Markus Reindei
Landschafts- und Siedlungsgeschichte im Gebiet der Nasca-Kultur /Peru In einer einzigartigen Landschaft, geprägt durch die Flussoasen am Fuß des tropischen Hochgebirges der Anden, haben sich in der Wüste der Südküste Perus die Paracas- und die Nasca-Kultur entwickelt. Archäologen, Geographen, Geologen und andere Naturwissenschaftler erforschen jetzt gemeinsam in einem interdisziplinären Projektverbund die Siedlungsgeschichte und die Umweltbedingungen im Umfeld der weltberühmten Geoglyphen von Nasca.
Je weiter man auf der Panamericana durch die Küstenwüste Perus nach Süden fährt, umso schmaler wird die
üstenebene zwischen dem Pazifik im Westen und den Anden im Osten (vgl. Abb. 1 und 2). Die Fahrt führt vorbei an menschenleeren, dunklen GeröUfeldern und hellen Sanddünen. Etwa 400 km südlich der Hauptstadt Lima klettert die Straße auf einen zerklüfteten Felssporn an und fällt dann steil ab in eine breite Talebene, die durch das Einmünden der Flüsse Rio Palpa und Rio Viscas in den Rio Grande gebildet wird. Das Landschaftsbild wandelt sich abrupt: Die TaJböden sind grün, überall sind Felder angelegt, Bohnen, Baumwolle, Mango und Orangen werden angebaut (vgl. Foto 1). Die Felder werden mit dem Wasser der drei Flüsse bewässert, die von der
Westabdachung der Anden den Wüstenstreifen durchfließen und in den Pazifik münden.
Solche Flussoasen sind die einzigen Lebenszonen an der peruanischen Küste. Hier haben seit Jahrtausenden Menschen gesiedelt und blühende Kulturen entwickelt. Der Unterschied zwischen lebensfeindlicher Wüste und den Anbauzonen in den Flussoasen kann kaum krasser sein. Wasser war der Minimumfaktor, von dem das Leben in der Wüste abhing. Wo es Wasser gab, konzentrierten sich die Menschen. Kriege wurden um das kostbare Nass geführt. Wie viele andere Flüsse an der Küste Perus, führen auch der Rio Palpa und der Rio Viscas nur wenige Monate im Jahr Wasser. Der Rio Grande de Nasca ist der einzige Wasserlauf in der Region, in
Foto 1: Bewässerte Talaue des Palpa-Tales inmitten der peruanisehen Küstenwüste
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dem permanent Wasser fließt. Er besitzt noch sechs weitere Zuflüsse (Rio Santa Cruz, Rio Ingenio, Rio Nasca, Rio Aja, Rio Taruga, Rio Trancas), die zusammen das Nasca-Gebiet bi lden.
Im Süden des Palpa-Tals führt die Straße weiter durch die vegetations lose Wüste, durchquert das Tal des Rio Ingenio und steigt dann auf ein ausgedehntes, topfebenes Plateau, die Pampa von Nasca, an. Links und rechts der Straße tauchen Furchen auf, die sich schnurgerade bis zum Horizont ziehen. Manchmal sind größere Flächen von Steinen freigeräumt, so dass das helle, darunter liegende Sediment zum Vorschein kommt. Ab und zu sind auch gebogene Linien zu sehen (vgl. Foto 2). Dazwischen immer wieder frische Autospuren, die die alten Furchen mit den ver-
witterten Steinen wild durchkreuzen.
Einige Ki lometer weiter steht ein etwas wackliger Beobachtungsturm. Aus erhöhter Perspektive erschließt sich das ganze Ausmaß der Bodenzeichnungen, die zu Hunderten die gesamte Fläche zwischen dem Tal des Rio Ingenio und dem des Rio Nasca bedecken. Neben den vielen Linien und Trapezen gibt es einige Figuren auf der Pampa, Kolibris, Vögel, Affen, Fische und einen Walfisch.
Die ganze Vielfalt der Geoglyphen ist am besten aus der Luft zu erfassen. Jedes Jahr nutzen Tausende von Touristen diese Möglichkeit, mieten bei einer der über zehn Fluglinien in dem kleinen Ort Nasca eine Sportmaschine und über-fliegen die Pampa. Damit
Foto 2: Geoglyphen am nördlichen Talhang des Palpa-Tales
wird viel Geld verdient. Daher ist es verständlich, dass die Bes itzer der Fluggesellschaften, die in der Regel in der Hauptstadt Lima res idieren, die Pampa als ihr Eigentum betrachten und sehr darauf achten, dass ihnen niemand, auch nicht Archäologen oder di e peruanische Denkmalbehörde, dieses Te rrain streitig macht.
