Andreas Boes, Tobias Kämpf
Offshoring und eine neue Phase der Internationalisierung von Arbeit
IG Metall
ITK-Arbeitskreis Rhein-Main
Betriebsrätenetzwerk ITK
Frankfurt, 23. November 2010
Boes/Kämpf: Offshoring … 2
Globalisierung – ein Thema mit großer Brisanz
� Im Zentrum der Internationalisierung von Arbeit standen bisher die industrielle Fertigung und Produktion
� Aktuelle Diskussion um „Offshoring“ deutet eine Trendwende an – auch hochqualifizierte Angestelltenarbeit gerät nun unter Globalisierungsdruck
� Startschuss: Studie von Forrester Research (Nov. 2002) prognostiziert Abwanderung von 3,3 Mio. Dienstleistungsjobs aus USA in Niedriglohnländer
� Vorstandsbeschlüsse in großen Unternehmen in 2003 machen Offshoring auch in Deutschland zum strategischen Thema: Siemens, SAP, DaimlerChrysler ...
� Aussicht auf Kostensenkungen und drohende Arbeitsplatzverluste forcieren das öffentliche Interesse – neue Standortdebatte
� Nach der Krise: Eine neue Welle des Offshoring zeichnet sich ab
� Im Zentrum steht der Angestelltenbereich, insbesondere …
... Software & IT-Dienstleistungen
... bestimmte Verwaltungstätigkeiten („shared services“)
... Forschung & Entwicklung („global engineering“)
Boes/Kämpf: Offshoring … 3
� Offshoring ist nur sichtbarer Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels
� Eine neue Entwicklungsphase beginnt. Sie ist geprägt durch
� Neue Phase der Globalisierung
� Standardisierung und neuen Typ der Industrialisierung von Kopfarbeit
� Neue Qualität der Entsicherung auch bei Angestellten und Hochqualifizierten
Offshoring ist nur die Spitze des Eisberges ...
Boes/Kämpf: Offshoring … 4
Agenda
� Eine neue Phase der Globalisierung – Die Globalisierung erreicht die Büros
� Zeitenwende für Hochqualifizierte – Auf dem Weg zu einer echten Lohnarbeit
� Arbeitsbeziehungen am Scheideweg – Neue Formen von Arbeitnehmerbewusstsein zwischen Ohnmacht und Solidarität
Boes/Kämpf: Offshoring … 5
Neue Phase der Globalisierung: Produktivkraftsprung als Basis
� Basis der Globalisierung 2.0 ist der Informationsraum: Informations-und Kommunikationsnetze bilden Basis für einen neuen globalen Handlungsraum
� Arbeit: Im Umgang mit digitalen Informationen ist global verteilte Arbeit möglich – „Kopfarbeit“gerät in den Sog der Globalisierung
� So entsteht eine neue Geographie der Wirtschaft:
� Weltunternehmen agieren global aus einem „Guss“
� Digitalisierbare Dienstleistungen können global erbracht werden
Boes/Kämpf: Offshoring … 6
Beispiel IGlobal Delivery Modell eines indischen IT-Dienstleisters
India: Head Quarter+ Factory
Western Europe: „Face to the Customer“
Eastern Europe:Nearshore Delivery Center
� Fokus auf eine „flache“ Welt� Konsequente Prozessorientierung� Kontinuierliche Lernschleifen
Boes/Kämpf: Offshoring … 7
USAUSAUSAUSA
IndiaIndiaIndiaIndia
GermanyGermanyGermanyGermany
HungaryHungaryHungaryHungaryBulgariaBulgariaBulgariaBulgaria
ChinaChinaChinaChina
IsraelIsraelIsraelIsraelCanadaCanadaCanadaCanada
Beispiel II
Global verteilte Software-Entwicklung
Integration über den Informationsraum
� Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände im Netz� Produktionsbegleitende Kommunikationssysteme� Controlling und Steuerung
Boes/Kämpf: Offshoring … 8
Beispiel III Forschung & Entwicklung: Auf dem Weg zum Global Engineering ?!
