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pdfcrowd.com open in browser PRO version Are you a developer? Try out the HTML to PDF API Dokumentation Europa im Griff der Mafia Internationales Symposium der LpB 25. Oktober 1993 - Stuttgart (Rathaus/Großer Sitzungssaal) Jürgen Storbeck Leiter des Aufbaustabes EUROPOL Die Mafia besetzt das "Europäische Haus" Organisierte Kriminalität in Westeuropa Die Kriminalitätszahlen der EG-Staaten weisen in den letzten Jahren starke Zuwachsraten auf. Das gilt insbesondere für Straftaten, die dem

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Dokumentation

Europa im Griff derMafia

InternationalesSymposium der LpB

25. Oktober 1993 - Stuttgart(Rathaus/GroßerSitzungssaal)

Jürgen Storbeck Leiter des Aufbaustabes EUROPOL

Die Mafia besetzt das "Europäische Haus"

Organisierte Kriminalität in Westeuropa

Die Kriminalitätszahlen der EG-Staaten weisen in den letzten Jahren starkeZuwachsraten auf. Das gilt insbesondere für Straftaten, die dem

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organisierten Verbrechen zugerechnet werden. Organisierte Kriminalität istjedoch statistisch schwer oder fast gar nicht zu erfassen. VerläßlicheZahlen liegen aus kaum einem unserer Partnerstaaten vor, und auch ausder deutschen Kriminalitätsstatistik läßt sich nur in Ansätzen OrganisierteKriminalität erkennen.

Organisierte Kriminalität scheintweniger noch als ein Eisberg, bei demnur ein Siebtel der Masse aus demWasser ragt, seine Ausdehnung, seineAktivitäten und seine Bedeutungerkennen zu lassen. Strafverfolgungs-und Sicherheitsbehörden inWesteuropa sehen sich bei derBewertung von OrganisierterKriminalität mit der Schwierigkeitkonfrontiert, daß die bislang üblicheTrennung zwischen dieserKriminalitätsform und Allgemein- oderMassenkriminalität heute praktischnicht mehr möglich ist. OrganisierteStraftäter haben weite Bereiche derMassenkriminalität in ihrStraftatenrepertoire übernommen.

Erschwerend wirkt sich aus, daß das Phänomen Organisierte Kriminalitätauch begrifflich nicht leicht zu fassen ist. In einzelnen westeuropäischenStaaten liegen praktikable, aber unterschiedliche Arbeitsdefinitionen vor;eine Legaldefinition, die also auch Bestandteil von Gesetzestexten seinkönnte, steht jedoch national und international weiterhin aus.

Bei Organisierter Kriminalität handelt es sich weitgehend um"Kontrollkriminalität“, d.h. Erkennen und Registrieren hängen ab vomAusmaß und der Intensität der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden.

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Erkenntnisse über Organisierte Kriminalität sind zumeist solche ausErmittlungsverfahren, als auch aus dem Hellfeld. Aussagen zum vermutlichgroßen Dunkelfeld sind nicht möglich. Dies schränkt die Möglichkeit einerausführlichen und exakten Bewertung ein. Unsichtbarkeit,Unzulänglichkeiten in der Informationsbeschaffung und -bewertung,Probleme bei der Abgrenzung zwischen Legalität und Illegalität undfehlende Meßinstrumentarien für das Ausmaß der Bedrohung haben dieOrganisierte Kriminalität bislang einer europaweiten, umfassenden Analyseund Beschreibung entzogen.

Am meisten scheinen wir über die Mafia zu wissen aufgrund der in denletzten Jahren doch recht intensiven Untersuchungen durch Politik, Polizeiund Strafverfolgungsbehörden, Wissenschaft und Journalismus.Organisierte Kriminalität in Europa ist jedoch nicht gleichzusetzen mit deritalienischen Mafia. Allein schon die italienische Organisierte Kriminalitätumfaßt verschiedene Mafia-Gruppierungen wie die neapolitanischeCamorra, die kalabrische N’drangheta und die Sacra Corona Unita, die alleinzwischen nicht mehr nur lokal oder regional, sondern sogar über Italienhinaus in vielen Staaten Europas tätig sind. Schließlich wird der BegriffMafia als Synonym sowohl für internationale als auch für nationalOrganisierte Kriminalität verwendet. Wir sprechen von der Russenmafia,der Polenmafia, aber auch von der Baumafia und der Müllmafia. Deshalbwähle ich für meine Ausführungen einen bewußt weiten Ansatz.

Das Thema Organisierte Kriminalität löste in der Vergangenheit und löstauch heute noch national und international kontroverse Diskussionen aus.Da der Großteil der Aktivitäten der organisierten Straftäter im Verborgenenbleibt, wird das volle Ausmaß der politischen, gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Bedrohung durch sie erst langsam und von Staat zu Staatunterschiedlich klar erkannt. Doch das, was aus der Polizei- undJustizpraxis sowie den Aussagen von Fachleuten aus anderengesellschaftlichen Bereichen in Europa bekannt wird, zeigt uns, daß dieBekämpfung der Organisierten Kriminalität in den 90er Jahren einenSchwerpunkt der Arbeit von Polizei und Justiz bilden wird.

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Schwerpunkt der Arbeit von Polizei und Justiz bilden wird.

