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Th. Blaha1 · K. Stöhr2

1University of Minnesota, St.Paul • 2 World Health Organization, Genf

Lebensmittelsicherheit alsKontinuum von der landwirt-schaftlichen Urproduktion bis zum Verzehr

angesehen werden, wobei die ständigeAnhebung des Standards der allgemei-nen Lebensmittelhygiene wie die Ein-führung von bakteriologischen Stufen-kontrollen und des HACCP-Konzeptes inden Bereichen der Schlachtung von Tie-ren und der Verarbeitung der Produktewesentliche Meilensteine darstellen.

„Lebensmittel tierischer Herkunftkönnen heute in Deutschland als

weitgehend gesundheitlich unbedenklich angesehen werden.

Zoonoseerreger aus klinisch gesun-den Tierbeständen stellen jedoch

unter den herrschenden intensivenBedingungen ein neu aufkommen-

des Gesundheitsrisiko dar.”

Der Mitte der 80er Jahre einsetzendesteile Anstieg der Salmonella-Enteriti-dis-Erkrankungen beim Menschen hataber recht drastisch gezeigt, daß Zoono-seerreger aus klinisch gesunden Tierbe-ständen unter den heute wesentlich in-tensiveren Lebensmittelproduktions-und -distributionbedingungen ein ernst

Seit den ersten Forderungen nach einem staatlich kontrollierten „ganzheit-lichen Gesundheitsschutz“ für Menschund Tier einschließlich der Fleischbe-schau von Johann Peter Frank Ende des18. Jahrhunderts und den bahnbrechen-den Arbeiten von Küchenmeister (Dres-den), Herbst (Göttingen), Leidy (Phil-adelphia) und vielen anderen,besondersaber von Robert von Ostertag (Berlin)hat sich die Lebensmittelsicherheit undder Schutz vor Zoonosen stetig verbes-sert. Die wichtigsten Zoonosen und le-bensmittel-assoziierten Infektionen wieTuberkulose, Brucellose, Trichinellose,Bandwurmbefall u.a. sind in den ent-wickelten Ländern entweder eradiziertoder nahezu lückenlos unter Kontrolle.Den zweifelsfrei größten Anteil an derTatsache,daß Fleischverzehr heute,wenndas Fleisch nach den gesetzlichen Be-stimmungen gewonnen und vom Ver-braucher hygienebewußt behandelt undgekocht oder gebraten wird, kaum einGesundheitsrisiko darstellt, haben dieamtliche Schlachttier- und Fleischunter-suchung und die allgemeine Hebung destechnologischen Standards (besondersdie konsequente Kühlung) in derFleischgewinnung und -verarbeitung.Insgesamt können Lebensmittel tieri-scher Herkunft hinsichtlich der „klassi-schen“ lebensmittelassoziierten Ge-sundheitsrisiken in aller Regel als weit-gehend gesundheitlich unbedenklich

Originalien und ÜbersichtsarbeitenBundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz1999 · 42: 466–470 © Springer-Verlag 1999

Zusammenfassung

Die landwirtschaftliche Produktion wird in

den kommenden Jahren und Jahrzehnten

tiefgreifende Veränderungen vom quanti-

tätsorientierten Tierproduzenten hin zum

qualitätsorientierten Zulieferer der Produk-

tionskette zur Herstellung von Lebensmit-

teln tierischen Ursprungs erfahren. Diese

Veränderungen sind Herausforderung und

Chance zugleich für die Tierproduzenten, für

die Schlacht- und Fleischverarbeitungsbran-

che, für die vor- und nachgelagerte Industrie

der Landwirtschaft sowie für den tierärztli-

chen Berufsstand. Es werden im folgenden

die epidemiologischen Methoden beschrie-

ben, die es einzusetzen gilt, um lückenlose

Herkunftsnachweise, Monitoringsysteme

und molekularbiologische Diagnostik für

„tracing-back“ und „tracing-forth“ als per-

manente, produktionsbegleitende Maßnah-

men installieren zu können, die Lebensmit-

telsicherheit und Lebensmittelqualität als

untrennbare Komponenten eines Kontinu-

ums durch die gesamte Lebensmittelpro-

duktionskette garantieren.

