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2148 KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 8. JAHRGANG. Nr. 46 I2. NOVEMBERI929 KASUISTISCHE MITTEILUNG. MACULO-PAPULOSES EXANTHEM BEI EINEM TABI KER. Von Dr. ~. FRANKL, Nervenarzf. Assistent des Nervenabteilungder Graf Apponyi-Poliklinik in Budapest (Oberarzt: Obersanit~itsrat Prof. Dr. PAULRANSCHBURG). Es ist bekannt, dab die Syphilis niche nur Each Weit- teilen oder Rassen, soildern aueh individuell verschiedenartig abklingt. Ob der verailderte Verlauf der LEes durch das Klima, odes, wie neuerdiilgs angenommen wird, in den Tropen durch Insolation, oder durch die hies 6fters vorkommenden fieberischen Erkrailkungen bedingt ist, sei dahingestellt. Unstreitbar ist der EinfIuB der Behandlung, im Siilne eiiler Umformung, auf die 13io- Iogie, Wirkungsart der Spirochaten und damit auf die Syphilis des einzelnen. Unverkeilnbar ist die Tatsache, dab im Laufe tier Zeit nicht nur die Haut- und Eingeweidelues sich ge~indert hat, sondern aueh die Tabes. In letzterer Zeit tritt oft das Bild einer inkompletten symptomarmen Tubes in Erseheinung. Von dell Symptomen sind die tabischeil Kriseil, die Ataxie seltener geworden, wahrend Arthro- pathien, lVial perforant nurmehr ganz vereinzelt vorkommen. Alles spricht daffir, dab es zwischen sekundarer, tertiarer und Neurolues (Metalues) keine scharfe Grenze gibt. NONNE erw&llnt in seinem Handbuche, dab G~AVES durch Paralytikerblut bei einem anderen Paralytiker ttodensyphilis erzeugen konnte und durch Impfung aus diesenl I-Ioden beim Meerschweinchen eine typische Primgrsklerose eiltstand. Daher kann derselbe Spirochatenstamm beim neuen Trgger die verschiedensteil luetischen Manifestationen hervorbringen. Die neilesten Untersuchungen stellten klar, dab die Nervensymptome bei Beginn tier syphilitischen Infektion hervor- treteil k6ilneil. Der unertragliehe Kopfsehmerz, 13rechreiz, manch- mal Erbrechen, Schwindel, Stimmungsst6rungen sind eigeiltlich meningeale Reizerscheiilungen. Augenarzte maehteil uns daranf aufmerksam, dab zur Zeit der sekundareil Hauteruption eine m&13ige I-Iyperamie des Papille sehr oft vorkommt. LAST (1929) nahm mit gem I-IeBschen Pupilloskop bei friseh infizierten Syphilitikern Untersuchuilgen vor, und wies nach, dab die Pupillenreaktion zuweilen school nach 6 Wochen post inf. nicht mehr normal ist. Selbstredend bedeutet dies nich% dab sich aus solchen Fallen Tabe ~, entwickelt. FINGER beobachtete oft erh6hte Patellarreflexe bei Lnetikeril *nit sek. Exanthemen. Wit selbst sahen ziemlich viel echte Trigeminusneuralgien bei 13e- ginn der Syphilis (FRANI~L, O. H. [ungariseh] 192o, 24). Oft wurde in des sekulldaren Periode der Lues periphere Facialislahillung beobachtet. Unlangst berichteten wir fiber einen Fall doppelseitiger Facialisliihmung, die am An/ange des luetisehen In/ektion entstand*. 13ECK fand in vielen Fallen prim~irer Lues vorfibergehende Geh6r- st6rungen. BARANY sah bei sekundarer Lues vestibulare Ausfall- erscheinungen (Lahmung). Nach einzelnen Autoren zeigt der Liquor zur Zeit der Hauteruption Vergnderungen in 4o--5o%. Altere und neuere Autoreil sahen eine ganze Menge yon Fallen, wo tertiare und metaluetische Symptome gleiehzeitig auftraten. Wir selbst batten mehrmals Gelegenheit solche Kranke zu behandeln. Nach PIERR1~ MARIE kommen tertiare Symptome bei Tabes verhaltnis- mal3ig oft vor (o,5 %). Aortenaffektion und Tabes ist sozusagen eine Alltagssache. Oft konnteil wir neben typischer Tabes Pesiostitider~ beobachten. Vor einigen Jahren batten wir einen Fall yon luet. Spondylitis, die auf antiluetische 13ehandlung heilte. FEIgn- LANDER sammelte mehrere Falle, wo Tabes zusammen mit sekun- darluetisehen Hautsymptomen einherging und bei denen es sehr schwer zu beurteilen war, ob man hier eine Superinfektion oder ein sekundgrsyphilitisches 1Rezidiv vor sich hatte. In letzter Zeit (1928--1929) demonstrierten ADRIAn, FELDMANN, 13RILL in den Arztevereinssitzungen in Odessa bzw. Jena mehrere Falle yon Tabes mit maculo-papulOsen Exanthemen. Es ware wissens- weft, was ftir Anfangssymptome der Haut diesen luetischen Spat- symptomen vorhergegangeil sled. Leider werden diese Fragen sehr selten oder gar nicht beantwortet, da sich sogar intelligente Patien- ten der ersten Hautsymptome nicht erinnern k6nnen. Mail k6ilnte * FRANKL, M/inch. reed. Wschr. 