Ausgangspunkt für jede Art der Auseinandersetzung mit OrganisierterKriminalität und ihren Begleiterscheinungen ist eine umfassende Beurteilungder Lage. Dabei ist neben der Beschäftigung mit den Erscheinungsformender Organisierten Kriminalität selbst auch eine ausgiebige Betrachtung derUmstände notwendig, unter denen Organisierte Kriminalität gedeihen undsich entwickeln kann. Da sich diese Kriminalitätsform nach außen hin nichteindeutig manifestiert, hängt die Einschätzung ihrer Gefährlichkeit aberauch häufig von der "ideologischen Brille“ ab, durch die man Sachverhaltebetrachtet, so daß als Folge davon die Einsicht in die Notwendigkeit vonGegenmaßnahmen unter Umständen nur schwer zu bewirken ist. Soerklären offizielle französische Stellen z.B. immer noch, daß es inFrankreich zwar einzelne kriminelle Banden gäbe, daß aber organisiertesVerbrechen nach dem Vorbild der italienischen Mafia nicht existiere.Allenfalls werde die Côte d’Azur oder die Gegend von Grenoble von derMafia als Ruheraum oder als Gebiet zur Anlage von Geldern genutzt. Demwidersprechen jedoch italienische Experten oder der Mafia-KronzeugeBucchetta, der mir vor zwei Jahren in einer Anhörung in Atlanta persönlicherklärte, daß Deutschland und andere westeuropäische Staaten wie auchFrankreich schon vor 20 Jahren als Expansionsraum für die Mafiavorgesehen waren. Bucchetta sagte sogar ausdrücklich, daß dort, wo esin den Staaten Europas oder in Übersee sizilianische Familien, Geschäfte,Pizzerien und Restaurants gebe, stets auch die Mafia präsent sei.

Während einzelne EG-Staaten also immer noch das Vorhandensein vonOrganisierter Kriminalität verneinen, können andere Staaten wie Italien,die Niederlande und Deutschland aufgrund von z.T. mehrjährigenUntersuchungen das Vorhandensein von Organisierter Kriminalität in ihrenStaaten mehr oder weniger eindeutig belegen oder sogar seine Strukturenbeschreiben. Die italienischen Behörden machen daher recht genaueAussagen über Mafia, N’drangheta, Camorra, Sacra Corona Unita sowieüber organisiertes Verbrechen, das von türkischen Staatsangehörigen odervon Kosovo-Albanern kontrolliert wird.

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Die Niederlande haben aufgrund einer mehrjährigen Intelligence-Arbeit desCentrale Recherche Informatiedienstes in Zusammenarbeit mit den großenPolizeibehörden ihres Landes Gruppen identifiziert und beschrieben, die derOrganisierten Kriminalität zugerechnet werden und in den Niederlanden undvon dort aus auch in den Nachbarstaaten tätig sind.

Für die Bestimmung der OK haben sie folgende acht Kriterienherangezogen:

hierarchische StrukturZusammenarbeit zumindest des Kerns der Mitglieder über mehr alsdrei Jahre hinwegkriminalitätsübergreifende HauptaktivitätenVerschleierung der Aktivitäten durch legale Fassadeprofessionelle "Wäsche“ der Gewinne aus kriminellen AktivitätenFürsorge und Belohnung für die Mitglieder, aber auch Sanktionen beiUngehorsam und VerratKorruption als ständiges Mittel zur Beeinflussung von Politik,Verwaltung und WirtschaftGewaltanwendung gegenüber Konkurrenten, Opfern und Polizei(Gewalt nach außen).

In der Untersuchung von 1993 sind 20 Organisationen identifiziert worden,die alle acht Kriterien erfüllen, und 98, die immerhin sechs der angeführtenMerkmale aufweisen.

Und was können deutsche Strafverfolgungsbehörden zu diesem Themadarlegen? Spezielle Studien und die Kriminalstatistik des letzten Jahressagen aus, daß 1992 bei den deutschen Behörden 641Ermittlungsverfahren im Bereich Organisierte Kriminalität anhängig waren.Schwerpunkte lagen in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Baden-Württemberg,Hamburg und Hessen. Die neuen Bundesländer meldeten die wenigstenVerfahren.

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Zu den 641 Verfahren wurden weit mehr als 60.000 Einzeldelikte erfaßt.Die deliktische Bandbreite erstreckt sich dabei nahezu über den gesamtenStraftatenkatalog, Schwerpunkte sind Vermögens- und Fälschungsdelikte.Ca. 40% der Verfahren sind als deliktübergreifend zu bezeichnen. Bei fast40% der Ermittlungsverfahren spielten Rauschgiftdelikte eine Rolle.Gewaltdelikte machen nur knapp 2% aus. Bei über 60% derErmittlungsverfahren wurden internationale Bezüge festgestellt, nur 20%weisen lediglich regionale Bezüge auf. Die 404 Verfahren mitinternationalen Bezügen tangieren insgesamt 76 Staaten. Tatorteaußerhalb Deutschlands lagen vor allem in den Niederlanden, Italien, Polen,der Türkei, der Schweiz und in Österreich. Die nach den Kriterien derpolizeilichen Kriminalstatistik erfaßten Schäden belaufen sich auf über eineMilliarde DM. Darüber hinaus wurden Gewinne aus Straftaten von knapp700 Mio. DM ermittelt. Von den insgesamt über 8.000 Tatverdächtigenwaren knapp die Hälfte Deutsche; mit etwas über 50% ist der AnteilNicht-Deutscher deutlich höher als bei der registrierten Gesamtkriminalität(1992 rd. 30%). In über der Hälfte der Verfahren wirkten Tatverdächtigeunterschiedlicher Nationalitäten zusammen. Bei fast 140 Verfahren wurdenach Mitteilung des Bundeskriminalamts eine Einflußnahme auf Politik,Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft festgestellt.

