4
330 Ernährungs-Umschau 48 (2001) Heft 8 Basiswissen aktualisiert Definition, Chemie, Vorkommen Glucosinolate sind schwefelhaltige Moleküle, die im Sekundärstoffwech- sel der Pflanze aus Aminosäuren ge- bildet werden. Sie kommen vorwie- gend in Pflanzen der Familie Cruci- ferae (Kreuzblütler) vor und sind in Senf, Kresse, Meerrettich sowie Kohl- gemüsearten verantwortlich für deren typischen Geschmack. Alle Glucosino- late sind chemisch stabile Moleküle mit einer gemeinsamen Grundstruk- tur, die aus einer Glucoseeinheit, einer schwefelhaltigen Gruppierung mit ei- nem Aglukonrest sowie einer Sul- fatgruppe besteht (Abb. 1). Über 120 verschiedene Glucosinolate wurden identifiziert; diese unterscheiden sich jedoch nur im Aglukonrest, der eine Alkyl-, Alkenyl-, Aryl- oder Indolyl- struktur aufweist (Tab. 1). Der Aglu- konrest ist letztendlich für die sensori- schen und physiologischen Wirkun- gen entscheidend. So wird z. B. die Schärfe von Meerrettich und Senf durch Allylisothiocyanat ausgelöst, Si- nigrin und Progoitrin bedingen den bitteren Geschmack in Rosenkohl und anderen Kohlgemüsearten. Das für die Spaltung der Glucosino- late verantwortliche Enzym ist die My- rosinase (β-Thioglucosidase), die in der Pflanzenzelle räumlich getrennt von den Glucosinolaten vorliegt. Die räumliche Trennung wird durch mechanische Einwir- kungen (z. B. Schneiden, Kauen) aufgehoben und da- durch wird ein enzymati- scher Abbau ausgelöst. Beim Abbau entstehen äquimola- re Mengen an Glucose, Sul- fat und dem jeweiligen Aglu- kon. Ascorbinsäure wirkt dabei als Coenzym, vermut- lich durch die Bereitstellung einer nukleophilen katalytischen Gruppe. Aus dem instabilen Aglukon werden primär Isothiocyanate sowie andere Abbauprodukte wie Thiocya- nate und Nitrile gebildet (Abb. 2). Un- ter dem Begriff „Senföle“ werden die Isothiocyanate zusammengefasst. So- weit sie aus Indolylglucosinolaten ge- bildet werden, sind sie chemisch nicht stabil und zersetzen sich spontan zu Indol-3-Carbinol und weiteren Indol- verbindungen. Welche Glucosinolat- derivate entstehen, ist – außer vom Aglukonrest – stark von Faktoren wie Temperatur, pH-Wert, Lagerung und Konservierungsverfahren der Gemü- searten abhängig. So werden bei neu- tralem pH-Wert vermehrt Isothiocya- nate gebildet, bei saurem pH-Wert sind es primär Nitrile. Glucosinolate machen bei einigen Brassica-Arten bis zu 1 % der Trocken- masse aus, allerdings treten große sor- tenbedingte Unterschiede auf (Tab. 2). In 100 g frischem Brokkoli finden sich 50–100 mg Glucosinolate, wobei Brok- kolisprossen (10- bis 100fach höhere Mengen als in Brokkoligemüse) die höchsten Konzentrationen aufweisen. Mit dem Wachstum und der Reife der Pflanzen nimmt ihr Glucosinolatge- halt ab. Der Glucosinolatgehalt in Wildformen kann den Gehalt in Züch- tungen um den Faktor 1000 überstei- gen. Wildpflanzen werden heutzutage z. B. genutzt, um den Gehalt an poten- ziell antikanzerogen wirkenden Glu- cosinolaten in Brokkolineuzüchtun- gen wieder zu erhöhen. Das Erhitzen von Kohlgemüsearten verringert den Glucosinolatgehalt um 35 bis 60 %. Neuere Untersuchungen gehen beim Weißkohl von einem Glu- cosinolatverlust nach 10 min Kochen von mehr als 50 % aus. Die Verluste ge- hen auf die thermische Instabilität der Glucosinolate sowie auf deren Auslau- gung in die Kochflüssigkeit zurück. Die beim Erhitzen entstehenden In- dolverbindungen besitzen im Tierver- such eine geringere antikanzerogene Wirkung als die im unerhitzten Kohl- gemüse vorliegenden. Bei der Fer- mentation von Weißkohl werden alle darin vorhandenen Glucosinolate in- nerhalb von 2 Wochen hydrolisiert. Bioverfügbarkeit, Stoffwechsel Isothiocyanate und Thiocyanate besit- zen im Darm wegen ihrer Fettlöslich- keit eine hohe Bioverfügbarkeit. Phar- makokinetische Studien mit oral ap- pliziertem, 14 C-markiertem Allyl- und Phenethylisothiocyanat konnten zei- gen, dass diese Glucosinolatderivate schnell im oberen Gastrointestinal- trakt absorbiert werden. Zwei Stunden nach der Nahrungsaufnahme liegt im Blut die höchste Konzentration vor. In Gewebekulturuntersuchungen wurde festgestellt, dass Glucosinolate durch passiven Transport von der mukosalen zur serosalen Seite des intestinalen Dünndarmepithels gelangen. Nach der Absorption werden Iso- thiocyanate mit Glutathion konjugiert und hauptsächlich zu N-Acetylcy- steinderivaten (Mercaptursäuren) um- gewandelt. Im Harn kann ein Teil wie- der in N-Acetylcystein und antimikrobiell aktives Senf- öl (Isothiocyanat) gespalten bzw. als N-Acetylcysteinkon- jugat ausgeschieden werden. Die maximale Ausscheidung im Urin wird 2–4 h nach dem Gemüseverzehr erreicht. Die Ausscheidungsrate der Glu- cosinolatabbauprodukte im Urin innerhalb von 24 h nach dem Verzehr entsprechender Glucosinolate Bernhard Watzl, Karlsruhe Ziel der Reihe „Basiswissen aktualisiert“ ist es, zweimonatlich übersichtlich den derzeit aktuellen Wissensstand über Nährstof- fe und andere, der Gesundheit dienende Nahrungsinhaltsstoffe zu vermitteln. Abb. 1: Grundstruktur der Glucosinolate

