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e e ELISABETH BRONFEN g A c •• 9 Während unsere Möglichkeiten, glücklich zu sein, bereits durch unsere Konstitution eingeschränkt sind, fällt es uns, wie Sigmund Freud in Das Unbehagen in der Kultur schreibt, wesentlich leichter, unglücklich zu sein: »Vo n drei Seiten droht das Leiden, vom eigenen Körper her, der, zu Verfa ll und Auf lösung bestimmt, sogar Schmerz und Angst als Warnungssignale nicht entbehren kann, von der Au- ßenwelt, die mit übermächtigen, unerbittlichen zerstörenden Kräf- ten gegen uns wüten kann, und endlich aus den Beziehungen zu anderen Menschen.«' In seinen späten Schriften insistiert Freud daher darauf, dass sowohl die Psyche des Einzelnen als auch die Kul- tur insgesamt genauso sehr vom Todestrieb geprägt sind wie vom Glücksverlangen. Wenn al so die Fragilität des alltäg lichen mensch li- chen Lebens und unser Hang zum Unglücklichsein sich am deut- lichsten in jenen Momenten zeigen, in denen der Tod tatsächlich eintritt, handelt es sich doch zugleich um ein solitäres, höchst indi- viduelle s, nicht kommunizierbares Ereignis, eine Erfahrung äußers- ter Int i mität. In dem Augenblick, in dem man stirbt, ist man all ein. Wenngleich der Tod einerseits als die eine Gewissheit anerkannt ist, die wir im Leben haben, als der eine unverbrüchliche Maßstab der menschlichen Exist enz, ist es doch andererseits unmöglich, mit Ge- wisshe it zu sagen, wann er eintreten wir d. Niemand weiß im Voraus, was der Tod se in wird, und zugleich entzi eh t sich das tatsächliche Todesereignis ganz und gar dem Wissen der Überlebenden. Das Ein - 8 zige, was sich über den Tod sagen lässt, ist, dass er mit einem unwi- derruflichen Riss einhergeht, einem Bruch mit dem gewöhnlichen Alltag, seiner Sprache, seinen Strukturen und Regeln. Für die Trau- ernden zieht das Todesereign is eine Kr i se im Alltäglichen nach sich, die man als ein Ungeschehenmachen der Welt bezeichnen könnte. In Eija-Liisa Ahtilas Film Today wird in drei Teilen der Tod eines Vaters geschildert. Der erste zeigt seine Enke li n, die bei sich daheim im Hinterhof Ball spielt und in emot ionaler Hinsicht ein distanzier- tes Verhältnis zu dem schreck li chen Erei gnis hat. Sie kann den Tod , der ihr nichts bedeutet, nu r anhand der Effekte begreifen, die er auf andere hat, etwa das heftige Weinen ihresVaters,dersonst nie weint. Der zweite Teil, der sich mehr mit dem kulturellen Unbehagen der Tochter Vera befasst, zeigt einige wenige Sekunden der fatalen nächtlichen Fahrt durch den Wa ld , eine unheilvolle Spur von etwas, das sich ereignet hat, ohne dass man es deutlich benennen oder lo- kalisieren könnte. Erst im dritten Teil, der den Titel »Dad« trägt, sehen w ir schl ilich den Vater, der schweigsam auf einem Waldweg geht und sich dann auf diesem hinlegt. DieserTeil mutet weit weniger realistisch an als die beiden anderen, so als handle es sich um eine Halluzination. Angesichts der bewusst künstlichen Ausleuchtung der Szene stellt sich die Frage, wer diesen Teil der Geschichte erzählt. Ist hier das Gespenst eines Toten zurückgekehrt, um se in en Tod für uns in Szene zu setzen? Doch wenn dem so ist, kann dies der Wieder-

Die Fragilität des Alltäglichen: Eija-Liisa Ahtilas Arbeit mit dem Tod. 2008

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ELISABETH BRONFEN

g A c •• 9

Während unsere Möglichkeiten, glücklich zu sein, bereits durch unsere Konstitution eingeschränkt sind, fällt es uns, wie Sigmund Freud in Das Unbehagen in der Kultur schreibt, wesentlich leichter, unglücklich zu sein: »Von drei Seiten droht das Leiden, vom eigenen Körper her, der, zu Verfa ll und Auflösung bestimmt, sogar Schmerz und Angst als Warnungssignale nicht entbehren kann, von der Au-ßenwelt, die mit übermächtigen, unerbittlichen zerstörenden Kräf-ten gegen uns wüten kann, und endlich aus den Beziehungen zu anderen Menschen.«' In seinen späten Schriften insistiert Freud daher darauf, dass sowohl die Psyche des Einzelnen als auch die Kul-tur insgesamt genauso sehr vom Todestrieb geprägt sind wie vom Glücksverlangen. Wenn also die Fragilität des alltäglichen mensch li-chen Lebens und unser Hang zum Unglücklichsein sich am deut-lichsten in jenen Momenten zeigen, in denen der Tod tatsächlich eintritt, handelt es sich doch zugleich um ein solitäres, höchst indi-vidue lles, nicht kommunizierbares Ereignis, eine Erfahrung äußers-ter Int imität. In dem Augenblick, in dem man stirbt, ist man allein. Wenngleich der Tod einerseits als die eine Gewissheit anerkannt ist, die wir im Leben haben, als der eine unverbrüchliche Maßstab der menschlichen Existenz, ist es doch andererseits unmöglich, mit Ge-wisshe it zu sagen, wann er eintreten w ird. Niemand weiß im Voraus, was der Tod se in wird, und zugleich entzieht sich das tatsächliche Todesereigni s ganz und gar dem Wissen der Überlebenden. Das Ein -

