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Bereich oberhalb der Streckgrenze den dort in Wirklichkeit elastisch-plastischen Gesamtverformungen nahe kommen, weil man sie als ,,eingepragte" Verformungen betrachten kann. Eine Vergleichsrechnung mit Finiten Elementen hat fur die dargestellte Kerbform ergeben, dafl die elastisch-plastische Gesamtdehnung bei Voraussetzung konstanter Flieaspan- nung OF = 1,4 (Werkstofftyp a) am hochstbeanspruchten Punkt im Kerbgrund um 1/3 groi3er ist als bei rein elasti- scher Rechnung. Die wirklich plastifizierte Zone wird dabei etwa durch die Linie c in Abb. 14 umschlossen. Fur einen Werkstoff vom Typ b, Abb. 12, ware die plastifizierte Zone wegen der Verfestigung kleiner, und der Unterschied zwi- schen rein elastisch gerechneter und wirklicher teilplastischer Dehnung ware wesentlich geringer, als oben fur Werkstoff- typ a gefunden wurde. Wenn man diesen Unterschied vernachlassigen kann, dann ergabe sich bei einer Schwellbelastung des gekerbten Stabes die von 0~1. m:Lx , Abb. 12, heruntergelotete maximale Deh- nung auch fur die Werkstoffe a und b. Betrachtet man diese Dehnungen im Kerbgrund als von der rein elastisch verform- ten Umgebung im Kerbbereich ,,eingepragt", so mussen sie bei Entlastung der Struktur auf Null zurudrgehen. Wie die dunklen Pfeile in Abb. 12 zeigen, wird dann der Werkstoff a bei jedem Lastzyklus plastisch gedehnt und gestaucht. Ein Dauerbruch ist bald zu erwarten. Die hellen Pfeile zeigen dagegen fur Werkstoff b nur noch rein elastische Verfor- mung an, weil die Flieflgrenze durch Verfestigung uber 0,5 0~1. ,,,ax angehoben wurde. Dieses Beispiel sollte die Nutzlichkeit des Denkens in Ver- formungen demonstrieren und daruber hinaus qualitativ zeigen, daa bei unvermeidbaren ortlichen Spannungs- oder Dehnungsspitzen rnit verfestigungsfahigen Werkstoffen gro- aere Sicherheiten gegen Dauerbruch erreichbar sind. Fur genauere quantitative Rechnungen mussen jedoch die fur definierte Werkstoffe gefundenen und noch zu erwartenden Ergebnisse der Bruchmechanik herangezogen werden. Eingegangen am 2. Februar 1976 [B 39811 Literatur [l] Czerwenka, G.; Scbnell, W.: Einfiihrung in die Rechenmetho- den des Leichtbaues 11, B. I. Hochschultaschenbiichher, Mann- heim. [2] Wolf, H.: Konstruktion 18 (1966) S. 11/15. Zusammenhange zwischen makroskopischen Verformungs- grof3en und mikroskopischen Vorgangen im Werkstoff * Albert KochendorfeP * Die grundlegenden Eigenschafien der Versetzungen werden beschrieben, dann wird eine Obersicht gegeben uber den Verlauf und die Temperaturabhangigkeit der Verfestigungs- kurven von Einkristallen der kfz- und krz-Metalle. Die Deutung dieser Befunde erfolgt an Hand der Widerstande und Hindernisse, die sich der Bewegung der Gleitversetzungen entgegenstellen, und der sich jeweils ausbildenden Versetzungsanordnungen. Bei Viel- kristallen wird der zusatzliche Einflua der Korngrenzen und Phasengrenzen auf die Flieagrenze und die Flieaspannung beschrieben. Dann werden die Einflusse von gelosten Fremdatomen und von ausgeschiedenen Teilchen auf die Versetzungsanordnung und die Flieflspannung betrachtet. Abschlieaend wird auf die Oberlagerung dieser Einfliisse hin- gewiesen. Hohe Festigkeiten werden erzielt entweder durch die Erzeugung moglichst hoher Versetzungsdichten durch wirksame Hindernisse gegen die Bewegung der Gleit- versetzungen, wie bei den technischen hochfesten Werkstoff en, oder durch moglichst gute Annaherung an den storungsfreien Kristall, wie bei den Haar- oder Fadenkristallen. Ein Werkstoff in einer Konstruktion ist vielen Einwirkungen ausgesetzt, je nach den auaeren und inneren Beanspruchun- gen, den Betriebstemperaturen und den Umgebungseinflussen. Dementsprechend mui3 der Konstrukteur fur die Gestaltung und Bemessung einer Konstruktion unterschiedliche Werk- stoffkennwerte in Betracht ziehen. Diese sind unter ,,nor- malen" Bedingungen Flieagrenze, Zugfestigkeit und Bruch- dehnung oder Brucheinschnurung, bei hohen Temperaturen Kriechfestigkeit und Dauerstandfestigkeit, bei mehrachsigen Beanspruchungen und tiefen Temperaturen Kerbschlagzahig- keit und Bruchzahigkeit, bei schwingenden Beanspruchungen Zeitfestigkeit und Dauerschwingfestigkeit und schliefllich bei Einwirkung korrodierender Medien Korrosions- und Span- nungsriflkorrosionsbestandigkeit. Diese Kennwerte sind be- stimmt durch die Zustande in mikroskopischen Bereichen und ihre zeitlichen Anderungen. Maagebend hierfur sind die Wechselwirkungen der Gitterfehler, die punktformig (Leer- stellen, Zwischengitteratome), linienformig (Versetzungen), flachenformig (Korngrenzen, Phasengrenzen) und raurnlich (Ausscheidungen) sein konnen. :F Vortrag auf dem 7. Dechema-Konstruktionssymposion, ,Kon- struktion und Verformungsverhalten", 445. Dezember 1975 in Frankfurt/M. ** Prof. Dr. A. Kochendorfer, Max-Plank-Institut fur Eisenfor- schung GmbH, Max-Plank-Str. 1, 4000 Dusseldorf. Chem.-lng.-Tech. 48. Jahrg. 1976 I Nr. 7 60 1

Zusammenhänge zwischen makroskopischen Verformungsgrößen und mikroskopischen Vorgängen im Werkstoff

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Page 1: Zusammenhänge zwischen makroskopischen Verformungsgrößen und mikroskopischen Vorgängen im Werkstoff

Bereich oberhalb der Streckgrenze den dort in Wirklichkeit elastisch-plastischen Gesamtverformungen nahe kommen, weil man sie als ,,eingepragte" Verformungen betrachten kann.

Eine Vergleichsrechnung mit Finiten Elementen hat fur die dargestellte Kerbform ergeben, dafl die elastisch-plastische Gesamtdehnung bei Voraussetzung konstanter Flieaspan- nung OF = 1,4 (Werkstofftyp a) am hochstbeanspruchten Punkt im Kerbgrund um 1/3 groi3er ist als bei rein elasti- scher Rechnung. Die wirklich plastifizierte Zone wird dabei etwa durch die Linie c in Abb. 14 umschlossen. Fur einen Werkstoff vom Typ b, Abb. 12, ware die plastifizierte Zone wegen der Verfestigung kleiner, und der Unterschied zwi- schen rein elastisch gerechneter und wirklicher teilplastischer Dehnung ware wesentlich geringer, als oben fur Werkstoff- typ a gefunden wurde.

Wenn man diesen Unterschied vernachlassigen kann, dann ergabe sich bei einer Schwellbelastung des gekerbten Stabes die von 0 ~ 1 . m:Lx , Abb. 12, heruntergelotete maximale Deh- nung auch fur die Werkstoffe a und b. Betrachtet man diese Dehnungen im Kerbgrund als von der rein elastisch verform- ten Umgebung im Kerbbereich ,,eingepragt", so mussen sie bei Entlastung der Struktur auf Null zurudrgehen. Wie die

dunklen Pfeile in Abb. 12 zeigen, wird dann der Werkstoff a bei jedem Lastzyklus plastisch gedehnt und gestaucht. Ein Dauerbruch ist bald zu erwarten. Die hellen Pfeile zeigen dagegen fur Werkstoff b nur noch rein elastische Verfor- mung an, weil die Flieflgrenze durch Verfestigung uber 0,5 0 ~ 1 . ,,,ax angehoben wurde.