Fortgeschrieben wurde von den Strafverfolgungsbehörden auch einspezielles Lagebild zur italienischen Organisierten Kriminalität inDeutschland. Für den Zeitraum von September 1991 bis Ende 1992 wurden50 Ermittlungskomplexe ausgewertet. Die Mehrzahl der Verfahren ist derMafia zuzuordnen. Deliktische Schwerpunkte bilden dieSchutzgelderpressungen und die Rauschgiftkriminalität. GeographischeSchwerpunkte der italienischen Organisierten Kriminalität in Deutschlandsind Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Es gibt Hinweise, daß Mitglieder mafioser Organisationen dieBundesrepublik sowohl als Ruhe- und Rückzugsraum als auch alsAktionsfeld betrachten und nutzen. Das belegen nicht zuletzt diezahlreichen Festnahmen von Mafia-Angehörigen, die in Deutschland 1992

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und 1993 zu verzeichnen waren.

Untersuchungen nur in Italien, den Niederlanden und Deutschland könnenjedoch nicht ausreichen, um die These, die Organisierte Kriminalitätbesetze das "Europäische Haus“, zu belegen. Ähnliche Untersuchungenliegen in den anderen westeuropäischen Staaten jedoch nicht oder nur inAnsätzen vor. Auch eine einheitliche europäische Statistik odervergleichbare nationale Kriminalstatistiken, die nach gleichen oderzunächst ähnlichen Kriterien erstellt wären und so die Frage nachVorhandensein und Aktivitäten von Organisierter Kriminalität beantwortenkönnten, stehen nicht zur Verfügung.

Deshalb können nur auf anderem Weg Aussagen über OrganisierteKriminalität in Westeuropa erarbeitet werden; und zwar einmal nach einer"kriminalistischen Wahrscheinlichkeitsrechnung“ und zum anderen aufgrundvon Einzelaussagen aus EG- und anderen europäischen Staaten. Mit einer"kriminalistischen Wahrscheinlichkeitsrechnung“ meine ich eineUntersuchung der Rahmenbedingungen, die für das organisierteVerbrechen wichtig sein können.

Staaten der EG bieten gegenwärtig äußerst günstige Bedingungen für dasEntstehen von Organisierter Kriminalität aus kriminellen Banden, für dieAusdehnung von bestehenden Verbrechergruppierungen in räumlicher,quantitativer und qualitativer Hinsicht und für das Eindringen vonOrganisierter Kriminalität von außerhalb der EG, z.B. aus Osteuropa,Südamerika und Ostasien.

Selten zuvor haben sich in Europa die sozialen, politischen und rechtlichenBedingungen für die Strafverfolgung so einschneidend geändert. InWesteuropa ist quasi ein grenzfreier Raum entstanden, in dem über 300Mio. Menschen leben. Der "Eiserne Vorhang“ nach Osteuropa besteht nichtmehr, so daß teilweise schon jetzt, spätestens aber ab Mitte der 90erJahre nach Ausgabe von Pässen an die russische Bevölkerung sich fast600 Mio. Bürger ungehindert in Europa bewegen können.

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Andererseits besteht ein gewaltiges Wohlstandsgefälle zwischen West-und Osteuropa, zwischen Südost- und Nordeuropa, zwischen Europa undanderen Kontinenten. Ost- und Südosteuropa sind darüber hinausteilweise geprägt durch kriegerische Auseinandersetzungen im Rahmen derNeuordnung der dortigen Staaten, deren Auswirkungen auf dieKriminalitäts- und Sicherheitslage wir in den nächsten Jahren mehr undmehr erleben werden. Westeuropa liefert durch sein freiheitlichesRechtssystem und nicht zuletzt durch liberale Aufenthalts- undAsylbestimmungen vielfache Anreize für international organisierteKriminalität.

Straftäter können die in Europa teilweise so unterschiedlichen Straf-,Verwaltungs- und Wirtschaftsgesetze zu ihren Gunsten nutzen. IhreMethoden sind bei uns besonders wirksam, da gesetzliche Regelungen undDurchführungsvorschriften der einzelnen Staaten häufig kompliziert sindund durch ihre Unterschiedlichkeit, ja sogar Widersprüchlichkeit, Lückenaufweisen, die die grenzüberschreitende Strafverfolgung entscheidendbehindern.

Strafverfolgungsbehörden sind darüber hinaus durch die Bindung anbestehendes Recht berechenbar und die Koordinierung vonBekämpfungsmaßnahmen ist aufgrund unterschiedlicher nationalerRechtssysteme und teilweise übersteigertem Souveränitätsdenkenschwerfällig, während Organisierte Kriminalität flexibel und ohne nationaleEngstirnigkeit agieren kann. So ist z.B. das Aufspüren von illegalenVermögensgewinnen durch die Polizei schwieriger als das innovativeAufspüren und Nutzen von Marktchancen und die Möglichkeiten derFinanztransaktionen durch das organisierte Verbrechen.

Das Ende dieses Jahrhunderts erlebt in Europa einen ungeheurenWertewandel: Das Christentum verliert an Bedeutung, herkömmlichepolitische Ideologien wie z.B. Kommunismus sind "out“, Moral und Ethikverändern sich. All dies bietet einen idealen Nährboden für Organisierte

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Kriminalität.

