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Zeit schri ft fur angew andt e Chemie und Zentralblatt fir technische Chemie. XXII. Jahrgang. Heft 40. 1. Oktober 1909. 81. Versammlung dentscher Naturforscher und Lzte. Salzburg vom 19. bis 26. September 1909. Allgemeiner Bericht. Der BegruBungsabend, der die Teilnehmer an der diesjahrigen Versammlung Yonntag den 19. abends im Kurhaus zusaninienfdhrte, bewies, wie zu erwarten war, die groBe Anziehungskraft, I\ elche die Naturschonheiten des eihzig schonen Salzburger Landes auszuiiben vermogen. Nach der voraufgegangenen Regenperiode R ar jedermann freudig uberrascht, die Sonne imiiier sieg- reicher durch das Gewolk hindurchleuchten zu sehen. Wachdem schon Sonntag vorniittag die ge- schaftlichen Sitzungen des Vorstandes stattgefun- den. begann Montag die eigentliche Tagung. Allgemeine Sitzirng. Ylontag, 20. Pel teniber vormittags. Der Vors. Geh. Rat Prof. Dr. R u bn er er- offnet die Versammlung und erteilt Prof. Dr. F u g g e r - Salzburg das Wort zu BegruBungsrede. Nach ihm sprach LandesprLaident Graf S c h a f f - g o t t s c h als Vertreter der Regierung. E r wurdigte die Fortschritte des naturwissenschaftlichen Er- kennens und seiner Anwendung auf die verschie- densten Gebiete der Technik, die fur uns, nachdem wir uns erst die Wunder der Elektrizitiit dienstbar geniacht, zur Forderung des Verkehrs zu Wasser nnd zu Lande, nun auch das Reich der Liifte dem Verkehr zu erobern im Begriffe sei. Gleich dem Vorredner schloB er mit dem Wunsche eines guten Gelingens der Tagung. Unter den iibrigen Rednern erntete besonderen Beifall der Vors. des Salzburger Hochschulvereins, Dr. R a k u s , der den Teil- nehmern einen herzlichen, treudeutschen Willkom- mengruD widmete und mit warmen Worten den Wert deutscher Geistesarbeit pries sowie eine von seinem Verein herausgegebene Festschrift in Aus- sicht stellte. Der Vors. dankte fur die dargebrachten Will- kommemgruBe und legte die Hauptbestrebungen der Gesellschaft dar, deren Zweck es sei, alle Kriifte zusammenzuhalten im Gegensatz zu der verderb- lichen Spaltung in viele Einzelkongresse, eine Spal- tung, die sogar im Unterricht Zuni Ausdruck 'zu gelangen und durch Entfremdung der medizi- nischen von den anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen die Ausbildung zum Schaden des wissenschaftlichen Geistes zu benachteiligen drohe. Wie die Natur eine Einheit ist, so miissen Natur- forscher und &zte den gemeinsamen Pulsschlag des Lebem fuhlen und eifrige Diener der gemein- samen Sache sein. Einen weiteren wichtigen Zweck verfolge die Gesellschaft in dem steta betiitigten Bestreben, die Liebe zur Beschiiftigung mit der Natur durch populiire Vortrage in weite Kreise zu tragen sowie eine Vertiefung des naturwissenschaft- lichen Unterrichts zu erreichen. Nach ehrender Erwiihnung der Toten des vergangenen Jahres gab der Vors. einige Zahlen, die die erfreuliche Ent- wicklung der Gesellschaft erkennen LieBen, und sprach die Hoffnung aus, daR recht viele dem Bei- spiel T r e n k 1 e s nacheifern und durch ahnliche Stiftungen zur Losung wichtiger wissenschaft- licher Probleme beitragen niochten. Die sich hier- bei ergebende Frage, ob . die Entwicklung der Naturwissenschaften in der kommenden Zeit der bisherigen ebenbKirtig sein werde, bejaht Redner im Hinblick auf die xeitschauenden Probleme, die allenthalben an uns herantreten. Mit diesem Ausblick schlieBt der Vors. seine Ansprache und erteilt dils Wort zu den beiden Festvortriigen. H K a y s e r - Bonn : .,Die Entwicklung der Spektroskopie." England hat das Andenken K i r c h h o f f s in diesem Jahre festlich begangen. Redner mochte wenigstens seiner ds des Unserigen und seines Lebenswerkes in diesem Vortrag ge- denken. Und so gibt er in popularer Form ein Bild der Entwicklung der Spektroskopie, wie sie hinausgewachsen ist uber ihr ursprungliches An- wendungsgebiet in der Analyse, vor allem zur Entdeckung und Erkennung seltener Elemente, berufen, uns iiba den Bau der Stome und ihre Bewegungsvorgange Aufklarung zu geben sowie unsere Kenntnis bis zu den entferntesten Fix- sternen zu tragen, deren Zusammensetzung uns die F r a u n h o f e r schen Linien verraten, wSh- rend deren Lage und Verschiebung nach dem roten oder violetten Ende des Spektrums AufschluB gibt daruber, ob die Sterne sich auf uns zu oder von uns fortbewegen. Diese Beobachtungen bilden jetzt ein Hauptarbeitsgebiet des Astrophysikers. Auf dem gleichen Prinzip beruht auch die Be- rechnung der Geschnindigkeit und GroBe von um- einander sich bewegenden Doppelsternen, selbst wenn mit dem schiirfsten Fernrohr ihre Doppel- natur nicht zu erkennen ist. SchlieDlich schilderte Vortr. noch, waa die Spektroskopie zur Erkennung der Natur des fur uns wichtigsten Pixsternes, der Sonne, leistet, wie wir mit Hilfe der durch Konstruktion des Konkav- gitters ermoglichten photographischen Aufnahme der einzelnen Teile des Sonnenspektrums ein- dringen konnen in die Geheimnisse ihres innersten Kernes und der fruher ratselhaften Erscheinungen der Protuberanzen und der Corona, deren Spektrum auf ein hypothetisches Element, das Coronium. schlieBen lafit. I n uber 12 000, teilweise recht um- Eangreichen Abhandlnngen ist die Literatur uber das Gebiet der Spektroskopie- zerstreut, notgedrun- gen mu5te Vortr. daher nur das allerwichtigste 241.

81. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte. Salzburg vom 19. bis 25. September 1909

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Page 1: 81. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte. Salzburg vom 19. bis 25. September 1909

Zeit schri ft fur angew andt e Chemie und

Zentralblatt fir technische Chemie. XXII. Jahrgang. Heft 40. 1. Oktober 1909.

81. Versammlung dentscher Naturforscher und Lzte . Salzburg vom 19. bis 26. September 1909.

Allgemeiner Bericht. Der BegruBungsabend, der die Teilnehmer an

der diesjahrigen Versammlung Yonntag den 19. abends im Kurhaus zusaninienfdhrte, bewies, wie zu erwarten war, die groBe Anziehungskraft, I\ elche die Naturschonheiten des eihzig schonen Salzburger Landes auszuiiben vermogen.

Nach der voraufgegangenen Regenperiode R ar jedermann freudig uberrascht, die Sonne imiiier sieg- reicher durch das Gewolk hindurchleuchten zu sehen.

Wachdem schon Sonntag vorniittag die ge- schaftlichen Sitzungen des Vorstandes stattgefun- den. begann Montag die eigentliche Tagung.

Allgemeine Sitzirng. Ylontag, 20. Pel teniber vormittags.

Der Vors. Geh. Rat Prof. Dr. R u b n e r er- offnet die Versammlung und erteilt Prof. Dr. F u g g e r - Salzburg das Wort zu BegruBungsrede. Nach ihm sprach LandesprLaident Graf S c h a f f - g o t t s c h als Vertreter der Regierung. E r wurdigte die Fortschritte des naturwissenschaftlichen Er- kennens und seiner Anwendung auf die verschie- densten Gebiete der Technik, die fur uns, nachdem wir uns erst die Wunder der Elektrizitiit dienstbar geniacht, zur Forderung des Verkehrs zu Wasser nnd zu Lande, nun auch das Reich der Liifte dem Verkehr zu erobern im Begriffe sei. Gleich dem Vorredner schloB er mit dem Wunsche eines guten Gelingens der Tagung. Unter den iibrigen Rednern erntete besonderen Beifall der Vors. des Salzburger Hochschulvereins, Dr. R a k u s , der den Teil- nehmern einen herzlichen, treudeutschen Willkom- mengruD widmete und mit warmen Worten den Wert deutscher Geistesarbeit pries sowie eine von seinem Verein herausgegebene Festschrift in Aus- sicht stellte.

Der Vors. dankte fur die dargebrachten Will- kommemgruBe und legte die Hauptbestrebungen der Gesellschaft dar, deren Zweck es sei, alle Kriifte zusammenzuhalten im Gegensatz zu der verderb- lichen Spaltung in viele Einzelkongresse, eine Spal- tung, die sogar im Unterricht Zuni Ausdruck 'zu gelangen und durch Entfremdung der medizi- nischen von den anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen die Ausbildung zum Schaden des wissenschaftlichen Geistes zu benachteiligen drohe. Wie die Natur eine Einheit ist, so miissen Natur- forscher und &zte den gemeinsamen Pulsschlag des Lebem fuhlen und eifrige Diener der gemein- samen Sache sein. Einen weiteren wichtigen Zweck verfolge die Gesellschaft in dem steta betiitigten Bestreben, die Liebe zur Beschiiftigung mit der Natur durch populiire Vortrage in weite Kreise zu tragen sowie eine Vertiefung des naturwissenschaft-

lichen Unterrichts zu erreichen. Nach ehrender Erwiihnung der Toten des vergangenen Jahres gab der Vors. einige Zahlen, die die erfreuliche Ent- wicklung der Gesellschaft erkennen LieBen, und sprach die Hoffnung aus, daR recht viele dem Bei- spiel T r e n k 1 e s nacheifern und durch ahnliche Stiftungen zur Losung wichtiger wissenschaft- licher Probleme beitragen niochten. Die sich hier- bei ergebende Frage, ob . die Entwicklung der Naturwissenschaften in der kommenden Zeit der bisherigen ebenbKirtig sein werde, bejaht Redner im Hinblick auf die xeitschauenden Probleme, die allenthalben an uns herantreten. Mit diesem Ausblick schlieBt der Vors. seine Ansprache und erteilt dils Wort zu den beiden Festvortriigen.