1929, 9. annehmeI1, dab solche Spatsymptome der Haut ohne vorher- gegangenen Primgrausschlag auftreten. Auch unser beschriebener Fall konnte keine Aufklarung geben fiber ein etwa anfangs be- merktes Exanthem. Je intensiver das Exanthem, desto besser bleiben die inneren Organe yon der iufizierenden Noxe beschfitzt, sagt der Volks- glaube. HOFFMANN bemerkt geistreieh, die Haut sei die G]ab- statte der Parasitem Neuere Erfahrungen bestarken die Tatsache, dab das Fehlen you Hautsymptomen (Schutzstoffmangel) bei Lues die Entwieklung der Nervenlues (Tabes, Paralyse) stark f6rdert (GENNERICH, JENDRASSIK, REDLICH, SARBO). Von groBer Wiehtigkeit ist das Studium des bei Tabes und anderen luefischen Erkrankungen des Nervensystems auftretenden sekundaren und tertigren Symptome, da ge]ade diese Falle uns zeigen, wie wenig die Annahnle einer neurotropen Spiroehgte bereeh- tigt ist (Lues nervosa), kann doch dasselbe Virus an demselben Individuum Hautsymptome, Veranderungen der Aderwand, I~no- chenhautentziindung, Eingeweidelues, anderseits Granulations- vorg~nge am hinteren Wurzelnerv (RICHTER), d-. h. Tabes zustande bringen, und heute besteht kein Zweifel mehr darfiber, dab all diese Vorggnge rein syphilitischer Natur sind. SARB6 nennt die Syphilis einen Bewegungskrieg, in welchem die Spirochaten voil Zeit zu Zeit den verailderten Umstgnden gemaB immer neue Gewebsarten an- greifen. Falle yon Superiilfektion geh6ren nieht in den Rahmen dieser Abhandlung, wie z. 13. des Fall PO6R, WO bei einem Tabiker Primgr- sklerose zu sehen war, und dieser dane typische sekundare I-Iaut- eruptioneil folgten. Bei unserem Falle konnte eine primi~re Affektion weder an den Genitalien Iloch im Munde oder 1Rachen konstatiers werden. Xeine infiltrierte regiongre Lymphdrfiseil. Laut Aussage des Pat. sei er seit 6 Monaten impotent, habe keinen Sexualreiz und hatte seit August v. J. keineil Verkehr mit Frauen. Wit mfisseil bemerken, dab unser Pat. vor unserer ersten Untersuehung ander- warts eine 13ismosalvaniilj ektion erhielt. Ob das welter beschriebene maculo-papul6se Exanthem schoil vor dieser Injektion bestand, konnte nicht festgestellt werden. Pat. hatte vom Vorhandensein des Ausschlages keiile Ahnung. Mail k6nnte sich diese sekundarlueti- sche Hauteruption auch als Wirkungsfolge der einzigen Wismut- injektion vorstellen (Herxheimersche Reaktion). Wismntansschlag konnte mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Das Exanthem war blaBrosafarben. Kein Jucken. Die mit den 13estandteilen des Bismo- salvan (Jod, Chinin, ~qsmut) vorgenommeneil Hautproben ergabeil ein negatives Resultat (Dr. RAJKA). Interessanter wurde der Fall dadurch, dab auBer Tubes und Exanthem noeh eine links- seitige homonyme Hemianopsie bestand, mit Dekoloration beiges Papillen (Dr. WEISZ). Bei Opticusatrophie kommen nicht selten Ausfalle gewisser Teile des Gesichtsfeldes vor. RINNE sah nasale Hemianopsie in Zusammenhang mit tabischer Sehnervenatrophie. ZIM~E~MANN beriehtet fiber 6 FMle. Ahnliehe Fglle beschreiben NONNE und U~HOFF. Letztere nehmen bei solchen Fallen eine Kombination yon Tubes und Lues cerebri an. KrankengeseMchte. 4ijahr. Pat. Vater mit 77 Jahren pl6tzlich gestorbeil. (Herzsehlag?). Mutter verschied im 26. bis 28. Lebens- jahre an unbekannter Krankheit. Ein Bruder 42 Jahre alt, asthma- tisch. Seines Wissens keine familiare Nervenkrankheit. Kinder- krankheit: Diphfherie. Zwdmal geheiratet, einmal geschieden. (I. Heiras 1912.) IV[it der ersten Frau 3 Kinder, kein Abortus. 2 Kiilder gestorben, eines gesund. 2. Heirat 192o, steril. 1918 ,,Schanker" ohile ]~xanthem, ohne Halsschmerzen. Zugleich 13ubo, der incidiert wurde. Der Schailker wurde lokal behandelt. Schmier- kur oder anderweitige Allgemeinbehandlung erhielt er Ilicht. Das gauze heilte in 3--4 Wochen, keine BbIIltuntersuchung. 192o sehlechtes Allgemeinbeliilden, ffihlt sich mfide und matt. Nach einigen Tagen bemerkt er linsengroBe Aussehlage am Ober- k6rper, weswegen er die Dermat. Abteilung des Poliklinik auf- sucht, wo er, Each einer 131utuntersuchung, in die Nares ca. 30 In- jektionen erhalt, in den Arm keine. Die Exantheme vergehen wahrend einigeil Tagen. ]3is 1925 ffihl% er sich gut und nimmt, trotz Warnung, keine weitere 13ehaildluilg in Ansprueh. 1925 ergriff ihn wieder Mattigkeit, Nervositat. Meldet sich an der Nervenabteilung des j{idischen Spitales, wo er mit 30 Bi.- und 12 Salvarsaninj ektionen behandelt wird. Danach bis jfingst Wohlbefinden. Vor 3 Wochen, eines 3/[orgens ,,ffihlt er seine Angen so seltsam", sieht schlecht, und seitdem nimmt die Sehscharfe fortwahrend ab. Vor 2 Wochen

