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Die WTO -Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten?Author(s): Meinhard Hilf and Saskia HörmannSource: Archiv des Völkerrechts, 43. Bd., 4. H. (Dezember 2005), pp. 397-465Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40800127 .

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Abhandlungen

Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten?

Dr. iur. Meinhard Hilf Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und internationales

Wirtschaftsrecht an der Bucerius Law School, Hamburg* Saskia Hörmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bucerius Law School, Hamburg*

Stellt die WTO eine Gefahr für die Verwirklichung nationaler und inter- nationaler Menschenrechtsstandards1 dar? Diese Frage wird sowohl von vielen Entwicklungsländern und Least-Develop e d-Countries (LDCs), von Sonderorganisationen der UN, von NGOs, von Wissenschaftlern

* In den Fußnoten werden u.a. folgende Zeitschriften zitiert: American Journal of Inter- national Law (A.J.I.L.), American Society of International Law Proceedings (Am. Society of Int'l L. Proceedings), American University International Law Review (Am. U. Int'l L. Rev.), American University Journal of International Law & Policy (Am. U. J. Int'l L. & Pol'y), Boston College Third World Law Journal (B. C. Third World L.J.), Boston University Inter- national Law Journal (B.U. Int'l L. J.), Columbia Journal of Enviromnental Law (Colum. J. Envtl. L.), Connecticut Journal of International Law (Conn. J. Int'l L.), Cornell Internatio- nal Law Journal (Cornell I.L.J.), Duke Law Journal (Duke L. J.), Florida Journal of Interna- tional Law (Fla. J. Int'l L.), Georgia Journal of International and Comparative Law (Ga. J. IntT. & Comp. L.), Harvard Enviromnental Law Review (Harv. Envt'l L. Rev.), Harvard Human Rights Journal (Harv. Hum. Rts. J.), Harvard International Law Journal (Harv. Int'l L. J.), Human Rights Quaterly (Hum. Rts. Q.), Indiana Law Journal (Ind. L. J.), Internatio- nal Law (Int'l Law), The Journal of the American Medical Association (J. Am. Medical As- sociation), Journal of World Intellectual Property (J.W.I. P.), Leiden Journal of International Law (Leiden J. Int'l L), Michigan Journal of International Law (Mich. J. Int'l L.), Michigan Law Review (Michigan L. Rev.), Minnesota Journal of Global Trade (Minn. J. Global Trade), New York University Environmental Law Review (NYU Enviromnental Law Review), Southern California Law Review (S. Cal. L. Rev.), University of Pennsylvania Journal of In- ternational Economic Law (U. Pa. J. Int'l Econ. L.), Virginia Journal of International Law (Va. J. Int'l L.) 1 Hierzu gehören u.a. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 (AEMR), UN GA Res. 217[III], der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), BGBl. 1973 II, S. 1533 ff., und der Internationale Pakt über wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), BGBl. 1973 II, S. 1569 ff., beide jeweils vom 16.12.1966 sowie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989, BGBl. 1992 II, S. 121 ff.

Archiv des Völkerrechts, Bd. 43 (2005), S. 397-465 © Mohr Siebeck - ISSN 0003-892-X

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und sogar von einigen Industriestaaten nachdrücklich bejaht. Auf den ers- ten Blick scheint insoweit Einmütigkeit zwischen Parteien zu herrschen, die sich ansonsten eher nicht auf derselben Seite des Verhandlungstisches wiederfinden. Diese Harmonie löst sich bei näherem Hinsehen jedoch schnell auf, berufen sich die jeweiligen Gruppen doch auf verschiedene Sachverhalte und beklagen unterschiedliche Menschenrechtsgefährdun- gen. Hinzu gesellen sich deutliche Stimmen aus Wissenschaft und Politik, die in der WTO nicht das Problem, sondern die Lösung sehen und ihr die Eigenschaft zuweisen, nachhaltig zur Verwirklichung von Menschenrech- ten beizutragen.

War die WTO -Rechtsordnung zu Gründungszeiten noch in weiten Kreisen für menschenrechtsneutral gehalten worden, so spaltet nunmehr gerade die Frage, welche Auswirkungen die WTO -Rechtsordnung auf die Verwirklichung von Menschenrechtsstandards hat, die Weltgemeinschaft. Die WTO ist die einzige internationale Organisation, der es bislang ge- lungen ist, in relativ kurzer Zeit tiefe Emotionen zu wecken. Es gibt kaum jemanden, der sich mit Fragen der Globalisierung befasst und gleichzeitig der WTO neutral gegenüber steht. Während die einen die WTO zum Heilsbringer für internationale Menschenrechte emporheben, ist sie für die anderen der personifizierte Dämon, der imstande ist, selbst das in ei- nigen Entwicklungsländern spärlich vorhandene nationale Menschen- rechtsniveau zunichte zu machen. Wie kommt es, dass eine einzelne internationale Organisation derart

polarisiert? Die Antwort liegt auf der Hand: Die WTO besitzt aufgrund ihres verrechtlichten Streitbeilegungssystems2 sowie aufgrund der Aus- weitung des Anwendungsbereichs des Welthandelsrechts auch auf nicht- tarifäre innerstaatliche Handelshemmnisse eine Rechtsmacht, die vor ihr keiner anderen internationalen Organisation zuteil wurde. Dieses Poten- tial kann sie sowohl zugunsten als auch zulasten von Menschenrechten nutzen: zugunsten, sofern menschenrechtliche Belange im Rahmen der WTO-Rechtsordnung Beachtung finden, zulasten, sofern sich der Primat der Wirtschaft gegenüber kollidierenden Menschenrechten durchsetzt. Wie diese Rechtsmacht der WTO genutzt werden wird, ist derzeit nicht vollständig geklärt. Verkompliziert wird die Situation dadurch, dass ein großer Teil der Kri-

tik, die an der WTO aus unterschiedlichen Gründen geübt wird, fast im- mer auch unter der Überschrift ,Verstoß gegen Menschenrechte* firmiert, sei es irgendeine Benachteiligung von Entwicklungsländern im Rahmen der WTO, die gleich als Verstoß gegen internationale Menschenrechte an-

2 Jackson, The World Trading System, 2. Aufl., S. 85; Petersmann, The G ATT/WTO Dis- pute Settlement System, International Law, International Organisation and Dispute Settle- ment, 1997, S. 64.

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geprangert wird, oder sei es die Nichtaufnahme von Arbeits- und Sozial- standards in die WTO -Übereinkommen und damit die Gefahr eines „race to the bottom", die vor allem von der EG und den USA als menschen- rechtswidrig kritisiert wird. Auf der Grundlage dieser Kritik lassen sich die Beteiligten in bezug auf die Frage, welche Rolle die WTO in ihrer ge- genwärtigen oder auch künftigen Gestalt bei der Durchsetzung von Men- schenrechtsstandards spielen soll, von übersteigerten Erwartungen leiten. Während von Seiten der Entwicklungsländer eine weitreichende „Ent- wicklungsdimension" der WTO gefordert wird, wollen insbesondere die EG und die USA die WTO letztendlich durch eine Einbeziehung von Ar- beits- und Sozialstandards nach dem Vorbild der EG als eine internatio- nale Integrationsordnung gestalten, die weit über die eigentlichen Han- delsfragen hinausgreift. Diese übersteigerten Erwartungen an die WTO erschweren eine Erfassung ihres wirklichen Potentials und führen zu vielen Missverständnissen. Insoweit überrascht es nicht, dass trotz zahl- reicher Veröffentlichungen zu der Thematik der Menschenrechte immer noch in weiten Teilen ungeklärt ist, in welchem Umfang die gegenwärtige WTO -Rechtsordnung die Verwirklichung nationaler und internationaler Menschenrechtsstandards tatsächlich gefährdet. Dieser Beitrag untersucht, wie groß das Gefährdungspotential im Hin-

blick auf die Verwirklichung nationaler und internationaler Menschen- rechtsstandards tatsächlich ist (hierzu A.). Um die mögliche Rolle der WTO im Rahmen der Durchsetzung internationaler Menschenrechtsstan- dards klarer fassen zu können, wird darüber hinausgehend erörtert werden, wie und in welchem Umfang die WTO das Potential besitzt, im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen zur Förderung von Menschenrechten beizutragen und wie dieses Potential erhöht werden kann (hierzu B.). Auf der Grundlage der erzielten Ergebnisse wird das Verhältnis von WTO und Menschenrechten eine abschließende Einschätzung erfahren (C.).

A. Gefährdungspotential der WTO-Rechtsordnung

Das tatsächliche Gefährdungspotential der WTO-Rechtsordnung ergibt sich vor allem aus der Beantwortung der Frage, ob Kollisionen zwischen WTO -Rechts Verpflichtungen und menschenrechtlichen Belangen inner- halb der WTO-Rechtsordnung aufgelöst werden können und auch wer- den. Von entscheidender Bedeutung sind daher die rechtlichen und poli- tischen Bindungen, denen die WTO im Hinblick auf Menschenrechte unterliegt, und die Spielräume, die die WTO-Rechtsordnung für die Be- rücksichtigung derartiger menschenrechtlicher Belange eröffnet. Vorran- gig sollen daher die Möglichkeiten der Berücksichtigung von Menschen- rechten in der WTO-Rechtsordnung thematisiert werden.

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Die Gefahren im Zusammenhang mit den Auswirkungen der WTO- Rechtsordnung auf die Verwirklichung von Menschenrechten lassen sich grob unterteilen in solche, die sich auf den in einzelnen WTO -Mitglie- dern erreichten nationalen Menschenrechtsstandard beziehen (hierzu I.) und solche, die die Verwirklichung internationaler Menschenrechte zum Gegenstand haben (hierzu II).

I. Ausreichende Möglichkeiten zur Berücksichtigung innerstaatlich verbürgter Menschenrechte?

Eine unmittelbare rechtliche Bindung der WTO an Menschenrechte, wie sie - zumindest auf dem Papier - wohl in den Verfassungen der meisten WTO -Mitglieder verankert sind, ist ausgeschlossen. Sie ist eine völker- rechtliche Organisation. Dennoch ist ihr Handeln nicht frei von diesen verfassungsrechtlichen Bindungen. Zu unterscheiden ist hier zwischen der Frage einer Berücksichtigung von innerstaatlich verbürgten Men- schenrechten bei Abschluss der WTO -Übereinkommen (hierzu 1.) einer- seits und den Berücksichtigungsmöglichkeiten in den politischen Or- ganen der WTO (hierzu 2.) und in den Streitbeilegungsorganen der WTO (hierzu 3.) andererseits.

1. Berücksichtigung von nationalen Menschenrechten bei Abschluss der WTO -Übereinkommen

Im Rahmen der Aushandlung und dem Abschluss völkerrechtlicher Ver- einbarungen unterliegen die Staaten ihren innerstaatlichen Bindungen. Zu diesen zählt in rechtsstaatlich-demokratischen Verfassungsstaaten wie Deutschland die Wahrung der grundlegenden Strukturen der deutschen Verfassungsordnung, die durch Übertragungsakte nicht ausgehöhlt wer- den dürfen.3 Im Hinblick auf die im Grundgesetz verankerten Menschen- rechte bedeutet dies, dass ein dem Grundgesetz im wesentlichen ver- gleichbaren Schutz gewährleistet sein muss.4 Dem wird entsprochen, wenn eine dem Entwicklungsstand der internationalen Organisation ent-

3 BVerfGE 37, S.271 (279); BVerfGE 58, S. 1 (40); BVerfGE 73, S.339 (375 f.); vgl. Hilf, Treaty-Making and Application of Treaties in International Trade Law: The Case of Ger- many, in ders. /Petersmann (Hrsg.), National Constitutions and International Economic Law, 1993, S. 21 1 (214); ders., Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 40 (2003), S. 257 (264); Höbe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interde- pendent 1998, S. 144; Hörmann, § 3. Verfassungsrechtliche Grundlagen der WTO, in Hilf/ Oeter, WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, S. 37 ff.

4 BVerfG, DVB1. 2001, S. 1 130 Rn. 18 ; BVerfGE 102, S. 147 Rn. 56 it.; BVertGE 89, S. 155 (174 f.).

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sprechende Ausgestaltung der menschenrechtlichen Prinzipien gewähr- leistet ist.5 Dadurch wird aber nur ein Mindeststandard, jedoch kein mit dem Grundgesetz deckungsgleicher Menschenrechtsschutz garantiert.6 In ähnlich lautender Weise sind die US-amerikanischen Verfassungsorga- ne im Rahmen der Regelung auswärtiger Angelegenheiten an ihre Verfas- sung und die darin festgelegten Menschenrechte gebunden: So darf durch einen völkerrechtlichen Vertrag kein US-Bürger seiner verfassungsmäßig verbürgten Rechte, wie sie in der Bill of Rights verankert sind, beraubt werden.7 Auch hierbei handelt es sich aber nur um die Garantie eines Min- deststandards an Menschenrechtsschutz. Aus diesen Bindungen an die grundlegenden Strukturen der nationalen

Verfassungen kann jedoch der Schluss gezogen werden, dass die ausge- handelten und mit Ratifizierung der WTO -Übereinkommen eingegange- nen Verpflichtungen nicht generell im Widerspruch zum Wesensgehalt in- nerstaatlich verankerter Menschenrechte stehen können. Würde man der- artiges behaupten, hieße dies, einer Vielzahl von WTO -Mitgliedern zu unterstellen, beim Abschluss der WTO-Übereinkommen außerhalb ihrer verfassungsrechtlichen Spielräume gehandelt zu haben. Ein derartiges Szenario ist, gerade weil es sich bei diesen Mitgliedern um rechtsstaatlich- demokratische Verfassungsstaaten handelt, nicht vorstellbar.

2. Berücksichtigung von nationalen Menschenrechten in den politischen Organen der WTO

Doch die Wirkung nationaler Menschenrechtsstandards macht bei der a priori-Ausgestaltung der WTO -Verpflichtungen nicht Halt. Die natio- nalen Menschenrechte können darüber hinaus über die Vertreter der ver- fassungsrechtlich gebundenen WTO-Mitglieder in die politischen Orga- ne und Gremien der WTO hineingetragen werden. Begünstigt wird diese Form der Rückbindung des Handelns der WTO an die nationalen Verfas- sungswerte durch den der WTO eigentümlichen Charakter einer mem- ber-driven organization8. So kommen dem WTO -Sekretariat nur sehr eingeschränkte handelspolitische Kompetenzen zu. In den entscheiden- den Organen, der Ministerkonferenz und dem Allgemeinen Rat, sitzen ständige Vertreter aller WTO-Mitglieder. Dadurch ist das Handeln der

5 /fo^e, Fn. 3, S. 154 f. 6 BVerfG, DOV 2000, S. 957 (958) (T. Port). ' Reid v. Covert, 357 U.S., 1 (1957); vgl. auch Perez v. Brownell, 356 U.S. 44, 58 (1958): „The restrictions confining Congress in the exercise of any of the powers expressly delegated to it in the Constitution apply with equal vigor when that body seeks to regulate our rela- tions with other nations".

8 Vgl. die Selbstbeschreibung der WTO in dies., Understanding the WTO, 2003, S. 100: „(...) the WTO is a member-driven, consensus-based organization."

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WTO eng am politischen Willen ihrer Mitglieder orientiert.9 Verstärkt wird die Möglichkeit einer Ausrichtung des Handels der WTO im Ein- klang mit nationalen Menschenrechten durch das Konsensus-Verfahren, das grundsätzlich für die Entscheidungsfindung in den Organen der WTO gilt. Eine verbindliche Entscheidungsfindung gegen den erklärten Willen eines WTO-Mitglieds ist damit in der Regel nicht möglich.10 Wie stark menschenrechtliche Belange innerhalb der WTO in den politi-

schen Entscheidungsgremien Gehör finden, hängt damit maßgeblich vom Willen ihrer Mitglieder ab. Wenn es Handelsexperten, deren Augenmerk von vornherein vorrangig auf (außen)handelspolitischen Erwägungen liegt, von nationaler Seite aus ermöglicht wird, ungehindert von inner- staatlichen Kontrollmechanismen auf WTO -Ebene das Primat der Wirt- schaft zu verfolgen, werden menschenrechtliche Belange auf WTO-Ebene in den politischen Gremien kaum Berücksichtigung finden. In den poli- tischen Organen der WTO hängt die Berücksichtigung menschenrecht- licher Belange vor allem von den Weisungen der nationalen Regierungen ab. Wird eine stärkere Berücksichtigung nationaler menschenrechtlicher Belange für diese Gremien gefordert, sind Ansprechpartner damit in erster Linie die Regierungs Vertreter in den jeweiligen Staaten oder die diese kon- trollierenden Parlamente, nicht aber die WTO selbst. Das Gefährdungs- potential in den politischen Organen der WTO ist somit eher als gering einzuschätzen und wird sich nicht verwirklichen, solange die nationalen Parlamente und die heimische Zivilgesellschaft ausreichenden Einfluss auf die nationalen Regierungsvertreter ausüben.

3. Hauptgefahrenquelle für das nationale Menschenrechtsniveau: Die Streitbeilegungsorgane der WTO

In den Streitschlichtungsverfahren der WTO können nationale Men- schenrechte demgegenüber keine unmittelbare Berücksichtigung finden. Die Panel und der Appellate Body besitzen keine Kompetenz, nationale Menschenrechte der Streitparteien zu berücksichtigen. Der Dispute Settlement Body (DSB), der die Berichte der beiden vorgenannten Orga- ne annehmen muss, damit diese Rechtswirkungen entfalten können, ist zwar ein aus den Vertretern aller WTO -Mitglieder zusammengesetztes politisches Organ, so dass auf den ersten Blick eine mittelbare politische Bindungswirkung über die durch nationales Recht gebundenen Vertreter der WTO -Mitglieder möglich erscheint. Diese Möglichkeit wird jedoch durch das Entscheidungsverfahren des DSB zunichte gemacht: Die An-

9 Jackson, J.I.E.L. 4 (2001), S. 67 (72); Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III. Rn. 34.

10 Vgl. Art. IX:1 WTO -Übereinkommen.

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nähme der Panel- und Appellate Body-Berichte erfolgt nicht nach dem Konsensus-Verfahren, sondern es gilt das Prinzip des sog. .»umgekehrten Konsensus'.11 D.h. Panel- und Appellate Body-Berichte gelten als ver- bindlich angenommen, wenn sich nicht alle bei einer Sitzung anwesenden DSB-Mitglieder geschlossen gegen eine Annahme aussprechen. Der poli- tische Wille einzelner, ja selbst der Mehrheit der WTO-Mitglieder ist da- mit ohne Belang. Sehen folglich Streitparteien durch eine Entscheidung eines Panel oder des Appellate Body beispielsweise ihre nationalen Ge- sundheitsstandards als gefährdet oder verletzt an, haben sie kaum eine Chance, die Annahme der jeweiligen Berichte durch den DSB zu ver- hindern.

Gerade der gerichtsähnliche Streitschlichtungsmechanismus der WTO stellt daher eine Gefahrenquelle für die Verwirklichung von mit der Außenhandelsfreiheit oder dem geistigem Eigentum kollidierenden, na- tionalen Menschenrechten im Anwendungsbereich des WTO -Rechts dar. Halten die Streitbeilegungsorgane der WTO es nicht für gerechtfertigt, dass WTO-Mitglieder ihre WTO -Rechtsverpflichtungen zugunsten menschenrechtlicher Belange wie Leben oder Gesundheit einschränken, ist jedes WTO-Mitglied, das Adressat einer DSB -Entscheidung ist, völ- kerrechtlich verpflichtet, auf nationaler Ebene der Außenhandelsfreiheit oder dem geistigen Eigentum - also Belangen, die durch die WTO- Rechtsverpflichtungen abgesichert werden - den Vorrang vor kollidieren- den nationalen Menschenrechten zu gewähren. Nicht zu übersehen ist, dass starke völkerrechtliche Bindungen damit

zwangsläufig zu einer rechtlichen Bindung der Politik in diesem Bereich führen. Je stärker die Streitbeilegungsorgane der WTO diesen Gestal- tungsspielraum der nationalen Organe nachprüfen und die Wertung der nationalen Organe durch ihre eigene ersetzen, desto geringer wird der in- nerstaatliche politische Handlungsspielraum für die WTO-Mitglieder im Bereich des Außenhandelsrechts und des geistigen Eigentums. Sähen gleichzeitig die Streitbeilegungsorgane es als ihre Aufgabe an, vor allem die Durchsetzung der WTO -Rechtsverpflichtungen sicherzustellen, hätten kollidierende Menschenrechte das Nachsehen. Eine Gefahr, dass im An- wendungsbereich des WTO -Rechts den wirtschaftlichen Menschenrech- ten, denen in den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen - wenn überhaupt - nur ein geringer Schutz eingeräumt wird, der Vorrang vor ei- nem elementaren Menschenrecht wie demjenigen auf Gesundheit gegeben werden muss, ist hier somit gegeben.

11 Art. 16.4 S. 1 DSU für die Annahme der Panelberichte; Art. 17.14 DSU für die An- nahme von Berichten des Appellate Body.

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Inwieweit sich diese Gefahr tatsächlich in der Verletzung nationaler menschenrechtlicher Belange realisieren wird, hängt unter Zugrunde- legung dieser Überlegungen entscheidend von drei Faktoren ab:

1. Dem Spielraum, den die WTO -Übereinkommen den WTO-Mitglie- dern lassen, um innerstaatlichen Menschenrechten den Vorrang gegen- über Belangen zu geben, wie sie in den WTO -Rechts Verpflichtungen zum Ausdruck kommen.

2. Den Kontrollkompetenzen der Streitbeilegungsorgane bei der Über- prüfung von zulasten von WTO -Verpflichtungen getroffenen Ent- scheidungen nationaler Organe. Denn die Streitbeilegungsorgane der WTO haben zwar keine Kompetenz, nationale Menschenrechte in ih- ren Erwägungen zu berücksichtigen, sie können ihre Prüfungskompe- tenz jedoch so zurücknehmen, dass den nationalen Organen ein ausrei- chender Spielraum für eigene Wertungen verbleibt, so dass die Kompe- tenz, entstehende Kollisionen menschenrechtskonform aufzulösen, vorrangig bei den WTO -Mitgliedern verbleibt.

3. Den Berücksichtigungsmöglichkeiten internationaler Menschenrechte auf WTO -Ebene. Sind die Streitbeilegungsorgane im Rahmen ihrer Kontrolle der den WTO -Mitgliedern gewährten Spielräume an inter- nationale Menschenrechte gebunden, könnten diese die fehlende recht- liche Bindung an nationale Menschenrechte zu einem gewissen Teil ersetzen, so dass ebenfalls eine menschenrechtskonforme Auflösung entstehender Konflikte zwischen WTO -Rechtsverpflichtungen und Menschenrechten möglich wäre.

Diese Problematik wird insbesondere im Bereich des Gesundheitsschut- zes relevant, wenn WTO-Mitglieder zum Schutz der Gesundheit der ei- genen Bevölkerung Importverbote für gesundheitsgefährdende oder -

schädigende Produkte erlassen. Anhand dieses Beispiels sollen die beiden erstgenannten Faktoren nachfolgend untersucht werden. Zu dem genann- ten dritten Faktor wird unter II. Stellung genommen werden.

a) Ausreichende Spielräume der WTO-Übereinkommen zur Berücksichtigung des Menschenrechts auf Gesundheit?

Wird den WTO -Mitgliedern im Anwendungsbereich des WTO -Rechts ausreichend Gestaltungsspielraum zum Schutz des Menschenrechts auf Gesundheit belassen? Die Art. I, III und XI GATT verpflichten die WTO-Mitglieder zur Meistbegünstigung und Inländer(gleich)behand- lung. Sie verbieten grundsätzlich einseitige Importverbote.12 Diese Ver-

12 Ausf. Bender, § 9. Gatt 1994, in Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, S. 167 Rn. 27 ff.

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pflichtungen gelten jedoch nicht unbeschränkt. Vielmehr gibt es inner- halb der WTO -Rechtsordnung Ausnahmeklauseln, die es den WTO- Mitgliedern erlauben, von ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen unter den WTO-Übereinkommen abzuweichen. So erlaubt Art. XX GATT den WTO -Mitgliedern ausdrücklich in lit. b) Handelsbeschränkungen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen zu ergreifen. Unstreitig werden hiervon Handelsbeschränkungen erfasst, die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der eigenen Bevölkerung ergrif- fen werden, wie die genannten Importverbote für gesundheitsgefähr- dende oder -schädigende Produkte. Für gesundheitspolizeiliche Maß- nahmen formt das SPS-Übereinkommen die allgemeinen Anforderun- gen des Art. XX GATT speziell aus.13 Das SPS-Übereinkommen berechtigt die WTO -Mitgliedern, ein ange-

messenes gesundheitspolizeiliches Schutzniveau nach eigenem Belieben festzulegen.14 Voraussetzung für diesen Gestaltungsspielraum ist jedoch nach Art. 2.2 SPS, dass die gesundheitspolizeilichen Maßnahmen zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen notwendig sind, auf wissenschaftlichen Grundsätzen beruhen und nicht ohne hinreichen- den wissenschaftlichen Nachweis beibehalten werden. Für die Risikobe- wertung sollen sich die WTO -Mitglieder nach Art. 3.1 SPS auf internatio- nale Normen, Richtlinien und Empfehlungen stützen. Ihnen bleibt es nach Art. 3.3 SPS jedoch freigestellt, ein gegenüber internationalen Stan- dards höheres Schutzniveau zu wählen. Art. 5.1 bis 5.3 enthalten eine Rei- he von Faktoren, die im Rahmen der Risikobewertung Beachtung finden müssen, sofern ein WTO-Mitglied ein solches höheres Schutzniveau an- strebt.15 In Anhang A Ziff. 4 zum SPS-Übereinkommen ist für die Risiko- bewertung für Gefahren, die von Nahrungsmitteln für die menschliche Gesundheit herrühren festgelegt, dass lediglich die möglichen schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen nachgewiesen werden müssen. Nach Art. 2.2, 5.6 SPS darf die Maßnahme nicht handelsbeschränkender

als notwendig sein. Das Notwendigkeitserfordernis wird in einer Fußnote erläutert. Danach darf einem WTO-Mitglied keine andere, weniger han-

13 Allgemein hierzu Gehring/Jessen, §21. Gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutz- rechtliche Maßnahmen, in Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthan- dels, 2005, S. 363 ff. 14 Vgl. den ersten Erwägungsgrund des SPS-Übereinkommens sowie Ziff. 5 des Anhangs A zum SPS-Übereinkommen; hierzu EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT/DS26, 48/R, angenommen am 13.2.1998, paras. 165, 172; Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, WT/DS18/AB/R, angenommen am 6.11.1998, para. 199. 15 Vgl. hierzu ausf. Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation (WTO), Die WTO und das SPS-Übereinkommen im Lichte von Wissenschaft, Verrecht- lichung und Harmonisierung, 2004, S. 1 14 ff.