H K a y s e r - Bonn : . ,Die Entwicklung der Spektroskopie." England hat das Andenken K i r c h h o f f s in diesem Jahre festlich begangen. Redner mochte wenigstens seiner d s des Unserigen und seines Lebenswerkes in diesem Vortrag ge- denken. Und so gibt er in popularer Form ein Bild der Entwicklung der Spektroskopie, wie sie hinausgewachsen ist uber ihr ursprungliches An- wendungsgebiet in der Analyse, vor allem zur Entdeckung und Erkennung seltener Elemente, berufen, uns i i b a den Bau der Stome und ihre Bewegungsvorgange Aufklarung zu geben sowie unsere Kenntnis bis zu den entferntesten Fix- sternen zu tragen, deren Zusammensetzung uns die F r a u n h o f e r schen Linien verraten, wSh- rend deren Lage und Verschiebung nach dem roten oder violetten Ende des Spektrums AufschluB gibt daruber, ob die Sterne sich auf uns zu oder von uns fortbewegen. Diese Beobachtungen bilden jetzt ein Hauptarbeitsgebiet des Astrophysikers. Auf dem gleichen Prinzip beruht auch die Be- rechnung der Geschnindigkeit und GroBe von um- einander sich bewegenden Doppelsternen, selbst wenn mit dem schiirfsten Fernrohr ihre Doppel- natur nicht zu erkennen ist.

SchlieDlich schilderte Vortr. noch, waa die Spektroskopie zur Erkennung der Natur des fur uns wichtigsten Pixsternes, der Sonne, leistet, wie wir mit Hilfe der durch Konstruktion des Konkav- gitters ermoglichten photographischen Aufnahme der einzelnen Teile des Sonnenspektrums ein- dringen konnen in die Geheimnisse ihres innersten Kernes und der fruher ratselhaften Erscheinungen der Protuberanzen und der Corona, deren Spektrum auf ein hypothetisches Element, das Coronium. schlieBen lafit. In uber 12 000, teilweise recht um- Eangreichen Abhandlnngen ist die Literatur uber das Gebiet der Spektroskopie- zerstreut, notgedrun- gen mu5te Vortr. daher nur das allerwichtigste

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herausgreifen, UN der Versammlung zu veran- schaulichen, daB wir noch immer im Anfang der Entwicklung dieser Materie stehen, und welch weit- tragende Probleme hier noch der Losung harren.

G. S t i c k e r - Bonn: ,,Die Bedeutung der G'e- achichte der Epidemien fur die heutige Epidemio- logic." Der iitiologischen Forschung ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, eine Reihe von Krankheitserregern, die friihere Jahrhunderte nur geahnt und vergeblich gesucht hatten, sichtbar zu machen, kiinstlich fortzupflanzen und zu iiber- tragen. Das bedeutet fiir die iitiologische Diagnose vieler Krankheitafiille und fur die Entwicklungslehre mancher Seuchen einen dauernden Gewinn , der heute klar vor aller Augen liegt.

Die Freude an diesen fruchtbaren EnMeckun- gen auf dem Gebieta der erregenden Ursachen hat nun die Beachtung der fur die Seuchenentatehung nicht weniger wichtigen Hilfsursachen ungebuhrlich in den Hintergrund gedriingt und einem Gedanken Vorherrschaft gegeben, der bedenklich zu werden droht. Es ist der Gedanke, bei den Infektions- krankheiten sei der Mensch allein oder wenigstens hauptsLchlich der Trager und Verbreiter des Krank- heitskeimes, jedenfalls die Hauptgefahr oder sogar die alleinige Gefahr fiir seinesgleichen; in der Aus- leae und Desinfektion der verseuchten und verdiich- tigen Menschen und ihrer Abgiinge, in der Uber- wachung und MaBregelung des Menschenverkehrs liege das neu enMeckte Geheimnis einer wirksamen Seuchenbekampfung.

Die Geschichte der Seuchen stimmt dieser Mei- nung nicht bei. Sie zeigt urn am Beispiel der Pest, daB die Gesetze, die, aufgebaut auf die vermeint- lich neue Lehre, unlangst fiir die Bekhpfung der gemeingefahrlichen und iibertragbaren Krankheiten bei uns erlassen wurden, fiir die Pest bereita von italienischen Staatsmiinnern dea 14. und 15. Jahr- hunderts geschaffen, von den anderen europiiischen Staaten und Stadten im Laufe der Zeit griindlich ausgeprobt, nbgeandert, erweitert und erst vor kaum einem Menschenalter wieder verlwsen worden sind, weil sie sich zuletzt in keiner Form mehr be- wiihrt hatten. Diese Gesetze, die von dem Grund- satz ausgingen, daB die Pest simplici puroque con- tagio verbreitet werde, und die man also kurz als Kontagionsgesetze bezeichnen darf, waren wiihrend der groBen Peat: des 14. Jahrhunderts nicht aus theo- retischen Spekulationen und Laboratoriumsexperi- menten, sondern aus der Not hervorgegangen; sie waren entatanden ab der Niederschlag reifer Erfah- rungen iiber die Pestgefahr, wie sie von auJ3en dem unverseuchtenLande drohte, und iiber die Pestgefahr, wie sie am verseuchten Orte selbst sich entwickelte und erhielt. Und darum waren sie zu ihrer Zeit zweckmiiJ3ig und notwendig. I n spLteren Pest- perioden verloren sie an Bedeutung, weil die epi- clemischen Hilfsursachen der Pest sich iinderten. An die Stelle der Seuchenformel im schwarzen Tode: Ubertragung des Peetsamens vom pesttragenden Menschen auf den Gesunden, simplici puroque con- tagio, traten im Laufe der Zeit andere ebemo in der Erfahrung begriindete Formeln, in denen mehr und mehr zum Ausdruck kam, daB der anklebende Peatsamen, der die Ansteckung bewirkt, triige sei und zur epidemischen Verbreitung nur mit Hilfe beweglicher Pestaameniibertriiger kime. Aliae causae pestem generantes, aliae propagantes.

Wiihrend der Pestaamen selbst immer der gleiclie blieb, konnten seine Trager und obertriiger, konnte 3ein nahrender Zunder nach Zeit und Ort wechseln.

Mit den Hilfsursachen iinderte sich dann auch die Zulanglichkeit vorher wirksamer MaBregeln. In den Epidemien des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen die Bedeutungslosigkeit der Menschen als Pestvermittler immer klarer wurde, drangen an vielen Orten Steatsmiinner und Brzte auf die end- liche Abschaffung aller Verkehrshemmungen und Kontumazen und wollten die Reinigung der ver- pesteten Orte, der pestfangenden Kleider, Geriitr, Haustiere, Waren, die sich neben der Menscheii- sperre und Menschenverfolgung ausgebildet hatte. ganz an ihre Stelle gesetzt wissen. Zugleich be- tonten sie die Notwendigkeit einer allgemeinen vor- sorgenden Haus-, Stall-, StraBen- nnd StUte- hygiene, die ebenfalls seit dem 14. Jahrhundert mehr und mehr sich entwickelt hatte. So verhielt es sich vor der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Pest nicht nur Europa verlieJ3, sondern -auch Agypten und uberhaupt die Levante, ihren alten Brutplatz, raumte.

I m Jahre 1894 beginnt fur die europaische Zi- vilisation eine neue Pestperiode. Die Seuchenfarmel fur diese Periode lautet bisher an allen Orten, wo die Pest epidemische Gewalt gewann: Der Pest- samen, der Pestbacillus, wird, wie in vielen fruheren Epidemien, unterirdisch vervielfaltigt, ehe er auf die Menschen gelangt, und zwar sind es besonders Ratten, die ihn tragen und verbreiten; von diesen geht er durch Flohe auf den Menschen iiber; da- neben gibt es eine Reihe kleinerer Ubertragungs- weisen, untm denen die Ubertragung von Mensch zu Mensch die seltenste und also fur die epide- mische Vervielfiiltigung des libels fast bedeu tungslos ist. Auf diese Formel, die im Juhre 1897 vom Redner zuerst aufgestellt worden und seitdem uber- all bestitigt worden ist, passen naturlirh die Kon- tagionsgesetze des 14. Jahrhunderts ganz und gar nicht mehr. Sie decken heute nirht den kleinsteii Teil der Seuchengefahr.

Im neuen deutschen Reichsseuchengesetz suclit der einzige $20, den das preuBische Gesetz wieder gestrichen hat, die groDere Gefahr zu treffen. -

Die Vielfaltigkeit und Wandelbarkeit der Seuchenformel gilt nicht nur fiir die Pest; sie gilt fur alle epidemischen Krankheiten, die wir heute, einer bequemen Abwehrtheorie ,:diebe, voreilig in eine einfache abgeschlossene Ubertragungsformel bringen mochten. Gegenuber solchen theoretisch- experimentellen Vergewaltigungen der Tatsachen lehnen historische Erfahrungen jede Dogmenbil- dung ab, mahnen mindestens zur Vorsicht. Nicht einmal f i i r die Seuchen, deren Erreger einem be- stimmten Generationswechsel unterworfen sind, wie der Malariakeim, oder deren Erreger auf zwei Boden angepalt scheinen, wie der Gelbfieberkeim, sind Nebenwege abseitv von der gewohnlichen ubertragungsweise und Vervielfiiltigung ausgeschlos- sen. Vie1 weniger noch fehlen sie bei den anspruchs- loseren Erregern der Cholera und des Typhus. Und sogar bei den Seuchen, die mit der engen Konta- gionsfotmel Mensch zu Mensch fiir gewohnlich ganz gedeckt werden, Lepra, Syphilis, Gonorrhoe gibt es hier und da einmal Wege zur epidemischen Ver- vielfiiltigung, die mit Kontagionagesetzen nicht ge- schlossen werden.

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Heft XXIL Jahrgang. Oktobsr lm] 81. Versammlung deutsoher Naturfora&er und iir5te 5a Sabburg. 1925

Der Versuch, mit anthropozentrisch-kontagio- nistischer Formel eine Seuchengefahr auszudrucken und mit entsprechenden MaDregeln sie abzuhalten oder auszurotten, ist erfahrungsgemal3 noch zu allen Zeiten miBlungen, selbst dann, wenn man die MaO- regeln mit jener Scharfe, die weder vor Vergewalti- gung der Personen noch vor Hausfriedensbruch zuriickscheut, durchgefiihrt und unter Todesstrafe durchzusetzen versucht hat. Hingegen haben die schlichten Anstrengungen, die sich darum kummer- ten, die iiuDeren Lebensverhaltnisse des Menschen unter Achtung seiner Person zu verbessern, jene groBen und stetigen Erfolge gebracht, die wir fur die Abwehr des Hungertyphus in PreuDen, fur die Malariatilgung am Rhein und in Holland, fur die Gelbfieberbeschriinkung in Brasilien, fur die Aus- rottung des Abdominaltyphus in Bayern kennen.