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zige, was sich über den Tod sagen lässt, ist, dass er mit einem unwi-derruflichen Riss einhergeht, einem Bruch mit dem gewöhn lichen Alltag, seiner Sprache, seinen Strukturen und Regeln. Für die Trau-ernden zieht das Todesereign is eine Kr ise im Alltäglichen nach sich, die man als ein Ungeschehenmachen der Welt bezeichnen könnte.

In Eija-Liisa Ahtilas Film Today wird in drei Teilen der Tod eines Vaters geschildert. Der erste zeigt seine Enke li n, die bei sich daheim im Hinterhof Ball spielt und in emotiona ler Hinsicht ein distanzier-tes Verhältnis zu dem schreck lichen Ereignis hat. Sie kann den Tod, der ihr nichts bedeutet, nu r anhand der Effekte begreifen, die er auf andere hat, etwa das heftige Weinen ihresVaters,dersonst nie weint. Der zweite Teil, der sich mehr mit dem kulturellen Unbehagen der Tochter Vera befasst, zeigt einige wenige Sekunden der fatalen nächtlichen Fahrt durch den Wa ld, eine unheilvolle Spur von etwas, das sich ereignet hat, ohne dass man es deutlich benennen oder lo-kalisieren könnte. Erst im dritten Teil, der den Titel »Dad« trägt, sehen w ir schl ieß lich den Vater, der schweigsam auf einem Waldweg geht und sich dann auf diesem hinlegt. DieserTeil mutet weit weniger realistisch an als die beiden anderen, so als handle es sich um eine Halluzination. Angesichts der bewusst künstlichen Ausleuchtung der Szene stellt sich die Frage, wer diesen Teil der Geschichte erzählt. Ist hier das Gespenst eines Toten zurückgekehrt, um se inen Tod für uns in Szene zu setzen? Doch wenn dem so ist, kann dies der Wieder-

gänger nur in Form einer Pantomime tun und nur, indem er die Bühne für einen von ihm erwarteten Tod bereitet. Wir betrachten eine Szene, die es uns erlaubt, den Tod zu erwarten, allerdings nicht das tatsächliche Ereignis, auch wenn wir dies tun, nachdem wir wissen, dass es eingetreten ist. Das Medium Film ermöglicht es uns, an diesem Tod teilzuhaben, bevor und nachdem er eingetreten ist, aber es gibt keine Bilder für das Ereignis selbst.

Zugleich drängt sich die Frage auf, ob diese surreale Szene nicht eine Fantasie des Sohnes ist, da das Narrativ auf ihn übergeht, als er sich aus seinem Bett erhebend an das idiosynkratische Verhalten seines Vaters erinnert. Erst nach diesem Bericht schildert er seine Fassung der fatalen Fahrt durch den nächtlichen Wald, die er des-halb mit seiner Familie gemacht habe, weil sie schwimmen gehen wollten. Die Unwirklichkeit der Szene wird noch gesteigert durch die Worte, die er wählt, um den Unfall zu beschreiben. Er erinnert sich, die anderen auf die schwarzen Schatten der Bäume hingewiesen zu haben, die auf der Straße Streifen bildeten, bis plötzlich einer dieser Schatten sich erhob »und dann abermals ein Unfall passierte«. Wenn wir uns daran erinnern, dass die Autoren der Antike die Toten im Hades als Schatten bezeichneten, könnte man spekulieren, dass es sich bei »Dad« um einen Schatten aus der Unterwelt handelt, der zurückgekehrt ist, um die Lebenden heimzusuchen, bevor er zur Lei-che wird. Ja, man könnte eine Wette eingehen, dass ertot ist, weil er ein Schatten war, der sich plötzlich erhoben hat. Wir sehen das blen-dend weiße Licht der Autoscheinwerfer und hören das Quietschen der Reifen. Doch »Dad«, der in dieser Erinnerung an seinen Tod le-bendig ist, bleibt völlig undefinierbar. Eija-Liisa Ahtila nähert sich dem Tod aus unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Perspek-tiven und mit verschiedenen Stimmen und fokussiert dadurch ein Ereignis, für das sich weder Bilder noch Worte finden lassen. Damit zeigt sie deutlich, dass der Tod sich bei all seiner Gewissheit klaren Kategorien entzieht. Er ist nirgendwo, denn er ist einfach nur eine Lücke, ein Schnitt, ein Übergang vom lebendigen Leib zum Leichnam, ein Vorher (die qualvolle Angst oder die gelassene Erwartung der sterbenden Person) und ein Danach (die Trauer und Erinnerung des Überlebenden). Sein Eindringen in den Alltag erfolgt von einem un-fassbaren Punkt aus, außerhalb jeglicher erzählbarer Erfahrung, da er jedes empirischen Gegenstands entbehrt.