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delsbeschränkende gesundheitspolizeiliche Maßnahme unter vertretba- ren technischen und wirtschaftlichen Bedingungen zur Verfügung stehen, durch die sich das als angemessen erachtete Schutzniveau erreichen lässt. Schließlich müssen die WTO -Mitglieder nach Art. 5.5 i.V.m. Art. 2.3

SPS sicherstellen, dass die handelsbeschränkende Maßnahme keine will- kürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen den Mitglie- dern bewirkt oder zu einer verschleierten Beschränkung des interna- tionalen Handels führt. Derartige Auswirkungen können insbesondere willkürliche oder ungerechtfertigte Unterschiede im Schutzniveau für un- terschiedliche aber vergleichbare Situationen, d.h. in bezug auf die Sub- stanz und die von ihr möglicherweise ausgehende Gesundheitsgefähr- dung, haben.16 Betrachtet man den Wortlaut des Art. XX lit. b) GATT und der Art. 2, 3

und 5 des SPS-Übereinkommens, wird den WTO -Mitgliedern ein gewis- ser Gestaltungsspielraum zum Schutz ihrer Bevölkerung vor gesundheit- lichen Gefahren gewährt. Innerhalb dieses Gestaltungsspielraums sind sie jedoch verpflichtet, die Beschränkung des Imports aufgrund gesundheitli- cher Gefahren wissenschaftlich und rechtlich nachvollziehbar zu begrün- den. Allein die Behauptung eines WTO -Mitglieds, ein Produkt sei ge- sundheitsgefährdend, reicht nicht aus. Der politische Gestaltungsspiel- raum des nationalen Gesetzgebers wurde somit erheblich verrechtlicht.

b) Zurückgenommene Kontrollkompetenzen der WTO -Streitbeilegungsorgane? Wie weit dieser nationale Gestaltungsspielraum tatsächlich noch ist, hängt entscheidend von der Kontrolldichte der WTO -Streitbeilegungsorgane ab, die diese für sich in Anspruch nehmen. Die Streitbeilegungsorgane der WTO haben bereits mehrfach Handelsbeschränkungen, die zum Schutz der Gesundheit der eigenen Bevölkerung erlassen worden waren, für WTO-rechtswidrig erklärt. Beispielsweise befand der Appellate Body ein Importverbot der EG für hormonbehandeltes Fleisch als nicht vereinbar mit Art. 3.3 und 5.1 SPS, weil es weder auf internationale Standards noch auf eine angemessene Risikobewertung auf wissenschaftlicher Grundlage gestützt worden war.17 Und auch ein restriktives Einfuhrverbot Japans gegenüber den USA für Äpfel aus anderen Staaten als Oregon und Was- hington zum Schutz vor Feuerbrand hielt der Appellate Body für unver- einbar mit Art. 5.1 SPS aufgrund nicht ausreichender Risikobewertung. Zusätzlich stellte er einen Verstoß gegen Art. 2.2 SPS fest, weil das Im-

16 Vgl. Australia - Salmon, (Fn. 14), paras. 239 f. " te- Hormones, {tn. 14J; Vgl. hierzu eggers, üuz.w 1^8, 5. 14/ tt.; zum vorangegan- genen Panel-Bericht Hilf/ Eggers, EuZW 1997, S. 559 ff.

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portverbot in keinem Verhältnis zu dem geringen Übertragungsrisiko ge- standen habe.18 Es wird daher geltend gemacht, die Streitbeilegungsor- gane schränkten den politischen Entscheidungsspielraum nationaler Or- gane zur Verfolgung eines angemessenen Gesundheitsniveaus zugunsten außenhandelspolitischer Belange zu weitgehend ein.19 Die Kontrolldichte steht in engem Zusammenhang mit dem Selbstver-

ständnis dieser Organe. Daher sollen zunächst die Aufgabe, die den Streitbeilegungsorganen in der WTO -Rechtsordnung zukommt, näher konkretisiert werden. Der erste Erwägungsgrund des SPS-Übereinkom- mens macht diese Aufgabe besonders deutlich: Einerseits soll durch die WTO -Übereinkommen kein WTO -Mitglied daran gehindert werden, „Maßnahmen zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Men- schen, ... zu treffen". Andererseits sollen derartige Maßnahmen jedoch kein „Mittel zur willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen die gleichen Bedingungen herrschen, oder eine verschleierte Beschränkung des internationalen Handels darstel- len."20 Der Appellate Body versteht die einschlägigen SPS-Normen als Verbot von Maßnahmen, die eine willkürliche und ungerechtfertigte Dis- kriminierung zwischen den WTO -Mitgliedern hervorrufen.21 Den Streitbeilegungsorganen der WTO wird somit die Aufgabe zuteil, Maß- nahmen, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt sind, von solchen Handelsbeschränkungen zu unterscheiden, die lediglich un- ter dem Deckmantel eines solchen gemeinwohlfördernden Ziels firmie- ren. Sie müssen den ,Wolf im Schafspelz* finden. Damit die Streitbeile- gungsorgane diese Aufgabe erfüllen können, bedürfen sie ausreichender Kontrollbefugnisse. Dabei ist sich der Appellate Body des Spannungsverhältnisses, in dem

die Streitbeilegungsorgane sich im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgabe befinden, bewusst: Bei der vorgenommenen Kontrolldichte muss das sorgfältig ausbalancierte Gleichgewicht zwischen den dem DSB übertra- genen Überprüfungskompetenzen und den bei den WTO -Mitgliedern verbliebenen Rechtsetzungskompetenzen eingehalten werden.22 Was be-

18 Japan - Measures Affecting the Importation of Apples, WT/DS245/AB/R, angenom- men am 10.12.2003, insbes. paras. 203, 209, 221. 19 Z.B. Orford, Trade, Human Rights and the Economy of Sacrifice, Jean Monnet Wor- king Paper 03/2004, S. 20.

¿v Vgl. auch den ersten und dritten Erwägungsgrund der Präambel zum WTO-Uberein- kommen, die zweite Begründungserwägung zum GATT, die zweite und vierte Begrün- dungserwägung zum GATS sowie die erste Begründungserwägung zum TRIPS; hierzu v. Bogdandy, Verfassungsrechtliche Dimensionen der Welthandelsordnung, 2. Teil: Neue Wege globaler Demokratie?, Kritische Tustiz 2001, S. 426 (430 f.). 21 EC - Hormones, fFn.14i.oara. 177.

22 EC - Hormones, (Fn. 14), para. 115.

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deutet dies für den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten im Anwen- dungsbereich des SPS-Übereinkommens?

In bezug auf die Risikobewertung hat der Appellate Body den Maßstab dahingehend konkretisiert, dass die WTO -Mitglieder auf einer ausrei- chenden wissenschaftlichen Grundlage nachweisen müssen, dass über- haupt eine Gefahr für die menschliche Gesundheit aufgrund eines konkre- ten Stoffes eines Nahrungsmittels möglich ist.23 Dieser Nachweis dürfe auch auf einer Mindermeinung, die einer qualifizierten und anerkannten Quelle entstammt,24 oder auf Risikobewertungen von anderen Mitglie- dern oder Internationalen Organisationen25 beruhen. Schließlich muss die Risikobewertung auf der Grundlage der in Art. 5 Abs. 2 SPS genannten in- haltlichen Faktoren für jede einzelne Substanz hinreichend erfolgt sein und die Gefahr muss konkret benannt, qualifiziert sowie quantifiziert wer- den.26 Ist eine Handelsbeschränkung auf eine derartige Risikobewertung im Sinne einer zweckmäßigen Verbindung gestützt, hat ein Panel keine Be- fugnis, seine eigene Bewertung im Hinblick auf die Möglichkeit des Vorlie- gens einer derartigen Gesundheitsgefahr an die Stelle der Wertung des WTO-Mitglieds zu setzen.

Der Schwerpunkt der Untersuchung des Appellate Body liegt auf dem wissenschaftlichen Nachweis einer möglichen Gesundheitsgefahr. Das rationale Kriterium der Wissenschaftlichkeit ermöglicht es hier, protek- tionistische Maßnahmen von legitimen Zielen des Gesundheitsschutzes zu unterscheiden, ohne zu stark in den Gestaltungsspielraum des Gesetz- gebers einzugreifen. Insgesamt schafft ein derartiges Vorgehen eine Ver- sachlichung von Handelskonflikten. Ob dem nationalen Gesetzgeber je- doch ein ausreichender Gestaltungsspielraum verbleibt, hängt im We- sentlichen davon ab, wann Panel eine Risikobewertung für ausreichend erachten müssen und inwieweit sie die Tatsachenfeststellungen nationaler Organe überprüfen. Könnte ein Panel die Risikoanalyse nationaler Or- gane sowohl in tatsächlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht vollständig überprüfen, würde es letztlich seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen der nationalen Organe setzen.27 Art. 11 DSU bestimmt, dass die Panel eine objektive Beurteilung der

Angelegenheit vornehmen müssen. Dazu gehört dieser Norm zufolge so- wohl eine objektive Beurteilung des Sachverhalts als auch die Anwendbar- keit sowie die Überprüfung der Vereinbarkeit der handelsbeschränkenden Maßnahme mit den einschlägigen WTO -Übereinkommen. Eine objektive

23 Vgl. hierzu Makatsch, (Fn. 15), S. 172; Gehring/ 'Jessen, (Fn. 13), S. 363, Rn. 18 ff. 24 EC - Hormones, (Fn. 14), para. 194. 25 EC - Hormones, (Fn. 14), para. 190. 26 EC - Hormones, (Fn. 14), paras. 201. 27 Charnovitz, Int. Lawyer 32 (1998), S.901 (913); Eblermann/ Lockhart, J.I.E.L. 7

(2004), S. 491 (495 ff).

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Beurteilung des Sachverhalts setzt jedoch voraus, dass die Streitschlich- tungsorgane nicht an die Tatsachenentscheidungen der nationalen Behör- den gebunden sind.28 Zu einer objektiven Sachverhaltsbeurteilung gehört vielmehr die Pflicht, die vorgelegten Beweise zu berücksichtigen und auf dieser Grundlage zu Tatsachenfeststellungen zu kommen.29 Das Panel hat nachzuprüfen, ob die Entscheidung des WTO-Mitglieds auf einer aus- reichenden wissenschaftlichen Grundlage beruht.30 Hierzu bedarf es je- doch besonderer wissenschaftlicher Kenntnis. Es wird daher geltend ge- macht, dass Panel diese Aufgabe gar nicht ordnungsgemäß wahrnehmen könnten, weil sie als Ökonomen und Juristen nicht in der Lage seien, an- hand von komplexen wissenschaftlichen Studien die Schädlichkeit be- stimmter Lebensmittel zu beurteilen.31 Hier wird jedoch übersehen, dass die Panel - ebenso wie nationale Richter - sich gemäß Art. 11.2 SPS bei wissenschaftlichen und technischen Fragen von Sachverständigen beraten lassen können, die im Einvernehmen mit den Streitparteien ausgewählt worden sind. Dabei darf ein Panel jedoch nur das Beweismaterial zu Tat- sachen anfordern, das inhaltlich prima facie von den Parteien in das Ver- fahren eingebracht worden ist.32 Auch hier ist das Panel somit an das Vor- bringen der Parteien gebunden. Die Panel überprüfen darüber hinaus we- der die wissenschaftlichen Daten, auf denen die SPS-Maßnahme beruht, noch ersetzen sie die Risikobewertung der nationalen Organe durch eine eigene.33 Insgesamt ist die Kontrolldichte der Panel im Bereich der Risikobewer-

tung sehr weitreichend. Sie müssen Tatsachenfeststellungen, sofern sie von den WTO -Mitgliedern zur Rechtfertigung ihrer handelsbeschrän- kenden Maßnahmen vorgebracht werden, umfassend nachprüfen. Den- noch kann hierin keine zu starke Beschränkung der nationalen Organe ge- sehen werden. Dieser Prüfungsmaßstab ist nur der Nachweis einer mög- lichen Gefahr. Dieser Maßstab ist also von vornherein eher gering. Dass die mögliche Gefahr wissenschaftlich belegt sein muss, ist ein notwendi- ges Mindesterfordernis, das es den Streitbeilegungsorganen erlaubt, pro- tektionistische Maßnahmen von gerechtfertigten Maßnahmen zu trennen. Es wird dennoch geltend gemacht, die Vorgaben des SPS-Übereinkom-

mens seien in Fällen problematisch, in denen eine potentielle Gefährdung unter wissenschaftlicher Unsicherheit bestehe, da das SPS-Übereinkom-

28 Vgl. hierzu EC - Hormones, (Fn. 14), para. 119. ^ EC - Hormones, (Fn. 14), para. 133. 30 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Complaint by Cana- da, WT/DS48/R/CAN, angenommen am 13.2.1998 in der vom Appellate Body modifizier- ten Form, para. 8.104. 31 Makatsch, (Fn. 15), S. 175; Hughes, Geo. Int'l Envt'l L. R. 10 (1997/1998), S. 915 (927); Christof orou, NYU Environmental Law Review 8 (2000), S. 622 (635 f.). 32 Japan -Agricultural Products. (Fn. 37), para. 129 33 Makatsch,(Fn. 15), S. 197.

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men den positiven wissenschaftlichen Nachweis fordere, dass eine Gefahr für die menschliche Gesundheit gegeben ist.34 Für Fälle, in denen ein aus- reichendes wissenschaftliches Beweismaterial nicht vorliegt, sieht Art. 5 Abs. 7 SPS jedoch die Möglichkeit vor, zeitlich befristet und auf der Grundlage der verfügbaren einschlägigen Angaben Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Hierbei muss sich das WTO -Mitglied weiterhin um eine ausrei- chende Risikobewertung bemühen und nach einer gewissen Zeit die SPS- Maßnahme überprüfen.35 Das SPS-Übereinkommen führt somit nicht dazu, dass das Menschenrecht auf Gesundheit hinter außenhandelspoli- tischen Belangen zurückzustehen hat. Ganz im Gegenteil wird ihm der Vorrang gewährt, solange bis eine mögliche Gesundheitsgefährdung aus- geschlossen werden kann. Die Verpflichtung der WTO -Mitglieder, sich weiterhin um eine ausreichende Risikobewertung zu bemühen, trägt dem berechtigten Interesse der Importeure Rechnung, SPS-Maßnahmen nur solange erdulden zu müssen, bis ein gesundheitliches Risiko und damit eine Gefahr für das Menschenrecht auf Gesundheit ausgeschlossen ist. Im Hinblick auf die Frage, wann eine Maßnahme als notwendig zu qua-

lifizieren ist, hat der Appellate Body festgestellt, dass die nationale Maß- nahme geeignet und erforderlich sein muss, um das eigenverantwortlich gewählte Schutzniveau zu erreichen.36 D.h. es darf keine andere, gegen- über der erlassenen Maßnahme mildere handelsbeschränkende Maßnah- me geben, die unter vertretbaren technischen und wirtschaftlichen Bedin- gungen das Schutzniveau in gleicher Weise erreicht.37 Die Notwendigkeit einer Maßnahme prüft der Appellate Body in Abhängigkeit von der je- weiligen Maßnahme unterschiedlich.38 Sofern eine handelsbeschränkende Maßnahme unabdingbar ist, um ein besonders wichtiges Schutzgut zu er- reichen, geht er grundsätzlich von der Notwendigkeit dieser Maßnahme aus. Leistet die Maßnahme demgegenüber nur einen Beitrag zur Errei- chung des Schutzziels, betrachtet er die Bedeutung des Schutzgutes, die Bedeutung des Beitrags, den die Handelsbeschränkung zur Durchsetzung des Schutzziels leistet, sowie den Umfang der handelsbeschränkenden Wirkung der Maßnahme.39 Je größer dabei der Beitrag der Handelsbe-

34 Makatsch, (Fn. 15), S. 141; Quintilldn, J.W.T. 33 (1999), S. 147 (147); ähnlich Scott, On Kith and Kine (and Crustaceans), in Weiler (Hrsg.), The EU, the WTO and the NAFTA, 2000, S. 125 (157). 35 Vgl. hierzu Japan - Agricultural Products, (Fn. 37), para. 89. 30 Vgl. ausführlich Makatsch, (Fn. 15), S. 163 tt.

J/ Australia - balmon, {tn. 14;, para. 1V4; Japan - Measures Airecting Agricultural rro- ducts, WT/DS76/AB/R, angenommen am 19.3.1999, para. 123. J8 Korea - Measures Affecting Imports ot Fresh, Chilled and Frozen üeei, W 1/DMbl, 169/AB/R, angenommen am 10.1.2001, paras. 162 ff. zu Art. XX lit. g) GATT. Derselbe Maßstab gilt auch bei Art. 2.1, 5.6 SPS.

39 Korea - Beef, (Fn.38), paras. 162 f. Vgl. hierzu Bender, Domestically Prohibited Goods, WTO-Rechtliche Handlungsspielräume bei der Regulierung des Handels mit im Exportland verbotenen Gütern zum Umwelt- und Verbraucherschutz, i. E., § 3 A. III. 3. f.;

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schränkung zur Erreichung des Schutzziels ist, je geringer ihre handelsbe- schränkende Wirkung ist und je wichtiger das Schutzziel ist, desto eher fasst der Appellate Body eine handelsbeschränkende Maßnahme als not- wendig auf.40

In dieser Prüfung wurden Ansätze einer Prüfung anhand des Verhält- nismäßigkeitsprinzips ausgemacht.41 Sofern die Prüfung des Appellate Body jedoch tatsächlich als Verhältnismäßigkeitsprüfung qualifiziert wer- den müsste, wäre damit gleichzeitig eine zu starke Einschränkung des Ge- staltungsspielraums des nationalen Gesetzgebers und damit eine Ge- fährdung des nationalen Menschenrechts auf Gesundheit festgestellt. Es erscheint zunächst paradox: Einerseits wird eine starke Bindung von in- ternationalen Organisationen an rechtsstaatliche Grundsätze und Prin- zipien gefordert. Andererseits verkehrt sich gerade das Verhältnismäßig- keitsprinzip, eine der wesentlichen rechtstaatlichen Errungenschaften, um die Menschenrechte des Einzelnen vor einer zu starken Einschrän- kung von Seiten des Staates zu schützen, auf WTO-Ebene in sein Gegen- teil: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird zu einer Gefahrenquelle. Die- se rechtliche Situation tritt deshalb ein, weil das Verhältnismäßigkeits- prinzip hier nicht zum Schutz von Menschenrechten eingesetzt wird, sondern zum Schutz von WTO -Verpflichtungen. Eine große Prüfungs- dichte der Streitbeilegungsorgane der WTO anhand des Verhältnismäßig- keitsprinzips führt dadurch zu einer starken Einschränkung des Gestal- tungsspielraums nationaler Organe, wenn diese menschenrechtlichen Be- lange den Vorrang gegenüber WTO -Verpflichtungen geben wollen. Je mehr Prüfungskompetenz die Streitbeilegungsorgane für sich in An- spruch nehmen, desto geringer wird der politische Gestaltungsspielraum zugunsten menschenrechtlicher Belange, deren Förderung in Wider- spruch zu WTO-Recht stehen. Eine wirkliche Verhältnismäßigkeitsprüfung findet durch den Appell-

ate Body bislang jedoch nicht statt. Vielmehr berücksichtigen die Streit- beilegungsorgane die bei den WTO -Mitgliedern verbliebenen Rechtset- zungskompetenzen und belassen den WTO -Mitgliedern in weiten Teilen ihre Regelungsautonomie.42 So bleibt den WTO -Mitgliedern von vorn-

Neumann/Tuerk, Necessity Revised, Proportionality in WTO Law after EC - Asbestos, in Nettesheim/Sander (Hrsg.), WTO-Recht und Globalisierung, 2003, S. 103 (117). 40 Neumann, Die Koordinierung des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ord- nungen, Konflikte des materiellen Rechts und Konkurrenzen der Streitbeilegung, 2002, S. 446 ff.; Saito, Yardsticks for „Trade and Environment", Economic Analysis of the WTO Panel and the Appellate Body Reports Regarding Environment-oriented Trade Measures, Jean Monnet Working Paper 14/2001, S. 76.

41 Puth, (WTO und Umwelt, Die Produkt-Prozess-Doktrin, 2003), S.324f.; Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO -Rechtsmittelinstanz, 2005, S. 278; Epiney, DVBl. 2000, S. 77 (83); Hilf/Göttsche, in: Griller (Hrsg.), 2003, S. 5 (23); Tietje, EuR 2000, S. 285 (291); Hohmann, RIW 2000, 88 (96). 42 So auch v. Bogdandy, (Fn. 20), S. 425 (432).

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herein die Entscheidung über das Niveau ihres Gesundheitsschutzes überlassen.43 Auch ein vollständiges Importverbot als ,zero risk level of protection' wird als grundsätzlich zulässig angesehen.44 Darüber hinaus vollziehen die Streitbeilegungsorgane keine wertende Verhältnismäßig- keitsprüfung im engeren Sinne - das eigentliche Kernstück des Verhält- nismäßigkeitsprinzips. Es findet keine Abwägung zwischen den durch die WTO -Verpflichtungen geschützten Interessen an einem ungestörten Außenhandel und dem mit der Handelsbeschränkung gewährleisteten Menschenrecht auf Gesundheit statt. Sofern ein WTO -Mitglied als Schutzniveau ein zero risk level anstrebt, wird ein Importverbot in der Regel immer unabdingbar sein, um dieses Schutzniveau zu erreichen.45 Hier ist selbst die Notwendigkeitsprüfung reduziert. Leistet die Maß- nahme demgegenüber nur einen Beitrag zur Erreichung des Gesund- heitsschutzes, gewichtet der Appellate Body zwar die bereits genannten Elemente. Diese Ermittlung des jeweiligen Gewichts des Schutzgutes, des Beitrags, den die Handelsbeschränkung zur Förderung des Schutz- ziels leistet und der handelsbeschränkenden Wirkung der Maßnahme ist jedoch nicht Gegenstand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne, auch wenn bei dieser regelmäßig zunächst das jeweilige Gewicht des Schutzgutes ermittelt wird.46 Der Appellate Body bedarf vielmehr dieser weitergehenden Informationen, um die Notwendigkeitsprüfung ausreichend durchführen zu können. Um eine möglicherweise mildere und gleich geeignete Maßnahme ermitteln zu können, muss zunächst ge- klärt sein, welchen Beitrag die angewandte Handelsbeschränkung zum Schutz des Menschenrechts leistet und wie stark sie den Außenhandel be- schränkt. Liegt zudem kein ausreichendes Gesundheitsrisiko vor, fehlt es bereits an dem Schutzgut, so dass eine handelsbeschränkende Maßnahme von vornherein nicht als geeignet betrachtet werden kann, dieses Schutz- gut zu gewährleisten. Zusammengef asst kann auch im Hinblick auf die Prüfung der Notwen-

digkeit festgestellt werden, dass die Streitbeilegungsorgane nicht mehr als unbedingt notwendig in die Regulierungskompetenzen der WTO -Mit- glieder eingreifen.47 Sie nehmen keine eigene Bewertung im Hinblick auf das verfolgte Schutzniveau vor und reduzieren ihre Kontrollbefugnis auf eine reine Notwendigkeitsprüfung. Das SPS-Übereinkommen und die konkretisierende Streitbeilegungs-

praxis belassen dem nationalen Gesetzgeber somit einen ausreichenden Gestaltungsspielraum, um dem Schutz des Menschenrechts auf Gesund-

43 EC - Hormones, (Fn. 14), paras. 165, 172. 44 EC - Hormones, (Fn. 14), paras. 1 86, 124 f. ; Australia - Salmon, (Fn. 14), para. 125. 45 M*&*£sdb,(Fn.l5),S.166. 46 So auch Bender, (Fn. 39), € 3 A. III. 3. f.) bb) (1). 47 So auch Howse, Michigan Law Review 98 (2000), S. 2329 (2330).

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heit Rechnung zu tragen. Es wurde mit dem SPS-Übereinkommen ein an- gemessener Ausgleich zwischen dem Erfordernis, nachteilige Auswir- kungen nationaler Maßnahmen auf den internationalen Handel auf ein Mindestmaß zu beschränken, und dem Wunsch der WTO -Mitglieder, weiterhin einen ausreichenden Entscheidungsspielraum zur Verfolgung eines in eigener Verantwortung festgelegten gesundheitlichen Schutzni- veaus zur Verfügung zu haben, gefunden. Darüber hinaus hat eine gewisse Verrechtlichung der legislativen Entscheidungsfindungsprozesse auch positive Effekte für die nationale Ebene: Die politischen Entscheidungs- prozesse werden rationaler und justiziabler. Für Deutschland ist dieses Phänomen bekannt. Hier ist der Gesetzgeber schon von Verfassungs we- gen verpflichtet, kollidierende Rechtsgüter und Interessen gerichtlich nachvollziehbar miteinander abzuwägen und eine verhältnismäßige Lö- sung zu suchen.

4. Exkurs: Gefährdung nationaler Menschenrechte der Arbeit?

Zu klären ist, ob die WTO -Rechtsordnung - wie teilweise behauptet wird - das Schutzniveau von sog. Menschenrechten der Arbeit gefährdet. Insbe- sondere Industriestaaten, allen voran die EG und die USA, machen gelten, die fortschreitende Handelsliberalisierung weiche die heimischen Arbeits- und Sozialstandards auf, die Ausdruck der Menschenrechte der Arbeit seien, und führe aufgrund des durch die Entwicklungs- und Schwellenlän- der erzeugten Wettbewerbsdrucks zu einem sog. race to the bottom.48 Den Entwicklungs- und Schwellenländern wird damit der Vorwurf des Sozial- dumpings gemacht. Durch niedrige Arbeits- und Sozialstandards würden sie sich einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen WTO -Mitgliedern mit höheren Standards verschaffen. Diese Wettbe- werbsvorteile seien der Grund für Handelseinbußen und führten zu einer Abwanderung arbeitsintensiver Wirtschaftszweige.49 In letzter Konse- quenz begünstigten sie ein Auseinanderdriften der ärmeren und reicheren Bevölkerungsschichten.50 Um ein Absinken der heimischen Sozialstan-

48 Vgl. hierzu Reich, U. Pa. J. Int'l Econ. L. 25 (2004), S. 321 (322, 350 f.); Meng, Interna- tional Labour Standards and International Trade Law, in Benvenisti/ Noite (Hrsg.), The Wei- fare State, Globalization, and International Law, 2004, S. 371 ff. 49 Leary, Workers' Rights and International Trade: The Social Clause (GATT, ILO, NAFTA, U.S. Laws), in Bhagwati/Hudec (Hrsg.), Fair Trade and Harmonization, 1996, Bd. 2, S. 177 (183 ff.); Macklem, JIEL 5 (2002), S. 605 (623 f.); Stern, Labor Standards and Trade, in Bronckers/ Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, 2000, S. 425 (425). 50 Weiss/de Waart, International Economic Law with a Human Face: An Introductory Review, in Weiss/ Deniers/ de Waart (Hrsg.), Towards an International Economic Law with a Human Face, 1998, S. 2; vgl. zu dieser Problematik Puth, § 33. WTO und Sozialstandards, in Hilf/Oeter, WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, S. 637.

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dards zu verhindern, wollen viele Industriestaaten diese Wettbewerbsvor- teile durch geeignete handelspolitische Maßnahmen ausgleichen (level the playing field). Für derartige Maßnahmen eröffne die WTO -Rechtsord- nung jedoch zu wenig Spielraum.51 Aus der aktuellen politischen Diskussion in Deutschland ist das Argu-

ment des durch wirtschaftliche Globalisierung erzeugten Wettbewerbs- drucks als Rechtfertigung für ein Absenken des Schutzes von Arbeits- und Sozialstandards wohl bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, dass ein tatsächlicher Kausalzusammenhang zwischen einer Liberalisierung des Welthandels einerseits und eines Wettbewerbsdrucks auf das Schutzni- veau nationaler Arbeits- und Sozialstandards andererseits bislang empi- risch nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte.52 Die Bedeutung un- terschiedlicher Arbeits- und Sozialstandards relativiert sich insbesondere vor dem Hintergrund der vielen weiteren Faktoren, die für die internatio- nale Wettbewerbsfähigkeit eines Produkts, eines Unternehmens oder ei- ner ganzen Branche relevant sind. So spielen für die Wettbewerbsfähigkeit eines Produktes letztlich die Gesamtproduktionskosten pro Einheit die entscheidende Rolle. Wegen häufig höherer Produktivitätsraten in In- dustriestaaten liegen diese trotz unterschiedlicher Arbeitskosten jedoch oft nahe beieinander.53 Für die Standortwahl eines Unternehmens sind ne- ben den Arbeitskosten auch die Infrastruktur und die Rechtssicherheit von Bedeutung. Wollte man allein unterschiedliche Arbeits- und Sozial- standards zum Anknüpfungspunkt einer Aussetzung von Verpflichtun- gen unter der WTO -Rechtsordnung machen, müsste zudem selbst die EG gegenüber den USA handelspolitische Maßnahmen ergreifen, da in diesen beiden Industriestaaten ebenfalls ein sehr unterschiedliches Niveau an Ar- beits- und Sozialstandards vorherrscht. Mit diesen Überlegungen soll ein Kausalzusammenhang zwischen der

fortschreitenden Handelsliberalisierung und dem Wettbewerbsdruck auf nationale Arbeits- und Sozialstandards jedoch nicht vollständig negiert werden. Ganz im Gegenteil, auf der Grundlage der der WTO zugrunde liegenden theoretischen Überlegungen muss ein solcher Kausalzusam- menhang sogar bestehen - nur nicht in dem von manchen Industriestaaten geltend gemachten Ausmaß: So basieren die Liberalisierungsgrundsätze der WTO auf den klassisch- wirtschaftsliberalen Freihandelstheorien von Adam Smith, David Ricardo una John Stuart Mills. 5A Grundgedanke die- ser Theorien ist, dass sich jedes Land auf die Produktion derjenigen Güter

51 Stern, (Fn. 49), 2000, S. 425 (425). 52 Stern, (Fn. 49), 2000, S. 425 (429). M Macklem, JIEL 5 (2002), S. 605 (625); Puth, (Fn. 50), S. 637 Kn. 10. D^ Ausi, òtar batty, JJie englischen Klassiker der JNationaioKonomie, ivöd, 5. i n.; naus-

sherr, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl., 1970, S. 325 ff.; Overbeek, Free Trade ver- sus Protectionism, 1999, S. 29 ff.

