnen Stickstoff, und von dem stammten 95,2 Pro-zent aus chemischen Fabriken; kaum ein Zwanzigstel des Welt-verbrauchs wurde jetzt durch Chile gedeckt, Dreiviertel allenStickstoffs stammte jetzt aus der Luft (I). Aus den kleinen Am-moniakfabriken in Oppau, wo das Haber-Bosch-Verfahren 1914zum erstenmal industriell verwertet wurde, wuchsen die Riesen-anlagen der 1. G. Farben, die Leunawerke bei Merseburg ent-standen, Luftstickstoffabriken in England und Amerika, Frank-reich und Japan wurden errichtet. Heute finden in Deutschland

    (I) Nach dem Frankfurter Handelsblatt betrgt die synthetische Stick-stoffgewinnung:

    in rooo t N I 1925 1929 1931 1932 1936Deutschland 45 750 448 45England. 88 197 139 164Norwegen , 20 45 72 62Frankreich 33 75 71 83Belgien 14 39 48 51Holland. 8 12 77 7Polen. 20 48 35 28Tschechoslowakei 6 22 19 13Schweiz . 5 2 0,4 0,6Italien. 17 48 57 58Japan . 33 63 133 148USA. 98 260 164 147

    Welt 865 1672 1318 1336 2388Deutschland hat eine Produktionskapazitt von 1,5Millionen Tonnen Rein-Stickstoffund knnte also den gesamten StickstofIbedarf der Welt allein decken.

    Verteilung der Weltproduktion

    1913-14 1925-26 1928-29 1931-32 1933-34in t) in in in in in in in in in

    rooo t 0/0 looot % rooo t % rooo t % rooo t %Chilesalpeter . 402/53>9 399 29,9 49 21,2 17 10,7 85 4,8Knstl. Stickstoff 344 46,1 935 7,1 1623 78,8 1415 89,3 172 95,2

    zusammen. 7461100 I 13341100 2I13 100 1585 100 1787 100Verbrauch. - - 1258 - 1872 - 1555 - 1863 -

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER 41

    zweihunderttausend Menschen durch die LuftstickstoffindustrieBrot; in kaum zwei Jahrzehnten wurden buchstblich aus der LuftGter im Werte von vielen Milliarden geschaffen.Nicht ohne Kampf allerdings, denn Chile verteidigte sein Mo-

    nopol; oder besser, die amerikanischen Milliardre verteidigten es,die langsam fast alle wichtigen chilenischen Minen an sich ge-bracht hatten. Gezwungen durch die Konkurrenz des Luftstick-stoffs, begannen die Guggenheims neue Abbauverfahren einzu-fhren. Jetzt sprengte man nicht mehr den Salpeter in die Luft,sondern setzte die Pampa unter Wasser, jetzt splte man das Salzmit Druckwasser aus dem Boden, erzielte auf kaltem Weg billigerund rascher hhere Ertrge. Trotzdem aber gewann der synthe-tische Stickstoff Markt auf Markt. Wozu Salpeter aus Chile holen,wenn er berall in der Luft war? Chiles Ausfuhrzlle sanken,Chile, das durch den Salpeter reich geworden war, dessen Salpeter-knige prachtvolle Schlsser an der Riviera, Palste in Paris be-saen, Chile, das mit den Salpeterzllen feenhafte Straen gebauthatte, Spielkasinos und Wolkenkratzer, wurde jetzt durch den Luft-stickstoff arm.

    Wurde es arm? Es wurde arm, solange es sich nicht umstellte;und da gab es Revolutionen - sechs allein im Jahre 1932 -, gabes Not und Blut. Aber als dann die Chilenen sich auf ihre anderenSchtze besannen, als das lange vergessene Kupfer der KordillereGeld brachte und man den Ackerbau intensivierte, Fruchtplan-tagen anlegte und Viehzucht trieb, da erwies sich auch, da Natur-rohstoff und synthetisches Produkt sehr wohl zusammenzuarbeitenvermgen. Im Fall des Luftstickstoffs wurde erwiesen, was sichbald vielleicht schon fr Kautschuk und Textilrohstoffe erweisenwird; da ein Land, das durch seine Naturschtze reich wurde,durch deren synthetische Herstellung nicht ruiniert zu werdenbraucht, da auf die Ausnutzung eines Naturvorteils nicht Todes-strafe steht.Als der Widerstand der Chilenen gebrochen war, Luftstickstoff

