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(Aus der Nervenabteilung der IV. med. Universit/~tsklinik des st/~dt. Kranken- hauses Moabit.) Zur Bedeutung der innersekretorischen Stiirungen bei der Dystrophia myotonica 1. Von Otto Maas und Ernst Haase. (Eingegangen am 26. Juli 1927.) Fiir die strittige Frage der Bedeutung der St6rungen der inneren Se- kretion im Krankheitsbilde der Dystrophia myotonica dtirfte die Beschrei- bung eines jetzt 47j~hrigen Patienten yon Interessc sein, dessen Krank- heitsgeschichte bereits im Jahre 1911 von R. Hirsch/eld 2 unter der Dia- gnose ,,Myotonia atrophica" ver6ffent|ichst wurde. Damals wurden Zeichen innersekretorischer St6rungen nicht angegeben, (tie jetzt deut- lich vorhanden sind. Es handelt sich um einen Kranken, der erstmalig im Alter yon 26 Jahren fiber leichte Ungeschicklichkeit in den H~nden klagte. Im Alter yon 29 Jahren fiel undeutliche Sprache auf, 4 Jahre sp~ter wurde bemerkt, da[~ er die Finger beim 0ffnen nut ganz langsam auf bekam. 1916 wurde Staroperation an beiden Augen erfordcrlich. Patient war zeitweilig Potator, hatte auch mit Arsen zu tun, arbeitete zuletzt als Waschmeister. Seit 1918 Bronchitis. Patient ist ver- heiratet, hat cinen gesunden Sohn. Potcnz war immer schwach, ist in den letzten Jahren erloschen. Die Untersuchung ergibt jetzt: Sch~idel ziemlich lang und schmal. Behaarung des Kopfes sp~rlich, in den seitlichen Stirnpartien ist die Glatzenbildung ziem- lich weit vorgeschritten. Die Haare ffihlen sieh seidig weich an. Bartwuchs sehr sp~rlich, nahczu fehlend an Backen und Kinn, unterhalb des Kinnes etwas reichlicher, ebenso an der Oberlippe, abcr aueh hier pathologisch gering. Achsel- h6hlen nahezu haarfrei. Testikel erheblich kleiner als normal, abnorm weich. Membrum kurz. Augenbrauen auch etwas dfirftig. Geringer Fettwulst an der Aul~enseite der oberen Augenlider, deutliche Fettvermehrung an der Brust, er- heblicher am Bauch, auch etwas an den Oberschenkeln. Warzenhof vielleicht gr613er als beim normalen Manne, etwas dunkler pigmentiert. Montgomerysche Drtisen zum Teil auffallend deutlich. Unterkiefer schmal, Z~hne des Oberkiefers iiberragen die Z~hne des Unter- 1 Vorgetragen in der Berlin. Ges. f. Psychiatrie u. Nervenheilk. am 1. II. 1927 (vgl. Zentralbl. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 46, 903). 2 Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 5, H. 5. 1911.

Zur Bedeutung der innersekretorischen Störungen bei der Dystrophia myotonica

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Page 1: Zur Bedeutung der innersekretorischen Störungen bei der Dystrophia myotonica

(Aus der Nervenabteilung der IV. med. Universit/~tsklinik des st/~dt. Kranken- hauses Moabit.)

Zur Bedeutung der innersekretorischen Stiirungen bei der Dystrophia myotonica 1.

Von

Otto Maas und Ernst Haase.

(Eingegangen am 26. Juli 1927.)

Fiir die strittige Frage der Bedeutung der St6rungen der inneren Se- kretion im Krankheitsbilde der Dystrophia myotonica dtirfte die Beschrei-

bung eines je tz t 47j~hrigen Pa t ien ten yon Interessc sein, dessen Krank-

heitsgeschichte bereits im Jahre 1911 von R. Hirsch/eld 2 unte r der Dia-

gnose , ,Myotonia a t rophica" ver6ffent | ichst wurde. Damals wurden

Zeichen innersekretorischer St6rungen nicht angegeben, (tie je tz t deut-

lich vorhanden sind.

Es handelt sich um einen Kranken, der erstmalig im Alter yon 26 Jahren fiber leichte Ungeschicklichkeit in den H~nden klagte. Im Alter yon 29 Jahren fiel undeutliche Sprache auf, 4 Jahre sp~ter wurde bemerkt, da[~ er die Finger beim 0ffnen nut ganz langsam auf bekam. 1916 wurde Staroperation an beiden Augen erfordcrlich. Patient war zeitweilig Potator, hatte auch mit Arsen zu tun, arbeitete zuletzt als Waschmeister. Seit 1918 Bronchitis. Patient ist ver- heiratet, hat cinen gesunden Sohn. Potcnz war immer schwach, ist in den letzten Jahren erloschen.