Gluco Sino Late

Embed Size (px)

DESCRIPTION

fungsional food

Citation preview

Page 1: Gluco Sino Late

330 Ernährungs-Umschau 48 (2001) Heft 8

Basiswissen aktualisiert

Definition, Chemie, Vorkommen

Glucosinolate sind schwefelhaltigeMoleküle, die im Sekundärstoffwech-sel der Pflanze aus Aminosäuren ge-bildet werden. Sie kommen vorwie-gend in Pflanzen der Familie Cruci-ferae (Kreuzblütler) vor und sind inSenf, Kresse, Meerrettich sowie Kohl-gemüsearten verantwortlich für derentypischen Geschmack. Alle Glucosino-late sind chemisch stabile Molekülemit einer gemeinsamen Grundstruk-tur, die aus einer Glucoseeinheit, einerschwefelhaltigen Gruppierung mit ei-nem Aglukonrest sowie einer Sul-fatgruppe besteht (Abb. 1). Über 120 verschiedene Glucosinolate wurdenidentifiziert; diese unterscheiden sichjedoch nur im Aglukonrest, der eineAlkyl-, Alkenyl-, Aryl- oder Indolyl-struktur aufweist (Tab. 1). Der Aglu-konrest ist letztendlich für die sensori-schen und physiologischen Wirkun-gen entscheidend. So wird z. B. dieSchärfe von Meerrettich und Senfdurch Allylisothiocyanat ausgelöst, Si-nigrin und Progoitrin bedingen denbitteren Geschmack in Rosenkohl undanderen Kohlgemüsearten.