Maculo-Papulöses Exanthem bei Einem Tabiker

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2148 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 8. J A H R G A N G . Nr . 46 I2. NOVEMBERI929

K A S U I S T I S C H E M I T T E I L U N G .

MACULO-PAPULOSES EXANTHEM BEI EINEM TABI KER.

Von

Dr. ~. FRANKL, Nervenarz f . Assistent des Nervenabteilung der Graf Apponyi-Poliklinik in Budapest

(Oberarzt: Obersanit~itsrat Prof. Dr. PAUL RANSCHBURG).

Es ist bekannt, dab die Syphilis niche nur Each Weit- teilen oder Rassen, soildern aueh individuell verschiedenartig abklingt. Ob der verailderte Verlauf der LEes durch das Klima, odes, wie neuerdiilgs angenommen wird, in den Tropen durch Insolation, oder durch die hies 6fters vorkommenden fieberischen Erkrailkungen bedingt ist, sei dahingestellt. Unstreitbar ist der EinfIuB der Behandlung, im Siilne eiiler Umformung, auf die 13io- Iogie, Wirkungsart der Spirochaten und damit auf die Syphilis des einzelnen. Unverkeilnbar ist die Tatsache, dab im Laufe tier Zeit nicht nur die Haut- und Eingeweidelues sich ge~indert hat, sondern aueh die Tabes. In letzterer Zeit t r i t t oft das Bild einer inkompletten symptomarmen Tubes in Erseheinung. Von dell Symptomen sind die tabischeil Kriseil, die Ataxie seltener geworden, wahrend Arthro- pathien, lVial perforant nurmehr ganz vereinzelt vorkommen.