Prof.Thomas BlahaDVM, Ph.D., University of Minnesota,

College of Veterinary Medicine,

Department of Clinical and Population Sciences,

1988 Fitch Avenue, St. Paul, MN 55108, USA

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◗ Unternehmerisch- und marktorien-tierte landwirtschaftliche Betriebewachsen, während kleinere, traditio-nelle landwirtschaftliche Produzentensich als Opfer einer „falschen“ Agrar-politik empfinden, wodurch der Willeund die Fähigkeit, sich der Marktori-entierung durch z.B. die Einbindungin vertikale Verbundsysteme anzupas-sen, nicht gerade gefördert wird.

„Das heute allgemein vorherrschende Verständnis von

Landwirtschaft idyllisiert und emotionalisiert in der Regel.

Es spiegelt das Gegenteil wider von dem, was der bereits seit

längerem ablaufende dramatischeStrukturwandel hervorbringt.”

◗ Der urbane Mensch fordert einerseitsvehement den idyllischen Bauernhof,wird aber nicht darüber aufgeklärt,daß seine berechtigten Forderungennach höchster Qualität und Lebens-mittelsicherheit mit Standardisierungder Arbeitsabläufe und Produkthaf-tung durch den traditionellen Bauern-hof nicht per se realisierbar sind.

◗ Die „moderne Tierhaltung“ wird kri-tiklos für Negativerscheinungen wieBSE, E. coli O157:H7-, Salmonella- undCampylobacter-Infektionen verant-wortlich gemacht. Die verfügbarenepidemiologischen Daten zu den Le-bensmittelinfektionen lassen aber we-niger auf Korrelation von „Moderni-tät“ der Tierproduktion und Tierbe-standsgröße mit der Häufigkeit vonLebensmittelinfektionen schließen,vielmehr ist anzunehmen, daß dieagrarischen Ausgangsprodukte nichthäufiger kontaminiert sind als früher.Kontaminationen können sich heuteaber durch die Industrialisierung ei-ner der Landwirtschaft nachgelager-ten Verarbeitung und Distributionder Lebensmittel exponentiell verviel-fachen. Spektakuläre Ausbrüche sinddie Folge. Größere Bestände bergennatürlich die Gefahr, daß Hygiene-mängel sich auf jeweils größere Tier-gruppen negativ auswirken, sie bietenaber auch wesentlich bessere Voraus-

zu nehmendes sogenanntes „emerging“Gesundheitsrisiko darstellen.

Die Europäische Union hat mit der„Zoonosenrichtlinie“ (92/117 EWG) so-wie mit der Schaffung des „Gemein-schaftlichen Referenzlaboratoriums fürdie Epidemiologie der Zoonosen“ mitSitz am Bundesinstitut für gesundheitli-chen Verbraucherschutz und Veterinär-medizing (BgVV) in Berlin wichtigeSchritte zur weiteren Verbesserung desgesundheitlichen Verbraucherschutzeseingeleitet.

Im folgenden wird die gegenwärti-ge Situation des gesundheitlichen Ver-braucherschutzes analysiert und aufge-zeigt, welche weiteren Maßnahmen be-sonders in der landwirtschaftlichen Ur-produktion für erforderlich gehaltenwerden.

Landwirtschaft im Umbruch

In den letzten zwei Jahrzehnten unseresJahrhunderts haben sich Veränderungenin der Landwirtschaft der entwickeltenLänder vollzogen, welche die der voran-gegangenen 100 Jahre bei weitem über-treffen, und die sich im nächsten Jahr-hundert mit noch höherem Tempo fort-setzen werden.

