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Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte
Band 32 (2016)
HADWIGA SCHÖRNER
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN.
IHRE GESCHICHTE, ENTWICKLUNG UND BEDEUTUNG VON DER
GRÜNDUNG 1869 BIS ZUR MITTE DES 20. JAHRHUNDERTS AUF BASIS
DER SCHRIFTQUELLEN.
1. Geschichte des Archäologischen Museums von der Gründung an1
Im Wintersemester 1868/69 wurde auf die neu geschaffene Lehrkanzel Klassische Ar-
chäologie an der Universität Wien Alexander Conze (Abb. 2) aus Halle an der Saale
berufen. Die Berufungsurkunde2 trägt das Datum des 25. September 1868, Lehrveran-
staltungen bot Conze allerdings erst ab dem Sommersemester 1869 an. Conze (1831–
1914) hatte sich in Göttingen 1861 habilitiert, ebendort bis 1863 als Privatdozent ge-
lehrt sowie von 1863 bis 1868 als außerordentlicher Professor in Halle an der Saale
gewirkt3. Von diesen beiden Universitäten waren ihm Archäologische Sammlungen,
die Originale und Abgüsse kollektionierten, wohlbekannt4; in Halle hatte er die Gips-
abgusssammlung zum Zweck der Forschung an antiker Plastik selbst maßgeblich aus-
gebaut5.
––––––––––––––––––––––––– 1 Für die Möglichkeit, diesen am 06.12.2013 vor der Österreichischen Gesellschaft für Wissen-
schaftsgeschichte gehaltenen Vortrag schriftlich publizieren zu können, danke ich sehr herz-
lich Herrn Prof. Dr. Helmuth Grössing und Herrn Dr. Johannes Seidl. Mein Dank geht an alle
jene Mitarbeiter, die mich in Wiener Archiven bei meiner Arbeit unterstützt haben sowohl
durch Beratung als auch durch Bereitstellung von Akten, und zwar im Österreichischen Staats-
archiv (ÖStA)/Allgemeines Verwaltungs-Archiv (AVA), im Universitätsarchiv (UAW) sowie
in den Archiven des Institutes für Klassische Archäologie (IKA) und des Institutes für Alte
Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik (IAG). Dieser Vortrag entstand
parallel zur Vorbereitung des Projektantrages „Brüche, Neuorientierung, Kontinuität: das
Fach ‚Klassische Archäologie’ an der Universität Wien von 1898 bis 1951“, reicht aber für
die Anfänge im 19. Jh. deutlich darüber hinaus. Ziel der überarbeiteten Schriftfassung ist keine
umfassende Darstellung der gesamten Sammlungsgeschichte, sondern hat ihren Schwerpunkt
auf dem schriftlichen Quellenmaterial. Für eine alles umfassende Darstellung muss daher auf
den Abschlussbericht des FWF-Projektes verwiesen werden. 2 UAW, PA Conze fol. 13 ex 1868/69. 3 Reinhard LULLIES, Wolfgang SCHIERING (Hrsg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurz-
biographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache (Mainz 1988), S. 59 f. [Adolf
H. BORBEIN]. 4 Daniel GRAEPLER, Die Originalsammlung des Archäologischen Instituts, in: Dietrich HOFF-
MANN, Kathrin MAACK-RHEINLÄNDER (Hrsg.), Ganz für das Studium angelegt: Die Museen,
Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen (Göttingen 2001), S. 55–63; Christof
BOEHRINGER, Über die Göttinger Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulpturen. In: Ebd.
S. 64–72. 5 Stefan LEHMANN, Gestern. Heute Morgen? Das Archäologische Museum der Martin-Luther-
Universität in Halle auf der Suche nach seinem Platz zwischen Tradition und Zukunft, in:
Florian M. MÜLLER (Hrsg.), Archäologische Universitätsmuseen und -sammlungen im Span-
nungsfeld von Forschung, Lehre und Öffentlichkeit (= Spectanda 3, Wien 2013), S. 267–287.
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Der Berufung des neuen Professors waren Verhandlungen vorausgegangen, die sich
auch auf die notwendigen Unterrichtsmaterialien bezogen. Am 19. September 1868
hatte sich Conze von Halle aus an den Minister für Cultus und Unterricht, Leopold
Hasner Ritter von Artha, bezüglich des Lehrapparates und dessen Finanzierung ge-
wandt: „Obwohl ich nun gewiß voraussetzen darf, daß die Benutzung der k. k. Anti-
kensammlung im Belvedere und der Gipsabgußsammlung der k. k. Akademie der bil-
denden Künste […] für meine Lehrtätigkeit mir jedenfalls freigegeben werden wird,
so müssen dabei doch noch sehr erhebliche Lücken bleiben. Um diese in passender
Weise, über welche ich aber erst nach genauerer Kenntnisnahme der Verhältnisse in
Wien mir bestimmtere Vorschläge werde erlauben können, auszufüllen, um zunächst
eine Reihe der nothwendigsten Sammelwerke, Abbildungen, dann aber auch für das
kunstgeschichtliche Studium wichtige, in den genannten Sammlungen jedenfalls feh-
lende Abgüsse anschaffen zu können, um einen archaeologischen Apparat also für den
Universitätsunterricht beschaffen zu können, bedarf es der Aussetzung einer jährlichen
bestimmten Summe, die ich mir im Anschlusse an das mir wie gesagt bereits gemachte
Anerbieten auf mindestens 500 Gulden österreichischer Währung anzuschlagen er-
laube.“6. Für die von ihm genannten Lehrmaterialien wurde ihm ein Zimmer mit einem
Schrank im Jesuitenviertel zur Verfügung gestellt, dessen genauen Standort wir aber
nicht kennen. Conze musste in Wien das Fach komplett neu aufbauen, denn es fehlte
an fast allem, was er aufgezählt hatte. Bei den von ihm genannten Kunstsammlungen,
die er für die Lehre mitbenutzen wollte, handelte es sich um die Bestände originaler
antiker Kunstobjekte des k. k. kunsthistorischen Hofmuseums, die von 1845 bis zum
Einzug in das neuerrichtete Museumsgebäude am Ring 1891 im Unteren Belvedere
aufgestellt waren7, sowie um die Gipsabgüsse aus dem Bestand der Akademie der Bil-
denden Künste im St.-Anna-Gebäude in der Annagasse 38.
Der Minister für Cultus und Unterricht sagte in einem Schreiben vom 13. April
1869 schließlich zur Anschaffung von Lehrbehelfen für die Lehrkanzel der klassischen
Archäologie einen Jahresbetrag von 200 Gulden zu. „Gleichzeitig finde ich mich be-
stimmt, diesem Professor die Benützung der Sammlungen im Gypsmuseum der hiesi-
gen Akademie der bildenden Künste und die Abhaltung von Vorträgen und Demonst-
rationen in den Lokalitäten dieses Museums zu gestatten.“9. Die Mitbenutzung des
Gipsmuseums der Kunstakademie war eine schnelle Lösung für das Problem der feh-
lenden Archäologischen Sammlung an der Universität, aber zugleich nur eine vorüber-
gehende. Obwohl der zugesagte Betrag deutlich unter Conzes Vorstellungen blieb,
machte er von der Zusage der Nutzung der Akademiesammlung sogleich Gebrauch
und kündigte bereits im Wintersemester 1869/70 eine Vorlesung an mit dem Titel „Ge-
––––––––––––––––––––––––– 6 ÖStA, AVA, MinCU 4 Phil Fasz. 855 [Arch. Inst.] Z. ad 8334 ex 1867/68. Zitiert nach: Hubert
SZEMETHY, Die „Archäologische Sammlung“ der Universität Wien – Rückblick und Ausblick.
In: MÜLLER (Hrsg.), Archäologische Universitätsmuseen (Anm. 5), S. 501 Anm. 3. 7 Alfred BERNHARD-WALCHER u. a. (Hrsg.), Schätze des österreichischen Kaiserhauses. Meis-
terwerke aus der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien, Ausstellung im
Landesmuseum Mainz 1994–1995 (Mainz 1994) S. 14 f. 8 Johannes BAUER, Gipsabgüsse zwischen Museum, Kunst und Wissenschaft. Wiener Abguss-
Sammlungen im späten 19. Jahrhundert, in: Charlotte SCHREITER (Hrsg.), Gipsabgüsse und
antike Skulpturen. Präsentation und Kontext (Berlin 2012), S. 279–281. 9 UAW, PA Conze fol. 322 ex 1868/69.
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schichte der griechischen Kunst (Architektur, Skulptur, Malerei), 4 h, Saal 8, mit Be-
nützung des Museums der k. k. Akademie der Künste“10. Keinen Hinweis dagegen gibt
es darauf, dass Conze eine Lehrveranstaltung vor originaler Kleinkunst des k. k. Hof-
museums abgehalten hätte, wobei dieses Museum im Brief des Ministers auch gar
nicht mehr erwähnt wurde.
An der Wiener Universität wurde zur selben Zeit über einen zentralen Neubau an
der neu geschaffenen Ringstraße nachgedacht. Die zuständige Kommission bat auch
Prof. Conze, seine Wünsche und Vorstellungen zu äußern. Am 20. Mai 1869 führte er
den erwünschten Raumumfang für sein Fach schriftlich aus: „[…] Vom k. k. Univer-
sitätskonsistorium ist am 10. d. M. an mich die Frage gerichtet, welche Räumlichkeiten
in einem neu zu erbauenden Universitätsgebäude für die Lehrzwecke des von mir ver-
tretenen Faches der klassischen Archaeologie etwa in Anspruch zu nehmen sein wür-
den. – Ich beehrte mich darauf Folgendes zu erwidern: Für die Vorlesungen wird ein
größeres Auditorium oder doch die Mitbenutzung eines solchen in täglich etwa zwei
Stunden nöthig sein. Für Aufbewahrung, Handhabung und einzelnen Studirenden zu
gestattende Benutzung des Lehrapparats an Abbildungen und anderen Gegenständen,
für welchen eine jährliche Dotation angefragt ist, ist ein jenem Auditorium möglichst
nahe gelegenes Zimmer erforderlich. Dasselbe muss so geräumig sein, daß außer ei-
nem bis zwei Schränken und auch einem Schreibtische namentlich auch noch ein zum
Auflegen großer Foliobände und -blätter hinreichend breiter Tisch, an dem etwa zwölf
Personen bequem Platz finden müssen, von allen Seiten zugänglich in Mitten des Zim-
mers stehen kann. – Es ist vielleicht nicht überflüssig hier ausdrücklich zu erwähnen,
dass Räumlichkeiten für eine Sammlung von Gipsabgüssen in Anspruch zu nehmen
ich mich nicht veranlaßt sehe. Eine Sammlung dieser Art ist zu allerdings unerläßlich,
aber anstatt eine solche besonders für die Universität anlegen zu wollen halte ich es
vielmehr für das Richtige, im Anschlusse an die Absichten des hohen Ministeriums
auf eine angemessenere Form der Betheiligung der Universität an der bereits vorhan-
denen und ferner zu erweiternden großen Sammlung von Abgüssen in der k. k. Aka-
demie der Künste hinzuwirken. Diese Sammlung sollte meines Erachtens dermaleinst
ihre Aufstellung in einem großen öffentlichen Museumsgebäude finden, wo sie von
Universität und Akademie, aber auch vom gebildeten Publikum benutzt werden
könnte. So lange das aber nicht erreicht ist, wird die Sammlung nicht wohl aus dem
Gebäude der Akademie der Künste zu entfernen sein. – Schließlich möge es erlaubt
sein noch auf Eins hinzuweisen, wobei ein Interesse meines Faches besonders im
Spiele ist, dass nämlich Bedacht genommen würde, auf den Vorplätzen und in den
Gängen des neuen Universitätsgebäudes Abgüsse plastischer Werke aufzustellen. Die
Beschaffung passender Stücke würde zum Theil aus den vorhandenen Formen der k.
