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8/7/2019 Zeit: Der Demokrator
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50 3. Mrz 2011 DIE ZEIT No 10
Der DemokratorEin Mann wird berall gelesen, wo friedliche Revolutionen entstehen: Der 83-jhrigeGene Sharp. Jetzt braucht ihn Nordafrika. Und morgen China? VON JOHANNES THUMFART
Auch Bcher und Ideen machen Revo-lutionen, auch die Theorie bestimmtmit, welche Praxis entsteht. DavidHeld, einer der Stars der Demokratie-theorie, spielte dabei eine tragische
Rolle. Ausgerechnet sein langjhriger Schler Saifal-Islam, ein Sohn Gadhafis, drohte den Dissidentennun mit dem Kampf bis zum letzten Mann.
Eine glckliche Hand aber hat der Politikwissen-schaftler Gene Sharp, ein Verfechter des gewaltlosenWiderstands. Viele sehen in dem 83-jhrigen Ame-rikaner einen der wesentlichen Ideengeber der de-mokratischen Revolutionen gyptens und Tune-siens. Dabei ist er im Westen lngst in Vergessenheitgeraten. Als Vordenker der Friedensbewegung galtGene Sharp zu Zeiten des Kalten Krieges. Er arbei-tete etwa eng mit den Grnen und Petra Kelly zu-sammen, die sich damals erfolglos fr die deutschebersetzung seiner Bcher einsetzte.
In der muslimischen Welt erlebt der Theoretikergerade jetzt den Hhepunkt seiner Popularitt. Vorallem in Tunesien, gypten und Iran wurden seineSchriften whrend der letzten Jahre gelesen, meistensin digitaler, aus dem Internet geladener Form. Auchdie Muslimbruderschaft bietet sie auf ihrer Webseitezum Download an. Weltweit verbreitet sind ebensodie unter seiner Beratung gedrehten FilmeA Force More
Powerfulund Bringing Down a Dictator, die man sichunter anderem auf Englisch, Thai, Arabisch undFarsi im Netz ansehen kann. Die von Sharp entwickel-ten Strategien des gewaltlosen Widerstands sollen frdas Gelingen der Revolutionen in Tunis und Kairomageblich gewesen sein.
Es war nicht das erste Mal, dass Sharps Ideenvon Praktikern rezipiert wurden. Mitte der Acht-
ziger bergab Kelly seine Schriften dem DDR-Br-gerrechtler Gerd Poppe, was dieser heute als einewichtige Inspiration fr den Herbst 1989 wertet.Deutlicher war die serbische StudentenbewegungOtpor von Sharp beeinflusst. Zur Vorbereitung desSturzes von Prsident Miloevi im Jahr 2000 ver-teilten seine Helfer in Zusammenarbeit mit derDemokratie-Stiftung Freedom House 5000 Exem-plare seines Buches Von der Diktatur zur Demokra-tie. Ehemalige Otpor-Mitglieder berieten wieder-um ukrainische, georgische und spter gyptischeund tunesische Dissidenten und verbreiteten dortdie Bcher Sharps und die diese zusammenfassen-den Filme.
uerlich zeigt sich der gemeinsame geistigeHintergrund dieser Bewegungen in der Fahne mitder geballten Faust, die in Belgrad, Tiflis und auchin Kairo zu sehen war das Symbol eines mittler-weile weltweit operierenden Revolutions-Franchise.Das geistige Zentrum dieses Netzwerks bildet dievon Sharp gegrndete Albert Einstein Institution inBoston. Doch der alte Mann legt Wert darauf, dassman auf die jeweiligen lokalen Bewegungen keiner-lei Einfluss nehme.
Von der Diktatur zur Demokratie, die bekann-teste Schrift des Theoretikers, ist ein betont prakti-sches Handbuch, das knapp 100 Seiten umfasstund mittlerweile in 41 Sprachen bersetzt wurde.Darin steht, wie man gewaltfrei Revolutionenmacht und Diktatoren strzt. 198 Methoden wer-den aufgelistet. Sie umfassen alle Arten von Streiks,Boykotten, Demonstrationen sowie den Aufbau ei-ner Parallelgesellschaft etwa des Schwarzmarktsoder der Untergrundpresse. Auch das Sick-In istdabei, ein massenhaftes Krankmelden zu einem ab-gesprochenen Termin. Sharp mchte seinen Lesernvor allem klarmachen, dass sie in Wirklichkeit dieMacht ber die Regierenden haben, da sie die Zu-sammenarbeit mit dem Staatsapparat jederzeit auf-kndigen knnen.
Was auffllt und was wohl der Grund frSharps Erfolg ist , ist vor allem der pragmatischeStil seiner Texte. Der Autor ist zwar Vordenker desgewaltlosen Widerstands, aber durchaus keinIdealist, sondern Realist aus der Schule der klassi-schen Staatstheoretiker Hobbes und Machiavelli mit Letzterem wird er oft verglichen. Es gehtihm um die Frage, wie man Macht erringen undausben kann.