    Europa unabhngig von den Salzpampas Sdamerikas gemachthatte, als Gleichberechtigung an Stelle voller Abhngigkeit ge-treten war, da begannen 1928 auf einem Adriadampfer die Ver-handlungen zur Grndung eines internationalen Stickstoffkartells,da begann man, Chiles Lebensrecht ebenso zu verbriefen wie das

  • WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Recht der europischen Bauern auf billigen Dnger. Mehrfachscheiterten die Unterredungen; seit 192.8 gab es oft wieder Kampfzwischen Naturprodukt und synthetischem Stoff, aber Ende 1935war dann doch ein festgefgtes Gebilde geschaffen: Staat undPrivatwirtschaft arbeiteten berall zusammen, um dort, wo dieVerwendung des Chilesalpeters durch kurze Frachten logischer ist,wo der Transport von Luftstickstoff ihn unrentabel machte, dasNaturprodukt herrschen zu lassen, dort, wo der chemische Stoffangebrachter ist, die Konkurrenz des Chilesalpeters auszuschalten,ruinse Preiskriege zu vermeiden. Der Stickstoffpakt sichert heuteChile einen jhrlichen Absatz von einhundertsechzigtausend Ton-nen Salpeter, er sichert so dem chilenischen Staat die wichtigstenSteuern, gibt Chile Zeit zur Umstellung. Wirtschaftspolitisch wietechnisch ist heute das Stickstoffproblem gelst. Damit aber istnicht nur das Salpetermonopol Chiles gebrochen; durch die Agri-kulturchemie, durch die Erschlieung der unerschpflichen Nhr-stoffreichtmer der Luft war vor allem ein noch weit gefhrlicheresMonopol verhtet worden: das Weizenmonopol, die Vorherrschaftder Koloniallnder auf allen Getreidemrkten. Durch die Boden-chemie wurden Abwanderung von Geld und Kraft, wurden Land-flucht und das Verden weiter Landstriche Europas verhindert;durch Liebig und seine Nachfolger blieb den alten Kulturlnderneine Nahrungsbasis, ohne die sie frher oder spter htten zuSklaven werden mssen, denn das Getreide Kanadas und Austra-liens, das Vieh der La-Plata-Staaten, die Wolle des menschen-armen Australiens standen Europa ja nur so lange zur Verfgung,als es sie kaufen konnte; solange es mit Industrieprodukten zahlte,die die andern aber ebensogut herstellen knnen, die die Rohstoff-lnder nur nehmen, solange sie ganz wesentlich billiger als dieim eignen Land hergestellten sind. Europa kann von fremdem

    . Brot leben, solange es dieses Brot mit Kenntnissen kauft, die dieandern nicht haben. Sobald die andern diese Kenntnisse erringen,mu es sein Brot mit Schwei und Blut bezahlen, mit Sklaven-arbeit, die die Besitzer des Korns und des Fleisches nicht leistenwollen.Durch Liebig, Thomas, Haber und Bosch war Europa der Weg

    zur Freiheit gewiesen worden, ein Weg, um die Angst vor Hungerund Abhngigkeit zu bannen. Aber ging man ihn?

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER

    Fortschritt gegen Fortschritt:

    Chemisches Brot gegen Maschinenbrot

    All die Zeit ber, whrend der Europas Chemiker und Tech-niker um neuen Lebensraum kmpften, waren in Amerika undAustralien neue Felder entstanden, hatten die 880000 Europer,die zwischen 1901 und 1910 alljhrlich auswanderten, zu erntenbegonnen, was die Auswanderer der Vor-Liebig-Zeit sten. Jetzt,da nach unendlichen Mhen Europa soviel Brot erzeugte, wie esbrauchte, wollten die berseelnder ihm ihren Weizen verkaufen,die aus Europa ausgewanderten Bauern die in Europa zurckge-bliebenen ruinieren. Whrend die Chemiker die Jahrtausendegleichgebliebenen Dngemethoden grundlegend nderten, hattenIngenieure die seit Jahrtausenden gleichgebliebenen primitivenHolzpflge abgeschafft, endlich brauchbare landwirtschaftliche Ma-schinen konstruiert. 1730 hatten die Hollnder, die damals allenanderen Vlkern im Ackerbau weit voraus waren, den ersten Pfluggebaut, der ein Streichbrett besa, der Furchen ziehen konnte. InSchottland wurden diese neuen hollndischen Holzpflge dannteilweise aus Eisen hergestellt, und 183 bekam Robert Ransomeein Patent fr Pflugscharen, die man nicht mehr tglich zu hrtenbrauchte. Schlielich baute 1819 der Quker Jethro Wood inAmerika einen Metallpflug mit auswechselbaren Teilen. Damit warseit der Zeit der gypter der erste wesentliche Fortschritt in derBodenbearbeitung getan: mit Woods Pflgen konnte man Neu-land umbrechen, auf dem die Holzpflge versagt hatten. WoodsPflug war so haltbar, da er die Bauern fr sich gewann, die vonden frheren Metallpflgen nichts hatten wissen wollen, weil dieimmer zerbrachen.