Im folgenden wird das Dilemma, in demsich die Landwirtschaft der sogenann-ten ersten Welt befindet, kurz skizziert:◗ Der hochgradig konsolidierten Le-

bensmittelindustrie steht in den meisten Ländern eine weitgehend unorganisiert diversifizierte Land-wirtschaft gegenüber, die auf Ände-rungen des Marktes (wirtschaftlicheBedingungen, Qualitätsanforderun-gen) kaum reagieren kann.

◗ Die Idee des zu schützenden und zusubventionierenden „Nährstands“zerbröckelt (WTO, EU, NAFTA etc.),d.h. die Garantie, daß im Prinzip allesdas, was produziert wird, auch abge-nommen wird, geht verloren.

◗ Der Übergang von quantitätsorien-tierter Versorgungs-Produktion zuqualitätsorientierter Marktprodukti-on ist rapide, aber Landwirte begin-nen nur langsam zu akzeptieren, daßsie Teil der Lebensmittelproduktions-kette sind.

Th.Blaha · K.Stöhr

Food safety as continuum from food production to consumption

Summary

In the years to come, drastic changes will

take place in livestock production, the major

characteristic of which is the transition from

a quantity-oriented supply production to a

quality-driven market production.These

changes are both challenge and opportunity

for livestock producers, for the packing and

processing industry as well as for the allied

industries and the veterinary profession.The

paper describes the epidemiological metho-

ds which need to be applied for tracing back

of products, monitoring systems, molecular

diagnostics for tracing back and forth of

outbreaks, which are to be implemented

permanently into food production chains

so that food security can be guaranteed as

contiunuum throughout the entire food

chain.

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Originalien und Übersichtsarbeiten

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setzungen, um standardisierte Quali-tätssicherungssysteme durchzuset-zen.

„Weniger, aber größere Tierbestände und Anbauflächen,

standardisierte Arbeitsabläufe in Tier- und Pflanzenproduktion

sowie die Anwendung von Bio- undGentechnologie und moderner

Datenerfassung und -verarbeitungsind Folge des Strukturwandels.”

Lebensmittelsicherheit im Umbruch

Die amtliche Fleischbeschau, in Europaca. 100 Jahre alt, hat den bedeutendstenAnteil daran, daß das LebensmittelFleisch immer sicherer geworden ist.Auch heute ist sie ein unverzichtbarerBestandteil des gesundheitlichen Ver-braucherschutzes, muß aber durch diekonsequente Einführung und Umset-zung des HACCP-Konzeptes und durchsogenannte pre-harvest food safetyMaßnahmen ergänzt werden. Deshalbsind zur Verbesserung der Lebensmittel-sicherheit zunehmend auch zielgerich-tete Maßnahmen in der landwirtschaft-lichen Tierproduktion erforderlich, umder Tatsache Rechnung zu tragen, daßLebensmittelsicherheit und Qualitäts-produktion nur als Kontinuum von derlandwirtschaftlichen Urproduktion biszum Verzehr der Lebensmittel zu garan-tieren ist.

Die wichtigsten Gründe hierfür sind:◗ Die traditionelle Fleischbeschau kann

die meisten der heute relevanten le-bensmittelassoziierten Gesundheits-risiken für den Menschen (chemischeund pharmakologische Rückstände,Erreger wie Salmonellen, E. coli, Cam-pylobacter sowie Mykotoxine usw.)nicht identifizieren. Darüber hinaussind die traditionelle Fleischbeschauund andere Kontrollverfahren gegenEnde eines Produktionsprozesses(Entfernung von für die menschlicheErnährung ungeeigneten Ausgangs-produkten z.B. Schlachtkörper von er-krankten Tieren) aus der Nahrungs-

◗ In zunehmendem Maße wünscht derVerbraucher frische Produkte, ohnedarüber aufgeklärt zu werden, daß diemeisten Be- und Verarbeitungspro-zesse (Reinigen, Konservieren, Ver-packen, Kühlen usw.) außer zu einerbesseren Haltbarkeit auch zu einerReduktion potentieller Keimbelastun-gen führen. Ein besonderes Schlag-licht auf die Verkennung tatsächlicherRisiken werfen die Bestrebungen, so-genannte Vorzugsmilch (d.h. Milch abHof ohne Pasteurisierung) ausgerech-net in Kindergärten zu verteilen, daman annimmt, daß dieses „naturbe-lassene“ Produkt besonders wertvollfür Kinder ist.