Erforschung der Geoglyphen Den Beobachtungsturm in der Pampa von Nasca hat einmal Maria Reiche errichten lassen, die alte Dame, die ihr ganzes Leben dem Schutz und Erhalt den Geoglyphen von Nasca gewidmet hat. Ihr ist es maßgeblich zu verdanken, dass die Geoglyphen heute noch in dem gegenwärtigen Zustand erhalten sind. Maria Reiche ist 1998 gestorben. Der peruani schen Denkmalbehörde fehlen die finanziellen Mittel, um Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Bodenzeichnungen zu treffen. Derweil breiten sich Siedlungen aus und zerstören immer mehr Geoglyphenfelder. Fahrspuren von Autos, die auch nach Jahrhunderten im Wüstenboden zu sehen sind, nehmen zu.
Obwohl die Geoglyphenfelder von einigen erhöhten Stellen deutli ch zu sehen sind und bekanntermaßen schon in der frühen Kolonialzeit im frühen 16. Jh. von Verkehrswegen gequert wurden, sind sie in keiner SchriftquelJe dieser Zeit erwähnt. Als "Entdecker" der Geoglyphen gilt der peruanische Archäologe Toribio Mejia Xesspe, der 1927 erstmals die Furchen als Bewässerungskanäle und Zeremonialwege interpretierte. Er veröffentlichte seine Überlegungen aber erst 1940 in einem Kongressbericht. Die Bodenzeichnungen wurden weltweit bekannt durch den amerikanischen Historiker Paul Kosak, der ein Jahr später beobachtete, wie die Sonne am Tag der Winterson-
ca am Horizont unterging. Für Kosak war sofort klar, dass es sich bei den Geoglyphenfeldern um das "größte Astronomiebuch der Welt" gehandelt haben musste.
Diese Idee wurde von der deutschen Mathematikerin Maria Reiche aufgegriffen. Sie widmete ihr ganzes Leben dem Studium und dem Schutz der Bodenzeichnungen von Nasca. Nach der Veröffentlichung erster Beobachtungen in den 1950er Jahren konnte sie jedoch wegen fehlender finanzieller Mittel und institutionellen Rückhalts nur wenig zur weiteren Dokumentation der Bodenzeichnungen und zum Verständnis der Nasca-Kultur beitragen. Seitdem hat es
50 km
Abb. 1: Lage von Palpa an der Südküste Perus
nenwende, am 21. Juni , fast genau in der Abb. 2: Das Nasca-Gebiet in einem Satelliten bild Flucht einer der Linien der Pampa von Nas- Quelle: LANDSAT-Aufnahme. aus Peiiaherrera dei Aguila 1989, S. 12
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unzählige Versuche gegeben, den Sinn und Zweck der Geoglyphen von Nasca zu ergründen.
Die astronomische Hypothese als Erklärung für die Gesamtheit der Bodenzeichnungen gilt heute als weitgehend widerlegt, wenn auch die Möglichkeit eingeräumt wird, dass einzelne Linien oder Liniengruppierungen durchaus im Zusammenhang mit Himmelserscheinungen stehen könnten. Aufgrund von Analogien mit ethnohistorisch und ethnographisch belegten Fällen nehmen andere Forscher einen Zusammenhang der Linien mit heiligen Plätzen, sogenannten Huacas an. Viele Indizien deuten darauf hin, dass die Bodenzeichnungen als Zeremonialwege in Zusammenhängen mit Kulten genutzt wurden. Eine neuere Hypothese besagt, dass bestimmte Bodenzeichnungen unterirdische Wasservorkommen markieren. Geologische und geophysikalische Untersuchungen konnten hierfür jedoch keine Belege finden. Neben diesen ernsthaften Überlegungen gibt es natürlich auch eher sensationalistische Erklärungsversuche wie die von Erich von Däniken, der die Bodenzeichnungen als Landebahnen von Außerirdischen deutete. Eine wirklich schlüssige Erklärung für die Bedeutung der Bodenzeichnungen liegt jedoch noch in weiter Ferne.