Dieses Beispiel sollte die Nutzlichkeit des Denkens in Ver- formungen demonstrieren und daruber hinaus qualitativ zeigen, daa bei unvermeidbaren ortlichen Spannungs- oder Dehnungsspitzen rnit verfestigungsfahigen Werkstoffen gro- aere Sicherheiten gegen Dauerbruch erreichbar sind. Fur genauere quantitative Rechnungen mussen jedoch die fur definierte Werkstoffe gefundenen und noch zu erwartenden Ergebnisse der Bruchmechanik herangezogen werden.

Eingegangen am 2. Februar 1976 [B 39811

Literatur

[ l ] Czerwenka, G.; Scbnell, W.: Einfiihrung in die Rechenmetho- den des Leichtbaues 11, B. I. Hochschultaschenbiichher, Mann- heim.

[2] Wolf, H.: Konstruktion 18 (1966) S. 11/15.

Zusammenhange zwischen makroskopischen Verformungs- grof3en und mikroskopischen Vorgangen im Werkstoff *

Albert KochendorfeP *

Die grundlegenden Eigenschafien der Versetzungen werden beschrieben, dann wird eine Obersicht gegeben uber den Verlauf und die Temperaturabhangigkeit der Verfestigungs- kurven von Einkristallen der kfz- und krz-Metalle. Die Deutung dieser Befunde erfolgt an Hand der Widerstande und Hindernisse, die sich der Bewegung der Gleitversetzungen entgegenstellen, und der sich jeweils ausbildenden Versetzungsanordnungen. Bei Viel- kristallen wird der zusatzliche Einflua der Korngrenzen und Phasengrenzen auf die Flieagrenze und die Flieaspannung beschrieben. Dann werden die Einflusse von gelosten Fremdatomen und von ausgeschiedenen Teilchen auf die Versetzungsanordnung und die Flieflspannung betrachtet. Abschlieaend wird auf die Oberlagerung dieser Einfliisse hin- gewiesen. Hohe Festigkeiten werden erzielt entweder durch die Erzeugung moglichst hoher Versetzungsdichten durch wirksame Hindernisse gegen die Bewegung der Gleit- versetzungen, wie bei den technischen hochfesten Werkstoff en, oder durch moglichst gute Annaherung an den storungsfreien Kristall, wie bei den Haar- oder Fadenkristallen.

Ein Werkstoff in einer Konstruktion ist vielen Einwirkungen ausgesetzt, je nach den auaeren und inneren Beanspruchun- gen, den Betriebstemperaturen und den Umgebungseinflussen. Dementsprechend mui3 der Konstrukteur fur die Gestaltung und Bemessung einer Konstruktion unterschiedliche Werk- stoffkennwerte in Betracht ziehen. Diese sind unter ,,nor- malen" Bedingungen Flieagrenze, Zugfestigkeit und Bruch- dehnung oder Brucheinschnurung, bei hohen Temperaturen Kriechfestigkeit und Dauerstandfestigkeit, bei mehrachsigen Beanspruchungen und tiefen Temperaturen Kerbschlagzahig- keit und Bruchzahigkeit, bei schwingenden Beanspruchungen Zeitfestigkeit und Dauerschwingfestigkeit und schliefllich bei Einwirkung korrodierender Medien Korrosions- und Span-

nungsriflkorrosionsbestandigkeit. Diese Kennwerte sind be- stimmt durch die Zustande in mikroskopischen Bereichen und ihre zeitlichen Anderungen. Maagebend hierfur sind die Wechselwirkungen der Gitterfehler, die punktformig (Leer- stellen, Zwischengitteratome), linienformig (Versetzungen), flachenformig (Korngrenzen, Phasengrenzen) und raurnlich (Ausscheidungen) sein konnen.

:F Vortrag auf dem 7. Dechema-Konstruktionssymposion, ,Kon- struktion und Verformungsverhalten", 445. Dezember 1975 in Frankfurt/M.

** Prof. Dr. A. Kochendorfer, Max-Plank-Institut fur Eisenfor- schung GmbH, Max-Plank-Str. 1, 4000 Dusseldorf.

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Infolge der unterschiedlichen Arten der Wechselwirkungen unter verschiedenen Bedingungen mui3ten fur das jeweilige Werkstoffverhalten besondere Begriffe, Untersuchungsver- fahren und theoretische Modelle entwickelt werden. Im Rahmen eines zeitlich beschrankten Berichts ist es nicht mog- lich, alle diese Problemkreise zu behandeln. Die Ausfiihrun- gen befassen sich mit den Problemen unter ,,normalen" Bedingungen, versuchen also, den Zusammenhang zwischen der Flieflkurve (Spannung/Dehnung-Kurve) bzw. ihrer Kennwerte und den Bewegungen und Anordnungen der Versetzungen aufzuzeigen unter Einschlui3 der Einflusse von Korngrenzen, von gelosten Atomen und von ausgeschiedenen Teilchen. Mit den dabei gewonnenen Vorstellungen konnen auch die Zusammenhange unter anderen Bedingungen ver- standen werden; das eigentliche Problem besteht jeweils darin, die Auswirkungen auf die Vorgange in den Mikro- bereichen zutreffend zu erfassen.

Selbst dieser Problemkreis kann nur unter der Voraus- setzung, dai3 die Grundlagen der Einkristall-Plastizitat be- kannt sind, und nur in den wesentlichen Gesichtspunkten behandelt werden. Manche Feinheiten, die fur das Verstand- nis von Details von Bedeutung sind, miissen aufler Betracht bleiben. Diesbeziiglich sei auf die Ubersichtsberichte [ 1 - 7b] verwiesen.

Grundlegende Eigenschaften der Versetzungen

Begriff Stufen- und Schraubenversetzungen

Eine Versetzung ist eine linienformige Gitterstorung, die einen ortlichen Gleitschritt von der Groi3e eines Atom- abstandes b in der Gleitrichtung darstellt und einen geglit- tenen von einem nichtgeglittenen Bereich einer Gleitebene voneinander trennt (Abb. 1) . Der Gleitbetrag ist nach Grofle und Richtung durch den Burgers-Vektor b gegeben, die Richtung der Versetzungslinie durch den Einheitsvektor t .

1st eine Versetzung geradlinig und stehen b und t senkrecht

positive Stufenversetzung positive (rechtshandige) 18399311 Schraubenversetzung

Abb. 1. a) Geradlinige Stufenversetzung (Zeichen: I . Sie trennt den linken geglittenen Teil der Gleitebenen von dem rechten nichtgeglittenen Teil; b) geradlinige Schraubenversetzung (Zei- chen: C ). Sie trennt den vorderen geglittenen Teil der Gleitebene von dem hinteren nichtgeglittenen Teil.

aufeinander, so ist sie eine Stufenversetzung (Abb. 1 a), sind b und t parallel zueinander, so ist sie eine Schraubenver- setzung (Abb. 1 b). Bilden b und t einen von 0' oder 90' verschiedenen Winkel miteinander, so hat die Versetzung einen gemischten Charakter, und zwar um so mehr Schrau- ben- oder Stufencharakter, je naher der Winkel bei Oo oder 90° liegt. Bei einer gekriimmten Versetzung beziehen sich diese Aussagen jeweils auf ein Linienelement, wobei t der Tangenteneinheitsvektor ist. Zwei Versetzungen mit dem

Burgers-Vektoren b und - b haben entgegengesetztes Vor- zeichen. Wenn sie zusammentreffen, so losen sie sich gegen- seitig auf.

Das Vorhandensein von Versetzungen in kristallinen Stof- fen ergibt sich zwangslaufig aus der beobachteten Grofle der Gleitschubspannungen. Ohne Versetzungen miifiten die Atorne zweier benachbarter Gleitebenen gleichzeitig um den Betrag b gegeneinander verschoben werden. Die hierzu er- forderliche Schubspannung, die theoretische oder ideale Schubfestigkeit, ware von der Grofle G/10, wo G den Schub- modul bezeichnet. Die beobachteten Gleitschubspannungen sind auch bei tiefen Temperaturen, bei denen die thermischen Schwankungen keine Rolle mehr spielen, um mehrere Gro- flenordnungen kleiner. Die Versetzungen bewegen sich jedoch bei den beobachteten Spannungen, und ihre Bewegung fiihrt zu einer allmahlichen Ausbreitung des geglittenen Bereichs in ihrer Gleitebene. Die Stufenversetzung in Abb. 1 a be- wegt sich hierbei in Richtung x , die Schraubenversetzung in Abb. 1 b in Richtung z.