Alles spricht daffir, dab es zwischen sekundarer, tertiarer und Neurolues (Metalues) keine scharfe Grenze gibt. NONNE erw&llnt in seinem Handbuche, dab G~AVES durch Paralytikerblut bei einem anderen Paralytiker ttodensyphilis erzeugen konnte und durch Impfung aus diesenl I-Ioden beim Meerschweinchen eine typische Primgrsklerose eiltstand. Daher kann derselbe Spirochatenstamm beim neuen Trgger die verschiedensteil luetischen Manifestationen hervorbringen. Die neilesten Untersuchungen stellten klar, dab die Nervensymptome bei Beginn tier syphilitischen Infektion hervor- treteil k6ilneil. Der unertragliehe Kopfsehmerz, 13rechreiz, manch- mal Erbrechen, Schwindel, Stimmungsst6rungen sind eigeiltlich meningeale Reizerscheiilungen.

Augenarzte maehteil uns daranf aufmerksam, dab zur Zeit der sekundareil Hauteruption eine m&13ige I-Iyperamie des Papille sehr oft vorkommt. LAST (1929) nahm mit gem I-IeBschen Pupilloskop bei friseh infizierten Syphilitikern Untersuchuilgen vor, und wies nach, dab die Pupillenreaktion zuweilen school nach 6 Wochen post inf. nicht mehr normal ist. Selbstredend bedeutet dies nich% dab sich aus solchen Fallen Tabe ~, entwickelt. FINGER beobachtete oft erh6hte Patellarreflexe bei Lnetikeril *nit sek. Exanthemen. Wit selbst sahen ziemlich viel echte Trigeminusneuralgien bei 13e- ginn der Syphilis (FRANI~L, O. H. [ungariseh] 192o, 24). Oft wurde in des sekulldaren Periode der Lues periphere Facialislahillung beobachtet. Unlangst berichteten wir fiber einen Fall doppelseitiger Facialisliihmung, die am An/ange des luetisehen In/ektion entstand*. 13ECK fand in vielen Fallen prim~irer Lues vorfibergehende Geh6r- st6rungen. BARANY sah bei sekundarer Lues vestibulare Ausfall- erscheinungen (Lahmung). Nach einzelnen Autoren zeigt der Liquor zur Zeit der Hauteruption Vergnderungen in 4o--5o%. Altere und neuere Autoreil sahen eine ganze Menge yon Fallen, wo tertiare und metaluetische Symptome gleiehzeitig auftraten. Wir selbst bat ten mehrmals Gelegenheit solche Kranke zu behandeln. Nach PIERR1~ MARIE kommen tertiare Symptome bei Tabes verhaltnis- mal3ig oft vor (o,5 %). Aortenaffektion und Tabes ist sozusagen eine Alltagssache. Oft konnteil wir neben typischer Tabes Pesiostitider~ beobachten. Vor einigen Jahren bat ten wir einen Fall yon luet. Spondylitis, die auf antiluetische 13ehandlung heilte. FEIgn- LANDER sammelte mehrere Falle, wo Tabes zusammen mit sekun- darluetisehen Hautsymptomen einherging und bei denen es sehr schwer zu beurteilen war, ob man hier eine Superinfektion oder ein sekundgrsyphilitisches 1Rezidiv vor sich hatte.

In letzter Zeit (1928--1929) demonstrierten ADRIAn, FELDMANN, 13RILL in den Arztevereinssitzungen in Odessa bzw. Jena mehrere Falle yon Tabes mit maculo-papulOsen Exanthemen. Es ware wissens- weft, was ftir Anfangssymptome der Haut diesen luetischen Spat- symptomen vorhergegangeil sled. Leider werden diese Fragen sehr selten oder gar nicht beantwortet, da sich sogar intelligente Patien- ten der ersten Hautsymptome nicht erinnern k6nnen. Mail k6ilnte

* FRANKL, M/inch. reed. Wschr. 1929, 9.

annehmeI1, dab solche Spatsymptome der Haut ohne vorher- gegangenen Primgrausschlag auftreten. Auch unser beschriebener Fall konnte keine Aufklarung geben fiber ein etwa anfangs be- merktes Exanthem.

Je intensiver das Exanthem, desto besser bleiben die inneren Organe yon der iufizierenden Noxe beschfitzt, sagt der Volks- glaube. HOFFMANN bemerkt geistreieh, die Haut sei die G]ab- s ta t te der Parasitem Neuere Erfahrungen bestarken die Tatsache, dab das Fehlen you Hautsymptomen (Schutzstoffmangel) bei Lues die Entwieklung der Nervenlues (Tabes, Paralyse) stark f6rdert (GENNERICH, JENDRASSIK, REDLICH, SARBO).