Kommt zu einer solchen stetigen Staatshygiene die Belehrung und Erziehung des Volkes in den ge- sundheiterhaltenden Tugenden, wie sie das jiidi- sche Volk an Stelle der Damonenfurcht von seinem Gesetzgeber empfing, dann ist die Menge wohl- beraten und der einzelne so weit geschiitzt., als es in dem gefahrlichen Unternehmen, das wir Leben nennen, moglich ist. In Seuchengefahr und in Seuchengangen selbst ist - das betont die Ge- schichte aufs eindringlichste - die ruhige Erhal- tung der Ordnung wichtiger a19 die Bekampfung des Seuchenerregers. [N. F. R. 2890.1

Mit der Naturforscherversanimlung war eine Ausstellung verbunden, die in den Gruppen Physi- kalische Apparate (Prazisonsmechanik), Medizi- niscli-chirurgische Apparate und Instrumente, Che- tniscli-pliarmazeutische Apparate und Praparate, Naturwissenschaftliche Lehrmittel, Hygiene und Bakteriologie, sowie Spezialausstellung der Kurorte und SommerfriFchen Salzburgs und Umgegend manche wichtige und interessante Neuheiten bot. Allgemeinstes Interesse fand vor allem der coffein- freie Kaffee der Kaffee ,,Hag" .4.-G. Bremen, die dem Kaffee seinen Coffeingehalt bekanntlich mit- tels Benzols entzieht. Die dargereichten Proben des sogar ails einer der hilligeren Sorten bereiteten Getrankes fanden allseitigen Beifall.

Von allen den verschiedenen seitens der Salz- burger Geschiiftsfihrung mit so vie1 Aufopferung und Umsicht veranstalteten Vergniigungen waren die am Mittwoch, den 22. nachmittags stattfin- denden, mit MilitLrkonzert verbundenen volks- tumlichen Vorfiihrungen ini Kaiser-Franz-Josef- Park von vornherein des groDten Interesses sicher. Begiinstigt vom denkbar schonsten Wetter nahm denn auch dieses Fest einen den Erwartungen ent- *prechenden Verlauf und wird allen Teilnehmern in angenehmster Erinnerung bleiben.

Am Donnerstag, den 23. vormittags 81/2 Uhr fand die Geschiftssitzung der Gesellschaft statt, der sich eine stark besuchte gemeinsame Sitzung der beideo Hauptgruppen anschlol3. Es sprachen

J. E 1 s t e r - Wolfenbittel: ,,Uber den gegen- rctirtigen Stand der Radiumforschung;" (Physikali- scher Teil). Der Vortr. schickte, um die dem radio- nktiven Gebiete ferner stehenden in etwas zu orien- tieren, unter Verzicht auf Pollstandigkeit jedem Teilabschnitte der radioaktiven Forschung einige entdeckungsgeschichtliclie Bemerku ngen ~ O T ~ U S und

Dezeichnete an der Hand neuerer und neuester Ver- jffentlicliungen die Punkte, bis zu welchen die :adioaktive Forschung vordrang. Dabei war es zu- 5leich sein Bestreben, die noch vorhandenen Lucken mseres Wissens auf radioaktivem Gebiete nach- lrucklichst hervorzuheben. [N. F. R. 2891.3

Darauf folgte der Vortrag: 0 t t o B r i 11 - Wien: ,,Bericht-uber den Stand

ier chemischen Radiumforschung. '' In seinem Vor- trage hob er zunachst hervor, welche Bedeutung ler R u t h e r f o r d schen Desintegrationstheorie Fur die Zusammenfassung aller radioaktiven Er- jcheinungen zukomme und wie fur diese Theorie in ieuerer Zeit auch chemische Beweise geltend zu machen seien. An der Hand zahlreicher Lichtbilder and Tabellen werden die hierher gehorigen Arbeiten von R a m s a y und seinen Schulern, namentlich ler Nachweis der kontinuierliclien Bildung von Helium aus Radium resp. aus Radiumemanation and schlieBlich der elegante Versuch von R u t h e r - E o r d und R o y d s besprochen, die niit Hilfe des von der Wiener Akadeniie generoser Weise zur Ver- Eiigung gestellten Radiums den d i r e k t e n Nach- weis dafur erbracliten, daD die Quelle dieses He- liums die beim Radiumzerfall weggeschleuderten hlphateilchen sind, die nichts anderes darstellen, sls elektrisch geladene Heliumatome.

In eingehender Weise werden unsere Kennt- nisse iiber die chemischen Eigenschaften der ra- dioaktiven Stoffe besprochen und gleichzeitig Vor- echlage gemaclit, wie diese Kenntnisse zu erweitern waren. Die Cliemie ist namlich in dieser Beziehung gegenuber ihrer Schwesterwissenschaft, der Physik, noch weit zuruck. Von allen den 29 neuen Ele- menten, die uns die Radioaktivitiit i r n Verlaufe des letzten Dezenniums als Zuwa.chs zu unserer Elementenliste von 85! bekannten Elementen be- chert hat, wissen wir fast nicht8 mehr als die Ki- netik ihres ZerfalLs, die Geuchwindigkeit mit welcher sie absterben, in andere Elemente ubergehen. Die meisten dieser 29 radioaktiven Stoffe wird man nie in grol3eren Mengen als etwa Bruchteilen von Milligrammen erhalten konnen und es fehlen der Chemie noch die Yethoden, urn niit so geringen Stoffniengen chemisches und physikalisch-cheini- sches Verhalten bestiinmen zu konnen. Der Ausbau der M i k r o c h e tn i e ist. also hier znnachst die wichtigste Aufgabe. Annahernd untersucht sind von allen dieseii Elementen nur das Radiutn und die Radiumemanation. R a d i u ni ist allerdings im freien Zustande, als Metall, noch nie hergestellt worden, sondern nur in seinen Salzen bekannt,. Da aber in den letzten Jahren G u n t z die Erdalkali- metalle, zu deren Gruppe auch das Radium gehort, zu isolieren gelehrt hat,, ist als sicher anzunehmen, daD es nach analogen Methoden gelingen wird, auch R a d i u m ni e t a 11 herzustellen. Eine Aufgabe, die zum Programm des kiinftigen Wiener Radium- inst.ituts gehort. In diesem Zusainmenhange wird auch ubcr die Arbeiten von iM m e. C u r i e iiber das Atomgewicht des Radium und neue, bisher un- puhlizierte Versuclie des Redners iiber dasselbe Thema berichtet. Von der R a d i u m e ~n a n a - t i o n kennen wir nach den neuesten Arbeiten von R n n i s a y , R u t h e r f o r d und anderen den Siedepunkt und die kritischen Daten. Von den an- deren radioktiven Elenlent,en kennen wir nur sehr wenige chemisehe Eigenschaften. Auf Grund

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1926 81. Versammlung deubscher Nrtturforeeher und Arste zu Saizburg. [ a n ~ ~ ~ ~ & ~ ' & & , e ,

derselben versucht Redner diesen Elementen ihre Pliitze im ,,periodischen System der Elemente" an- zuweisen und denionstriert bei dieser Gelegenheit eine neue Anordnung des Systems.

Was die chemischen W i r k u n g e n der ra- dioaktiven Strahlungen betrifft, so hebt der Redner hervor, daB in das Wirrwarr der ungemein zahl- reichen hierher gehorigen Erscheinungen und PhL- nomena sofort Klarheit. kommt, wenn man die Ef- fekte der einzelnen Strahlengattungen streng von- einander unterscheidet. Die ,,a-Strahlen", die langsame mit doppelten elektrischen Ladungen versehene Heliumatome sind, uben naturlich ganz andere Wirkungen aus als die harteren ,&Strahlen", die nichts anderes sind, als mit Lichtgeschwindig- keit fortgeschleuderte Elektronen, und diese wieder andere als die durchdringenden ,,y-Strahlen", die dern Wesen nach Atherwellen sind. Im allgemeinen kann man resumieren, daR die Wirkungen der a- Strahlen ahnliche sind, wie die der ,,stillen elektri- schen Entladung" , die P-Strahlen sich verhalten wie ungeheuer konz. ultraviolettt: Strahlen, und daR die y-Strahlen ganz die Eigenschaften der RGntgen- stralilen haben.

Wird man, die physikalische Beschaffenheit der verscliicdenen Strahlen strenge im Auge behal- tend, die Effektc der einzelnen Strahlengattungen gesondert und isoliert sorgfaltigst studieren, ein Prinzip, gegcn das h i s h e r namentlich in der Medizin vie1 gesiindigt wurde, so darf man ehrlich hoffcn, daR es gelingen wird, die ,,Winder" fiir die gesunde u n d kranke Menschheit wohltatig und nutzlich zu machen. [X. F. R. 3157.1

Zum SchluR sprach F r a n z E. S u e B : ,,Uher Claser kosmischen

Ursprungs. " Die altere Meteoritenkunde unter- echeidet Meteoreisen und Meteorsteine. Die letzte- ren sind fast ausschlieRlich krystallinische Silicate, und irn Gegensatz s u den Gesteinen der Erdober- fliche sind die kieselsaurearmen Verbindungen von Kalk, Magnesia und Eisen vorherrschend, die kiesel- saurereichen Tonerde- Alkali-Silicate, welche auf der Erdoberflache die erste Rolle spielen, wurden in den Meteoriten nicht vorgefunden. Abgesehen von der Schmelzrinde und den von dieser ausgehenden In- jektionsadern nimmt unkrystalline, glasige Sub- &anz nach alterer Annahme nur einen verhlltnis- maRig geringen Anteil an der Zusammenset,zung dcr Meteoriten.

Nun erganzt sich die Petrographie des Himmcls nach einer Reihc von eigentiinilichen SchluWfolge- rungen durch einc Gruppe von Korpern, welche im wesentlichen verschieden ist von allen friiher an- erkannten Lroliten, und deren Herkunft durch lange Zeit ein Ratsel gewesen ist. Es sind krystall- freie Gkser, in deren Substanz die kieselsaurereich- sten Tonerde- Alkali-Silicate vertreten sind. Sie wird als die Gruppe der T e k t i t e an die alteren Grup- pen der Aroliten angeschlossen und nach den Fund- gebieten werden drei wohl unterschiedeiie Unter- abteilungen diescr Gruppe benannt. Die M o 1 d a - v i t e fanden sich im Gebiete der Moldau, siidlich von Budweis, spater auch in Miihren, auf den Plau- teauhohen zur Seite der Iglava, unterhalb Tre- bitsch. Die zweite Unterabteilung, die B i 11 i - t o n i t e , liegen in den Zinnseifen der Insel Billiton -und an anderen entfernten Punkten des Sunda- nrcliipels. Das Pundgebiet umfaBt Entfernungen

von 200-300 kin. Die dritte Gruppe, die A u s t r a- 1 i t c sind an einzelnen Fundpunkten, in Entfer- nungen von tausenden von Kilometern iiber den ganzen Siiden des australischen Kontinentes ver- streut.

Die Objektc sind in chemischer Hinsicht ein- ander sehr Lhnlich; es sind ganz reine Glliser mit schon gruner oder brauner Farbe, durchscheinend. Bei den Moldaviten herrschen rein griine, bei den auBereuropiiischen Glasern nichr braune Parben- tone vor.