Gleitrichtung und Gleitebene, bewegliche und unbewegliche Versetzungen, Aufstauung von Versetzungen, Quergleitung

Eine Versetzung ist nur dann (leicht) beweglich, wenn ihr Burgers-Vektor in einer dichtest oder dicht besetzten Gitter- richtung liegt und ihr Linienvektor in einer ebensolchen Gitterebene. Diese Richtungen und Ebenen sind die beob- achteten Gleitrichtungen und Gleitebenen. 1st dies nicht der Fall, so ist eine Versetzung unbeweglich bei den Schubspan- nungen (Gleitschubspannungen), bei denen sich bewegliche Versetzungen (Gleitversetzungen) bewegen. Sie stellt dann fur Gleitversetzungen, deren Gleitebene den Linienvektor

Abb. 2. Doppelte Quergleitung; oben: zur Erlauterung; unten: elektronenmikroskopische Aufnahmen eines bei Zimmertemperatur bis in dem Bereich I11 der Verfestigungskurve urn 1 7 O / o gedehn- ten Aluminium-Kristalls. Vergroflerung des Originals 6200 : 1 (aus [ l ] nach [8]).

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der unbeweglichen enthalt, ein Hindernis dar, an dem sie sich aufstauen. 1st dagegen der Linienvektor der unbeweg- lichen Versetzung zur Gleitebene der beweglichen Versetzun- gen geneigt, so durchschneiden sich beide Versetzungen.

Bei einer beweglichen Stufenversetzung oder gemischten Ver- setzung ist die Gleitebene als die von b und t aufgespannte Ebene eindeutig bestimmt. Bei einer Schraubenversetzung ist dies nicht der Fall, da b und t parallel zueinander sind. Eine Schraubenversetzung kann sich daher in einer belie- bigen Ebene bewegen, wobei dies bei den Gleitschubspan- nungen jedoch auch nur in Gleitebenen moglich ist. Eine Schraubenversetzung kann daher ihre urspriingliche Gleit- ebene verlassen und in eine andere iiberwechseln. Dieser Vorgang der Quergleitung ist in Abb. 2 veranschaulicht. Wechseln die Gleitversetzungen wieder in eine zur urspriing- lichen parallelen Gleitebene iiber, so wird von doppelter Quergleitung gesprochen.

Grundstruktur, Versetzungsdichte, Versetzungsquellen

In jedem kristallinen Stoff entstehen bei seiner Herstellung aus der Schmelze oder aus dem Dampf Versetzungen, die von fehlgeordneten Atomen ihren Ausgang nehmen. Diese Versetzungen werden als eingewachsene Versetzungen be- zeichnet, ihre Gesamtheit als Grundstruktur. Diese besteht aus einem dreidimensionalen Netzwerk von Versetzungen, wie es in Abb. 3 dargestellt ist.

Abb. 3. Dreidimensionales Versetzungsnetzwerk (unten) und Kleinwinkelkorngrenzen (oben) in einem diinnen Silberchlorid- Kristall (aus [ l ] nach [9]).

Die Dichte 0 der Versetzungen wird in folgender Weise angegeben: Es wird eine bestimmte Ebene betrachtet und abgezahlt, wieviele Versetzungen je Flacheneinheit sie durch- dringen. Q wird also angegeben durch die Zahl der Ver- setzungen je Flacheneinheit, z. B. 106/cm2. Der mittlere Ab- stand der Versetzungen betragt I / a also 10-3 cm = 10 pm in obigem Beispiel.

Die Dichte der eingewachsenen Versetzungen hangt von den Herstellungsbedingungen eines Stoffes ab. Ohne besondere Vorsichtsmaflnahmen ist sie bei Metallen von der Groi3en- ordnung 106/cm2. Bei Haarkristallen ist sie giinstigstenfalls Null, und bei Metallkristallen kann sie bis zu 102/cm2 er- niedrigt werden [lo], so dafl versetzungsfreie Bereiche mit den Linearabmessungen von 1 mm bestehen. Von diesen Ausnahmen wird im folgenden abgesehen.

Die beweglichen unter den eingewachsenen Versetzungen ge- niigen bei weitem nicht, um die erzielbaren Abgleitungen zu

bewirken. Es miissen also im Laufe einer plastischen Ver- formung fortlaufend Versetzungen neu gebildet werden. Dies geschieht auf folgende Weise: Teile der eingewachsenen Versetzungen liegen in Gleitebenen. An den Enden eines solchen Teils verlaflt die Versetzung die Gleitebene und ist unbeweglich, d. h. diese Enden sind verankert. Zwischen den verankerten Enden wird unter der Wirkung einer Schub- spannung der bewegliche Teil ausgebuchtet und umschlieat schliefllich die Enden nierenformig, wie Abb. 4 zeigt. Die dann zusammentreff enden Teile haben verschiedenes Vor- zeichen, ziehen sich deshalb an und losen sich gegenseitig auf. Es entsteht dann ein abgeschniirter beweglicher Versetzungs- ring in der Gleitebene und ein Teil, der wieder die End- punkte verbindet und mit dem sich der Vorgang wiederholt. In Abb. 4 sind zwei Versetzungsringe entstanden, und das den Vorgang fortsetzende nierenformige Stuck ist deutlich zu erkennen. Ein solches, an seinen Enden verankertes be- wegliches Versetzungsstiick wird als Versetzungsquelle be- zeichnet, in diesem speziellen Fall als Frank-Read-Quelle. Im Laufe einer plastischen Verformung entstehen auf man- nigfache Weise weitere ahnliche Anordnungen, die als Quel- len neuer Versetzungen wirken.

Abb. 4. Versetzungsquelle in einem Silicium-Kristall mit infra- rotem Licht aufgenommen. Die Quelle erstreckt sich Iangs AB, die unbeweglichen Teile AC und BD der Versetzung verlaufen aufler- halb der Gleitebene und sind deshalb unscharf abgebildet (aus [I] nach [ I l l ) .

Spannungsfeld und Wechselwirkungen der Versetzungen

Als Gitterstorung rufi eine Versetzung in einem Gitter Ver- zerrungen und Spannungen hervor. In Abb. 5 werden diese

Abb. 5. Atomanordnung in der Umgebung einer Stufenverset- zung in einer zurn Linienvektor senkrechten Ebene zur Veran- schaulichung ihres Verzerrungs- und Spannungsfeldes. Wie die dunkel getonten Atome zeigen, kann die Versetzung durch eine zusatzlich eingeschobene Schicht von Atomen erzeugt gedacht werden (aus [I]).

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durch die gekriimmten Verbindungslinien der Atome fur eine Stufenversetzung veranschaulicht. Es ist aus diesem Bild zu entnehmen, dafi bei ei.ner solchen Versetzung oberhalb ihres Mittelpunktes Volumenverkleinerungen, unterhalb des- selben Volumenvergrofierungen bestehen. Dementsprechend reichern sich Fremdatome in der Umgebung der Versetzun- gen an, da dann ihre Verzerrungsenergie vermindert wird. Auf die damit zusammenhangenden Fragen, z. B. der Aus- bildung einer oberen Streckgrenze bei weichen Stahlen [ 121, kann hier nicht eingegangen werden.