Zwei große Hindernisse stehen der Lösung der Rätsel der Nasca-Ku ltur im Wege: • Es gibt keine Kartierung der Geoglyphen. Bis heute hat niemand den Versuch unternommen, die Bodenzeichnungen von Nasca zumindest in einem Teilbereich vollständig und detailliert zu kartieren. Versuche, die denkbaren Lösungsansätze zu diskutieren, scheitern daran, dass als Belege für jede Hypothese einige wen ige Geoglyphen angeführt werden, die jeweils eben diese Hypothese bestätigen. Es kann jedoch kein Vergleich mit anderen Geoglyphen angestellt werden, da keine entsprechende Dokumentation vorliegt. Ohne eine systematische Kartierung ist es unmöglich, charakteristische Merkmale aus einem umfassenden Vergleich der Geoglyphen zu erkennen. • Wir wissen zu wenig über die Ku lturgeschichte des Nasca-Gebietes. Die meisten Ansätze zur Deutung der Geoglyphen konzentrieren sich auf die Bodenzeichnungen selber, lassen aber außer Acht, dass die Geoglyphen von Menschen hergestellt wurden, die überall im Nasca-Gebiet siedelten, in besonderer Weise auf das extreme Lebensumfe ld eingerichtet waren und bestimmte Glaubensvorstellungen hatten. Dieses kulturelle Umfeld ist bisher kaum bekannt. • Unser Verständnis von der Landschaftsgeschichte im Nasca-Gebiet ist unzureichend. Siedlungsräume in Randgebieten der Ökumene, insbesondere Wüstenrandgebiete, reagieren äußerst empfindlich auf geringe klimatische Schwankungen. Befun-
Foto 3: Die der Westabdachung der Anden vorgelagerte Fußfläche südlich des Palpa- und Viscas-Tales
de aus anderen Regionen des Andenraumes weisen darauf hin, dass das Klima in den letzten Jahrtausenden nicht stabil war. Veränderungen von Landschaft und Klima dürften bedeutende Auswirkungen auf das Siedlungsverhalten der Menschen und auf deren Kulturgeschichte gehabt haben.
Der interdisziplinäre Ansatz Seit 1997 fördert die Schweizerisch-Liechtensteinische Stiftung für Archäologische Forschungen im Ausland (SLSA) ein archäologisches Forschungsprojekt, das die Dokumentation der Geoglyphen der Nasca-Kultur und deren Erforschung im kulturellen Umfeld zum Inhalt hat. 2002 rief das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen seines Förderschwerpunktes "Neue Naturwissenschaftliche Technologien und Methoden in den Geisteswissenschaften (NTG)" einen Projektverbund ins Leben, der die Entwicklung und Adaption archäometrischer Techniken zur Erforschung vors panischer Kulturen in Südperu zum Inhalt hat. Im Rahmen des physiogeographischen NTG-Teilprojekts werden Untersuchungen zur Landschafts- und Klimageschichte sowie zur Anwendung weiterentwickelter geophysikalischer Methoden in der Geomorphologie und Archäologie getestet.
Mit verschiedenen Methoden der Ch ronometrie (Radiokarbondatierung, Optisch Stimulierte Lumineszenz, Thermolumineszenz, u. a.) wird eine numerische Chronologie für die Kultur- und Landschaftsgeschichte erarbeitet. Durch neue
Prospektionsmethoden sollen die bisherigen Grabungsbefunde ergänzt werden. Darüber hinaus sollen photogrammetrische Methoden weiterentwickelt und an die besonderen Verhältnisse bei der Vermessung kontrastarmer Objekte, insbesondere Geoglyphen und archäologischer Siedlungen, angepasst werden. An Skelettresten werden neue Methoden zur Bestimmung von Verwandtschaftsverhältnissen und Ernährungsgewohnheiten erprobt. Spezialisten für Montanarchäologie sollen neue Erkenntnisse zur Metallgewinnung und -verarbeitung im Nasca-Gebiet erarbeiten.