    Hatte Wood Gueisen fr seine Pflge verwandt, so baute 1833der Schmied John Lane in Chikago einen Pflug, dessen Schar eineSchneide aus Sgestahl hatte. Wenn man endlich das Pflgen ge-lernt hatte, so fand man jetzt auch rationellere Methoden desSens; nachdem jahrtausendelang mit der Hand gest worden war,man die Saat eineggte, und so die Krner entweder zu tief zuliegen kamen, um richtig zu sprieen, oder so hoch, da Feld-muse und Vgel sie fraen, erdachte 1840 der Amerikaner Gib-bons eine Smaschine. 1840: das Jahr, in welchem Liebig die

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  • 44 WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Bodenchemie begrndete. Die Parallelitt wird klar: whrendEuropas kleine, fr die Maschinenarbeit schlecht geeignete Felderdurch chemischen Dnger neue Kraft bekamen, wurden Amerikas.weite Prrien durch technischen Fortschritt erschlossen. Indessenman bei uns die Wirkung von Kali, Phosphor und Kalk erforschte,lernte Amerika Stahl und Dampfkraft im Ackerbau anwenden.Seit Jethro Wood und John Gibbons, seit John Lane und CyrusHall MacCormick. dessen von Pferden gezogene Mhmaschine1831 fertiggeworden war, verging nicht ein Jahr, in dem nichtder Prrieweizen neues jungfruliches Land erobert htte. Erst mitder Erfindung von landwirtschaftlichen Maschinen war die Aus-nutzung der unendlich weiten Kornebenen des amerikanischenNordwestens mglich geworden; damit hatte die Entwicklung be- .gonnen, die schlielich die Farmen der berseegebiete in gigan-tische Getreidefabriken verwandelte. Immer bessere, immer bil-ligere und arbeitsparendete Maschinen bauten MacCormick undseine Konkurrenten, und damit wurden immer neue, menschen-leere Prrien zu Getreidefeldern. Am kanadischen Roten Flu, imheutigen Saskatchewan zum Beispiel, hatte schon 1818 Lord Sel-kirk ein paar Bauern angesiedelt. Die hatten mit der Hacke denBoden aufgerissen, Weizen gest, von Bffelfleisch gelebt, wh-rend sie auf die erste Ernte warteten. Sie hatten viele Jahre aufdiese Ernte warten mssen. Als sie dann endlich nahe schien,kamen Heuschrecken. Aus den abgebissenen, halb zerfressenenhren rettete man die Krner fr die nchste Saat. Auch die ver-darb. Die Mnner der Selkirksiedlung zogen bis an den Missouri,um neues Korn zu holen. 1831 aber, nach dreizehn Jahren hrte-sten Kampfes gegen eine unerbittliche Natur, gab es die ersteErnte, die lohnte, die mehr Weizen brachte, als man in einem Jahra. Es war das Jahr des MacCormick-Mhers. Die Selkirkleute,die auf abenteuerlichen Wegen, auf Kanus und Pferdekarren ihrenberschu nach Vancouver brachten, fast zweitausend Kilometerweit, verdienten nicht viel an ihrer Ernte, der unbeschreiblichmhevolle Transport verschlang drei Viertel des Wertes, aber siebrachten ein paar neue Maschinen mit nach Haus. Und damit be-gann eine Zeit des Aufschwungs, wie sie nicht ihresgleichen hat.Unabsehbar dehnten sich bald die Weizenfelder, wogenden Meerengleich. Der seit unendlichen Zeiten brachliegende Boden Kanadas