k. Akademie der Künste nicht schwer sein. Man dürfte davon eine Anregung der Sinne
der Studirenden nach dieser Seite hin erwarten. Der Architekt würde aber aus nahe
liegenden Gründen gewiß gern bereit sein hierzu die Hand zu bieten.“11. Zusammen-
fassend wünschte sich Conze also die Mitbenutzung eines Hörsaales für die Vorlesun-
gen sowie einen ausreichend großen Raum für die archäologischen Übungen, wobei
die Möglichkeit zur Arbeit von 12 Studenten mit Foliobänden um einen großen Tisch
––––––––––––––––––––––––– 10 Alle Angaben zu Lehrveranstaltungen sind dem Vorlesungsverzeichnis der Universität ent-
nommen, das im Lesesaal des UAW frei zugänglich ist. 11 Zitat UAW, Rektoratsakten P 819 ex 1868/69; unterstrichene Hervorhebungen durch A.
Conze.
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und für die Benutzung des Archäologischen Lehrapparates gegeben sein musste. Für
eine Gipsabguss-Sammlung im neuen Gebäude wünschte er ausdrücklich keine
Räume, obwohl eine solche Sammlung für die Ausbildung unentbehrlich sei; die Mit-
benutzung der Abgüsse der Kunstakademie war ja bereits geregelt. Erstaunlich ist die
abschließende Bemerkung, dass im öffentlichen Raum des neuen Universitätshaupt-
gebäudes Abgüsse aufgestellt werden könnten, da dies eher auf eine allgemeinbil-
dende, inspirierende Funktion denn auf eine ausgesprochene Lehr- und Forschungs-
funktion dieser Abgüsse hinweist.
1869 ist das inoffizielle Gründungsjahr der Archäologischen Sammlung an der
Universität, denn in diesem Jahr wurden die ersten Objekte – Gipsabgüsse – angekauft.
Sie wurden gemeinsam mit der Abgusssammlung der Akademie der Bildenden Künste
in deren Gebäude in der Annagasse aufgestellt. Die Universität konnte aus finanziellen
Gründen und vermutlich auch wegen Raummangels keine Stellflächen anbieten. Der
Sammlung wurde schließlich, wie von Conze gewünscht, eine jährliche Dotation in
Höhe von 500 Gulden zugesprochen, die aber sowohl für die Ankäufe von musealen
Objekten als auch für den Archäologischen Lehrapparat gedacht waren; dieser Apparat
beinhaltete sowohl Bücher als auch Abbildungsmaterialien, mit Hilfe derer, wie von
ihm angesprochen, im Unterricht gearbeitet werden konnte. Dass es sich dabei um ei-
nen durchaus nicht übertrieben hohen Betrag handelte, macht der Vergleich mit der
Gipssammlung der Akademie deutlich: die jährliche Dotation war dort etwa um drei
Viertel höher, im Jahr 1879 betrug sie z. B. 2000 Gulden12.
Als erste Objekte wurden am 2. November 1869 sechs Abgüsse (Inv. 1–6) nach
Funden aus Argos und Sparta auf der Peloponnes inventarisiert: Teile von Architektu-
ren und Architekturplastik, die bei der Gipsformerei Martinelli in Athen erworben wor-
den waren13. Die Ausgaben dafür beliefen sich auf gesamt 177 Gulden und 91 Kreuzer,
also etwas mehr als ein Drittel eines gesamten Jahresetats. Laut Inventarbuch wurden
innerhalb der ersten acht Jahre ausschließlich Abgüsse nach antiker Plastik bzw. Gips-
modelle nach antiker Architektur angeschafft14, darunter auch ein Modell der Athener
Akropolis am 13. Mai 1870 (Inv. 17). Zu den frühen Ankäufen gehörten z. B. der Ab-
guss der sog. Athena vom Varvakion aus Athen, einer kaiserzeitlichen Kopie der
Athena Parthenos (Inv. 140), angekauft am 28. Mai 1883 bei Martinelli in Athen für
47 Gulden und 65 Kreuzer, und die verkleinerte und rekonstruierte Nachbildung der
Nike des Paionios (Inv. 297) auf ihrem dreiseitigen Pfeiler, aufgestellt in der Altis von
Olympia, angekauft am 5. September 1887 vom Museum in Berlin für 52,80 Gulden
(Abb. 3). Bis zur Wegberufung Conzes an die Berliner Museen im Jahr 1877 wurden
––––––––––––––––––––––––– 12 Akten der Akademie der Bildenden Künste 1879 fol. 200, zitiert nach: Renate TRNEK (Hrsg.),
Glyptothek Datenbank 498 MB. Die Glyptothek der Gemäldegalerie der Akademie der bil-
denden Künste Wien (Wien 2006) el 16. 13 Zwei weibliche Köpfe (Inv. 1. 2) von Metopen aus dem argivischen Heraion, ein Löwenkopf-
wasserspeier (Inv. 3) aus Argos und ein Geisonfragment aus dem Heraion bei Argos (Inv. 4),
sowie ein Relief mit Dionysos und Kore (Inv. 5) und eine vierseitig reliefierte Stele (Inv. 6),
beide mit dem Museum in Sparta als Aufbewahrungsort. 14 Zur universitären Abguss-Sammlung in Wien: BAUER, Gipsabgüsse (Anm. 8), S. 273–290. –
Johannes BAUER, Il Museo dei Gessi dell‘ Università di Vienna al tempo di Alexander Conze
e Otto Benndorf, in: Maria Grazia PICOZZI (Hrsg.), Ripensare Emanuel Löwy. Professore di
archeologia e storia dell’arte nella R. Università e direttore del Museo di Gessi (Rom 2013),
S. 111–124.
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insgesamt 32 Gipsabgüsse angekauft, sieben kamen durch Schenkung in die Samm-
lung, einer war durch Tausch erworben worden und für zwei Stücke gibt es keinen
Erwerbshinweis. Die Sammlung war also in diesem Zeitraum auf 42 Gipsabgüsse an-
gewachsen und enthielt noch kein einziges antikes Original.
Die Gründung des „Archäologisch-Epigraphischen Seminares“ (AES) 1876, mit
dem Althistoriker und Epigraphiker Otto Hirschfeld und dem Archäologen Conze als
den beiden Fachvertretern15, veränderte nichts an der Situation bezüglich Aufstellung
und Verwaltung der Sammlung. Allerdings kann, wenn auch in geringem Umfang, seit
dieser Zeit aufgrund der fachlichen Erweiterung durch das Seminar auch bei den zu
sammelnden Objekten eine gattungsmäßige Verbreiterung beobachtet werden durch
den vermehrten Erwerb von plastischen Inschriftenträgern, z. B. durch den Abguss
eines Grabsteines eines römischen Legionärs aus Celeia (Inv. 146) 1884, oder das Ori-
ginal eines Altares mit Inschrift aus Brigetio (Inv. 632) im Jahr 1891.
Eine räumliche Veränderung erfuhr die Akademie der bildenden Künste mit der
Übersiedelung in das neue Gebäude am Schillerplatz 1878, wo sie sich noch heute
befindet. Auch hier standen die Gipse im Besitz der Akademie und jene der Universität
Seite an Seite in der Aula und mehreren Räumen im Erdgeschoß16. Die feierliche Er-
öffnung der neuen Akademie fand am 31. Januar 1878 statt17. Die Abgüsse wurden
weiterhin18 regelmäßig, alle drei bis vier Semester, für Lehrveranstaltungen genutzt:
Bereits im Sommersemester 1878 kündigte der Nachfolger Conzes, Otto Benndorf, ein
Seminar an mit dem Titel „Erklärung der Gipsabgüsse nach Antiken, 2 h, in der Gyps-
sammlung der Akademie der bildenden Künste, Schillerplatz“ und wiederholte dieses
Seminar in den Sommersemestern 1879 und 1885. Nach dem Umzug in das neue Uni-
versitätsgebäude am Ring 1886 lautete die Ankündigung für die Sommersemester
1888, 1891 und 1893 dann: „Seminar: Erklärung von Antiken nach Gipsabgüssen, 2
h, im Museum der Akademie der bildenden Künste und in der archäologischen Samm-
lung der Universität“, also an beiden Orten.
1878 kamen endlich die ersten antiken Originale in die Sammlung: der österreichi-
sche Maler Emanuel Stöckler (1819–1893)19 schenkte neben einigen Stücken von an-
tikem Glas (Inv. 53 e-g) 66 Fragmente attisch-rotfiguriger bzw. attisch-schwarzgefir-
nisster Gefäße (Inv. 53 a-d). Vermutlich hatte der spätere Hofmaler am Zarenhof diese
Objekte auf seinen Reisen, die ihn von Italien bis Konstantinopel führten, erworben.
Die Bruchstücke gehören zu mindestens einem Kelchkrater, einem Skyphos und meh-
reren Kylikes des 5. Jhs. v. Chr. und zeigen sowohl alltägliche als auch mythologische
Szenen. Unklar ist, wo diese Fragmente an der Universität aufbewahrt wurden; ver-
mutlich im Schrank des Archäologischen Apparates in Dienstzimmer des Lehrkanzel-
inhabers; aufgrund ihres fragmentierten Zustandes waren sie wohl kaum öffentlich zu-
––––––––––––––––––––––––– 15 Zur Gründung: Ekkehard WEBER, 100 Jahre Institut für Alte Geschichte, Archäologie und
Epigraphik der Universität Wien. In: Römisches Österreich 4 (1976), S. 301–314. 16 Vergleiche hierzu BAUER, Gipsabgüsse (Anm. 8), S. 279–284 mit Abb. 7–10. 17 TRNEK, Glyptothek Datenbank (Anm. 12) el 15. 18 Vorher z. B. im WiSe 1870/71, im SoSe 1872 und im WiSe 1874/75 durch je eine Vorlesung
„Demonstrationen im akademischen Museum der Gypsabgüsse, (Annagasse 3)“. 19 Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Österreichisches Biographisches Le-
xikon 1815–1950 Bd. 13 (Wien/Graz 2010), S. 285 s. v. Stöckler, Emanuel [Christine GRU-
BER, Martina HAJA].