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spezialisiert, bei denen es im Vergleich zu den Handelspartnern einen ab- soluten oder komparativen55 Kostenvorteil hat.56 Diese Freihandelslehre liegt insbesondere den WTO -Prinzipien der Nichtdiskriminierung und der Meistbegünstigung zugrunde.57 Die Folge einer Liberalisierung der Handelsströme ist, dass die Industriestaaten in Wirtschaftszweigen, in de- nen sie weder einen absoluten noch einen komparativen Vorteil haben, nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Dazu zählen gegenwärtig insbesondere Produktionen in Industriestaaten, die sehr arbeitsintensiv sind, ohne dass für die Herstellung der Produkte ein spezielles Fachwissen erforderlich ist. Hier kann es auch zu einer Verlagerung der Produktionsstätten kommen. Eine pauschale Gefährdung der Arbeits- und Sozialstandards durch eine generelle Infragestellung der Wettbewerbsfähigkeit eines Industriestaates aufgrund nicht wettbewerbsfähiger hoher Arbeits- und Sozialstandards ist bisher allerdings weder eingetreten noch steht sie zu befürchten. Betrach- tet man die Wirtschaftskraft der Industriestaaten, ist diese im Zuge der Handelsliberalisierung der letzten Jahre vielmehr stetig gewachsen. Um die Folgen einer zu schnellen Liberalisierung für bestimmte Wirtschafts- zweige abzumildern, sehen die einzelnen WTO-Übereinkommen teilweise zudem Übergangsf risten vor. Zusätzlich kann jedes WTO -Mitglied wett- bewerbsschwache Industriezweige, die durch unvorhergesehene, erhöhte Einfuhren ernsthaft geschädigt werden, vorübergehend abschotten, indem es auf der Grundlage von Art. XIX GATT Schutzmaßnahmen ergreift.58 Im Ergebnis kann daher nicht von einer generellen Gefährdung natio-

naler Menschenrechte der Arbeit, wie sie in einfachgesetzlichen Arbeits- und Sozialstandards konkretisiert sind, durch die WTO -Rechtsordnung gesprochen werden.

II. Ausreichende Möglichkeiten zur Berücksichtigung internationaler Menschenrechte?

Fraglich ist, ob die WTO -Rechtsordnung auch internationalen Men- schenrechten ausreichend Raum belässt. Welthandelsrecht und interna- tionale Menschenrechte waren lange Zeit als völlig unterschiedliche

55 Das Theorem des komparativen Kostenvorteils wurde von Ricardo begründet, ders., Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung, 1980, S. 107 ff.; vgl. hierzu Krugmann/Obstfeld, International Economics, 5. Aufl., 2000, S. 1 1 ff. 56 Starbatty,), S. 7; Haussherr, (Fn. 54), 1970, S. 283; Overbeek, (Fn. 549, 1999, S. 36. 57 Vgl. WTO, (Fn. 8), S. 12 f.; Jackson, (Fn.2), S. 14 ff.; Tietje, Grundlagen und Perspek- tiven der WTO-Rechtsordnung, in Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003, A. II. Rn. 8 ff.; Weiß/Herrmanny Welthandelsrecht, 2003, Rn. 18 ff.

58 Vgl. auch das Übereinkommen über Schutzmaßnahmen, das die Tatbestandsvorausset- zungen konkretisiert; hierzu Bender, in Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, § 13 Rn. 2 ff.

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Rechtsmaterien angesehen worden. Das GATT 1947 und zunächst auch die WTO entwickelten sich vollkommen isoliert vom UN-System. Auch die Wissenschaft befasste sich lange entweder nur mit internationalem Handelsrecht oder nur mit internationalen Menschenrechten. Eine Ver- bindung zwischen beiden Rechtsbereichen wurde nicht gesehen, obwohl sich beide teilweise ähnlichen Problemen widmeten.59 Die Verbindung zwischen Welthandel und Menschenrechten drängte sich nicht auf, weil sich unter dem GATT 1947 noch relativ wenig rechtliche Schnittstellen ergaben: Während unter dem GATT 1947 aufgrund des tarif ären Charak- ters der eingegangenen Verpflichtungen wenig Potential für Zielkonflikte zwischen multilateralen Handelsverpflichtungen und Menschenrechts- verpflichtungen bestand, hat sich die Lage mit Inkrafttreten der WTO- Übereinkommen jedoch grundlegend verändert: Die Freihandelsprinzi- pien sind über den Bereich des Warenhandels u. a. auf die Bereiche Dienst- leistungen (GATS), geistiges Eigentum (TRIPS) und handelsverbundene Investitionsmaßnahmen (TRIMS) ausgedehnt worden. Hauptgegenstand der heutigen Handelspolitik ist nicht mehr der Abbau von Zöllen, son- dern der Abbau zollfremder Handelshemmnisse. Diese werden teilweise aus Handelserwägungen heraus, teilweise aber auch auf der Grundlage handelsfremder Überlegungen, etwa - wie gesehen - aus Erwägungen des Gesundheitsschutzes oder anderer menschenrechtlicher Belange, erlas- sen. Durch diese sowohl intensive als auch extensive Ausdehnung der Freihandelsprinzipien hat sich jedoch nicht nur die Gefahr möglicher Zielkonflikte vervielfacht. Gleichzeitig ist darüber hinaus die Kompetenz zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit derartiger Maßnahmen im Anwen- dungsbereich des WTO-Rechts von den Organen der WTO -Mitglieder zu den Streitbeilegungsorganen der WTO verschoben worden. Je stärker die Kompetenzen der WTO im Rahmen der Doha-Handelsrunde zu- künftig ausgeweitet werden, desto größer wird die Gefahr möglicher Ziel- konflikte, desto mehr werden gleichzeitig die Kompetenzen der Streitbei- legungsorgane der WTO wachsen und desto geringer wird der Gestal- tungsspielraum des nationalen Gesetzgebers werden. Hält man sich dieses Szenario vor Augen, wird deutlich, wie wichtig es ist, dass der Schutz kol- lidierender Menschenrechte in ausreichendem Maße auf WTO-Ebene sichergestellt ist. Die Problematik möglicher Zielkonflikte erfährt insbesondere da-

durch eine Verschärfung, dass die Durchsetzbarkeit von Freihandels- prinzipien und wirtschaftlichen Rechten mit der Unterwerfung aller WTO -Mitglieder unter den gerichtsähnlichen Streitbeilegungsmecha-

59 Wai, EJ.I.L. 14 (2003), S. 35 (43); Howse/ Mutua, Protecting Human Rights in a Global Economy, Challenges for the World Trade Organization, 2000, abrufbar unter www. ichrdd.ca, S. 16 (Stand: 15.8.2005), S. 3.; Ochoa, B. C. Third World L.J. 23 (2003), S. 57 (91).

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nismus und seine Zwangsmittel verstärkt worden ist, während völker- rechtlich definierte und gewährte Menschenrechte immer noch grund- sätzlich einer lediglich beschränkten politischen Durchsetzbarkeit un- terliegen.60 Insoweit gilt: „We live in a world where it is more serious to break trade rules than it is to violate human rights"61. Die Befürchtung, dass im Falle von Kollisionen zwischen WTO -Rechts Verpflichtungen und Menschenrechten wirtschaftsrechtliche Verpflichtungen auf Kosten von Menschenrechten durchgesetzt werden, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen; es sei denn, die WTO ist an internationale Menschen- rechte gebunden (hierzu 1.) und diese Menschenrechte finden auch in ausreichendem Maße bei der Auflösung von Zielkonflikten auf WTO- Ebene Berücksichtigung (hierzu 2.).

1. Bindung der WTO an internationale Menschenrechte

Im Hinblick auf eine Bindung der WTO an internationale Menschenrech- te ist zu unterscheiden zwischen der Frage nach den grundsätzlichen völkerrechtlichen Bindungen der WTO und der Problematik, inwieweit derartige Bindungen in den politischen Organen der WTO und in den Streitbeilegungsorganen der WTO Berücksichtigung finden können.

a) Generelle Überlegungen zu einer rechtlichen Bindung der WTO an internationale Menschenrechte

Das in den WTO-Übereinkommen verankerte Welthandelsrecht ist zwar kein in sich geschlossener, die Welthandelsbeziehungen ausschließlich re- gelnder Normenkomplex (sog. self-contained regime). Es stellt - ganz im Gegenteil - eine Teilrechtsordnung des Völkerrechts dar, die in den allge- meinen völkerrechtlichen Kontext eingebettet ist und diesen beachten muss.62 Die Frage der materiell-rechtlichen Bindung der WTO an internatio-

nale Menschenrechte lässt sich dennoch nicht leicht beantworten. Denn zum einen sind Inhalt und Umfang der auf völkerrechtlicher Ebene beste- henden Menschenrechte äußerst umstritten und zum anderen enthalten

60 Vgl. hierzu Koh, Ind. L. J. 74 (1999), S. 1397 (1398 f.); Henkin, Ga. J. Int'L. & Comp. L. 25 (1996), S. 31 (41); Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz - Vom Anspruch zur Durchsetzung, in Koenig/Lorz (Hrsg.), Die Universalität der Menschenrechte, 2003, S. 105 ff.

61 Allmand (Präsident von Rights & Democracy), zitiert in Rights & Democracy (Hrsg.), Human Rights and the Free Trade Area of the Americas, Backgrounder v. 20.3.2001. 62 Hilf J.I.E.L. 4 (2001), SAU tí; Jackson, (Fn.2), S.25; Pauwelyn, A.J.I.L. 94 (2000), S. 335 (336); ders., A.J.I.L. 95 (2001), S. 535 (538); McRae, J.I.E.L. 3 (2000), S.27 (28); Wain- cymer, Mich. J. Int'l L. 18 (1996), S. 141 (179); anders nur Hippler Bello, A.J.I.L. 90 (1996), S. 416 (417).

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die WTO -Übereinkommen weder in ihrer Präambel noch in den jeweili- gen Vertragstexten einen ausdrücklichen Verweis auf Menschenrechte. Aus einer Zusammenschau der Staatenpraxis und der ihr zugrunde lie-

genden Rechtsüberzeugung, die vor allem in multilateralen Menschen- rechtsverträgen, -erklärungen und Resolutionen zum Ausdruck kommt, lässt sich aber zumindest ein Mindeststandard an Menschenrechten herlei- ten, zu dessen Gewährleistung alle Staaten völkergewohnheitsrechtlich verpflichtet sind und der als sogenannte erga omnes -Verpflichtung der ge- samten Staatengemeinschaft geschuldet ist. Hierzu gehören jedenfalls das Sklavereiverbot, das Verbot der Folter, das Recht auf Leben, die elementare körperliche Unverletzlichkeit und grundlegende Garantien der Sicherheit der Person.63 Zum überwiegenden Teil wird dieser völkergewohnheits- rechtliche Menschenrechts-Mindeststandard als zwingendes Völkerrecht (ius cogens) angesehen.64 Zwingendes Völkerrecht geht auch den WTO- Übereinkommen vor. Nach Art. 53 Satz 1 WVK, der als lediglich kodifi- ziertes Völkergewohnheitsrecht auch für die WTO gilt, ist Völkerver- tragsrecht nichtig, das im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu ius cogens steht. Eine Verletzung dieses völkergewohnheitsrechtlichen Menschenrechts-Mindeststandards durch Normen der WTO -Überein- kommen ist jedoch bislang von niemandem nachgewiesen worden. Es sind auch kaum Zielkonflikte zwischen WTO -Handels Verpflichtungen und diesen elementaren Menschenrechtsgarantien vorstellbar. Eine Kollision von WTO -Rechtsverpflichtungen mit ius cogens dürfte auch deshalb weitgehend ausgeschlossen sein, weil der menschenrechtliche Mindest- standard, der vielen WTO -Mitgliedern durch ihre nationalen Verfassun- gen auferlegt wird, weit über den ius-cogens-Verpflichtungen liegt. Von größerer Relevanz könnten jedoch die von den WTO -Mitgliedern

abgeschlossenen völkerrechtlichen Menschenrechtsverträge sein.65 Die WTO-Mitglieder haben eine Reihe von völkerrechtlichen Verträgen ab- geschlossen, die auf den Schutz des Menschen vor staatlicher Willkür und

63 Teilweise mit unterschiedlicher Nennung Heintschel von Heinegg, Die völkerrecht- lichen Verträge als Hauptrechtsquelle, in Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Auflage, 1999, § 15, Rn. 55 ff.; Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz, Vom Anspruch zur Durchsetzung, in Koenig/Lorz (Hrsg.), Die Universalität der Menschenrechte, 2003, S. 105 (Ulf.); Peters- mann, E.J.I.L. 13 (2002), S. 621 (634); zum Begriff der erga omnes-Verpflichtungen vgl. je- weils die obiter dicta des IGH, Barcelona Traction, ICJ-Reports 1970, para. 33; United States Diplomatie and Consular Staff in Teheran, ICJ-Reports 1980, paras. 38-42; Faßbender, EuGRZ2003,S.l(6f.). 64 Heintschel von Heinegg (Fn. 63), Rn. 59; Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 320; Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, 2001, S. 356 Anm. 113.

65 Hierzu gehören u. a. der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), BGB1. 1973 II, S. 1533 ff.; der Internationale Pakt über wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), BGBl. 1973 II, S. 1569 ff., beide jeweils v. 16.12.1966; sowie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes v. 20.1 1.1989, BGBl. 1992 II, S. 121 ff.

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vor die Menschenwürde verletzenden wirtschaftlichen und sozialen Ver- hältnissen zielen.66 Beispielsweise sind 1 19 der 148 WTO-Mitglieder Ver- tragsstaaten des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)67. 120 der 148 WTO-Mitglieder haben den Internatio- nalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)68 und alle - mit Ausnahme der USA - die Konvention über das Recht des Kindes ratifiziert.69 Diese Menschenrechtsübereinkommen beschränken das Handeln der an sie völkerrechtlich gebundenen Staaten im Interesse des Einzelnen.70 Welche Konsequenzen lassen sich aus diesen völkerrechtlichen Men-

schenrechtsbindungen des Großteils der WTO-Mitglieder für das Han- deln der WTO selbst ableiten? Ist auch diese an die Menschenrechtsver- pflichtungen ihrer Mitglieder gebunden? Nach dem allgemeinen völker- rechtlichen Prinzip von Treu und Glauben (good faith)71 ist davon auszugehen, dass die Staaten bei der Aushandlung der WTO -Überein- kommen alle bereits eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen berücksichtigt haben und diese Verpflichtungen auch unter dem neu zu schaffenden Vertragssystem einhalten wollen (presumption of confor- mity).72 Eine Verletzung oder Umgehung von völkerrechtlichen Men- schenrechtsverpflichtungen durch die durchsetzbare Liberalisierung des Welthandels unter der WTO -Rechtsordnung kann somit nicht als von den Vertragsparteien gewollt unterstellt werden. Wenn es jedoch der Wille der überwiegenden Mehrzahl der WTO-Mit-

glieder ist, ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen auch unter der WTO -Rechtsordnung nachkommen zu können, muss die WTO-Rechts- ordnung Möglichkeiten für ihre Mitglieder vorsehen, von den WTO- Rechtsverpflichtungen zugunsten kollidierender internationaler Men-

66 Ob darüber hinaus die AEMR teilweise bereits als verbindliches Völkergewohnheits- recht angesehen werden kann (so Kimminich /Höbe, Einführung in das Völkerrecht, 7. Auf- lage 2000, S. 343), oder inwieweit die sog. Menschenrechte der dritten Generation völker- rechtlich anerkannt sind (hierzu Marks, Harv. Hum. Rts. J. 17 (2004), S. 137 ff.), soll auf- grund der strittigen Rechtslage in diesen Bereichen nicht erörtert werden. Diese möglichen völkerrechtlichen Menschenrechtsbindungen finden in den folgenden Ausführungen keine Beachtung. 67 Nicht ratifiziert wurde der IPbpR von der Volksrepublik China.

68 Nicht ratifiziert wurde der IPwskR von den USA und Südafrika. w Wobei Hongkong, Macau und Taiwan, die als eigenständige WTO-Mitglieder geführt

werden, über China gebunden sind. /u In der anlässlich der UN-Menschenrechtskonferenz von 171 Staaten am 25.6.1993 an-

genommenen Wiener Erklärung wird betont: „... it is the duty of States, regardless of their political, economic and cultural systems, to promote and protect all human rights and funda- mental freedoms", UN-Dok. A/CONF. 157/23, Rn. 5.

71 Art.26WVK. 72 Marceau, E.J.I.L. 13 (2002), S. 753 (804); Francioni, Environment, Human Rights and

the Limits of Free Trade, in ders. (Hrsg.), Environment, Human Rights and International Trade, 2001, S.I (22 f.).

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schenrechte abzuweichen. Dass die WTO -Rechtsordnung derartige Spielräume vorsieht, sei bereits hier festgestellt. In welchem Umfang sie bestehen, wird unter 2. näher beleuchtet werden.

b) Möglichkeiten einer Berücksichtigung von internationalen Menschenrechten durch die politischen Organe der WTO

Damit diese Spielräume zugunsten internationaler Menschenrechte ge- nutzt werden können, müssen die WTO -Organe verpflichtet sein, inter- nationale Menschenrechts Verpflichtungen bei der Auslegung der WTO- Verpflichtungen zu berücksichtigen. Zwar ist die WTO selbst nicht Ver- tragspartei der Menschenrechtspakte. Die weit überwiegende Mehrzahl der WTO-Mitglieder ist aber durch die UN-Menschenrechtspakte ge- bunden. Diese Bindung gilt auch - wie im Zusammenhang mit den natio- nalen Menschenrechtsverpflichtungen erörtert -, wenn sie in den politi- schen Organen der WTO Rechtsakte erlassen oder Politiken beschließen. Da WTO -Rechtsakte ohne die Zustimmung der an internationale Men- schenrechtsverträge gebundenen WTO-Mitglieder weder im Konsens- verfahren noch als Mehrheitsentscheidung angenommen werden können, besteht hier eine mittelbare Bindung der WTO an die Menschenrechts- pakte.73

c) Möglichkeiten einer Berücksichtigung von internationalen Menschenrechten durch die Streitbeilegungsorgane der WTO

Auch wenn die politischen WTO-Organe materiell-rechtlich mittelbar an die völkervertragsrechtlichen Menschenrechtsverpflichtungen ihrer Mit- glieder gebunden sind, ist damit noch nicht geklärt, ob auch den Streitbei- legungsorganen die Kompetenz zukommt, diese Bindungen der WTO- Mitglieder bei der Anwendung und Auslegung der WTO -Übereinkom- men zu berücksichtigen. Die Streitbeilegungsorgane dürfen nur im Rahmen der ihnen durch die

WTO-Mitglieder übertragenen Kompetenzen handeln. Die WTO-Mit- glieder haben die Streitbeilegungsgremien ermächtigt, über Streitigkeiten im Rahmen der WTO -Übereinkommen zu entscheiden (Art. 23 DSU). Dabei ist das Mandat der WTO -Streitbeilegungsorgane begrenzt auf die Auslegung und Anwendung des WTO-Rechts. Art. 1, 3, 4, 7, 11 und 19 DSU kennzeichnen die WTO insoweit als lex specialis-System, das spe-

73 Lim, J.W.T. 35 (2001), S.280; Deva, Conn. J. Int'l L. 18 (2003), S. 1 (30 f.); Stellung- nahme des UN- Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zur WTO- Ministerkonferenz 1999, UN-Dok. 26/1 1/99.E/C.12/1 999/9; E/C.12/2000/13 v. 2.10.2000, S.21,Rn.l9.

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zielle Rechte und Pflichten, Klagegründe, Rechtsmittel und Gegenmaß- nahmen vorsieht.74 Art. 3.2 Satz 2 DSU bestimmt jedoch, dass die geltend gemachten Bestimmungen der WTO -Übereinkommen im Einklang mit den herkömmlichen Regeln der Auslegung des Völkerrechts zu klären sind. Auf der Grundlage dieser Norm hat der Appellate Body bereits 1996 im bekannten US - Gasoline-Fall anerkannt, dass das GATT sowie die übrigen Vertragstexte nicht in vollständiger Isolation zum allgemeinen Völkerrecht („clinical isolation from public international law") gelesen werden dürfen. Eine Auslegung sei vielmehr unter Beachtung der inzwi- schen auch als Völkergewohnheitsrecht allgemein anerkannten Aus- legungsregeln der Art. 31ff. WVK vorzunehmen.75 Nach Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK sind bei der Auslegung eines Vertrages alle in den Beziehun- gen zwischen den Vertragsparteien anwendbaren einschlägigen Völker- rechtssätze (any relevant rules of international law applicable in the rela- tions between the parties) zu beachten. Verwiesen wird damit auf das Völ- kergewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze und das zwischen den Vertragsparteien geltende Völkervertragsrecht.76 Folglich müssten auch internationale Menschenrechtsverpflichtungen im Rahmen der Aus- legung von WTO-Rechtsnormen herangezogen werden, sofern sie zwi- schen den WTO -Mitgliedern gelten und einen sachlichen Bezug zu der auszulegenden WTO -Vorschrift aufweisen.77 Fraglich ist jedoch, zwischen welchen Parteien die einschlägige inter-

nationale Menschenrechtsnorm gelten muss.78 Von Teilen der Literatur wird geltend gemacht, es kämen nur solche Völkervertragssätze in Be- tracht, die im Verhältnis aller Vertragsparteien des auszulegenden Ver- trages gleichermaßen anwendbar sind.79 Begründet wird dies vor allem

74 Vgl. Art. 56 der Regeln über die Staatenverantwortlichkeit, UN-Dok. A/CN.4/ SER. A/l 996/ Add. 1 (Part 2); Marceau, E.J.I.L. 13 (2002), S. 753 (766 ff.). 75 United States - Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/ AB/R, angenommen am 20.5.1996, S. 17; z.B. bestätigt in: Japan - Taxes on Alcoholic Bever- ages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, angenommen am 1.11.1996, S.lOf.; United States - Import Prohibition of certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58/AB/R, angenommen am 6.1 1.1998, para. 1 14; India- Patent Protection for Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products, WT/DS50/AB/R, angenommen am 16.1.1998, para. 46. 76 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of the Treaties, 2. Aufl., 1984, S. 139; Marceau, J.W.T. 33 (1999) 5, S. 87 (133). 77 Für eine Berücksichtigung vom Menschenrechtsübereinkommen z.B. Petersmann, J.I.E.L. 7 (2004), S. 605 (626); ders., E.J.I.L. 13 (2002), S. 621 (625); Howse/ Mutua (Fn. 59), S. 1 6; Francioni (Fn. 72), S. 1 (23); Deva, Conn. J. Int'l L. 1 8 (2003), S. 1 (27 ff.); Powell, Fla. J. Int'l L. 16 (2004), S. 219 (225 f.); Pauwelyn, A.T.I.L. 95 (2001), S. 535 (542 f.. 565Ì. 78 Ausf. hierzu Marceau, J.W.T. 33 (1999) 5, S. 87 (124 ff.); dies., E.J.I.L. 2002, S. 753 (780 ff.); Bartels, J.W.T. 36 (2002) 2, S. 353 (360); Neumann, (Fn. 40), 2002, S. 368 ff.; Puth, (Fn.41),S.188ff. /y Lennard, JlhL 2002, S. 17 (36 tt.); Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, How WTO Law Relates to other Rules of International Law, 2003, S.257; Puth, (Fn. 41), 2003, S. 190.

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mit dem in Art. 34 WRK verankerten pacta tertiis-Prinzip. Nach diesem Prinzip kann ein Vertrag für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Rechte noch Pflichten begründen.80 Daneben wird auf den in Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK verwendeten Begriff der ,party' verwiesen, der in Art. 2 Abs. 1 lit. g WVK legaldefiniert ist als ,a state which has consen- ted to be bound by the treaty and for which the treaty is in force'.81 Folg- te man dieser Auffassung, könnten zwar ius cogens-Verpflichtungen bei der Auslegung von WTO -Rechtsnormen Berücksichtigung finden, nicht jedoch internationale Menschenrechtsverträge, da diese nicht durch alle WTO -Mitglieder ratifiziert worden ist. Dieser Auffassung steht jedoch die Spruchpraxis der WTO -Streitbei-

legungsorgane entgegen. So hielt der Appellate Body in dem Streitbei- legungsverfahren EC - Computer Equipment eine Bindung der Streit- parteien an eine Klassifikation des harmonsierten Warensystems der Vereinten Nationen für ausreichend, um diese im Rahmen der Aus- legung der EG-Zolltabelle LXXX heranzuziehen.82 Im Streitfall US - Shrimp bezog der Appellate Body im Rahmen der Auslegung des Art. XX lit. g GATT neben dem Prinzip 12 der Rio-Deklaration83, Art. 2.22 (i) der Agenda 21 und dem Washingtoner Artenschutzüberein- kommen (CITES)84 auch auf das UN-Seerechtsübereinkommen85, das Übereinkommen zur Artenvielfalt86 sowie auf das Übereinkommen zum Schutz wandernder Tiere87, obwohl nicht alle WTO -Mitglieder Vertragsparteien dieser Abkommen sind.88

Für diese Praxis spricht, dass es in einem Streitbeilegungsverfahren ein- zig und allein um Rechte und Pflichten geht, die zwischen den Parteien des jeweiligen Verfahrens gelten. Wenn auch den Berichten des Appellate Body eine starke faktische Präzedenzwirkung zukommt,89 erzeugen die

80 Pauwelyn,(Fn.79),S.257. 81 Lennard, U.E.L. 2002, S. 17 (36 ff.); Pauwelyn, (Fn. 79 ), S. 257; Puth, (Fn. 41), S. 190. 82 EC- Customs Classification of certain Computer Equipment, WT/DS62, 67, 68/AB/R,

angenommen am 22.6.1998, para. 89. 83 Rio Declaration on Environment and Development v. 13.6.1992, I.L.M. 31 (1992),

S.874ff. 84 Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Flora and Fauna v.

3.3.1973, I.L.M. 12 (1973), S. 1085 ff. 85 United Nations Convention on the Law of the Sea v. 10.12.1982, I.L.M. 21 (1982), S. 1261 ff.

86 Convention on Biological Diversity v. 5.6.1992, I.L.M. 31 (1992), 5. 818 tt. 87 Convention on the Conservation or Migratory Species or wild Animals v. 23.6.1979,

I.L.M. (1980), S. Uff. 88 US - Shrimp, (Fn.75), paras. 130 ff.; vgl. Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (488); Ruloff,

Internationale Politik 57 (2002) 6, S. 37 (39 f.); Stökl, Aussenwirtschaft 2001, S. 327 (330); P»^,(Fn.41),S.196ff. 89 Chua, Leiden J. Int'l L 1998, S.45 (53 ff.); Palmeter/ Mavroidis, A.J.I.L. 1998, S.398 (401); Lester, J.W.T. 35 (2001) 3, S.521 (529 f.); von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S.264 (274); Göttsche, (Fn. 41), S. 154.