Durch ihr Spannungsfeld tritt eine Versetzung in Wechsel- wirkung mit andern im Kristall bestehenden Spannungs- feldern. Wird ein solches durch eine aufiere Schubspannung hervorgerufen, so aufiert es sich als eine auf die Versetzung wirkende Kraft, derzufolge sie bewegt werden kann. Durch das Spannungsfeld von anderen Versetzungen tritt sie mit diesen in Wechselwirkung, und schliefilich mit gelosten Fremdatomen und ausgeschiedenen Teilchen infolge deren Spannungsfelder. Diese Wechselwirkungen bestimmen den Widerstand, der der Bewegung der Versetzungen entgegen- gesetzt wird und die Anordnung der Versetzungen, die sich unter der Wirkung einer aui3eren Schubspannung nach einer bestimmten Abgleitung einstellt, wie auch diejenige, die sich dann nach Entlastung ausbildet [ 131. Die Verfestigungs- kurve von Einkristallen und die Fliefikurven von Viel- kristallen sind somit die mefibaren Abbilder der durch diese Wechselwirkungen bedingten Kraft/Weg-Kurven der Ver- setzungen.

Es ist nun entscheidend, dafi der Beitrag dt, zur aui3eren Schubspannung t, der zur Erzeugung und Aufrechterhaltung einer bestimmten Versetzungsanordnung erforderlich ist, im wesentlichen durch die Versetzungsdichte e gegeben ist:

A t , = a ,Gb a. (1) Der Zahlenfaktor ae ist von der Grofienordnung 0,l. Da 1 / f i den mittleren Abstand der Versetzungen angibt, so ist At, umgekehrt proportional zu diesem. Es sei vorweg- genommen, dafi bei Vielkristallen der Beitrag do, zur Fliefi- spannung o gemai3 G1. (4) gegeben ist durch

do, = 3 ae G b a . ( 2 ) In Abb. 6 ist dieser Zusammenhang zahlenmafiig dargestellt. Es ist daraus zu cntnehmen, dafi eine martensitische Um-

7 1 1/Versetrungsdichle' in o-'

Abb. 6. in ferritischem Stahl (aus [14]).

604

Beitrag do, der Versetzungsdichte zur Flieflspannung u

wandlung eine Versetzungsdichte von ungefahr 1010/cm2 be- wirkt und dai3 nach einer Kaltumformung von 900/0 eine Versetzungsdichte von rund 1012/cm2 entsteht, der ein Span- nungsanteil von ca. 103 N/mm2 zukommt.

Die Wechselwirkung einer Versetzung mit den Spannungs- feldern von gelosten Fremdatomen und von ausgeschiedenen Teilchen wird in spateren Kapiteln betrachtet.

Aufspaltung von Versetzungen, Stapelfehler

Die Wechselwirkung der Versetzungen hat noch eine andere wichtige Folge. Eine Versetzung rnit dem Burgers-Vektor b kann zerlegt gedacht werden in zwei Versetzungen mit den Burgers-Vektoren bl und be, wobei b = bl + bz ist. Im all- gemeinen sind die Teilversetzungen gleichnamig und stofien sich deshalb ab. Die Trennung der Teilversetzungen schreitet aber nicht beliebig weit fort, da der Bereich zwischen ihnen einen gestorten Gitterbereich darstellt, dem eine hohere Energie zukommt als dem Grundgitter. Es stellt sich somit eine bestimmte Aufspaltungsweite 7 ein, bei der die Gesamt- energie ein Minimum besitzt. Bei den kubisch flachenzen- trierten Metallen besteht die Storung darin, dafi die Stapel- folge . . ABC ABC . . der Oktaeder-Ebenen durch die hexa- gonale Stapelfolge . . AB AB . . ersetzt ist. Die Storung zwischen den Teilversetzungen wird daher als Stapelfehler bezeichnet, und diese Bezeichnung wird auch benutzt, wenn die Storung allgemeiner Art ist.

Je grofier die Storungsenergie je Flacheneinheit, die Stapel- fehlerenergie y , ist, um so geringer ist die Aufspaltung 7 . Bei Kupfer z. B. ist y = 50 erg/cm2, 7 zz 8 b, und bei Alu- minium y ==: 250 erg/cm2 und 7 = 1,5 b. Wesentlich geringer wird y und entsprechend grofier 7 in Legierungen in der Nahe eines stabilen oder metastabilen Gleichgewichts zwi- schen kubisch flachenzentrierter und hexagonaler Phase, z. B. in NiCo- und FeMn-Legierungen [ 15, 161. Die Aufspaltung kann dann elektronenmikroskopisch gut nachgewiesen wer- den, besonders an Versetzungsknoten [ 11. In Salzkristallen ist die Aufspaltung wegen der bedeutenden elektrischen

Abb. 7. Aufspaltung von vollstandigen Versetzungen in je 6 Teilversetzungen rnit je 5 Stapelfehlerbereichen zwischen ihnen in einern Chrornchlorid-Kristall (oben) und in einem Chrornbromid- Kristall (unten) (aus [l] nach [17]).

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Wechselwirkungen auch gro8, wie Abb. 7 an zwei Beispielen zeigt. Die Aufspaltung ist hier mehrfach. Ohne diese Mehr- fachaufspaltung konnte die plastische Verformung dieser Kristalle bei den tatsachlich benotigten Schubspannungen nicht stattfinden.

Peierls-Spannung

Wird eine Versetzung kontiniumsmechanisch beschrieben, SO

ist ihre Energie unabhangig von ihrer Lage, mit Ausnahmen oberflachennaher Lagen. Wird die atomare Struktur beruck- sichtigt, so ergibt sich, dai3 zwischen zwei benachbarten Lagen einer Versetzung eine Energieschwelle besteht, zu deren Oberwindung eine Schubspannung erforderlich ist, die als Peierls-Spannung bezeichnet wird. Ihre Bedeutung wird in einem spateren Abschnitt erortert.

Verfestigungskurven von Einkristallen reiner kubischer Metalle

Mit den bisherigen Ausfuhrungen sind die Eigenschaften der Versetzungen beschrieben worden, die fur ein Verstandnis der Verfestigungskurven reiner Stoff e erforderlich sind. Hier werden die reinen kubisch-flachenzentrierten und raumzen- trierten Metalle betrachtet und als Beispiele Kupfer und Niob. Eisen verhalt sich qualitativ so wie Niob.

Verlauf und Temperaturabhangigkeit der Verfestigungs- k u r v e n

Die Verfestigungskurve gibt die Gleitschubspannung z in Abhangigkeit von der Abgleitung a bei fester Gleitgeschwin- digkeit da/dt an. I n den Abb. 8 und 9 sind sie fur die bei- den Metalle fur verschiedene Pruftemperaturen zusammen- gestellt. Es handelt sich dabei um die Kurven fur je dieselbe mittlere Orientierung. Bei Niob bzw. Eisen wird von den Besonderheiten bei tiefen Temperaturen, die durch den Ein- tritt des verformungsarmen oder sproden Bruches gekenn- zeichnet sind, abgesehen.

183993.8/ Abgleitung a

Abb. 8. Verfestigungskurven von Kupfer-Einkristallen rnit je derselben im Orientierungsdreieck bezeichneten mittleren Orien- tierung bei den angegebenen Pruftemperaturen T (aus [18]).

Gemeinsam sind den Kurven beider Metalle folgende Zuge: Die plastische Verformung setzt ausgiebig erst bei einer von Null verschiedenen Schubspannung, der kritischen Schub- spannung to ein. Daran schlief3t sich der Bereich I mit einem

geringen konstanten Verfestigungsanstieg, dann der Be- reich I1 mit einem starken konstanten Verfestigungsanstieg und schliei3lich der Bereich I11 mit abnehmendem Verfesti- gungsanstieg. Die Neigung der Kurve im Bereich I1 ist weit- gehend temperaturunabhangig und hat fur alle Metalle einen Wert von ungefahr dz/da (11) = G/400. Die Schubspannung ZIII am Beginn des Bereichs I11 nimmt mit abnehmender Temperatur zu, d. h. der Bereich I1 wird zunehmend aus- gedehnter.

c 3

0 0.2 0.4 0.6 m Abgleitung a

Abb. 9. Verfestigungskurven von Niob-Einkristallen rnit der- selben im Orientierungsdreieck bezeichneten mittleren Orientie- rung bei den angegebenen Pruftemperaturen (aus [18] nach [19]).

Ein wesentlicher Unterschied besteht im Temperaturverlauf der kritischen Schubspannung fur beide Metallgruppen. Bei den flachenzentrierten Metallen nimmt sie mit abnehmender Temperatur nur verhaltnismafiig schwach zu, bei den raum- zentrierten Metallen dagegen stark.