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gänglich oder sichtbar präsentiert. Dies wiederum spräche dafür, dass die frühen Er-
werbungen antiker Originale vor allem als Anschauungsmaterialien im Unterricht
dienten.
Otto Benndorf20, Lehrkanzelinhaber seit 1877, war in allen Bereichen der Archäologi-
schen Sammlung auf Zuwachs bedacht. Konkret fassbar ist die Originalsammlung seit
1886: Zum einen stand erst nach dem Umzug des Faches in das Neue Hauptgebäude
1886 auch Raum für die Originale zur Verfügung, zum anderen sind erst seit diesem
Zeitpunkt Ankäufe von antiken Originalen zu verzeichnen. Denn erst zwei Jahre nach
der offiziellen Einweihung des neuen Universitätsgebäudes am Ring (1884) bezog die
Archäologische Sammlung eigene Räumlichkeiten, die aber ursprünglich nicht dafür
vorgesehen gewesen waren – der Architekt war hier Conzes Vorgaben tatsächlich ge-
folgt. Es handelte sich dabei um eine Flucht von neun Räumen im Tiefparterre des
Nord-Traktes mit dem dazugehörigen Flur (Abb. 4), insgesamt etwa 570 m², wobei der
Eingang durch die Beschriftung über der Tür eindeutig charakterisiert war21. Den ori-
ginalen Antiken war der letzte, also der westlichste Raum auf der Nordseite des Ge-
bäudes vorbehalten22, die anderen Zimmer und der Flur wurden mit Abgüssen be-
stückt.
Der Umzug in das Hauptgebäude brachte natürlich auch die Trennung von den in
der Akademie aufgestellten Abgüssen mit sich, wie aus einer Anordnung des Ministe-
riums an das Dekanat vom 16. April 1886 hervorgeht: „Nachdem nunmehr für die
Unterbringung der der Wiener Universität gehörigen Sammlung von Gipsabgüssen
entsprechende Localitäten im neuen Universitätsgebäude zur Verfügung stehen, finde
ich die Ausscheidung dieser Sammlung aus der Gipssammlung der Akademie der bil-
denden Künste und die Übertragung derselben in die gedachten Localitäten des Uni-
versitätsgebäudes zu genehmigen. […] Bei diesem Anlasse finde ich mich zugleich
mit den vom Professor Benndorf gestellten Antrag bestimmt, zu genehmigen, dass für
die Lehrkanzel der classischen Archäologie und zwar vorläufig provisorisch auf die
Dauer von 3 Jahren ein Assistent mit einer Jahresremuneration von 600 f. bestellt
werde, welcher den Professor der classischen Archäologie insbesondere bei der Besor-
gung der Gipssammlung zu unterstützen haben wird. […] Weiters bewillige ich für das
laufende Jahr einen einmaligen Zuschuss von Eintausend (1000) Gulden zur Dotation
der archäologischen Gypssammlung der Wiener Universität […]“23.
Die Bedingungen der Teilung, die beide Seiten zufriedenstellte, sieht gemäß eines
Schreibens des Ministeriums an das Dekanat vom 27. November 1887 vor, dass im
Einvernehmen mit dem Vorstand des Gipsmuseums der Akademie, Professor Carl von
Lützow, und dem Vorstand der Archäologischen Sammlung der Wiener Universität,
––––––––––––––––––––––––– 20 LULLIES, SCHIERING (Hrsg.), Archäologenbildnisse (Anm. 3), S. 67 f. [Hedwig KENNER]. 21 Ansicht des Eingangsbereiches: Hadwiga SCHÖRNER, Die Bedeutung der griechischen Vasen
in den Universitätssammlungen Wien und Jena von ihrer Gründung bis zur Mitte des 20. Jhs.,
in: Stefan SCHMIDT, Matthias STEINHART (Hrsg.), Sammeln und Erforschen. Griechische Va-
sen in neuzeitlichen Sammlungen, Kolloquium München 07.–09.11.2012 (= 6. Beiheft zum
CVA Deutschland. München 2014), S. 137–147 bes. S. 138, Abb. 2. 22 Dieser Raum besaß durchgehend bis zum Auszug aus dem Ferstel-Bau 1988/89 diesen Zweck:
Hedwig KENNER, Klassische Archäologie an der Universität Wien. Verpflichtung und Vor-
satz, in: Universität Wien (Hrsg.), Aufgaben der Universität Wien in Gegenwart und Zukunft,
Aufsätze zur 600-Jahrfeier (Wien 1965), S. 274–278 bes. S. 278. 23 Zitat UAW, PA Benndorf fol. 540 ex 1885/86.
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Otto Benndorf, ein geldwerter Austausch in Gesamthöhe von 1.151 Gulden und 8
Kreuzern stattfinden soll; faktisch wurden sowohl Abgüsse als auch Postamente ge-
tauscht und der Restbetrag von der Akademie in zwei Jahresraten an die Universität
gezahlt. Der Minister fügt noch an: „Zur Richtigstellung eines bei den bezüglichen
Verhandlungen zwischen den Vorständen der beiden Sammlungen gebrauchten Aus-
druckes bemerke ich übrigens, dass hier selbstverständlich von einem Kaufgeschäfte
nicht die Rede sein kann, da sich beide Sammlungen im Eigenthume des Staates be-
finden. […].“24.
Unterm Strich waren die Folgen des Umzugs in das Hauptgebäude 1886/87 für die
Universitätssammlung also durchaus positiv: eine einmalige Sonderzuwendung von
1000 Gulden sowie die Einstellung eines Assistenten nur für Belange der Sammlung
mit einem jährlichen Verdienst von 600 Gulden. Als erster Sammlungsassistent ist
Wolfgang Reichel im Sommersemester 1889 im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt, ein
Absolvent des Archäologisch-Epigraphischen Seminares von 189025. Auch in den di-
rekt nachfolgenden Jahren konnte Benndorf die finanzielle Unterstützung der Archäo-
logischen Sammlung durch Anträge auf Sondermittel beim Ministerium deutlich ver-
bessern, wie z. B. 400 Gulden im April 1889, oder 800 Gulden im Feber 189026.
Schriftlich festgehalten wird die Aufstellungssituation der Archäologischen
Sammlung in der ersten Publikation von Sammlungsobjekten durch den damaligen
Assistenten Karl Ludwig Patsch im Jahre 1891: „Die Archäologische Sammlung der
Wiener Universität ist 1886 als Ergänzung des Gipsmuseums der Akademie der bil-
denden Künste begründet worden. Sie ist jetzt aufgestellt in 9 Zimmern und 1 großen
Corridore des Tiefparterres im neuen Universitätsgebäude und enthält an plastischen
Lehrmitteln 620, an graphischen Lehrmitteln 496 Nummern. Die ersteren bestehen in
Gipsabgüssen und einigen durch Kauf oder Schenkung erworbenen Originalen
[…].“27. Mit dem Einzug in die neue Universität am Ring war die Archäologische
Sammlung verwaltungstechnisch selbständig geworden, also unabhängig vom Semi-
nar. Bis zum Jahr 1898, also zum Zeitpunkt des Wechsels der Lehrkanzel von Otto
Benndorf auf Emil Reisch28, war der gesamte Bestand auf 1093 Objekte angewach-
sen, davon 695 Abgüsse und 398 Originale. Sowohl 1904 (18 Stück) als auch 1921
––––––––––––––––––––––––– 24 Zitat UAW, PH Z. 22485 ex 1887/88: Die Universität übertrug an die Akademie 29 Abgüsse
im Wert von 1.151,08 Gulden; die Akademie übertrug an die Universität 18 Abgüsse und neun
Postamente im Wert von 246,60 Gulden und einen Beitrag von 904,48 Gulden, zahlbar in den
Jahren 1887 und 1888. 25 Wolfgang Reichel hatte 1890 am AES mit einer Arbeit über „Beiträge zur Erläuterung der
kulturgeschichtlichen Stellung der mykenischen Altertümer“ promoviert: Promotionsver-
zeichnis im Lesesaal des UAW. 26 Schreiben vom 21. Mai 1889: UAW, Z. 27118 ex 1889/90 (Erlass vom 26.04.1889); Brief
vom 26. Februar 1890: UAW, Z. 10913 ex 1889/90 (Erlass vom 13.02.1890 „[…] behufs An-
schaffung von Gipsabgüssen nach Antiken […]“. 27 Zitat Karl PATSCH, Die Archäolog.[ische] Sammlung der Wiener Universität. In: Archäologi-
scher Anzeiger. Beiblatt zum Jahrbuch des Archäologischen Instituts (1891), S. 178–182, bes.
S. 178. 28 LULLIES, SCHIERING, Archäologenbildnisse (Anm. 3), S. 150 f. [Hedwig KENNER].
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(22 Objekte) waren Gipsabgüsse aus dem Österreichischen Museum für Kunst und
Industrie übernommen worden29, zudem wurden in den Jahren 1936 und 1945 einige
aus dem Bestand der Akademie der Bildenden Künste leihweise übertragen30.
Die räumliche Situation blieb nahezu unverändert bis zum Ausbruch des 2. Weltkrie-
ges. Im Jahre 1937 hatte Prof. Camillo Praschniker31 zur „Neuaufstellung der Archäo-
logischen Sammlung“ einmalig die Summe von 500 Schilling beantragt32; vermutlich
bezog sich diese Aktion ausschließlich auf die Gipsabgüsse. Im Sommer 1940 bestand
die archäologische Sammlung nach wie vor aus einem langen Gang und acht Zimmern
– der erste Raum auf der rechten Seite war inzwischen zu einem Büro des Sammlungs-
assistenten geworden – und verfügte über insgesamt 569 m². Über 800 Gipsabgüsse
der archäologischen Sammlung sowie 12.000 Bücher und Tafelwerke mussten von der
Reinigungskraft regelmäßig abgestaubt werden33.