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    gab ohne Dnger reiche Ernten; man baute den Weizen ab wieKohle in einer Mine, erntete die in riesigen Zeitrumen hier auf-gespeicherte Sonnenenergie.Die Farm war zur Fabrik geworden, jetzt wurde sie zu einer

    Fabrik ohne Arbeiter, die sie ebensowenig braucht wie Vieh. AlsKanada Weizen zu liefern begann, da zogen Hunderttausendejedes Jahr auf die Felder, um sie abzuernten. Heute herrscht dersCombine, der Mhdrescher, ein Maschinengigant, der riesigeFelder umkreist, in immer enger werdenden Zirkeln den Weizenschneidet, ihn drischt und die Krner in einem Lagertank auf-speichert. Vor ein paar Jahren noch wurde dieser Combine vonTraktoren gezogen, erforderte er zwei Leute zur Bedienung. Jetzthat man die Zugmaschine in den Mher eingebaut, ein einzigerMann erntet an einem Tag kilometerweite Felder ab. Neben demCombine fhrt ein Lastauto her, der Weizen fliet aus dem Tankins Auto, das ihn direkt zu den Elevatoren der Bahnstationenbringt. Drei Menschen gengen in Kanada und Australien, in denPrrien des amerikanischen Westens oder in Argentinien fr dieArbeit, die achthundert bis tausend Gebirgsbauern leisten. Unheim-lich still wurden die Felder der berseelnder. Der Bauer, der ge-wohnt war, vom Sonnenaufgang bis in die dunkelnde Nacht hineinzu arbeiten, der sich um Khe und Pferde ebenso sorgen mutewie um seine Knechte, lebte jetzt in der Stadt, fuhr in seinemAuto im Frhjahr auf die Farm, umbrach mit seinem Scheibenpflug10 Hektar Boden im Tag. Dann fuhr er mit der Smaschine berdie cker, tglich ber mindestens vierzig Hektar. Die meistenFarmer fuhren daraufhin wieder zurck in die Stadt, um auf dieZeit der Ernte zu warten. Sie kamen mit dem Combine wieder ...Eine Woche Arbeit. Dann rollte der Weizen schon nach demnchsten Hafen. Als man sah, wie reich die Ertrge des zumerstenmal gepflgten Bodens wurden, baute man die CanadianPacific Eisenbahn, die Halifax mit Vancouver verbindet, querdurch den riesigen Kontinent ein sthlernes Band legt, die Be-siedlung der Prrien des Westens ermglichte; seit 1885 rollenauf ihr endlose Weizenzge in die zwei groen Hfen. Man voll-,endete 1929 die Hudsonbaibahn, die Port Churchill mit deri Wei-zenfeldern Manitobas verbindet und so jhrlich rund zwei Mil-lionen Tonnen Getreide auf dem krzesten Weg nach Europa

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  • WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    wirft. Wie die Bauern, so hatten sechs Zehntel aller kanadischenGterwagen tot und unntz in den Frachtbahnhfen auf die Ernte-zeit gewartet. Jetzt jagten sie durch die Nacht, nach wahren Mo-bilisationsplnen ber tausende Kilometer dirigiert, jetzt rann derWeizen von den Landelevatoren zu den s Terminals, den End-elevatoren. Regierungsinspektoren untersuchten ihn, er wurde inKlassen eingeteilt, er rann von Bahnwagen in Weizentankschiffe,kam nach Montreal oder Vancouver, von dort nach Japan, nachEuropa oder China.

    Sechsmal mehr Weizen erzeugt Kanada, als es selber verbraucht.Fr 554Millionen Dollar fhrte es 1929 aus. Und daneben gab esdie ungeheuren Weizenmengen Argentiniens, den Weizen Austra-liens und des nordamerikanischen Mittelwestens. Der Reichtum derberseeischen Felder schien unerschpflich. Das Los der europ-ischen Kleinbauern schien besiegelt. Die Maschine war zum allei-nigen Gott geworden, Amerika zum Vorbild. Industrie und Welt-handel allein hatten Geltung, und so hielten Europas Regierungenes nicht fr der Mhe wert, die unter den Steuerlasten zusammen-brechenden Bauern vor dem berseegetreide zu schtzen. DieStdte allein regierten.Aber wenn auch die Regierenden es damals vergaen, das Volk

    verga doch die endlosen Ketten vor den Lebensmittelgeschftennicht, ganz instinktiv fand es nach den Leiden des Weltkriegs zumAcker zurck. Whrend noch von Weltfrieden und Weltrepublikengefaselt wurde, von Freiheit und Brderlichkeit und allgemeinemGlck, wurde in Italien der Faschismus stark und in Deutschlandder Nationalsozialismus, da begriffen die Massen ganz langsam,da ewig nur eins ist: der Boden. Der Acker, dem Arbeit undSonne immer neue Ernten abringen.