Nichtsdestotrotz müssen wir auf den Tod reagieren, müssen ihm einen Sinn abgewinnen, müssen ihm einen Platz in unserem AII-tagsleben zuweisen, selbst wenn wir dies nur in Form einer verspä-teten Rekaoitulation seines Fintretfns tlJn könn en . Da der Tod der

eine privilegierte Augenblick des Realen ist, können wir über ihn nur in einer stark formalisierten, figürlichen Sprache sprechen, die ihren Bruch mit der mimetischen Repräsentation deutlich zum Ausdruck bringt. Gleichzeitig muss er einen Abschluss finden, damit wir wie-der in die Alltagsrealität zurückkehren können. Die letzten Einstel-lungen von Today kehren an den Ort zurück, wo sich der Unfall abspielte, während Vera in einem Off-Kommentar erklärt, sie hätten eine kleine Silbertanne am Straßenrand gepflanzt. Der Tag hat sich wieder Geltung verschafft. Wir befinden uns in der Gegenwart, zu-sammen mit den Spuren, die der Tod dort, durch dieses Denkmal ge-kennzeichnet, zurückgelassen hat. Today dient als ein nützlicher Ausgangspunkt, nicht nur für die Art, wie Eija-Liisa Ahtila selbst immer wieder auf die Themen Trauer und Gedenken zurückkommt, sondern auch dafür, wie sie auf einer streng formalisierten Inszenierung des Verlusts, den der Tod uns zufügt, und der Wieder-gutmachung, nach der er verlangt, beharrt. Denn indem sie dies tut, thematisiert sie die fruchtbare Aporie, die jeder ästhetischen Aus-einandersetzung mit dem Tod innewohnt. Indem sie sich eines Modus des visuellen Erzählens bedient, der die Gleichzeitigkeit von Perspektiven in den Vordergrund rückt, bei denen realistische Dar-stellungen und Halluzinationen nahtlos ineinander fließen, verweist Ahtila auf die Tatsache, dass der nicht verhandelbare und unabän-derliche Tod die Grenze der gewöhnlichen Sprache markiert. Er stellt einen Bruch mit unserem Bildrepertoire dar, auch wenn er stets einer Fülle von ästhetischen Repräsentationen Vorschub geleistet hat. Als der Punkt, an dem jegliche Sprache versagt, ist der Tod auch die Quelle aller ästhetischen Formalisierung.

Gerade weil jede Repräsentation des Todes bewusst nicht-mi-metisch ist, verweist sie auch auf das Reale jenseits der alltäglichen Realität, evoziert den Bezugspunkt, auf den Narrative verweisen mögen, den sie aber nicht berühren. Für die Überlebenden handelt es sich um eine Spekulation, ein Spektakel und ein Gespenst (specter). Doch auch wenn die Nachwirkungen des Todes uns unwe igerlich heimsuchen, so dienen die Geschichten über ihn auch dazu, uns vor dem Überleben seiner Macht im Alltagsleben zu schützen. Indem wir die Ereignisse, die zum Ableben einer geliebten Person führen und diejenigen, die darauffolgen, noch einmal Revue passieren la s-sen, gelingt es uns, uns wieder in der Welt des Alltags zu rechtzufin-den, lernen wir, ihre Gesetze wieder zu bejah en. Wir benötigen Narrative über unser Überleben, auch wenn wir realisieren, dass das Ereignis des Todes sich ihnen entzieht. Auch wenn es uns zu unserem Bericht veranlasst hat. geht es doch über iegliche Sorache der Wie-

1 Sigmund Freud. »Das Unbehagen in der Kultur" (1930). in, ders .. Gesammelte Werke, Bd . ' 4 (Werke aus den Jahren '925- '93'), Frankfurt am Main ' 999. s. 4'9-506. hier S·434

dergutmachung hinaus, denn alle Geschichten über den Tod folgen auf ein Ereignis, das die Überlebenden, die sprechen, nur stellvertre-tend erlebt haben. Wenn Ahtila - wie sie im Hinblick auf ihre Aneig-nung des Mediums Film erklärt hat - versucht, "bewegte Bilder von Geschichten« zu finden, "die sich bereits ereignet haben«, so erweist sich das Thema der Nachträglichkeit, das im Zentrum ihres Werks steht, als besonders gravierend, wenn man es im Zusammenhang mit ihrem thematischen Interesse am Tod betrachtet. Die von ihr ge-schaffenen Bilder kehren nicht nur ausdrücklich in die Vergangen-heit zu rück und geben der Gegenwa rt diese Verga ngen heit, sondern sie bewegen sich auch in einem zweifachen Sinne.