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Entscheidungen des DSB Rechtskraft dennoch nur für die am Streitbeile- gungsverfahren beteiligten Streitparteien.90 Insoweit werden weder Dritte im Sinne des Art. 34 WVK berechtigt oder verpflichtet, noch wird ein WTO -Mitglied durch eine Heranziehung der zwischen den Streitparteien geltenden völkerrechtlichen Verträge gebunden, der nicht Vertragspartei dieser völkerrechtlichen Verträge ist. Die von Teilen der Literatur erhobe- nen Bedenken können daher nicht überzeugen. Vielmehr stützt gerade der in Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK zum Ausdruck kommende Gedanke, es handele sich auch bei der Völkerrechtsordnung um eine Einheit, die Vor- gehensweise des Appellate Body.91 Demgegenüber kann der Forderung, jede völkervertragliche Regelung

im Rahmen der Auslegung heranzuziehen, die jedenfalls für eine der Streitparteien gilt,92 nicht gefolgt werden. Dem stehen eindeutig das in Art. 34 WVK verankerte pacta tertiis-Prinzip und die Legaldefinition des Art. 2 Abs. 1 lit. g WVK entgegen.

Soweit die Vertragsparteien beide einen der Menschenrechtspakte abge- schlossen haben, könnte dieser somit bei der Auslegung grundsätzlich Be- rücksichtigung finden.93 Die Möglichkeiten einer Berücksichtigung sind jedoch wiederum durch das WTO -Recht beschränkt. So darf nach Art. 19.2 i.V.m. Art. 3.2 DSU eine solche menschenrechtskonforme Aus- legung nicht so weit gehen, dass in den WTO -Übereinkommen enthalte- ne Rechte und Pflichten ergänzt oder geschmälert werden (Art. 19.2 DSU). Eine menschenrechtskonforme Auslegung ist mithin nur in dem Maße möglich, in dem die WTO-Norm Auslegungsspielraum belässt. Ein solcher ergibt sich insbesondere, wenn WTO -Rechtsnormen an den Schutz menschenrechtlicher Belange anknüpfen, wie den Schutz des Le- bens, der Gesundheit oder der Ernährungssicherheit.94 Kollidiert dagegen eine nicht auslegungsfähige WTO-Norm direkt mit einer menschen- rechtlichen Verpflichtung, haben die WTO -Streitbeilegungsorgane dem- gegenüber keine Kompetenz, diesen Konflikt zu lösen. Eine Verletzung des Menschenrechts wäre dann unvermeidlich.

90 Vgl. zum GATT 1947 Japan - Alcoholic Beverages, (Fn. 75), S. 13; US - Measures Af- fecting Imports of Woven Wool Shirts and Blouses From India, WT/DS33/AB/R, angenom- men am 23.5.1997, S. 19 f.; US - Lead Bars, Panel Report, para. 6.66, Fn. 78; Bhala, Am. U. Int'l L. Rev. 14 (1999), S. 845 (882 ff.); Witt, RIW 2000, S. 691 (692); WTO, Committee on Trade and Environment, Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203, v. 8.3.2002, S. 3 f.

91 Vgl. zu dieser Argumentation US - Shrimp, (Fn. 75), para. 130 mit Hinweis auf die IGH-Rechtsprechung Namibia (Legal Consequences) Advisory Opinion (1971), ICJ Re- port, S. 31 und Aegean Sea Continental Shelf Case (1978), ICJ Report, S. 3. 92 So Marceau, J.W.T. 33 (1999) 5, S. 87 (126); Stökl, Aussenwirtschaft 2001, S. 327 (332). 93 Pauwelyn, A.J.I.L. 95 (2001), S. 535 (566). 94 Marceau^E.J.l.L. 13 (2002), S. 753 (773 ff., 779 tt.);Deva, Conn. J. Int'l L. 18(2003), S. 1 (28); Pauwelyn, A.J.I.L. 95 (2001), S. 535 (554 f.).

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Ebenso wenig können die Streitbeilegungsorgane reine Menschen- rechtsfragen, die in keinem Zusammenhang mit WTO -rechtlichen As- pekten stehen, entscheiden.95 Denn die WTO-Streitbeilegungsorgane haben keine Jurisdiktion, isoliert andere völkerrechtliche Verträge aus- zulegen, anzuwenden oder deren Bestimmungen gegenüber den WTO- Mitgliedern durchzusetzen. Entgegen anderslautender Forderungen ist eine Jurisdiktion für reine Menschenrechtsfragen jedoch auch nicht er- forderlich. Denn die Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens wegen einer Verletzung von WTO -Recht schließt die gleichzeitige Verantwort- lichkeit des Staates aufgrund menschenrechtlicher Aspekte unter einem anderen völkerrechtlichen Vertragssystem nicht aus.96 Insgesamt sind einer Berücksichtigung menschenrechtlicher Belange

unter dem Streitbeilegungssystem der WTO damit enge Grenzen gesetzt. Ob diese eröffneten Auslegungsspielräume ausreichen, um tatsächlich oder potentiell auftretende Kollisionen zwischen WTO -Rechtsverpflich- tungen und internationalen Menschenrechten zu lösen und ob diese Aus- legungsspielräume auch genutzt werden, soll nachfolgend anhand einzel- ner geltend gemachter Zielkonflikte überprüft werden.

2. Zielkonflikte zwischen WTO -Rechtsverpflichtungen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen

Entwicklungsländer, UN-Sonderorganisationen, NGOs einerseits und Industriestaaten andererseits sorgen sich um unterschiedliche Aspekte des Menschenrechtsschutzes. Während es auf Seiten der Entwicklungs- länder vorrangig um die Gefahr einer Verschlechterung der Gesundheits-, Nahrungs- und Trinkwasserversorgung aufgrund der im Rahmen der WTO eingegangenen Verpflichtungen geht, fürchten die Industriestaaten um ihren außenpolitischen Handlungsspielraum in Menschenrechtsfra- gen. Um wirkliche Zielkonflikte handelt es sich dabei jedoch nur, sofern konkrete Verpflichtungen der WTO -Rechtsordnung mit internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen kollidieren und die WTO -Rechts- ordnung keinen ausreichenden Spielraum lässt, diese Kollisionen unter ei- ner ausreichenden Berücksichtigung der kollidierenden Menschenrechts- standards aufzulösen.

95 Pauwelyn, AJ.I.L. 95 (2001), S. 535 (554). *> Vgl. Trachtman, Harv. Int'l L. J. 40 (1999), S.333; Marceau, E.J.l.L. 13 (2002), 5.753 (771 ff.).

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 425

a) Zielkonflikte zwischen W7 O ] -Rechtsverpflichtungen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen in Entwicklungsländern und LDCs

UN-Organisationen, Entwicklungsländer, NGOs und nicht wenige Stimmen in der Literatur machen die mangelnde Menschenrechtsbindung der WTO häufig pauschal für das ansteigende Armutsgefälle zwischen Nord und Süd verantwortlich. Die WTO erkenne bisher nicht in ausrei- chendem Maße an, dass das Individuum selbst im Zentrum ihrer Bemü- hungen zu stehen habe und damit auch der Schutz der Menschenrechte ihr politisches Handeln leiten sollte.97 Teilweise werden dazu argumentativ die Menschenrechte der sog. dritten Generation herangezogen. So wird beispielsweise eine Gefährdung des Rechts auf Entwicklung geltend ge- macht,98 wenn es im Rahmen der WTO zu irgendeiner Benachteiligung von Entwicklungsländern kommt. Eine Gefährdung des Rechts auf eine gesunde und natürliche Umwelt wird festgestellt, sofern es um die Aus- wirkungen von unkontrollierten Investitionen geht.99 Diese pauschale Kritik dient den UN-Organisationen, Entwicklungsländern, NGOs und Stimmen in der Literatur in erster Linie dazu, die Öffentlichkeit und die politischen Akteure für die sich verschärfenden Missstände in den Ent- wicklungsländern zu sensibilisieren. Eine Identifizierung tatsächlicher Zielkonflikte ist anhand dieser Menschenrechte der dritten Generation je- doch schon deshalb nicht möglich, weil diese von den meisten Staaten nicht anerkannt werden. Diese pauschale Kritik an der WTO hat kaum rechtlichen Gehalt und bleibt daher für die vorliegende Untersuchung außer Betracht. Mögliche Zielkonflikte ergeben sich jedoch zwischen konkreten WTO-

Rechtsverpflichtungen und Menschenrechten der sog. zweiten Genera- tion. Exemplarisch sollen drei Zielkonflikte in den Bereichen TRIPS, Landwirtschaftsübereinkommen (AoA) und GATS näher untersucht werden. Im Bereich des TRIPS geht es um eine mögliche Kollision zwi- schen dem Menschenrecht auf Gesundheit und den WTO -Patentierungs- pflichten zum Schutz des geistigen Eigentums. Unter dem AoA ist pro- blematisch, ob die eingegangenen Verpflichtungen das Recht auf Nahrung gefährden. In bezug auf das GATS werden in den Liberalisierungsbestre-

97 Oloka-Onyango/Udagama, Economic, Social and Cultural Rights, Globalization and ist Impact on the Full Enjoyment of Human Rights, Progress Report, UN-Doc. E/CN.4/ Sub.2/2001/10 v. 2.8.2001, S. 25 f. 98 Vgl. Erklärung zum Recht auf Entwicklung, UN GA Declaration 41/128 v. 4.12.1986 sowie Zusatzresolution 41/133 v. 4.12.1986 (dt. Übersetzung in VN 1987, S.213 ff.); hierzu Auprich, Das Recht auf Entwicklung als kollektives Menschenrecht, 2000.

99 Oloka-Onyango/Udagama, The Realization of Economic, Social and Cultural Rights: Human Rights as the Primary Objective of International Trade, Investment and Financial Policy and Practice, UN Working Paper E/CN.4/Sub.2/1 999/1 1 v. 17.6.1999, Rn. 5.

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426 Meinhard Hilf und Saskia Hörmann

bungen in den Sektoren Bildung, Wasserversorgung sowie Gesundheits- versorgung Gefährdungen für die Menschenrechte auf Bildung und auf Gesundheit ausgemacht.

a) Zielkonflikt unter dem TRIPS zwischen Patentierungspflichten und dem Menschenrecht auf Gesundheit?

Im Bereich des TRIPS wird in den in Art. 25 bis 33 TRIPS normierten Pa- tentierungspflichten für pharmazeutische Produkte eine Gefährdung des Menschenrechts auf Gesundheit, wie es in Art. 25 Abs. 1 AEMR, Art. 12 IPwskR und in Art. 24 der Konvention über das Recht des Kindes veran- kert ist, gesehen. Art. 12 IPwskR verpflichtet die Vertragsstaaten, für die Prävention, Behandlung und Kontrolle von Krankheiten Sorge zu tragen (Abs. 2 lit. c)) und Bedingungen zu schaffen, die den Zugang zur medizi- nischen Versorgung im Krankheitsfall für alle Personen sicherstellen (Abs. 2 lit. d)). Diese Pflichten umfassen auch den Zugang zu lebensnot- wendigen Medikamenten.100 Art. 27 TRIPS verpflichtet grundsätzlich alle WTO -Mitglieder, Verfahrens- und Erzeugnispatente auf allen Gebie- ten der Technik zu gewähren, worunter auch pharmazeutische Produkte fallen, die zuvor in 49 Verbandsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft nicht patentierbar waren.101 Es wird nun geltend gemacht, dass hohe Li- zenzgebühren für patentgeschützte Medikamente zu hohen Preisen für derartige Pharmazeutika führen würden und diese Entwicklung es Ent- wicklungsländern und LDCs (LDCs = Least Developed Countries) un- möglich machen würde, ihren Handlungspflichten in bezug auf die Ge- währung eines ausreichenden Zugangs zu lebensnotwendigen Medika- menten nachzukommen.102 Dabei geht es gegenwärtig insbesondere um

100 Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 14 (2000), para. 12, 17, 34; Commission on Human Rights, Access to Medication in the Context of Pandemics such as HIV/AAIDS, Tuberculosis and Malaria, Res. 2004/26 v. 16.4.2004, para. 1; Commission on Human Rights, Access to Medication in the Context of Pandemics such as HIV/AIDS, Res. 2001/33 v. 23.4.2001, para. 1; vgl. WHO, Essential Drugs and Me- dicines Policy, http://www.who.int/medicines, Stand: 15.8.2005; ausf. hierzu Hestermeyer, Access to Medication as a Human Right, Max Planck UNYB 8 (2004), S.101 (128 ff.); Yamin, B.U. Int'l L. J. 21 (2003), S. 325 ff. 101 Vgl. Straus, Patentschutz durch TRIPS-Abkommen, Ausnahmeregelungen und -praktiken und ihre Bedeutung, insbesondere hinsichtlich pharmazeutischer Produkte, Bit- burger Gespräche Jahrbuch 2003, S. 117 (119 f.). 1U/ Siehe WHO Policy Perspective on Medicines, Globalisation, IKlPb and Access to Pharmaceuticals, WHO Policy Perspectives on Medicines, Paper No. 3, März 2001; UN High Commissioner for Human Rights, The Impact of the Agreement on Trade-Related As- pects of Intellectual Property Rights, UN Economic and Social Council, UN-Dok. E/ CN.4/Sub.2/2001/13 v. 15.8.2001; ECOSOC, Globalisation and its Impact on Full Enjoy- ment of Human Rights, UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/2000/12 v. 15.6.2000; UNDP, Human Development Report 2000: Human Rights and Human Development, 2000; Park, Minn. J. Global Trade 1 1 (2002), S. 125 (125 f.); vgl. auch die Entscheidung des südafrikanischen Ver-

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 427

die Möglichkeit, sich kostengünstig zur Bekämpfung von HIV/AIDS,103 Tuberkulose, Malaria und anderen Krankheiten notwendige Generika zur Sicherstellung einer ausreichenden Gesundheitsversorgung zu be- schaffen. Ein derartiger Zielkonflikt zwischen dem durch die TRIPS-Verpflich-

tungen konkretisierten Recht auf geistiges Eigentums und dem Men- schenrecht auf Gesundheit bestünde jedoch nur, wenn das TRIPS keine Möglichkeit eröffnete, etwaige Kollisionen unter ausreichender Berück- sichtigung des Menschenrechts auf Gesundheit zu lösen.104 Art. 27.3 lit. a) TRIPS etwa erlaubt ausdrücklich den Ausschluss der Patentierbarkeit diagnostischer, therapeutischer und chirurgischer Verfahren, wodurch dem Recht auf Leben und Gesundheit Rechnung getragen wird. Die in den Art. 7, 8.1, 27.2 und 3, 30, 31 TRIPS enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe, wie z.B. „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Ernährung notwendig", eröffnen darüber hinaus die Möglichkeit, TRIPS -Verpflichtungen menschenrechtskonform auszulegen.105 Insge- samt will das TRIPS einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz des geistigen Eigentums als Privatinteresse und anderen Gemeinwohlin- teressen schaffen.106 So legt Art. 7 TRIPS ausdrücklich fest, dass der Schutz und die Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten dem bei- derseitigen Vorteil der Erzeuger und Nutzer technischen Wissens dienen und in einer dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohl zuträg- lichen Weise erfolgen soll. Nach Art. 8.1 TRIPS sind die WTO-Mit- glieder deshalb befugt, Maßnahmen zu ergreifen, die u. a. zum Schutz der öffentlichen Gesundheit notwendig sind.107 Eine ausdrückliche Be- schränkung des Patentschutzes für lebensrettende Medikamente oder die Gestattung von Parallelimporten108 ist jedoch nicht vorhanden. In ihrer Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health109, die

auf einem Gutachten beruht, welches das WTO -Sekretariat in Zusam- menarbeit mit der WHO erstellt hatte, hat die vierte WTO-Ministerkon-

fassungsgerichts, Case CCT 8/02, Urteil v. 5.7.2002, abrufbar unter: http:// www. concourt, gov.za/, ausf. hierzu S chorkopf/ Walter, German Law Journal 4 (2003), S. 1359 (1367 ff.). 1UJ Über 42 Mio. Menschen leben gegenwärtig auf der Welt mit HIV/AIDS, über 90 % davon in Entwicklungsländern, vgl. UNAIDS/WHO (Hrsg.), AIDS Epidemie Update 2003, S. 7. Nach Schätzungen können sich in Entwicklungsländern weniger als 5 % der Infi- zierten eine Behandlung leisten, vgl. Sun, E.J.I.L. 2004, S. 123 (126 f.). 104 Vgl. Petersmann, J.W.T. 37 (2003), S. 241 (266). 105 Dommen, Hum. Rts. Q. 24 (2002), S. 1 (24 ff.); Rott, GRUR Int. 2003, S. 103 (104). 106 #*mp/;AVR40(2002),S.90(100). 107 Vgl. zur Bedeutung dieser Artikel in der Diskussion um Zwangslizenzen für Medika- mente: Bartelt, J.W.I.P. 6 (2003), S. 283 (285 ff.); Matthews, J.I.E.L. 7 (2004), S. 73 (76 ff.). 108 Unter Parallelimporten versteht man die Beschaffung eines patentierten Arzneimittels aus einem Land, in dem der Originalhersteller es preiswerter anbietet als im Importland. lvy Angenommen am 14.11.2001, WTO-Dok. WT/MIN(01)/DEC/2 vom 20.11.2001, ab- gedruckt in: EuZW 2002, S. 47 ff.

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428 Meinhard Hilf uno. Saskia Hörmann

ferenz (2001) eine derartige Sichtweise des TRIPS anerkannt und den Stellenwert des Gesundheitsschutzes betont. Sie räumt dem Gesundheits- schutz bei der Auslegung des TRIPS eine besondere Bedeutung ein, um mögliche Konflikte zwischen den Normen des TRIPS und dem Recht auf Gesundheit auszuräumen: Die WTO -Mitglieder sollen jede notwendige Maßnahme zum Schutz der Gesundheit ihrer Bevölkerung ergreifen dür- fen, ohne hierfür WTO -rechtliche Sanktionen erwarten zu müssen. Wel- che Maßnahmen der Gesundheits- und Ernährungspolitik die einzelnen WTO-Mitglieder für notwendig halten dürfen, bestimmen sie grundsätz- lich selbst.110 Danach haben die Staaten z.B. das Recht, zur Bekämpfung der in der Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health ge- nannten Krankheiten Zwangslizenzen zur Herstellung von Generika zu erteilen oder Parallelimporte für notwendige pharmazeutischen Produkte durchzuführen. 1 x 1

Offen war allerdings zunächst die Frage, inwieweit der Export von un- ter Zwangslizenzen hergestellten Generika in Entwicklungsländer erlaubt ist, die sich zur Eigenproduktion nicht in der Lage sehen.112 Hiervon be- troffen sind insbesondere unterentwickelte afrikanische Staaten, in denen eine hinreichende Gesundheitsversorgung der HIV-Infizierten bisher nicht sichergestellt werden kann. Art. 31 lit. f) TRIPS erlaubt die Ertei- lung von Zwangslizenzen nur vorwiegend zur Versorgung des Binnen- marktes des sie erteilenden WTO-Mitglieds.113 Weil sie eine zu starke Aufweichung des im TRIPS vereinbarten Patentschutzes befürchteten, sperrten sich vor allem die USA gegen eine generelle Erlaubnis, unter Zwangslizenzen hergestellte pharmazeutische Produkte in bedürftige Entwicklungsländer zu exportieren.114 Kurz vor der Ministerkonferenz von Cancún kam es am 30. August 2003 jedoch zu einer Einigung:115 Auf

110 Vgl. EC - Hormones, (Fn. 14), paras. 104, 157 ff.; European Communities - Measures Affecting Asbestos and Asbestos Containing Products, WT/DS135/AB/R, angenommen am 5.4.2001, para. 168. 111 TRIPS-Erklärung (Fn. 109), para. 1. Die Aufzählung der Krankheiten HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria ist nur beispielhaft, die Bekämpfung anderer Epidemien ist aus- drücklich zugelassen. 112 Ausf. hierzu Rogers, Minn. J. Global Trade 13 (2004), S. 443 (449 ff.). 1U Umstritten war bisher, ob hierunter ein Verbleib von 50 % der Produktion oder mehr im Inland zu verstehen ist, vgl. Kampf, AVR 2002, S. 90 (108); Rott, GRUR Int. 2003, S. 103 (114). 114 Die EG und einige afrikanische Staaten hatten sich bereits im Sommer 2002 für eine formelle Änderung oder Streichung des Art. 31 lit. f) TRIPS ausgesprochen, Council for Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, Proposal on Paragraph 6 of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, Joint Communication from the African Group in the WTO, WTO-Dok. IP/C/W/351 v. 24.6.2002 und Communication from the European Communities and their Member States, WTO-Dok. IP/C/W/352 v. 20.6.2002.

115 Implementation of Paragraph 6 of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health - Decision of 30 August, WTO-Dok. WT/L/540 v. 2.9.2003. Diese Ent-

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 429

Grundlage des Art. IX: 1, 3 und 4 WTO -Übereinkommen sollen Ausnah- megenehmigungen (waiver) von Art. 31 lit. f) TRIPS, der weiterhin re- striktiv interpretiert wird, zur Bekämpfung der in Punkt 6 der Doha-Er- klärung genannten Krankheiten erteilt werden dürfen, nicht aber zur För- derung industrieller oder handelspolitischer Ziele.116 Zum Schutz vor einem Missbrauch der waiver, insbesondere der Gefahr eines Re-Exports, ist die Erteilung an zahlreiche Tatbestands- und Verfahrensvorschriften sowie Auflagen gebunden.117 Der TRIPS-Rat hat dabei jährlich zu über- prüfen, ob die außergewöhnlichen Umstände für eine Rechtfertigung ei- ner Ausnahmegenehmigung noch vorliegen und das effektive Funktio- nieren des mit der Entscheidung errichteten Systems zu überwachen. Zu- dem soll er eine formelle Änderung des TRIPS vorbereiten.118 Dieses Zwangslizenzsystem ist für nicht interessengerecht befunden

worden. Es sei insgesamt an zu viele Bedingungen geknüpft, sei zu zeitauf- wendig und zu teuer. Kritisiert wird insbesondere die spezielle Kennzeich- nungspflicht für unter Zwangslizenzen hergestellte Generika, die die Me- dikamente wieder verteuern würde.119 Die Tatsache, dass bislang kein WTO-Mitglied einen waiver von Art. 31 lit. f) TRIPS beantragt hat, könn- te ein Indiz für die Unpraktikabilität dieses Systems sein. Jedoch muss be- rücksichtigt werden, dass teilweise bereits die Drohung mit Zwangslizen- zen gegenüber den Herstellern reicht, um den Preis von Medikamenten er- heblich zu senken, so dass die Vergabe von Zwangslizenzen nicht immer notwendig wird.120 Außerdem bestand die Problematik der Unterversor- gung weiter Bevölkerungsteile mit lebensnotwendigen Medikamenten auch schon vor Abschluss des TRIPS-Übereinkommens in Entwicklungs- ländern und LDCs .121 Einen weit größeren Einfluss auf die Versorgungs- lage als die Bestimmungen des TRIPS hatten bislang Faktoren wie fehlen-

scheidung geht auf einen Vorschlag der USA zurück, vgl. WTO Council for Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, Paragraph 6 of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, Second Communication from the United States, WTO-Dok. IP/C/W/358V. 9.7.2003.

116 Vgl. WTO, Press Release, Intellectual Property, Decision Removes Final Patent Obstacle to Cheap Drue Import, WTO-Dok. PRESS/350 v. 30.8.2003, paras. 8 f. 117 Ausf. hierzu Rogers, Minn. J. Global Trade 13 (2004), S. 443 (449 ff.); krit. Wolf Global Trade Rules and Access to Medicines, Policy Papers on Transnational Economic Law No 2/ 2004, S. 4 f. 118 Zu den einzelnen Tatbestands- und Verfahrensvoraussetzungen vgl. Council for Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights, Decision v. 30.8.2003, WTO-Dok. WT/L/ 540, paras. 1 ff., ausf. Slonina, Durchbruch im Spannungsverhältnis TRIPS and Health: Die WTO-Entscheidung zu Exporten unter Zwangslizenzen, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 20, September 2003, S. 1 (8 ff.). 119 Gopakumar,]Wl? 2004, S. 99 (102 ff.); Oxfam, Pressemitteilung v. 27.8.2003, WTO Pa- tent Rules Will Still Deny Medicines to the Poor; Médecins sans Frontières, Chairman's Text Brings New Difficulties to WTO „Paragraph 6", v. 27.8.2003, http://www.msf.org/content/ page.cfm?articleid=77830ACA-8EC5-419A-82AB7D7ED6A2ElED, Stand: 15.8.2005.

120 Rovers, Minn. T. Global Trade 13 (2004), S. 443 (468). 121 Straus, (Fn. 101), S. 117(132).

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430 Meinhard Hilf und Saskia Hörmann

der politischer Wille der Regierungen, eine unzulängliche medizinische In- frastruktur, hohe Zölle und Umsatzsteuern sowie die allgemeine Armut weiter Bevölkerungskreise.122 So wird die Diskussion um das TRIPS vor allem auch als Anknüpfungspunkt für NGOs und Entwicklungsländer ge- nutzt worden sein, um diese verheerende Versorgungslage in der Öffent- lichkeit publik zu machen. Was die spezielle Kennzeichnungspflicht betrifft, haben Generika-Her-

steller wie Indien, Brasilien oder China auch in der Vergangenheit bereits Generika gekennzeichnet, und die Kosten für eine derartige Kennzeich- nung der Verpackung dürften eher gering ausfallen.123 Darüber hinaus ist eine derartige Kennzeichnung zum Schutz vor einem unzulässigen Wei- terverkauf notwendig und dient damit auch den potentiellen Empfängern. Auch die übrigen genannten Voraussetzungen müssen als erforderlich an- gesehen werden, um einen Missbrauch des Systems zu Lasten der Patent- inhaber und zu Lasten der ursprünglich angedachten Empfänger der Ge- nerika zu vermeiden. Die Kritik ist daher nicht berechtigt. Vielmehr stellt das Zwangslizenzsystem einen kostengünstigeren Zugang zu patentge- schützten Medikamenten für Entwicklungsländer und LDCs sicher und schafft gerade auch durch die einzelnen Ausnahmevoraussetzungen Rechtssicherheit und Transparenz. Für die Gefährdungen, die von den Verpflichtungen im Bereich des TRIPS ausgehen, ist daher mit der Ent- scheidung vom 30. August 2003 ein angemessener Ausgleich zwischen den Patentierungsverpflichtungen und dem internationalen Menschen- rechts auf Gesundheit gefunden worden.124 Um den LDCs eine Umsetzung der TRIPS-Verpflichtungen weiter zu

erleichtern, hat der Rat für TRIPS in einer Entscheidung vom 27. Juni 2002125 die Übergangsfristen des Art. 66.1 TRIPS für die Umsetzung der Art. 27 bis 34 TRIPS und Art. 39 TRIPS um zehn Jahre bis 2016 verlän- gert. Da sich aber die meisten LDCs bereits bei ihrem Beitritt zur WTO zu einem sofortigen Patentschutz - auch für Medikamente - verpflichtet hatten, werden nur wenige von diesen Übergangsfristen profitieren.126 Betrachtet man die politischen Gegebenheiten, so scheint weniger von

den TRIPS-Verpflichtungen eine Bedrohung für das Menschenrecht auf Gesundheit auszugehen, als vielmehr von unilateralem Druck einzelner WTO-Mitglieder: So sah sich z.B. die südafrikanische Regierung starkem

122 Attaran/Gillespie-White, J. Am. Medical Association 286 (2001), S. 1886 (1890); Matthews,J.l.E.L. 7 (2004), S. 73 (79 f.). 1/J Vandoren/Van Eeckbautey}V/W 2003, S. 77V (788).

124 So auch die Einschätzung v. Rogers, Minn. J. Global Trade 13 (2004), S. 443 (461 tt.). 125 WTO, Council for TRIPS, Decision ot 27 June 2002, IP/C/25, Extension ot the

Transition Period under Article 66.1 of the TRIPS Agreement for Least-Developed Coun- try Members for Certain Obligations with Respect to Pharmaceutical Products.