Von groBer Wiehtigkeit ist das Studium des bei Tabes und anderen luefischen Erkrankungen des Nervensystems auftretenden sekundaren und tertigren Symptome, da ge]ade diese Falle uns zeigen, wie wenig die Annahnle einer neurotropen Spiroehgte bereeh- tigt ist (Lues nervosa), kann doch dasselbe Virus an demselben Individuum Hautsymptome, Veranderungen der Aderwand, I~no- chenhautentziindung, Eingeweidelues, anderseits Granulations- vorg~nge am hinteren Wurzelnerv (RICHTER), d-. h. Tabes zustande bringen, und heute besteht kein Zweifel mehr darfiber, dab all diese Vorggnge rein syphilitischer Natur sind. SARB6 nennt die Syphilis einen Bewegungskrieg, in welchem die Spirochaten voil Zeit zu Zeit den verailderten Umstgnden gemaB immer neue Gewebsarten an- greifen.

Falle yon Superiilfektion geh6ren nieht in den Rahmen dieser Abhandlung, wie z. 13. des Fall PO6R, WO bei einem Tabiker Primgr- sklerose zu sehen war, und dieser dane typische sekundare I-Iaut- eruptioneil folgten. Bei unserem Falle konnte eine primi~re Affektion weder an den Genitalien Iloch im Munde oder 1Rachen konstatiers werden. Xeine infiltrierte regiongre Lymphdrfiseil. Laut Aussage des Pat. sei er seit 6 Monaten impotent, habe keinen Sexualreiz und hat te seit August v. J. keineil Verkehr mit Frauen. Wit mfisseil bemerken, dab unser Pat. vor unserer ersten Untersuehung ander- warts eine 13ismosalvaniilj ektion erhielt. Ob das welter beschriebene maculo-papul6se Exanthem schoil vor dieser Injektion bestand, konnte nicht festgestellt werden. Pat. hatte vom Vorhandensein des Ausschlages keiile Ahnung. Mail k6nnte sich diese sekundarlueti- sche Hauteruption auch als Wirkungsfolge der einzigen Wismut- injektion vorstellen (Herxheimersche Reaktion). Wismntansschlag konnte mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Das Exanthem war blaBrosafarben. Kein Jucken. Die mit den 13estandteilen des Bismo- salvan (Jod, Chinin, ~qsmut) vorgenommeneil Hautproben ergabeil ein negatives Resultat (Dr. RAJKA). Interessanter wurde der Fall dadurch, dab auBer Tubes und Exanthem noeh eine links- seitige homonyme Hemianopsie bestand, mit Dekoloration beiges Papillen (Dr. WEISZ). Bei Opticusatrophie kommen nicht selten Ausfalle gewisser Teile des Gesichtsfeldes vor. RINNE sah nasale Hemianopsie in Zusammenhang mit tabischer Sehnervenatrophie. ZIM~E~MANN beriehtet fiber 6 FMle. Ahnliehe Fglle beschreiben NONNE und U~HOFF. Letztere nehmen bei solchen Fallen eine Kombination yon Tubes und Lues cerebri an.

KrankengeseMchte. 4ijahr . Pat. Vater mit 77 Jahren pl6tzlich gestorbeil. (Herzsehlag?). Mutter verschied im 26. bis 28. Lebens- jahre an unbekannter Krankheit. Ein Bruder 42 Jahre alt, asthma- tisch. Seines Wissens keine familiare Nervenkrankheit. Kinder- krankheit: Diphfherie. Zwdmal geheiratet, einmal geschieden. (I. Heiras 1912.) IV[it der ersten Frau 3 Kinder, kein Abortus. 2 Kiilder gestorben, eines gesund. 2. Heirat 192o, steril. 1918 ,,Schanker" ohile ]~xanthem, ohne Halsschmerzen. Zugleich 13ubo, der incidiert wurde. Der Schailker wurde lokal behandelt. Schmier- kur oder anderweitige Allgemeinbehandlung erhielt er Ilicht. Das gauze heilte in 3--4 Wochen, keine BbIIltuntersuchung. 192o sehlechtes Allgemeinbeliilden, ffihlt sich mfide und matt. Nach einigen Tagen bemerkt er linsengroBe Aussehlage am Ober- k6rper, weswegen er die Dermat. Abteilung des Poliklinik auf- sucht, wo er, Each einer 131utuntersuchung, in die Nares ca. 30 In- jektionen erhalt, in den Arm keine. Die Exantheme vergehen wahrend einigeil Tagen. ]3is 1925 ffihl% er sich gut und nimmt, trotz Warnung, keine weitere 13ehaildluilg in Ansprueh. 1925 ergriff ihn wieder Mattigkeit, Nervositat. Meldet sich an der Nervenabteilung des j {idischen Spitales, wo er mit 30 Bi.- und 12 Salvarsaninj ektionen behandelt wird. Danach bis jfingst Wohlbefinden. Vor 3 Wochen, eines 3/[orgens ,,ffihlt er seine Angen so seltsam", sieht schlecht, und seitdem nimmt die Sehscharfe fortwahrend ab. Vor 2 Wochen