Einerseits vollziehen sie eine Bewegung in der Zeit, die derTatsa-che entspricht, dass der Tod ein zeitlicher Prozess ist. Schließlich kommt die Fragilität unserer sterblichen Existenz dadurch zum Aus-druck, dass das Leben zeitlich begrenzt ist. Leben bedeutet, sich in Richtung Tod zu bewegen, ob wir diesen Weg aktiveinschlagen oder nicht. Andererseits appelliert man, wenn man über bewegte Bilder spricht, die an Ereignisse erinnern, welche bereits stattgefunden haben, und diese vielleicht überwinden sollen, auch an deren affek-tive Eigenschaften. Die Wirkung des Todes besteht darin, dass er uns emotional wie kein anderer Zustand anspricht. Doch indem er die gewöhnlichen Kategorien von Zeit und Raum aufbricht, weist der Tod auch eine seltsame Nähe zur Arbeit des Films auf. Ja, Jean Coc-teau verglich das Drehen von Filmen damit, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen. Der Film ist ein Medium, das sich als eine Zeitfolge ent-faltet, 24 Bilder pro Sekunde,ganz ähnlich der Art und Weise, wie sich der Tod durch die Zeit ausdrückt. In jeder Sekunde, für die wir im Kino 24 Bilder haben können, kommt er herbei und nähert sich uns, die wir noch leben.

Doch in ihrer bewussten Inszenierung bewegter Bilder von Geschichten, denen, da sie sich bereits zugetragen haben, stets der Tod eingeschrieben ist, führt Eija-Liisa Ahtila die Korrespondenz zwi-schen der Arbeit des Todes und der des Kinos weiter, als Cocteau dies beabsichtigte. Während ihre Erzählerinnen Bekenntnisse von Geschichten aufführen, welche sie bewegen, kombinieren die von ihr inszenierten Narrative durch die Verwendung mehrerer Lein-wände und das Auseinanderklaffen des Bildes, das wir sehen, und der Stimme, die wir hören, verschiedene Zeiten und verschiedene Räume, reale und imaginierte, miteinander. Indem sie sich se lbst kommentieren, inszenieren ihre Erzählerinnen für uns die Aufspal-tung zwischen einer Person, die den Tod erlebt, und derjenigen, die sich an diese Erfahrung erinnert. Sie bewegen uns, obwohl oder viel-

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leicht gerade weil zwischen dem Ereignis und seiner Erzählung ein Abstand herrscht. Die vom Drehbuch vorgegebenen Worte, die montierten Bilder und das Geschehen, an das sie erinnern, finden nicht zusammen - doch durch den Tod, der keinen festgelegten Ort hat und für den es keine eindeutige Kategorie gibt, sind sie mitein-ander verbunden. Körperlos, wie sie ist, kann die Stimme der Erzäh-lerin mitunter gespenstisch (spectral) wirken. Und da es keine Stimme hat, kann das Antlitz eines der Protagonisten in der Ge-schichte besonders unheimlich wirken, so als signalisiere es die Rückkehr von jemandem, der nicht mehr existiert. Doch in allen Fäl-len appelliert die Tatsache, dass ein Ereignis, das bereits stattge-funden hat, auf den Bildschirm gebracht wird, um es aufzuzeichnen und damit etwas Verlorengegangenes zurückzuerlangen, an den Verlust selbst. Dies ist die List, die Ahtilas filmische Arbeit mit dem Tod durchzieht.

The Hour ofPrayer beginnt mit einer schwarzen Leinwand und dem Geräusch bellender Hunde. Dann erscheinen auf vier Lein-wänden Bilder von New York während eines Schneesturms, die das Narrativ, das sich nun zu entfalten beginnt, vom Tag in die Nacht, vom öffentlichen Raum draußen in die Intimität eines Hotelzimmers verlagern. Erst dann fängt die Erzählerin an, sich an einen Alptraum vom Januar zu erinnern, der den Verlust ihres Hundes Luca zum Inhalt hatte. Wir sehen, wie sie wieder einschläft, während ganz rechts ein Bild des Hundes erscheint, als ob ihre Traumarbeit eine Vorahnung seines real bevorstehenden Verlusts wäre. Zugleich be-steht der rhetorische Trick Ahtilas darin, dass das Bild des Hundes, der auf der Ebene der visua lisierten, gerade einsetzenden Geschichte ein Gegengewicht zu ihrem Traum von Lucas Verlust zu bilden scheint, auf der narrativen Ebene bestätigt, dass die Vorahnung Wirklichkeit wird. Da wir schon kurz danach realisieren, dass Lucas Tod der Auslöser der Geschichte ist, ist das Bild, das wir sehen, von Anfang an gespenstisch: eine visuelle Wiedergutmachung innerhalb des Narrativs und durch dieses. Der Schnitt auf die Erzählerin, die uns direkt anblickt, folgt kulturellen Trauerritualen. Die Hinter-bliebenen müssen des Toten gedenken, indem sie seinen Leichnam durch Erinnerungsbilder ersetzen. Ahtila beginnt die nächste Sequenz daher mit Bildern, die zelebrieren, wie Luca seinen Raum bewohnt. Diese entsprechen der prägnanten Beschreibung dessen, was er ihr bedeutet hat, als würde hier ein Leben auf eine Grab-inschrift reduziert: "Ich habe viel Zeit mit meinem Hund verbracht. Wir haben unsere Sinne miteinander geteilt und sie benutzt, um ge-meinsam über unsere Umgebung nachzudenken.«