Physiogeographische Grundlagen Wie die neuesten lfntersuchungen des Teilprojektes GeomorphologiejLandschaftsgeschichte unter der Leitung von Professor Bernhard EiteL (Geographisches Institut, Universität Heidelberg) ergaben, erklärt sich die weltweit einzigartige Menge und Konzentration von Geoglyphen im NascaGebiet unter anderem durch die besonderen naturräumlichen Bedingungen. Im Unterschied zu allen anderen Bereichen der nördlichen Atacama-Wüste, ist dem ariden Küstenstreifen im Nasca-Gebiet eine Küstenkordillere vorgelagert (vgl. Abb. 2). Diese hatte zur Folge, dass sich während des Pleistozäns im Zuge intensiver Abtragungsprozesse an der Westseite der peruanischen Anden in dem Becken zwischen der Küstenkordillere und dem Andenfuß besonders mächtige Beckenfüllungen und Fußflächen ausbildeten (vgl. Abb. 2 und Foto 3).
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Im Jungpleistozän und Holozän tieften sich die von den Anden kommenden Flüsse in die Beckenfüllung ein und räumten sie teilweise aus. Die zerschnittenen Fußflächenreste mit ihren kilometerweiten, flach nach Westen einfallenden, nahezu ebenen Oberflächen, die heute als "Pampas" bezeichnet werden, wurden von den Bewohnern des NascaGebietes bevorzugt für die Anlage von Geoglyphen genutzt.
Die Möglichkeit zur Schaffung von Geoglyphen wurde außerdem durch den starken Kontrast zwischen den an der Oberfläche liegenden Steinen (Wüstenpflaster) und dem darunterliegenden heUen Sediment begünstigt (vgl. Foto 3 und 4). Diese hellen, sch luffigen Sedimente sind das Ergeb-nis pleistozäner äolischer
Dynamik im Bereich des östlichen Wüstenrandes. In dem Becken zwischen Küstenkordillere und Andenfuß wurde und wird immer wieder viel Feinsediment abgelagert, das wieder ausgeweht werden kann. Die vorherrschenden Südwestwinde blasen das Feinmaterial gegen die Westkordillere der Anden, in deren Fußzone es als Wüstenrandlöss verbreitet auftritt.
Alte Feinsedimentlagen auf den Fußflächen wurden im Pleistozän im Zuge heftiger Niederschläge durch Schichtflutereignisse und Schlammströme geringmächtig überlagert. Durch das Ausblasen der feinkörnigen Matrix aus den Grobsedimentlagen bildete sich ein geschlossenes Stein-
Abb. 3: Ausschnitt aus dem 3D-Modell der Region Palpa mit verschiedenen Typen von Geoglyphen Quelle: Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Zürich
pflaster mit dunklem Wüstenlack über heilem Feinmaterial aus. Für die Nasca-Leute war es damit ein Leichtes, durch das Entfernen dieser dunklen Steine ohne großen Aufwand und in relativ kurzer Zeit riesige helle Geoglyphen auf den dunklen Fußflächen anzulegen.
Photogrammetrisehe Dokumentation Im Rahmen der Forschungsarbeiten werden die Geoglyphen mit modernsten photogrammetrischen Methoden kartiert. Da die Geoglyphen nicht im gesamten Verbreitungsgebiet geschützt werden können, wird zumindest der Ist-Zustand kartogra-
phisch festgehalten. Über diesen konservatorischen Aspekt hinaus, wird eine wissenschaftliche Dokumentation ersteHt, die zukünftigen Forschergenerationen eine Grundlage für weitere Untersuchungen bereitstellen soll. .
Archäologische Fundplätze werden systematisch untersucht, um mehr über die Kulturgeschichte der Region zu erfahren und eine Erklärung der Geoglyphen im kulturellen Kontext zu ermöglichen. Während der Arbeiten werden Fundortkataster erstellt, Oberflächensurveys, Vermessungen und Testgrabungen durchgeführt sowie Siedlungen in großflächigen Ausgrabungen erforscht.
Foto 4: Frühe Geoglyphe (um 400 v. ehr.) aus dem in Foto 2 zu sehenden Komplex
Die photogrammetrischen Arbeiten werden am Institut für Geodäsie und Photogrammtrie der ETH Zürich unter Leitung von Armin Grün vorgenommen. Das Gebiet wurde überflogen und es wurden Messfotos im Maßstab 1:5 000 angefertigt. Bei der Auswertung der Luftaufnahmen wird ein dreidimensionales, digitales Geländemodell erstellt, in dem jedes Element genauestens lokalisiert werden kann. Die Geoglyphen und andere archäologische Elemente werden separat ausgewertet und interpretiert (vgl. Abb. 3 und 4). Zur Visualisierung der Ergebnisse werden Geländemodell, die photographische Geländeoberfläche und die kartierten Elemente übereinander projiziert und können in dreidimensionalen Modellen von jedem Standpunkt aus betrachtet werden. Auf diese Weise wird ein sehr leistungsfähiges Hilfsmittel für die Interpretation der Geoglyphen geschaffen. Alle Daten werden in einem Geographischen Informationssystem erfasst und können dort unter den verschiedensten Aspekten analysiert werden. So können Ausrichtungen auf
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Geländemarken oder astronomische Phänomene überprüft werden, die Lage im Bezug zu Geländeformationen, Wasserquellen oder Siedlungen bestimmt werden und vieles mehr.