    Ganz langsam nderte sich das Denken Europas, entstandenneue Gesetze, die die Ausnutzung des Bodens zur Pflicht machten:es kam in Deutschland zum Erbhofrecht und in Italien zur Boni-facio Integrale. Ganz langsam ging Europa daran, die Waffen, dieseine Forscher ihm lngst schenkten, zu schrfen und in seinemLebenskampf anzuwenden. Whrend Kanada die Gefahr mi-achtete, immer neue Prrien umbrach, seine Weizenanbauflche soseit der Jahrhundertwende verzwlffachte, stiegen auch in Europawieder die Ertrge. Ganz langsam wurde das Maschinenbrot fr

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    Europa wieder weniger wichtig, ganz langsam begann wieder dieQualitt ber die Quantitt zu siegen. Und Kanada half zu diesemSieg mit allen Krften mit. Stand es vor dem Weltkrieg an derdritten Stelle der Weltweizenerzeuger, so rckte es nach dem Kriegan die zweite vor; als 1921 der erste Mhdrescher aus den Ver-einigten Staaten eingefhrt wurde, man in einem einzigen Arbeits-gang mhen, dreschen, das Getreide reinigen und verladen konnte,war man auf dem Weg zum ersten Platz. Fnftausend Mhdrescher folgten dem ersten in nur zwei Jahren: 1923 war der Rekord ge-schafft. Kanada war Nr. 1 am Weizenmarkt der Welt geworden.Gold flo aus allen Teilen der Erde ins Land. Wenn Kanada aberauch gern jahraus, jahrein seine halbe Milliarde Dollar fr Weizeneinnehmen wollte, es wollte nichts fr Maschinen und Fertig-fabrikate ausgeben. berall in Kanada entstanden neue Industrien.Der Weizen lie nicht nur Winnipeg, den Sitz der Weizenbrse,sondern ebenso Montreal und Vancouver, Ottawa, Quebeck undToronto gro werden. Jeder Farmer kaufte Autos und Radios,Khlschrnke und neue Mbel. Und die sollten kanadisch sein.Was nicht ausbleiben konnte, geschah: Europa konnte auf dieDauer nicht Weizen kaufen, ohne Fertigwaren zu verkaufen. Ka-nadas Weizen blieb in den Elevatoren liegen. Kanada diktiert jetztnicht mehr die Preise des Brotes, das wir essen.

    Wie aber konnte Europa auf den Weizen der berseelnderverzichten? Waren denn seit Liebig nicht schon wieder ungezhlteMillionen geboren worden, gab es denn jetzt nicht 506 MillionenEuroper zu ernhren statt der 263 Millionen des Jahres 1850,der 403 Millionen des Jahres 1900? War die Ertragssteigerungdurch den chemischen Dnger, waren die dreiig Prozent neuenLebensraumes denn nicht schon lngst wieder durch neue Mnderverbraucht?

    Neuneinhalb Millionen Quadratkilometer bedeckt Kanada, rundzwanzigmal soviel als Deutschland. Zehneinhalb Millionen Hektarsind heute in Kanada mit Weizen bebaut, siebeneinhalb Millionenmit Hafer, Gerste und Roggen, vierzehneinhalb Millionen TonnenGetreide erzeugt es, vor allem in den Provinzen Saskatchewan,Manitoba und Alberta, in noch vor einem Jahrhundert vlligmenschenleeren Prrien. Deutschlands zweieinhalb Millionen Hek-tar Weizenflche aber, seine achtdreiviertel Millionen Hektar Hafer-,

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  • WISSENSCHAFT BRICHT MONOPOLE