◗ Akzeptable Ein-Schritt-Dekontamina-tionstechnologien am Ende eines Pro-duktionsprozesses wie die Bestrah-lung gegen bakterielle Lebensmittel-kontaminationen werden in absehba-rer Zeit nicht zur Verfügung stehen.Und selbst wenn sie Eingang in dieProduktionsroutine finden, werdensie die Notwendigkeit einer „saube-ren“ und hygienisch einwandfreienProduktion in den vorgelagerten Pro-duktionsstufen nicht ersetzen, so wiedie Pasteurisierung der Milch nichtdazu geführt hat, daß die Hygiene derMilchgewinnung vernachlässigt wird.

„Den bisher praktizierten Lebensmittelhygiene-Maßnahmenvon der Schlachtung bis zur Laden-

theke müssen Maßnahmen zur Lebensmittelsicherheit auch in derlandwirtschaftlichen Urproduktion

hinzugefügt werden.”

Die Majorität der Ursachen für daswachsende Mißtrauen des Verbrauchersden Lebensmitteln tierischen Ursprungsgegenüber und die Gründe für die Not-wendigkeit des Überdenkens der tradi-tionellen Maßnahmen zur Gewährlei-stung einer optimalen Lebenssicherheitliegen also in den der Verarbeitung vor-gelagerten Bereichen (fehlende Standar-disierung der Prozesse, Schädlings- undPflanzenschutzchemikalien, latente In-fektionen in den Nutztierbeständen,Arzneimitteleinsatz, Futtermittelzusät-ze usw.). Damit wird deutlich, daß den

kette im Sinne des modernen Quali-tätsmanagements ohnehin eine „zuspät“ kommende Maßnahme, dennsie ist nicht auf Fehlervermeidung imvorangegangenen Produktionspro-zeß, sondern auf Aussonderung vonFehlprodukten nach deren Entste-hung orientiert.

◗ Der Verbraucher ist in zunehmendemMaße verunsichert, da die Industria-lisierung der Lebensmittelproduktionund die „Urbanisierung“ der Lebens-mittelversorgung zu mehr Massen-ausbrüchen von Lebensmittelinfektio-nen führt, und er daher annimmt, daßLebensmitteln immer weniger „ge-traut“ werden kann. Dabei wird we-gen der immer größer werdendenEntfernung des urbanen Menschenvon der landwirtschaftlichen Urpro-duktion und dem damit Nichtmehr-wissen, wo Fleisch, Milch und Eier ih-ren Ursprung haben, dem, was derLandwirt tut, das größte Mißtrauenentgegengebracht.

◗ Die Anwendung antibiotisch wirksa-mer Substanzen in der Landwirtschaftwird immer häufiger kritisch hinter-fragt. Nicht nur die Kritik der WorldHealth Organization (WHO) an dengegenwärtigen Praktiken der Tierpro-duktion wegen des angenommenenBeitrags der Verwendung von Antibio-tika in der Landwirtschaft zu den inder Humanmedizin sich häufendenbakteriellen Resistenzen,sondern auchdie sich mehrenden freiwilligen Ver-zichte auf den Gebrauch von antibio-tisch wirkenden Leistungsförderern(Schweden,Dänemark,Schweiz) schü-ren die öffentliche Diskussion über An-tibiotika in der Tierproduktion.

◗ Aspekte der Lebensmittelsicherheitwerden in zunehmendem Maße na-tional und international als Marke-ting-Instrumente eingesetzt. Beispielehierfür sind Schweden und Finnland,die als eine der Bedingungen für ihrenBeitritt zur Europäischen Union dasRecht, Salmonellenfreiheitszertifikatebei jedem Lebensmittelimport for-dern zu dürfen, durchgesetzt haben,und Dänemark mit seinem gut ver-markteten Salmonellen-Kontrollpro-gramm von der Urproduktion bis zurVerarbeitung von Schweinefleisch.