Nach der Beschreibung der Rahmenbedingungen für die AktivitätenOrganisierter Kriminalität stellt sich aber die Frage: Welche harten "facts“haben wir in Westeuropa zur Organisierten Kriminalität? Diefacettenreichen Formen der organisierten Rauschgiftkriminalität verkörpernin geradezu klassischer Weise sämtliche Merkmale der internationalorganisierten Kriminalität. Heroin aus Nah-, Mittel- und Fernost, Kokain ausSüdamerika, Cannabisprodukte aus Afrika und Asien drängen unvermindertstark auf den europäischen Markt. Hochkarätige kriminelle Organisationenüberwachen die Produktion, organisieren den Transport in dieAbnehmerregionen und sichern den Vertrieb.

Eingebunden in diese weltweiten Verknüpfungen ist Europa schon langeein einheitlicher Markt für Rauschgifte aller Art, dessen Strukturen undAbläufe mit dem modernen Wirtschaftsleben vergleichbar sind. Die Ware,hier das Rauschgift, wird von einer straff gelenkten und arbeitsteiligagierenden Organisation kalkuliert, finanziert und unter Nutzungmodernster Logistik produziert und vertrieben. Häufig werden legaleUnternehmensstrukturen - möglichst mit internationalen Verflechtungen -genutzt oder gezielt aufgebaut. So haben die südamerikanischenKokainkartelle ständige "Operationsbasen“ in Europa eingerichtet. Dortwerden Transportfragen geklärt, Residenten für den Vertrieb undVerteilernetze installiert, scheinlegale Geschäftsbeziehungen aufgebautsowie Möglichkeiten der Geldwäsche und -anlage sondiert. Soweiterforderlich werden darüber hinaus alle Register der Abschottung undKonspiration, der Begünstigung und Korruption, der Einschüchterung undGewaltanwendung gezogen, um Interventionen Dritter, insbesonderestaatlicher Einrichtungen, zu verhindern bzw. abzuwehren.

Wie in anderen Deliktsbereichen sind auch bei der Rauschgiftkriminalitätimmer häufiger Verbindungen in osteuropäische Staaten feststellbar. DerAufbau von Handelsbeziehungen und Erleichterungen im Grenzverkehrwerden verstärkt auch für Rauschgiftgeschäfte genutzt. Die Staaten des

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ehemaligen Ostblocks gewinnen wachsenden Einfluß auf dieRauschgiftzufuhr nach Mittel- und Westeuropa. Das hat zur Konsequenz,daß die tangierten Staaten nun auch mit wachsendenRauschgiftproblemen im eigenen Land zu kämpfen haben. Das belegt unteranderem eine gerade fertiggestellte, noch nicht veröffentlichteBedrohungsanalyse Osteuropa des Aufbaustabs EUROPOL.

Mit Kraftfahrzeugdiebstahl und internationaler Kfz-Verschiebung hat sichneben der Rauschgiftkriminalität ein weiteres bedeutendes Betätigungsfeldder Organisierten Kriminalität entwickelt. Indikator für dauerhaftabhandengekommene Pkw ist die Zahl unerledigterFahndungsausschreibungen. Danach dürften im vergangenen Jahr ca.250.000 Pkw und Kombi auf Dauer in den Staaten der EG verschwundensein. Der Schaden beläuft sich auf rd. 6 Milliarden DM. Abnehmer derBeutefahrzeuge finden sich nach wie vor in den Staaten des Nahen undMittleren Ostens, von wo Fahrzeuge auch in den Fernen Ostenweiterverschoben werden. Die Anrainerstaaten im Osten gelten als Ziel-,vermehrt aber auch als Transitländer für die Belieferung von mittlerweileganz Osteuropa und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.

Organisierte Tätergruppierungen profitieren aber nicht allein vom Kfz-Diebstahl. Damit verbunden sind oftmals der Schmuggel von Alkohol undTabak, der Handel mit Rauschgift und mit Falschgeld. 1992 hat sich dieZahl der Falschgeldanhaltefälle in fast allen westeuropäischen Staaten - inDeutschland ca. 14.000 - gegenüber dem Vorjahr nahezu vedoppelt.Zurückzuführen ist dies vor allem auf den sprunghafen Anstiegfarbkopierter "Blüten“. Dennoch sind die vor wenigen Jahrenvorherrschenden Druckfälschungen nicht bedeutungslos geworden, auchnicht nach Einführung der neuen DM-Banknoten. So sind z.B. Ende 1992erstmals auch Druckfälschungen der neuen 100 DM- und 200 DM-Notenfestgestellt worden, die aus Polen und Italien stammen.

Auch bei der Falschgeldkriminalität zeigen sich besondere Einflüsse ausOsteuropa. Die desolate wirtschaftliche Lage und die damit einhergehende

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fehlende Währungsstabilität mit vierstelligen Inflationsraten haben dazugeführt, daß in mehreren Ländern der GUS die DM und der US-Dollar alsErsatzwährung gehandelt werden, zumal selbst Produkte des täglichenLebens nur gegen Devisen zu erhalten sind. Diese Situation bietet idealeVoraussetzungen für die Herstellung und Verbreitung von Falschgeld. Sowurde im November 1992 in der Türkei eine Druckerei ausgehoben, in derfür die Ukraine bestimmte gefälschte 500 DM-Noten im Nennwert von 25Mio. DM sichergestellt wurden.