Archäologische Siedlungsforschung Die archäologische Nasca-Kultur ist bisher vo r allem aus der Untersuchung von undokumentierten Museumssammlungen bekannt. Unter den trockenen Bedingungen, die in der Wüste herrschen, haben sich nicht nur di e beeindruckenden polychromen Keramikgefäße, sondern auch Textilien, Holzartefakte, Nahrungsreste und andere organi sche Materialien hervorragend erhalten. Allerdings wurden bisher nur wenige Bodenfunde in Flächengrabungen dokumentiert. Zu Beginn der Erforschung der Nasca-Kultur um die Jahrhundertwende, aber auch noch bis in die 1930er Jahre wurden vor allem Gräber ausgenommen und Grabinventare untersucht. Die Chronologie der Nasca-Kultur beruht jedoch nicht auf
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stratigraphischen Analysen, sondern auf Reihungen von Keramik-Gbjekten unterschiedlicher Provenienz. Nach gängiger Lehrmeinung wurden die kleinen Täler des Nasca-Gebietes von einfachen bäuerli chen Kulturen besiedelt, die in wenig strukturierten Gemeinschaften lebten, allerdings ein besonders entwickeltes Kunsthandwerk besaßen.
Für die Feldarbeiten des Forschungsprojektes wurde ein Gebiet ausgesucht, wo vors panische Siedlungen in unmittelbarer Nähe von Geoglyphen vorkommen. Dies war in idealer Weise in der Region Palpa der Fall, wo sich auf den Plateaus und den Hängen der Ausläufer der Westkordillere der Anden unzählige Bodenzeichnungen und in ebenso großer Zahl prähistorische Siedlungsreste fanden. Bisher wurden mehr als 700 archäologische FundsteIlen aus verschiedenen Zeitstufen registriert. Die frühesten bisher bekannten Siedlungsreste stammen aus der Zeit um 1000 v. Chr. und sind der sogenannten Initialzeit zuzuweisen. Diese Siedlungen sowie diejenigen der nachfolgenden Paracas-Zeit
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Abb. 4: Kartierung der in Abb. 3 dargestellten Geoglyphen Zeichnung: K. Lambers
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(800 - 200 v. Chr.) konzentrierten sich an den Stellen, wo Wasser leicht zugänglich war, das heißt am Talausgang und am Zusammenfluss des Rio Palpa mit dem Hauptfluss Rio Grande.
Um 400 v. Chr. entstanden di e ersten Bodenzeichnungen. Kleine Figuren, oft Menschendarstellungen, wurden an den Talhängen angelegt (vgl. Foto 4). Diese Figuren, etwa 10 bis 30 m groß, waren vom Talboden aus zu sehen. Sie zeigen ganz ähnliche Motive wie die Felszeichnungen, die zu Hunderten im gesamten Palpa-Tal vo rkommen (vgl. Foto 5). Zahlreiche Motive der Felszeichnungen wiederum sind identisch mit Motiven auf Keramik und auf Textilien der Paracas-Zeit. Somit lässt sich mit Sicherheit annehmen, dass die Bodenzeichnungen im Nasca-Gebiet aus der Tradition der Felszeichnungen der Pa racas-Kultur entstanden sind. In der Zeit der Nasca-Kultur, von 200 v. Chr. bis 600 n. Chr., wurde offenbar das Bewässerungssystem für die Landwirtschaft ausgebaut. Die wesentlich zah lreicheren Siedlungen verteilten sich nun gleichmäßig entlang der Talränder.
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Foto 5: Felszeichnung im mittleren Palpa-Tal
Der fruchtbare Talboden wurde hauptsächlich für den Anbau genutzt.