Das für die Spaltung der Glucosino-late verantwortliche Enzym ist die My-rosinase (β-Thioglucosidase), die inder Pflanzenzelle räumlich getrenntvon den Glucosinolaten vorliegt. Dieräumliche Trennung wirddurch mechanische Einwir-kungen (z. B. Schneiden,Kauen) aufgehoben und da-durch wird ein enzymati-scher Abbau ausgelöst. BeimAbbau entstehen äquimola-re Mengen an Glucose, Sul-fat und dem jeweiligen Aglu-kon. Ascorbinsäure wirktdabei als Coenzym, vermut-lich durch die Bereitstellung

einer nukleophilen katalytischenGruppe. Aus dem instabilen Aglukonwerden primär Isothiocyanate sowieandere Abbauprodukte wie Thiocya-nate und Nitrile gebildet (Abb. 2). Un-ter dem Begriff „Senföle“ werden dieIsothiocyanate zusammengefasst. So-weit sie aus Indolylglucosinolaten ge-bildet werden, sind sie chemisch nichtstabil und zersetzen sich spontan zuIndol-3-Carbinol und weiteren Indol-verbindungen. Welche Glucosinolat-derivate entstehen, ist – außer vomAglukonrest – stark von Faktoren wieTemperatur, pH-Wert, Lagerung undKonservierungsverfahren der Gemü-searten abhängig. So werden bei neu-tralem pH-Wert vermehrt Isothiocya-nate gebildet, bei saurem pH-Wertsind es primär Nitrile.

Glucosinolate machen bei einigenBrassica-Arten bis zu 1 % der Trocken-masse aus, allerdings treten große sor-tenbedingte Unterschiede auf (Tab. 2).In 100 g frischem Brokkoli finden sich50–100 mg Glucosinolate, wobei Brok-kolisprossen (10- bis 100fach höhereMengen als in Brokkoligemüse) diehöchsten Konzentrationen aufweisen.Mit dem Wachstum und der Reife derPflanzen nimmt ihr Glucosinolatge-halt ab. Der Glucosinolatgehalt inWildformen kann den Gehalt in Züch-tungen um den Faktor 1000 überstei-gen. Wildpflanzen werden heutzutagez. B. genutzt, um den Gehalt an poten-

ziell antikanzerogen wirkenden Glu-cosinolaten in Brokkolineuzüchtun-gen wieder zu erhöhen.

Das Erhitzen von Kohlgemüseartenverringert den Glucosinolatgehalt um35 bis 60 %. Neuere Untersuchungengehen beim Weißkohl von einem Glu-cosinolatverlust nach 10 min Kochenvon mehr als 50 % aus. Die Verluste ge-hen auf die thermische Instabilität derGlucosinolate sowie auf deren Auslau-gung in die Kochflüssigkeit zurück.Die beim Erhitzen entstehenden In-dolverbindungen besitzen im Tierver-such eine geringere antikanzerogeneWirkung als die im unerhitzten Kohl-gemüse vorliegenden. Bei der Fer-mentation von Weißkohl werden alledarin vorhandenen Glucosinolate in-nerhalb von 2 Wochen hydrolisiert.

Bioverfügbarkeit, Stoffwechsel

Isothiocyanate und Thiocyanate besit-zen im Darm wegen ihrer Fettlöslich-keit eine hohe Bioverfügbarkeit. Phar-makokinetische Studien mit oral ap-pliziertem, 14C-markiertem Allyl- undPhenethylisothiocyanat konnten zei-gen, dass diese Glucosinolatderivateschnell im oberen Gastrointestinal-trakt absorbiert werden. Zwei Stundennach der Nahrungsaufnahme liegt imBlut die höchste Konzentration vor. InGewebekulturuntersuchungen wurdefestgestellt, dass Glucosinolate durchpassiven Transport von der mukosalenzur serosalen Seite des intestinalenDünndarmepithels gelangen.