Obwohl das Hauptgebäude gegen Kriegsende durch einige Bomben schwer getrof-
fen wurde, waren wenige Beschädigungen an Gips oder Original zu verzeichnen, was
zum einen sicher der Position im Gebäude im Untergeschoß, zum anderen aber auch
den Schutzmaßnahmen zu verdanken ist. Diese sahen gemäß eines Schreibens des ge-
schäftsführenden Direktors des Archäologisch-Epigraphischen Seminars, Prof. Josef
Keil, an den Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen vom 15. April 1943 folgen-
des vor: Ein Bücherkasten wurde aus dem Seminar im Hochparterre in die Räume der
Archäologischen Sammlung im Tiefparterre für die besonders wertvollen Bücher des
Seminars gebracht. In einem zweiten Kasten wurden die wertvollsten Originalstücke
der archäologischen Sammlung verstaut34. Als zusätzlicher Schutz wurden schließlich
auch noch die Fenster der Sammlungsräume im Tiefparterre zugemauert, außerdem
die Gipsabgüsse zusammengeschoben, um weiteren Stauraum zu gewinnen35. Dieser
Zustand musste nach dem Ende der Kampfhandlungen wieder zurückgeführt werden:
am 31. August 1945 vermerkt Prof. Keil, dass seit März 1944 die gesamte, mehr als
20.000 Bände zählende Bibliothek in den ebenerdig gelegenen Räumen der Archäolo-
gischen Sammlung aufgestellt worden waren. Um im kommenden Wintersemester
1945/46 einen geregelten Studienbetrieb im Seminar zu ermöglichen, sollten der Rück-
transport der Bibliothek und die Aufstellung der Gipse an ihrem alten Platz noch im
––––––––––––––––––––––––– 29 IKA, Sammlungsakten 1904. 1921 o. fol. 30 IKA, Sammlungsakten 1945 o. fol.: 1936: 12 Stück; 1945: 1 Objekt. 31 LULLIES, SCHIERING, Archäologenbildnisse (Anm. 3), S. 224 f. [Hedwig KENNER]; Gudrun
WLACH, Camillo Praschniker (1884–1949), in: Gunnar BRANDS, Martin MAISCHBERGER
(Hrsg.), Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus 1 (= For-
schungscluster 5. Geschichte des Deutschen Archäologischen Institutes im 20. Jahrhundert.)
(Rahden, Westfalen 2012) S. 75–89. Praschniker hatte die Lehrkanzel von 1934 bis 1949 inne. 32 Zitat aus einem Brief Prof. Praschnikers an das Professorenkollegium der philosophischen
Fakultät vom 25.05.1937: IKA, Sammlungsakten 1937 o. fol. 33 Brief der drei Vorstände des AES an das philosophische Dekanat vom 25.06.1940: Akten IAG
1940 A fol. 9. 34 Akten IAG 1943 A fol. 8. 35 Brief des AES vom 28.01.1944 an den Rektor der Universität, Eduard Pernkopf: Akten IAG
1944 A fol. 1.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 175
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte
Band 32 (2016)
Laufe des Monates September erfolgen36. Für diese Rückführung wurden insgesamt
250 RM bewilligt37.
Aus den Schadensberichten vom Sommer 1945 geht hervor, dass die Sammlung relativ
glimpflich davongekommen war38. Während die Beschädigungen an den Räumlich-
keiten durch die Kampfhandlungen, die hauptsächlich aus Staub und Schmutz sowie
aus kaputten Fensterscheiben bestanden, grundsätzlich durch Dozenten und Studenten
des Seminars selbst wiederhergestellt wurden39, gab es auch einige Beschädigungen
aufgrund von Vandalentum bzw. Plünderungen. In einem Bericht vom 1. Mai 1945
heißt es: „[…] Durch unbekannte Täter sind die Fenster der Sammlung erbrochen, die
Läden zerschlagen, ein Photographischer Apparat gestohlen, ein Diapos[it]ivprojekti-
onsapparat des Objektivs beraubt, die Geislingenschen Nachbildungen myken.[ischer]
Altertümer entwendet, die Photographien auseinander gerissen, beschmutzt und z. T.
zer[r]issen worden. Im Seminar sind die Schreibtische und alle Läden erbrochen und
ähnliche Verwüstungen angerichtet worden […]“40. Bei den genannten Nachbildungen
handelt es sich um Galvanotechnische Repliken von den schönsten Objekten des sog.
Schatzes des Agamemnon, den Heinrich Schliemann in Mykene ergraben hatte. Der
Raub dieser wertvoll, weil golden oder silbern aussehenden Gefäße und Geräte erklärt
sich aufgrund des vermuteten Materialwertes. Im Inventarbuch sind 15 dieser Galva-
nos verzeichnet (Inv. 747–749. 842–845. 846 a-e. 847–849), darunter verschiedene
Gefäße, die berühmte sog. Maske des Agamemnon, zwei Dolche mit Niello-Einlagen
sowie fünf Rosetten, die zum Aufnähen auf die Kleidung gedacht sind. Aus dem In-
ventarbuch wird deutlich, dass in den Kriegsjahren gerade einmal zwei Posten für die
Originalsammlung für zusammen 100,- RM erworben wurden und überhaupt keine
Abgüsse.
1938 war die Archäologische Sammlung als eigene Verwaltungseinheit aufgelöst
und dem Archäologisch-Epigraphischen Seminar angegliedert worden41. Nach dem
Ende des Krieges, im Sommer 1945, wurde die Budgetierung der Sammlung dann ein-
gestellt sowie der Assistent dem Seminar unterstellt, das damit erstmals über eine alt-
historische und eine archäologische Assistentenstelle verfügte42. Da also für Ankäufe
––––––––––––––––––––––––– 36 Brief Prof. Keils an die Verwaltung der wissenschaftlichen Hochschulen vom 31.08.1945:
Akten IAG 1945 A fol. 12. 37 Brief des geschäftsführenden Direktors Prof. Josef Keil an die Verwaltungsstelle der Wiener
Hochschulen vom 21.09.1945: Akten IAG 1945 A fol. 15. 38 Aus einem Schreiben des AES an den Kurator der Universität vom 04.06.1945 geht der Raum-
umfang hervor: fünf Bibliotheks- und Studienräume sowie vier Dozentenzimmer im Seminar;
in der Archäologischen Sammlung sechs Räume mit Gipsabgüssen und ein Lager; ein als Bib-
liotheksdepot verwendeter Gang und der Archäologische Hörsaal 34: Akten IAG 1945 A fol.
6. 39 Brief Prof. Keils an den Rektor vom 30.10.1944, in dem er von der Wiederherstellung von 65
großen Fensterscheiben, die beim Fliegerangriff am 10.09. zerstört worden waren, in den Se-
minar- und Sammlungsräumen „ohne fremde Hilfe“ berichtet: Akten IAG 1944 A fol. 13. 40 Bericht an das Dekanat der Philosophischen Fakultät: Akten IAG 1945 A fol. 3. 41 Brief an das Rektorat der Universität Wien vom 16. März 1951 mit Bericht des geschäftsfüh-
renden Direktors der Archäologischen Sammlung, Prof. Josef Keil: Akten IAG 1951 A fol.
15. 42 Brief des AES an das Dekanat der Philosophischen Fakultät vom 09.04.1946 mit Statusanga-
ben des Seminars vom 01.01.1938 im Vergleich mit jenen vom 01.04.1946: Akten IAG 1946
A fol. 8.
176 HADWIGA SCHÖRNER
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
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Band 32 (2016)
kein Geld mehr zur Verfügung stand, sind seit diesem Zeitpunkt nur noch Schenkun-
gen und Stiftungen für die Archäologische Sammlung zu verzeichnen. Die Gipssamm-
lung hatte zu diesem Zeitpunkt einen Bestand von etwa 1225 Abgüssen43, die Origi-
nalsammlung, darunter aber auch viele keramische Gefäßscherben, von 980 Einzelob-
jekten.
Nachdem die beiden benachbarten Fächer Klassische Archäologie und Alte Ge-
schichte sich so viele Jahrzehnte ein gemeinsames Seminar geteilt hatten, das 1956 in
„Institut für Alte Geschichte, Archäologie und Epigraphik“ umbenannt worden war,
erfolgte 1984 die organisatorische Trennung und damit Bildung zweier eigenständiger
Institute. Aus diesem Grund und durch den Umzug des nunmehr eigenständigen Insti-
tuts für Klassische Archäologie in das alte Gebäude der „Hochschule für Welthandel“
am Währinger Park 1988/89 mussten die Bibliothek, die Akten und die Sammlung
geteilt werden. Damit wurde neben der ursprünglichen Archäologischen Sammlung
eine neue, kleinere „Althistorische Sammlung“ geschaffen, die aus Originalen (In-
schriften, Bauziegel mit Stempeln), Abgüssen oder Abklatschen (von Inschriften) be-
steht44. Am Währinger Park stehen seitdem für Gipsabgüsse und Architekturmodelle
zwei sehr große Säle im Unter- bzw. Kellergeschoß des sog. Zubaus zur Verfügung,
wobei darin auch ein Teil der Lehrveranstaltungen des Faches Klassische Archäologie
stattfinden. Die antiken Originale werden in einem Magazinraum verwahrt; beide
Sammlungsteile sind nur nach Voranmeldung zu besichtigen.
2. Erwerb der archäologischen Objekte: Eine Auswahl
Die Inventare der Universitätssammlung in Wien sind lückenlos erhalten. Darin wird
nicht nach Gipsabgüssen und Originalen unterschieden, sondern alle Ankäufe werden
gleichermaßen hintereinander aufgeführt, was ein Hinweis auf die Wertschätzung der
Objekte, auf räumliche Verbundenheit oder aber auf eine einfachere Abrechnungsfüh-
rung sein kann. Bei den Originalen sind seit 1887 neben Ankäufen auch umfangreiche
Schenkungen verzeichnet, sowohl von Seiten des Hochadels, der der Sammlung durch
private Bekanntschaft mit dem Lehrkanzelinhaber verbunden gewesen sein konnte, als
auch durch Studenten, Absolventen oder fachfremde Professoren der Universität.
Als Beispiel für Letzteres kann Prof. Josef Seegen (1822–1904) genannt werden.