Auch die verbreitete Beschreibung Sharps als ei-nes Clausewitz des gewaltfreien Widerstands ist er-
staunlich treffend. Schon Mitte der achtziger Jahrewendete er sich vom naiven Pazifismus der Friedens-bewegung ab und konzipierte den gewaltlosen Wi-derstand als eine Waffe, die sogar dem Erreichenmilitrischer Ziele dienen kann. In seiner StudieMaking Europe Unconquerablevon 1985 errterte eretwa die Mglichkeit einer zivilgesellschaftlichenAbschreckung als Alternative zur Atombombe. Erschlug darin vor, den gewaltlosen Widerstand inEuropa zu frdern, um einer mglichen sowjeti-schen Invasion vorzubeugen und sie gegebenenfallsniederzuwerfen. Selbst der Begriff eines gewalt-freien Blitzkriegs fand dabei Verwendung. Sharpsieht auch heute noch keinen Grund, sich von die-sem Konzept zu distanzieren, wenngleich er betont,dass ziviler Widerstand nie von oben, sondern aus-schlielich von unten organisiert werden msse.
Nach dem Ende des Kalten Krieges begann eroffiziell mit dem Export seiner Ideen. Dabei wurdeer vor allem von Robert Helvey untersttzt, einemOberst der US-Armee, der Ende der Achtziger aneinem Seminar Sharps in Harvard teilnahm, wodieser lange Zeit Professor war. Der Militrmannwar sofort von dem Theoretiker begeistert. Er habeeinen Hippie erwartet, aber beim ersten Blick er-kannt, dass Sharp seine Sprache spreche, erinnert ersich in einem Interview. Schlielich organisierte er,dass Sharp einen Leitfaden zum gewaltfreien Wi-derstand in Birma schrieb, wo Helvey viele Jahrelang als Militrattach in der amerikanischen Bot-schaft gedient hatte. Das Resultat der Kollaborationist das 1993 erschienene Von der Diktatur zur De-mokratie. In Birma blieben die darin vorgeschlage-nen Mittel weitgehend erfolglos. Das Buch entfalte-te seine Wirkung erst, als es Helvey beim Trainingserbischer Dissidenten einsetzte von da aus ge-langte es auch nach Nordafrika.
Sharp ist glcklich ber die spte Wertscht-zung. Er verwehrt sich aber zugleich einer Glorifi-zierung seiner Person: Nicht ich habe Respekt ver-dient, sondern diejenigen, die in gypten, Tunesienund anderswo den Mut aufbrachten, gegen die Dik-tatoren aufzustehen, sagt er. Vor einer militrischenIntervention in Libyen warnt er auch aus demGrund, da dies dem Ansehen der Revolutionreschade. Von einem Sharpismus mchte er nichtswissen, obgleich er zugibt, an einem Wrterbuchder von ihm benutzten Begriffe zu arbeiten, dasber 800 Eintrge umfasst. Gespannt erwartet er
die weitere Wirkung seiner Schriften. Etwa in Chi-na, erzhlt er, werde er nun viel gelesen.
Wer hat die Schuldan diesem Krieg?Dimiter Gottscheff inszeniert Brechts Antigone des Sophoklesam Hamburger alia eater VON FRANZISKA BULBAN
Mit Nebel gefllte Seifenblasen regnen
von der Decke herab, in den leerenRaum und auf den Erdhaufen in der
Mitte der Bhne. Unablssig zerplatzen sie inder Luft und am Boden, verteilen kleine Ne-belwlkchen, als wren sie Vorboten des Ta-ges, an dem Thebens Brger gestorben undmit Staub bedeckt sein werden. Die Seifen-blasenmaschinerie im Schnrboden pustetrhythmisch wie ein riesiges Notbeatmungs-gert, als lge die Stadt Theben bereits imKoma. Dieses meisterlich-mythische Bhnen-bild von Katrin Brack bildet den Rahmen frDimiter Gotscheffs Inszenierung der Antigonedes Sophoklesvon Bert Brecht am HamburgerThalia Theater.