Siedlungszentren der Nasca-Kultur In der frühen Nasca-Zeit (0 - 200 n. Chr.) muss die Region eine Blüte erlebt haben. Neben den vielen einfachen Siedlungen und Weilern, zumeist mit kleinen Steinhäusern, finden sich mehrere Orte mit größeren Bauten aus Lehmziegeln und ein zentraler Ort, Los Molinos, dessen Gebäude ausschließLich aus Lehmziegeln gebaut wurden. Mit über 1 m dicken Mauern wurde eine große, geplante Anlage errichtet, die sich in fünf großen Terrassen einen Hang hochzieht (vgl. Foto 6). Die großen Räume waren mit Flachdächern abgedeckt, die von Holzpfosten oder von lehmummantelten Säulen getragen wurden. Offensichtlich war Los Molinos das Verwaltungszentrum des Palpa-Tales in der frühen Nasca-Zeit. In einem Gebäude am Rand von Los Molinos fanden sich auffällig viele Keramikgefaße mit mythologischen Darstellungen. In 100 m Entfernung von diesem Gebäude befinden sich Bodenzeichnungen. Wahrscheinlich stand das Gebäude im direkten Zusammenhang mit Kulthandlungen, die bei den Bodenzeichnungen vollführt wurden.
Die Analyse der vorgefunden Essensreste aus der Siedlung zeigen, dass die Bewohner von Los Molinos über eine reichhaltige Nahrungsgrundlage verfügten. Neben Mais wurden Knollenfrüchte wie Man iok oder Achira (Canna indica) verzehrt. Kartoffeln wurden in dieser Zeit an der Küste noch nicht angebaut. Außerdem gab es eine Vielzahl von Früchten, Erdnüsse,
Baumwolle, Schilfrohr und vieles mehr. Wichtiger Fleischlieferant war neben dem Meerschweinchen das Lama, das aus dem Hochland eingeführt wurde. Aber auch von dem etwa 50 km entfernten Meer wurden Muscheln, Fische und Krebse herantransportiert. Es existierten also weitreichende Handelsbeziehungen.
Erstaunlicherweise wurden die Gebäude von Los Molinos durch starke Regenfalle so stark zerstört, dass die Siedlung aufgegeben wurde. Die Bewohner verlagerten ihr Siedlungszentrum etwa 2 km weiter fluss-
abwärts, zu dem Ort La Muiia. Dort konzentrierten sich die archäologischen Ausgrabungen auf große Grabanlagen (vgl. Foto 7 und Abb. 5). Wie die meisten Gräberfelder im Nasca-Gebiet waren auch hier die Grabschächte der bisher untersuchten Grabanlagen bereits von Raubgräbern geplündert. Fast unberührt blieb jedoch die umgebende Grabarchitektur. Diese unterschied sich markant von den bisher bekannten Gräbern der Nasca-Kultur. Die sechs in La Muiia dokumentierten Gräber waren nach einem festen Schema angelegt: Über einem zentralen Grabschacht mit bis zu 12 m tief liegender Grabkammer befand sich eine überdachte Plattform mit umlaufender Bankette. Das Ganze war von einer Mauer umgeben, die an drei Seiten einen schmalen Umlauf, an der vierten einen Vorhof freiließ, der für Grabkulte genutzt wurde. Diese Grabanlagen, die sich in einem klar umgrenzten Bezirk innerhalb des großen Gräberfeldes befinden, zeigen deutlich, dass es auch in der Nasca-Kultur hochstehende Persönlichkeiten gab, die mit viel Aufwand und - wie die von den Grabräubern zurückgelassenen zerbrochenen Gefaße belegen (vgl. Foto 8) - zahlreichen, sehr quali tätvollen Beigaben bestattet wurden.