Hochst eigentiimlich, und in jedem Falle sehr charakteristisch ist die Gestalt der Korper. Die Australite haben die Form einseitig eingedruckter Kugeln oder Tropfen und tragen offenkundig die Anzeichen eines raschen E'luges oder Falles durch die Atmosphare an sich, wahrend sie sich in eineni zahfliissig aufgeschmolzenen Zustande befanden. Die M o 1 d a v i t e , yon denen bereits hundert- tausende gefunden wurden, und die seinerzeit reich- liche Verwendung als Schmucksteine in den boh- mischen Schleifereien gefunden haben, sind zum groRen Teile, wie sich leicht nachweisen laRt, Scher- ben und Bruchstiicke einer grofieren Glasniasse. Die sehr eigenartige Oberflachenskulptur dieser Korper, bestehend aus groWeren und kleineren Kerben und Gruben in bestimnltcr Anordnung, oft mit sternformiger Zeichnung an den Flachen, laOt sich nicht erklaren durch irgend welche Vcrwitt,c- rungs- oder Abrollungsvorgange; zunachst scheint sie am besten deutbar als Wirkung einer atniosphl- rischen Korrosion, wahrend des enorm raschen Fluges durch die Luft, vergleichbar den Eindriicken der sog. Piezoglypten auf der Oberflache der Ke- teoriten.

Schon seit mehr als hundcrt Jahren beschaf- tigten sich die Gelehrten mit der Frage nach der Herkunft der Moldavite. Das Fehlen irgendwelcher junger, vulkanischer Erscheinungen oder sonstigrr Gesteine, van denen man hatte diese Gliser her- leiten kiinnen, fiihrte nlanche Forscher zu der An- nahme, daB die Moldavite nichts anderes waren, als alte Schlacken und Zufallsprodukte ohemaliger Glashiitten. Dagegen wendeten sich aber. selir bald die Chemiker, denn ein Glas von so holierri Tonerde- gehalte und so hoher Schmelzbarkeit konnte, init einfachen Mitteln nicht hergestdlt werden. Uber- haupt sind die Mischungsverhaltnisse der Stoffe in den Tektiten ganz die der natiirlichen Silicat- gcsteine, und nicht die dcr kiinstlichen Gliisar. Dic. UmstLnde, die eigenartige Gestalt der Objekte, die Reinheit des Glases, in dein irgendwelche Einschliisse niemals angetroffen werden, ferner auch ihr Auf- treten in jung tertiaren und diluvialen Bblagerun- gen und Gegenden, welche erst in den letzten Jahr- hunderten von kultivierten Menschen besiedelt wurden, schliel3en eine Deutung als Kunstprodukte vollkommen aus.

Aber auch die Herleitung von irdiachen Vul- kanen st.oRt auf uniiberwindliche Schwierigkeiten. Sie gleichen keinem der bekannten Typen vulka- nischer Auswiirflinge und treten in der Nahe von Vulkanen nur in den seltensten FLllen und augen- scheinlich ganz zufallig auf, dagegen sind sie in Entfernungen von vielen Hunderten von Kilometern von irgendwelchen vulkanischen Erschei nungen in grol3er Zahl ortlich gehauft.

Dagegen fugt sich die Deutung der Tektite a13

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II'ett ~ ~ n i ~ J ~ ~ ~ ~ f l m ] 81. Versammlung deutsoher Naturforsoher und h t 6 5u Salzburg. 1927

kosmische Korper, so sehr sich diese Glliser in jeder Hinsicht von den friiher anerkannten Meteoriten unterscheiden, ganz gut in die Reihe von Vorstel- lungen, welche man an diese Korperrgekniipft hat.

Zunachst sei hervorgehoben, daB sie zum groBen Teil mehr oder weniger deutlich die An- zeichen eines Fluges durch die Luft an sich tragen. In neuerer Zeit wurde sogar ein vereinzelter, ahn- licher, kleiner Glaskorper auf der Insel Schonen in Schweden gefunden, welcher mit einer diinnen Schmelzkruste, iihnlich jener der Meteorsteine von Stannern bei Iglau, umgeben ist.

Man faBt bekanntlich die Meteoriten als Triim- mer von Planeten auf, und hat nach D a u b r 6.e s geistreichen Ausfiihrungen aus ihrem Bestande und auch aus den neueren Erfahrungen iiber das. Ge- wicht der Erde geschlossen, daB die inneren Teile der Erde aus Nickeleisen bestehen, wie die Eisen- meteorite. Die Steinmeteoriten repriisentieren eine nachste H a l e von basischen Gesteinen, vergleich- bar den irdischen Olivingesteinen, Gabbros usw. Wenn wir an der Parallele mit der Erde festhalten, so ist kein Grund zu sehen, warum unter den Me- teoriten nicht auch die sauren Silicate, welche ja die herrschenden Gesteine der Erdoberflache sind, vertreten sein sollten. I m Gegenteil, wir sollten dieselben erwarten, ale die Vertreter der obersten glasig eratarrten Zone, als die eigentlichen Schlak- ken zu den1 Eisenkern, und zwar miiBten wir er- warten, dafi sie am schnellsten als Gliaser erstarrt und wie die iibrigen Meteorit~en waaserfrei sind. Die Tektite erfiillen diese Erwartungen.

Bind die Tektite nach ihrer chemischen Zu- sammensetzung unverkermbar als Naturprodukte charakterisiert, so diirfte sich dennoch kaum ein irdisches Gestein finden lassen, welches einem der Tektite in chemischer Hinsicht vollkomnien gleicht. Irdische Eruptivgesteine von ahnlich hohem Kiesel- sauregehalte (70-80 Gew.-%) ent.halten niemals ein SO hohes Ubergewicht der Oxyde von Eisen, Kalk und Magnesia gegeniiber den Oxyden der Al- kalien. Der Kaligehalt ist gegenuber dem Natron in allen Tektiten auffallend hoch. Ein Verhaltnis zwischen Kalk, Kali und Natron, wie in den Molda- viten, wird in irdischen Magmen niemals angetrof- fen; [Molekularprozente:

K,O : Na,O : CaO = 3 1 8 : 11'10 : 5 2 4 2 1

bei diesen ist, es Regel, daB der Natrongehalt zugleich mit dem Kalkgehalt zunimmt. Es hangt dies mit den Different,iationsvorgLngen in grijBeren Eruptiv- korpern zusammen. Die Differentiationsfolge in den Magmen verlauft im allgemeinen parallel rnit der Kryst,allisat.ionsfoIge. Bei Abspaltung der Mischun- gen benegen sich die Restandteile des Plagioklases Calcium und Natrium in gleicher Richt.ung und t,rennen sidi 10s yon Bestandteilen des Kaliumfeld- spates. a n l i c h e Vorgange ktmnten sich in den rasch eretarrten kleineren Weltkorpern, denen die Tektite entst,ammen, nicht vollziehen; so diirfte es sich erklaren, daB die Mischungen der Stoffe in den Tektiten nicht denselben Gesetzen folgen, wie in den irdischen Eruptivgesteinen.

Die Steinmeteoriten verwittern bekanntlich sehr rasch. Auch die Eisen vergangener Epochen sind liangst der Oxydation anheimgefallen. Die Gl&ser blieben uns seit der Tertiiirzeit erhalten. Sie erinnern uns daran, dal3 wir den MeBstab unserer

alltaglichen Erfahrung nicht anwenden konnen auf die Beurteilung kosmischer Ereignisse. Sie er- ziihlen uns von enormenKatastrophen, denen gegen- iiber die beobachteten Meteoritenschwarme (z. B. hunderttausend Stuck9 bei Pultusk) verschwinden. Sie geben uns Kenntnis von einem Regen von Moldit- vitscherben, der iiber eine Strecke von hundert- fiinfzig Kilonietern uber das siidliche Bijhmen und Miihren verstreut wurde, auch dies mag noch ein bescheidenes Ereignis gewesen sein, im Vergleirli zu dem Hagel von gliihenden Glastropfen, der sich zur Diluvialzeit eines Tages iiber den ganzen Siiden des australischen Kontinentes ergossen hat.

Am Nachmittage fanden dann getrennte Sitzungen der beiden Hauptgruppen statt. In der

Sitzung der naturwissensehaftlichen Hauptgruppe

sprach F. B e c k e : ,,Die Entstehung dea krystallinen

Gebirges. " Der Vortr. begrenzte seine Aufgabe dahin, zu zeigen, was chemische und mikroskopische Ge- steinsuntersuchungen beigetragen haben zur Auf- stellung der jetzt geltenden Ansichten iiber die Entstehung des krystallinen Gebirgea oder der kry- stallinen Schiefer. DaI3 die krystallinen Schiefer nicht, wie man wohl friiher annahm, einer be- stimmten alten Formation (der sog. archaischen oder azoischen Formation) angehiiren, ist fest- gestellt. Es gibt auch junge krystallinische Schiefer.

Nach ihrer chemischen Zusammensetzung lassen sich unter den krystallinischen Schiefern zwei Gruppen unterscheiden: die eine, deren -the- mischer Bestand denselben Gesetzen gehorcht, a i e der Chemismus der Erstarrungsgesteine (oder Erup- tivgesteine), und eine zweite Gruppe, die diesen Ge- setzen nicht gehorcht, die in ihrer Zusammenset- zung den mannigfaltigen Sedimenten sich ver- gleichen lassen. Der Vortr. erortert diese Verhlltnisse an Diagrammen, die das Verhiltnis der drei Stoff- gruppen: Si, U ( = A l + F e + M g ) , L ( = C a + N a + K ) in den Gesteinen zur Darstellung bringen.

Die krystallinen Schiefer von Sedimentcharak- ter zeigen Mineralgemengteile, die in Erstarmngs- gesteinen nienials vorkommen konnen. Aber auch die den Erstarrungsgesteinen entsprechenden kry- stallinen Schiefer weichen im Mineralbestand ab von der bei den Erstarrungsgesteinen iibliohen Norm, und in vielen Fallen zeigt sich eine Tendenz zur Ausbildung von Gemengteilen mit hohem spe- zifisbhen Gewicht. I n den krystallinischen Schie- fern streben die Stoffe der Krystallisation im klein- sten Raume zu (Volumgesetz). Dies wird noch be- sonders durch die Betrachtung der Feldspate in den krystallinischen Schiefern erlautert, und die Neigung zur Ausbildung von Albit mit dem Volum- gesetz in Zusammenhang gebracht.

J e nachdem bloB albitreichere Mischungen von Kalknatronfeldspat oder fast reiner Albit auf- tritt, lassen sich zwei Gruppen von krystallinischen Schiefern unterscheiden, von denen die erstere durch das Fehlen oder Zuriicktreten, die zweite durch das reichliche Vorhandensein wasserhaltiger Gemengteile charakterisiert ist. Erstere sind bei hoheren Temperaturen, letztere bei niederen Tem- peraturen entstanden, erstere in groderer Tiefe, letztere in geringerer Tiefe unter der ErdoberfGche krystallisiert. Zwischen beiden Gruppen gibt ea netiirlich ubergiinge.

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Die Struktnr der krptallinen Schiefer deutet auf gleichzeitiges Wmhsen samtlicher Gemengteile unter dem EinfluB gerichteter Druckkriifte (Pres- sung). Diese allein vermag aber krystallinen Schie- fer nicht zu erzeugen; es muB hohere Temperatur, sei es durch Mitwirkung yon magmatischer Intru- sion (Mitwirken von Kontaktmetamorphismus) oder durch Versenken in groBe Tiefe unterhalb der Erd- oberfliiche (Regionalmetamorphismus) hinzutreten.