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suchte er die Augenordination seiner Krankenkasse auf (Dr. WEISZ), yon wo er an unsere Abteilung t~berwiesen wurde. Gegenwgrtige Besehwerden: Beim Liegen pl6tzlich , ,bli tzart ig" einige Sekunden andauernde heftige Schmerzen in den Ffi/?en, Zehen und im Brust- korbe. Die Sehst6rung machte ihn vollkommen arbeitsunf~hig, kann kaum auf der Gasse herumgehen, das Auto hXtte ihn bald fiber- fahren. Kein Schwindel, kein Erbrechen oder Brechreiz. I ieine Kopfschmerzen. In der Kehle ha t er seit dem Sommer ein unan- genehmes, kratzendes Gefiihl. Rauch t wenig, t r ink t Alkohol ganz selten. Einmal t ropf t der Urin, ohne dab er es merkt , ein anderes Mal s tarker IReiz zum Urinieren. Potenz ggnzlich ver- schwunden, ha t t e seit August 1928 keinen Coitus. Schlaf, Appeti t gut. Stuhl normal. Keine Gewichtsabnahme. Seine Arbeit ha t t e er, solange die Augen nicht verdorben sind, tadellos verr ichtet . Keine PoIydipsie.

Pat . meldete sieh bei uns am 3- I I I . I929. Am 4. I I I . erhielt er eine Bismosalvaninjektion. Bei der Untersuchung fieI es anf, daft am Oberk6rper ein blaBrosafarbener, linsen- his hMbtellergrol3er, ein wenig erhabener, stellenweise sich abschuppender, n icht jucken- tier Ausschlag war, wovon Pat. keine Ahnung hat te . Der derma- tologische und such unser Befund lautete: Maculo-papulOses Exan- t hem spezifischer Herkunft . WaR. negativ. Am 8. III . stellt er sich wieder vor und erz~hlt, dab er in der l tassenordinat ion eine Satvar- saninjektion erhielt. Exan them ist etwas blasser, abet noch immer gut sichtbar. Am 9. III . SpirochXtenuntersuchung aus der Papula negativ. Prim~rsklerose ist nirgends am iK6rper, Genitalien oder im Munde zu linden. IRechts am Halse kleine Drfisen.

Status praesens: MittelmStBig entwickelter und ern~hrter Pat . IZraftvolle Musketn. Gesicht ein wenig bleich, Schleimh~Lute blaB- rosa. Geruchsinn gut. t temianopsia homonyms sinistra, iReehtes Auge schwach, kann kaum Finger zahlen oder Farben unter- scheiden. Rechte Pupille erweitert, unregelm~gig. Beide l ichtstarr .

Akkommodat ionsreakt ion gut. Augenbewegungen sind frei. Kein Nystagmus. Cornealreflex normal. Keine St6rung beim TrY.hen. t i auen und seitliche Bewegung des Kinnes normal. Keine Gefiahls- s t6rung im Trigeminusgebiet. Schlechtes, maI~gethaftes GebiB. Beide Augen erreichen den Xugeren Augenwinkel. Mimik in Ord- hung, linker Facialis etwas schwgcher innerviert . Geh6r beiderseits fehlerlos. Keine St6rung im Geschmacksgefiihl. Puls rhythmisch, 92, n icht straif, Zungenbewegung frei, daselbst keine Atrophie. Steht sicher bei gesehlossenen Augen, Gang sicher, keine Ataxie an FiilBen und ttXnden, iKeine t typotonie. An den Muskeln ist funktionelle St6rung oder Atrophie nicht nachweisbar. I ieine Gflrtelan~sthesie. Stereognose. Diadochokinese gut. Patellar- und Achillessehnenreflex nieht ausl6sbar. ]3auch- und Cremasterreflexe beiderseits lebhai t . Lungen und tIerz ohne Besonderheiten. Intelli- genz intakt . Gibt auf seinem Wissen entsprechende Fragen ver- sti~ndige Antworten. I s t mi t dem Erns t seines Leidens im reinen. Lesen, Schreiben wie Irfiher (abztlglich die Sehst6rung).