Einer anhaltend großen Gefährdung ist auch der unbare Zahlungsverkehrausgesetzt. Die unaufhaltsame Verbreitung von Euroschecks undScheckkarten sowie von weltweit einsetzbaren Kreditkarten hat sie zueinem bevorzugten Objekt Organisierten kriminellen Mißbrauchs werdenlassen. Die Entwicklung im vergangenen Jahr zeigt, daß vor allem dieSchäden durch den Einsatz gestohlener und total gefälschter Kreditkartenweiter gewachsen sind. 1992 entstand ein Gesamtschaden von über 100Mio. DM. Fernöstliche Organisierte Kriminalität steht hier im Mittelpunktdes polizeilichen Interesses.

Bei der Umweltkriminalität ist die Zahl der polizeilich registriertenStraftaten stark abhängig von dem Vorhandensein und dem Ausmaß der inden europäischen Staaten geltenden Umweltgesetze, vomKontrollverhalten der Behörden und vom Anzeigeverhalten derBevölkerung, das mit der Aktualität bestimmter ProblembereicheSchwankungen unterworfen ist. Daher ist von einem sehr großenDunkelfeld auszugehen. Strengere gesetzliche Vorschriften, durch diebislang als ungefährlich angesehene Rückstände nunmehr als gefährlicheingestuft werden, die Zunahme produzierter toxischer Stoffe, nichtzuletzt aber auch die Sanierung von Altlasten (insbesondere in den neuenBundesländern) - das alles trägt dazu bei, daß die Mengen vonSonderabfall trotz verbesserter Produktionsverfahren und ausgeweitetemRecycling weiter zunehmen. Beseitigung, Verarbeitung oder Endlagerungder Abfälle sind regelmäßig mit hohen Kosten verbunden. So verwundertes nicht, daß sich Straftäter in diesem Bereich in Erwartung hoher illegaler

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es nicht, daß sich Straftäter in diesem Bereich in Erwartung hoher illegalerProfite betätigen. Unter Umgehung rechtlicher Vorschriften wird ein Teildes Sonderabfalls ins Ausland "exportiert“. Empfänger illegalerMülltransporte sind andere Staaten der EG, Länder der Dritten Welt undseit der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Verkehrs zunehmend dieStaaten Osteuropas.

Organisierte Tätergruppierungen kassieren vom Abfallerzeuger hoheGebühren für die angebliche Entsorgung und streichen gegebenenfallszusätzliche Gewinne aus dem Verkaufserlös ein, wenn sich das Exportgutals "Wirtschaftsgut“ deklarieren läßt. Die angerichteten Schäden lassensich kaum beziffern. Finanzielle Gewinne der Täter sind nur ein Glied einerKette, die sich aus unabsehbaren ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen,gesundheitlichen und politischen Schäden zusammensetzt. Die Gefahrdurch organisierte illegale Abfallverschiebung ist vor allem auch deswegenals groß einzuschätzen, weil OK-Täter durch Dumping-PreiseWettbewerbsverzerrungen herbeiführen. Durch sie können legaloperierende Mitbewerber vom Wachstumsmarkt Abfallentsorgungverdrängt werden.

Nach der Darlegung besonders bedeutungsvoller Kriminalitätsbereiche stelltsich die Frage, welche kriminellen Organisationen nun besonders zubeachten sind. Auf Mafia und andere süditalienischen Organisationenmöchte ich nicht weiter eingehen, weil dieser Bereich der OrganisiertenKriminalität in mehreren anderen Vorträgen behandelt wird undInformationen darüber aufgrund früherer ähnlicher Veranstaltungen unddurch die Fachliteratur wohl weitgehend bekannt sind. Während aber mititalienischer organisierter Kriminalität die süditalienische Mafia und Camorraallgemein gleichgesetzt werden, vergißt man immer wieder, daß die inNorditalien ansässigen Verbrecherorganisationen seit Jahren, ja seitJahrzehnten, in Produktion von Falschgeld, d.h. gefälschten Dollars, DM,Gulden, Pfund usw. führend sind. Auch Produktfälschungen werden vonNorditalien aus geplant und organisiert. Inwieweit in Norditalien ansässigeOrganisierte Kriminalität in der Wirtschaftskriminalität und insbesondere in

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der illegalen kriminellen Müllentsorgung aktiv ist, kann nur vermutetwerden. Bei der kriminellen Entsorgung von Sondermüll gibt es konkretbekannt gewordene Fälle ja schon seit dem Transport des Seveso-Giftsvon Norditalien durch ganz Europa.

Neben der italienischen Organisierten Kriminalität richtet sich dasAugenmerk der Strafverfolgungsbehörden vermehrt auf die Tätigkeitosteuropäischer Gruppierungen in Westeuropa. Dabei werden teilweisewidersprüchliche und in ihren Zahlendimensionen kaum faßbare, jaerschreckende Aussagen zum Potential gemacht, das aus dem Osten nachWesteuropa hineinwirkt oder wirken wird. So teilte etwa derstellvertretende russische Innenminiser Yegorov mehrfach anläßlich vonBesuchen in westeuropäischen Staaten mit, daß bereits um die 200Gruppierungen allein der "Russenmafia“ grenzüberschreitend inwesteuropäischen Ländern tätig seien. Deren aktive Beteiligung amKriminalitätsgeschehen in Westeuropa könnte bereits durch zahlreicheErmittlungsverfahren russischer Strafverfolgungsbehörden nachgewiesenwerden. Und bei Fachtagungen in Mitteleuropa gaben russische Expertenan, daß das russische organisierte Verbrechen illegale Gewinne und Wertein Höhe von 500 Milliarden US-Dollar in den "krisensicheren“ Staaten West-und Nordeuropas anzulegen, aber auch für ihre kriminellen Zweckeeinzusetzen beabsichtigt.