Am Freitag, den 24.19. vormittags, fanden als- dann mit der

Zweiten sllgemeinen Vereammlung die wissenschaftlichen Verhandlungen ihren Ab- schluR. Es sprach

W i e b: n e r : , ,uber den Lichtgenup der Pflan- Zen.<' Vortr. hat sich das biologische Problem der Beziehungen zwischen Licht und der Pflanee als Art und Einzelindividuum zum Gegenstand spe- ziellen St,udiums erwkhlt. Jede Pflanze braucht zum Gedeihen ein gewisves Minimum des Licht- genusses, das sich photometriscli iuessen 1aBt. Die Sonne hat nicht die Aufgabe. die Pflanze zu be- st,rahlen, ihre giinstigste Wirkung entfnltet sie durch die auf die Pflanze von allen Seiten eindringenden cliffusen Strahlen. Eine Reihe interessanter Geset.2- rna8igkeiten hat man durch solche Messungen wfgefunden, und man ist auf dem Wegc dazu, diese Gesetze nuf Pflanzenkultur nutzbringend an- zawenden. [R. 3158.1

Aktuelles Interesse beanspruchte der folgende Vortrag von

A. P e n k: , ,Die Erreichung des Nordpols." Ausgehend von dem Streite der Meinungen iiber die alarmierenden Nachrichten von den Erfolgen C o o k s und P e a r y s , war Vortr. der An- sicht, daR man allerdings diese Nachrichten bislang rnit Vorsicht aufnehmen miisse. Er priizisierte dann die Forderungen, die man an einen ah voll-

giltigen anzusehenden Beweis der wirklichen Er- reichung dea Nordpols stellen musse. Dabei kam er zu dem SchluB, daB alle auch noch so haufig ausgefuhrten Breitenbestimmungen nicht den Ver- dacht beseitigen konnten, daB diese Bestimmungen bloB errechnet wiiren. In Anbetracht dessen, daB der Nordpol im Meere gelegen ist., sei der Bemeis viel- mehr nur zu erlangen durch Lotungen in der Gegend des Nordpols, durch genaue Angnbe der eingeschlagenen Richtung und der Art und Weise, in der diese ermittelt wurde, endlich durch magne- tische Messungen, die unter Berucksichtigung des sakularen Schwankungen eine Kontrollc pestatten wurden, eine Aufgabe, die niemnls in einttin Wett- rennen nach dem Pole gelost werden konntv.

Zum SchluR sprach: 0. F r i e d 1 n d e r : ,,Uber den antiken PUT-

pwr.'' Da wir diesen Vortrag in kurzem ausfuhrlich bringen werden, konnen wir hier darauf verweisen.

Ausfliige nach Reichenhdl, in die hohen Tauern, nach St. Wolfgang (Scliafberg), sowie nach Berchtesgaden und Konigssee beendeten die schonen Tage. Neben der wertvollen Anregung, die die Teil- nehmer aus den wissenschaftlichen Verhandlungen mitnahmen und der bleibenden Erinnerung an die Naturschonheiten des Salzburger Landes und seiner weiteren Umgebung, sei vor allem die groBe Bedeu- tung hervorgehoben, die dem nahen Verkehr und personlichen Meinungsaustausch mit den ijster- reichischen Stammesbrudern zukonimt. Haben uns doch diese Tage wieder einmal vor Augen ge- fiihrt, von welchen Gefahren hier die freie wissen- schaftliche Forschung bedroht ist. Aber wir wissen auch, dal) man entachlossen ist, darum nlit aller &aft zu kimpfen. Und jeder der Teilnehmer ver- liiljt den Ort der diesjiihrigen Versammlung mit neu entfachter Sympathie fiir diesen Kampf, der letzten Endes ja auch der uneerige ist.

Abteilungssitzungen der naturwissenschaftlichen Hauptgruppe. Abteilung IV.

Chemie einschl. Elektroehemie. 1. S i t z u n g , am 20. September nachmittags.

E. B u c h n e r ; , ,ober die Zuckerapallung bei drr nlkolwlischen Qarung." Bei Znckervergarungen diirch zellfreien HefepreDsaft koqnte in manchen Fallen Bildung, in anderen Verschwinden von zu- geset.zter Milchsaure festgestellt werden. Nach neuen nusfuhrlichen Versuchen, die ebenfalls wieder ge- meinsam mit Prof. J. M e i s e n h e i m e r ausge- fuhrt wurden, tritt aber mit lebender untergiiriger Bierhefe (Rasse 792 in Reinkultur) weder Abnahme, noch Neubildung von Milchsiiure ein; nur in soda- alkalischer Losung, ohne NLhrstoffe und bei Luft- gegenwart wird Milchsaure zerstort unter Kohlen- clioxyd-, aber ohne Alkoholproduktion, was auf As- similationsvorgange hindeutet. Diese Ergebnisse spreclien also gegen die Annahme, daD Milchsiiure selbst das hypothetisohe Zwischenprodukt vor- stellt (Ubereinstimmung mit S 1 a t o r). Nun tauchte

die Vermutung auf, daB vielleicht eine nalic Vor- stufe der Milchsaure, welche gewiihnlich in Alkohol und Kohlendioxyd gespalten, unter Umstanden aber auch in Milchsiiure umgelagert werden konnte, das fragliche Zwischenglied bilde, namlich entweder Methylglyoxal oder Glycerinaldeh yd oder Dioxy- aceton. Das Verhalten dieser drei Stoffe, Celche jetzt dank der Arbeiten besonders von W o 11 1 und von B e r t r a n d in reiner Form zugiinglich ge- worden sind, gegen HefepreDsaf t war folgendes: der erste wurde nicht vergoren und verursachte bald Braunfarbung und Gerinnung des Saftes, der zweite zerfiel in l%iger Losung nur sehr langsani in Al- kohol und Kohlendioxyd, wogegen sich bei Zunatz von 2% Dioxyaceton zu PreDsaft nach 5 Tagen ebensoviel Kohlendioxyd entwickelt hette (auch die Entstehung von Alkohol ist dabei erwiesen), a h mit der gleichen Menge Glucose. Letztere vergart schneller, wahrscheinlich, weil das angewandte Di- oxyaceton anfangs bimolekular gelost ist. Ebenso zeigte sich lebende untergiirige Hefe imstande, Di-

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oxyaceton veraiiltnismiirjig rasch zu zerlegen. B e r t r a n d , der nur sehr langsame Vergkung erzielen konnte, scheint keine geeignete Heferasse verwendet zu habea.

Auch andere Tatsachen weisen ad Dioxyaceton als daa geauchte Zwischenprodukt hin. Wie weit eine Untersuchung des Botanikers B o y s e n J e n s e n in Kopenhagn, der kurzlich das Auftreten von Di- oxyaceton bei der alkoholischen Garung direkt nachgewieaen haben will, vor der Kritik dea Che- mikers bestehen kann, l iSt sich vor Erscheinen der ausfiihrlichen Mitteilung nicht beurteilen.

H a n s M e y e r - h a g : ,,Uber Anhydride aroma- tischer Sulfoaauren." Beider Einwirkung von Thionyl- chlorid auf die aromatischen Sulfosiiuren werden als primare Reaktionsprodukte die Anhydride

2'0 R . SO R . 50,'

erhalten, schon krystallisierende, farblose und geruch- lose Substanzen von unscharfem Schmelzpunkte, die gegen Wasser bemerkenswert bestandig sind.

Diese Anhydride gehen durch Alkohole und Amine in die entsprechenden Derivate uber, weitere Einwirkung von Phbsphorpentachlorid oder Thi- onylchlorid fiihrt sie in die Skurechloride uber.

Prof. Dr. E. L i p p m B n n berichtet iiber eine von Dr. F r i t z S c h m e r d a in seinem Lab- ratorium ausgefiihrte Untersuchung :,, ober Hexa- benzymhan und seine Derivde." Da man durch Nitrieren und nachfolgende Reduktion einea Kohlen- wasserstoffs von der Zusammensetzung des Tri- benzplmethans zu einem homologen Leukanilin also auch Rosanilin gelangen konnte, hat seine Darstellung besonderes Interesse.

Zu diesem Zwecke bildeten sowohl das a i - benzylcarbinol1) sowie dessen Chlorid auch Bromid willkommene Ausgangspunkte.

Zuniichst wnrde daa Carbinol in eisessigseurer Losung mit Zinkstaub in der Warme behandelt, spiiter bei Gegenwart von Salzsiiure. I n beiden Fiillen resultierten ausschliefilich Schmieren. Leitet man Salzsiiuregas in eine alkoholische Carbinol- losung, so erhalt man das bei 145"(unter Zer- setzung) schmelzende Chlorid (C5H5)3CCl. Die Dar- stellung des analogen Bromids gelang mittels Phos- phorpentabromid. Carbinol wie Bromid in mole- kulrsren Mengen l i iD t man 6 Tage, in absolutem Ather geliist, verkorkt stehen, wobei das gebildete Rromid sich ausscheidet. Dasselbe wurde ge- reinigt am Aceton oder Ligroin. umkrystallisiert. Man erhielt so ein sandiges Krystdlpulver, S. 157, dessen Analysen auf die Formel C,,H,,Br gut stimmen. Ausbeute 30y0 der Theorie.

Weder durch Sub&itution des Broms in dieser Verbindung, noch durch Erhitzen mit Benzol im Druckrohr bei 260" konnte das erwunschte Ziel erreicht werden.

Die Reduktion des Carbinols mit Jodwasser- stoff konnte mit Erfolg ausgefuhrt werden. 8 g Carbinol wurden im Druckrohr mit 10 ccm rauchen-

1) K 1 a g e s u. H e i 1 In a n n Berl. Berichte 31, 1447.

Ch. 1809.

Ier Jodwasserstoffsiiure von der Dichte l,96 ca. I Stonden auf 200" erhitzt. Der Rohreninhalt m r d e mit verd. Bisulfitliisung geschiittelt und Ictnn ausgeathert. Nach dem Trocknen des Aus- zuges destilliert, erhielt man eine gelblichweilk Krystallmasse, die nach dem Umkrystallisieren am Aceton und Eisessig bei 80181" schmolz. Die Elementaranalyse ergab C '92,34, H 7,04%. Tri- benzyliithan enthilt C 92,30, H 7,69%, Hexaben- zyliithan C 92,63, H 7,36%.

Die Entscheidung zwisghen beiden Formeln konnte nur . durch eine Molekulargewichtsbestim- mung herbeigefiihrt werden. Die Moleknlarge- wichtabestimmung mittels der Gefrierpunktsernied- rigung entschied zugunsten dea hochmolekularen Kohlenwaaseratoffs (.C,H,),CC(CH,),. In 18,984 g Eisessig wurden 0,2196 g Subst. gelost, bierbei wur- den Erniedrigungen von 0,080" beobachtet, wo- ram man560,6 berechnet. Theoriefiir CMH4, = 570

2C(C,H7)3HO + 2HJ = 25 + 2H2O + (C,H,),C--C(C,H7), .