Augenbefund (Dr. W~Isz): Rechte Papille schmutziggrau, ~tuBere FIMfte dekoloriert. Die ~uBere Hglfte der linken Papille scheint such etwas blasser zu sein. Rechts positives zentrales Far- benskotom (rot und grfln). Links keines. Hemianops iahomonyma sinistra. Visus R. 5/5 o, L. 5/I5. IR6ntgenbefund des Sch~dels normal.

Am 18. III . Liquoruntersuchung. WaR. ~--t--t-. Nonne-Appelt positiv, Fgndy -t-, Goldsol-R. zeigt luetische Krf immung (Prof.VAs).

Am 2o. III . wird beim Pat . eine milde antiluetische Kur ein- gefflhrt. 2oproz. Natr. Jod intraven6s, 5- -2o ccm. Ausschlag un- ver~ndert.

25. I I I . E x a n t h e m wird bIasser. 3o. I I I . E x a n t h e m beinahe verschwunden. Seh- und Augen-

befund unver~ndert . Pat . ver lagt die Klinik. Wird welter ambulan t behandelt .

PRAKTISCHE ERGEBNISSE. ?tiBER F E H L D I A G N O S E N *

Von

Prof . C. HEGLER. Aus dem Allgemeinen Krankenhause Hamburg-St. Georg.

ES k a n n n i c h t me ine A b s i c h t sein, im fo lgenden das u n e n d - l iche G e b i e t unse res T h e m a s , f iber welches j ede r yon uns i m Laufe de r J a h r e eine Ffille y o n E r f a h r u n g u n d Ma te r i a l g e s a m m e l t ha t , a u c h n u t a n n ~ h e r n d e r sch6pfend da rzus t e l l en - - da r i i be r m fiBre Inan I - - 2 Semes te r l ang eine Vor l e sung h a l t e n - - ; es sol len v i e l m e h r aus eigener, ge rade 2 5 j g h r i g e r k l in i seher E r f a h r u n g die G r u n d l a g e n u n d E i n z e l u r s a c h e n de r F e h l d i a g n o s e n n a c h b e s t i m m t e n G e s i c h t s p u n k t e n z u s a m m e n - u n d v o r A u g e n ges te l l t werden .

W e n n w i t den U r s a c h e n der h~uf igs t en f e h l e r h a f t e n Dia- gnosen n a c h g e h e n , mfissen w i t uns z u n ~ c h s t in s l ie r g e b o t e n e n Kfirze k l a r werden , auf welche Weise der Arzt i~berhaupt zu seiner Diagnose lcommt. Vie l faeh i s t in l e t z t e r Ze i t f iber diese F r a g e ge sch r i eben u n d g e s t r i t t e n worden . A m b e k a n n t e s t e n i s t die D a r s t e ] l u n g y o n 1RICI~ARD KOCH: , ,Die ~trztliche Dia- g n o s e " (2. Aufl. 192o) sowie y o n HONIGMANN-GieBen (Wesen de r H e i l k u n d e 1924 u n d , , E i n f t i h r u n g in die Di f fe ren t i a l - d i a g n o s t i k " I926). A u c h u n s e r A l t o n a e r Kol lege MAI~.*ZER h a t s ich I925 f iber , ,die logischen P r i n z i p i e n der Erz t l ichen Dia- g n o s e " ( A b h a n d l u n g e n zur t h e o r e t i s c h e n Biologic, H e f t 21) aus f i ih r l i ch ge~uBert . Wie al lsei ts h e r v o r g e h o b e n wird, i s t da s Ziel de r ~ rz t l i chen Diagnose , dieses , , v o r n e h m s t e n Zweiges der H e i l k u n d e " , n i c h t wis sensehaf t l i che E r k e n n t n i s a n sich, s o n d e r n die F e s t s t e l l u n g i rgendwe lche r morpho log i sche r ode r f u n k t i o n e l l e r oder k o n s t i t u t i o n e l l e r V e r X n d e r u n g e n z u m Zwecke der He i lung . U n s e r e Diagnose e t i k e t t i e r t eine K r a n k - he i r m i t e i n e m N a m e n , wobe i also v o r a u s g e s e t z t wird, d a b es v e r s c h i e d e n e , , K r a n k h e i t e n " g ib t - - zwar ke ine e c h t e n na t f i r l i ehen A r t e n e t w a i m b o t a n i s c h e n Sinne, a b e t K r a n k - t l e i t s t y p e n oder t yp i s ehe I t r a n k h e i t s v e r l a u f s a r t e n . MAINZ~R b e t o n t a l lerdings , d a b in v ie len K r a n k h e i t s v e r l g u f e n s ich d o c h so viele Ze ichen a l lgemeiner Gfi l t igkei t zeigen, d a b m a n b e r e c h t i g t sei, d a r a u s die De f in i t i on e iner b e s t i m m t e n K r a n k -