� Globales Entwicklungs-Netzwerk eines großen Technologiekonzerns
� Lern- und Suchprozesse in Richtung globaler Forschung & Entwicklung � Produktion als strategischer „Taktgeber“: Entwicklung „folgt“ der Produktion
� „Gekapselte“ Internationalisierungsmuster statt kollaborativer Netzwerke
� Globalisierung wird (bisher) nicht vom Leitbild Offshoring bestimmt: Wachstum und Markterschließung statt Verlagerung
Boes/Kämpf: Offshoring … 9
Agenda
� Eine neue Phase der Globalisierung – Die Globalisierung erreicht die Büros
� Zeitenwende für Hochqualifizierte – Auf dem Weg zu einer echten Lohnarbeit
� Arbeitsbeziehungen am Scheideweg – Neue Formen von Arbeitnehmerbewusstsein zwischen Ohnmacht und Solidarität
Boes/Kämpf: Offshoring … 10
„Neue Zeiten“ für Hochqualifizierte und Angestellte…
� Beschäftigten nehmen einen Umbruch wahr
� Globalisierung wird für Hochqualifizierte und Angestellte zur neuen Herausforderung � Arbeit in globalen Verweissystemen und Handlungsräumen
� „Weltmarkt für Arbeitskraft“ und die Drohkulisse „Globalisierung“
� … und komplementär erfahren sie grundlegende Veränderungen der Arbeit selbst � Standardisierung von Arbeitsinhalten und –prozessen …
� … bis hin zu einer „Industrialisierung neuen Typs“, die jenseits tayloristischerKonzepte die Kopfarbeit adressiert
� Neuer Umgang der Unternehmen mit den Hochqualifizierten und Angestellten: Verlust der bisherigen privilegierten Position im Unternehmen
� Häufig begleitet von einer tiefgreifende Erfahrung von Entwertung
Boes/Kämpf: Offshoring … 11
Neue Lohnarbeitserfahrungen: Experten erfahren sich als „normale“ Arbeitnehmer
� Neue Unsicherheit – Sorge um den Arbeitsplatz, statt zuversichtlicher Blick in die Zukunft� Personalabbau, permanente Reorganisation und Verlagerungen � sichtbarer Ausdruck
der „neuen Zeiten“� Erfahrung von Austauschbarkeit als Kern der neuen Unsicherheit� Zukunftsgewissheit geht verloren – „Prekarität ist überall“ (Bourdieu)
� Kulturwandel in den Unternehmen: „… alles wird irgendwie kälter und instrumenteller…“� Ökonomisierung der Unternehmenskulturen: „Zahlen statt Menschen“� Sinnverluste und Frustration auf Seiten der Beschäftigten
� Von der „Beschaulichkeit“ der Expertenrolle zum „System permanenter Bewährung“� Zugehörigkeit zum Unternehmen wird optional gestellt� Arbeit als permanente Bewährungsprobe: Täglich gilt es neu zu zeigen, dass man
es ‚verdient‘ hat, dazuzugehören
� „Austauschbarkeit“ wird zur neuen Erfahrung
Boes/Kämpf: Offshoring … 12
Agenda
� Eine neue Phase der Globalisierung – Die Globalisierung erreicht die Büros
� Zeitenwende für Hochqualifizierte – Auf dem Weg zu einer echten Lohnarbeit
� Arbeitsbeziehungen am Scheideweg– Neue Formen von Arbeitnehmerbewusstsein zwischen Ohnmacht und Solidarität
Boes/Kämpf: Offshoring … 13
Historischer Bruch in der Entwicklung der Interessenidentitäten der Hochqualifizierten
� In weiten Teilen der Angestelltenarbeit traditionell hegemonial � „Beitrags-orientierung“
� Sinnperspektive der Beschäftigten: als Hochqualifizierte Beitrag leisten zum Erfolg des Unternehmens
� Das soziale Gefüge des Unternehmens erscheint als Interesseneinheit bzw. Partnerschaft
� Befund 1: Erosion der Beitragsorientierung � Beitragsorientierung nicht mehr hegemoniale Interessenidentität
� Beitragsorientierung fast nur noch bei Führungskräften zu finden
� Befund 2: Ende der Beitragsorientierung führt zu Neuorientierungsprozessen bei den Hochqualifizierten � veränderte Szenerie in den Unternehmen � Historischer Bruch in der Entwicklung der Interessenidentitäten von Hoch-
qualifizierten: Neue Formen von Arbeitnehmerbewusstsein zwischen Ohnmacht und Solidarität
Boes/Kämpf: Offshoring … 14
Hochqualifizierte quo vadis?
� Lohnarbeitserfahrungen in neuer Qualität führen zu einem neuen Selbstverständnis vieler Hochqualifizierter: Man sieht sich auf dem Weg zu ‚normalen‘ Arbeitnehmern
� Aber � die empirischen Untersuchungen zeigen deutlich: kein linearer bzw. homogener Entwicklungs“sprung“, sondern offener sozialer Prozess zwischen zwei gegensätzlichen Polen…
� Manifeste Arbeitnehmer� Strömung, die die neue Identität, Arbeitnehmer zu sein, positiv anerkennt und zum Ausgangspunkt neuer Handlungsstrategien macht
� Arbeitnehmer wider Willen� die Erkenntnis, im Sinne eines kollektiven Abstiegs nun offensichtlich „nur“ Arbeitnehmer zu sein, wird zum Eingeständnis der eigenen Ohnmacht
Boes/Kämpf: Offshoring … 15
Arbeitsbeziehungen am Scheideweg
� Zwischen den Polen „Arbeitnehmer wider Willen“ und „manifeste Arbeitnehmer“existiert keine chinesische Mauer � künftige Entwicklung ist abhängig von der weiteren Dynamik der sozialen Auseinandersetzungen im Bereich hochqualifizierter Arbeit
� Arbeitsbeziehungen am Scheideweg� Negativszenario: Neue Ökonomie der Entwertung und Ohnmacht der Beschäftigten
� Positivszenario: Kultur der Solidarität - neue Qualität der Mitbestimmung und Handlungsfähigkeit
� Entwicklung einer neuen Kultur der Solidarität hängt von der Ausbildung einer produktiven Beziehung zwischen Gewerkschaften/Betriebsräten und diesen „neuen Arbeitnehmertypen“ ab
� Angestellte und Hochqualifizierte als strategische Zielgruppe von Gewerkschaften und Betriebsräten
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Weitere Informationen:
PD Dr. Andreas BoesISF München
Jakob-Klar-Str. 9, 80796 München+49 (0) 89 272921-0
http://www.globepro.de