Dann geht die Erzählerin zu dem tatsächlichen Bekenntnis über. Sie blickt uns wie auf einer Bühne an, um sich an die Vergangen heit zu erinnern und dabei gleichzeitig von sich selbst zu berichten. Sie kommt auf die Situation zurück, die zu dem Todesereignis führte, und beschreibt, w ie sie während der Osterferien beschloss, mit Lu ca an einem See in der Nähe ihrer Hütte auf dem Land spazieren zu gehen, wo die Schneeschmelze info lge der starken Sonnenstrah lung bereits begonnen hatte. Durchsetzt mit realistischen Bildern der Landschaft, die zu neuem Leben erwacht, sehen w ir die Erzählerin auf einer Bühne, in Dunkelheit gehüllt, eingefroren in die Pathos-geste der Hinterbliebenen, da sie sich an den Augenblick erin nert, in dem Luca sich das Bein brach. Dann geht die Geschichte in Bilder über, die den Röntgenvorgang, die Operation und schließlich die Dia-gnose eines tödlichen Knochenkrebses dokumentieren: »An diesem Tag trat der Tod ins Haus«, erklärt die Erzählerin und verfällt damit in das, was Joan Didion als magisches Denken bezeichnet hat, zu wei-chem der Tod Anlass gibt. Dann ve rsucht sie, das Schu ldgefühl zum Ausdruck zu bringen, das ihr eigenes Überleben in ihr hervorgerufen hat, und bekennt: »Ich habe gebetet, dass uns Luca Boy wen igstens noch den Sommer über erhalten bleiben möge, und später, als Luca am 11. August starb, habe ich mir dann Vorwü rfe gemacht, weil ich nicht gebetet hatte, er möge uns wenigstens bis Weihnachten er-halten bleiben.« Ansch ließend sehen wir-vom Tod gefärbte - Bilder der Gegend, die sie mit dem Hund geteilt hatte: ein Ungeschehen-machen der Welt, in der derVerlust ihres Gefährten ihrer psychischen Bet äubtheit entspricht. Ihr Zuhause ist leer, die Landschaft draußen ist einmal mehr von Schnee und Eis bedeckt. Beide fungieren als Me-taphern für den Rückzug aus dem Leben, den ihr Zustand der Trauer erfordert.

Doch alle Trauerrituale insist ieren darauf, dass eine Wiedergut-machung des Lebens erfolgen muss. Während sie erneut auf der dunklen Bühne sitzt und von ihrer Trauer berichtet, erwähnt die Er-zählerin die finnische Künstlerresidenz in Benin, Westafrika, für die sie ein Aufentha ltsstipend ium erhielt. Als sich ihre Geschichte ihrem letzten Schauplatz zuwendet, wird der Schneesturm in Manhattan, mit dem The Hour of Prayer begann, in Erinnerung gerufen und zu-gleich transformiert. Nachdem sie die schneebedeckte Landschaft um ihre Hütte herum zugunsten eines heißen afr ikani schen No-vembers ver lassen hat, wechselt die Geschichte erneut von den Bil-dern eines geschäftigen Stadtzentrums zur intimen Einsamkeit eines Schlafzimmers und damit vom Tag in die Nacht. Doch eine we-sentliche Verwandlung hat stattgefunden, die das Erwachen aus der

Trauer in die Dämmerung eines neuen Morgens betont. Die Erzäh-lerin erinnert daran, dass sich auf der anderen Straßenseite, gegen-über ihrer Unterkunft, ei ne kathol ische Kirche befand, wo am frühen Morgen, wenn es draußen noch dunkel war, Glockengeläut den Tagesanbruch anzeigte. Sie beginnt, das Gejaule der Hunde, das den Glockenklang begleitete, als kollektives Hundegebet zu deuten. Dieses ritu alisierte Aufwachen ihrer Umgebung bietet eine figür-liche Inszenierun g ihres Erwachens aus der Erfahrung des Todes. Im Gegensatz zu der Sequenz am Anfang von Th e Hour of Prayer bleibt sie nicht im Bett liegen und w irft sich dort rast los hin und her. Statt-dessen begibt sie sich, nachdem sie aufgestanden ist, auf eine andere dunkle Bühne, den formalisierten Schauplatz ihres Bekennt-nisses, um dort ihr »Liedchen« zu si ngen . Damit bewegt sie sich über ih ren prophetischen Alptraum und seine traumatische Realis ierung in den Morgen danach und appe lliert an ihren Kummer, während sie zugleich einen überschwänglichen Triumph über den Verlust in Szene setzt. Der Raum ihrer Darbietung bleibt in Dunkel gehüllt, doch links und rechts erscheinen schließlich, diesen umrahmend, Bil-der, die einen Morgen in Benin ze igen . Als ihr Li ed beendet ist, tre-ten diese Bilder sogar an die Stelle des Close-up ihres Gesichts. Die Verwandlung des Kummers in ein Lied korrespondiert mit einer Lein -wand mit vier Bildern eines neuen Ta ges, die Ausdruck einer erfolg-reichen Übersetzung sind.