Gotscheff inszeniert das Stck als Fabelzweier Fanatiker, die sich ineinander verbissenhaben: Kreon (Bernd Grawert) hat AntigonesBrder in einen Krieg um Erz geschickt. Dereine Bruder, im Krieg gefallen, darf standes-gem beerdigt werden. Der andere jedoch,als Dissident von Kreon persnlich erschla-gen, soll unter offenem Himmel verrotten.Als Strafe fr den Verrat
wird ihm der Zugang insReich der Toten verwehrt.Antigone (Patrycia Ziol-
kowska) widersetzt sich demBefehl Kreons und beerdigtihren Bruder. Aber nichtheimlich, im Gegenteil: IhrKlagegesang hallt durch denBhnenraum, whrend siesich durch einen HaufenErde whlt, Dreck schleu-dert, sich mit Erde einreibtund auf ihr tanzt wie einDerwisch. Diese Beerdigungist ein Ritual, die Trauer-arbeit einer vor Kummerfast Wahnsinnigen. Als manKreon die festgenommeneAntigone vorfhrt, forderter sie achselzuckend auf,einfach mal Tschuldigungzu sagen, um der Todesstrafezu entgehen. Antigone ex-plodiert: Ihren Krper ge-spannt wie eine zum Sprungbereite Raubkatze, schleu-dert sie ihm ihre Anklageentgegen, die Worte brechenaus ihr hervor, sie wrgt undspuckt voller Abscheu. Ani-malische Wut trifft auf he-rablassende Sffisanz, heili-ger Ernst auf ketzerischenSpott. Aus dieser Spannungergeben sich durchaus ko-mische Elemente, die denZuschauern einige befreiteLacher schenken. Gotscheffzeigt die Engstirnigkeit derRadikalen, die nichts umsich herum wahrnehmen.
So ist es fast nebensch-lich, was die anderen vierDarsteller auf der Bhneleisten. Nicht weil sie schlechtspielten, sondern weil die Figuren nicht insGeschehen eingebunden werden. Zum Bei-spiel darf Antigones Schwester (ChristineGeie) nicht mehr sein als das berzeichnete
Klischee einer Jasagerin in BDM-Uniformund mit Pfadfinderweisheit. Bibiana Beglau,
Wchterin, Botin und Hellseherin in einer
Person, werden lediglich ein paar hbscheEinlagen erlaubt. Und Antigones Verlobter(Thomas Niehaus) untersttzt seine An-getraute akustisch mit den Tnen einer Tuba.Gleich nachdem er Kreon zur Rede gestellthat, muss er aber die Bhne verlassen, um mitAntigone zu sterben.
Sptestens jetzt wird die Schwche deranderen Figuren zum Problem. Denn ohneAntigone fehlt Kreon ein Gegner. Es ist, alsbrche in einem Torbogen ein tragender Pfei-ler weg: Nach Antigones Tod beobachtet derZuschauer den schwankenden Kreon. Es istklar, dass er strzen wird, lediglich der Zeit-punkt steht infrage. Der lamentierende undmit seinem Schicksal hadernde Herrscherohne Anspielpartner wird aber schnell erm-dend. In dem Vakuum, das Antigone hinter-lsst, verlagert Gotscheff den Schwerpunkt:Stand zuvor der persnliche Konflikt im Fo-kus, werden nun, weitgehend emotionslos,politische Dilemmata ausgestellt. Kreon wirdzum Abziehbild eines Tyrannen, der sich an
die Macht klammert, sich
jeder Einsicht verweigertund seine Armee auf seinVolk hetzen mchte. DieseTextpassagen stammen ausBrechts Feder, der das Dra-ma von Sophokles (in Hl-derlins bersetzung) 1947fr eine eigene Inszenierungberarbeitete.
Noch stark unter demEindruck des Krieges, ent-wirft Brecht einen Abgesangauf den despotische Herr-scher an sich. AllerhandVerweise auf das aktuellepolitische Geschehen btensich an, Gotscheff verzichtetaber weitgehend auf Anspie-lungen. Das strkt den Text,die Parallelen zu heutigenTyrannen und Despotensind auch so verblffend.Trotzdem gehen die meistenpolitischen Botschaften amZuschauer vorbei, denn dieverschachtelten Stze wer-den nicht bhnenwirksamumgesetzt. Der komplexeOriginaltext wird, je nach-dem, gebrllt und teil-nahmslos gesprochen, aberselten gespielt. Nur im Streitzwischen Kreon und seinemVolk, reprsentiert von OdaThormeyer, zeigt sich nocheine gemeinsame Dynamik.Wie die Kinder jagen siesich ber die Bhne, wh-rend sie die Frage verhan-deln, wer eigentlich schuldist am Krieg der Tyrann,der ihn befahl, oder dasVolk, das ihn billigte?
So gibt es an diesemTheaterabend einige schne
Elemente, die sich nicht in ein Ganzes fgen.Eine Entscheidung Gotscheffs wre ntig ge-wesen: Will er die Figuren verspotten oderernst nehmen? Geht es um politische Kon-
flikte oder persnliche Tragdien? Am Endebleiben die Seifenblasen.
PatryciaZiolkowska(Antigone) imSeifenblasen-regen
Gene Sharp inseinem
Arbeitszimmerin Boston
Foto(Ausschnitt):EliseAmendola/AP
Foto(Ausschnitt):HejiShin
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