Der jüdische Arzt aus Bratislava wurde 1859 erster Professor für Balneologie an der
––––––––––––––––––––––––– 43 Umfang der Sammlung am 29. März 1949: ein Assistentenzimmer, sechs weitere Räume, ein
langer steingepflasterter Gang, sowie Nebenräume (Putzkammer und Klosett), gesamt 607,50
m². Neben der Diapositiv- und der Photographiensammlung seien dort etwa 1000 Gipsabgüsse
(hier nicht gezählt die sehr kleinformatigen, also Abdrücke von Gemmen, Kameen oder Mün-
zen) untergebracht: Akten IAG 1949 A fol. 7. 44 SZEMETHY, „Archäologische Sammlung“ (Anm. 6), S 501–517. – Bei Abklatschen handelt es
sich um eine Art, reliefierte Inschriften (mit erhöhten oder vertieften Buchstaben) dreidimen-
sional zu kopieren, mit Hilfe eines speziellen Papiers, Wasser und einer Bürste. Die Abklat-
sche besitzen im Vergleich zur Inschrift kaum Gewicht, können leicht transportiert werden,
sind aber auch nicht so starr und damit haltbar wie Abgüsse: Monika KOCH – Peter MAU-
RITSCH, Marmor, Stein und Eisen bricht. Abklatsche leider auch. Alte und neue Wege der
Langzeitarchivierung am Beispiel der Epigraphischen Sammlung Graz. In: MÜLLER (Hrsg.),
Archäologische Universitätsmuseen (Anm. 5), S. 255–266.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 177
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
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Band 32 (2016)
Universität Wien45. Vermutlich auf Reisen nach Italien, bei welchen er Kranke beglei-
tet hatte, kam er in den Besitz dreier attisch-rotfiguriger Lekythoi (Inv. 526 a-c), die er
am 22. Dezember 1888 der Archäologischen Sammlung stiftete46. Wie aus einem
Schreiben Otto Benndorfs vom 22. Dezember 1888 an das Ministerium hervorgeht,
war damit offenbar ein Tauschhandel verbunden, da von der Benutzung der Samm-
lungsräumlichkeiten durch Prof. Seegen für mehrere Monate die Rede ist47.
Ein in Archäologenkreisen sehr bekannter Absolvent des Seminars ist Ludwig Pol-
lak (1868–1943). Er, ebenfalls mosaischen Glaubens, stammte aus Prag, hatte zuerst
dort an der Deutschen Universität und später in Wien Klassische Archäologie studiert,
1893 bei Otto Benndorf promoviert und sich 1895 in Rom erfolgreich als Kunst- und
Antikenhändler niedergelassen48. Er war ein enger Freund Emanuel Löwys und wurde
vor allem dadurch bekannt, dass ihm 1905 bei einem Kunsthändler in Rom die Auf-
findung des fehlenden rechten Armes des Laokoon der bekannten Gruppe gelang49.
Der Antikensammlung seiner Wiener Alma Mater stiftete er am 5. Mai 1895 fünf Va-
sen: vier Miniaturgefäße (Inv. 712 a–d) und ein gut erhaltenes ostgriechisches Figu-
rengefäß in Form eines erlegten, aufgehängten Hasen (Inv. 712)50.
Prof. Otto Benndorf erweiterte die Sammlung Ende der 80er Jahre des 19. Jhs.
maßgeblich, indem er eine große Zahl an attisch-rotfigurigen sowie attisch-schwarz-
gefirnssten Gefäßen bzw. Fragmenten in den zum etruskischen Siedlungsgebiet gehö-
renden Städten Orvieto und Vulci ankaufte und sie als Schenkung der Universitäts-
sammlung 1888 überließ. Darunter finden sich insgesamt 36 Fragmente aus Vulci, die
zu einem großen attisch-rotfigurigen Kelchkrater mit zwei Registern gehören. Sie wur-
den am 20. September 1888 in das Inventarbuch eingetragen (Inv. 505)51.
Weiterhin erfuhren die Originale in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen
deutlichen Zuwachs durch die Stiftung aus dem Nachlass Felix von Luschans 1936
––––––––––––––––––––––––– 45 Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Österreichisches Biographisches Le-
xikon 1815–1950 Bd. 12 (Wien 2005),S. 99 s. v. Seegen, Josef (Joseph) [H. LEITNER]. 46 Lekythen, Ölgefäße, wurden entweder von Frauen im Hause oder aber im sepulkralen Kontext
verwendet. – Publikation: Hedwig KENNER (Bearb.), Corpus Vasorum Antiquorum Wien,
Universität und Wien, Professor Franz v. Matsch Bd. 1 (= Deutschland Bd. 5. München 1942)
Taf. 13, 2. 3 (526 a); 11, 8 (526 b); 11, 6 (526 c). 47 UAW, PH Z. 263 ex 1888/89. 48 Renate HEUER – Abedlhaq EL MESMOUDI – Dziana KOUSKOUDIS – Karin SCHLOOTZ (Red,),
Lexikon deutsch-jüdischer Autoren Bd. 18 (= Archiv Bibliographia Judaica. Berlin/New York
2010) S. 122–124 s. v. Pollak, Ludwig. 49 Diese heute unter Archäologien nicht mehr angezweifelte Erkenntnis wurde zuerst von ihm
selbst publiziert: Ludwig POLLAK, Der rechte Arm des Laokoon. In: Mitteilungen des Deut-
schen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung 20 (1905), S. 277–282. 50 Inv. 712 a-d: KENNER, CVA Wien 1 (Anm. 46) Taf. 4, 8–11. – Inv. 712: Friedrich BREIN
(Hrsg.), Bronzezeitliche und geometrische Keramik. Archaische Lokalstile (= Kataloge der
Archäologischen Sammlung der Universität Wien 2. Wien 1999), S. 61 f. Kat. 55 Abb. 55 Taf.
12, 2. 51 Erstpublikation in Umzeichnung mit Rekonstruktion: Otto BENNDORF (Hrsg.), Wiener Vorle-
geblätter für archäologische Übungen. Mit Unterstützung des K. K. Ministeriums für Cultus
und Unterricht (Wien 1890/91) Taf. IX. – Publikation in Abbildungen: KENNER, CVA Wien
1 (Anm. 46) Taf. 24.
178 HADWIGA SCHÖRNER
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
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Band 32 (2016)
und durch die Schenkung Eugen Oberhummers 1937. Auf den Arzt und Anthropolo-
gen Felix von Luschan (1854–1924)52, der bereits Otto Benndorf auf seinen beiden
Expeditionen nach Karien und Lykien 1881 und 1882 begleitet hatte, gehen 67 Objekte
zurück53, darunter 37 keramische Gefäße, deren umfangreiches Spektrum von myke-
nischen über kyprische Vasen bis hin zu einer hellenistischen Lagynos reicht und da-
mit einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren abdeckt. Dem vielgereisten Wiener Pro-
fessor für Geographie Eugen Oberhummer (1859–1944)54 werden insgesamt 28 meist
kyprische Antiken verdankt, die im Januar 1937 inventarisiert wurden55. Besonders
interessant darunter sind zwei Ostraka aus Ägypten, also mit Tinte auf einzelne Kera-
mikfragmente geschriebene Texte mit wirtschaftlichem Inhalt, zum einen eine Korn-
steuerquittung, die auf den 11.06.101 n. Chr.56 datiert werden kann, zum anderen eine
Badesteuerquittung vom 25.02.146 n. Chr.57.
Während des zweiten Weltkrieges gelangte eine große Zahl an Antiken in die
Sammlung, vor allem als Schenkungen. Dabei ist zu beobachten, dass Privatpersonen
offenbar in Krisenzeiten wertvollen Besitz entweder für Geld veräußern wollten58, o-
der aber verschenkten, wie dies der Architekt und Bauforscher Victor Höfert mit seiner
kleinen Privatsammlung im Dezember 1940 und November 1941 tat59.
Seit Beginn der Sammlung wurde ein großer Teil der regulären Jahresdotation für
Ankäufe von Gipsabgüssen verwendet, und zwar von Gipsgießereien (etwa Martinelli
in Athen, Malpieri in Rom), von Museen (z. B. k. k. Kunsthistorisches Hofmuseum,
Österreichisches Museum für Kunst und Industrie, Berliner Museen, Musée du Lou-
vre) oder Forschungsinstitutionen (etwa die Akademie der Bildenden Künste, Wien),
die teilweise Plastiken aus ihren eigenen Beständen abgossen. Einige wenige Schen-
kungen sind auch darunter, meist von Professoren des Seminars60, Kollegen aus der
––––––––––––––––––––––––– 52 Harald WOLF, Felix von Luschan und die Archäologie, in: Friedrich BREIN (Hrsg.), Kyprische
Vasen und Terrakotten (= Kataloge der Archäologischen Sammlung der Universität Wien 1.
Wien 1997) XIII–XXVI. – Peter RUGGENDORFER, Hubert D. SZEMETHY (Hrsg.), Felix von
Luschan (1854–1924). Leben und Wirken eines Universalgelehrten (Wien 2009). 53 Fünf Steinplastiken, sieben Astragale, ein Stöpsel, drei figürliche Terrakotten, ein Terra-
kottarelief, zwei Glasgefäße, elf Öllampen und 37 Tongefäße. 54 Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Österreichisches Biographisches Le-
xikon 1815–1950 Bd. 7 (Wien 1978), S. 185 f. s. v. Oberhummer Eugen [E. BERNLEITHNER].
– Harald WOLF, Leben und Werk von Eugen Oberhummer, in: BREIN, Kyprische Vasen (Anm.
52) XXVII–XXXV. 55 Acht Gefäße, 12 Terrakotten, ein Webgewicht, drei Öllampen, zwei gestempelte Henkel von
Transportamphoren sowie zwei Ostraka. 56 Inv. 1046: Hermann HARRAUER, Die griechischen Ostraka des Instituts für Klassische Archä-
ologie der Universität Wien, in: Lotte DOLLHOFER, Clemens KNERINGER, Harald NOEDL, Kurt
SCHALLER, Elisabeth TRINKL (Hrsg.), Altmodische Archäologie (= Festschrift für Friedrich
Brein. Wien 2000) S. 89–91, Nr. 1, Abb. 1. 57 Inv. 1047: HARRAUER, Griechische Ostraka (Anm. 56), S. 92 f. Nr. 2 Abb. 2. 58 z. B. eine etruskische Aschenurne (Inv. 1053), gekauft von privat am 15. Mai 1940 für 50,00
RM; unpubliziert. 59 Inv. 1054–1079. 1081. Victor Höfert hatte während der Kampagnen 1898 und 1899 als Ar-
chitekt auf der Grabung in Ephesos gearbeitet: Rudolf HEBERDEY, Vorläufiger Bericht der
Grabungen in Ephesus. In: Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in
Wien 2 (1899) Beiblatt 37. 60 Die Professoren Otto Benndorf und Otto Hirschfeld schenkten z. B. eine Büste von Alexander
Conze (Inv. 51) kurz nach dessen Weggang aus Wien.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 179
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Band 32 (2016)
Universität61 sowie von Absolventen des AES, die oftmals später in Museen innerhalb
des Habsburger Reiches arbeiteten62.
3. Publikation originaler antiker Objekte aus der Sammlung
Die erste Publikation von Originalen erfolgte im Jahr 1891 durch den Sammlungsas-
sistenten Karl Patsch in Form eines kurzen Kataloges auf fünf Seiten ohne Abbildun-
gen63. Aufnahme gefunden hatten dabei drei Bronzen, 17 Terrakotten, Fragmente eines
klazomenischen Sarkophages, sieben Marmorskulpturen sowie 22 vollständige Va-
sen64; außerdem wurde auf fast 500 überwiegend attisch-rotfigurige Gefäßfragmente
summarisch verwiesen65. Auch wenn es sich bei dieser Publikation nicht um die Vor-
lage aller originalen Kunstobjekte der Sammlung handelte, so machte sie aber bekannt,
dass es in Wien eine Universitätssammlung gab und über welches Spektrum sie ver-
fügte. Die Einzelstücke konnten aber auf dieser Publikationsbasis nicht in der wissen-
schaftlichen Literatur der folgenden Jahre rezipiert werden.