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bisher praktizierten Lebensmittelhygie-ne-Maßnahmen von der Schlachtung biszur Ladentheke (amtliche Fleischunter-suchung, bakteriologische Stufenkon-trollen,Kühlkette usw.) Maßnahmen zurLebensmittelsicherheit auch in der land-wirtschaftlichen Urproduktion hinzuge-fügt werden müssen. Ein nicht zu unter-schätzender Trend ist, daß das Konzeptder ausschließlichen staatlichen Verant-wortung für die Lebensmittelsicherheitschrittweise verlassen wird und durchEigenkontrollen der Industrie ergänztwird.Die staatliche Kontrolle wird in zu-nehmendem Masse zur „Kontrolle derKontrolle“.

Epidemiologische Überwachung

Die in den einzelnen Regionen der Weltweit voneinander abweichend ent-wickelten und gewachsenen Konglome-rate von unterschiedlichsten epidemio-logischen Überwachungssystemen ha-ben eines gemeinsam: sie verfügen übereine enorme Menge von Daten, die, daweitgehend unabhängig voneinandererhoben, nur begrenzt verwertbar sind.Die gegenwärtigen Datenquellen befin-den sich auf unterschiedlichen Ebenender Datenhierarchie, die in aller Regelden unterschiedlichsten Verantwor-tungsbereichen zugeordnet sind. DieVerknüpfung von Daten wird dadurcherschwert, wenn nicht sogar unmöglich.Folgende Ebenen liefern (meist passive)Daten, die direkt oder indirekt zu einerArt epidemiologischer Überwachungbeitragen:1) Ärztliche und tierärztliche Praxen und

diagnostische Einrichtungen liefernDaten über human- und veterinärme-dizinisch meldepflichtige Krankhei-ten, die allein nicht aussagekräftig ge-nug sind,um komplette epidemiologi-sche Einschätzungen und Schlußfolge-rungen für sinnvolle Verhütungsmaß-nahmen zuzulassen.

2)Auf dem Gebiet der Lebensmittelpro-duktion bieten die Daten derSchlachthöfe, Molkereien und derFleischverarbeitung komprimiertereDaten als die der Nutztierbestände,wobei die Daten der amtlichenFleischuntersuchung einschließlich

Subtypisierungsmethoden ist mit denheute verfügbaren Daten epidemiologi-sches „tracing-back and -forth“ nur sehrbegrenzt möglich. Darüber hinaus istdie derzeitige Überwachung fast aus-schließlich horizontal und nicht vertikalorganisiert.

Was getan werden muß

Zur Verbesserung der Konzepte und Me-thoden zur Senkung lebensmittelassozi-ierter Risiken für die menschliche Ge-sundheit und zur Erzielung einer wett-bewerbsfähigen, ständig steigerbarenQualität von Lebensmitteln sind im we-sentlichen folgende Maßnahmen umzu-setzen:◗ Herkunftsnachweise für jegliche Zu-

lieferungen von Zwischen- und End-produkten für die Lebensmittelindu-strie, wobei die zumindest für Wirt-schafts- und Handelsblöcke harmo-nisierte und fälschungssichere Urpro-duktidentifikation die am dringend-sten umzusetzende Maßnahme be-sonders in der Nutztierproduktionist,

◗ durchgängige Qualitätssicherungssy-steme sowie Standardisierung undZertifizierung von vertikal koordi-nierten Produktionsprozessen,

◗ Anwendung der Prinzipien des HA-CCP-Konzeptes von der landwirt-schaftlichen Produktion bis zum Ein-zelhandel,

◗ Aktualisierung und Koordinierungder derzeitigen epidemiologischenÜberwachungssyteme.