126 Vgl. die Aufstellung bei Bartelt, J.W.I.P. 2003, S. 283 (289).

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 431

Druck von Seiten der USA und großer Pharmazieunternehmen ausge- setzt, als sie ihr 1997 verabschiedetes TRIPS-konf ormes Patentrecht127 anwenden wollte, das die Möglichkeit von Zwangslizenzen und Parallel- importen erlaubt.128 Ähnlichem Druck von Seiten der USA unterlagen bereits Jordanien, Ecuador, Sri Lanka und Brasilien.129 28 Länder schlös- sen zudem bislang bilaterale Verträge mit den USA, in denen sie u.a. auf die ihnen gewährte Fristverlängerung bis 2016 zur Umsetzung des TRIPS verzichteten. Eines der Hauptziele der WTO ist aber gerade die Errich- tung eines sicheren weltweiten Rechtsrahmens und die Eindämmung uni- lateraler Maßnahmen oder bilateraler auf Druck einer ungleich stärkeren Vertragspartei geschlossener Verträge. Die nunmehr auf gemeinsames Drängen vieler WTO -Mitglieder mit den USA erreichte Kompromiss- entscheidung zugunsten des Gesundheitsschutzes im Bereich des TRIPS zeigt die Vorzüge einer multilateralen Welthandelsordnurig deutlich auf. Ein weiteres Beispiel für eine Stärkung gerade kleinerer Staaten durch

das multilaterale Streitbeilegungssystem veranschaulicht der Fall Brazil - Measures Affecting Patent Protection130, in dem Brasilien sich gegenüber den USA behaupten konnte: So beantragten die USA zunächst am 8. Ja- nuar 2001 die Einsetzung eines Panel gegen Brasilien. Sie waren der Auf- fassung, Art. 68 des brasilianischen Patentgesetzes (1996) verstoße u.a. ge- gen Art. 27 und 28 TRIPS. Nach Artikel 68 müssen Inhaber von Patenten, die in Brasilien vollen Patentschutz genießen wollen, nach einer gewissen Zeit die Medikamente direkt vor Ort produzieren. Der bloße Import des patentierten Medikaments genügt nicht, damit sich der volle Schutz ent- faltet. Brasilien, das dieses Gesetz für TRIPS-konform hält, nutzte seine durch das Gesetz eröffneten patentrechtlichen Spielräume, um antiretro- virale Medikamente zur Bekämpfung von HIV/AIDS selbst herzustellen und kostenlos an HIV-Infizierte und an AIDS Erkrankte abzugeben. Der Erwerb von Markenmedikamenten auf regulärem Wege wäre für Brasilien unerschwinglich gewesen. Ein halbes Jahr später, am 5. Juli 2001, erklärten die USA völlig unerwartet gegenüber dem D SB, zu einer Einigung mit Brasilien gekommen zu sein, obwohl beide Parteien nicht von ihrer jewei- ligen Position abgerückt waren. Hintergrund war, dass Brasilien den USA angedroht hatte, seinerseits wegen ähnlicher Bestimmungen im US-Pa-

127 Medicines and Related Substance Control Amendment Act, No. 90 of 1997, § 15C, amending the Medicines and Related Substance Control Act of 1965. 128 Dommen, Hum. Rts. Q. 24 (2002), S. 1 (27 f.). 129 Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Approaching Intellectual Pro- perty as a Human Right, Discussion Paper by Chapman, UN-Dok. E/C.12/1998/12 v. 3.10.2000, S. 71.

130 Vgl. Brazil - Measures Affecting Patent Protection. Request for Consultation by the United States WT/DS199/1 v. 8.6.2000; Measures Affecting Patent Protection. Request for the Establishment of a Panel by the United States, WT/DS199/3 v. 9.1.2001; ausf. hierzu Champ/ Attaran, Yale J. Int'l L. 27 (2002), S. 365 ff.

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tentrecht (Sect. 204 und 209 U.S. Patent Law) gleichfalls ein Streitschlich- tungsverfahren einzuleiten.

Im Ergebnis kann für den Bereich TRIPS festgestellt werden, dass eine Kollisionslage zwischen den Patentierungsverpflichtungen und dem Menschenrecht auf Gesundheit bestand. Die WTO -Mitglieder haben die- se Gefährdungslage jedoch weitgehend zugunsten des Menschenrechts auf Gesundheit aufgelöst.

ß) Zielkonflikte unter dem (AoA) zwischen den Liberalisierungs- verpflichtungen und dem Menschenrecht auf Nahrung? Ein weiterer Zielkonflikt könnte zwischen den mit dem Landwirtschafts- übereinkommen (AoA) eingegangenen Verpflichtungen in ihrer gegen- wärtigen Gestalt und dem Recht auf Nahrung (Art. 1 1 IPwskR, 25 AEMR) bestehen.131

Art. 11 Abs. 1 IPwskR erkennt das Recht auf ausreichende Nahrung an. In Art. 1 1 Abs. 2 IPwskR ist das grundlegende Recht auf Schutz vor Hunger verankert. Zusammen ergeben diese beiden Gewährleistungen das Recht auf Ernährungssicherheit. Ernährungssicherheit wird als ge- geben angesehen, wenn die Bevölkerung eines Landes tatsächlichen und wirtschaftlichen Zugang zu Nahrungsmitteln hat, die ausreichend, nahr- haft und sicher sind in bezug auf Quantität, Qualität und Vielfalt.132 Die Vertragsstaaten sind durch Art. 1 1 IPwskR verpflichtet, einzeln oder im Wege der internationalen Zusammenarbeit die erforderlichen Maßnah- men einschließlich besonderer Programme durchzuführen, um die Ver- wirklichung der Ernährungssicherheit zu gewährleisten.133 Dieses Men- schenrecht muss dabei in Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 IPwskR ge- lesen werden. Art. 2 Abs. 1 IPwskR verpflichtet die Staaten, „unter

131 Vgl. Ziegler, Report by the Special Rapporteur on the Right to Food, submitted in Ac- cordance with Commission on Human Rights Resolution 2001/25, UN-Dok. E/CN.4/ 2002/58, S. 26 ff .; Shiva, Food Rights, Free Trade, and Fascism, in Gibney (Hrsg.), Globa- lizing Rights, The Oxford Amnesty Lectures 1999, 2003, S. 87 ff.

132 Vgl. FAO, Rome Declaration on World Food Security, World Food Summit 13- 17.11.1996, http://www.fao.org/docrep/00s/w3613e/w36163E00.htm; bereits zuvor: FAO, Director General's Report ,World Food Security: A Reappraisal of the Concepts of Approa- ches', 1983; World Bank, Poverty and Hunger, Issues and Options for Food Security in De- veloping Countries, World Bank Policy Study, 1986. 133 „States parties should recognize the essential role of international cooperation and comply with their commitment to take joint and separate action to achieve the full realiza- tion of the right to adequate food. In implementing this commitment, States parties should take steps to respect the enjoyment of the right to food in other countries." (Committee on Economic, Social and Cultural Rights, The Right to Adequate Food, General Comment No. 12 (1999), U.N. Doc. E/C.12/1999/5 v. 12.5.1999.); vgl. auch Hilf, Zum Recht auf Nah- rung im Staats- und Völkerrecht, in Brandt u.a. (Hrsg.), Ein Richter, ein Bürger, ein Christ, Festschrift für Helmut Simon, 1987, S. 873 (880 f.).

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 433

Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten" Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.

Sofern nun die unter dem AoA eingegangenen Verpflichtungen dazu führen, dass die Möglichkeiten der WTO-Mitglieder, insbesondere der Entwicklungsländer und LDCs, Maßnahmen zur Gewährleistung des Rechts auf Ernährungssicherheit zu ergreifen, drastisch verringert wer- den, kann hierin eine Verletzung des Art. 1 1 IPwskR gesehen werden. Mehrere Faktoren, die in Zusammenhang mit den Verpflichtungen unter dem AoA gebracht werden können, haben zu einer Verknappung der Möglichkeiten zur Beschaffung von Nahrungsmittel in einigen Entwick- lungsländern und LDCs geführt.134 So haben viele Industriestaaten, an- statt ihre Exportsubventionen abzubauen, diese seit Inkrafttreten des AoA drastisch erhöht.135 Eine derart verstärkte Exportsubventionierung hat in zweifacher Weise Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage vieler Entwicklungsländer. Zum einen verlieren viele Entwicklungsländer aufgrund der (gestiege-

nen) Subventionierung in den Industriestaaten ihren komparativen Vorteil gegenüber den Agrargütern des Nordens, da die Subventionen den Welt- markpreis künstlich tief halten. Betroffene Entwicklungsländer selbst ha- ben entweder keine Mittel, um ihre eigene Landwirtschaft zu subven- tionieren oder werden von der Weltbank und dem IMF daran gehin- dert.136 Infolge dieser Umstände sind sie gegenüber den Industriestaaten in vielen Agrarbereichen kaum wettbewerbsfähig. Derartige Auswirkun- gen der Exportsubventionen zeigten sich z.B. vor kurzem im Baumwoll- sektor: Hier führten hohe WTO-widrige Baumwollsubventionen, insbe- sondere in den USA (US-$ 3,3 Mrd./Jahr), zu einem künstlichen Ange- botsanstieg von Baumwolle auf dem Weltmarkt und einem Rückgang der Exportpreise. In einigen Staaten in West- und Zentralafrika, die 80 % ihrer Exporteinnahmen mit Baumwolle erwirtschaften, verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage hierdurch dramatisch.137 Die Möglichkeiten, Ernäh-

134 FAO, FAO Symposium on Agriculture, Trade and Food Security, Paper No. 3: Expe- rience with the Implementation of the Uruguay Round Agreement on Agriculture, De- veloping Country Experiences, 9/1999; FAO, Agriculture, Trade and Food, Country Case Studies, vol. II, 2000. Zhang, J. Int.'l Econ. L. 7 (2004), S. 565 (572); Vgl. Mitteilung von Kuba, der Dominikanischen Republik, Ägypten, El Salvador, Honduras, Sri Lanka, Uganda und Zimbabwe, WT/GC/W/374 v. 15.10.1999, paras. 1, 3, 15. 135 Ritchie/ Dawkins, Minn. J. Global Trade 9 (2000), S. 9 (13 ff.) m.w.N.; Gonzalez, Co- lum. J. Envtl. L. 27 (2002), S. 433 (476 ff.). 136 Sharma, Indian Farmers not Benefiting from WTO Agreement, South-North Dev. Monitor v. 24.10.2000, S. 4767. Vgl. auch Aussagen des chilenischen Agrarministers in Chile to Seek Waiver from WTO for Wider Agriculture Price Band, Int'l Trade Rep. 16 (1999), S. 936 (936). 137 Vgl. hierzu Hörmann, §36. Post-Urugay-Prozess, in Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO- Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, S. 681 (695).

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rungssicherheit im eigenen Land herzustellen wurden dadurch für diese Staaten erheblich verschlechtert. Darüber hinaus haben viele Entwicklungsländer ihre zum Teil abge-

schotteten Märkte geöffnet, so dass die heimischen Kleinbauern den Druck der niedrigen Weltmarktpreise ebenfalls zu spüren bekommen. Sie müssen mangels ihrer Konkurrenzfähigkeit nach und nach aufgeben. Da- durch gerät das jeweilige Land in noch größere Abhängigkeit von Impor- ten und muss mehr Geld für Nahrungsmittel ausgeben. Auf Dauer führt eine gestiegene Importnachfrage wiederum zu einem Ansteigen der Im- portpreise und damit letztlich zu noch größeren Ausgaben für den Import von Agrargütern auf Seiten der Netto-Importeure unter den Entwick- lungsländern bei gleichzeitig verringerten Einnahmen.138 Diese Entwick- lung wiederum würde die Ernährungssicherheit in vielen Netto-Import- ländern zusätzlich bedeutend verringern. Warum nehmen aber betroffene Entwicklungsländer nicht das Streit-

beilegungssystem der WTO in Anspruch, um sich gegen WTO -widrige Subventionen zur Wehr zu setzen? Die Antwort liegt im AoA begründet: Gemäß Art. 13 AoA haben sich die WTO -Mitglieder während des Durchführungszeitraums dazu verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2003, keine WTO -Streitbeilegungsverfahren für die Überprüfung von nach dem AoA zulässigen internen Unterstützungsmaßnahmen oder Export- subventionen anzustrengen (sog. peace clause). Erst seit Anfang 2004 sind Streitbeilegungsverfahren in diesem Bereich möglich. Dass es im Zuge der Umsetzung der Liberalisierungsverpflichtungen

unter dem AoA jedenfalls vorübergehend zu den genannten Auswirkun- gen kommen könnte, war bereits im Vorfeld vorhergesehen worden. Aus diesem Grund wurde gleichzeitig mit Abschluss des AoA eine Vereinba- rung (Marrakesh Decision) getroffen, worin sich die Industriestaaten ver- pflichteten, die möglichen negativen Folgen auf importabhängige und am wenigsten entwickelte Staaten mittels Finanz- und Nahrungshilfe, techni- scher Unterstützung und Exportkrediten aufzufangen.139 Diese Vereinba- rung wurde jedoch nie angewandt. Als sich 1995 und 1996 etwa die Welt- marktpreise für Getreide verdoppelten, sah das WTO Committee on Ag- riculture dies unter Berufung auf eine Untersuchung des IMF140 nicht als Folge der Öffnung der Märkte an und verweigerte 1996 die versprochene

138 Konendreas/Sh arma/ Greenfield, The Uruguay Round, The Marrakesh Decision and the Role of Food Aid, in Clay/Stokke (Hrsg.), Food Aid and Human Security, 2000, S. 76 (77); FAO, The State of Food and Agriculture, Agricultural Trade, Entering a New Era?, FAO Agricultural Series No. 28, 1995.

1JV Decision on Measures Concerning the rossible JNegative Jtrrects or the Ketorm rro- gramme on Least-Developed and Net Food-Importing Developing Countries, www.wto. org/english/docs_e/legal_e/35-dag.pdf (Stand: 15.8.2005).

140 International Monetary Fund Working Paper, The Uruguay Round and Net Food Im- porters, 1995.

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Hilfe.141 Bis heute wurde keine Hilfe auf Grundlage dieser Vereinbarung geleistet mit der Begründung, es könne nicht eindeutig festgestellt wer- den, dass die gestiegenen Weltmarktpreise auf die Liberalisierung unter dem AoA zurückgeführt werden können.142 Diese Feststellung wurde nunmehr jedoch von den Streitbeilegungsor-

ganen der WTO mit verbindlicher Wirkung vorgenommen. Trotz der peace clause strengte Brasilien bereits im Jahre 2003 ein Streitbeilegungs- verfahren gegen die USA wegen Subventionszahlungen an, welche die USA ihren Baumwollproduzenten in den Jahren 1999 bis 2002 gewährt hatte.143 Mit diesem Vorgehen wollte Brasilien noch höhere Subven- tionszahlungen an US-Landwirte, die für den Zeitraum 2002 bis 2007 vor- gesehen waren, verhindern.144 Brasilien obsiegte: Die Streitbeilegungsor- gane der WTO erklärten sowohl die Baumwollsubventionen in Höhe von 3,2 Mrd. USD als auch weitere US-Exportkredite für Baumwolle und an- dere Handelsgüter in Höhe von 1,6 Mrd. USD für unvereinbar mit dem AoA, dem SCM sowie dem GATT 1994. Von besonderer Bedeutung ist zum einen, dass die Streitbeilegungsorgane den Spielraum für zulässige Subventionszahlungen in dieser Entscheidung deutlich verengten.145 Dar- über hinaus stellten sie ausdrücklich fest, dass die preisabhängigen Sub- ventionen der USA kausal für den niedrigen Weltmarktpreis gewesen sind und erkannten eine ernsthafte Schädigung von Produzenten anderer Staa- ten an.146 Dies erstmalige Anerkennung des Kausalzusammenhangs zwi- schen preisabhängigen Subventionen und dem Niveau der Weltmarkt- preise unterstützt die Forderung vieler Entwicklungs- und Schwellen- länder nach einer entwicklungsfreundlichen Außenhandelspolitik. Die Stellung der Industriestaaten wurde demgegenüber durch diese Entschei- dungen erheblich geschwächt. Sie müssen nun ernsthaft an einem Ab- und Umbau ihrer Subventionspolitik im Agrarbereich arbeiten, wollen sie nicht Gefahr laufen, aufs Neue vor den Streitbeilegungsorganen der WTO zu unterliegen.

141 Ritchie/ Dawkins, Minn. J. Global Trade 9 (2000), S. 9 (25). 142 Vgl. Posner, Unequal Harvest, Farmers' Voices on International Trade and the Right to Food, www.ictsd.org/ministerial/doha/docs/RighttoFood.pdf (Stand: 15.11.2004), S. 18; FAO, Sixty-third Session of the Committee on Comodity Problems, www.fao.org/DO CREP/MEETING/003/X9311e.htm (Stand: 15.11.2004), para. 17; Dommen, Hum. Rts. Q. 24 (2002), S. 1 (33). 14J United States - Subsidies on Upland Cotton, Panel Report; WT/DS267/R sowie United States - Subsidies on Upland Cotton, WT/DS267/AB/R, angenommen am 21.3.2005.

144 Vgl. Farm Security and Rural Investment (SFRI) Act of 2002. 145 United States - Upland Cotton, Panel Report, (Fn. 139) paras. 7.383 - 7.385, 7.1042-

7.1072; United States - Upland Cotton, Appellate Body Report, (Fn. 139), paras. 331-341, 534-546.

146 United States - Upland Cotton, Panel Report, (Fn. 139) paras. 7.1347 - 7.1355; United States - Upland Cotton, Appellate Body Report, (Fn. 139), paras. 489 - 496.

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Insoweit ist zweifelhaft, ob eine Gefahr für die Ernährungssicherheit tatsächlich von den unter dem AoA eingegangenen Liberalisierungsver- pflichtungen ausgeht oder ob vorrangig andere Gründe für die gegen- wärtige Schieflage im Kosten-Nutzen-Verhältnis zu Lasten vieler Ent- wicklungsländer verantwortlich sind. Teilweise werden die Libera- lisierungsbestrebungen im Agrarsektor insgesamt als Gefahr für die Ernährungssicherheit angesehen. So würde die im Falle fortschreitender Liberalisierung notwendige Konzentration auf wenige wettbewerbsfä- hige Agrargüter ein Land zu stark auf den Export konzentrieren und den inländischen Bedarf außer Betracht lassen. Denn ein derartiges System begünstigt notwendigerweise große monokulturelle Agrarindustrien zu Lasten von Kleinbauern die vorrangig für den eigenen und regionalen Bedarf produzieren würden.147148

Es muss jedoch bedacht werden, dass die oben skizzierten Entwick- lungen vor allem auf eine mangelhafte Umsetzung des AoA und ein WTO -widriges Verhalten einiger Industriestaaten zurückgeführt wer- den können.149 Probleme bereiten vor allem die drastisch erhöhten Exportsubventionen und der immer noch in weiten Teilen fehlende Zu- gang für Entwicklungsländer zu den Agrarmärkten der Industriestaaten und anderer Entwicklungsländer.150 Eine Studie der Weltbank zeigt, dass durch einen uneingeschränkten Zugang zu den Agrarmärkten der Industrienationen sowie durch die Abschaffung der Exportsubven- tionen das Einkommen von Entwicklungsländern schätzungsweise um USD 11,6 Mrd. jährlich steigen könnte. USD 9 Mrd. könnten sie durch eine uneingeschränkte Marktöffnung im Bereich Textilien erzielen.151 Aber auch eine Öffnung ihrer eigenen Märkte wäre für die Entwick- lungsländer vorteilhaft, weil der für sie relevante Handel in erster Linie mit anderen Entwicklungsländern erfolgt. So könnten nach Schätzun- gen der Weltbank die Entwicklungsländer jährlich USD 31 Mrd. im Agrarbereich erzielen, sofern sie selbst ihre eigenen Märkte öffneten.152 Würden folglich die Agrarsubventionen in den Industriestaaten WTO- konform abgebaut und würden die WTO-Mitglieder ihre Verpflichtun- gen zum Marktzugang erfüllen, könnte die Schieflage im Kosten-Nut-

147 Centre Europe Tiers-Monde, Sub-Commission on Promotion and Protection of Human Rights, The Realization of Economic, Social and Cultural Rights, U.N.-Doc. E/ CN.4/Sub.2/1999/NGO/25 v. 19.7.1999.

148 Dommen, Hum. Rts. Q. 24 (2002), S. 1 (34). 149 Vgl. Dommen, Hum. Rts. Q. 24 (2002), S. 1 (35 f.); Ziegler (Fn. 131), S. 27. ^ Gonzalez, Colum. J. Envtl. L. 27 (2002), i>. 433 (479 1.). 151 World Bank, Global Economic Trade Prospects 2002 - Making Trade Work tor the

World's Poor, 2001. 152 Vgl. World Bank (Fn. 151).

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zen-Verhältnis zu Lasten der Entwicklungsländer wesentlich verringert werden.153

Der Vertragstext des AoA selbst trägt dem Recht auf Nahrung sowohl implizit als auch ausdrücklich angemessen Rechnung: So ist das Langzeit- ziel des AoA seiner Präambel zufolge die Schaffung eines gerechten und marktorientierten weltweiten Agrarhandels. Zu diesem Zweck haben die WTO-Mitglieder Zugeständnisse in den Bereichen Marktzugang, natio- nale Subventionen und Exportsubventionen gemacht. Bei der Gewährung solcher Zugeständnisse soll die Ernährungssicherheit der Präambel zufol- ge ausdrücklich mitberücksichtigt werden. Paragraf 3 des Annex 2 zum AoA nimmt ausdrücklich Maßnahmen, die zum Zwecke der Ernährungs- sicherheit getroffen werden, von den Verpflichtungen zur Reduzierung von Subventionen aus. Darüber hinaus basieren die Art. 15 bis 19 AoA, die eine spezielle und differenzierte Behandlung von LDCs und Netto- importeuren unter den Entwicklungsländern in bezug auf Zugeständnisse und Verpflichtungen vorsehen, auf Gründen der Ernährungssicherheit.154 Das AoA verpflichtet die WTO-Mitglieder außerdem ausdrücklich zu ei- ner Berücksichtigung der Ernährungssicherheit in den Entwicklungslän- der, sofern die WTO-Mitglieder Maßnahmen ergreifen. Beispielsweise bestimmt Art. 12 AoA, dass eine Regierung, die neue Exportkontrollen in bezug auf Nahrungsmittel erlässt, berücksichtigen soll, welche Auswir- kungen solche Verbote und Beschränkungen auf die Ernährungssicher- heit der importierenden WTO-Mitglieder haben. Überdies ist das AoA von vornherein nur als temporäre Vereinbarung

betrachtet worden ist. Art. 1 lit f) AoA i.V.m. Art. 20 AoA verpflichten die WTO-Mitglieder zur Aufnahme von Verhandlungen im Jahre 2000 (sog. built-in-agenda). Im Rahmen ihrer Verhandlungen sollen die WTO-Mit- glieder ausdrücklich die in der Präambel niedergelegten Ziele und Erwä- gungen berücksichtigen. Die Präambel bestimmt wiederum ausdrücklich, dass die spezielle und unterschiedliche Behandlung von Entwicklungslän- dern ein integraler Bestandteil der Verhandlungen sein soll, in denen die möglichen negativen Wirkungen einer Handelsliberalisierung im Agrar- bereich auf LDCs und Entwicklungsländer, die mehr Nahrungsmittel im- portieren als exportieren, Rechnung getragen werden soll. Bereits im Vor- feld der Doha-Handelsrunde war vorgeschlagen worden, auch andere Teile des AoA entwicklungsländerfreundlich auszulegen155 und vor die- sem Hintergrund die gegenwärtigen AoA-Verpflichtungen zu überden-

153 Vgl. hierzu Hörmann (Fn. 137), S. 681 (682). 154 Zhang,]. Int.'l Econ. L 7 (2004), S. 565 (571 f.). 133 So schlagt Mauritius vor, „that Article 20 does not stand alone but should be read in conjunction with other parts of the AoA, mindful of various international commitments. In this context, the following are particularly relevant: the ICESCR which emphasizes the im-

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ken und für Entwicklungsländer flexibler zu gestalten.156 Auch in den Verhandlungsverpflichtungen wird somit der Ernährungssicherheit ein breiter Raum eingeräumt. Diesen Verpflichtungen sind die WTO -Mitglieder auf Drängen der

Entwicklungsländer ansatzweise nachgekommen. Sie haben 2001 die Be- reiche Landwirtschaft und Entwicklung im Rahmen der Doha Develop- ment Agenda und der verabschiedeten Beschlüsse157 zum Hauptgegen- stand der neuen Handelsrunde gemacht.158 Die Ministerkonferenz hat dabei ausdrücklich anerkannt, dass im Rahmen weiterer Verhandlungen hinsichtlich der Liberalisierung des Landwirtschaftssektors größere An- strengungen zum Schutz des Rechts auf Nahrung erforderlich sind.159 Zusätzlich wurde außerhalb des regulären WTO-Budgets der Doha De- velopment Agenda Global Trust Fund für technische und finanzielle Un- terstützung der Entwicklungsländer bei der Umsetzung der WTO -Ver- pflichtungen eingerichtet.160 Für 2004 waren Ausgaben in Höhe von ca. € 15,4 Mio. vorgesehen. Wie sich bereits auf der gescheiterten Minister- konferenz von Cancun gezeigt hat, hängt der Erfolg der Doha-Handels- runde schlicht davon ab, dass die Industriestaaten ihren in Doha gegebe- nen Versprechen in angemessener Weise nachkommen.161 Insoweit wird die WTO mehr und mehr zu einem Forum, das auch den wirtschaftlich schwächeren Ländern die Möglichkeit bietet, ihre durch die Handelslibe- ralisierung tangierten menschenrechtlichen Belange in Zusammenarbeit mit anderen Entwicklungsländern zu Gehör zu bringen und Unterstüt- zung zu erhalten.162

portance of adequate food supply alongside the continuous improvement of living condi- tions ...", Fourth Special Session of the Committee on Agriculture, Non- trade Concerns, Statement by Mauritius, WTO-Dok. G/AG/NG/W/75 v. 30.11.2000.

156 So fordern Kuba, die Dominikanische Republik, Honduras, Pakistan, Haiti, Nicara- gua, Kenia, Uganda, Zimbabwe, Sri Lanka und El Salvador eine sog. development/food se- curity box in das AoA einzufügen, die die spezifischen Bedürfnisse hinsichtlich der Ernäh- rungssicherheit und die Situation der Entwicklungsländer anerkennt, WTO-Dok. G/AG/ NG/W/13V. 23.6.2000.

157 Während der Ministerkonferenz von Doha im November 2001 wurden drei Kerndo- kumente verabschiedet: (1) Die zehnseitige Ministererklärung (WTO-Dok. WT/MIN(01)/ DEC/1), die seitdem die Bezeichnung Doha Development Agenda trägt und die Vorgaben für die Verhandlungsmandate bzw. die Vorbereitung von Verhandlungsmandaten in den ein- zelnen Handelsbereichen enthält; (2) die Erklärung zum TRIPS-Übereinkommen und die Erklärung zur öffentlichen Gesundheit (WTO-Dok. WT/MIN(01)/DEC/2), sowie (3) die Entscheidung zu implementationsbezogenen Fragen und Besorgnissen (WTO-Dok. WT/ MIN(01)/17), die sich auf die praktische Umsetzung der WTO -Verpflichtungen bezieht.

138 Vgl. hierzu ausführlich Hörmann (tn. 153 ), î>. 681 (6Vi;. 159 Ministerial Declaration (Fn. 157), para. 13; vgl. auch den Vorstoß Norwegens, WTO- Dok. G/AG/NG/W/101 vom 16.1.2001, para. 29. 160 Vgl. hierzu Michaelis/ Jessen, §31. WTO und Entwicklung, in Hilf/Oeter, WTO- Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, S. 601 (620 f.). 161 Vgl. Hörmann (Fn. 137), S. 681 (697 it.). 162 So auch Amorim (brasilianischer Außenminister), Commentary: The Real Cancun, Asian Wall St. J. v. 26.9.2003, S. A9; Powell, Fla. J. Int'l L. 16 (2004), S. 219 (230).