    Gersten- und Roggenboden gaben im Jahre 1935 zweiundzwanzigMillionen Tonnen Getreide. Zwar muten damit auch achtund-sechzig Millionen Menschen auskommen statt der acht MillionenKanadas; Deutschland erntet nicht mehr Weizen als Australien,das nur sechs Millionen Einwohner hat; wenn es aber darauf an-kommt, kann sich heute Deutschland selbst ernhren (I), wieFrankreich, wie alle Balkanstaaten. Denn whrend die bersee-farmen ins Gigantische wuchsen, gelang in Europa eine lebens-wichtige neue Synthese: es bildeten sich wahre Volksgemein-schaften, in Italien und Deutschland entstanden Stnde aus denKlassen, und dabei reichten auch Bauern und Arbeiter sich dieHand. Indessen die neuen Lnder Amerikas sich schon als Herrendes Brotes aller glaubten, lernte Europa seine uralte Ackerbaukunstmit neuer Technik aufzufrischen, lernte es endlich, da nicht Ma-schinen allein, wie in Amerika, aber auch nicht verschwielte Hndeallein, wie an den Karpathen, herrschen sollten. Man nahm dieHilfe der sEisernen Engel an, statt Riesenmhern und giganti-schen Combines wurden kleine wendige Trecker gebaut, machtengummi bereifte Erntewagen und elektrische Molkereimaschinen,hundert wohldurchdachte und unseren Verhltnissen angepatelandwirtschaftliche Maschinen das Leben der Bauern leichter. Nach-dem das Pflgen jahrtausendelang nur auf persnlichen Erfahrun-gen ruhte, wurde nun die Bodenbearbeitung wissenschaftlich unter-sucht, schlielich 1936 an der Mnchner Technischen Hochschuleeine Bodenrinnee gebaut, ein Versuchsfeld, das mit Kontroll-apparaten versehen ist, die den Wirkungsgrad aller Landmaschinenfeststellen .. Hier wurde verbessert, was zu verbessern war, hierwurden vor allem auch von Professor Dr. Khne die ersten prak-tischen Versuche mit Pflgen gemacht, die die Reibung zwischenStahl und nassem Ackerboden durch Zuleitung von Strom herab-setzen: leitet man durch die Pflugschar kleine elektrische Strom-mengen in die Erde, so vermindert sich aus noch nicht ganz klar-gestellten Grnden der Widerstand des Ackers um fnfzehn bis

    (I) Nach dem Zeitungsdienst des Reichsnhrstandes ist Deutschlands Brotver-sorgung aus der eigenen Erzeugung zu 100 Prozent sichergestellt, die Fleischver-sorgung zu 95 Prozent, die Kartoffelversorgung zu 100 Prozent, die Zuckerver-sorgung zu 100 Prozent, die Fettversorgung zu 50-60 Prozent, die EierversorgungZu 83 Prozent.

    EUROPAS KAMPF GEGEN DEN HUNGER 49

    zwanzig Prozent. Leitet man den Strom durch die Pflugschar, denzum Beispiel eine auf dem Trecker montierte Autolichtmaschineerzeugt, so erspart man zwei bis drei PS an Zugkraft. WhrendAmerika ber dem Grandiosen das lebenswichtige Detail bersah,gewann Europa aus Details, wie elektrisch geladenen Pflugscharen,neue Kraft. Drben wuchsen die berseefarmen ins Gigantische,hier aber verbesserten Biologen und Zchter, Ingenieure und For-scher den Ertrag von vielen Millionen europischen Bauernwirt-schaften. Und wieder einmal siegte David ber Goliath. Wiederstiegen die Ertrge unserer Felder um fast ein Drittel. Wieder ge-wann Forschung neuen Lebensraum fr gut eine halbe MilliardeMenschen. An die Stelle der Vlkerwanderungen war einst dieknstliche Bodendngung getreten. Jetzt ergnzten bodenver-bessernde Bakterien, Milliarden unsichtbarer Helfer also, den che-mischen Dnger und die landwirtschaftlichen Maschinen. Wh-rend Amerika noch vom Sieg der Giganten trumte, gewannEuropa die Nahrungsschlacht mit Hilfe des Mikrokosmos, mitHilfe der Allerkleinsten . . .

    Die Zhmung der Mikroben

    Hatte Liebig erbittert kmpfen mssen, bevor man ihm glaubte,da die Pflanzen sich mit Kali, Phosphor, Stickstoff und einigenanderen mineralischen Stoffen ernhren, sein schlielicher Sieg warum so durchschlagender. Hatte m