Nach der Absorption werden Iso-thiocyanate mit Glutathion konjugiertund hauptsächlich zu N-Acetylcy-steinderivaten (Mercaptursäuren) um-gewandelt. Im Harn kann ein Teil wie-

der in N-Acetylcystein undantimikrobiell aktives Senf-öl (Isothiocyanat) gespaltenbzw. als N-Acetylcysteinkon-jugat ausgeschieden werden.Die maximale Ausscheidungim Urin wird 2–4 h nach demGemüseverzehr erreicht. DieAusscheidungsrate der Glu-cosinolatabbauprodukte imUrin innerhalb von 24 h nachdem Verzehr entsprechender

Glucosinolate

Bernhard Watzl, Karlsruhe

Ziel der Reihe „Basiswissen aktualisiert“ ist es, zweimonatlichübersichtlich den derzeit aktuellen Wissensstand über Nährstof-fe und andere, der Gesundheit dienende Nahrungsinhaltsstoffezu vermitteln.

Abb. 1: Grundstruktur der Glucosinolate

Page 2: Gluco Sino Late

unerhitzter Gemüsearten reicht beimMenschen von 30 bis 67 %, wobei star-ke interindividuelle Unterschiede be-stehen. Bei erhitztem Gemüse liegt dieAusscheidungsrate innerhalb von 24 hmit 1 bis 20 % deutlich niedriger. Nichtdurch pflanzliche Myrosinasen hydro-lysierte Glucosinolate können imDickdarm des Menschen durch bakte-rielle Myrosinasen aufgespalten unddanach absorbiert werden. Durch eineBehandlung mit Antibiotika kann die-se intestinale Myrosinaseaktivität fastvollständig gehemmt werden. In einerHumanstudie wurden bei Personenmit regelmäßigem Verzehr von grü-nem Gemüse Isothiocyanatkonzen-trationen im Urin bis zu 11 µM gemes-sen. Glucosinolatderivate können teil-weise auch über den enterohepati-schen Kreislauf im Körper rezirkulie-ren. Leber, Niere und intestinale Mu-kosa stellen die Organe mit der höch-sten Gewebekonzentration dar. ImPlasma von Personen mit normalerErnährung und einer zusätzlicheneinmaligen Dosis von 40 mg Isothio-cyanat wurde eine Isothiocyanatkon-zentration von 413 ± 193 nM gemes-sen.

In vitro akkumulieren Isothiocyana-te in verschiedenen Zellarten undkönnen Konzentrationen erreichen,die im millimolaren Bereich liegen.Eine hohe intrazelluläre Konzentrati-on ist Bedingung für die Induktion derAktivität von Entgiftungsenzymen(Phase-II-Enzymen). Das Ausmaß derIsothiocyanatakkumulation steht indirektem Zusammenhang mit der in-trazellulären Glutathionkonzentration(1 bis 10 mM), da die Konjugation derIsothiocyanate mit Glutathion Voraus-setzung für die intrazelluläre Aufnah-me ist. Die Konjugation mit Gluta-thion wird besonders effizient durch

Glutathion-S-Transferase (GST) M1-1katalysiert.

ErnährungsphysiologieIn zahlreichen epidemiologischenStudien wurde eine inverse Korrelati-on zwischen der Aufnahme an Kohl-gemüsearten und dem Risiko fürDickdarmkrebs sowie andere Tumor-arten beobachtet. Der tägliche Verzehrvon 2 Portionen Kohlgemüsearten sollmit einer 50-prozentigen Reduktiondes relativen Risikos für bestimmteTumorarten einhergehen. In einerneueren Studie wurde beobachtet,dass ein verringertes Dickdarm-adenomrisiko bei hohem Verzehr vonBrokkoli nur bei den Personen vor-handen war, die einen GSTM1-Null-Genotyp aufwiesen. Dies ist bei ca.50 % der Menschen (Kaukasier) derFall. Da diese Form der GST an derKonjugation von Isothiocyanaten anGlutathion beteiligt ist, ist bei diesenPersonen die Isothiocyanatausschei-dung verlangsamt.