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Im Bereich des AoA wird damit grundsätzlich das Recht auf Nahrung in Form der Ernährungssicherheit berücksichtigt. Es liegen jedoch Unter- suchungen vor, die eine Verletzung des Rechts auf Nahrung in einigen Entwicklungsländern aufzeigen. Diese Verletzungen beruhen jedoch vor- rangig auf einer uneinheitliche Umsetzung der WTO -Verpflichtungen unter dem AoA und auf einem WTO -widrigen Verhalten einiger In- dustriestaaten. Die WTO-Mitglieder haben sich jedoch verpflichtet, we- sentliche Änderungen im Bereich des AoA vorzunehmen. Der Bereich Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Verhandlungsgegenstände im Rahmen der Doha-Handelsrunde. Zusätzliche Unterstützung für ihre Anliegen in diesem Bereich können nachteilig betroffene Entwicklungs- und Schwellenländer nunmehr von den Streitbeilegungsorganen erwar- ten. Auch im Bereich des AoA wird somit versucht, das Welthandelsrecht menschenrechtskonform zu gestalten.

y) Zukünftige Zielkonflikte unter dem GATS durch weitergehende Liberalisierung ?

Im Bereich des GATS wurden für die gegenwärtig liberalisierten Dienst- leistungsbereiche bislang keine Zielkonflikte mit Menschenrechten iden- tifiziert. Jedoch wird eine Verschlechterung der menschenrechtlichen Lage befürchtet, sofern es zu einer weitergehenden Liberalisierung unter dem GATS in den menschenrechtsrelevanten Bereichen der Gesundheits- und Trinkwasserversorgung sowie der Bildungsstätten kommt. Der dis- kriminierungsfreie Zugang zur Gesundheits- und Trinkwasserversorgung wird vom Schutzbereich des Menschenrechts auf Gesundheit aus Art. 12 IPwskR erfasst.163 Zu den Verpflichtungen der Vertragsstaaten gehört es, sicherzustellen, dass eine Privatisierung des Gesundheitssektors nicht zu einer Bedrohung für die Versorgung, den Zugang und die Qualität der Gesundheitseinrichtungen wird.164 Das Recht auf Bildung (Art. 26 AEMR, Art. 13 u. 14 IPwskR) beinhaltet das Recht auf diskriminierungs- freien Zugang zu Bildungseinrichtungen.165

163 Vgl. z.B. General Comment No. 15, UN-Dok. E/C.12/2002/11 v. 26.11.2002 sowie General Comment No. 14 on the Right to the Highest Attainable Standard of Health, UN- Dok. E/C. 12/2000/4 vom 11. August 2000, angenommen durch den Ausschuss für wirt- schaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf seiner 22. Sitzung im April/Mai 2000. Ausf. zum Menschenrecht auf Wasser Nowrot/Wardin, Liberalisierung der Wasserversorgung in der WTO -Rechtsordnung, Die Verwirklichung des Menschenrechts auf Wasser als Aufgabe einer transnationalen Verantwortungsgemeinschaft, Beiträge zum Transnationalen Wirt- schaftsrecht, Heft 14, Juni 2003, S. 1 ff. 164 General Comment No. 14, para. 35; ausf. Hestermeyer, Max Planck UNYB 8 (2004), S. 101 (135 ff.). 165 Art. 26 AEMR, Art. 13 u. 14 IPwskR, Art. 28 u. 29 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes; vgl. zur Auslegung des Rechts auf Bildung General Comment No. 13 on

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Grundsätzlich werden öffentliche Dienstleistungen gemäß Art. 1:3 lit. c) GATS zwar vom Anwendungsbereich des GATS nicht erfasst. Da die auf- gezählten Versorgungsleistungen jedoch in den meisten Staaten größten- teils durch eine Mischung aus öffentlichen und privaten Dienstleistungen sichergestellt werden,166 könnten sie zukünftig nur dann dem GATS un- terfallen, wenn diese Sektoren in weiteren Verhandlungsrunden für den Welthandel geöffnet werden.167

Die Auswirkungen von denkbaren Liberalisierungsprozessen in men- schenrechtsrelevanten Bereichen wie dem Bereich der Bildung sowie der Gesundheits- und Trinkwasserversorgung mangels konkreter Regelun- gen können derzeit noch nicht ausreichend abgeschätzt werden, so dass auch mögliche Zielkonflikte zwischen konkreten GATS-Verpflichtungen und den genannten Menschenrechten zwar möglich sind, jedoch nicht notwendig auftreten müssen.

Schon jetzt kann jedoch prognostiziert werden, dass eine unkontrollier- te Liberalisierung in den genannten Bereichen fatale Konsequenzen haben könnte: Da die Privatwirtschaft auf gewinnorientiertes Handeln ausge- richtet sei, könnten große Teile der ärmeren Bevölkerungsgruppen von ei- nem Zugang zur Wasserversorgung, zu sanitären Anlagen, zur Gesund- heitsversorgung oder zu Schulen abgeschnitten werden oder es könnte zu einer für die überwiegende Bevölkerung nachteiligen Umverteilung der insbesondere in Entwicklungsländern bereits knappen Ressourcen kom- men. Vor dem Hintergrund, dass eine einmal erfolgte Privatisierung und Liberalisierung kaum wieder rückgängig gemacht werden kann, sollte ein solcher Vorgang daher lediglich stufenweise und kontrolliert erfolgen. Unterstützend könnte dabei eine Zusammenarbeit der WTO mit den je- weiligen UN-Organisationen wirken, in deren Rahmen für den jeweili- gen Dienstleistungssektor im Vorfeld angemessen abgeschätzt wird, in welchem Umfang und in welchem Zeitraum eine Liberalisierung für den jeweiligen Bereich sinnvoll ist.168

the Right to Education, UN-Dok. E/C.12/1999/10 v. 18.12.1999, angenommen durch den Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte am 8.12.1999.

166 Vgi lardone, Conn. J. Int'l L. 18 (2003), S. 183 (190 ff.) zu den möglichen Mischfor- men.

167 So sollten im Rahmen der Doha-Runde bis zum 1.1.2005 unter dem GAI S weitere Li- beralisierungen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen verbindlich vereinbart werden, siehe Ministerial Declaration, Ministerial Conference, Fourth Session Doha, angenommen am 14.11.2001, WTO-Dok. WT/MIN(01)/DEC/l v. 20.11.2001, paras. 15, 45; vgl. ausführlich zu den Liberalisierungsbestrebungen im Bereich der Wasserversor- gung Nowrot/Wardin (Fn. 163), S. 29 ff.

168 Ygi Report of the High Commissioner, Economic Social and Cultural Rights, Liberalization of Trade in Services and Human Rights, UN-Dok. E/CN.4/Sub.2/2002/9 v. 25.6.2002; zu den Vor- und Nachteilen einer weiteren Liberalisierung im Bereich der Wasser- versorgung vgl. Nardone, Conn. J. Int'l L. 18 (2003), S. 183 (184 ff.)

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Die Hauptgefahr im Falle einer fortschreitenden Liberalisierung des Dienstleistungssektors ist die hierdurch dem Staat eröffnete Möglichkeit, sich unter Hinweis auf die Privatisierung mehr und mehr seiner Verant- wortung zur Daseinsvorsorge entziehen zu können. Auch im Rahmen ei- ner fortschreitenden Liberalisierung bleibt der Staat jedoch verpflichtet, eine gleichmäßige Versorgung aller Bürger mit den für eine angemessene Lebensführung erforderlichen Gütern und Dienstleistungen zu garantie- ren. Insoweit wandelt sich seine Pflicht zur Daseinsvorsorge lediglich zu einer Gewährleistungsverantwortung, die „jedenfalls ein Mindestmaß an sozialpolitisch wünschenswerten Dienstleistungen mit den Mitteln öf- fentlicher Gewalt im grundsätzlich freien Markt zu garantieren"169 hat. Diese Gewährleistungsverantwortung gilt es im Falle einer fortschreiten- den Privatisierung des Dienstleistungssektors sicherzustellen. Werden diese Grundgedanken im Rahmen der zukünftigen Liberalisierungen im Bereich der Dienstleistungen eingehalten, werden sich Zielkonflikte zwi- schen GATS-Verpflichtungen und internationalen Menschenrechten von vornherein abfedern lassen.

Im Ergebnis geht damit eine Gefährdung der Menschenrechte auf Ge- sundheit und auf Bildung von den gegenwärtig eingegangenen GATS- Verpflichtungen nicht aus. Eine zukünftige Liberalisierung muss - sollen Konfliktlagen zwischen WTO -Verpflichtungen und Menschenrechten vermieden werden - notwendig kontrolliert und unter ausreichender Be- rücksichtigung der gleichwohl möglichen Auswirkungen auf die Ver- wirklichung der genannten Menschenrechte erfolgen.

b) Möglichkeit unilateraler Handelsbeschränkungen durch Industriestaaten zum Schutz internationaler Menschenrechte

Industriestaaten scheinen im Gegensatz zu Entwicklungsländern vorran- gig um ihren außenpolitischen Spielraum zur Bekämpfung menschen- rechtswidriger Praktiken in anderen Staaten besorgt zu sein. Dabei geht es um die Frage, ob und inwieweit unilaterale Handelsbeschränkungen zur Durchsetzung solcher internationalen menschenrechtlichen Standards unter der WTO -Rechtsordnung noch zulässig sind. Hier müssen grund- sätzlich zwei Anknüpfungspunkte für unilaterale Handelsbeschränkun- gen unterschieden werden:

169 Di Fabio, Der offene Staat in der Wirtschaftsgesellschaft, in Kirchhof / Lehner u.a. (Hrsg.), Staaten und Steuern, Festschrift für Klaus Vogel, 2000, S. 3(14); ders., Der Verfas- sungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 39; siehe auch Ho ff mann- Riem, Verantwortungs- teilung als Schlüsselbegriff moderner Staatlichkeit, in Kirchhof / Lehner u.a. (Hrsg.), ebda., S.47(54).

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1. Handelsbeschränkungen gegenüber Produkten, die unter menschen- rechtswidrigen Bedingungen hergestellt worden sind, bspw. Import- verbote gegenüber durch Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder schwer ge- sundheitsschädigende Produktionsmethoden (processes and produc- tion methods [PPM]) hergestellte Waren. Z.B. erließen die USA ein Gesetz, das jeglichen Import von Waren, die durch erzwungene Kin- derarbeit oder von Kindern im Rahmen eines Lehrverhältnisses herge- stellt worden sind, verbietet.170

2. Handelsbeschränkungen produktbezogener oder allgemeiner Art auf- grund generell menschenrechtsverletzender Zustände in einem Land, wie z.B. Importverbote für Produkte aus einem Staat, in dem systema- tisch gefoltert wird.171

Für unilaterale Handelssanktionen zum Schutz von Menschenrechten be- lässt die WTO -Rechtsordnung ihren Mitgliedern auf den ersten Blick we- nig Raum. Sie verstoßen in der Regel gegen Art. I, II, III und XI GATT. Ausdrücklich sind nach Art. XXI lit. c) GATT nur vom UN-Sicherheits- rat - also multilateral - angeordnete Handelssanktionen zur Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit erlaubt. Hierunter fallen auch Handelssanktionen aufgrund von schweren Men- schenrechtsverletzungen.172 So wurde das Embargo des UN-Sicherheits- rates gegen Diamanten aus Sierra Leone u.a. mit den dort vorherrschen- den massiven Menschenrechts Verletzungen begründet.173

Ob unilaterale Handelssanktionen erlaubt sind, wie z.B. Importverbote für bestimmte Produkte aus Staaten, in denen Menschenrechtsverletzun- gen erfolgen, ist daher umstritten. Die Streitbeilegungsorgane der WTO haben zur Zulässigkeit unilateraler Handelsbeschränkungen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen bislang noch nicht Stellung genommen. Diskutiert werden zwei Anknüpfungspunkte für eine Rechtmäßigkeit unilateraler Handelsbeschränkungen aufgrund menschenrechtlicher Be- lange: Sie könnten entweder zumindest im Hinblick auf Art. III GATT nach Art. 111:4 GATT zulässig oder jedenfalls unter den Ausnahmeklau- seln der Art. XX, XXI GATT gerechtfertigt sein.

170 Trade and Development Act of 2000, Pub. L. 106-200, Title IV § 41 l(a), 1 14 Stat. 298, amending 19 U.S.C. §1307. 171 Hierzu ausf. Cleveland, J.I.E.L. 5 (2002), S. 133 tt. unter Bezug zu Burma.

172 Vgl. Fassbender, UN Security Council Reform and the Right of Veto - A Constitutio- nal Perspective, 1998, S. 207 ff. 173 U.N.S.C. Res. 1306; vgl. auch die Handelssanktionen gegenüber Südafrika, U.N.S.C. Res. 418 (1977) und U.N.S.C. Res. 569 (1985) sowie gegenüber Haiti, U.N.S.C. Res. 841, U.N. Doc. S/RES/841 (1993).

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 443

a) Vereinbarkeit mit Art. 111:4 GATT

Art. 111:4 GATT verbietet nur eine Ungleichbehandlung „gleichartiger" Waren {like products) im Hinblick auf deren Ein- und Ausfuhr. Fraglich ist, ob eine Ware, die unter menschenrechtsverletzenden Produktions- methoden hergestellt wurde, z.B. durch Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder schwer gesundheitsschädigende Produktionsbedingungen, als nicht gleichartig eingestuft werden könnte, auch wenn diese Ware hin- sichtlich ihrer physischen Eigenschaften nicht von einheimischen Pro- dukten abweicht. In diesem Fall wäre Art. III GATT nicht verletzt.174 Nach vorherrschender Auffassung ist eine Ungleichbehandlung jedoch

nur zulässig, sofern sich der Unterschied in den physischen Eigenschaf- ten der Ware widerspiegelt. Eine allein auf nicht produktbezogenen pro- cesses and production methods (PPMs)175 beruhende Unterscheidung sei hingegen unzulässig.176 Unter menschenrechtsverletzenden Produk- tionsmethoden hergestellte Waren seien daher als „gleichartige Waren" einzustufen. Betrachtet man lediglich Waren als nicht gleichartig, bei denen sich der

Unterschied in den physischen Eigenschaften der Ware zeigt, bleibt für die Berücksichtigung von PPMs nur noch der Weg über die Ausnahmeklau- seln. Ein Importverbot für Waren, die unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen hergestellt wurden, wäre daher grundsätzlich als prima facie- Verstoß gegen Art. 111:4 GATT zu werten und bedürfte einer besonderen Rechtfertigung.177 Auf den ersten Blick scheint dieses Regel- Ausnahme- Verhältnis dazu zu führen, dass menschenrechtliche Belange sich gegen- über der WTO -Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung hintanstellen müssen. Dieser Eindruck entsteht insbesondere durch die allseits sowohl aus dem deutschen Recht als auch aus dem EU-Recht bekannte Rechtspre- chungspraxis, Ausnahmen zu materiellen Regelungen eng auszulegen.178 Eine derartige Regel hat der Appellate Body jedoch im EC - Hormones- Fall für das WTO-Recht ausdrücklich abgelehnt: „[MJerely characterizing a treaty provision as an ,exception' does not , by itself, justify a stricter' or

174 Für diesen Ansatz: Neumann, (Fn.4O), 2002, S. 129 ff.; Howse/Regan,E.J.l.L. 11 (2000), S. 249 (258 ff.); Francioni (Fn. 72), S. 1 (17 f.). 175 Vgl. hierzu ausf. Puth, § 30. WTO und Umwelt, in Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, S. 577 (588 f.). 176 Jackson, EJ.I.L. 11 (2000), S. 303 (303 f.); Cottier/ M avroidis, in dies. (Hrsg.), Regula- tory Barriers and the Principle of Non-Discrimination in World Trade Law, 2000, S. 389 (390 f.). 177 V Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 425 (434). 178 Vgl. insbesondere die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten, z.B. EuGH, Rs. 7/61, Kommission/Italien, Slg. 1961, S. 695 (720); EuGH, Rs. 113/80, Kommis- sion/Irland, Slg. 1981, S. 1625 (1637). So auch die frühere Ansicht der Panel unter dem GATT 1947, z.B. United States - Restrictions on Imports of Tuna, GATT Doc. DS21/R v. 3.9.1991 (nicht angenommen), para. 5.22.

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narrower* interpretation"179. Der Appellate Body verweist vielmehr da- rauf, dass „a balance must be struck between the right of a Member to in- voke an exception and the duty of that same Member to respect the treaty rights of the other Members... so that neither of the competing rights will cancel each other out."180 Folglich wird durch das WTO -rechtliche Regel- Ausnahme- Verhältnis weder eine Wertung über das Verhältnis von WTO- Verpflichtungen und internationalen Menschenrechten ausgesprochen noch werden die Möglichkeiten der WTO-Mitglieder zum Erlass von Im- portverboten aus menschenrechtlichen Erwägungen heraus a priori zu stark beschränkt. Für die Sichtweise, dass es sich bei unter menschenrechtsverletzenden

Produktionsmethoden hergestellten Produkten um gleichartige Waren handelt, spricht zudem die systematische Auslegung. Eine spezielle Aus- nahmeklausel für in Strafanstalten hergestellte Waren wie in Art. XX lit. e GATT wäre nämlich unnötig, wenn solche Produkte aufgrund unter- schiedlicher PPMs von vornherein nicht als gleichartig zu qualifizieren wären. 181 Nach dem Willen der Vertragsparteien ist es zudem Sinn und Zweck der WTO-Übereinkommen, protektionistische Maßnahmen zu verhindern.182 Dieses Ziel kann besser erreicht werden, wenn unter men- schenrechtswidrigen Produktionsmethoden hergestellte Waren zunächst generell dem Verbot des Art. III GATT unterfallen und jeweils besonders anhand spezieller Ausnahmeklauseln gerechtfertigt werden müssen, als wenn sie von vornherein nicht dem Verbotstatbestand unterfielen.

Unter menschenrechtswidrigen Bedingungen hergestellte Waren sind daher nicht als nicht gleichartig zu qualifizieren. Es kommt daher nur eine Rechtfertigung unilateraler Handelsbeschränkungen zum Schutz von Menschenrechten in den Herkunftsstaaten im Rahmen der Ausnahme- klauseln der Art. XX, XXI GATT in Betracht.183

ß) Rechtfertigungsmöglichkeit unter Art. XX GATT

Obwohl Menschenrechtsverletzungen in den Ausnahmetatbeständen nicht ausdrücklich als Rechtfertigungsgrund genannt sind, sehen einige Stimmen in der Literatur sie als von diesen abgedeckt an. Aus der Ent-

179 EC - Hormones (Fn. 14), para. 104. 180 US - Shrimp (Fn. 75), paras. 156, 159. 181 Vázquez, The Relationship Between the International Law ot Irade and the Interna- tional Law of Human Rights, in Inter- American Juridical Committee, Secretariat for Legal Affairs, O AS General Secretariat (Hrsg.), Rights and Duties of States Under the 1982 Law of the Sea Convention, 2000, S. 145 (160).

182 Jackson, E.J.I.L. 1 1 (2000), S. 303 (303 1.). 183 Die nachfolgenden Überlegungen gelten ebenso tur den nahezu wortgleichen Art.XIVGATS.

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 445

Scheidung US - Shrimp184 wird teilweise gefolgert, dass der Appellate Body zur Auslegung des Art. XX GATT auch Menschenrechte heran- ziehen wird, sofern beide Streitparteien auch Parteien der einschlägigen Menschenrechtspakte sind.185 Ob eine dahingehende Anwendung des Art. XX GATT durch die Streitschlichtungsorgane wahrscheinlich ist, hängt von drei Voraussetzungen ab: (1) Zum einen muss Art. XX GATT generell zum Schutz von Rechten und Rechtsgütern, wie sie durch inter- nationalen Menschenrechte geschützt werden, angewandt werden kön- nen. (2) Darüber hinaus müssen internationale Menschenrechte unter die von Art. XX GATT geschützten Rechtsgüter subsumiert werden kön- nen. (3) Und schließlich müssen die zum Schutz internationaler Men- schenrechte ergriffenen handelsbeschränkenden Maßnahmen den cha- peau des Art. XX GATT erfüllen.

(1) Schutz von internationalen Menschenrechten in anderen Staaten

Eine Heranziehung von Art. XX GATT ist nur möglich, sofern von dieser Norm generell auch Maßnahmen erfasst werden, die von einem WTO- Mitglied zum Schutz von Menschenrechten in einem anderen Staat erlas- sen worden sind. Wäre Art. XX GATT beschränkt auf den Schutz eigener Rechtsgüter käme eine Rechtfertigung für Handelsbeschränkungen, die den Schutz von Menschenrechten in anderen Staaten zum Ziel haben, nicht in Betracht. Vom Wortlaut her ist der Anwendungsbereich des Art. XX GATT nicht auf den Schutz inländischer Rechtsgüter beschränkt.186 Ganz im Gegenteil eröffnet Art. XX lit. e) GATT die Möglichkeit, unilaterale Handelsbeschränkungen gegen in Strafvollzugsanstalten hergestellten Wa- ren zu erlassen. Diese Alternative knüpft also ausdrücklich an PPMs in an- deren Staaten zur Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen an. Um- stritten ist jedoch, welche Schlussfolgerung aus Art. XX lit. e) GATT ge- zogen werden kann. Während ein Teil der Literatur aus lit. e) GATT folgert, dass unter Art. XX GATT mit Handelsbeschränkungen grund- sätzlich auch der Schutz ausländischer Rechtsgüter verfolgt werden kann,187 ziehen andere aus der ausdrücklichen Nennung der in Strafanstal- ten hergestellten Waren den Schluss, dass nur in diesem Fall eine Anknüp- fung von Handelsbeschränkungen an PPMs zum Schutz von Rechtsgütern im Exportstaat möglich ist.188 Auch eine Einbeziehung von Art. XXI lit. b) GATT in die systematische Auslegung, wonach Handelsbeschränkungen

184 United States - Shrimp, (Fn. 75). In diesem Verfahren berücksichtigte der Appellate Body umweltrechtliche Belange bei der Auslegung von Art. XX lit g) GATT.

185 So z.B. Zim, J.W.T. 35 (2001), S.275 (280). 186 So auch Chang, S. Cal. L. Rev. 74 (2000), S. 31 (42); Bender, (Fn. 39), § 3 A. III. 3. d) aa). 187 Charnovitz, Va. J. Int'l L. 38 (1998), S. 689 (700 f.). 188 Feddersen, Minn. J. Global Trade 7 (1998), S. 75 (109).

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allein zum Schutz eigener wesentlicher Sicherheitsinteressen gerechtfertigt sind, ergibt keine klärenden Hinweise, da hier ebenfalls ein Umkehr- schluss in bezug auf Art. XX GATT in beide Richtungen möglich ist. In- soweit kann nur festgestellt werden, dass eine systematische Auslegung des Art. XX GATT im Ergebnis offen ist. Berücksichtigt man den Willen der Vertragsparteien, dem im Rahmen einer völkerrechtlichen Auslegung nach Art. 31f. WVK maßgebliches Gewicht zukommt, ergibt sich, dass eine Beschränkung der Rechtfertigungsmöglichkeiten auf Maßnahmen zum Schutz eigener Rechtsgüter bei der Aushandlung des GATT nicht be- absichtigt war.189 Auch der Appellate Body hält es generell für möglich, dass ein Import-

staat einen Marktzugang nur eröffnet, wenn der Exportstaat bestimmte Bedingungen im Hinblick auf sein Verhalten erfüllt. In der Streitsache US - Shrimp, das sich mit der Ausnahmeregelung des Art. XX lit. g) GATT beschäftigte, stellt er hierzu fest:190 „It appears to us [. . .] that conditioning access to a Member's domestic market on whether exporting Members comply with, or adopt, a policy or policies unilaterally prescribed by the importing Member may, to some degree, be a common aspect of measures falling within the scope of [...] the exceptions (a) to (j) of Article XX."191 Die Frage, inwieweit Handelsbeschränkungen zum Schutz von Rechtsgü- tern im exportierenden Staat unter Art. XX GATT gerechtfertigt sein können, musste der Appellate Body jedoch nicht entscheiden, da „in the specific circumstances of the case [...], there is a sufficient nexus between the migratory and endangered marine populations involved and the United States for purposes of Article XX(g)."192 Aus dieser Entscheidung des Appellate Body können zwei Schlussfolgerungen gezogen werden: Zum einen kann aus den Äußerungen des Appellate Body gefolgert

werden, dass jedenfalls in den Fällen, in denen ein sufficient nexus zwi- schen dem mit der Handelsbeschränkung geschützten Menschenrecht und dem Importstaat besteht, eine Rechtfertigung unter Art. XX GATT grundsätzlich möglich ist.193 Ein derartiger sufficient nexus kann in den Fällen bejaht werden, in denen Importverbote gegenüber Waren erlassen werden, die unter menschenrechtswidrigen PPMs hergestellt worden sind. Gilt im importierenden WTO -Mitglied die generelle Vorgabe, dass keine Produkte verkauft werden dürfen, die unter menschenrechtswidri-

189 Jackson, World Trade and the Law of the GATT, 1969, S. 742 ff.; Charnovitz, J.W.T. 25 (1991) 5, S. 37 (43 ff.). 190 Vgl. die gegenteilige Auffassung des Panel im Bericht zum Verfahren US - Tuna I, der jedoch keine Rechtverbindlichkeit erlangte, US -Tuna I, (Fn. 178), para. 5.26 f.

1V1 US - Shrimp, (Fn. 75), para. 121. 192 US - Shrimp, (Fn. 75), para. 133. 193 So für umweltrechtliche Belange Wofford„ Harv. Envt'l L. Rev. 24 (2000), S. 563 (584);

Hansen, Va. J. Int'l L. 39 (1999), S. 1017 (1057).

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 447

gen PPMs hergestellt worden sind, würde nämlich eine Pflicht, die Ein- fuhr derartiger Waren zulassen zu müssen, den Importstaat verpflichten, von diesem Grundsatz abzuweichen. Der Importstaat würde verpflichtet, sich den niedrigeren Standards des Exportstaats anzupassen, obwohl die menschenrechtswidrig hergestellten Produkte den Jurisdiktionsbereich des Exportstaates verlassen und in den Jurisdiktionsbereich des Import- staates überführt werden. Würde man hier einen sufficient nexus vernei- nen, wäre dies gleichbedeutend mit der Aussage, im Anwendungsbereich des WTO-Rechts würden die Bedingungen des Marktzugangs nicht mehr vom Importstaat vorgegeben, sondern vom Exportstaat diktiert. Eine der- artig starke Beschränkung der Kompetenzen des Importstaates und damit seiner Souveränität ist vom WTO-Recht jedoch nicht gewollt.194 Eine solche Sichtweise wird durch den Verweis des Appellate Body auf die um- gekehrte Möglichkeit, dass der Exportstaat sich den Marktzugangsbedin- gungen des Importstaates anzupassen hat, unterstrichen. Zum anderen ließe sich den Äußerungen des Appellate Body entneh-

men, dass eine weitergehende Rechtfertigung von Handelsbeschränkun- gen, die allein der Förderung internationaler Menschenrechte in anderen Staaten dienen, nach Art. XX GATT nicht völlig ausgeschlossen ist.195 Somit könnten auch Handelsbeschränkungen die aufgrund eines generell menschenrechtswidrigen Zustandes in einem Land erlassen werden, mög- licherweise nach Art. XX GATT gerechtfertigt sein. Ob eine derartige Möglichkeit noch WTO-konform ist, hängt maßgebend davon ab, ob die WTO den ihr unterworfenen Staaten zumuten will, mit Exporteuren ei- nes Staates, der Menschenrechte verletzt, Handel treiben zu müssen und ob das WTO-Recht den WTO -Mitgliedern die Möglichkeit nehmen will, unilaterale Handelsbeschränkungen als außenpolitisches Druckmittel zur Durchsetzung internationaler Menschenrechte verwenden zu können. Für die Beantwortung dieser beiden Fragen ist entscheidend, welchen

Spielraum die Art. XX und Art. XXI GATT für unilaterale Handelsbe- schränkungen eröffnen. Werden die genannten Konstellationen von den Tatbeständen der Art. XX und XXI GATT erfasst, müssten die Fragen verneint werden. Können derartige Konstellationen jedoch weder unter Art. XX GATT noch unter Art. XXI GATT subsumiert werden, müsste eine derartige Intention des WTO-Rechts bejaht werden. Daher sind zu- nächst die Voraussetzungen der Ausnahmeklauseln näher zu beleuchten.

194 Howse/Regan, E.J.I.L. 1 1 (2000), S. 249 (275). 195 Gegen das Erfordernis eines sufficient nexus Bender (Fn.39), §3 A. III. 3. d) dd) (1) m.w.N.