Schwerpunkte der osteuropäischen organisierten Kriminalität liegen beiKfz-Diebstahl und -verschiebung, Rauschgift- und Falschgeldkriminalität,Diebstahl von Antiquitäten, Kunst- und Kulturgütern,Schutzgelderpressung und Waffenhandel, z.T. aus Beständen derehemaligen sowjetischen Streitkräfte in Deutschland.

Die zunehmenden Aktivitäten osteuropäischer krimineller Organisationenhaben auch die "Ware“ Mensch erfaßt. Nach Schätzungen von Fachleutensollen weit mehr als 10.000 junge Frauen in osteuropäischen Ländernangeworben worden sein, um sie in Westeuropa meist unter Zwang derProstitution zuzuführen. Wie eine Ware werden sie unter Zuhältern

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gehandelt. Eine Analyse einschlägiger Ermittlungsverfahren zeigte, daß dieFrauen vor allem aus Polen, der ehemaligen CSFR, Bulgarien, Rußland undUngarn stammen. Etwa 5% der bekanntgewordenen Opfer waren nochminderjährig. Zusätzlich geraten die schon ortsansässigen Prostituiertenoder Zuhälter in den Groß- und Mittelstädten Mitteleuropas unter dieKontrolle der jeweiligen Russenmafia, oder sie werden aus dem Verkehrgezogen. Die teilweise äußerst brutalen Tötungsdelikte z.B. jetzt auch inBerlin sind Folgen der Verteilungskämpfe und Geschäftsübernahmen imRotlichtmilieu.

Ähnlich sieht es im Bereich der Schleusung und illegalen Beschäftigung vonArbeitnehmern aus. Die Schlepper und Vermittler nutzen die schlechtenwirtschaftlichen Verhältnisse in den Staaten Ost- und Südosteuropas aus,um Arbeitskräfte zu Billigstlöhnen anzuwerben. Steuern undSozialversicherungsbeiträge werden meist nicht abgeführt, Dienste,beispielsweise auf dem Bausektor, zu regelrechten Dumpingpreisenangeboten. Das Gleichgewicht der Wirtschaft ist so erheblich gestört.Gerade in Osteuropa wird deutlich, wie schnell sich gerade Straftäter andie Bedingungen der Marktwirtschaft anpassen und deren Vorteile für ihreillegalen Machenschaften ausnutzen können. Das mit dem Zusammenbruchdes Ostblocks und seines einengenden Wirtschaftssystems freigesetztekriminelle Potential sieht aber nicht nur im eigenen Land, sondern vor allemin Westeuropa und hier besonders in Deutschland ein idealesOperationsfeld. Organisierte Tätergruppierungen profitieren wohl amehesten von den sozio-ökonomischen Veränderungen in ihren Ländern.Ihnen kommt entgegen, daß die Wirtschaft stagniert, eine wirksameSozialpolitik noch nicht etabliert ist, öffentliche Moral und Solidarität nachder bisher strengen Ausrichtung verfallen, der allgemeine Lebensstandardmomentan eher sinkt als steigt und staatliche Führung und Verwaltungnoch weitgehend desorganisiert sind. Fehlen solche formellen undinformellen Kontrollmechanismen gegen Normverstöße, macht sichKriminalität breit.

Neben der italienischen und der osteuropäischen organisierten Kriminalität

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Neben der italienischen und der osteuropäischen organisierten Kriminalitätexistieren auch in unseren westlichen Nachbarstaaten leistungsstarkekriminelle Organisationen, die regional oder national aufgebaut odererstarkt sind und nun über die Landesgrenzen hinaus expandieren.Weitgehend unbekannt scheint so z.B. die Bedeutung der OrganisiertenKriminalität in Galicien zu sein, die traditionell im Zigarettenschmuggel tätigist und die inzwischen mehr und mehr an Bedeutung gewinnt; und zwar fürdie Einfuhr von Kokain aus Südamerika und von Cannabis aus Marokko indie Europäische Gemeinschaft.

Auf dem europäischen Festland anscheinend noch ohne großen Einfluß,dafür aber im Rauschgifthandel und im Bereich der damit verbundenenKriminalität äußerst aktiv, ja führend sind die jamaikanischen Yardies undähnliche karibische kriminelle Gruppen, die in London und anderenbritischen Groß- und Mittelstädten agieren. Britische Experten rechnendamit, daß diese organisierten Gruppierungen ihren Markt insbesondere beidem Handel von Crack, Ecstasy und Ice zum europäischen Festland hinausdehnen werden und dabei die Großstädte Norddeutschlands und in denNiederlanden als erste Standorte wählen werden.

Nach einer TREVI-Studie spielen im Bereich Rauschgiftkriminalität,Menschenhandel und bei Schutzgelderpressungen Rockerbanden eineimmer größere Rolle, wobei deren Aktivitäten gegenwärtig insbesondere inDänemark, Großbritannien und den Niederlanden nachzuweisen sind.

Wie britische und niederländische Behörden berichten, zeichnet sich einWiedererstarken der chinesischen Triaden ab. Auch in Deutschland gibt esdafür wohl einige Hinweise. Schwerpunkte ihrer Aktivitäten sindHeroinhandel, Schutzgelderpressungen, Menschenhandel undWirtschaftskriminalität. Die Triaden scheinen sich auch räumlich weiter vonGroßbritannien und den Niederlanden aus nach Belgien, Deutschland undFrankreich hin auszudehnen. Dieser Trend könnte sich noch erheblichdadurch verschärfen, daß Hongkong 1997 an China zurückfällt und damitdie dort ansässigen chinesischen Triaden einen Großteil der Aktivitätennach Westeuropa verlegen, wo sie ja schon seit vielen Jahrzehnten

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Stützpunkte haben. Über die japanischen Yakusa und ihre Aktivitäten inEuropa hingegen bestehen praktisch keine klaren Erkenntnisse, sondernnur Vermutungen.