Ebenfalls im Jahre 1891 wurden die bereits erwähnten Fragmente des klazomeni-
schen Sarkophages (Inv. 413) als Einzelstück mit Abbildung publiziert66. Bei dieser
Gattung handelt es sich um auf ihrer Oberseite im ostgriechisch-schwarzfigurigen Stil
bemalte Tonsarkophage spätarchaischer Zeit, die auf der klazomenischen Halbinsel
sowie an wenigen Stellen in der nördlichen Ägäis gefunden wurden und recht selten
sind. Das Wiener Exemplar, das um 510 v. Chr. datiert, war am 12. Januar 1888 durch
die Vermittlung von Dr. Carl Humann67 in Smyrna angekauft worden, laut Inventar-
buch für 1.931,28 Gulden. Es stellt damit den mit Abstand teuersten Ankauf im unter-
suchten Zeitraum innerhalb der Archäologischen Sammlung der Universität dar. Um
ihn erwerben zu können, musste das Ministerium für Unterricht und Cultus um einen
Zuschuss zur jährlichen Dotation gebeten werden: „Das h.[ohe] k. k. Ministerium für
Cultus und Unterricht hat mit dem Erlasse vom 22. December 1887 Z. 23248 betreffs
Ankaufs eines Terracota-Sarkophages für die vom Hofrathe, Professor Dr. Otto Benn-
dorf geleitete Lehrkanzel für classische Archäologie an der Wiener Universität den
Betrag vom Eintausendfünfhundert /:1500:/ Gulden als Zuschuss zur Dotation dieser
Lehrkanzel bewilligt“68. Vor dem Hintergrund dieses großen finanziellen Aufwandes
erscheint es umso unverständlicher, dass der Sarkophag in den Jahren vor dem Ersten
––––––––––––––––––––––––– 61 Etwa der Abguss einer Kleinbronze aus Kopenhagen (Inv. 786): Geschenk von Prof. Moriz
Hoernes am 22.06.1903. 62 z. B. schenkte Robert Ritter von Schneider, Kustos am k. k. Hofmuseum, am 25.03.1887
Abgüsse des Hand- und Armfragments der Venus von Milo (Inv. 222. 223). 63 PATSCH, Archäologische Sammlung (Anm. 27), S. 178–182. 64 22 Vasen: ein schwarzfiguriges, 13 schwarz gefirnisste, acht rotfigurige Gefäße. 65 Hierbei handelt es sich um jene Fragmente von Tongefäßen aus Orvieto und Vulci, die Otto
Benndorf vor Ort erworben und der Universitätssammlung geschenkt hatte. 66 Kaiserlich Deutsches Archäologisches Institut (Hrsg.), Antike Denkmäler Bd. 1 (Berlin 1891),
S. 33, Nr. B, Taf. 45. 67 1884 war Carl Humann zum Abteilungsdirektor der königlichen Museen in Berlin ernannt
worden, jedoch als Auswärtiger Direktor mit Wohnsitz in Smyrna, um die Interessen der kö-
niglichen Museen im Orient wahrzunehmen: LULLIES, SCHIERING, Archäologenbildnisse
(Anm. 3), S. 69 f. [Doris PINKWART]. 68 Zitat UAW, PH Z 331 ex 1887/88.
180 HADWIGA SCHÖRNER
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Weltkrieg in die Antikensammlung des k. k. Hofmuseums übertragen wurde, wo er
sich noch heute befindet69.
Von insgesamt 64 Dissertationen, die im hier interessierenden Zeitraum (1868–1950)
im Fach Klassische Archäologie verfasst wurden, nahmen lediglich zwei Objekte aus
der Wiener Universitätssammlung zum Ausgangspunkt. Der bereits genannte Ludwig
Pollak hatte 1892 „Zu den Wiener Kraterfragmenten auf Tafel IX der Wiener Vorle-
geblätter 1890/91“ promoviert70, also über die Deutung der Darstellung auf den Frag-
menten des großen hochklassischen Kelchkraters des Polygnotos (Inv. 505). Auf dem
unteren Fries des Kraters ist offenbar die Aufbahrung des Patroklos dargestellt, mit
dem sitzenden Achilleus, einer Frau am Kopfende, bei der es sich wohl Briseis handelt,
und hinter ihr der mit Beischrift versehene Talthybios; den oberen Fries schmücken
Nereiden mit Delphinen. Interpretiert wurde die Darstellung des unteren in Kombina-
tion mit dem oberen Fries schon von Ludwig Pollak als Illustration der Achilleus-Tri-
logie des Aischylos71. Die Zuschreibung des Kraters an den hochklassischen Maler
Polygnotos wurde aber erst deutlich später durch den britischen Vasenforscher John
Davidson Beazley vorgenommen72.
Bei den genannten Wiener Vorlegeblättern, genauer „Wiener Vorlegeblätter für
archäologische Übungen“, handelt es sich um eine durch Alexander Conze 1869 be-
gonnene Publikationsreihe. Darin wurden antike Kunstobjekte aus allen großen Mu-
seen entweder als Abbildung oder in Umzeichnung publiziert. Sie füllten damit eine
wichtige Lücke im universitären Unterricht, da Photographien oftmals zu teuer waren,
Diapositive sich noch nicht durchgesetzt hatten und das Durchreichen von Büchern
einfach zu unpraktisch war. Die Größe des Werkes, etwa DIN A 2, machte das Arbei-
ten in Seminaren auf großen Tischen zu mehreren Personen pro Buch möglich. Nach
Conzes Weggang führte Benndorf die erfolgreiche Publikationsreihe weiter bis zum
Jahr 1891.
Hedwig Kenner untersuchte in ihrer 1934 vorgelegten Doktorarbeit die griechische
Gefäßform des Louterions, eines großen Beckens. Dabei nahm sie ihren Ausgangs-
punkt bei einem ungewöhnlichen attisch-rotfigurigen Keramikfragment aus der Uni-
versitätssammlung (Inv. 946), das am 17. Juli 1930 angekauft worden war. Es handelt
sich um einen Ausguss eines großen Wasserbeckens, auf dessen Außenseite zwei in
Silhouettentechnik gemalte Personen an einem großen Waschbecken auf hohem Fuß
stehen; auf dem Gefäß ist also genau der Bildträger als Gefäßform abgebildet, ein Lou-
––––––––––––––––––––––––– 69 Wien, KHM Inv. IV 1865: Robert Manuel COOK, Clazomenian Sarcophagi (= Kerameus Bd.
3. Mainz 1981), S. 23 f. Kat. C 7 Taf. 26. Über Umstände und Beweggründe der Eigentums-
übertragung konnten in den Akten bislang keinerlei Informationen gefunden werden. 70 „Interpretationsprobleme: Bruchstücke eines kelchförmigen Kraters aus Vulci in der archae-
ologischen Sammlung der Universität Wien, zusammengesetzt und revidiert von Herrn W.
Reichel, nach Zeichnungen K. Schönbauers.“, Zitat aus: BENNDORF (Hrsg.), Wiener Vorlege-
blätter (Anm. 51) zu Taf. IX. 71 Die Inhalte von Pollaks ungedruckter Dissertation werden ausführlich diskutiert bei: Hedwig
KENNER, Zur Achilleis des Aischylos. In: Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen
Institutes in Wien 33 (1941), S. 1–24. – Hedwig KENNER, CVA Wien 1 (Anm. 46) Taf. 24. 72 John D. BEAZLEY, Attic Red-Figure Vase Painters (Oxford, 2. Aufl. 1963), S. 1030 Nr. 33.
Erste Publikation: PATSCH, Archäologische Sammlung (Anm. 27), S. 179 Nr. 3.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 181
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terion. Ihre Dissertation erschien 1935 als Aufsatz in den Österreichischen Jahreshef-
ten73 und war unter Umständen mit ausschlaggebend dafür, dass sie im Jahr 1936 als
Assistentin der Universitätssammlung eingestellt wurde74.
Der nächste Schritt auf der wissenschaftlichen Karriereleiter von Hedwig Kenner war
die Habilitation: als Habilitationsschrift bearbeitete sie griechische Gefäßkeramik der
Universitätssammlung zusammen mit Vasen aus der Privatsammlung des Kunstmalers
Prof. Franz von Matsch (1861–1942)75. Der bekannte Künstler Franz von Matsch76
besaß in seinem Wohn- und Atelierhaus auf der Hohen Warte eine private Kunstsamm-
lung, die hauptsächlich aus Gemälden, aber auch aus einer Reihe von Antiken bestand,
darunter Skulpturen und griechische Vasen. Die Publikation sollte als Band des an der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München angesiedelten Publikations-
projektes Corpus Vasorum Antiquorum bereits 1941 erscheinen, aber Papiermangel
verzögerten Druck und Auslieferung. Der 1942 schließlich vorgelegte Band, der auf-
grund der politischen Verhältnisse in der Zählung als „Deutschland Bd. 5“ erschien,
ist bislang der einzige innerhalb der renommierten Reihe des CVA, in welchem Gefäße
der Universitätssammlung Wien publiziert sind.
4. Verwendung der Objekte im Unterricht
Über die Verwendung der Sammlungsobjekte im universitären Unterricht könnten vor
allem die Titel der Lehrveranstaltungen Auskunft geben, es bleibt aber stets eine Un-
sicherheit. Veranstaltungen zur antiken Plastik fanden regelmäßig bei den Gipsabgüs-
sen statt und wurden von jedem Lehrkanzelinhaber durchgeführt77. Während der 1.
Hälfte des 20. Jhs. konnten aber ebenso Veranstaltungen in der Gipssammlung der
Akademie der Bildenden Künste stattfinden78. Prof. Praschniker schreibt beispiels-
weise am 19. Oktober 1937 an den Rektor der Akademie der bildenden Künste, Prof.