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(2) Durch Art. XX GATT geschützte Rechtsgüter Der Schutz von Menschenrechten im Exportstaat muss zunächst unter eine der in Art. XX GATT aufgestellten Ausnahmeklauseln subsumiert werden können. Es kommen sowohl Art. XX lit. a) GATT als auch Art. XX lit. b) GATT in Betracht. Nach Art. XX lit. a) GATT können Handelsbeschränkungen zum

Schutz der öffentlichen Sittlichkeit (public morals) gerechtfertigt werden. Ursprünglich wurde bei der Aushandlung dieser Klausel vorrangig an Handelsbeschränkungen gegenüber pornographischen Schriften, Waffen und Alkohol gedacht, also an den Schutz der Moralvorstellungen im kon- sumierenden Staat.196 Ob diese Ausnahmeklausel auch bei menschen- rechtsverletzenden PPMs in einem anderen Staat herangezogen werden kann, ist umstritten. Teilweise werden universell anerkannte Menschen- rechte, wie das Verbot extremer Formen von Zwangsarbeit oder Sklaverei als international anerkannte öffentliche Moralvorstellungen angesehen, so dass im Falle von Verstößen gegen solche erga omnes-Verpflichtungen unilaterale Handelssanktionen gegen menschenrechtswidrig hergestellten Waren zulässig wären.197 Es spricht jedoch nichts dagegen, darüber hin- ausgehend Handelssanktionen nach Art. XX lit. a) GATT auch als zuläs- sig anzusehen, sofern die öffentliche Empörung sich gegen eine Verlet- zung von internationalen Menschenrechten, wie sie in völkerrechtlichen Verträgen kodifiziert sind, richtet. Die Vertragsstaaten haben mit der Ra- tifizierung ihren Willen bekundet, dass die in den Menschenrechtsverträ- gen enthaltenen Werte als für sie verbindlicher ordre public gelten sol- len.198 Insoweit ist es nur folgerichtig, dass sie sich gegen die Einfuhr von Produkten, deren Herstellungsmethoden diesen ordre public verletzen, mittels Importverboten zur Wehr setzen können. Relevant wird dies bei- spielsweise bei Waren, die durch Kinderarbeit hergestellt wurden.199 Um jedoch eine zum Schutz der öffentlichen Moral erlassene Handelsbe-

196 Charnovitz, Va. J. Int'l L. 38 (1998), S. 689 (704 f.); Petersmann, J.I.E.L. 4 (2001), S. 3 (32). 197 So Howse/ Mutua (Fn.59), S. 11, Neumann (Fn.40), S. 142 f.; Francioni (Fn.72), S. 1 (19 f.); Charnovitz Va. J. Int'l L. 38 (1998), 689 (742).; Cleveland, J.I.E.L. 5 (2002), 133 (162 f.); Bel, Minn. J. Global Trade 10 (2001), 62 (108); Powell, Fla. J. Int'l L. 16 (2004), S. 219 (223); a.A. Vazquez (Fn. 181), S. 145 (164 f.). Insbesondere die USA haben sich auf diese Ausnahmeklausel zur Rechtfertigung von Handelssanktionen bezogen, vgl. Nachweise bei Charnovitz, The Moral Exception in Trade Policy, in ders. (Hrsg.), Trade Law and Global Governance, 2002, S. 325 (332 f.). 198 Weitergehend Meng, Wirtschaftssanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen - Probleme im WTO-Recht, in Bröhmer u.a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Men- schenrechte, Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21.1.2005, 2005, S. 165 (184 f.), der unabhängig von ihrer rechtlichen Verbindlichkeit alle internationalen Men- schenrechtspakte, -resolutionen und -konventionen als Ausdruck eines internationalen, für Art. XX lit. a) GATT relevanten ordre public auffasst.

199 Ein Verbot von schlimmster Kinderarbeit enthält z.B. die ILO Konvention Nr. 182.

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schränkung von einer vorrangig protektionistischen Maßnahme abgren- zen zu können, muss ein gewisses Maß an öffentlicher Empörung über die Menschenrechtsverletzung bestehen. Ein ausreichendes Maß an öffent- licher Empörung wiederum wird nur bei schwerwiegenden Menschen- rechtsverletzungen erreicht werden. Fraglich ist jedoch, ob darüber hinausgehend auch Handelsbeschrän-

kungen wegen generell menschenrechtswidriger Zustände in einem Staat auf Grundlage des Art. XX lit. a) GATT gerechtfertigt werden können. Häufig rufen schwere Menschenrechtsverletzungen in einem Land zu- mindest vorübergehend erhebliche öffentliche Empörung hervor. Gegen eine derartige Rechtfertigungsmöglichkeit von Importbeschränkungen spricht jedoch, dass die Ausnahmeklausel des Art. XX lit. b) GATT nach dem Willen der Vertragsparteien für Handelsbeschränkungen gegenüber Produkten gedacht war, mit denen im Staat, der die Handelsbeschränkung erlässt, nicht gehandelt werden sollte. Art. XX lit. a) setzt somit einen suf- ficient nexus zwischen den mit der Handelsbeschränkung geschützten öf- fentlichen Moralvorstellungen und dem Markt des Importstaates voraus. Ein solcher sufficient nexus ist nicht gegeben, sofern ein Importverbot aufgrund generell menschenrechtswidriger Zustände in einem Land erlas- sen wird. In diesen Fällen steht die öffentliche Empörung in keinem aus- reichenden Zusammenhang mit den durch das Importverbot betroffenen Waren. Für diese Sichtweise spricht, dass derartige Handelsbeschränkun- gen allein die Exporteure eines Landes für menschenrechtliche Verfehlun- gen ihrer Regierung verantwortlich machen würden.200 Darüber hinaus wäre eine Überprüfung, ob es sich nicht doch um eine protektionistische Maßnahme handelt bei einem derart weiten Zweck kaum noch durch die Streitbeilegungsorgane nachprüfbar. Nach der hier vertretenen Auffas- sung können Importverbote aufgrund generell menschenrechtswidriger Zustände in einem Staat daher nicht nach Art. XX lit. a) GATT gerecht- fertigt werden. Art. XX lit. b) GATT erlaubt u.a. Handelsbeschränkungen zum Schutz

des Lebens und der Gesundheit von Menschen. Unstreitig werden hier- von Handelsbeschränkungen erfasst, die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der eigenen Bevölkerung ergriffen werden, wie z.B. das be- reits diskutierte Importverbot für gesundheitsgefährdende oder -schädi- gende Produkte. Von dieser Problematik zu unterscheiden ist die Frage, ob unter Art. XX lit. b) GATT auch Maßnahmen aufgrund gesundheits- schädigender oder lebensgefährdender PPMs im Herkunftsstaat einer Ware gerechtfertigt sind. Dies wird teilweise bejaht.201 Andere schränken dies auf diejenigen Fälle ein, in denen Menschen Gesundheitsschäden

200 So auch Vázquez (Fn. 181), S. 145 (169). 201 Bartels,] W.T. 36 (2002), S. 353 (402).

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durch fremdbestimmtes Handeln erleiden, etwa im Rahmen von Zwangs- arbeit.202 Betrachtet man den engen Anwendungsbereich des Abs. 1 des SPS-Anhang A, der sich nur auf den Schutz der Gesundheit der eigenen Bevölkerung bezieht, dürfte es nicht erlaubt sein, im Rahmen des Art. XX lit. b) GATT bzw. Art. XIV lit. b) GATS Handelssanktionen zum Schutz von Leben und Gesundheit der nicht der eigenen Personalhoheit unter- stehenden Personen zu ergreifen.203 Diese Auffassung wurde nunmehr durch den Panel-Bericht betreffend die WTO -Konformität einer Präfe- renzregelung der EG, die eine begünstigende Behandlung bestimmter Entwicklungsländer von einem verstärkten Vorgehen gegen den Drogen- handel abhängig macht, bestätigt.204 In diesem Bericht verneinte das Panel eine Ausnahmemöglichkeit nach Art. XX lit. b) GATT, weil die EG die Forderung einer verstärkten Drogenbekämpfung nicht zum Schutz des Lebens der Menschen in der EG aufgestellt hatte. Eine Heranziehung von Art. XX lit. b) GATT zur Rechtfertigung unilateraler Handelsbeschrän- kungen zum Schutz von Menschenrechten im Ausland scheidet somit aus. Zusätzlich muss ein Importverbot, das unter Art. XX lit. a) GATT fällt,

notwendig (necessary) sein, um das Schutzziel zu erreichen. Wie beim SPS-Übereinkommen beschränkt sich im Anwendungsbereich des Art. XX GATT die Prüfung, ob eine Maßnahme notwendig ist, auf die Frage, ob es ein milderes Mittel gibt, das ebenso geeignet ist. Da Import- verbote die einzige Möglichkeit darstellen, um unter menschenrechtswid- rigen Bedingungen hergestellte Produkte vom innerstaatlichen Markt fernzuhalten und damit der öffentlichen Moral gerecht zu werden, han- delt es sich um eine unabdingbare Schutzmaßnahme, von deren Notwen- digkeit daher grundsätzlich ausgegangen werden kann. Das Notwendig- keitserfordernis wird daher in diesen Fällen in der Regel gegeben sein.

(3) Chapeau des Art. XX GATT

Darüber hinaus müssen die Handelsmaßnahmen zusätzlich zu den einzel- nen speziellen Ausnahmetatbeständen die Kriterien des chapeau des Art. XX GATT erfüllen.205 Sie dürfen weder zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen WTO-Mitgliedern führen, in denen gleiche Bedingungen bestehen, noch zu einer verschleierten Be- schränkung des internationalen Handels führen. Durch diese zusätzlichen

202 Neumann (Fn.40),S. 138. 203 So auch Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, 1999, S.97; Vazquez

(Fn. 181), S. 145 (164 f.). 204 European Communities - Conditions for the Granting of Tariff Preferences to De- veloping Countries, WT/DS146/R, angenommen am 20.4.2004, para. 7.202. 205 Vgl. ausführlich Bender, § 9. GATT 1994, in Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, Rechts- ordnung des Welthandels, 2005, S. 167 (193 f.).

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 451

Kriterien soll es ermöglicht werden, im Einzelfall einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den Freihandelsprinzipien der Art. I, III und XI GATT einerseits und den Ausnahmeklauseln des Art. XX GATT ander- seits herbeizuführen.206 Ergehen Handelsbeschränkungen aufgrund von nachweislicher Empörung im Importstaat, wird weder eine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung vorliegen noch ein verschleiertes Handelshemmnis. Die Kriterien des chapeau werden daher in der Regel erfüllt sein. Zusammengefasst bestünde also die Möglichkeit, Importverbote gegen-

über Produkten zu erlassen, die unter schwerwiegender Verletzung inter- nationaler Menschenrechte hergestellt worden sind. Importverbote sind jedoch unter Art. XX GATT weder zum Schutz von Menschenrechten möglich, deren Verletzung nicht geeignet ist, eine nachhaltige Empörung im Importstaat hervorzurufen noch zur Ahndung generell schwerwiegen- der Menschenrechtsverstöße im Exportstaat.

y) Rechtfertigungsmöglichkeit unter Art. XXI GATT?

Importverbote für Produkte zur Sanktionierung generell menschen- rechtswidriger Zustände könnten daher allenfalls unter der Ausnahme- klausel nach Art. XXI GATT gerechtfertigt sein. So bejahen Teile der Li- teratur eine Rechtfertigungsmöglichkeit nach Art. XXI lit. b) iii) GATT mit der Begründung, schwere Menschenrechtsverletzungen könnten eine ernste Krise in den internationalen Beziehungen hervorrufen.207 Auch die Praxis der USA tendiert in diese Richtung. So haben sie die meisten ihrer unilateralen Handelsbeschränkungen aus Gründen des Menschenrechts- schutzes auf den International Emergency Powers Act gestützt.208 Dieser Auffassung steht jedoch der Wortlaut des Art. XXI lit. b) GATT

entgegen. Diesem zufolge darf ein WTO -Mitglied bei ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen nur Maßnahmen treffen, die es nach ei- gener Auffassung zum Schutz seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen für notwendig hält („which it considers necessary for the protection of its essential security interests"). D.h. damit eine Handelsbeschränkung ge- rechtfertigt ist, müssen sich die sanktionierten Menschenrechtsverletzun- gen auf die nationale Sicherheit des die Handelssanktionen ergreifenden Staates auswirken. Eine derartige Verbindung zwischen der extraterrito- rialen Menschenrechtsverletzung und dem Importstaat wird in der Regel jedoch nicht gegeben sein.

206 US - Gasoline (Fn. 75), S. 22; US - Shrimp, (Fn. 75), para. 150 ff. 207 Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in Graf Vitzthum (Hrsg.), Völker- recht, 2. Auflage, 2001, Rn. 87; Cleveland, J.I.E.L. 5 (2002), S. 133, (186). ¿w 50 U.S.C. § 1702(a)(l); u.a. die Handelssanktionen gegen Burma (Exec. Order No. 13, 047, 62 Fed. Reg. 28301 (20 May 1997).

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Ô) Bewertung

Die am Anfang dieses Abschnitts aufgeworfenen Frage, ob das WTO- Recht die WTO -Mitglieder daran hindert, unilaterale Handelsbeschrän- kungen gegen andere WTO -Mitglieder zu ergreifen, die eine generell menschenrechtswidrige Politik verfolgen, muss im Ergebnis bejaht wer- den. Das WTO-Recht mutet den Importstaaten nach der hier dargestell- ten Auffassung zu, weiterhin mit Exporteuren aus einem solchen Staat Handel zu treiben. Auf den ersten Blick erscheint eine derart restriktive Handhabung der Zulässigkeit von Handelssanktionen in Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten als problematisch, insbe- sondere wenn es um Handelssanktionen zur Ahndung von schweren Menschenrechtsverletzungen geht.209 Hier kann der durch Handelssank- tionen ausgeübte wirtschaftliche Druck ein sehr wirksames Mittel sein, um einen Staat zur Wiederherstellung eines menschenrechtskonformen Zustands anzuhalten. Jedoch müssen auch die Folgen berücksichtigt werden, die eine Recht-

fertigung unilateraler Handelsbeschränkungen zur Sanktionierung gene- rell menschenrechtswidriger Zustände in einem Staat unter Art. XX oder XXI GATT hätte. Es würde dadurch das Monopol der Vereinten Na- tionen geschwächt. Die Weltgemeinschaft hat sich aber verpflichtet, die Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit multilateral zu verfolgen. Diese Aufgabe wurde dem UN-Sicherheitsrat übertragen.210 Zudem wäre die Möglichkeit einer Verfolgung generell menschenrechts- widriger Zustände mittels Handelssanktionen nur denjenigen Industrie- ländern gegeben, deren Importvolumen ein spürbares Gewicht hat. Nur ihnen wäre es tatsächlich möglich, sich zur ,Weltpolizei' aufzuschwingen. Für das weltpolitische Gleichgewicht ist ein derartiges Vorgehen einzel- ner Staaten kaum förderlich. Eröffnete man den WTO -Mitgliedern die Möglichkeit, unter Berufung

auf die Sanktionierung generell menschenrechtswidriger Zustände, Im- portverbote zu verhängen, würden dadurch die Ausnahmeklauseln zu- dem erheblich aufgeweicht werden und infolge dieser Aufweichung der Weg für die Verfolgung jeglicher pro tektionis tischer Interessen geebnet. In der Regel ist nämlich für die Entscheidung, ob gegen einen anderen Staat wegen menschenrechtswidriger Zustände Handelssanktionen ver- hängt werden oder nicht, nicht allein der menschenrechtswidrige Zustand ausschlaggebend. Vielmehr spielen neben menschenrechtlichen und si- cherheitspolitischen Erwägungen auch wirtschaftliche und andere Interes-

209 Meng befürchtet im Fall eines Ausschlusses der Möglichkeit von unilateralen Han- delssanktionen eine erhebliche Schwächung der rule of law, ders., (Fn. 198), 2005, S. 165 (170). /1U Vázquez {tn. 181), 5. 145(171).

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sen in der Entscheidungsfindung eine große Rolle. Ob ein WTO -Mitglied gerade aufgrund des menschenwidrigen Zustands oder aus daraus resultie- renden sicherheitspolitischen Gefahren ein Importverbot erlassen hat und dieses daher gerechtfertigt ist, wäre für die Streitbeilegungsorgane der WTO aufgrund des Zusammenspiels unterschiedlicher Interessen kaum zu kontrollieren. Dem Sinn und Zweck der Ausnahmeklauseln, unilaterale protektionistische Maßnahmen von gerechtfertigten unilateralen Maßnah- men zu unterscheiden, könnte daher nicht mehr Rechnung getragen wer- den.211 Dass dieses Szenario keine Schwarzmalerei4 ist, zeigen die Erfah- rungen mit den Antidumping-Regelungen, die häufig zur Verfolgung von Partikularinteressen nationaler Hersteller missbraucht werden.212 Auch aus menschenrechtlicher Sicht sprechen einige Argumente gegen

eine Rechtfertigungsmöglichkeit unilateraler Handelssanktionen unter Art. XX oder Art. XXI GATT: Zum einen lässt sich aus den völkerrecht- lichen Menschenrechtsübereinkommen für einen Vertragsstaat keine Pflicht herleiten, gegen andere Staaten mittels Handelssanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten.213 Zum anderen sind Han- delssanktionen zur Förderung von universalen Menschenrechten selbst höchst umstritten. Die völkerrechtliche Grundlage von Importverboten, die zum Schutz der Menschenrechte in dem von den Sanktionen betroffe- nen Land erlassen wurden, ist oft zweifelhaft. Häufig spielen machtpoliti- sche Interessen eine entscheidende Rolle. Insbesondere den USA wird vorgeworfen, wiederholt ihre Stellung als Wirtschaftsmacht zum Erlass von Handelssanktionen, die unter dem Deckmantel des Menschenrechts- schutzes ureigensten Interessen dienten, missbraucht zu haben.214 Dar- über ist auch der Erfolg solcher Handelssanktionen nicht immer gegeben. Von den Handelssanktionen betroffen werden exportorientierte Unter- nehmen. Für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind dem-

211 Vgl. zur Gefahr des Missbrauchs der Menschenrechte für protektionistische Bestre- bungen Windfuhr, Menschenrechte im Welthandel, Jahrbuch Menschenrechte 2001, S. 155 (162 ff.). Z1Z Vgl. Bender % 1 1. Dumping, in Hüf/Oeter, WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthan- dels, 2005, S. 219 Rn. 7.

213 Vazquez, J.I.E.L. 6 (2003), S. 797 (821). 214 Die EG initiierte 1996 ein Streitbeilegungsverfahren gegen den Helms-Burton Act, der US-Amerikanern das Recht auf Schadensersatz gegenüber Staaten und Unternehmen gibt, die mit Kuba Handel treiben. Die EG setzte das Verfahren jedoch aus, nachdem die USA eingewilligt hatten, diese Normen nicht anzuwenden und sich in Zukunft extraterrito- riale Sanktionsmaßnahmen zu enthalten, vgl. United States - The Cuban Liberty and Demo- cracy Solidarity Act, Request for the Establishment of a Panel by the European Communi- ties, WT/DS38/2 v. 8.10.1996. Am 20.2.1997 regten die EG und Japan ein Streitbeilegungs- verfahren gegen die USA an wegen eines Vergabegesetzes des US-Bundesstaates Massachusetts (Mass. Gen. Laws Ann. Ch. 7, § 22), das staatlichen Behörden verbot, Ge- schäfte mit Unternehmen abzuschließen, die Handel mit Burma betrieben; zu diesem Ver- fahren siehe ausführlich Göttsche, §25. Öffentliches Beschaffungswesen, in Hilf/Oeter, WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels, 2005, S. 467 Rn. 39.

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gegenüber die nationalen Regierungen. Daher wird es jeweils von der Macht und dem Willen des herrschenden Regimes abhängen, ob Handels- sanktionen überhaupt auf eine menschenrechtsfreundlichere Politik in ei- nem Staat hinwirken können. Der Ausübung von Druck auf Regierungen über eine Benachteiligung von Teilen der Bevölkerung durch Handelsbe- schränkungen stehen schließlich auch ethische Bedenken entgegen.215 Auch wenn Handelssanktionen daher nicht notwendig als ein geeigne-

tes Mittel zur Förderung der Einhaltung von Menschenrechten angesehen werden können, heißt dies jedoch nicht, dass die wirtschaftliche Macht- stellung von Industrienationen überhaupt nicht zur Förderung der Men- schenrechte genutzt werden sollte. Vielmehr kann die nicht reziproke Be- reitschaft zur technischen und finanziellen Zusammenarbeit gleichzeitig an die Einhaltung von Menschenrechtsstandards geknüpft werden. In der europäischen Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik lässt sich eine solche Tendenz feststellen: Zunehmend wird in außenwirtschaftliche Kooperationsverträge eine Menschenrechtsklausel aufgenommen, die es erlaubt, im Fall schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in einem Partnerland vertraglich zugesagte Leistungen auszusetzen. Auf diese Wei- se wird der Vorteil der Kooperation an die Respektierung von Menschen- rechten geknüpft, zu der sich ein Staat verpflichtet hat.216 Durch diese Verknüpfung von technischer und finanzieller Zusammenarbeit mit der Forderung nach Einhaltung spürt die jeweilige Regierung bei Menschen- rechtsverletzungen in ihrem Hoheitsgebiet direkt die Konsequenzen. Ein derartiges Vorgehen ermöglicht damit eine Einwirkung auf die tatsächlich Verantwortlichen. Trotz dieser engen Interpretation von Art. XX und XXI GATT eröff-

nen die WTO -Übereinkommen einen ausreichenden Spielraum zur Be- rücksichtigung des Interesses einiger Industriestaaten, eine mit internatio- nalen Menschenrechten konforme Lage in anderen Staaten durch den Einsatz von Handelssanktionen zu fördern. Ob jedoch die Streitbeile- gungsorgane diese Spielräume in der dargestellten Weise nutzen werden, ist bislang offen. Ein gewisses Gefährdungspotential besteht somit auch hier. Dies gilt jedoch nur im Hinblick für Importverbote von Produkten,

215 Vgl. Köchler, Ehtische Aspekte der Sanktionen im Völkerrecht, Die Praxis der Sank- tionspolitik und die Menschenrechte, 1994.

^1O Immer mehr Vertrage dieser Art hat aie ¿um jüngerer ¿eit mit einigen AJvr-JLanaern sowie mit zahlreichen Ländern aus Lateinamerika und Mittel- und Osteuropa abgeschlos- sen. Bspw. wurde in das Lomé IV-Übereinkommen (1989) eine Menschenrechtsklausel auf- genommen. Diese wurde im Jahre 1995 zu einer Wesentlichkeitsklausel präzisiert, wonach „die Achtung der Menschenrechte, der demokratischen Grundsätze und der Rechtsstaat- lichkeit ... sowohl für die Innenpolitik als auch die internationale Politik der Vertragspar- teien ... einen wesentlichen Bestandteil dieses Abkommens" bildet; vgl. Art. 5 Lomé IV/ 1995, zitiert in Hoffmeister, Menschenrechts- und Demokratieklauseln in den vertraglichen Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft, 1998, S. 596 f.

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die unter menschenrechtswidrigen Bedingungen hergestellt worden sind. Für den Einsatz von Handelssanktionen in Beantwortung einer generell menschenrechtswidrigen politischen Lage in einem Staat kann ein derar- tiges Gefährdungspotential demgegenüber nicht festgestellt werden, da unilaterale Handelssanktionen zur Sanktionierung derartiger Menschen- rechtsverletzungen kein adäquates Mittel darstellen.

III. Zwischenergebnis

Die WTO ist mittelbar über ihre Mitglieder an internationale Menschen- rechte und unmittelbar an ius cogens gebunden. Durch eine Ausschöpfung des Potentials der menschenrechtskonformen Auslegung und eine Be- rücksichtigung menschenrechtlicher Belange bereits im Vorfeld der Libe- ralisierung können Konflikte zwischen Welthandelsrecht und Menschen- rechten vermieden bzw. gelöst werden.217 Die politischen Organe der WTO, insbesondere die WTO -Ministerkonferenz, haben sich menschen- rechtlichen Konfliktlagen in den Bereichen TRIPS und AoA bereits ange- nommen. Ungeklärt ist bisher jedoch, ob und inwieweit die Streitbeile- gungsorgane der WTO völkerrechtliche Menschenrechtsverpflichtungen der Streitparteien bei der Anwendung und Auslegung der WTO -Überein- kommen berücksichtigen werden. Zunehmend zeichnet sich jedoch eine Politik und Streitschlichtungspraxis innerhalb der WTO ab, die gewillt ist, menschenrechtliche Belange zu berücksichtigen, auch wenn sie diese bis- lang nicht als solche benennt.

B. Verstärkung des Förderungspotentials der WTO-Rechtsordnung

Einige Stimmen in Wissenschaft und Politik betonen das Förderungspo- tential der WTO für die Verwirklichung von Menschenrechten. Sie sehen in Armut, AIDS und Kinderarbeit gerade den Beweis dafür, dass die Grenzen der nationalstaatlich organisierten politischen Entscheidungs- räume überwunden werden müssen zugunsten freier Märkte, die ent- scheidungsbefugten Individuen größere Freiheit und wirtschaftlichen Wohlstand gewähren.218 Diese These untermauert insbesondere Peters- mann mit dem Hinweis darauf, dass in der Geschichte wirtschaftliche

217 SoauchPowe/AFla.J.Int'lL. 16 (2004), S. 219 (227 f.). 218 Z.B. Moore, A World Without Walls: Freedom, Development, Free Trade and Global Governance, 2003, S. 249 f.; Petersmann, E.J.I.L. 13 (2002), S. 621 (625), für eine mittelbare Begünstigung von Menschenrechten durch Welthandel Lim, Trade and Human Rights, What's at Issue?, E/C.12/2001/WR2.

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Freiheit immer der Wegbereiter für politische Freiheit gewesen sei. Men- schenrechte und freie Märkte gingen miteinander aufgrund ihres gemein- samen Ziels Hand in Hand: Als »organisierte Dialoge über Werte* förder- ten beide eine friedliche Koexistenz, Toleranz und wirtschaftlichen Fort- schritt.219 Menschenrechte machten aus Menschen nicht nur bessere demokratische Bürger, sondern auch bessere Wirtschaftsakteure.220 Um dieses menschenrechtliche Potential der WTO ausschöpfen zu können, sei es jedoch notwendig, die WTO -Verpflichtungen menschenrechtskon- form zu handhaben. Zuzugeben ist, dass wirtschaftliche Globalisierung einerseits und die

Verwirklichung universaler Menschenrechte andererseits in einem sich gegenseitig fördernden Abhängigkeitsverhältnis stehen können. Denn die WTO-Rechtsordnung ist kein Selbstzweck. Ihr Ziel ist ihrer Präambel zufolge die Förderung der Erhöhung des Lebensstandards, der Sicherung der Vollbeschäftigung und eines hohen und ständig steigenden Realein- kommens, also die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situa- tion des Individuums.221 Wachsender materieller Wohlstand des Einzel- nen durch Einkommenssteigerungen verstärkt wiederum den Wunsch nach individueller Freiheit, den Willen zur Partizipation an der politi- schen Willensbildung und die Forderung nach besseren Sozialstandards und kann so den Menschenrechtsschutz insbesondere in rechtsstaatlich unterentwickelten Ländern begünstigen. Ein höheres Maß an individuel- ler Freiheit, an Schutz persönlicher Interessen und an Rechtssicherheit vor staatlicher Willkür wiederum verstärkt die Investitionsbereitschaft, die Arbeitsmotivation und den Leistungswillen der Wirtschaftsteilneh- mer und kann so über den marktwirtschaftlichen Austausch der Weltwirt- schaft insgesamt zugute kommen und zur Steigerung der Wohlfahrt bei- tragen.222 Voraussetzung hierfür ist jedoch u.a., dass die außenwirtschaft- lich erlangten Gewinne nicht nur partikularen Interessengruppen zugute kommen und der Staat nicht unter dem Einfluss solcher Interessengrup- pen, sondern gemeinwohlorientiert und rechtsstaatlich handelt.