Die Untersuchung ergibt jetzt: Sch~idel ziemlich lang und schmal. Behaarung des Kopfes sp~rlich, in den seitlichen Stirnpartien ist die Glatzenbildung ziem- lich weit vorgeschritten. Die Haare ffihlen sieh seidig weich an. Bartwuchs sehr sp~rlich, nahczu fehlend an Backen und Kinn, unterhalb des Kinnes etwas reichlicher, ebenso an der Oberlippe, abcr aueh hier pathologisch gering. Achsel- h6hlen nahezu haarfrei. Testikel erheblich kleiner als normal, abnorm weich. Membrum kurz. Augenbrauen auch etwas dfirftig. Geringer Fettwulst an der Aul~enseite der oberen Augenlider, deutliche Fettvermehrung an der Brust, er- heblicher am Bauch, auch etwas an den Oberschenkeln. Warzenhof vielleicht gr613er als beim normalen Manne, etwas dunkler pigmentiert. Montgomerysche Drtisen zum Teil auffallend deutlich.

Unterkiefer schmal, Z~hne des Oberkiefers iiberragen die Z~hne des Unter-

1 Vorgetragen in der Berlin. Ges. f. Psychiatrie u. Nervenheilk. am 1. II. 1927 (vgl. Zentralbl. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 46, 903).

2 Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 5, H. 5. 1911.

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kiefers. An den Wangen geringe Fettentwieklung. Backen eingesunken. Ohren o. B., am reehten Helix kleines Kn6tchen. Lidspalte rechts gleich links. Pupille rechts rund, links stark nach oben verzogen (Iridektomie). Rechte Pupille reagiert gut auf L. und C., linke nicht. Augenbewegungen frei. Augenschlu[~ vollst~ndig, aber v611ig kraftlos, Stirnrunzeln, Backenaufblasen, MundschluB mangelhaft. Gaumen hoch, spitzwinkelig. Zunge o. B., Stimme hell, niiselnd, wenig modu- lationsfS, hig. Kehldeekel liegt fast v61lig der hinteren Rachenwand an, so dab Einbliek in den vorderen Teil des Kehlkopfes nieht mO~lieh ist.

Deutliehe Atrophie der Sternoeleidomastoidci. An den o. E. keine lokali- sierten Muskelatrophien. Grobe Kraft in allen Muskeln deutlieh herabgesetzt. Beim Emporheben der Arme kein Zuriickbleiben. Aile Bcwegungen ausfiihrbar. Faustsehlug prompt; beim 0ffnen l(iscn sieh (tie Finger sehr langsam, naeh mehr- facher Wiederholung kann die Faust leiehter gcOffnet werden.

Bauchdeekenreflexe s~mtlieh vorhanden. An den u. E. Muskelvolumen und Tonus normal. Kniephitnomen bds. pathologiseh schwaeh. Aehillesreflex in der Pdiekenlage reehts nieht mit Sieherheit zu erzielen, links pathologiseh sehwaeh. Zehenreflex bds. plantar. Klagen iiber zeitweise Pariisthesien in Armen und Beinen.

Elektrische Priifung: Faradisch bds. Erregbarkeit des N. medianus, radialis, ulnaris erhalten, galvaniseh blitzartige Zuekung. Bei faradischer Reizung am Daumenballen erfolgt bei sehwaehem Strom zun/ichst keine Kontraktion, diese kommt viehnehr erst naeh l~tngerer Einwirkung des Stromes alhnithlieh zustande.

ROntgenaufnahme des Sehiidels: Sella tureiea o. B., Wirbels~iule und Ober- sehenkelknoehen o. B.