�9 Vortrag, gehalten im 2irztlichen Verein Hamburg, am 3o. IV. 1929.

h e i t s a r t he r zu l e i t en ( P a r a d i g m s : die I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n ) . Die V e r l a u f s t y p e n k 6 n n e n n a e h zweierlei G e s i e h t s p u n k t e n b e t r a e h t e t w e r d e n : e n t w e d e r m a n s te l l t e i n e n I d e a l t y p e iner K r a n k h e i t au f ( , ,Schulfglle") , oder m a n n i m m t als T y p das Mi t t e lmaB zwischen e x t r e m e n M6gl i chke i t en des Ver laufs . So oder so i s t de r T y p ein f ik t ives Denkgeb i lde , , ,die Idee der K r a n k h e i t " , de r f ibliche Diagnosebegr i f I eine A b s t r a k t i o n , die in p r a x i au f den Z u s t a n d eines E i n z e l i n d i v i d u u m s ange- w a n d t wird. 1Krankhei tsbegr i f f n n d I n d i v i d u a l d i a g n o s e k 6 n n e n s ich decken (z. B. E k z e m , Nasenpo lypen) , k 6 n n e n a b e t a u c h s t a r k a u s e i n a n d e r g e h e n (z. B. Nenrosen , i u n k t i o - nel le S t6 rungen) .

W a s die Arten der Diagnosen anbe t r i f f t , so lassen sie sich, r e in p r a k t i s c h , n n t e r s c h e i d e n in : I. ~Ltiologische D i a g n o s e n (z. B. Cholera, Ve rg i f tungen , V e r b r e n n u n g e n ) , wobe i s l ier- d ings n i e h t s ausgesag t w i rd f iber die Schwere der I n f e k t i o n usw. n n d die ind iv idue l l e IReakt ion; 2. a n a t 0 m i s c h e Dia- gnosen, ,,ffir de rb d e n k e g d e M e n s c h e n die n a i v s t e D iagnose" , b e g r e n z t d u t c h die mik roskop i sche S i c h t b a r k e i t u n d s t e t s n u r f iber e inen Z u s t a n d , n i c h t f iber e inen V o r g a n g Aufschlut3 gebend, wobei a u c h die morpho log i sche V e r ~ n d e r u n g n i e h t para l le l zu gehen b r a u c h t de r ]Bedeutung ffir den K 6 r p e r ; 3. phys io logische u n d funk t ione l l e D i a g n o s e n m i t d e m Zweck, die Ti i t igke i t e ines b e s t i m m t e n Organs in e iner b e s t i m m t e n Zei t zu e r k e n n e n ; 4. s y m p t o m a t i s c h e Diagnosen , wobei die S y m p t o m e als die l e t z t en Gl ieder in e iner l a n g e n Re ihe k r a n k - h a f t e r Vorg~nge g e w e r t e t werden .

I m m e r wieder muB d a r a u f h ingewiesen werden , d a b s u c h heu t igen tags , wo ein a b s t r a k t e r Krankhe i t sbeg r i f f , der Beg~iff der K r a n k h e i t an sich, ffir u n s e r kausa les D e n k e n n i c h t m e h r be s t eh t , u n s e r ~rz t l iches D e n k e n v ie t f ach yon solcher Vor- s t e l lung i m m e r wieder b e h e r r s c h t wird. t~LEULERS herz- e r f r i schende Aus f f i h rungen f iber das , , au t i s t i sch undisz ip l i : n i e r t e D e n k e n in der Med iz in" k 6 n n e n d e m S t u d i u m der -~rzte n i c h t w a r m genug e m p f o h l e n werden .

Wie kommen ~ehldiagnosen zustande ?

I. Z u n ~ c h s t e i n m a l d u r e h /ehlerha]te Anamnesen. D i e K u n s t , e ine gu te A n a m n e s e a u f z u n e h m e n , wi rd -- so s che in t es m i r -- bei de r j u n g e n G e n e r a t i o n i m m e r se l t ener ; woh l