219 Z.B. Petersmann, E.J.I.L. 13 (2002), S. 621 (627). 220 Z.B. Petersmann, E.J.I.L. 13 (2002), S. 621 (626); ders., J.I.E.L. 7 (2004), S. 605 (612). ZZ1 Damit macht sich die w 1 ü ausdrucklich die in Art. 55a U JN -Charta enthaltenen Ziele

zu eigen: „... relations in the fields of trade and economic endeavour should be conducted with a view to raising standards of living, ensuring full employment and a large and steadily growing volume of real income and effective demand".

222 Vgl. Sautter, Menschenrechte und Menschenrechtsstandards im Globahsierungspro- zeß, in Schenk u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Globalisierung und Weltwirtschaft, 19 (2000), S.234 (240); Cottier, J.I.E.L. 5 (2002), S. 111 (113); Misteies, Int'l Law 34 (2000), S. 1055 (1069); Petersmann, J.I.E.L. 7 (2004), S.605 (613); ders., E.J.I.L. 13 (2002), S. 621 (626 f., 629, 639 ff.); ders., J.I.E.L. 4 (2001), S. 3 (19 f.); Thomas, Am. U. Int'l L. Rev. 18 (2003), S. 1399 (14408 f., 1416 ff.); Wai, E.J.I.L. 14 (2003), S. 35 (43 f.); Sen, Develop- ment as Freedom, 2000, S. 6 ff.; 36 f.; 1 12 ff.

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Da diese Voraussetzungen in der Realität jedoch nicht notwendig gege- ben sind, trägt die vorrangig auf Freihandelsprinzipien wie der Meistbe- günstigung und der Nichtdiskriminierung basierende wirtschaftliche Ver- flechtung im Rahmen der WTO bisher kaum zur Verwirklichung von Menschenrechten bei. Damit die WTO ihr Potential zur Förderung der Verwirklichung menschenrechtlicher Belange ausschöpft, ist insbeson- dere - wie gezeigt - der politische Wille der WTO -Mitglieder notwendig, die WTO zur Förderung von Menschenrechten zu veranlassen. Wie dies im Rahmen der bestehenden WTO -Rechtsordnung möglich ist, wurde oben bereits erörtert. Der nachfolgende Abschnitt wendet sich zum Schluss der Frage zu, auf welche Weise die WTO stärker auf ein men- schenrechtskonformes Handeln verpflichtet werden könnte, um ihr men- schenrechtsförderndes Potential besser ausschöpfen zu können.

I. Verstärkung der menschenrechtlichen Bindungen der WTO

Von Teilen der Literatur wird vorgeschlagen, in die Präambel oder Sat- zung der WTO -Übereinkommen eine Bezugnahme auf internationale menschenrechtliche Standards einzufügen. Eine solche Bezugnahme könnte die Verpflichtung zur Berücksichtigung internationaler men- schenrechtlicher Standards durch die Streitbeilegungsorgane bei der Aus- legung von Kollisionsfällen zwischen Welthandelsrecht und Menschen- rechten völkervertraglich klären. Problematisch ist insoweit jedoch, dass nicht alle WTO -Mitglieder Vertragsparteien der internationalen Men- schenrechtspakte sind. Eine solche Forderung ließe sich daher nur schwer durchsetzen. Es könnte aber die Einhaltung universeller menschenrechtlicher Stan-

dards oder jedenfalls die Ratifizierung der UN-Menschenrechtspakte durch politischen Druck von WTO -Mitgliedern zur WTO -Beitrittsvor- aussetzung gemacht werden.223 Politischer Druck auf mögliche WTO- Anwärter zeigt durchaus gelegentlich Erfolg: So ist die Volksrepublik China am 27. Juni 2001 dem IPwskR beigetreten, hat im Oktober 1998 den IPbpR unterzeichnet und zugesagt, ihn auch zu ratifizieren.224 Wie gering jedoch ein derartiger politischer Druck im nachhinein ist, wenn ein Staat das erlangt hat, was er mit seinen Versprechungen erlangen wollte, zeigt die Tatsache, dass die Volksrepublik China den IPbpR auch sieben Jahre,

223 Howse, A.J.I.L. 96 (2002), S. 94 (114). Beispielsweise ist für einen Beitritt zur EU die Ratifizierung der EMRK und die Einhaltung der Menschenrechte Voraussetzung, vgl. Art. 49 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EUV.

224 Vgl. China Vows to Ratify UN Rights Covenants Before United States, AGENCE FRANCE-PRESSE vom 14.6.2000; Office of the United Nations High Commissioner, Sta- tus of Ratifications of the Principal International Human Rights Treaties, Stand: Mai 2004.

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nachdem sie sich zur Ratifizierung verpflichtet hatte, noch nicht ratifiziert hat. Deshalb sollte vor einem WTO-Beitritt sichergestellt werden, dass ein WTO -Mitgliedsanwärter zumindest beiden internationalen Men- schenrechtspakten beigetreten ist.

II. Vermehrte Durchsetzung menschenrechtlicher Belange im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsmechanismus

Einige Industriestaaten, insbesondere die USA und die EG225, haben mehrfach gefordert, menschenrechtliche Standards verstärkt im Rahmen der WTO durchzusetzen, insbesondere unter Nutzung des für völker- rechtliche Maßstäbe durchsetzungsstarken WTO-Streitbeilegungsme- chanismus. Dabei geht es in erster Linie um eine Verpflichtung der Entwicklungsländer auf ein höheres Schutzniveau im Bereich der Ar- beits- und Sozialstandards, z.B. durch Einfügung einer Sozialklausel.226 Darüber hinaus könnten der WTO-Beitritt und die WTO -Mitgliedschaft insgesamt von einer Einhaltung rechtsstaatlicher Standards abhängig ge- macht werden und Mittel vorgesehen werden, um einen Menschenrechte verletzenden Staat dazu anzuhalten, neben der Änderung seiner Handels- und handelsbezogenen Praktiken auch sein nationales Regierungssystem zu reformieren, sein politisches System zu liberalisieren und den Men- schenrechtsschutz zu erweitern.227 Bisher wird die Umsetzung und Einhaltung von eingegangenen völker-

rechtlichen Menschenrechtsübereinkommen allein politisch durchgesetzt (1) mittels Überwachung der Menschenrechtssituation im jeweiligen Mit- gliedstaat durch eigene Ausschüsse/Organe228 oder NGOs; (2) mittels ei- nes Berichtssystems, innerhalb dessen sich eine Regierung vor einem in- ternationalen Gremium für seine Gesetzgebung und Rechtspraxis recht- fertigen muß;229 (3) mittels Beschwerdeverfahren, innerhalb dessen andere

225 Vgl. hierzu Hörmann (Fn. 153), S. 681 Rn. 7, 18. 226 Meng (Fn. 48), S. 371 ff.; Reich, Core Labour Standards and the WTO: Beware ot Uni-

lateralism! - A Response to Werner Meng, in Benvenisti/Nolte (Hrsg.), The Welfare State, Globalization and International Law, 2004, S. 395 ff.; ders., U. Pa. J. Int'l Econ. L. 25 (2004), S. 321 (352 f.). 227 FislerDamroscb, Am. Society of Int'l L. Proceedings 96 (2002), S. 128 (130). 228 Z.B. das Human Rights Committee, das im Rahmen des Zivilrechtspaktes 1966 und der hierzu ergangenen beiden Fakultativprotokolle errichtet wurde.

229 Nach Art. 40/1 des Zivilrechtspaktes haben sich die inzwischen 140 Unterzeichner- staaten verpflichtet, im Abstand von fünf Jahren über die „Maßnahmen, die sie zur Verwirk- lichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte getroffen haben, und über die dabei erzielten Fortschritte Berichte vorzulegen", wobei sie nach Art. 40/2 auf „etwa bestehende Umstände und Schwierigkeiten.., die die Durchführung dieses Paktes behindern" hinweisen müssen. Gemäß Art. 40/4 prüft der Ausschuss diese Berichte und übersendet den Vertragsstaaten seine eigenen Berichte und die ihm geeignet erscheinenden allgemeinen Bemerkungen.

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Staaten oder einzelne Personen dem jeweiligen Ausschuss Menschen- rechtsverletzungen in Vertragsstaaten mitteilen und den Ausschuss zur Prüfung veranlassen können; die Ergebnisse der Prüfung werden dann veröffentlicht; und schließlich (4) mittels einer weltweit mobilisierten Öf- fentlichkeit. Zwar kann die jeweilige Kommission nur unverbindliche Aussagen treffen. Ihre Empfehlungen werden aber von den meisten ange- sprochenen Staaten angesichts eines drohenden internationalen Reputa- tionsverlusts befolgt. Denn das Menschenrechtskomitee genießt aufgrund seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit weltweites Ansehen und ver- mag die Öffentlichkeit über Menschenrechtsverfehlungen der Staaten wirksam zu informieren. Unterstützt wird es dabei von NGOs wie Human Rights Watch und Amnesty International.230 Politischen Mitteln kann durchaus Durchsetzungskraft zukommen. Die von der EG und den USA gemachten Vorschläge hören sich im er-

sten Moment vielversprechend an. Ohne Zweifel wäre die Durchset- zungskraft menschenrechtlicher Standards durch eine Einbeziehung in die WTO -Verpflichtungen wesentlich höher. Ein solcher Vorschlag, men- schenrechtliche Verpflichtungen verstärkt im Rahmen der WTO durch- zusetzen, hätte jedoch kaum eine Chance, umgesetzt zu werden. Eine rechtliche Durchsetzbarkeit von Menschenrechtsstandards ist von den WTO -Mitgliedern, die sich diesem Streitbeilegungsmechanismus für handelsrechtliche Streitigkeiten unterworfen haben, nicht gewollt.231 An- derenfalls hätten diese ihren Verpflichtungen aus den Menschenrechts- übereinkommen selbst unter der UNO und ihren Sonderorganisationen mehr Durchsetzungskraft verliehen. Hier haben jedoch bisher lediglich 53 WTO -Mitglieder das erste Fakultativprotokoll zur Einführung einer gegenüber dem Streitbeilegungsmechanismus der WTO weit weniger durchsetzungsstarken Individualbeschwerde angenommen. Noch weni- ger Mitglieder haben bisher die Annahme der Staatenbeschwerde erklärt. Unabhängig von der Frage der tatsächlichen Realisierbarkeit wäre eine

Verankerung von menschenrechtsrelevanten Arbeits- und Sozialstan- dards auf WTO -Ebene jedoch auch mit einer Reihe weiterer Problemen behaftet. So dringen zwischenstaatliche Regulierungen weit in nationale Rechtsetzungskompetenzen vor.232 Derartige Regulierungen werden im Bereich der Gesundheitsstandards gerade auch von Wissenschaftlern aus den Reihen der USA und der EG kritisiert.

230 Vgl. Bhagwati, Trade Linkage and Human Rights, in Bhagwati/ Hirsch (Hrsg.), The Uruguay Round and Beyond, Essays in Honour of Arthur Dunkel, 1998, S. 241 (244). iJ1 Stirling, Am. U. J. lnt'1 L. öt lJol y 11 (1996), 5. 1 (38); Alston, ü.J.I.L. 13 (2002), S. 825 (833 f.); Reich, U. Pa. J. Int'l Econ. L. 25 (2004), S. 321 (351).

Tarullo, International Economic Law and Democratic Accountability, in Dorsen/Gif- ford (Hrsg.), Democracy and the Rule of Law, 2001, S. 308 (314 f.).

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Je mehr zudem der nationale Gestaltungsspielraum des - jedenfalls in den meisten WTO -Staaten - unmittelbar demokratisch legitimierten Ge- setzgebers zugunsten einer internationalen Bindung auf WTO-Ebene beschnitten würde, desto stärker müssten demokratisch legitimierte und damit gegenüber dem einzelnen Bürger unmittelbar verantwortliche po- litische Organe auf WTO-Ebene agieren.233 Angesichts der schwach aus- geprägten politischen Organisationsstruktur der WTO sowie der Hete- rogenität ihrer Mitglieder erscheint die Ausbildung eines unmittelbar de- mokratisch legitimierten Systems politischer Entscheidungsfindung auf WTO-Ebene äußerst unwahrscheinlich. Darüber hinaus befinden sich die Entwicklungsländer und Industriestaaten sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer und rechtlicher Hinsicht auf einem sehr unter- schiedlichen Entwicklungsstand. Eine Standardisierung gleichsam „von oben" könnte die Unterschiede in den Politiken sowie die lokalen Gege- benheiten und Organisationsstrukturen kaum ausreichend berücksich- tigen. Die Entwicklungsländer wären gezwungen, einen Entwicklungs- sprung in relativ kurzer Zeit nachzuvollziehen, ohne die Kosten der Um- setzung sowie die tatsächlichen Auswirkungen im Vorfeld ausreichend abschätzen zu können. So würde beispielsweise eine Harmonisierung von Arbeitsschutzstandards den komparativen Vorteil der Entwick- lungsländer in arbeitsintensiven Exporten, den viele Industriestaaten für ihre wirtschaftliche Entwicklung nutzen konnten, aushöhlen.234 Es sollte daher weiterhin vorrangig der Weg unter den Menschenrechts-

pakten und innerhalb der UN-Organisationen und -Sonderorganisatio- nen beschritten werden, um die Verwirklichung und Einhaltung von Menschenrechten sicherzustellen. Gedacht wird hier an eine Effektivie- rung des Berichts Verfahrens durch eine Aufwertung der zuständigen Aus- schüsse und eine Koordinierung der verschiedenen Berichtssysteme so- wie eine Ausweitung der Individualbeschwerdemöglichkeiten. Ebenso kann die Einführung sogenannter Handelsmarken für Güter, die unter konsequenter Beachtung von Menschenrechtsstandards hergestellt wur- den, den Konsumenten dazu anregen, auf menschenwürdige Produk- tionsmethoden zu achten und manche Produkte notfalls zu boykottie- ren.235 Solche lediglich politischen Maßnahmen außerhalb der WTO kön- nen zum Schutz von Menschenrechten beitragen, ohne dass sie jedoch zur Rechtfertigung einer protektionistischen Handelspolitik genutzt werden könnten.

233 Petersmann,J.l.E.L. 2001, S. 3 (38); Hilf(¥n. 3), S. 257 (276). 234 Tarullo (Fn 232), S.308 (314 f.); Sally, Wither the WTO? A Progress Report on the Doha Round, Cato Institute Trade Policy Analysis no. 23 (3.3.2002), S. 6 f.

235 Sautter (Fn. 222), S. 234 (261); Bhagwati (Fn. 230), S. 241 (249 f.).

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III. Allgemeine Beziehungsvereinbarung (Global Compact)

Hatte die WTO in ihren Anfangsjahren mögliche negative Auswirkun- gen der Welthandelsliberalisierung auf menschenrechtliche Belange nicht zur Kenntnis genommen und daher auch keinen Austausch mit UN-Or- ganisationen gepflegt, scheint zumindest seit Einleitung der Doha-Han- delsrunde eine Wendung eingetreten zu sein.236 Die WTO nimmt sich vermehrt möglicher Konfliktlagen zwischen WTO -Recht und Men- schenrechten an237 und sucht eine klärende Zusammenarbeit mit UN- Organisationen. Dies zeigen etwa der Austausch zwischen der WTO und der WHO zur Problematik TRIPS/Medikamente und derjenige zwischen der WTO und der FAO zum AoA. Um diese Zusammenarbeit zwischen der WTO und den UN-Menschenrechtsorganisationen zu ver- stärken und die WTO deutlicher auf die Achtung zentraler UN-Men- schenrechtsziele zu verpflichten, wird der Abschluss einer allgemeinen Beziehungsvereinbarung (global compact) vorgeschlagen.238 Ein solcher global compact wäre wünschenswert, dürfte aber ebenfalls kaum reali- sierbar sein. So hält das Consultative Board, das vom ehemaligen Gene- raldirektor der WTO im Jahre 2003 eingesetzt wurde, um Wege für eine effektivere Partnerschaft mit anderen internationalen Organisationen zu finden, die WTO schon jetzt ausreichend für eine horizontale Koordi- nation gerüstet.239 Es schlägt jedoch einen Beobachterstatus für solche Organisationen in den Gremien der WTO vor, die klärende Hinweise in menschenrechtsrelevanten WTO-Bereichen geben können.240 Dieser Vorschlag trägt dazu bei, dass die Isolation der WTO weiter aufgebrochen wird. Sollte es tatsächlich zur vorgeschlagenen Liberalisierung des Erzie- hungs-, Gesundheits- und Wasserversorgungssektors kommen, wird ins- besondere hier eine Klärung der menschenrechtlichen Auswirkungen notwendig werden. Dabei können beide Seiten von ihrem jeweiligen

236 So auch Ochoa, B. C. Third World LJ. 23 (2003), S. 57 (92 ff.); Powell, Fla. J. Int'l L. 16 (2004), S. 219 (221 ff.). 237 Vgl. z .B. die bereits genannte Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, den Jahresbericht der WTO 2002, in dem die WTO anerkennt, dass „certain adjust- ments to the [WTO] rules [are] needed if the trading system is to better reflect the social, economic, and political conditions of a rapidly changing world" sowie die Rede von Mike Moore vor der International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU), 20.2.2002, ab- rufbar unter http://www.wto. org/english/news_e/spmm_e/spmm76_e.htm, Stand: 15.11. 2004.

238 Petersmann, E.J.I.L. 13 (2002), S. 621 (642); ders., J.I.E.L. 4 (2001), S. 3 (36 f.); Howse/ Mutua (Fn. 59), S. 15 f.; a.A. Alston, E.J.I.L. 13 (2002), S. 815 (837), der eine solchen zusätz- lichen Global Compact für nutzlos hält.

23V Report by the Consultative Board to the Director-General v. 17.1.2005, S. 35. 240 Report by the Consultative Board to the Director-General v. 17.1.2005. paras. 154, 169; so auch UN High Commissioner for Human Rights, Liberalization of Trade in Services and Human Rights, Doc. E/CN.4/Sub.2/2002/9, S. 2.

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462 Meinhard Hilf una Saskia Hörmann

Fachwissen profitieren. Eine Zusammenarbeit ermöglichte es, auf breiter Grundlage die menschenrechtlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Liberalisierung des Erziehungs- und Gesundheitssektors zu erforschen und auf dieser Grundlage konkrete Vorschläge zu unterbreiten.

IV. Erhöhung der politische Einflussnahme der Zivilgesellschaft

In bezug auf NGOs werden von Teilen der Literatur größere Einfluss- nahmemöglichkeiten auf WTO-Ebene gefordert. Die Vorschläge sind mannigfaltig und die Bandbreite reicht von Forderungen nach einer di- rekten Beteiligung der durch handelspolitische Entscheidungen betrof- fenen Gruppen an der Entscheidungsfindung innerhalb der WTO-Gre- mien241 bis zu dem Vorschlag, NGOs zumindest einen Beobachterstatus und ein gewisses Interventionsrecht in den Handelsgesprächen einzuräu- men.242 In bezug auf diese Vorschläge muss jedoch bedacht werden: Die WTO ist eine member-driven organization. Ob und in welchem Umfang die WTO ihre Tätigkeit in den Dienst der Menschenrechte stellt, hängt daher maßgeblich vom politischen Willen ihrer Mitglieder ab. Wer die WTO auf eine menschenrechtskonforme Handelspolitik verpflichten will, muss daher notwendig bei ihren Mitgliedern ansetzen.

Auch die WTO selbst betont die Hauptverantwortung der WTO -Mit- glieder für die Einbindung der Zivilgesellschaft.243 Dennoch verschließt sich auch die WTO nicht vollständig einer Zusammenarbeit mit NGOs. So sind NGOs auf den Ministerkonferenzen zumindest präsent und ste- hen mit dem WTO -Sekretariat durch Symposien und regelmäßige Brie- fings in Kontakt. Insgesamt hat die Anerkennung von NGOs als Vertre- ter der Zivilgesellschaft und als seriöse Informanten in den letzten Jahren sowohl auf WTO-Ebene als auch auf EU-Ebene erheblich zugenommen. Diese Entwicklung ist sehr zu befürworten, da dadurch menschenrecht- liche Belange ein größeres Gehör finden können.

241 Z.B. Shell, Duke L. J. 44 (1995), S. 829 (922 ff.). 242 Z.B. Houseman, Cornell I.L.J. 27 (1994), S. 699 (743 f.). 243 Report by the Consultative Board to the Director-General v. 17.1.2005, para. 212. Vgl. zur Problematik einer verstärkten Einbeziehung von NGOs auf WTO-Ebene Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), 2001, S. 246.

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Die WTO - Eine Gefahr für die Verwirklichung von Menschenrechten? 463

V. Ergebnis: Geringe Erweiterungsmöglichkeiten

Insgesamt betrachtet, sind die Möglichkeiten, das menschenrechtsför- dernde Potential der WTO -Rechtsordnung durch rechtliche Textände- rungen zu erreichen - sei es durch eine Verankerung eines ausdrücklichen Bezugs auf internationale Menschenrechte in der Präambel, sei es durch eine stärkere Einbeziehung internationaler Menschenrechtsstandards in die WTO -Rechtsordnung - kaum vorhanden. Hierzu fehlt der politische Wille eines Teils der Vertragsparteien. ,Große Sprünge* wird es in naher Zukunft deshalb nicht geben. Die WTO -Rechtsordnung hält jedoch be- reits heute ausreichende Spielräume bereit, in denen menschenrechtliche Belange Berücksichtigung finden können. Dieses bestehende Potential kann für eine menschenrechtskonforme Politik und Streitschlichtung im Rahmen der WTO-Rechtsordnung nutzbar gemacht werden. Ob diese Spielräume genutzt werden, hängt letztlich auch von der Einflussnahme der Zivilgesellschaft auf ihre Regierungsvertreter ab.

C. Bewertung des Verhältnisses von WTO und Menschenrechten

Die WTO besitzt ein großes Potential, das sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil von menschenrechtlichen Belangen genutzt werden kann. Insoweit ist eine Gefährdung von nationalen und internationalen Men- schenrechtsstandards durch die WTO -Verpflichtungen, die die einzelnen Staaten und die EG eingegangen sind, grundsätzlich möglich. Dieses Ge- fährdungspotential der WTO war jedoch in den Gründungs jähren der WTO wesentlich größer als heute. Sah es anfangs noch so aus, als könnte die WTO durch ihre einseitige Ausrichtung an einer Liberalisierung des Welthandels zu einer Gefahr für die Verwirklichung internationaler Men- schenrechtsstandards werden, scheint die Gefahr - auch durch den poli- tischen Druck von Seiten der Öffentlichkeit, von UN-Sonderorganisa- tionen und von NGOs - nun wesentlich verringert. Die WTO-Mitglieder sind mehr und mehr für menschenrechtsrelevante Belange sensibilisiert worden. Seit 1995 hat die WTO dadurch in relativ kurzer Zeit eine Ent- wicklung genommen, die sich zwar weniger in ihren rechtlichen Bestim- mungen niedergeschlagen hat, die sich jedoch ganz wesentlich in ihrem politischen Arbeiten zeigt. Waren die WTO -Verpflichtungen anfangs noch in ihren Auswirkungen

als menschenrechtsneutral qualifiziert worden, wurde mit der Zeit so- wohl auf Seiten der WTO als auch von Teilen ihrer Mitglieder anerkannt, dass sich Schnittstellen zwischen den Bereichen WTO und Menschen- rechte ergeben; dies vor allem dann, wenn man die Probleme der Entwick-

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lungsländer aus einer menschenrechtlichen Perspektive betrachtet. Wie mit den identifizierten Konfliktlagen zwischen WTO -rechtlichen Ver- pflichtungen und menschenrechtlichen Verpflichtungen im Detail umge- gangen werden würde, war anfangs vollkommen unklar und ist auch heu- te teilweise noch ungeklärt. In der WTO als einer member-driven organization kommt es entschei-

dend auf den politischen Willen der WTO -Mitglieder an, menschenrecht- liche Belange im Rahmen der WTO -Rechtsordnung zu berücksichtigen. Dieser Wille wurde in den letzten Jahren deutlich erkennbar. Die WTO bemüht sich seit der Doha-Ministerkonferenz (2001) zunehmend, Kon- flikte zwischen WTO -rechtlichen und menschenrechtlichen Verpflich- tungen zu lösen und hierfür auch auf das Fachwissen von UN-Sonder- organisationen zurückzugreifen. Eine Gefährdung nationaler Menschenrechtsstandards durch eine zu

starke Bindung der WTO -Mitglieder an die Prinzipien der WTO ist bis- lang nicht ersichtlich. Der Appellate Body reduziert seine Prüfungskom- petenz im Hinblick auf unilaterale Handelsbeschränkungen auf das not- wendige Minimum, um WTO -widrige rein protektionistische Maßnah- men von Maßnahmen, die aus Gründen des Menschenrechtsschutzes gerechtfertigt sind, zu unterscheiden. Den WTO -Mitgliedern bleibt da- durch ein ausreichender und notwendiger Gestaltungsspielraum erhalten, um ihre Politik an nationalen Grundrechtsstandards auszurichten.

Bislang ist jedoch offen, ob der Appellate Body internationale Men- schenrechte in ausreichendem Maße im Rahmen seiner Streitschlichtung berücksichtigen wird. Die Möglichkeit hierzu besteht jedenfalls. Das WTO-Recht lässt ausreichend Auslegungsspielräume, in deren Rahmen internationale Menschenrechtsverpflichtungen Berücksichtigung finden könnten. Das DSU bietet den Streitbeilegungsorganen der WTO einen zwar beschränkten, aber angemessenen Handlungsspielraum, um völker- rechtliche Menschenrechtsverpflichtungen, denen die Streitparteien un- terliegen, bei der Auslegung von WTO -Normen zu berücksichtigen. Die Praxis zu den Ausnahmeregeln der Art. XX und XXI GATT zeigt dies in Ansätzen für das internationale Umweltrecht.

Auch wenn die WTO menschenrechtliche Belange bereits jetzt berück- sichtigt, benennt sie diese in der Regel nicht als solche. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass nicht alle WTO -Mitglieder internationale Menschenrechte anerkennen. Zwar kann die WTO selbst von einer ver- stärkten, öffentlich sichtbaren Berücksichtigung menschenrechtlicher Be- lange nur gewinnen, denn eine solche dürfte der WTO zu größerer Legiti- mität und Akzeptanz verhelfen. Dennoch scheint das Wichtigste zu sein, dass sich die WTO dieser menschenrechtlichen Problemfelder annimmt: Unter welcher Bezeichnung eine Konfliktlösung dann letzten Endes er- folgt, erscheint demgegenüber eher zweitrangig.

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WTO -Rechts Verpflichtungen und Menschenrechte stehen also nicht notwendig im Gegensatz zueinander. Vielmehr kann die WTO-Rechts- ordnung, sofern sie menschenrechtskonform ausgelegt und angewandt wird, auch zur Verwirklichung von Menschenrechten beitragen. Wenn in der Politik und in den Streitschlichtungsverfahren innerhalb der WTO- Rechtsordnung weiterhin menschenrechtliche Belange Berücksichtigung finden, dann kann das menschenrechtsfördernde Potential der WTO durchaus zur Entfaltung kommen.

Summary

The interrelationship between WTO law and human rights is a complex one. Does the WTO system jeopardize the realization of human rights at national and international level? Or is world trade law rather conducive to them? The opinions about this relation largely diverge. On the one hand, there are the free-traders who consider world trade law as pro- moter of human rights. On the other hand, human rights activists demonize the WTO as personified evil which is capable of destroying the standard of human rights in developing countries in which the level of protection is already low.

This article tries to clarify the relation between WTO law and human rights. In part A., the authors analyze the real impacts of WTO law on human rights at national as well as at international level. In part B., they scrutinize how and under what circumstances the WTO could - within its jurisdiction - enhance the realization of human rights. On the basis of this analysis, final considerations will be given about the interrelationship between WTO law and human rights in part C.

As a result of the analysis, the authors state that the WTO generally has the power to do both to promote or to hinder the realization of human rights. Therefore, it depends on those responsible for the development of world trade law - and thus on the Member States - which line the WTO takes and will take. Whereas at the beginning of the WTO, it were open, if the WTO took the impacts of WTO law on human rights into consideration, recent developments have shown that the WTO has been willing to reconcile WTO law with human rights commitments.

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