Bei der fraktionierten Krystallisation aus Aceton, Eisessig erhielt man als Nebenprodukt Dibenzyl S. 51-52, was durch die Analyse kontrolliert wurde.

C(C,H,),HO + 4HJ = CBH6(C*H5) + CiaHic + H& + 45.

Die Ausbeute an Hexabenzyliithan betragt 5606 der theoretischen. Bei langsamer Ausscheidung aus Ligrdin beobachtet man groDe durchsichtige Prismen S 81". Siedepunkt bei 746,3 mm und 16" mittels Stickstoffthermometer 354-358' N i t r i e - r u n g . Das Hexanitroderivat, C44H36,(N02)4, wurde erhalten, als man in 16 g in Eis abgekiihlte Sal- peterssure (1,475), welche turbiniert wurde, 2 g fein zerriebenen Kohlenwasserstoff im Laufe von 2 Stunden eintrug. Die gereinigte, aus Methyl- dkohol umkrystallisierte Substanz erweichte bei 75", bei 115" trat Zersetzung ein.

R e d u k t i o n . Dieselbe w d e durch Er- hitzen von 4 g Substanz mit 80 g rauchender Jod- wasserstoffstiure (spez. Gew. 1,96) im Rundkolben mit angeschliffenem Kuhler ausgefiihrt. Die ben- zolische Losung wurde in Ligroin gegossen, wo dann die Substanz als gelbliches Pulver, das bei 6k" sinterte, sich bei 105" zersetzte, erhalten wurde. Das hieraus dargestellte Chloroplatinat gab bei der Analyse etwas zu hohe Platinzahlen, welche seiner leichten Reduzierbarkeit zugeschrieben werden miissen.

J. v. B r a u n : ,,9yntheae m Octo-, Deka- und Dodekamethylenverbidungen der Fettreihe." Im AnschluB an friihere Synthesen von 1,4-Dihalo- genverbindungen des Butans, 1,5-Dihalogenverbin- dungen des Pentans, 1,tLDihalogenverbindungen dea Hexans und 1,7-Dihalogenverbindungen dea Heptans hat sich der Vortr. bemiiht, anch die Di- halogenverbindungen der Homologen des Heptans mit endstindigen Halogenatomen zugiinglich zu machen, und es hat sich gezeigt, daI3 dies leioht ge- iingt, wenn man die W u r t z s c h e Synthese auf die Homologen des Jodphenetola J(CHZ),OC5H6 ubertriigt. Jodphenetol selbst liefert zwar nech Versuchen von H a m o n e t wit Natrium kein Di- phenoxybutan C&O(CH~)40C&6 und der Jod-

242

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1930 81. Versammlung deutscher Naturfor8ohe.r und Arste 5u Salsburg. [ a n ~ ~ ~ $ ~ ~ a ~ m , a

propylphenyhther J(CH,)BOC6H5 geht nur sehr un. vollstandig in Diphenoxyhektan C,H,O( CH2)40C6H, uber; steigt man aber zu hoherenHomologen herauf, so werden die Ausbeuten immer besser: Jodbutyl- phenylather J( CH,),OCGH, , Jodamylphenylather J(CH2),0C',H, und Jodhexylphenylather J( CH,), OCsHs, die nach friiheren Versuchen des VortS. ziemlich leicht dargestellt werden konnen, liefern daa Diphenoxyoktan C,H50(CH2)60C6H5, Diphen- oxydekan C,HSO(CH2),,0CGH, und Diphenoxydo- dekan C~HsO(C!Kz)lzOC~H5 rnit einer Ausbeute von ca. 65, 75 und SO0& und aus diesen Dilthern lassen sich mit Hilfe von Halogenwasserstoffsauren die Dihalogenverbindungen [NB. mit HJ die n i - jodide J(CH,),J(Kp. 180" unter -13 mm), J(CH,),,J (Kp. 30") und J(CH,),*J (Kp. 41 ")I erhalten. Diese eroffnen ihrerseits den Zutritt zu einer lingeren Reihe hohermolekularer Fettverbindungen.

[N.. F. R. 2892.1 ,, Uber hydrolytische Spaltungen

s&gen dlkaliseifenlosungen snd die Fettandyse." Unter Zusatz

von Phenolphthalein alkalimetrisch scharf neutra- lisierte alkoholische A1 kaliseifenliisungen laisen bei Alkoliolstiirken von weit iiber 40Vol.-'Y, noch beach- tenswert,e hydrolytische Abspalt,ungen von Olsiiure, Stearinsaure usw. erkennen, wenn man die Losungen mit Benzin, Benzol o. dgl. schiittelt. Diese Losungs- mittel bringen Storungen im Gleichgewicht der Komponenten der Seifenlijsung durch Herauslosung sehr kleiner Mengen hydrolytiscli abgespaltener Fettsaurereste hervor und geben dadurch Veran- lassung zur Neubildung von freien Alkali- und Fettsaureresten. Die Menge der herausgelosten Fettsauren wlchst mit. der Menge des Benzins und nimmt mit, der Zuriickdrangung der Ionisat,ion des fettsauren Alkalis durch Anwendung starkeren Alkohols ah, bei grol3eren Alkoholstarken z. B. iiber 80% verschwindet die Erscheinung ganz. Inwieweit die beobachteten Stijrungen der Neutra- litat der Seifenlosung durch die Hinzufiigung des Benzins auf die alkohollosende Eigenschaft des 1et.zt.epen zuriickziifiihren ist, sol1 noch naher gp- priift werden.

Man d ~ f llierriach bei Titrierpngen von hoch- niolekularen FettnLuren ziir Molek bestiminung oder z u anderen fet Zwecken, sofern niclit gleichzeitig dur Lauge zersetzliclie Seifen, z. B. Kalkseifen, vor- liegen, zwecks Erzielung genauer Ergebnisse nur im homogenen Losungssystem, z. B. Alkohol, Benzin - abs. Alkohol, At,lier abs. Alkohol usw. oder im iiihomogenen System, z. B. Benzin - Alkohol nur dann arbeiten. wenn der Alkohol wenigstens 80 gewichtsprozentig ist. Zu den Titrie- rungen der freien Silure enipfiehlt es sich, stark alkoholische Laugen (Alkohol 9B Vol.-yo) zu be- nutzen. Die Feststellung von K a n i t z 1) , da13 im hornogenen Losungssystem Slkoholwasser bei Zusatz von 40% ,4lkohol die alkalimetrisch fest- stellbare Hydrolyse von fettsauren Alkalien verlundert wird, ist 4 s zutreffend bestiitigt wor- den.

A. S k i t a : , ,Uber Naphthen und Naphthen- ~

1) Berl. Berichte 36, 400, (1903)

sauren." S a b a t i e r hatte bekanntlich Dioxyde des Kohlenstoffs zu Methan reduziert,, inclem er diese Gase geineinsam mit Wasserstoff bei Tempe- raturen von 200400" iiber Nickel leitete. 3 h n konnte daher erwarten, da13 aucli die orgariisclieri Derivate dieser Kohlenoxyde, in erster Linic die Aldehyde und Ketone, auf diwe Art ebenfalla in die entsprechenden Kohlenwasserstoffe umgewan- delt wiirden. Die Versuche ergaben, dal3 sowohl gesiittigtewieungesattigte aliphatische und zyklische Ketone die korrespondierenden Kohlenwasserstoffe lieferten, wenn auch oft. in so kleiner Menge, da8 sie bisher der Aufmerksamkeit der Forscher meist ent- gingen. Wahrend z. B. D a r z e n bei der Reduk- tion des Mesityloxyds nur die Anwesenlieit des Methylisobutylketons feststellte, fand T'nrtr.. da13 dieses Keton noch das Methylisobutylcarbinol somie das Methylpentan lieferte, nach dem Reduktioils- schema

-CH =CH-CO-; -CH2-CH2-C0--; -CH2-CHZ-CHOH-; -CH,-CH = C H - ;

-CH,-CH,-CH,--.

Dic zyklischen Ketone lieferten u. a. die Kohlen- wasserstoffe, welclie mit denen des kaukasischen Erdols identisch sind, so z. B. das Hem-, Heptil- und Oktonaphthen. Die Recluktionen verlaufen alle vollstiindig monomolekular, sowolil uriter dem EinfluB von Nickel als Katalysator ills auch n i i t Paladiumhydrosol. Es entstehen also nicht. die H a r r i e s schen bimolekularen Diket.one mie bei den anderkn Reduktionen der ungesiittigt,en Ke- tone.

Die Caxbonsiluren dieser zyklischen Ketone lieferten TetrahydrobenzoesLuren, die mit Amyl- alkohol und Nat,rium in Hexahydrobenzoesauren umgewandelt wurden. Man erhLlt so Sauren, welche isomer sind niit den Naphthensauren, die aus dem kaukasischen Petroleum nit. Alkali abgetsennt. jiihrlirh etwa in einer Menge VOR etwa 400 t, in Form von Natronseifen heute noch als fast. wertloses Nebenprodukt abfallen, etwa w-ie der Teer vor noch nicht, 100 Jahren. Die Wiener Petroleuni- raffinerie G u s t. a v W a g e ni a n n hat,tr schon im Jahre 1874 die Aufmerksamkeit auf dime Siiuren gelenkt, die dann Zuni erstenmal vnn H e 1 1 Rr. M e d i n g e r untersucht wurden. Allein weder diese noch spktere Arbeiten. und besonders von A Y e h a n und M a r k o w n i k o f f hrac.ht,en die gewiinschte Aufklarung iiber die Konstitution dieser Sanren, welche die russischen Forxher als CarbonsLuren, B r u h n und Z a 1 o c i e c z k y als Lactonalkohole bet.rachteten. Auffassungen, welche niit der Theorie von E n g 1 e r iiber die Ent- stehung des Erdols in guter Ubereinsti~n~nung stehen. Vortr. destillierte ein Gemiscli der Naph- thensiiuren in Form der Methylester wid scliied die Hept,a-, Okto- und Nononaphthencarbonsaure BUS dem nestillat ab. Die Carboxylgrnppe wurde nachgewiesen durch uberfiihrung der SHurcAn in clie Chloride mittels Thionylchlorid ferner diircli die Herstellung von Farbstoffen, die ails den Ainino- aniliden der Naphthensauren erhalten wurdeii.