––––––––––––––––––––––––– 73 Hedwig KENNER, Das Luterion im Kult. In: Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen
Institutes in Wien 29/2 (1935), S. 109–154. 74 Dazu demnächst: Hadwiga SCHÖRNER, Hedwig Kenner als Sammlungsassistentin am Archä-
ologisch-Epigraphischen Seminar der Universität Wien. In: Daniel MODL, Karl PEITLER
(Hrsg.), Archäologie in Österreich 1938–1945, Akten des Internationalen Symposiums 27.–
29. 04. 2015 im Archäologiemuseum Schloss Eggenberg, Graz (in Druckvorbereitung). 75 Hedwig KENNER, CVA Wien 1 (Anm. 46). 76 Er hatte nach dem Studium an der Kunstgewerbeschule Wien 1879/80 zusammen mit Gustav
und Ernst Klimt die sog. Maler-Compagnie gegründet: Alfred WEIDINGER, Agnes HUSSLEIN-
ARCO (Hrsg.), Gustav Klimt und die Künstler-Compagnie (Wien 2007). 77 Beispiele: SoSe 1901, Prof. Reisch: „Erklärung ausgewählter griechischer Skulpturen nach
Gipsabgüssen“ in der Archäologischen Sammlung; WiSe 1942/43, Prof. Praschniker: „Archä-
ologisches Seminar: Skulpturen des Parthenons“ in der Archäologischen Sammlung. Für die-
sen Zweck waren in der Sammlung große Teile des Frieses (Inv. 42. 443. 446–448. 765–767),
einzelne Köpfe von den Metopen (Inv. 30 a. 352. 355. 421. 921), Einzelobjekte aus den Gie-
beln (Inv. 440. 574. 697), je ein ergänztes Giebelmodell (Inv. 702 [W]. 779 [O], siehe Abb.
3), Bauornamentik (Inv. 453 [Antefix]) sowie ein Architekturmodell der nordöstlichen Tem-
pelecke (Inv. 721) vorhanden. 78 Bereits als Privatdozent hatte Praschniker Vorlesungen angeboten wie „Ausgewählte antike
Bildwerke“ im Museum der Gipsabgüsse der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz
182 HADWIGA SCHÖRNER
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte
Band 32 (2016)
Karl Sterrer: „[…] Zur Zeit halte ich z. B. Seminarübungen über Plastik der hellenis-
tischen Zeit ab. Die Akademie enthielt reiches Material für diese Epoche und so habe
ich diese Uebungen frührer [sic!] wiederholt dort abgehalten. Heute bin ich allein auf
Photos angewiesen die gerade für die allansichtige Anlage der Skulpturen dieser Zeit
vollständig unzureichend sind […].“79. Aus diesem Grund stand zuerst im Rahmen der
Neuordnung der Wiener Museen nach dem 1. Weltkrieg und schließlich noch einmal
Mitte der 30er Jahre die Idee im Raum, die Abgüsse der Universität, der Akademie
und des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie in einem gemeinsamen
Zentralen Gipsmuseum zu vereinen, wie es bereits A. Conze angedacht hatte. Sie
wurde allerdings niemals verwirklicht80.
Übungen zu antiker Gefäßkeramik oder Kleinkunst wurden auch im k. k. Kunst-
historischen Hofmuseum81, im k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Indust-
rie82 oder einmal sogar in der Estensischen Sammlung83 in der Hofburg angeboten. In
den ersten 100 Jahren des Bestehens der Archäologischen Sammlung gibt es nur zwei
Lehrveranstaltungen, bei denen höchstwahrscheinlich mit originalen Objekten in der
Universitätssammlung gearbeitet wurde: der Lehrkanzelinhaber Prof. Praschniker
kündigte im Sommersemester 1942 ein Seminar zum Thema „Übungen zur Geschichte
der griechischen Vasenmalerei, 2 h, Praschniker, Archäologische Sammlung“ an, und
––––––––––––––––––––––––– 3, im WiSe 1919/20 und SoSe 1920. Nach seiner Rückkehr nach Wien als a. o. Prof wieder-
holte er dies dann im WiSe 1931/32 und SoSe 1932, sowie als o. Prof. letztmals im WiSe
1934/35. 79 Zitat IKA, Sammlungsakten 1937 unfol. Er nimmt Bezug auf Lehrveranstaltungen wie „Denk-
mäler hellenistischer Plastik, 2 h, Praschniker, HS 34“ im WiSe 1937/38. 80 Zum „Zentralen Gipsmuseum“ vorerst: Herbert POSCH, Umbruch und Kontinuität. Wiener
Museen am Übergang von der Monarchie zur ersten Republik und das Scheitern einer Aneig-
nung, in: Gottfried FLIEDL, Roswitha MUTTENTHALER, Herbert POSCH (Hrsg.), Museumsraum.
Museumszeit. Studien zur Geschichte des österreichischen Museums- und Ausstellungswe-
sens (Wien 1992), S. 139–154. – Die bislang unausgewertete Korrespondenz im IKA, Samm-
lungsakten 1920. 1934–37 wird im Rahmen des Projektes ausgewertet werden. 81 Hans Schrader führte im SoSe 1914 eine „Einführung in die Vasensammlung des kunsthisto-
rischen Hofmuseums“ durch, Fritz Eichler im WiSe 1932/33 die Übung „Besprechung antiker
Kleinkunst [vor Objekten der Antikensammlung]“ am Kunsthistorischen Museum; Eichler
wiederholte diese Übung im WiSe 1939/40 sowie im 1. und 3. Trimester 1940. 82 Im SoSe 1933 bot Camillo Praschniker „Meistervasen in Wiener Sammlungen“ (2 h) an, wel-
che im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (dem heutigen Museum für Ange-
wandte Kunst) am Stubenring 5 durchgeführt wurde. 83 Kurz nach seinem Dienstantritt bot der tit. a. o. Prof. Emanuel Löwy im SoSe 1919 an: „Übun-
gen an antiken Originalen, […] Estensische Sammlung“. Bei dieser handelte es sich um eine
ältere Kunstsammlung aus dem norditalienischen Haus Este, die in den Besitz des Kronprin-
zen Franz Ferdinand gekommen war. Sie war seit 1908 in der Neuen Hofburg ausgestellt und
ging nach seinem Tod im Sommer 1914 in den Besitz des k. k. Hofmuseums über. Zu Emanuel
Löwy: LULLIES, SCHIERING, Archäologenbildnisse (Anm. 3), S. 120 f. [Hedwig KENNER]. –
Hadwiga SCHÖRNER, Äußerer Zwang und innerer Antrieb: Die Dynamik des Faches Klassi-
sche Archäologie im Rahmen des Archäologisch-Epigraphischen Seminars an der Universität
Wien während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Karl Anton FRÖSCHL, Gerd MÜLLER,
Thomas OLECHOWSKI, Brigitta SCHMIDT-LAUBER (Hrsg.), Reflexive Innensichten aus der Uni-
versität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, 650 Jahre
Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert Bd. 4 (Wien, Göttingen 2015), S. 575–585
bes. S. 578–580.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 183
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte
Band 32 (2016)
im Wintersemester 1949/50 die Assistentin Hedwig Kenner die Vorlesung „Interpre-
tation ausgewählter griechischer Vasenbilder und plastischer Werke der klassischen
Zeit, 2 h, PD Kenner“, die sowohl im Hörsaal 34 als auch in der Archäologischen
Sammlung stattfand, was durchaus ein Hinweis sein könnte. Das Problem bildet aber
grundsätzlich der Veranstaltungsort: die Archäologische Sammlung diente regelmäßig
für Lehrveranstaltungen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass dann auch mit Ob-
jekten der Sammlung gearbeitet wurde. Diese zahlenmäßig doch sehr geringe Einbin-
dung in den universitären Unterricht kann eigentlich nur bedeuten, dass die Original-
sammlung nur sehr bedingt die Funktion einer Lehrsammlung besaß.
Wie und mit welchen Mitteln aus dem Archäologischen Apparat fand nun der uni-
versitäre Unterricht statt? Einen Blick in das Archäologisch-Epigraphische Seminar
zeigt eine Photographie aus dem Archiv des Österreichischen Archäologischen Insti-
tutes (Abb. 5). Laut Rückseitenbeschriftung zeigt sie eine Seminarsitzung bei dem As-
sistenten Arnold Schober im Jahr 1933. Neun offensichtliche Studierende sitzen lesend
und schreibend um einen großen Tisch, auf dem mehrere großformatige Folianten auf-
geschlagen sind. Im Hintergrund rechts steht ein Stadtplan Athens, links eine große
Staffelei mit einer Phototafel, darauf mehrere Abbildungen eines attisch-rotfigurigen
Skyphos: Es handelt sich um das bekannte Gefäß des Brygos-Malers aus Cerveteri,
damals Teil der Vasensammlung des Österreichischen Museums für Kunst und Indust-
rie, heute im Kunsthistorischen Museum84. Unter den Studierenden ist hier aber auch
der Assistent des Seminars, der Althistoriker Artur Betz (der Dritte von rechts), zu
sehen. Aus diesem Grund wird angenommen, dass es sich nicht um ein Alltagsbild,
sondern um eine gestellte Aufnahme handelt, die Prof. Emil Reisch anläßlich seiner
Emeritierung zum Ende des Sommersemesters 1933 als Andenken überreicht wurde85.
Trotzdem gibt uns die Photographie durchaus die Umstände einer regulären Lehrver-
anstaltung im Fach Klassische Archäologie zu jener Zeit wieder: ein überschaubarer
Kreis von Studierenden, hier fünf weibliche und vier männliche, um einen großen
Tisch, daneben stehend der Dozent. Während des Seminars wurde mit Wandtafeln,
Karten, großen Pappen oder großformatigen Werken wie den „Wiener Vorlegeblät-
tern“ gearbeitet. Diapositive konnten 1933 nicht im Seminar, sondern nur im Hörsaal
projeziert werden. Die Verwendung von Lichtbildern in den 30er Jahren ist hingegen
nachgewiesen, da im Jahr 1935 der Umfang des Archäologischen Apparates folgen-
dermaßen angegeben wird: „Archäologische Sammlung: […] Originale griechische
Skulptur, Keramik und Kleinkunst (149 Nummern); Gipsabgüsse griechischer und rö-
mischer Skulptur (zirka 900 Stück), Photographiensammlung (zirka 3000 Nummern);
Tafelwerke; Sammlung von Diapositiven (zirka 7000 Nummern)“86.
––––––––––––––––––––––––– 84 Wien, KHM Inv. 3710. Publikation: Fritz EICHLER (Bearb.), Corpus Vasorum Antiquorum
Wien, Kunsthistorisches Museum 1 (= Österreich Bd. 1. Wien 1951) Taf. 35–37. Auf der
sichtbaren Seite A des Trinkgefäßes ist die Szene zu sehen, in der der troianische König Pria-
mos den Leichnam seines Sohnes Hektor von Achill erbittet. 85 Diese Meinung vertritt sicher zu Recht Gudrun WLACH, Arnold Schober – Leben und Werk.
In: Elisabeth TRINKL (Hrsg.), Akten des 14. Österreichischen Archäologentages am Institut
für Archäologie der Universität Graz vom 19. bis 21. April 2012 (Wien 2014), S. 457–470. 86 Zitat aus dem Personalstandsverzeichnis der Universität Wien von 1935, frei zugänglich im
Lesesaal des UAW.