Die Kulturanthropologie hat gezeigt, dass der Tod als eine Ver-wundung der Gemeinschaft der Lebenden begriffen w ird. Trauer-rituale bestehen daher aus zwe i Phasen. Zunächst treten die überlebenden Hinterbliebenen in eine Schwellen phase ein, die vom Alltags leben abgetrennt ist. In der zweiten Phase macht sich dann w ied er die Gesellschaft geltend, indem sie den Verstorbenen sym-bolisch erneut in sich einbezieht . Sie ersetzt den toten Körper durch einen Grabstein und tauscht damit den tatsächlichen Lei chnam durch ei n Bild und einen Text aus, die eine Erinnerungsfunktion er-füllen. Diese Rituale arbeiten also mit der Annahme, dass der Tod eine Erneuerung des Lebens ist. In seiner Besprechung der psychi-schen Aspekte des Tra uerns hat Freud se inerseits die These geä ußert, die Schwellenphase ähnl e einer melancholischen Psychose. Als Reaktion auf den Verlust eines geliebten Menschen klammern sich die Überlebenden nicht nur an den Verstorbenen, da sie nicht bereit sind, ihre psychische Besetzung dessen, was dahingegangen ist, auf-zugeben. Sondern weil die Trauernde sich der Fantasie hingibt, das, was tatsächlich verloren ist, sei für sie nach wie vor vorhanden, w ird die Wahrnehmung ihrer Umgebung auch von Halluzinationen über-

flutet . In Consolation Service verwendet Eija-Liisa Ahtila die dreiteilige Struktur derTrauerrituale als zentra le Metapher für ihr visue lles Na r-rativ über eine Scheidung. Der Film beginnt mit einer Erzählerin, die er-klärt, sie schreibe eine Geschichte über ein Paar, das beschlossen hat, sich zu trennen. »Es ist eine Geschichte über ein Ende«, erläutert sie, eine dreiteilige.

Der erste Teil, der Anni und J. P. beim Besuch ihres Familien-therapeuten zeigt, bereitet die Bühne für den Tod ihrer Ehe.lm zwei-t en wird die von ihnen gewünschte Trennung realisiert. Nachdem sie J. P.S Geburtstag im Haus eines ihrer Freunde gefe iert haben, be-ginnen sie ihren fata len nächtlichen Spaziergang über den gefrore-nen See. Als das Eis bricht, stürzen sie al le in s extrem kalte Wasser. Die halluzinatorischen Bilder Ann is, eines Schattens, der unter der Wasseroberfläche in einen Wasser-Hades treibt, visualisieren - be-gleitet von ihrem Off-Kommentar und demjenigen des Erzählers,die den Zustand der Zeit losigke it und des Orts ohne Grenzen beschrei-ben - Scheidung als Tod. Die Gleichgültigkeit und der Liebesverlust, die Anni in ihrer Ehe erlebt hat, werden nun von Bildern des an ihr vorbeig leitenden J. P.S verkö rpert. Sie haben jeglichen Kontakt zu -einander ver loren . Im Tod ist jeder al lein. Doch wie alle Erzählungen, in denen es um Trauer geht , erfordert auch diese Geschichte über ein Ende eine dritte Phase der Wiedergutmachung. Während Ann i nachts allein im Wohnzimmer über ihr sch lafendes Kind wacht, hört sie plötzlich, wie jemand ihr Heim betritt. Ihr Kummer über die Tren -nung von ihrem Mann hat zu einem Zustand übertriebener psycho-tischer Wachsamke it geführt. Da sie nicht mehr in der Lage ist, zwischen Halluzinationen und Wahrnehmungen im Wachzustand zu unterscheiden, glaubt sie, der Verstorbene sei zu ihr zurückge-kehrt. Zweima l erscheint J. P. auf magische Weise wieder vor ihr, doch als sie versucht, nach ihm zu greifen, schrumpft er zusammen und löst sich schließ lich in dunkle Farbflecke auf, als ob das Filmbild zer-fallen würde.