Starkniederschläge in der Wüste Auch Teile von La Muiia wurden durch Starkregenfälle zerstört. Viele Gebäude wurden durch einen Schlammstrom weggerissen, der noch heute in einem Trockental deutlich zu erkennen ist. Danach wurde auch dieser Fundort verlassen. Offenbar ereigneten sich solch starke Regen nur in sehr großen Abständen, so dass die Erinnerung an die Katastrophen über die Genera-
Foto 6: Freigelegte Lehmziegelmauern am Fundort Los Molinos
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tionen verloren ging und die Menschen ihre Siedlungen nicht ausreichend schützten . Erste Datierungen von Sedimenten im Schwemmkegel dieses Trockentales, die mit Hilfe der Methode der Optisch Stimulierten Lumineszenz (OSL) an der Forschungsstelle Archäometrie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am Max-Planck-Institut in Heidelberg unter Leitung von Günther Wagner vorgenommen wurden, belegen, dass seit der NascaZeit mindestens drei große Niederschlagsereignisse stattgefunden haben. Das älteste in diesem Zusammenhang datierte Ereignis fällt in die Zeit um 300-400 n. Chr., als der Ort La Muiia aufgegeben wurde. Ob solche Katastrophen und letztlich das Erlöschen der Nasca-Kultur um 500 bis 600 n. Chr. in Zusammenhang mit dem sogenannten Niiio-Phänomen stehen, das der Küste Perus immer wieder Überschwemmungen bringt, oder ob andere Klimaunregelmäßigkeiten hierfür verantwortlich waren, ist zur Zeit Gegenstand physiogeographischer Untersuchungen.
Wasser- und Fruchtbarkeitskulte Nach der Nasca-Zeit wurden keine Bodenzeichnungen mehr angelegt. Spätere Siedler respektierten nicht einmal mehr die alten Bodenzeichnungen und bauten ihre
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Siedlungen zum Teil direkt über Linien, Trapeze und Figuren. Welche Bedeutung die Geoglyphen für die Nasca-Leute hatten, erschließt sich aus den jüngsten Ausgrabungen, die in charakteristischen Steinanhäufungen auf den Geoglyphen, zumeist auf Trapezen, durchgeführt wurden. Dabei handelte es sich um verstürzte Plattformen, die zur Niederlegung von Opfergaben dienten. Neben Keramikfragmenten aus verschiedenen Phasen der Nasca-Kultur fanden sich Textilreste, Feldfrüchte und Meerschweinchen. Besonders auffällig waren aber in allen der zwölf bisher ausgegrabenen kleinen Gebäuden die zahlreichen Reste von Meerestieren: Fisch, Krebse und Muscheln. Mit einer Muschelart, der sogenannten Spondylus-Muschel, die auch in Form von bearbeiteten Bruchstücken, Anhängern und Perlen vorkam, hat es eine besondere Bewandtnis. SpondylusMuscheln kommen nur in warmen, tropischen Gewässern etwa 2 000 km nördlich des Nasca-Gebietes vor.
Durch die periodisch auftretende Verlagerung dieser äquatorialen Gewässer und die dadurch verursachte Verdrängung des Humboldt-Stromes von der Küste Perus wird das sogenannte Niiio-Phänomen verursacht, welches vor allem an der nördlichen Küste Perus in unregelmäßigen Abständen Regen bringt. Die Bewohner des Andenrau-
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Abb. 5: Schnitt durch eine der Grabanlagen von La Muiia
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Foto 7: Arbeiten an einer Grabanlage der mittleren Nasca-Zeit (200-400 n. ehr.) in La Muiia
mes haben diesen Zusammenhang schon seit Urzeiten beobachtet. So wurde die Spondylus-Muschel, die mit diesen warmen Gewässern wandert, zum Symbol und zum Inbegriff für Wasser und Fruchtbarkeit. Spondylus-Muscheln finden sich nahezu
Nord, mauer
Holz fosten
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ausschließlich in rituellen Kontexten (Gräber oder Zeremonialbauten). In Nasca-zeitlichen Kontexten wurden sie bisher äußerst selten festgestellt. In der Häufung, wie sie jetzt in den kleinen Gebäuden bei den Geoglyphen gefunden wurden, waren sie bisher noch nicht in Nasca dokumentiert worden.
Ebenso neu ist der Fund von dicken Holzpfählen zwischen oder in den kleinen Gebäuden. Diese müssen ehemals mehrere Meter über die trockenen Ebenen herausgeragt haben und daher weithin sichtbar gewesen sein. Dieser Befund gibt den Bodenzeichnungen einen neuen Charakter. Man muss sich heute die Hochflächen als große Ebenen vorstellen, auf denen neben den Bodenzeichnungen auch noch zahlreiche kleine Gebäude und weithin sichtbare Markierungen als Kristallisationspunkte menschlicher Aktivitäten standen. Aufgrund dieser Funde und Befunde lässt sich annehmen, dass die kleinen Bauten als Heiligtümer in Verbindung mit den Geoglyphen für Kulthand lungen genutzt wurden. Dort wurden wahrscheinlich Opfergaben niedergelegt, die offensichtlich im Zusammenhang mit Wasser und Fruchtbarkeit standen. Es ist somit anzunehmen, dass die Geoglyphen Teil einer Sakrallandschaft waren, die für Wasser- und Fruchtbarkeitskulte genutzt wurden.