Blutzueker l l7mg, Biutbild: einmal geringe Lymphocytose (32), sp/~ter normal. Leukoeytenzahl 7(,)00. Wasserausseheidung ungest6rt. Koehsalzaus- seheidung normal. Bei der pharmakologisehen Priifun~ des vegetativen Nerven- systems mit Adrenalin und Atropin erhOhte Empfindliehkeit fiir Adrenalin (naeh subeu~aner Injektion yon 1 mg Adrenalin noeh naeh 30 Minuten ErhOhung der ~Pulszahl yon 72 auf 84, der Atemfveque, nz yon 16 auf 24, des Blutdruekes von 90 65 auf 110 70). (?~asweehselbestimmung: Gewieht 158 Pfund, (Irundumsatz: 0~-Verbrauch pro Mimtte 262 cram, CO2-Produktion pro Minute 221 e m m . - I~Q =- 0,843. Gesamtealorie, nproduktien in 24 Stunden 1824,5 Cah)rien. Grund- umsatz pro kg und 24 Stunden 23,1 Calorien. Speziiisch-dynamische Wirkung: 2 Stunden nach einer Eiweigmahlzeit: ()2-V(!l'i)I'aut~h pro Minute 266 emm, COo-Produktion 235 emm. - - tI, Q :- 0,885. Gesamtealorieilproduktion 1876,3 Calorien. Umsatz pro kg und 24 Stunden 23,4 (Jalorien. Ergebnis: normaler (]rund- umsatz, erh6hh~r rcspiratoriseher Quol lent. V611iges Fchlen spezifisch-dynamischer Wirkung (Dr. Meckleubur9).

Psyehisehes Verhalten: Deutliehe Stumpfheit, Selbstgcfiilligkeit, mangelnde Riicksiehtnahmc auf (tie Umgebung. K6rt)erlich wenig eigen, Neigung zu platten Seherzen.

Vergleichen wir diesen Befund mi t dem seinerzeit yon Hirseh[eld erhobenen, so sind die Erscheinungcn yon sciten der Muskulat, ur unge-

fghr die gleichen geblieben. Zugenommen ha t die allgemeine K6rper-

sehwgehe, verlorcn haben sieh die Sehluekbesehwerdcn. Bezfiglieh der

i nne r sek re to r i s ehcn Merkmale ist ein wesentlieher Unterschied festzu-

stellen. Damals wurden an Schilddriise und Hoden krankhaf te Ver- gnderungen nich~ gefunden und es wurde ausdriicklich ve rmerk t :

Behaarung ohne Besonderheiten. 3etzt haben wir die beschriebene

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Behaarungsanomalie, insbesondere das fast v611ige Fehlen der Achsel- und Schamhaare, ferner gest6rte Fettverteilung, hohe Stimme, Atrophie der Hoden und Potenzschwfiche als endokrine AusfMlserscheinungen. Nieht gest6rt sind Wasserhaushalt und Kochsalzausscheidung, mit Vorsicht zu verwerten ist der gelegentliehe Befund einer geringen Lymphoeytose, der etwas niedrige Blutdruek, (tie erh6hte Anspreeb- barkeit auf AdrenMin und die vielleicht etwas dunkle Pigmentation der W&rzenh6fe mit zum Tell auffallend deutlich hervortretenden Montgomeryschen Driisen. Bemerkenswert ist der Ausfall der Gas- wechselbestimmung, (ter erh6hte respiratorische Quotient und vor allem v611iges Fehlen spezifisch-dynamischer Wirkung. Nach der Annahme yon Plaut-Kestner wfirde dieser - - unseres Wissens hier zum ersten Male bei Dystrophia myotonica erhobene Befund - - auf gest6rte Funktion des Hypophysenvorderlappens hinweisen. Die Bedeutung des Fehlens spezifisch-dynamischer Wirkung der Nahrungsaufnahme ffir gest6rte Hyt)ophysenfunktion ist aber noch umstritten 1. Jedenfalls aber spricht der Befund, ebenso wie Glatzenbildung, Katarakt und Genitalatrophie fiir gest6rte innere Sekretion. Der seinerzeit yon Hirsch/eld als Glas- bliiserkatarakt gedeutete Frfihstar ist nach heutigen Anschauungen Symptom der Dystrophia myotoniea, wahrscheinlich Ausdruck gest6rter Epithelk6rperchenfunktion.

Symptome, die als Folge gest6rter innerer Sekretion angesehen wer- den, sind hSufig bei Dystrophia myotonica beobachtet worden. Als erster hat Curschmann auf sie hingewiesen, besonders Hauptmann und iYaegeli haben (tie Frage eingehend behandelt 2. Bei dem von Hirsch- /eld a i m Jahre 1916 beschriebenen Fall bestand Schwund des Fett- polsters im Gesicht, Haupthaar reiehlich, Hoden yon normaler Gr61~e, allerdings bei angeblich herabgesetzter Funktion des Geschlechtsappa- rates. Eine im Jahre 1925 ~ yon ihm beschriebene 54jiihrige Frau hatte cystischc Degeneration der Ovarien, die linksseitige Ovariotomie und rechts Entleerung der Cyste durch Punktion erforderlich machte; da- nach vSllige Menopause. Schon vorher Frigidit~t. Doppelseitige Star- operation mit 33 und 37 Jahren. Ungef/thr zur gleichen Zeit voriiber- gehender Kopfhaarausfatl, K/iltegefiihl an H~nden und FiiBen, Runzlig- werden der Haut, Zahnausfall. Urinmenge normal, aber schlecht kon- zentriert, Chlorausseheidung normal. Um 15% verminderter Grund- umsatz.