Bereits seit 1960 sind für Abbaupro-dukte der Glucosinolate in tierexperi-mentellen Studien antikanzerogeneWirkungen nachgewiesen worden.Verschiedene Isothiocyanate undThiocyanate zeigten eine hemmende

Wirkung auf die Krebsentstehung inSpeiseröhre, Magen, Brust, Leber undLunge. Isothiocyanate konnten dieKanzerogenese sowohl im frühen alsauch in einem späten Stadium beein-flussen. Ihre Wirksamkeit ist abhängigvom Zeitpunkt der Verabreichung desKarzinogens sowie von der spezifi-schen Struktur der Isothiocyanate. DieGabe der Isothiocyanate vor der Kan-zerogenapplikation führte meist zu ei-ner Hemmung der Kanzerogenese,hingegen führte die Zufuhr nach Kan-zerogenapplikation in aller Regel zukeiner Hemmung der Tumorentste-hung. Direkte Wirkun-gen von Gluco-sinolat-Abbauprodukten auf die Tu-morentstehung beim Menschen sindbisher nicht untersucht.

Die starke Abhängigkeit der anti-kanzerogenen Wirkung der Isothio-cyanate und Thiocyanate vom Zeit-punkt der Verabreichung weist daraufhin, dass sie die Krebsentstehungwährend der Initiationsphase beein-flussen. Als Mechanismen werdeneine Hemmung von Phase-I-Enzymensowie eine Aktivierung von Phase-II-Enzymen diskutiert. Da sowohl Iso-thiocyanate und Thiocyanate als auchinaktive Kanzerogene als Substrate fürbestimmte Phase-I-Enzyme fungie-ren, könnte die protektive Wirkungdieser Glucosinolatderivate auf einerkompetitiven Hemmung beruhen.Glucosinolate interagieren synergis-tisch und führen bei einer Applikationmehrerer Glucosinolate zur stärkerenAktivierung der Phase-II-Enzyme alsdie Applikation einzelner Glucosinola-te. Ein intensiv untersuchter Aktivatorvon Phase-II-Enzymen ist das Sulfo-raphan (1-Isothiocyanat-4-methylsul-finylbutan) aus Brokkoli, welches invivo selektiv die Aktivität der Quinon-reduktase und der Glutathion-S-Transferase induziert. Eine Aktivie-rung von Phase-II-Enzymen wird alsIndikator für eine antikanzerogeneWirkung der Glucosinolatderivate an-gesehen. Ein intensives mechanischesBearbeiten des Pflanzengewebes (Ras-peln, Kauen) verstärkt die aktivierendeWirkung. Des Weiteren wirkte Sulfora-phan als indirektes Antioxidans. Eshemmte selektiv die Proliferation vonhumanen Dickdarmkrebszellen undinduzierte in diesen Zellen einenZellzyklusstopp sowie die Apoptose. Ineiner klinischen Studie führte die Auf-nahme von täglich 3 g Brokkoliextrakt(entsprechend 30 g frischem Brokkoli)über 14 Tage jedoch zu keiner Ver-änderung des Gesamt-Glutathion-S-Transferase-Gehaltes in Blutlympho-

Ernährungs-Umschau 48 (2001) Heft 8 331

Basiswissen aktualisiert

Tab. 1: Ausgewählte Glucosinolate verschiedener Pflanzen

Trivialname Chemisch bestimmende VorkommenStrukturkomponente

AlkylglucosinolateGlucoraphanin 4-Methylsulfinyl-3-butylen Brokkoli, RettichGlucoiberin 3-Methylsulfinylpropyl Weißkohl, Blumenkohl,