Zunächst in Deutschland und in den Niederlanden, inzwischen aber in fastallen westeuropäischen Staaten haben sich starke türkische und kurdischekriminelle Organisationen etabliert. Häufig aus oder im Rahmen vonGroßfamilien entstanden, sind sie aufgrund lukrativer Geschäfte imRauschgiftbereich organisatorisch, technisch und finanziell stark undmächtig geworden. Inzwischen haben sie ihre Interessengebiete nicht nurin territorialer Hinsicht ausgeweitet, sondern scheinen auch in derBeschaffung und im Handel mit anderen illegalen Gütern neben Rauschgiftaktiv zu sein.

Eine besondere Gefahr wird in den nächsten Jahren m. E. von den Folgender Neuordnung Osteuropas und des Balkans und politischerVeränderungen in anderen Teilen der Welt ausgehen, die zu kriegerischenAuseinandersetzungen und Vertreibungen geführt haben. Es ist davonauszugehen, daß diese Kriege schon heute, aber auch künftig zumindestteilweise auch durch illegale Gewinne, also durch Organisierte Kriminalitätin Europa finanziert werden. Andererseits aber wird Europa dann wohlauch Ausgangspunkt für illegalen Waffenhandel in dieseBürgerkriegsgebiete. Schließlich ist zu erwarten, daß sich die kriegerischenAuseinandersetzungen zwischen den Parteien auch auf dem Gebiet der EGfortsetzen.

Und was ist nun mit unserem eigenen, unserem deutschen,niederländischen, belgischen oder französischen organisierten Verbrechen?Hier können wir besonders wenig sagen. Dabei mag ich nicht behaupten,daß es hausgemachte organisierte Kriminalität - mit oder ohneüberregionale Bedeutung - in den Benelux-Staaten, in Frankreich undDeutschland nicht gäbe. Vielleicht fällt es unserenStrafverfolgungsbehörden leichter, ausländische organisierte Kriminalitätbei uns zu erkennen. Grund dafür könnte aber auch die Tatsache sein, daß

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die Stärken unserer Organisierten Kriminalität im Bereich derWirtschaftskriminalität, also z.B. im Ausschreibungs-, Subventions- undAnlagebetrug liegen, wo das Dunkelfeld sehr groß ist und Anzeichen vonorganisierter Kriminalität nur sehr schwer festgestellt werden können.

Erst nach intensiven Untersuchungen, wie sie die Niederlande durchführen,erkennen wir, wie intelligente und gut ausgebildete Kriminelle einesmodernen Zuschnitts in wenigen Jahren in westeuropäischen Metropolenoder auch Regionen Imperien aufbauen. Der Niederländer Bruinsma z.B.errichtete nach Verbüßung mehrerer geringfügiger Gefängnisstrafen abMitte der 80er Jahre in Amsterdam und dann in Westeuropa ein Geflechtvon legalen und illegalen Unternehmungen in verschiedenen Bereichen derWirtschaft und der Kriminalität, das jährlich bis zu 100 Mio. holländischeGulden erwirtschaftete. Das erforderte, aber ermöglichte auch, daß erallein zwei Mio. holländische Gulden jährlich für seine persönlicheSicherheit ausgab. Trotzdem wurde er von kriminellen Rivalen im Sommer1992 erschossen.

Und wie begegnen wir in Westeuropa all diesen Erkenntnissen zurOrganisierten Kriminalität? Schlagworte sind dabei insbesondere Schengen,TREVI und EUROPOL. Was haben uns Schengen und TREVI gebracht?Trotz erheblicher und langer Anstrengungen im EG- und im Schengen-Rahmen ist eine Rechtsharmonisierung im Strafrecht nicht gelungen undwird wohl auch in den nächsten Jahren nicht realisiert werden können.Auch ein weitgehend einheitliches europäisches Strafverfahrensrechtsteht den Strafverfolgungsbehörden nicht zur Verfügung. Aber auch dieunterschiedlichen nationalen Gesetze werden von vielen Polizeipraktikernund Sicherheitsexperten als unzureichend und unbefriedigend angesehen:

Datenschutzgesetze haben die polizeilichen Möglichkeiten derInformationssammlung und -auswertung erheblich eingeschränkt.Eine "Rückentwicklung“ des Datenschutzes ist nicht zu erwarten. Ja,es besteht noch die Gefahr einer Verschärfung durch geplante EG-Verordnungen zum Datenschutz, die selbst von deutschen

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Datenschutzexperten als überzogen angesehen werden.Moderne polizeiliche Ermittlungsmethoden, die das Beobachten vonGeldströmen zum Auffinden illegaler Verbrechensgewinne oder dasÜberwachen des Handelsverkehrs vorsehen, um den Transport vonkriminogenen Gütern oder z.B. von Vorläufersubstanzen für dieHerstellung von Rauschgift zu entdecken, sind in vielen Staatennoch nicht rechtlich verankert und können deshalb nicht angewandtwerden.Neue Straftatbestände wie die Pönalisierung der Geldwäsche sindnoch nicht eingeführt.Auch der Einsatz von Verdeckten Ermittlern, die Straffreiheit vonKronzeugen oder die Nutzung "nachrichtendienstlicher“ Mittel, z.B.für den "Lauschangriff“ - sofern man diese Mittel in einem modernenRechtsstaat überhaupt anwenden will -, sind in den meistenGesetzen europäischer Staaten nicht vorgesehen.