◗ Ausbildung und Training in „pre-har-vest food safety“ (=lebensmittelhy-gienisch relevante Maßnahmen inTier- und Pflanzenproduktion).

Zur Aktualisierung und Koordinierungder epidemiologischen Überwachungmüssen schrittweise folgende Problem-felder in Angriff genommen werden:◗ Schaffung von Konsens über Metho-

den der Nachweisverfahren, beson-ders bei der Erregerisolierung, -typi-sierung und -subtypisierung),

◗ Harmonisierung der Erfassung undAuswertung von humanmedizini-schen, veterinärmedizinischen undlandwirtschaftlichen Daten,

der amtlichen bakteriologischen Un-tersuchung bei Krankschlachtungennur wenig Aussagen zum Vorkommenvon Zoonoseerregern zulassen. MehrInformationen liefern Untersu-chungsergebnisse im Rahmen vonbakteriologischen Stufenkontrollen.Leider sind diese in aller Regel als un-ternehmensinterne Daten allgemei-nen epidemiologischen Analysennicht zugänglich.

3) Vertikal koordinierte Produktionsket-ten, die das Hazard Analysis CriticalControl Point (HACCP), Good Manu-facturing Practice (GMP) und Quali-tätssicherungssysteme anwendenoder einführen verfügen über stetigwachsende Datenbänke, die im Falleder Offenlegung eine wertvolle Daten-quelle für planvolle Überwachungs-strategien sein könnten,

4)nationale Datenerfassung unter Nut-zung der Daten aus 1. bis 3., z.B. durchdas Robert Koch-Institut und dasBgVV in Deutschland, das NationaleZoonosenzentrum in Dänemark unddie Centers of Disease Control andPrevention (CDC) in den USA,

5) Datenerfassung auf der Ebene vonFreihandelszonen (z.B. Gemeinschaft-liches Referenzlaboratorium für dieEpidemiologie der Zoonosen auf derGrundlage der EU-Richtlinie 92/117/EWG) oder von geographischen Re-gionen wie die Pan-American HealthOrganization (PAHO),

6)globale Datenerfassung durch die Be-mühungen internationaler Organisa-tionen wie die WHO, die Welternäh-rungsorganisation (FAO) und das In-ternationale Tierseuchenamt O.I.E.(Datenbanken wie z.B. ENTERNET).

Generell läßt sich einschätzen, daß diederzeitigen Systeme fast ausschließlichretrospektiv sind, und daß z.B. die Da-ten der Erregerisolate von Tieren undPflanzen einerseits und die von Lebens-mitteln und Menschen andererseits nurselten kompatibel sind, denn die Erre-gerisolate von Tieren sind in aller Regelvon Sektionen verendeter Tiere, d.h. dielatenten Infektionen der Nutztiere mitZoonoseerregern, die in die Lebensmit-telkette einmünden, kaum erfaßt. Ohnedie Anwendung molekular-biologischer

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Originalien und Übersichtsarbeiten

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◗ Erarbeitung von statistisch begründe-ten Stichprobenstrategien und -plä-nen für produktionsstufenübergrei-fende Qualitätssicherungssyteme, dieauf dem HACCP Prinzip beruhen, wiez.B. das Dänische „National Salmonel-la Control Program“,

◗ Verwendung von molekularen Subty-pisierungen wie z.B. die Pulse FieldGel Electrophoresis (PFGE) in dem Pi-lotprojekt des U.S.-amerikanischenCenters of Disease Control and Pre-vention (CDC) zur nationalen Über-wachung und Aufklärung von Infekt-ketten.