Kohlrübe, BrokkoliAlkenylglucosinolateSinigrin 2-Propenyl Rosenkohl, SenfProgoitrin 2-Hydroxy-3-butenyl Weißkohl, Rosenkohl,

KohlrübeArylglucosinolateGluconasturtiin Phenethyl Kohlrübe, BrunnenkresseGlucotropaeolin Benzyl Garten- und

KapuzinerkresseIndolylglucosinolateGlucobrassicin 3-Indolylmethyl Kohlrabi, Rettich,

Rosenkohl, BrokkoliNeoglucobrassicin N-Methoxy-3-indolylmethyl Kohlrübe, Rettich, Senf

Tab. 2: Glucosinolatgehalt in verschie-denen Kohlgemüsearten (µmol/gTrockenmasse) [Kushad et al. 1999]

Kohlgemüse µmol/g TM

Brokkoli 12,8 (6,6–35,6)Rosenkohl 25,1 (11,6–36,9)Weißkohl 10,9 (8,1–41,2)Blumenkohl 15,1 (10,0–21,1)Grünkohl 15,0 (12,1–17,3)

Page 3: Gluco Sino Late

zyten sowie in Dickdarmepithelzellen.Möglicherweise war die Menge anBrokkoliextrakt dafür zu niedrig. ImGegensatz dazu bewirkte in einer Hu-manstudie mit Rauchern die täglicheAufnahme von 171 g Brunnenkressenach 3 Tagen eine signifikant erhöhteAusscheidung von Karzinogenen wieglucuronidierten Nikotinmetaboliten,was auf eine Induktion von Phase-II-Enzymen schließen lässt. Neben derBeeinflussung von Phase-I/II-Enzy-men können verschiedene Glucosino-latderivate im Tiermodell die Prolife-ration hemmen sowie die Zelldifferen-zierung und Apoptose induzieren. DieTatsache, dass die intestinale mikrobi-elle Myrosinaseaktivität zur lokalenFreisetzung von Glucosinolatderiva-ten führt, wirft die Frage auf, inwie-weit dieser Mechanismus kausal ander in epidemiologischen Studien be-obachteten Verringerung des relativenDickdarmkrebsrisikos durch den tägli-chen Verzehr von Kohlgemüseartenbeteiligt ist.

Bei den indolhaltigen Glucosinola-ten wurden im Tierversuch ebenfallsantikanzerogene Wirkungen beobach-tet. Besonders intensiv untersucht istdas Indol-3-Carbinol. Auch bei diesemGlucosinolatabkömmling ist der Zeit-punkt der Aufnahme, vor oder nachder Kanzerogengabe, entscheidendfür die Beeinflussung der Kanzeroge-

nese. Als Mecha-nismus wird eben-falls die Modula-tion der Aktivitätvon Phase-I/II-En-zymen diskutiert.Des Weiteren er-höhte Indol-3-Car-binol im Tierver-such die mRNA-Konzentration fürCytochrom P450IA1 in Dickdarmund Leber. In In-terventionsstudienmit Männern führ-te die tägliche Auf-nahme von 300 gRosenkohl zu ei-ner Aktivierungder Glutathion-S-Transferase-α inder Leber.

Die Phytoöstro-genwirkung des Indol-3-Carbinolsspielt möglicher-weise eine Rollebei der Präventionhormonabhängi-