Wie M e r 1 i n g zuerst gezeigt hat., lassm sich Zyklohexenone mit Phosphorpentachlorid in Chlor- :iexadiene uberfiihren, cliese lronnte V0rt.r. init

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l.J$ygc$ 190B.] 81. Versammluag deutscher Naturforscher und Arzte zu Salzburg. 1931 -- -

Anipl~lkohnl und Natriuni in die hexahydrierten Benzole reduziereii. Auu dem Carbonester des Dr- iiiethglzykloheuylen~~lzyklol~e~~lens entstand auf diese Weise eine neue Hexahydro-m-rylylsiiure und aus der p-xylyl- saure durch Reduktion eine neue Hexhydro-p- xylylsaure. Die Siedepunkte dieser Sauren und ihrer Athylester sowie die der Isomeren von N o y e u , W. H. P e r k i n und Z e l i n s k y her- gestellten Sauren stimmen mit dem der Okto- naplithencarbonsanre gut uberein, so daR, da Pentamethylene niedriger, Heptamethylene holier sieden, es als wahrscheinlich angesehen werden muD, daD der Hepta- und Oktonaphthencarbon- saure der Sechsring zugrunde zu legen ist, eine Anschauung, die in einigen Lehrbuchern in Frage gestellt worden ist. Die Ansiclit 0 g 1 o b i n s , daB die Naphthene eine Klasse fur sich seien, die mit den hexahydrierten Benzolen nichts zu tun hat, ist abzulehnen. Bisher liegt weder ein theo- retischer Grund noch eine praktische Veranlassung clazu vor, daran zu zweifeln, dal3 die Naphtliene und. deren DeriviLte eininal im Sinne der €3 a y e r - schen cis-trans-Isomerie des Hexamethylens ihre vollstandige Deutung finden werden.

Die Frage B e c k m a n n s , welche Ergeb- nisse die Molekulargewichtsbestimmung fur die Entgcheidung, ob mono- oder biniolekulare Reak- tion vorliege, ergeben habe, beantwortete Vortr. dahin, daB diese fur eine monnniolekulare Reaktion spreche.

[N. F. R. 3135.1 W. S u i d a : ober die Beschaffenheit der Wolle

und die hydrolytischen Vorgange beim Farben der- eeiben." Keratin gehijrt nach der Art seiner hydro- lytischen Spaltungsprodukte zur Klasse der EiweiB- korper und in die Unterabteilung der Albuminoide. Aus der Verschiedenheit in den Mengenverhalt- nissen dieser Spaltungsprodukte je nach der Pro- venienz des Keratins ist zu schlieBen, daB dieses mannigfache Varietaten aufweist. Auch bei gleicher Provenienz kommt es noch auf Alter, Reinheitsgrad usw. an, wie auch zweifeyos Klima und sonstige Lebensbedingungen der Keratin erzeugenden Tiere auf dieses Produkt von EinfluB ist. Will man daher vergleichbare Versuche anstellen, mu13 man sich eine hinreichend groBe Quantitat der gleichen Wollsorte, die man der gleichen Reinigungsmethode unter- wirft, verschaffen. Xus Verf. Versuchen uber das Verhalten der unter grofien VorsichtsmaDregeln (Vermeidung hydrolytischer Prozesse) gereinigten Wolle gegen Farbstofflosungen geht helvor , daD die Vorgange beim Beizen und Fiirben von Schaf- wolle mit sauren Beizen oder sog. direkt ziehenden Farbstoffen einerseits in der sofort beginnenden Hydrolyse der Wolle infolge der notwendigen Ope- rationen und andererseits in der Bildung mehr oder weniger schwerloslicher chemischer Verbindungen der eauren oder hasischen Gruppen der Wolle mit den entsprechenden basischen oder sauren Restand- teilen der Beizen oder Farbstoffe beruhen. Da der Vortrag demnachst im vollen Wortlaut in dieser Z. veroffentlicht werden sol1 , konnen wir betr. Enzelheiten hierauf verweisen.

[N. F. R. 2948.1

Abteilung Va. Angewrudte Chemie und Nahrungsmittel-

notersuchung. 1. S i t z u n g , am 20. September

nachmittags.

T h. P a n z e r : ,,Uber den Qeruch des 8eefisch- fleisches." Untersuchungen von Seefischen (Merlu- cius), wie sie in Eis cerpackt in Wien zu Markte ge- bracht werden, haben gezeigt, daB deren Fleisch nennenswerte Mengen con I n d o 1 enthLIt. Dar- &uf ist wohl der eigentliche Geruch dieser Seefische zuruckzufiihren, da andere fluchtige Stoffe sich nur in auBerst geringer Menge vorfanden.

0. v. F u r t h - Wien : ,,Uber die. Darstellury und quantitative Bestiinmung des reinen Urobilins und des Urobilimgens." (Nach Versuchen von Dr. i. C h a r n a s.) Das Urobilin ist nicht nur gegen- grobere chemische Eingriffc, wie Saur,e- und Allmli- einwirkung in der Warnie, sondern auch gepen die dauernde Einwirkung sog. indifferenter Losungs- mittel, wie Alkohol, Chloroform usw. sowie gegen Belichtung LuDerst enipfincllich; es wird besonders seine Farbekmft durch derartige Prozeduren in hohem Grade beeintrachtigt. Die bisher geiibte Met,hode der s p e k t r o p h o t o ni e t r i s c h e n B e s t i m m u n g des Urobilins, welche auf die Z e f s e t z 1 i c h k e i t desselben keine ausreichende Rucksiclit nahm, kann daher zu keinen verlaW- lichen Resultaten fiihren.

Die R e i n d a r s t e l l u n g iind q u a n - t i t a t i v e B e s t i m m u n g des Urobilins ge- lingt nur auf dem Wege seines Chromogens, des U r o b i 1 i n o g e n s. Die tf ber f u h r u n g d e s H a r n u r o b i l i n s i n U r o b i l i n o g e n ge- lingt auf chemischem Wege am besten durch Reduktion mit Natriumamalgaui in Sodalosung und im $ohlensiiurestrome. Noch leichter und bequerner erfolgt die Umwandlung durch Ein- leitung der alkalischen Harngarung bei Brutofen- temperatur. In der Regel erfolgt dabei innerhalb 24 Stunden eine vollstandige Ummandlung des Urobilins in Urobilinogen.

Durch ein einfaches Verfahren (Ansauern des Harnes mit Weinsaure, Btherextraktion, Besei- tigung fremder Farbstoffe durch Petrolather) ge- lingt es leicht., v o l l i g f a r b l o s e U r o b i l i - n o g e n 1 6 s u n g e 11 herzustellen.

Aus derartigen Losungen kann durch einen auBerst schonenden Vorgang (Belichtung, Aus- salzung, AlkoholbehiLndlung bei niederer Tempe- ratur, Einengen ini Kathodenvakunm) reinstes Urobilin gewonnen werden.

Im Gegensatze zu der bihser gultigen An- nahme, da13 das von V i e r o r d t fur das Hydro- bilirubin erniittelte Absorptionsverhaltnis auch der quantitativen Bestimmung des Urobilins zugrunde gelegt werden durfe, ergab sich fiir reines Uro- bilin als Ma13 seiner Farbekraft ein Extinktions- vermogen, welches dasjenige des Hydrobilirubins von M a 1 y um etwa das Dreifache iibertraf, und darf das nach obigem Verfahren gewonnene Uro- bilin als das r ei ns t e b i s h e r d a r g e s t e 11 t e P r ii p a r a t dieses Farbstoffes angesehen werden.

Die q u a n t i t a t i v e B e s t i m m u n g des Urobilins gelingt mit Hilfe der E h r 1 i c h schen Farbenreaktion mit Dimethylamidobenzaldehyd

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1932 81. Versmnmlung deutscher Naturfor8ohe.r und Arste 5u Salsburg. [ an~~~$~ftm!m,a auf spektrophotometrischem Wege, jedoch nur unter genauer Einhaltung gewisser Kautelen. Die spektrophotometrische Bestimmung kann durch eine kontrolliert oder ersetzt werden, wobei das Urobilinogen durch Belichtung in Urobilin ubergefiihrt und letzteres zur Wigung gebracht wird.

Es ist zu hoffen, dall durch Ausarbeitung eines brauchbaren Verfahrens zur quantitativen Bestimmung des Urobilim eine feste Basis fur eine systematische Bearbeitung einer Reihe physio- logischer und chemischer Fragen gewonnen worden ist, und da5 namentlich auch das Problem, unter welchen p a t h o 1 o g i s c h e n B e d i n g u n g e n die Urobilinausscheidung im Harne vermehrt ist, und welche d i a g n o s t i s c h e n S c h l i i s s e der Kliniker aus einer solchen Vermehrung ziehen diirfe, seiner Losung niiher gebracht werden wird.

S. F r ii n k e 1 - Wien: ,, Uber Gehirnchemie, sowie Phosphtide verschiedener Organe." Es ist dem Vortr. mit einer Anzahl von Mitarbeitern ge- lungen, ein neues Verfahren auszuarbeiten, nach dem, ohne Veranderungen am chemischen Charak- tmrder Substanzen die verschiedenen von ihm auf- gestellten Gruppen fast quantitativ voneinander getrennt und noch weiter entmischt werden konnen. Dimes Verfahren nennt er das Verfahren der frak- tionierten Extraktion. Es werden trockene Gewebe, insbeaondere Gehirn vorerst- mit warmem Aceton und dann mit leicbt siedendem Petrolither, weiter mit Benzol, schlieBlich mit absolutem Alkohol ex- trahiert. Es wurde nun gefunden, daB das Gehirn des Menschen zu zwei Dritteln aus extrahierbaren Substanzen (Lipoiden) und nur zu einem Drittel aus Eiweillkorpern besteht. Der Gehalt verschie- dener Organe an solchen Lipoiden ist sehr verschie- den. Gehirn und Ei gehiiren zu den reichsten, Pan- kreas zu den armsten. Im Gehirn bestehen diese extrahierbaren Substanzen fettiihnlicher Natur (Li- poide) zu 17% aus Cholesteriu, zu 48,29y0 aus un- geaiittigten Phosphatiden und zu 34,48% aus ge- sattigten Phosphatiden, Sulfatiden undsphingogalah- tosiden. Der Hauptkorper der ungesiittigten Gruppe im Gehirn des Menschen ist das Kephalin, ein Mono- aminomonophosphatid sehr stark ungesiittigter Na- tur, ein hydrophiles Kolloid mit anodischer Kon- vektion von ungemeiner Sauerstoffaviditiit. Das Kephalin vermag anorganische Salze in groBen Mengen in organische Losungsmittel hineinzulosen. An seinem Baue ist Palmitinsiiure, eine monomethy- lierte stickstoffhaltige Substanz und eine Glycerin- phosphorsaure beteiligt, welche von der bekannten, aus Lecithin darstellbaren durch die entgegenge- setzte Drehung differiert. Aus den verschiedenen Geweben wurde eine Reihe neuer Substanzen dar- gestellt und, soweit es moglich war, deren Konsti- tution ermittelt. So &us dem Eidotter ein Triamino- monophosphatid, das Neottin C84H172NSP016. Diesesist ein gesiittigtes Phosphatid, gibt bei der Hy- drolyse Cerebronsiiure, Stearinsiiure, Palmitinsiiure, nur ein Stickstoffatom ist in Form von Cholin damn enthalten. Aus der Niere wurde eine kephalin- artige Substanz, ein stark ungeslittigtes basisches Triaminodiphosphatid, C78H1S3NSP2021, und ein ungesattigtes Diaminomonophosphatid erhalten. Das Triaminodiphosphatid ist ein basischer Korper, welcher Salzsaure addiert, nur zwei von den drei

g e w i c h t s a n a 1 y t i s c h e

Stiokiitoffatomw sind in Form von Cholin ent- halten. DaaDiaminomonophosphatid,C34H,4N2P010, enthalt eines von den Stickstoffatomen in Form von Cholin. Ee zeichnet sich durch sehr kraf! tige Reduktion von Methylenblau aus. Aus Rinder- pankreas wurde ein nngesiittigtea Phosphatid. C,2Hs4NP0,, mit einem Stickstoff und einem Phos- phor gefunden, welches Myristinsiiure abspaltet. und eine Base, welche vier Methyle an Stickstoff enthilt. Im Pferdepankreas aber ist diese Sub- stanz nicht zu finden, sondern ein gesattigtes Tetra- aminomonophosphatid. Die verschiedenen Organe enthalten sehr verschiedene Mengen von Lipoideii oder Phosphatiden.