Bei Kristallorientierungen auflerhalb des Bereichs der mitt- leren Orientierung wird der Bereich I kurzer und verschwin- det in der Umgebung bestimmter Eckorientierungen der Zugachse. Bei den flachenzentrierten Metallen ist dies die Raumdiagonalenrichtung (1 1 l), bei den raumzentrierten Metallen die Kantenrichtung (100).

Deutung des Verlaufs der Verfestigungskurven

K r i t i s c h e S c h u b s p a n n u n g : In einem vorhergehen- den Abschnitt ist ausgefuhrt worden, dai3 zur Bewegung einer Versetzung eine bestimmte von Null verschiedene Schubspannung erforderlich ist, die Peierls-Spannung. Diese ist fur die raumzentrierten Metalle die tatsachlich erforder- liche Spannung, bestimmt also die kritische Schubspannung. Die Bewegung einer Versetzung erfolgt aber nicht gleich- zeitig iiber die ganze Lange. Vielmehr gleiten zunachst nur kleine Teilstucke, die sich vorwolben. Dadurch entstehen seitlich je zwei neue, in der Gleitebene liegende Versetzungs- stucke, die als Kinken bezeichnet werden, die Paare als Doppelkinken. Obwohl hierfur Energie aufgewendet wer- den mufl, kann dieser Vorgang bei einer kleineren Schub- spannung erfolgen als bei der Bewegung der ganzen Ver- setzung. Das Gleitvolumen ist dann namlich so klein, dai3 die Vorwolbung eines kleinen Versetzungsstucks durch die thermischen Schwankungen unterstutzt werden kann, die Uberwindung der Peierls-Spannung also einen thermisch aktivierten Vorgang darstellt. Schwellenenergie und Akti-

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vierungsvolumen bestimmen die starke Temperaturabhangig- keit von zo [5].

Bei den flachenzentrierten Metallen ist demgegenuber die Peierls-Spannung erheblich kleiner als die kritische Schub- spannung. Letztere mui3 also durch andere Vorgange be- stimmt sein. Diese bestehen darin, dai3 die Gleitversetzungen die eingewachsenen Versetzungen, die die Gleitebene durch- dringen, schneiden mussen. Die Gesamtheit der letzteren wird als Versetzungswald bezeichnet. Bei jedem Schneid- prozeB erhalt die sich bewegende Versetzung einen Sprung aus der Gleitebene heraus, der je nach der gegenseitigen Lage der Burgers-Vektoren beider Versetzungen einer Leer- stelle oder einem Zwischengitteratom gleichwertig ist. Die Energie des Sprungs stellt einen Teil der Aktivierungsenergie dar. Der zweite Teil ruhrt daher, dafl die Aufspaltungen der Versetzungen vor dem Schneidprozefl ruckgangig gemacht werden mussen. Schwellenenergie und Aktivierungsvolumen sind anders als bei den raumzentrierten Metallen, woraus sich die nunmehr geringere Temperaturabhangigkeit von TO ergibt . Bei beiden Metallgruppen ist den thermisch aktivierten und damit temperaturabhangigen Anteilen ein nahezu tempe- raturunabhangiger Anteil uberlagert, der von der elastischen Wechselwirkung der Gleitversetzungen rnit den eingewach- senen Waldversetzungen herruhrt. Dieser beginnt erst bei SO

hohen Temperaturen abzunehmen, bei denen Selbstdiff u- sionsprozesse merklich werden, durch die die Anordnung der Versetzungen grundlegend verandert werden kann (Klet- tern der Versetzungen [I]).

B e r e i c h I : Die ersten und die folgenden Versetzungen treffen zunachst auf keine anderen Hindernisse als die be- schriebenen. Dies bedeutet, dai3 sie sich in der Mehrzahl bis zur Oberflache des Kristalls bewegen konnen und ihn dann verlassen. Dementsprechend sind die beobachteten Gleitlinien lang, fein und gleichmaflig (Feingleiten), wie in Abb. 10 a schematisch gezeigt. Durch die elastische Wechselwirkung der Gleitversetzungen untereinander wird jedoch ein Teil von ihnen im Kristall zuruckgehalten, und dadurch wird der geringe Verfestigungsanstieg bedingt. Das mikroskopische Bild im Bereich I ist also gekennzeichnet durch lange, rnit den Kristallabmessungen vergleichbare Laufwege der Gleit- versetzungen und eine verhaltnismaaig geringe Zunahme der Versetzungsdichte uber die der eingewachsenen Waldver- setzungen hinaus.

B e r e i c h I I : Mit dem Gleiten im Bereich I ist eine Orien- tierungsanderung des Kristalls verbunden, infolge deren das

a1 Gleiirichtun ff D)

Abb. 10. b) im Bereich I1 der Verfestigungskurve (aus [I]).

606

Zustand eines kubischen Metallkristalls. a) im Bereich I,

zuerst bestatigte Hauptgleitsystem in eine ungunstigere, ein anderes, bisher latentes Gleitsystem in eine gunstigere Orien- tierungslage gelangt. Am Ende des Bereichs I werden daher auch in dem bisher latenten Gleitsystem Versetzungsquellen betatigt, die mit denen des Hauptgleitsystems langs der Schnittlinie beider Gleitebenen zusammentreff en. Die Ver- setzungen reagieren dann miteinander in einer durch die Kristallstruktur bedingten Weise und bilden unbewegliche Versetzungen, deren Burgers-Vektor nicht in einer Gleitrich- tung und deren Linie nicht in einer Gleitebene liegt. Sie werden bei den flachenzentrierten Metallen als Lomer- Cottrell-Hindernisse bezeichnet, bei den raumzentrierten Metallen als Cottrell-Hindernisse. An diesen stauen sich die Gleitversetzungen des Hauptgleitsystems auf. Es entstehen somit begrenzte Bereiche hoher Versetzungsdichte, die als Gleitzonen bezeichnet werden. Abb. 10 b zeigt diese Anord- nung schematisch. Im elektronenmikroskopischen Bild er- scheinen die Gleitzonen als Versetzungsstrange, wie sie in der Aufnahme in Abb. 11 in der Hauptgleitebene zu sehen sind. Der Kristall war unter Last rnit Neutronen bestrahlt worden. Infolge der dadurch bewirkten Verankerung der Versetzungen gibt die Aufnahme den Zustand wieder, wie er unter Last war. Solche Aufnahmen haben wichtige Hin- weise fur die Modelle der Theorie geliefert [5, 131.

Abb. 11. Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahme einer aus einem Kupfer-Kristall herausgearbeiteten, zur Haupt- gleitebene parallelen Folie, die die Versettungsstrange im Be- reich I1 der Verfestigungskurve zeigt. Die Versetzungen sind durch Neutronenbestrahlung unter Last verankert worden (aus [201).

Mit zunehmender Abgleitung wird die Dichte der Hinder- nisse groi3er und entsprechend die Dichte der Versetzungen. Hierauf ist der starke Verfestigungsanstieg im Bereich I1 ZU-

ruckzufuhren.

B e r e i c h I I I : Am Kopf der an den Hindernissen auf- gestauten Gruppen von Versetzungen entstehen hohe Schub- spannungen, die schliei3lich ausreichen, um das Quergleiten der Schraubenversetzungen zu erzwingen. Durch doppelte Quergleitung (Abb. 2) losen sich Versetzungen entgegen- gesetzten Vorzeichens zum Teil gegenseitig auf, und die Ver- setzungsdichte nimmt langsamer zu als im Bereich I1 und dementsprechend der Verfestigungsanstieg. Da die Quer- gleitung einen thermisch aktivierten Vorgang darstellt, nimmt die Anfangsschubspannung 2111 des Bereichs I11 mit abnehmender Temperatur zu. Da weiterhin bei diesem Vor-

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Page 7: Zusammenhänge zwischen makroskopischen Verformungsgrößen und mikroskopischen Vorgängen im Werkstoff

gang die Stapelfelder erst eingeschnurt werden mussen, ist die Aktivierungsenergie um so grofier, je groi3er die Stapel- fehlerweite q, je kleiner also die Stapelfehlerenergie y ist. Entsprechend den Zahlenangaben im Abschnitt iiber die Auf- spaltung von Versetzungen und Stapelfehlern ist somit bei Kupfer z111 bei Zimmertemperatur so hoch, dafi ein aus- gedehnter Bereich I1 besteht, wahrend bei Aluminium ZIII so klein ist, dafi der Bereich I fast nahtlos in den Bereich I11 iibergeht und der Bereich I1 erst bei tieferen Temperaturen ausgepragter wird.