ger Tumorarten wie Brust- und Prosta-takrebs, da dieses Glucosinolat denÖstrogenstoffwechsel beeinflusst. BeiFrauen ist für die Östrogenwirkunghauptsächlich Östradiol verantwort-lich. Aus Östradiol können durch Hy-droxylierung am C-16a-Atom 16a-Hy-droxyöstron und durch Hydroxylie-rung am C-2-Atom Catechol-Östrogenentstehen. Das 16a-Hydroxyöstronbesitzt eine stärkere Östrogenwirkungund somit eine größere brustkrebsför-dernde Wirkung als Catechol-Östro-gen. Welches der beiden Produkte ent-steht, wird durch äußere Einflüsse bestimmt. Die Bildung von Catechol-Östrogen wird von einer Cytochrom-P450-abhängigen Monooxygenase ka-talysiert, deren Aktivität durch Indol-3-Carbinol induziert wird. Dadurchentsteht mehr Catechol-Östrogen, dasals schwächeres Östrogen eine protek-tive Wirkung auf östrogenbezogeneKrebsarten zu haben scheint. In-vitro-Versuche konnten jedoch zeigen, dassIndol-3-Carbinol auch unabhängigvom Östrogenrezeptor das Wachstumvon Brustkrebszellen hemmt.

In einer klinischen Studie konntendurch eine tägliche Aufnahme von500 mg Indol-3-Carbinol (enthalten inetwa 400 g Weißkohl) bzw. von 500 gBrokkoli die Catechol-Östrogensyn-these sowie die Ausscheidung des Abbauproduktes Catechol-Östron im

Urin erhöht werden. Dabei scheinen300 mg Indol-3-Carbinol eine Min-destdosis zu sein. In einer neuen klini-schen Studie verzehrten postme-nopausale Frauen über 5 Wochen täglich 193 g Kohlgemüsearten, wasdie Glucosinolataufnahme von 2 auf70 mg/Tag erhöhte. Die Interventionwar mit einem für die Brustkrebs-prävention günstigeren C2-/C16α-Östrogenverhältnis verbunden. Nebender Beeinflussung des Östrogenstoff-wechsels hemmen Indol-3-Carbinolbzw. dessen Metaboliten in vitro do-sisabhängig auch die Signalübertra-gung über den Östrogenrezeptor-alpha. Erste in vitro Ergebnisse deutenzusätzlich darauf hin, dass Indol-3-Carbinol Prozesse der Tumormetasta-sierung beeinflussen kann.

Ein weiterer Mechanismus könnteüber antioxidative Wirkungen vermit-telt werden, da sowohl im Tierversuchals auch in einer Humanstudie nachAufnahme von Rosenkohl eine ver-ringerte Ausscheidung oxidierterDNA-Moleküle im Urin festgestelltwurde. In-vitro-Untersuchungen erga-ben, dass Glucosinolate aus gekoch-tem Rosenkohl auch in vitro antioxi-dativ wirksam sein können. Allerdingsscheinen sortenspezifische Merkmalesowie die Art der Verarbeitung für dieantioxidative Wirkung von Rosenkohlverantwortlich zu sein, wodurch die inder Literatur dokumentierten und teil-weise widersprüchlichen Ergebnissezu erklären sind.

Isothiocyanate und Thiocyanate,die aus Glucosinolaten von Meerret-tich, Garten- und Kapuzinerkresse ge-bildet werden, sind besonders gut hin-sichtlich ihrer antibakteriellen Wir-kung untersucht. Bereits die Aufnah-me von 10–40 g Kresseblättern oderMeerrettichwurzeln führen dazu, dassin den Harnwegen antimikrobiellwirksame Konzentrationen an Gluco-sinolaten vorliegen. Isothiocyanatewie das Sulforaphan zeigen ebenfallseine starke antibiotische Aktivität gegen humanpathogene Keime wie E. coli, S. typhimurium oder Candidasp. Gegenwärtig werden Isothiocyana-te untersucht, inwieweit sie zur Re-duktion mikrobieller Keimbelastun-gen bei verzehrsfertigen Schnittsala-ten geeignet sind.