Die Lipoidmengen in verschiedenen Gehirnen schwanken, und zwar schwanken sie in derselben Tierklasse mit der Entwicklung des Individuums und schwanken und differieren au5erordentlich in. verschiedenen Tierklassen. Lipoidmengen in ju - gendlichen Gehirnen sind relativ geringer, als in denen Erwachsener, Die Mengen der ungesattigtcn Verbindungen scheinen in jugendlichen Gehitnen besonders gering zu sein. Bus den vergleichenden Untersuchungen verschiedener Organe ziehen wir den SchluB, daB jedes Gewebe bei demselben Tiere mehrere, aber nach verschiedenen Typen gebaute und von denen der mderen Organe verschiedene Phosphatide enthalt. Diese Phosphatide sind anschei- nend spezifisch fiir das bestimmte Gewebe. Sehr wichtig ist die Beobachtung, da5 dasselbe Organ bei verschiedenen Tieren untersucht, differente Li- poide oder Phosphatide enthilt. Diese L i p o i d - s p e z i f i t a t d e r G e w e b e und die S p e z i - f i t a t d i e s e r L i p o i d e f u r d i e T i e r a r t steht mit dem physiologischen Umstande im Zusani- menhang, da5 die verschiedenen Gewebe aus dem Kreislauf verschiedene Stoffe aufnehmen und ev. assimilieren. Die Spezifitit der pharmskologischen Wirkung chemischer Substanzen auf ganz bestimmte Zellgruppen in den Geweben steht in innigem Zu- sammenhange mit der von F r ii n k e 1 und seinen Mitarbeitern gefundeneq Lipoidspezifitiat der Ge- webe. Andererseits wird sich daraus erkllren, waruin dieselbe Substanz in verschiedenen Tierklassen vet- schieden oder verschieden stark wirkt.

Die ungesattigten Verbindungen, insbesondere die Gruppe der Kephaline, stehen in besonderen Beziehungen zur Gewebeatmung und Sauerstoff- aktivierung infolge ihrer grollen Sauerstoffaviditat. Die groBe Mannigfaltigkeit der Lipoido und ihre Verschiedenheit in verschiedenen Organen und Tier- arten wirft vielleicht ein Licht auf die Bedeutung dieser Substanzen fiir die spezifischen Immunsera.

P r e g 1 : ,,Uber ein gemeinsames Sbbauprodukt der d7ei spezifischen Gallensawen." Die drei spezi- fisclien Gallensawen sind Cholalsaure, Choleinsaure und Desoxycholsaure. Letztere beiden, die Vortr. als erster rein dargestellt hat, charakterisieren sich durch ihre verschiedenen Schmelzpunkte von 187 und 173" als Isomere. Bei det Oxydation mittels Chromsiiure in Eisessig liefern sie wiederum Isomere. Die aus Desoxycholsliure entstehende Dehydro- choleinsiiure schmilzt bei 184", die aus Cholein- saure gebildete bei 176".

Oxydation mit Salpetersiiure liefert hingegen sowohl aus Cholalsaure, f iir deren Reindarstellung

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= Jshrgpng. Bssch: Darnpfkesselchemie. 1933 Eel't40. 1. Oktoher lW.1

Vortr. ein besonderes Verfahren angibt, wie aus den beiden anderen Gallensiiuren ein und dmselbe Produkt vom Fp. (unkorr.) 324" (korr. 335") sowie vom gleichen Drehungsvermogen (+ 35,5') Mole- kulargewicht 372 entsprechend C, sH,sC8. Es stellt eine vierbasische S u r e dar. I n den Mutterlaugen befindct sich ein leichter loslicher Korper der For- me1 C22H,,010 vom Fp. 240" (fiinfbasische Saure). Vortr. gibt dann noch seine Amchauungen uber die wahrscheinliche Struktur der Gallensiiuren kund, die er durch eigene sowie die Ergebnisse anderer Forscher erhartet. Danach bestehen sie zunachst aus zwei hydrierten, durch eine aliphatische Kette verbundenen Ringen mit einer doppelten Bin- dung, an deren einen noch ein dritter angelagert ist, so daD als Grundsubstanz folgender Korper an- zusehen ist :

\

\-/ \-/-\ / \-/.

-/-\-/-\

Abteilung Vb.

4grikullurchemie und landwirtsehaftliehes Ver- suehswesen.

1. S i t z u n g , Montag, den 20. September nachmittags

R e i t m a i r : ,,Die BlattrolZkrankheit der KartoffeE." Das Wesen der Krankheit ist noch nicht erforscht. Auch die Definition bedarf noch der Vervollatindigung. Die Triebe der von blatt- rollkranken Pflanzen stammenden Knollen zeigen Anomalien. Die ersten Wurzeln eind gekriimmt und kummerlich entwickelt bei gelblicher Farbe. Die Erniihrungsverhaltnisse sind von groBem Ein- fluB auf die Entwicklung der Krankheit. Ob Fusarien die Erreger sind, ist nicht sicher, da sie nicht immer nachgewiesen werden konnen. Eine Uberwachung der Pflanzstationen wiire zur Ver- ringerung der Ausbreitungsgefahr zu empfehlen.

A. S t u t z e r : , ,New Erfahrungen, den Kalk- stickstoff betreffend." In Vegetation befindliche Gerste wird beim Ausstreuen von Kalkstickstoff geschiidigt, Hafer nicht. Grund diirfte entstehende konz. Ca(OH)z-I,osung sein, gegen deren Wirkung inanche Pflanzen durch einen natiirlichen Wachs- uberzug geschutzt werden.

Kalkstickstoff galt friiher fiir Hochmoorboden fur unanwendbar. Versuche des Verf. haben das Gegenteil bewiesen.

Aufbewahrung in den iiblichen Doppelaacken ist noch zu beanstanden, auch das Stiiuben des Produktes h i m Ausstreuen ist noch recht lilstig, auch bei dem mit Mineral01 benetzten ist dieser tbelatand nicht ganz beseitigt. Dann macht Vortr. noch Mitteilung von den Bestimmungsmethoden, besonders zur Bestimmung des Cyanamids und Dicyanamids nach C a r o s Vorschlag, dessen Arbeit d e m n k b t in unserer Zeitschrift erscheinen mird.

PchluB des Berichtes folgt im nachsten Heft.

Dampf kesselchemie. Von Dr. E. E. BASCH.

(Eingeg. 14.5. 1909.)

0. N. W i t t - Berlin hat beim VII. Inter- nationalen KongreD fiir angewandte Chemie in London (1909) iiber die ,,Anwendung des biologi- schen Begriffs der Evolution auf die Fortschritte der angewandten Chemie" gesprochen. Als Aus- gangspunkt diente der Gedanke, da13 dacr Entwick- lungsgesetz nicht nur auf lebende Pflanzen und Tiere anwendbar ist, sondern auf alles, was wachsen, sich veriindern und sich verbessern kann, also auch auf die Wissenschaften im allgemeinen und auf die engewandte Chemie im einzeleun) Referat : Diese Z. 29, 1105 (1909). Auch die Entwicklung der chemischen Industrie werde beherrscht . von den biologischen Gesetzen der Anpassung, des bkonomie- prinzips, der Symbiose usw. Die wissenschaftliche Chefnie sei verhaltnismaBig neu, die angewandte Chemie jedoch bestehe seit undenklichen Zeiten. Versuch und Erfahrung waren die ersten Weg- weiser in dem langsamen Gang ihres allerdings sicheren Ausbaues, aber die moderne chemische Wiasenschaft sei ein vie1 schnellerer Fuhrer ge- worden. Sie erklare alte Tatsachen und weise neue Wege.

Diese allgemeinen Bemerkungen gelten fur jeden einzelnen Zweig der Industrie. Von einem derselben, fiir dessen Wichtigkeit schon seine Aus- dehnung spricht : von der D a m p f e r z e u g u n g handeln die folgenden Ausfiihrungen. Seit Ein- fuhrung der Dampfmaschine hat die Bedeutung der Dampferzeugung besttindig zugenommen. Nun hat der Kesselbetrieb so zahlreiche Beriihrungs- punkte mit der Chemie, daB das lange Fernbleiben der chemischen Arbeit auf diesem Gebiete einiger- maDen auffallen muB. Entwicklungsgeschicht- lich ist diese Vernachlassigung erkliirlich. Die Dampferzeugung spielt trotz ihrer Unentbehrlich- keit im Rahmen des ganzen Fabrikbetriebes sach- lich nur die Rolle eines Nebenprozesses. Ihre Wirt- schaftlichkeit wurde erst in unserem Zeitalter der Industrie zu einet Lebensfrage, als Arbeitsliihne uncl Kohlenpreise - beide infolge der Nachfrage - bestandig stiegen und reger Mitbewerb zu iiul3erster Sparsarnkeit in allen Teilen der Fabrikation zwang. Da nun das Bediirfnis gegeben war, begann auch hier zuniichst das empirische Suchen nach Ver- besserung und zwar sowohl auf,der Feuerseite, ale auch auf der Wasserseite des Dampfkessela. Der Chemiker driingte sich cur Liisung dieser rein prak- tischen R a g e nicht in den Vordergrund. Es hiingt wohl mit dem phitosophischen Ursprung der Chemie zusammen, daD ihre Theorien der Zeit entweder weit vorauseilten oder weit zuriickblieben. Solch raache Wechelwirkung und gegenseitige Befruch- tung wie in unseren Tagen wurde erst moglich, nachdem der Laboratoriumsversuch als Grundlage jeder Theorie und in gleicher Weise als M s t e i n fur die Praxis gewiirdigt worden war. Bekanntlich hat das aufstrebende Deutachland eine fiihrende Rolle in dieser Wertschatzung ubernommen.

Heute ist man einig, daB eine wirtechaftliche Susnutzung dea Brennmaterials ohne Hilfe che- mischer Untersuchungen kaum moglich ist. Wie