Als An ni bemerkt, dass dieses Gespenst ei ne Botschaft für sie hat, blickt sie den Mann, der für sie tot ist, einfach an, und als er sich vor ihr verbeugt, erwidert sie seine Geste der Achtung. Mit dieser Aner-kennung derTatsache, dass er von ihr getrennt ist, entlässt sie ihn in etwas, das wir dem Willen der Erzählerin zufolge als »eine Art >con-solation se rvice(<<, »eine Art Trostritual« deuten sollen. Die psychoti-sche Präsenz eines ver lorenen Ehemanns kann nun vol lständig verschwinden. Doch am Anfang dieser letzten Szene hatte Ahti las Kamera unsere Aufmerksamkeit bereits auf eine Fotografie des Paars aus glück licheren Zeit gelenkt, die auf dem Tisch neben der Couch

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steht. Dieses al ltägliche Bi ld des Verstorbenen, das an einen der Ver-ga ngenh eit angehörenden Ehebund erinnert, wird auch dann noch bleiben, wenn die halluzinierte Rückkehr des toten Mannes an ein Ende gekommen ist. Obwoh l der »consolation service« mit seiner Gleichsetzung von Scheidung und Tod den Prozess der Schl ießung und Wiedergutmachung in Szene setzt, nach der alle Trauerrituale ver langen, bereitet Aht il a zugleich die Bühnefür eine nachhaltige Heimsuchung auf der Ebene der visue llen Spuren, die auf der Lein-wand zurückbleiben. Damit erkennt sie nicht nur die allgegenwär-tige Arbeit des Todes inmitten des Lebens an, sondern auch im Herzen ihrer Aneignung des Mediums Fil m.

In all ihren bewegten Bildern von Geschichten, die sich bereits zugetragen haben, ziehen die Halluzinationen, die sie aufzeichnet, den Betrachter in den Schwellen bereich zwischen Leben und Tod, zwischen dem Eintreten des Todes und seiner ultimativen Wieder-gutmachung. Während das Ereignis des Todes einen Bruch mit dem Gewöhnlichen darstellt, der die Hinterbl iebenen dazu veran lasst, über ihre Beziehung zu dem Toten zu sprechen, muss die Schwel-lenphase des Trauerns, die ihrer Zeit der Bekenntnisse entspricht, an ein Ende kommen, damit sich der Al ltag w ieder erfolgreich Geltung verschaffen kann. Doch die bewegenden Geschichten, die Aht ila um diese Bekenntnisse herum konstruiert, erhalten implizit den Ant-agon ismu s aufrecht zwischen der beruhigenden Versicherung, dass sich der Alltag letztlich gegenüber dem Tod wieder ge ltend machen w i rd, und der Anerken n u ng der Tatsache, dass der Tod unweigerli ch se ine Spuren hinterlässt. Sch ließlich sind das fi lmische Bild und die Stimmen der Erzäh lerinnen nichts anderes als Spuren von etwas, das sich bereits zugetragen hat, auch wenn es im Film auf magische Weise wieder gegenwä rti g gemacht wird. Das Medium Film se lbst diktiert also, dass alle Wiedergutmachungsbemühungen fragil sind. Indem sie fragment ierte Narrative zusammenfügt, die dem Ereignis des Todes aus verschiedenen Blickwinkeln nachspüren, veranschau-licht Ahtilas id iosynkratische Verwendung des Mediums Film, dass die w iedergewonnene Ordnung von Brüchen, Lücken und Disjunk-tionen durchsetzt ist. Ihre Arbeit mit dem Tod profitiert bewusst von der Nähe zwischen der Herstellung einer psychotischen Realität und der Herstellung filmischer Bilder.

Ausgangspunkt ihres neuesten Films Where Is Where? ist die Spe-kulation, dass der Tod zwar allgegenwärtig ist, aber keinen festge-legten Ort hat. In dieser Geschichte über die Tötung eines jungen französischen Knaben durch seine beiden arabischen Freunde wäh-rend des Algerienkriegs fließen Ze iten und Orte ine inander und bre-

chen einander auf. Der Dichterin, deren Vision erforderlich ist, um dieses verhängnisvollen Ereignisses zu gedenken, erscheint der Tod des Nachts als schwarzgekleideter Mann mit weißgeschminktem Gesicht. Doch er betritt ihr Haus erst am nächsten Morgen, als ihre beiden Söhne sich auf den Weg in die Schule machen, und er tut dies zudem, weil er einige Worte von ihr benötigt. Auf ihre Frage, warum sie ihm diese geben solle, antwortet er ihr: »Damit Sie diese Zeit nach dem Tod konstruieren können, indem Sie in diesen Worten sind.« Doch die Halluzination, die ihre poetische Gabe hervorruft, indem sie in die Vergangenheit zurückkehrt und sie wieder gegenwärtig macht, dient auch dazu, die Gegenwart zu desorientieren. Ihre To-desarbeit ist nirgendwo, zwischen Europa und Nordafrika, zwischen den späten 1950er-Jahren und der Gegenwart. Doch sie schwebt auch zwischen ihrem persönlichen Versuch, die Ereignisse zu ver-stehen deren Zeugin sie nicht selbst geworden ist, und dem tat-sächlichen Eintreten des Todes, dem Massaker, das die Franzosen an den Algeriern begangen haben, sowie der Rache der beiden algeri-schen Jungen. Weil ihre Worte unabänderlich getrennt von diesem spezifischen Eindringen des Todes sind, bleiben wir im Bereich der gespenstischen Spekulation, die die stabile Ordnung des Alltags auf-bricht, auch wenn sie zugleich bestrebt ist, allen gewaltsamen Toden der Vergangenheit ein komplexes Denkmal zu setzen.