Glucosinolate wirken möglicher-weise auch immunmodulatorisch. Ineinem Tierversuch konnten nach ei-ner Woche oraler Aufnahme von In-dol-3-Carbinol (50 und 150 mg/kgKörpergewicht/Tag) zwar eine ver-stärkte zelluläre Immunantwort, aber

332 Ernährungs-Umschau 48 (2001) Heft 8

Basiswissen aktualisiert

Abb. 2: Abbau der Glucosinolate durch Myrosinase

Page 4: Gluco Sino Late

eine verringerte Aktivität der natürli-chen Killerzellen beobachtet werden.

Unerwünschte Wirkungen/Toxizität

Bestimmte Abbauprodukte der Gluco-sinolate (z. B. Progoitrin), v. a. Isothio-cyanate und Thiocyanate mit einer β-Hydroxyalkenyl-Seitenkette, könnenbeim Menschen die Bildung einesKropfes begünstigen. Diese Substan-zen konkurrieren mit Jod, welches zurSynthese von Schilddrüsenhormonenbenötigt wird, um die Einlagerung indie Schilddrüse. Eine unzureichendeJodeinlagerung kompensiert dieSchilddrüse mit einem verstärktenZellwachstum, dem Kropf. Bisher gibtes jedoch aus epidemiologischen Stu-dien keine Hinweise, dass Glucosino-late beim Menschen eine bedeutendeUrsache bei der Entstehung einesKropfes darstellen. Zur Auslösung ei-nes „Kohlkropfes“ müssten neben ei-ner unzureichenden Jodversorgungüber längere Zeiträume (mehrere Mo-nate) täglich mindestens 400 g Weiß-kohl, 2 kg Chinakohl oder 2,8 kg Ret-

tich verzehrt werden. Ein weitererWirkmechanismus von goitrogenenGlucosinolaten betrifft die direkteHemmung der Thyroxinsynthese, z. B.durch das Glucosinolat Vinyloxazoli-din-2-Thion.

Aktuelle Zufuhr/Versorgungszustände

Die tägliche Gesamtaufnahme an Glucosinolaten in Westdeutschlandwurde auf 43 mg/Person geschätzt;diese werden über den Verzehr von32 g Kohlgemüsearten aufgenommen.Etwa 2/3 hiervon stammen aus Weiß-kohl. Die tägliche Aufnahme an Glu-cosinolaten in England wurde mit10–16 mg/Person angegeben. Bei Ve-getariern mit hoher Aufnahme anKohlgemüsearten bzw. anderen gluco-sinolathaltigen Gemüsearten soll dietägliche Glucosinolataufnahme bei110 mg/Person liegen.

Literaturhinweise:Fahey, J.W., Zalcmann, A.T., Talalay, P.: The chemi-cal diversity and distribution of glucosinolatesand isothiocyanates among plants. Phytochem-istry 56 (2000), S. 5-51.

Kushad, M.M., Brown, A.F., Kurilich, A.C., Juvik,J.A., Klein, B.P., Wallig, M.A., Jeffery, E.H.: Variationof glucosinolates in vegetable crops of Brassicaoleracea. J. Agric. Food Chem. 47 (1999) S. 1541-1548.Mithen, R.F., Dekker, M., Verkerk, R., Rabot, S.,Johnson, I.T.: The nutritional significance, biosyn-thesis and bioavailability of glucosinolates in hu-man foods. J. Sci. Food Agric. 80 (2000), S. 967-984.Nugon-Baudon, L., Rabot, S.: Glucosinolates andglucosinolate derivates: implications for protec-tion against chemical carcinogenesis. Nutr. Res.Rev. 7 (1994), S. 205-231.Watzl, B., Leitzmann, C.: Bioaktive Substanzen inLebensmitteln. S. 30-33, 76-82, 105-106, 139. 2.Aufl., Hippokrates, Stuttgart (1999).

Anschrift des Verfassers:Dr. Bernhard WatzlInstitut für ErnährungsphysiologieBundesforschungsanstalt für ErnährungHaid-und-Neu-Str. 976131 Karlsruhe

Ernährungs-Umschau 48 (2001) Heft 8 333

Basiswissen aktualisiert