Sicher ist meines Erachtens jedoch, daß wir das organisierte Verbrechen,das sich auf hergebrachte polizeiliche Methoden eingestellt hat, darüberhinaus modernste Technik einsetzt, finanziell über unbegrenzteMöglichkeiten verfügt und konspirative Geheimdienstmethoden anwendet,mit traditionellen Mitteln nicht mehr erfolgreich bekämpfen können.

Veränderungen in der Bekämpfung internationaler Organisierter Kriminalitätsind jedoch durch Ausweitung internationaler politischer Zusammenarbeitzu erwarten. Der Ausbau internationaler polizeilicher Informationssysteme,die Entbürokratisierung internationaler polizeilicher Zusammenarbeit undder Aufbau einer zentralen europäischen Polizeibehörde mit Intelligence-und Koordinationsaufgaben erscheinen mir in der Tat als dieerfolgversprechendsten Möglichkeiten, international organisierteKriminalität zu bekämpfen. Dabei bietet dieser Weg den Vorteil, daß beiBerücksichtigung der nationalen Gesetze und insbesondere der nationalenDatenschutzregelungen und der nationalen Souveränität in dieGrundrechte des Bürgers nur äußerst geringfügig eingegriffen wird.

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Im Rahmen der Schengener Abkommen und der TREVI-Zusammenarbeitsind einige erste Ansätze zu einer Verbesserung der internationalenpolizeilichen Zusammenarbeit gemacht worden. Parallel sind und werdenpolizeiliche Informationssysteme wie das Schengener Informationssystemund wohl auch das Europäische Informationssystem, das eine Erweiterungdes Schengener Informationssystems um die nationalen Bestände vonGroßbritannien, Irland und Dänemark darstellt, aufgebaut.

Von besonderer Bedeutung wird - so meine persönliche Hoffnung - derAufbau und Ausbau von Europol sein. Daneben gibt es eine Vielzahl,vielleicht sogar zu viele internationale Initiativen im Rahmen der UN, derIKPO-Interpol, des Internationalen Zollrats CCC und der EG, die polizeilicheZusammenarbeit und den Informationsaustausch zu verbessern.

Diese international vereinbarten und - leider nur teilweise - aufeinanderabgestimmten Initiativen müssen national durch legislative, methodische,technische, personelle und finanzielle Initiativen ergänzt werden, umorganisiertes Verbrechen auch in den nächsten Jahren noch erfolgreichbekämpfen zu können. Das rechtliche, organisatorische und technischeInstrumentarium der USA, das uns Herr Rohr geschildert hat, besteht inkeinem westeuropäischen Staat. Dabei obliegt es der Politik und damitmittelbar dem Bürger zu entscheiden,

ob die polizeilichen Informationssysteme stärker ausgebaut werdensollen,ob z.B. der "große Lauschangriff“ rechtlich ermöglicht wird,ob die Polizei- und sonstige Strafverfolgungsbeamte besserausgebildet und bezahlt werden, um ein Abwandern vonqualifizierten Beamten in die Industrie zu verhindern und Fachkräfteaus dem Wirtschaftsbereich (Buchhalter, Finanzexperten) zugewinnen,ob Verdeckte Ermittler berechtigt sind, Straftaten zu begehen,ob Strafverfolgungsbehörden personell verstärkt werden,ob finanzielle Transaktionen bei Banken und Anwälten überprüft

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werden können,ob der Datenschutz teilweise zurückgeschraubt oder weiterausgebaut wird,ob das Verfahren für die Sicherstellung von illegal erworbenenVermögenswerten mit einer Beweislastumkehr versehen wird usw.

Dabei kann und sollte keine dieser Maßnahmen für sich gesondertbetrachtet werden. Wer z.B. einen hohen Datenschutzstandard haben will,muß entsprechend Personal und Technik zur Verfügung stellen. Wer keinen"Lauschangriff“ will, muß in Kauf nehmen, daß gewisseErmittlungsergebnisse und vor allem Beweismöglichkeiten gegen die Chefsbzw. die Hintermänner des organisierten Verbrechens nicht erbrachtwerden können. Wer keine Beweislastumkehr für die Sicherstellung vonillegal erworbenen Vermögenswerten will, muß andereErmittlungsmöglichkeiten wie z.B. personell und finanziell aufwendigeIntelligence-Verfahren zur Verfügung stellen. Mit traditionellen Mittelnkönnen wir das organisierte Verbrechen nicht mehr erfolgreich bekämpfen.Das haben unsere Nachbarstaaten inzwischen besser erkannt und inentsprechende Gesetze umgesetzt. In den Niederlanden tritt im Herbst einGesetz in Kraft, das den Lauschangriff zuläßt; Großbritannien, Frankreichund Italien haben weitgehende Gesetze im Zusammenhang mit derGeldwäsche.

Mangelhafte Bekämpfung des organisierten Verbrechens hat aber auchsozial inakzeptable Konsequenzen. Der Reiche kann sich schützen und tutes durch Verträge mit privaten Sicherheits- und Wachunternehmen invielen europäischen Großstädten schon, der "normale“ Bürger aber wirdmehr und mehr zum Opfer werden.

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