Die Problemkreise, die im Tierbestandbearbeitet werden müssen, sind:◗ Rückstandsvermeidung im Bestand

statt Rückstandsuntersuchung anSchlachtkörpern, Eiern und Milch,

◗ Aufbau von trichinen- und toxoplas-menfreien Schweinebeständen mitÜberwachung,

◗ schrittweise Reduzierung des Eintra-ges von Salmonellen, enterohaemor-rhagischen E. coli, Campylobacter,Yersinien und Listerien durchSchlachttiere und andere landwirt-schaftliche Ausgangsprodukte in dieLebensmittelproduktonskette,

◗ Garantie der Anwendung von Anti-biotika in der Tierproduktion nachden Prinzipien des „prudent use ofantibiotics“ entsprechend der 1997von der WHO vorgeschlagenen Defi-nition:„Maximierung der therapeuti-schen Wirkung bei gleichzeitiger Mi-nimierung des Risikos der Entstehungvon Resistenzen“.

Zur Erreichung dieser Zielstellung müs-sen schrittweise folgende Maßnahmenin der landwirtschaftlichen Produktionumgesetzt werden:◗ Einführung von Good Manufacturing

Practices (GMP) und Festlegung vonStandard Operating Procedures(SOP’s ) unabhängig von der Größe derProduktionseinheiten. Um auch klei-nen und mittelgroßen landwirtschaft-lichen Betrieben zu ermöglichen,stan-dardisierte Verfahren der Produktionvon Lebensmittelausgangsproduktenanzuwenden,sind horizontale und ver-tikale Verbundsysteme zu fördern.

◗ Einführung des HACCP (Hazard Cri-tical Control Points) Konzeptes imTierbestand, wobei es darauf an-kommt, dieses kompatibel mit dennachgelagerten Stufen der jeweiligenLebensmittelproduktionskette zu ge-stalten.

◗ Einführung von Tiergesundheitsma-nagement statt nur Therapie von Tier-erkrankungen und Prophylaxemaß-nahmen zur Verhinderung von be-standsspezifischen Gesundheitspro-blemen. Dabei wird Tiergesundheits-management definiert als: Das syste-matische Planen und Umsetzungenvon organisatorischen, produktions-technischen, hygienischen und veteri-närmedizinischen Massnahmen ein-schließlich der Minimierung von An-tibiotika auf erforderliche Behand-lung von bakteriellen Erkrankungenund der Eliminierung und Reduzie-rung von zoonotischen Erregern, diekeine Tierkrankheiten verursachen –entscheidend dabei ist, daß die Maß-nahmen für alle Tierbestände, die zueiner vertikalen Produktionskette ge-hören, so abzustimmen sind, daß dieweiterverarbeitende Industrie mit ei-nem weitgehend standardisiertenAusgangsprodukt arbeiten kann.

◗ Aufbau von Informations-Rückmel-desystemen, die sowohl als Manage-mentinstrument dienen, als auch zurdringend zu fordernden Transparenzder Produktion von Lebensmittelnbeitragen.

◗ Schrittweise Anwendung von Zertifi-zierungen mit internen und externenAudits auch in der landwirtschaftli-chen Produktion.

All diese Maßnahmen sind nicht überNacht und überall zur gleichen Zeit um-setzbar, und es bedarf einer hinreichendgut abgestimmten Strategie in der deut-schen Landwirtschaft. Die anzustreben-den Veränderungen sollten nicht nurdurch staatliche Reglementierung, son-dern auch durch systematische „Ausnut-zung“ der Kräfte des freien Marktes rea-lisiert werden.Ein einheitliches nationa-les Konzept wird sich nur für die Grund-prinzipien durchsetzen lassen, zur kon-kreten „vor Ort“-Umsetzung der Grund-prinzipien ist der Aufbau von Lebens-

mittelproduktionsketten, welche dieoben genannten Maßnahmen von derUrproduktion bis zur Ladenthekeschrittweise einführen, anzustreben.Solche Lebensmittelproduktionskettenwerden nicht nur einen Marktvorteil er-zielen, sondern sie werden auch als Pi-lotprojekte anderen Gruppen den Wegzu einer erfolgreichen Produktion vonbegehrten und sicheren Lebensmittelnaufzeigen. Der Staat hat dann „nur“noch die Aufgabe der Kontrolle der Ei-genkontrolle und der Absicherung derGlaubhaftigkeit der angewendeten Zer-tifizierungsmethoden.

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