N i c h t m i t t e l o r i e n t i e r t e K r i s t a l l e u n d V i e l - k r i s t a 1 1 e : Bei Kristallorientierungen hinreichend aui3er- halb des Bereichs der mittleren Orientierungen sind mehrere Gleitsysteme genau oder annahernd gleichberechtigt. Bei ihnen werden schon bei oder kurz nach der kritischen Schub- spannung Versetzungshindernisse gebildet ; entsprechend be- ginnt der Bereich 11, und es fehlt der Bereich I ganz oder nahezu. Wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, treffen diese Verhaltnisse fur die Korner von Vielkristallen zu. Bei den weiterhin betrachteten Vielkristallen kommt daher ihre Verfestigung, soweit sie den Anteil der Korner selbst be t r ia , in folgender Weise zustande: Die durch die Reaktionen der Gleitversetzungen entstehenden Hindernisversetzungen ver- kurzen mit zunehmender Verformung zunehmend den Lauf- weg der Gleitversetzungen, es bilden sich Versetzungsknauel, die Versetzungsdichte nimmt zu und nach G1. (2) entspre- chend die Zugspannung. In dem Mafie, wie die Quergleitung einsetzt, nehmen die Dichte der Versetzungen und die Span- nung langsamer zu.

EinfluO des Laufwegs der Versetrungen bei Vielkristallen

Festsetzungen

Betrachtet wird die wahre Fliefikurve, d. h. die Kurve fur die wahre Spannung a in Abhangigkeit von der wahren (logarithmischen) Dehnung E . Die Fliefigrenze wird allge- mein mit ay bezeichnet, falls erforderlich die untere Fliefi- grenze mit as, die 0,2 Oio-Flieflgrenze rnit a0,2 .

Bei reinen Metallen kommen gegenuber den Einkristallen die Korngrenzen als neuer Gefugebestandteil hinzu. Diese stellen Hindernisse fur die Gleitversetzungen dar, a n denen sie sich aufstauen, wie Abb. 12 zeigt.

Abb. 12. Elektronenrnikroskopische Durchstrahlungsaufnahme einer Folie aus nichtrostendem Stahl, die aufgestaute Gruppen von Versetzungen an einer Korngrenze zeigt (aus [21] nach [22]).

Allgemein gesprochen beschranken die Korngrenzen, wie alle Hindernisse, den Laufweg der Versetzungen. In diesem Sinne konnen auch Phasengrenzen wirken. Der Laufweg ist dann bestimmt durch die mittlere Abmessung der weichsten Phase, in der sich die Versetzungen zuerst bewegen. Diese Phase kann geloste Atome oder Ausscheidungen enthalten, so dafi sich im allgemeinen mehrere Einflusse uberlagern. Im folgenden werden diese Einflusse getrennt betrachtet. Die Wirkung eines Einflusses wird mit do bezeichnet und die Einflufigrofie durch einen Index gekennzeichnet.

Von Korngrenzen wird nur gesprochen bei reinen Metallen und bei Legierungen, bei denen eine Phase gegenuber den andern ein grofies Volumen einnimmt, wie z. B. bei den weichen Stahlen mit Ferrit-Kornern. Sonst wird vom (freien) Laufweg der Versetzungen gesprochen und jeweils angege- ben. durch welche Phase er bestimmt ist.

Kornanteil und Korngrenzenanteil

Die Wirkung der Korngrenzen auf die Fliefispannung wird durch die Hall-Petch-Beziehung

d u d = 0 - ui = k / l / ; t

dayd = aY - uYi = k Y / C ;

(3)

beschrieben. Fur die Flieflgrenze uy lautet sie

(3 a)

d bezeichnet die Korngrofie, und ui gibt den Kornanteil an. Fur eine unendlich grofie Korngrofle wird dud = 0, somit u = u i , d. h. fur eine solche Korngrofie wird das Gleiten nicht mehr durch die Korngrenzen beeinflufit. Mit der ohne Berucksichtigung des Bereichs I bestehenden Einkristall-Ver- festigungskurve z = z (a) hangt die Fliefikurve ui = ui ( e ) zusammen durch [4 b]

ai ( e ) = 3 z (a = 3 E ) . Der abgerundete Faktor 3 ergibt sich einerseits daraus, dai3 wegen der erforderlichen Anpassung des Gleitens in einem Korn an das in den Nachbarkornern schon bei der Fliefi- grenze Mehrfachgleitung stattfindet, und andererseits daraus, dai3 die in einem Korn resultierende Spannung uber alle Kornorientierungen zu mitteln ist. a = 3 E ist aus denselben Grunden die der Dehnung e entsprechende Abgleitung a. Vielfach wird uyi als Reibungsspannung bezeichnet, da sie vorwiegend durch thermisch aktivierte Vorgange bestimmt ist. Entsprechend GI. (4) zeigt ui dieselbe Abhangigkeit von der Dehnung E und von der Temperatur T wie die Schubspan- nung der Einkristall-Verfestigungskurve in den Bereichen I1 und 111, und das Versetzungsgefiige im Innern der Korner ist dasselbe, wie es fur diese Bereiche in vorhergehenden Ab- schnitten beschrieben worden ist. Aus Abb. 13 ist die Tem- peraturabhangigkeit von ai zu entnehmen. Der Umstand, dai3 in einer Vielkristall-Fliefikurve der geradlinige Be- reich I1 nicht so ausgepragt erscheint wie in einer Einkristall- Verfestigungskurve, ist u. a. darauf zuriickzufiihren, dai3 wegen E = a/3 der Bereich 111 schon bei einer verhaltnis- mafiig kleinen Dehnung beginnt. Der Einflufi von gelosten Atomen und von ausgeschiedenen Teilchen wirkt sich vorwie- gend auf den Kornanteil ai aus, gelegentlich auch auf den Korngrenzenanteil durch Veranderung der Eigenschaften der Korngrenzen. Im folgenden wird nur die erste Wirkung betrachtet, die zweite gegebenenfalls durch die experimen-

(4)

Chem.-lng.-Tech. 48. Jahrg. 1976 I Nr. 7 607

Page 8: Zusammenhänge zwischen makroskopischen Verformungsgrößen und mikroskopischen Vorgängen im Werkstoff

tellen Werte von k berucksichtigt. Wegen G1. (4) ist der erste Einflufl bei Einkristallen qualitativ gleich wie bei Viel- kristallen. In den spateren Kapiteln werden daher experi- mentelle Ergebnisse sowohl von Einkristallen wie von Viel- kristallen wiedergegeben.

Korngrone d [ m m l 1 0.25 0.1 0.04 0.02

10001 1 I I I t 1

5600 0

200

0 10 20 30 -3993.131 l I V i i Z G j z @ l / f i [ l l G l

Abb. 13. Untere Fliedgrenze US eines Stahls mit 0,11 Gew.-O/o C in Abhangigkeit von der reziproken Wurzel I /@ der Ferrit- Korngroie d bei den bezeichneten Temperaturen (aus [l] nach 1231).

Der Korngrenzenanteil dad ist proportional zu 1/a weil das Spannungsfeld in der Umgebung des Kopfes einer auf- gestauten Gruppe von Versetzungen proportional zu v i s t und weil dad an einer Quelle in einem Nachbarkorn einen festen Wert besitzen, also d a d m e i n e n festen Wert k an- nehmen mu& wenn das Gleiten von Korn zu Korn fort- gesetzt werden soll. Hieraus ergibt sich, dafl k qualitativ in gleicher Weise mit abnehmender Temperatur zunimmt wie die Flieflgrenze, wie ebenfalls aus Abb. 13 zu entnehmen ist. Allerdings spielt bei den weichen Stahlen fur die Zunahme bei tiefen Temperaturen eine Rolle, dai3 das Gleiten in zu- nehmendem MaBe durch die Zwillingsbildung abgelost wird.