1 H. Bernhardt, Zeitschr. f. kiln. Ned. 99, Festschrift fiir His. ,,Zur Frage der spezifisch-dynamischen Wirkung der Nahrungszufuhr bei endokrinen Er- krankungen."

Literatur bei R. Hirsch/eht, Beitrag zur Lehre vonder myotonischen Dystrophie. Archiv I. Psychiatrie u. Nervenkrankheiten. ~4. 1925.

3 Diese Zeitschr. 34. 1916. Z. f. d. g. Neut . u. Psych. l i t . 15

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Bei dem von M a a s und Zondek I beschriebenen 45j~hrigen Patienttm bestanden folgende Erscheinungen, die wit als Folgcn innersekretoriscber St6rungen auffassen: auffallend gro~e Nase, gewulstete Lippen, starke Polyurie mit dtinnem, wenig konzentriertem Harm erniedrigter Blut- zuckergehalt yon nur 40 mg und Blutdruck von 60 ram, betri~chtliche Verlangsamung des Eiweil~stoffweehsels. Bei der Gasweehselbestimmung zeigte sich au~erordentlich niedriger O~-Konsmn ill der Ruhe, w~ih- rend der Verbrauch bei Arbeit um das I)reifache gesteigert war. Bei dem von M a a s 2 untersuchten Sohn dieses Kranken fehlt jegliehe endo- krine Abwegigkeit. Von anderen Autoren wurden an ihren F~illen Ver- schiebung des Blutbildes (geringe Lymphocytose, Eosinophilie, Ver- mehrung der Mastzellen) und Verl~ngerung der (~erinnungszeit des B|utes gefunden. H a u p t m a n n 3 und andere sahen l[~berempfindlichkeit gegen Pilocarpin. Curschmann 4, der einen Fall von Dystrophia myo- toniea ,nit Thyreohypoplasie beschrieben hat, kommt in seiner letzten zusammenfassenden Darstellung 5 zu (ter Annahme einer neurogenen zentralen St6rung in dem von Aschner angenommenen Eingeweidczen- , rum im Hypothalamusgebiet des Zwischenhirns, das auf dem Wege fiber Sympathicus uud Parasympathicus sowohl das Muskelsystem beeinflul.~t als auch den iibrigeu endokrinen und vegetativen Funktionen vorsteht. Stri impel l ~ gibt der Meinung Ausdruck, dab ,,alle diese Erscheinungen mit Sicherheit darauf hiuzuweisen scheinen, (ta[~ es sich bei der atro- phischen Myotonie um eine Erkrankung der innereu Sekretion handelF'. Christensen 7 fand bei einem jfingst besehriebenen Fall aul.~er der Trias der Glatzenbildung, dcr Ka ta rak t und der Hodenatrophie gewisse akro- megale Zfige (auffallende Gr6[te des Unterkiefers mit ausgesprochener Prognathie), dfinne, troekene Haut, Pigmentarmut, Erniedrigung des Grundumsatzes um 14,4%, Lymphocytose von 32, und bei der pharma- kologischen Priifung mit Adrenalin paradoxe Reaktionen (Sinken des Pulses von 76 auf 55). Bei der Aufnahme einer Muskelaktionsstromkurve des myotonischen M. opponens pollicis zeigte sich ein Aufh6ren der bipha- sischen Schwankungen und Fehlen der langwelligen Seitenabweichung, was auf St6rung ira autonomen System bezogen wird. Peritz s erkennt als konstante Symptome der Myotonie nur die frfihzeitige Glatze, (tie premature Ka ta rak t und (tie hochgradige Genitalatrophie an und sieht

1 Diese Zcitschr. 59. 1920. '-' Zcntralbl. f. d. gcs. Neurol. u. Psychiatric 44, H. 7/8, S. 517. 1926. 3 Dtsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. 55 und G3. 4 Miinch. recd. Wochenschr. 1906, S. 1281.

Zit. nach Christensen, Dtsch. Zeitschr. f. Nervenhcilk. 9~, H. 4/6. Lehrb. d. spez. Pathol. u. Therapic Bd. 2, S. 857. 1926.

7 Dtsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. 9~, H. 4/6. 1927. s Kraus-Brugsch, Spez. Pathol. u. Therapic Bd. 10, 1. Tell, Liefg. 405--409.