Tatsächlich erzeugt das Träumen des Dichters genau jene Fremd-heit, die für Maurice Blanchot der Verbindungspunkt zwischen der Arbeit des Todes und dem ästhetischen Bild ist: »Wo nichts ist, dort findet das Bild seine Bedingung, verschwindet aber auch in ihr.« Da ein toter Körper weder dasselbe ist wie die Person, die gelebt hat, noch etwas völlig anderes, besetzt er zwei Orte, nämlich das Hier und das Nirgendwo. Weder Teil dieser Welt noch abwesend aus ihr er-scheint der Leichnam nicht nur als der unheimliche Doppelgänger des Verstorbenen, sondern er steht auch in keiner Beziehung zu der Welt, in der er erscheint - außer in der eines Bildes, eines Schattens, der ständig hinter der lebe nden Form gegenwärtig ist, während diese lebende Form dabei ist, ein Schatten zu werden. Für denjeni-gen, der einen Leichnam anblickt, setzt dessen toter Körper einen Moment der Verdoppelung in Szene, der sich auf sich selbst zurück-wendet, um alle Verbindungen zu jedweder Außenwelt zu kappen. Doch indem er dies tut, spricht er jene Desorientierung an, die auch der Arbeit des Films eingeschrieben ist. Was laut Blanchot die Ähn-lichkeit des Leichnams mit sich selbst so verstörend macht, ist die Tatsache, dass sein Bezugspunkt letztlich nichts ist. Er macht »die Pn,itinn rlp"pn« ,irhth;:,r »IA/;:', hlpiht IA/pil p, pinp, nrtp, prm;:,n-

gelt«. So wie Verstorbene suchen uns auch bewegte Bilder von Ge-schichten, die sich bereits zugetragen haben, auf eine ganz spezifi-sche Weise heim. Blanchot zieht daraus den Schluss: »Man lebt nicht mit Toten bei Strafe, das Hier in einem unfassbaren Nirgendwo ver-sinken zu sehen«. Als wolle sie auf seine Behauptung antworten, ent-deckt Eija-Liisa Ahtilas Dichterin, dass der Versuch, in vergangene Todesereignisse einzutreten, in dem Bemühen, sie zu verstehen, nicht nurfestgelegte Identitäts-, sondern auch Raumkategorien un-geschehen macht. Dem älteren der beiden arabischen Jungen legt sie die folgenden Fragen in den Mund: »Ist derTod immer ein priva-terTod? Wo bist du, wenn du stirbst? Und wo ist wo?«

Der Tod öffnet einen Raum, wo das Persönliche unpersönlich wird, da sich derVerstorbene in ein Bild verwandelt, das sich jemand, der woanders und zu einer anderen Zeit lebt, aneignen kann. Das ist es auch, was das Medium Film macht. Es zeichnet die Arbeit des Todes nicht nur dadurch aus, dass es die Vergänglichkeit der Existenz in den Vordergrund rückt. Da Ahtilas Dichterin in ein virtuelles Reich der Bilder eintritt, in dem ihre Introspektion sich in eine Projektion verwandelt und die Filmerzählung Where Is Where? hervorbringt, löscht ihre Arbeit dem Tod jeglichen Bezug zu einem bestimmten Raum aus. Die Worte, die Ahtila und ihr Dichter dem Tod geben, wei-gern sich, seinen Sinn festzulegen. Weder urteilen sie noch versu-chen sie zu vergeben. Stattdessen verbeugen sie sich achtungsvoll vor dem Tod, veranschaulichen, dass der Todest rieb unsere Ge-schichte genauso eindringlich aufrechterhalten hat wie jedes Über-lebensstreben . Da wir mit der Arbeit des Todes konfrontiert sind, werden auch wir in das Nirgendwo gezogen, wo die Vergangenheit und die Gegenwart, das Andere und das Selbst, das Reale und das Fantastische, wo Zeitlosigkeit und Zeit aufeinandertreffen - wäh-rend des kurzen, flüchtigen und fragilen Augenblicks unseres Zu -schauens.

VERWENDETE LITERATUR

Maurice Blanchot, The Gaze ofOrpheus and Other Literary Essays, Barrytown 1981.

Elisabeth Bronfen, Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik, München 1994.

Paula Deitz, »Women on the Verge of a Very Finnish, Somewhat Cubist Breakdown«, in : The New York Times, 2. Oktober 2006.

Joan Didion, The Year of Magical Thinking, New York 2007.

Sigmund Freud, »Trauer und Melancholie« (1917), in: ders., Gesammelte Werke, Bd.10 (Werke aus den Jahren 1913-1917), Frankfurt am Main 1999, S. 428-446.

AmyTaubin, »Straight Out of Finland Comes a Brand-New Vision«, in: Film fnmmpnt C;;pntpmhpr/()k-tnhpr ?nn?

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