Die Korngrenzen ubernehmen die Rolle von Hindernissen wie die Versetzungshindernisse in Einkristallen. Hieraus

Korndurchmesser d [mml 3.3 0.3 015 O.&l 0.029

300 N 0.25

0.20 0.15

E E z - Y

0 200 G? m 010 5

no75 5 c 3 c .. _ _ a. Ln 'D 0.06 &

0.04 100

u.u I 0.005

0 5 10 15 20 25 183993.14j l/YKorngror?e; l/@ r l / f i J

Abb. 14. Flieflspannung u von Kupfer bei Raumtemperatur fur die bezeichneten Dehnungen in Abhangigkeit von der reziproken Wurzel I / G d e r KorngroSe d (aus [l J nach [24]).

folgt, dafl ihr Einflui3 geringer wird und schliei3lich ver- schwindet, d. h. k + 0 gehen mu& wenn die Dehnung so grog wird, dai3 der Abstand der Versetzungshindernisse im Innern der Korner gleich oder kleiner wird als die Korn- grofle. Diese Folgerung ist, wie Abb. 14 zeigt, in Oberein- stimmung mit den Versuchsbefunden. Dann laflt sich der Verlauf der Vielkristall-Flieflkurve in gleicher Weise aus dem Laufweg der Versetzungen berechnen, wie der der Ein- kristall-Verfestigungskurve [ 251. Der Wiederanstieg der Flieflspannung bei groflen Dehnungen nach groflen Korn- groflen hin (Abb. 14), der formal negative Werte von k er- gibt, beruht auf besonderen Vorgangen in den Kornern [ 11, auf die hier nicht eingegangen werden kann.

Ein grundsatzlicher Unterschied in der Versetzungsanord- nung bei Ein- und Vielkristallen besteht somit nicht, wenn der Zusammenhang (4) in Betracht gezogen wird. Zahlen- maflig ist jedoch von Bedeutung, dafl an der Flieflgrenze und bei mittleren Dehnungen zusatzlich an den Korngrenzen aufgestaute Gruppen von Versetzungen bestehen, die die Flieflspannung gegenuber der der KZjrner selbst in der be- schriebenen, von der Korngrofle abhangigen Weise erhohen.

Eutektoidiscbe Stable als allgemeines Beispiel

Die Korngrofle ferritischer Stahle kann bis zu 20 pm herab- gesetzt werden. Diesem Wert entspricht eine Erhohung der Flieflgrenze um rund 300N/mm2 gegenuber der sehr grob- korniger Stahle. Eine um eine Groflenordnung hohere Fliei3- grenze konnte erreicht werden, wenn es gelange, die Korn- grofle auf 0,2 km zu verkleinern. Werte dieser Groi3enord- nung lassen sich erzielen bei eutektoidischen Stahlen. Die ,Korngrofle" bei diesen Stahlen stellt die mittlere Ferrit- lamellendicke dar, die sich durch geeignete Warmebehand- lung zwischen 1/10 und 1 pm verandern laflt. Sie ist das Mai3 fur den Laufweg L der Versetzungen. An Stelle von G1. (3) tritt dann allgemein die Gleichung

AUL = k d V T . (5)

Ein Beispiel zeigt Abb. 15. Die Zunahme der Flieflgrenze ordnet sich, unter Berucksichtigung von bestimmten, fur kleine Werte von L erforderlichen Erweiterungen, gut in den durch G1. (5) gegebenen Verlauf ein.

-0-

o r ' - 2 -3 -I, ' -1 -5 ' -6 I -1 I - a J

I g IA /cm I [el Abb. 15. Fliedgrenze uo.2 in Abhangigkeit vom LaUfweg L der Versetzungen, berechnet nach zwei erweiterten Gln. von GI. ( 5 ) (aus [ 2 6 ] , Medergebnisse fur die bezeichneten Stahle aus [27]); Streubereich der gemessenen Kurven von nahezu eutektoidischen Kohlenstoff- und Mangan-Stahlen 0,s bis 0,56 Gew.-% C, 0,74 bis 3,5 Gew.-O/o Mn.

608 Chem.-lng.-Tech. 48. lahrg. 1976 I Nr. 7

Page 9: Zusammenhänge zwischen makroskopischen Verformungsgrößen und mikroskopischen Vorgängen im Werkstoff

EinfluO geloster Atome

Geloste Atome treten in verschiedener Weise mit den Ver- setzungen in Wechselwirkung: durch ihr Spannungsfeld in- folge ihres von dem Halbmesser der Atome des Grundgitters verschiedenen Halbmessers, durch den von dem des Grund- gitters verschiedenen Schubmodul in ihrer Umgebung und durch elektrische Wechselwirkungen. Pauschal kann der Spannungsanteil Au, beschrieben werden durch die Be- ziehung [7 a]

Au, = a,G l 6 , ( 6 )

wobei c den molaren Mengenanteil bezeichnet. I n Abb. 16 ist diese Abhangigkeit fur verschiedene Temperaturen fur das System Cu/Sn dargestellt. Die Kurven sind temperatur- abhangig, da in der gesamten Spannung die thermisch akti- vierten Anteile iiberlagert sind. Aus Abb. 16 ist zu entneh- men, dai3 die Verlangerung der Tieftemperatur-Kurve zu den MeBergebnissen des Martensits fiihrt. Dieses Beispiel zeigt, daB Axc besonders bei den hohen Ubersattigungen, die infolge der raschen martensitischen Umwandlungen auf- treten, betrachtliche Werte annimmt.

0 Speidel und Warlimonl \ 2 I -speidel

. '_Y I

.LOO/ , -78% , +22%

Abb. 16. sits von

Sn-Gehall in Alom-%

FlieSgrenze uo.2 des a-MisAkristalls und des p-Marten- Kupfer-Zinn-Legierungen in Abhangigkeit von dem

Stoffmengengehalt an Zinn bei den angegebenenPruftemperaturen (aus [28]).

Bei den Zwischengitteratomen Kohlenstoff und Stickstoff im Eisen sind die Verhaltnisse verwickelt. Eine G1. (6) ent- sprechende parabolische Abhangigkeit do, ( c ) besteht nur bei sehr kleinen Konzentrationen. Bei groi3eren Konzen- trationen wird die Abhangigkeit wegen der Bildung kleiner Komplexe linear, wie Abb. 17 zeigt. Auch hierbei fiihrt die Extrapolation der Kurven zu den Werten des Kohlenstoff- Martensits [30]. Geloste Atome erhohen somit die FlieB- spannung infolge ihrer Wechselwirkung mit den Gleitver- setzungen, beeinflussen jedoch die bisher genannten Ver- setzungsanordnungen nicht unmittelbar.

EinfluB von ausgeschiedenen Teilchen

Teilchen setzen durch ihr Spannungsfeld einer Gleitverset- zung einen Widerstand entgegen. Entscheidend fur ihre Wirkung ist jedoch, wie sie sich verhalten, wenn eine Ver-

Chem.-lng.-Tech. 48. fahrg. 1976 I Nr. 7

setzung unmittelbar auf sie trifi. Wie in Abb. 18 schematisch dargestellt ist, biegt sich eine Versetzung zwischen zwei Teilchen zunachst durch, wobei ihre Flanken den Winkel @ einschlieBen. Sind die Teilchen weich, so werden sie schon bei einem groflen Wert von @ durchschnitten, wie Abb. 19 an einem Beispiel zeigt. Der Widerstand fur die weiteren Gleitversetzungen andert sich dann nicht mehr stark, d. h.

500

400 - N

E

5 300 u - 0 - - : 200 m E Y

100

1 L I I I I I 0 0.01 0 02 0 03

Gehalt an gelostem Kohlenstofl und Stickstoff [Gew-%l 183993111

Abb. 17. Kornanteil u . von weichen Stahlen in Abhangigkeit vom Massengehalt an gelosten Kohlenstoff- und Stidcstoff-Atomen bei den bezeichneten Priiftemperaturen (aus [29] nach [23]).

Y'..