1924.

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der innersekretorischen StSrungen bei der Dystrophia myotonica. 227

in dem Umstand, dal3 er mangclhafte Entwicklung dcr sekund/iren ,Sextlalmerkmale nie beobachtet hat, einen Beweis gegen (tie iitio- logische Bedcutung der endokrinen St6rung. Die Genitalatrophic wertet er lediglich als Ausdruck dcr zunehmcndcn Kachexie, und nut (tie Deutung tier Kataraktbi ldung erscheint ibm schwierig. In der Ausspraehe zu unserer Demonstration erkennt Peritz (tie Bedeutung der innersekretorischen St6rungen an. W. Berg 1 fand bei einem aus belasteter Familie stammenden Krankcn mit myotonischer Dystrophic die Schilddr/ise palpatorisch sehr klein, Prognathie bei relativ grol3er Mandibula, Hodenatrophie geringen Grades, im Bhltbild Lympho- cyten von 31%, sonst aber sowohl bei der respiratorischen Stoff- wechsehmtcrsuchung - - abgesehen von geringer Herabsetzung der spezifisch-dynamischen Eiweil3wirkung und der Blutserumunter- suchung nach Abderhalden als auch bei der pharmakodynamischen und physiko-chemischen Untersuchung des Blutes so geringe Abweichungen yon der Norm, dal3 er vor ()bcrschiitzung der innersekretorischen Symptomc warnen zu m/issen glaubt, w c n n e r auch zugibt, (ta13 die klinische l)iagnostik inkretorischer und mcsencephaler StSrungcn noch zu unvollkommen ist, um ohne Sektionsbcfund das Vorhandensein sol- chef Vcr~nderungen ausschliel3en zu k6nnen. Berichte tiber pathologisch- anatomische Untersuchungen an den innersekretorischcn Drtisen bei FMlen yon Dystrophia myotonica sind noch sehr sp:~rlich. Well und Kestne# fanden bei cinem autol)tisch untcrsuchten Fall, tier auBerdenl noch cinch Tumor des linken Schl/tfenlappens und vorgeschrittenc Lungentuberkulose aufwies, Zelldegenerationen in den vegetativen Nerven um den dritten Ventrikel, in der Briicke, Medulla oblongata und den Seitenh6rncrn des Brustmarks. Nebennieren: Zeichnung der Rindc verwischt und unregelmii[.~ig, Mark normal. SchiMdriise: stark erweiterte Follikel. Thymus: Involution, cinzclne verkalkte Hassalsche K6rperchen. Hypophyse: ausgepriigte Follikelvermehrung im Vorderlappen. Testes: Atrophic der Hodenkanitlchen, (lie nur mit einer Zellage ausgekleidet sind, mit starker Vermehrung der Leydig- schen Zellen. - - Jedenfalls mahnt unser Fall, mit dcr Annahme des Fehlens endokriner Stdrungen bei l)ystrophia myotonica zuriickhaltcnd zu sein. Im Friihstadium entgehen vielleicht endokrine Veriinderungen dem klin~schen Nachweis, (lie erst spitter erkennbar werden. Es ist bemerkenswert, dal3 bei der obenerwiihnten Untersuchung von Vater und Sohn <lcr Vater deutlichc, (ler Sohn kcinerlei 'Ausfalls- erscheinungen innersekretorischer Art aufwies. Die MSglichkeit, daft endokrine Stsrungen dtiologische Bedeutung /iir das Entstehen der

1 Dtsch. Zcitschr. f. Nervenheilk. 98, H. 1/'3. 1927. 2 Diese Zeitschr. 108, H. 5. 1927.

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22S 0. Maas und E. Haase: StSrungen bei der Dystrophia myotonica.

MusIcelerlcrankung haben, muff, wie wir meinen, auch da zugelassen werden, wo wir nach unseren bisherigen Kenntnissen endokrine St6rungen nicht nachweisen kSnnen. --

Zu erw~hnen ist noch, dab unser Kranker fiber zeitweilig bestehende Paraesthesien und Schmerzen in den Beinen ktagt, was schon Hirsch/eld vermerkt hat. Da der Kranke mit Arsen zu tun gehabt und zeitweise reichlich Alkohol getrunken hat, kSnnen diese Beschwerden Folge einer dutch diese Gifte hervorgerufenen Polyneuritis sein. Immerhin ist auch die Annahme nicht v o n d e r Hand zu weisen, dal~ Beteiligung des sen- siblen Neurons zum Krankheitsbilde der Dystrophia myotonica gehSren k6nnte.