Ausblick Noch können wir nicht alle Fragen über die Lebensbedingungen der vorspanischen Siedler des Nasca-Gebietes beantworten. Aber wir wissen bereits einiges mehr über die Lebensumstände der Bewohner dieses Lebensraumes mit extremen Bedingungen. Wasser war fraglos das zentrale Element im Leben der Nasca-Bevölkerung - sowohl in seinen positiven Auswirkungen für die
Foto 8: Keramikgefäß aus einem der Gräber von La Mufia
Landwirtschaft als auch in seiner negativen, zerstörerischen Wirkung. Wasser hat das Siedlungsverhalten über die Jahrhunderte bestimmt. Die weiteren Forschungen werden Antworten darauf geben, wie sich Klima und Landschaft im Laufe der Zeit verändert haben, wie sich der Mensch mit unterschiedlichen Strategien an die geänderten Bedingungen angepasst hat, und wie sich diese Anpassungen immer wieder in neuen Kultur- und Lebensformen äußerten. •
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Reindel, M,J. Isla und K. Koschmieder: Vorspanische Siedlungen und Bodenzeichnungen in Palpa, Süd-Peru. Beiträge zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie 19 (1999). S. 313-381
Reindel, Mund J. Isla: Los Molinos und La Muna. Zwei Siedlungszentren der Nasca-Kultur in Palpa, Süd peru. Beiträge zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie 21 (2001). S. 241-319
Reindei, M, K. Lambers und A. Grün: Photogrammetrische Dokumentation und archäologische Analyse der vorspanischen Bodenzeichnungen von Palpa, Süd-Peru. Beiträge zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie 23 (2003). S. 183-226
Internet
www.dainst.org Deutsches Archäologisches Institut
www.geod.ethz.ch/pO 2/ projects/ peru Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Zürich
Autor
Dr. Markus Reindei, geb. 1960 Deutsches Archäologisches Institut, Kommission für Al lgemeine und Vergleichende Archäologie (KAVA). Endenicher Str. 41, 53115 Bonn E-Mail: reinde [email protected] Arbeitsgebiete, Forschungsschwerpunkte: Siedlungsarchäologie, Baugeschichte, Archäometrie, Süd- und Mittelamerika
Summary
Landscape and Settlement History of the Nasca Culture in Palpa, Peru
by Markus Reindei
In a unique landscape, eharaeterised by the river oasis at the foot of the tropieal high mountains of the Andes, the Paraeas- and the Nasea-Cultures developed in the desert of the south eoast of Peru. Reeent investigations showed that the speeifie physieal geographie setting of the Nasea region favoured the elaboration of ground drawings on the desert surfaee. The investigation of the relationship between these geoglyphs and aneient settlements in the vieinity of the modern town of Palpa ineludes a detailed mapping and visualization of the geoglyphs and the landseape with sofistieated photogrammetrie methods, their assoeiated arehaeologieal features, an exhaustive survey of arehaeologieal sites, test exeavations and large seale exeavations in several settlements. More than 700 arehaeologieal sites have been identified in the valleys of Rio Grande, Rio Palpa and Rio Viseas, dati ng from Formative (1000 BC) to Inea times (1530 AD) . Settlement patterns, arehiteeture, burial praetiees, the eeramie findings as weil as botanieal and faunistie remains show that the Nasca society was weil organised and stratified. Religious specialists must have been in eharge of the rituals eoncerning the nearby geoglyphs. Small shrines with offerings direetly associated with the geoglyphs demostrate that water and fertility rites were praetised in a saered landscape whieh were eonstantly modyfied by the modeling of new geoglyphs. Destructions by rainfalls deteeted in adobe struetures of Nasea settlements showed that elimatic variations must have played a major role in the prehispanie settlement history. In the interdisciplinary projeet the landseape and climatie history are reconstructed. Traditional and new chronometrie teehniques provide a numeric chronologieal framework for the interpretation of the settlement history. Other specialists contribute with new developments in moleeular biology and the interpretation of stable isotopes in order to trace the movements of peoples and populations in prehispanie times between the paeifie eoast and the high mountains of the Andes.
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