4

I

Abb. 18. Verhalten einer Versetzung, die auf Teilchen verschie- dener Harte mit dem Abstand A trifi. a) weiche Teilchen, die bei @ > Oo durchschnitten werden; b) harte Teilchen, zwischen denen sich die Versetzung bei @ = Oo durchbiegt und Versetzungringe an den Teilchen zuriidrlaSt (aus [14]).

Abb. 19. Durchschnittene koharente y'-(Ni3Al)-Teilchen in einer NiCr (80/20) + 7,s Atom-O/o Al-Legierung. Teilchendurchmesser 0,12 pm, gegenseitige Verschiebung der Teilchenhllfien 200 b. So groSe Teilchen konnen nur durchschnitten werden, weil sie eine geordnete Struktur haben und sich die Versetzungen paarweise mit dazwischen sich befindlichen Antiphasenbereichen bewegen (aus [31]).

609

Page 10: Zusammenhänge zwischen makroskopischen Verformungsgrößen und mikroskopischen Vorgängen im Werkstoff

die Fliei3kurve Iauft annahernd parallel zu der des reinen Metalls bzw. des ubersattigten Mischkristalls (Abb. 20). Sind die Teilchen dagegen hart, so biegen sich die Versetzungen bis zu @ = 0 zwischen den Teilchen durch, wie ebenfalls in

183993201 Abgleitung

Abb. 20. Bei 4,2 K gemessene Verfestigungskurven von Ein- kristallen mit je derselben mittleren Orientierung von reinem Aluminium und von einer Aluminium/Kupfer-Legierung mit Guinier-Preston-Zonen. Die Kurven verlaufen annahernd parallel zueinander (aus [i’b]).

Abb. 18 dargestellt ist. In diesem Zustand hat Aa den groi3- ten Wert, der iiberwunden werden mui3 und den Flieflspan- nungsanteil dad bestimmt. Er wird als Orowan-Spannung bezeichnet und ist naherungsweise (genauere Gleichungen werden in [32] abgeleitet) gegeben durch

(7)

d bezeichnet den Abstand zwischen den Oberflachen der Teilchen in der Gleitebene. Die parallelen Versetzungsseg- mente haben entgegengesetztes Vorzeichen und losen sich wegen der zwischen ihnen bestehenden Anziehungskrafle gegenseitig auf. Es entstehen dann eine durchgehende Ver- setzung hinter den Teilchen und abgeschnurre ringformige Versetzungen um die Teilchen. Erstere bewegt sich weiter auf die nachsten Teilchen zu, an denen sich der Vorgang wiederholt. Die abgeschniirten Versetzungsringe haben zwei Wirkungen: der wirksame Teilchenabstand wird verkleinert, und die nachfolgenden Versetzungen stauen sich auf. Beide Umstande bewirken eine Vergroflerung von dun mit ZU- nehmender Verformung, d. h. die Fliei3kurve eines Werk- stoffs mit harten Teilchen zeigt eine mit zunehmender Deh- nung zunehmende Verfestigung gegenuber der Fliefikurve des ubersattigten Mischkristalls, wie in Abb. 21 dargestellt ist.

A o , ~ = a.1 G blA ;

AI+S Gm-%Cu Wne Ausscheldurrgen

f

o-o I Al+ 4 Gw.-%CU

grobe AusffheEdungen

I I 0 0,s 410 Ql5 W 825

183993.21) & Abb. 21. Beitrag dad feindisperser und grobdisperser Ausschei- dungen von nichtdurchschneidbaren Teilchen von zwei Alumi- nium/Kupfer-Legierungen in Abhangigkeit von der Dehnung E . Gegenuber der Fliefikurve fur die ubersattigten Mischkristalle tritt eine anfanglich rasch zunehmende Verfestigung auf, die nach GI. (7) fur die feinen Teilchen grofier ist als fur die groben (aus [7b]).

Im Laufe eines Ausscheidungsvorgangs, gegebenenfalls bei schrittweiser Erhohung der Auslagerungstemperatur, werden zuerst kleinere koharente Teilchen ausgeschieden, z. B. in Form von Guinier-Preston-Zonen, wie es bei dem Werkstoff von Abb. 20 zutrifft. Dann werden Teilchen grofler und schliefllich inkoharent. Da inkoharente Teilchen im allge- meinen nicht mehr durchschnitten, sondern umgangen wer- den, trbfft fur sie G1. (7) zu. Da weiterhin die Teilchen im Laufe des Ausscheidungsvorganges grofler werden (Einfor- mung, Koagulation) und gleichzeitig wegen der gegebenen Konzentration der Fremdatome ihr Abstand wachst, wird Ao,n nach GI. (7) kleiner. Ausgehend von koharenten durch- schneidbaren Teilchen wachst do,n mit zunehmender Teil- chengrofle zunachst an, erreicht dann aber bei einem kriti- schen Abstand der inkoharenten Teilchen einen Hochstwert, um dann mit zunehmender Einformung wieder abzunehmen. Beim kritischen Dispersionsgrad ist der Teilchenabstand von der Grofle einiger 10-6 cm.

Die Versetzungsanordnung ist hierbei infolge der Auf- stauungen an den Teilchen gekennzeichnet durch das Auf- treten von Knaueln hoher Versetzungsdichte, derin Lange und Abstand durch den Teilchenabstand bestimmt ist, wie Abb. 22 veranschaulicht. Es sei bemerkt, dai3 dieselben Ver- haltnisse bestehen, wenn harte Teilchen auf andere Weise in den Werkstoff gebracht werden, z. B. durch innere Oxida- tion, wie in Abb. 22, oder in Sintermetallwerkstoff en.

Abb. 22. Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahme einer dunnen Folie eines Kupfer-Einkristalls, in dem durch innere Oxidation nihtdurchschneidbare Si02-Teilchen erzeugt worden sind, nach einer bei Raumtemperatur erfolgten Dehnung E = 16 O/o.

Die Aufnahme zeigt die an den Teilchen entstehenden Versetzungs- strange (aus [33]).

Zusammenwirken der Einflusse

Abb. 23 veranschaulicht, wie in einem Werkstoff alle Ein- flusse zusammenwirken konnen. Fur die Flieflspannung kann geschrieben werden :

u = oyi + AO,L + A u , ~ + AU,A + Aa, , ( 8 ) In AO,L sei der Korngrofleneinflufl Aa,d mit eingeschlossen. Die Uberlagerung der Einflusse findet im allgemeinen nicht linear statt, da sich die Wirkungen gegenseitig beeinflussen, d. h. G1. (8) ist nur formal als Addition zu betrachten. Die Gleichung laflt aber erkennen, wie die Flieflspannung be- einfluflt werden kann. Allgemein kann gesagt werden, dafl die Flieflgrenze um so grofler ist, je groi3er der Widerstand

61 0 Chem.-1ng.-Tech. 48. lahrg. 1976 I Nr. 7

Page 11: Zusammenhänge zwischen makroskopischen Verformungsgrößen und mikroskopischen Vorgängen im Werkstoff

gelosles f reindotom \ Korngrenze I Versetzunq 0 Teilchen einer rweiten Phase

Abb. 23. sammenwirkenden Einfliisse auf die Fliei3kurve (aus [14]).

Schematische Darstellung der in einem Vielkristall ZU-

gegeniiber der Bewegung der ersten Gleitversetzungen ist, und die Festigkeit um so groger, je mehr wirksame Hinder- nisse vorhanden sind oder im Laufe der Verformung erzeugt werden, denn um so mehr stauen sich die Versetzungen an diesen Hindernissen auf und um so groi3er wird die Ver- setzungsdichte. In den martensit-aushartenden Stahlen und in den patentierten kalt nachgezogenen Stahldrahten werden Festigkeitswerte erreicht, die an die untere Grenze der Werte von Fadenkristallen heranreichen. Wahrend bei den letzte- ren die hohen Werte durch Annaherung an den fehlerfreien Kristall erreicht werden, werden sie bei den ersteren dadurch erzielt, dai3 hohe Versetzungsdichten erzeugt werden, die hohe Widerstande gegen die Bewegung der Gleitversetzun- gen bewirken.

Eingegangen am 5. Februar 1976 [B 39931

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Chem.-lng.-Tech. 48. lahrg. 1976 I Nr. 7 61 1