184 HADWIGA SCHÖRNER
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Band 32 (2016)
5. Zusammenfassung
Die Gipssammlung der Akademie der Bildenden Künste besaß um die Mitte des 19.
Jhs. zwei offizielle Bestimmungen: Zum ersten die Entwicklungsgeschichte der Plastik
für ein interessiertes Publikum zu illustrieren und zum zweiten für Unterrichtszwecke
an der Akademie zur Verfügung zu stehen87. Auch an der Universität war laut Conze
eine „Gypssammlung“ unerlässlich, da „sie von Universität und Akademie, aber auch
vom gebildeten Publikum benutzt werden könnte“88. An der Universität kam also ein
wichtiger dritter Aspekt hinzu: neben der Ausbildung der Studierenden sowie dem äs-
thetischen Genuss aller interessierten Laien sollte die Gipsabguss-Sammlung auch der
Forschung dienen.
Dass die Gipssammlung der Universität diese Funktion tatsächlich besaß, ist an
verschiedenen Stellen überliefert: Otto Benndorf etwa forderte in einem Schreiben
vom 13. Jänner 1879 an das Ministerium für Cultus und Unterricht eine deutliche Er-
höhung der Dotation, damit die „[…] erforderlichen Vergleichsobjecte beschafft wer-
den können, um begonnene Untersuchungen namentlich über die neugefundene Statue
des Praxiteles weiterzuführen“89. Er bezieht sich dabei auf den sog. Hermes des Praxi-
teles, der das Kleinkind Dionysos zu den Nymphen von Nysa bringt. Diese Statue
wurde am 8. Mai 1877 in Olympia gefunden, wo sie sich noch heute befindet. Es han-
delt es sich dabei um eines der seltenen Marmororiginale aus dem 4. Jh. v. Chr. Kopi-
enkritik konnte an der am 17. Jänner 1879 erworbenen Gipsbüste des Hermes (Inv. 54)
natürlich nur bedingt betrieben werden. Aber am 16. November 1881 erwarb die
Sammlung schließlich einen unergänzten Abguss des Hermes mit Dionysos (Inv. 102
a) sowie eines erhaltenen Fußes (Inv. 102 b), und am 05. September 1887 zusätzlich
einen Gipsabguss des Köpfchens des Dionysos (Inv. 294).
Die antike Kleinkunst stand von Beginn an im Schatten der Abgüsse. Das wird
deutlich nicht nur durch den späteren Zeitpunkt des Beginns der Erwerbungen, sondern
auch durch die Tatsache, dass 1.) ein Raum für antike Originale erst zwei Jahrzehnte
nach der Einführung von Klassischer Archäologie als Universitätsfach greifbar ist, und
damit noch deutlich später als für die Abgüsse, 2.) wir über die Aufstellung der Origi-
nale nur schlecht oder gar nicht unterrichtet sind, 3.) die gesamte Sammlung zu Beginn
mehrere Jahrzehnte lang „Gypssammlung“ genannt wurde, und 4.) der offizielle Be-
ginn der Archäologischen Sammlung stets mit dem Einzug in das Hauptgebäude am
Ring verbunden wurde90.
Eine mögliche Funktion der Originale ist nicht so klar aufzuzeigen. Dass auch sie
konkreter Forschung dienten, wurde bereits durch die Betrachtung der Qualifizie-
rungsarbeiten und der Publikationen deutlich. Während der Jahre 1869–1950 stellen
88,1 % der gesamten Originale Schenkungen dar, nur 8,4 % wurden angekauft (Abb.
1); für die restlichen 3,5 % ist die Art des Erwerbs nicht gesichert. Auf Anzahl, Art
und Datierung der Stücke hatte der Lehrkanzelinhaber bei Schenkungen naturgemäß
––––––––––––––––––––––––– 87 So in den Akten der Akademie der Bildenden Künste ex 1851: TRNEK, Glyptothek Datenbank
(Anm. 12) el 09. 88 Zitat Brief Prof. Conzes an das k. k. Universitätskonsistorium vom 20. Mai 1869: UAW,
Rektoratsakten P 819. 89 Schreiben Otto Benndorfs vom 13.01.1879 an das Ministerium für Cultus und Unterricht:
Zitat Akten IAG, 1879 Nr. 2 fol. 4 r. 90 Etwa bei PATSCH, Archäologische Sammlung (Anm. 27), S. 178.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 185
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
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Band 32 (2016)
kaum Einfluss. Daraus ergab sich ein breites Spektrum an Gattungen, das der Ausbil-
dung der Studierenden hätte zu gute kommen können. Wie aber herausgearbeitet wer-
den konnte, war die Verwendung der universitären Originale in den Lehrveranstaltun-
gen sehr selten, ebenfalls die Zahl von nur drei qualifizierenden Arbeiten, die sich auf
Objekte der eigenen Sammlung stützten. Maßgeblich für die Bekanntheit der Objekte
einer Universitätssammlung ist aber gegenüber der interessierten Öffentlichkeit die
Besuchbarkeit – über die Öffnungszeiten der Archäologischen Sammlung sind wir lei-
der nicht informiert – und innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Publika-
tionslage, damit die Objekte als Teil ihrer Gattungen sowie als Bildträger rezipiert
werden können. Es besteht also für die Bekanntheit der Objekte deutlicher Nachhof-
bedarf, und auch der Umfang der Publikationen wurde bis Mitte des 20. Jhs. weder der
Größe noch der Qualität der Originalsammlung gerecht.
Kurzfassung
Der Beitrag bietet einen Überblick über die Geschichte der Archäologischen Samm-
lung an der Alma Mater Rudolphina vom Zeitpunkt ihrer Anfänge (1869) bis zur Mitte
des 20. Jahrhunderts auf der Basis der schriftlichen Quellen in verschiedenen Archi-
ven. Zu Beginn wurden ausschließlich Gipsabgüsse nach antiker Frei- und Reliefplas-
tik gesammelt sowie Architekturmodelle. Seit 1878 fanden dann auch originale Ob-
jekte antiker Kunst Eingang in die Sammlung, zuerst nur Schenkungen, seit 1886 dann
auch als gezielte Ankäufe, die einen Produktionszeitraum von annähernd 2000 Jahren
abdecken. Die beiden Sammlungsteile sollten von Anfang an sowohl dem Unterricht
als auch der archäologischen Forschung, aber auch zur Erbauung der interessierten
Öffentlichkeit dienen. Auch bei den Abgüssen wurde versucht, einen möglichst um-
fangreichen Überblick über die statuarische Kunst der Antike zu gewinnen. Da die
Universitätssammlung in den ersten 15 Jahren zusammen mit der Abgusssammlung
der Akademie der Bildenden Künste in deren Räumlichkeiten präsentiert wurde, fiel
nach der räumlichen Trennung mit dem Einzug in das neuerrichtete Hauptgebäude der
Universität am Ring 1886 ein großer Teil des plastischen Unterrichtsmaterials fort, der
nur unzureichend nachgekauft werden konnte. In einem zweiten Teil werden die Er-
werbungsmodalitäten im Überblick untersucht, die Einbeziehung der Objekte in die
Lehrveranstaltungen und die Verwendung der Originale bei qualifizierenden Arbeiten,
wobei bei den letzten beiden Aspekten die Ergebnisse sehr spärlich sind. Die Tatsache,
dass ein Großteil der Objekte auf Schenkungen zurückgeht und bereits direkt nach dem
2. Weltkrieg kein Geld für Ankäufe mehr zur Verfügung stand, machte eine systema-
tische Ankaufpolitik praktisch unmöglich. Die Archäologische Universitätssammlung
stand immer im Schatten der großen Museen in Wien und spielt auch heute leider nicht
die Rolle in Forschung und Lehre, die ihr aufgrund ihrer Qualität zukommen sollte.
Summary
This contribution provides an overview of the history of the Archaeological collection
at the Alma Mater Rudolphina from the beginning (1869) to the middle of the 20th
century basing upon the written sources within several archives. At first exclusively
plaster casts of freestanding sculpture, reliefs, and architectural models were collected.
186 HADWIGA SCHÖRNER
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte
Band 32 (2016)
Since 1878 ancient objects expanded into the collection, first of all only as donations,
from 1886 onward also as systematic acquisitions covering a period about 2000 years.
From the beginning both parts of the collection should serve the purpose of education,
of the archaeological research, as well as of the teaching of the community. It was also
tried to get an extensive summary over the sculpture art of antiquity. But within the
first 15 years the University collection was presented together with the plaster cast
collection of the Academy of Fine Arts at Vienna within the spaces of the Academy.
After the separation and the entering into the newly constructed main building of the
University at the Ring in 1886 a big part of the plastic education material was omitted
and could be purchased only insufficiently. Within a second part of the contribution
the modalities of acquisition at a glance, the involvement of the ancient originals into
the University courses, and the utilization of the ancient pieces of art for the qualifica-
tion researches of the students were examined – within the last two issues the results
were very few. The fact that a big part of the purchased objects based upon donations
and that since summer 1945 no longer money was available for new acquisitions a
systematic purchase policy was practically impossible. The Archaeological collection
always was in the shadow of the great museums at Vienna and also nowadays it doesn’t
play the role within research and education which it should possess because of their
quality.
Abgüsse Originale
1869 6 0
1877 40 0
1891 367 253
1898 695 398
1900 707 422
1935 ca. 900 ca. 490
1950 ca. 1000 554
Abb. 1: Übersicht über die Bestände der Archäologischen Sammlung der Universität
Wien bis 1950. – Chart Verf.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 187
Mensch-Wissenschaft-Magie Mitteilungen der
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Abb. 2: Alexander Conze, Porträt während seiner Wiener Zeit (1868–1877). –
Das Archäologisch-Epigraphische Seminar an der k. k. Universität Wien. Vorstände
und Mitglieder 1876–1901 [Photoalbum] Taf. 1. © IKA.
188 HADWIGA SCHÖRNER
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Abb. 3: Archäologische Sammlung im Hauptgebäude der Universität Wien, Blick in
einen Raum mit Gipsabgüssen (1960er Jahre). – Sammlung des IKA. © IKA.
DIE ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WIEN 189
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Abb. 4: Hauptgebäude, Plan Tiefparterre, Lage der Archäologischen Sammlung (Räume N). – Max v. FERSTEL, Die k. k. Universität in Wien von Heinrich von Ferstel. Gezeichnet von J. Niedzielski. Gestochen von E. Obermayer (Wien 1892) Taf. 16. © UAW.
Abb. 5: Arnold Schober im Seminar im Sommer 1933, Ansicht –
ÖAI-Archiv Inv.-Nr. 1933/7 (aus Nachlass Egger); Foto Reiffenstein, Wien. © ÖAI.