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ph Nr. 23 Dezember 2016 20 von Birgit Emde, Ismaning Der Begriff Salutogenese ist vielen wahr- scheinlich unbekannt. Er kann als „Ent- stehung von Gesundheit“ übersetzt wer- den. Salutogenese kann auch in der Be- ratung in der Apotheke erfolgreich ange- wendet werden. Gerade in Zeiten von Internet und Versandhandel gewinnt eine gute und gesundheitsfördernde Be- ratung an Bedeutung. Das Salutogenese- Modell kann jeder für die persönliche Gesundheitspflege anwenden, aber auch in beruflichen Zusammenhängen. Dieser Artikel soll einen Einblick in die Welt der Salutogenese geben und Anregung für die Umsetzung in der Apotheke sein. Was bedeutet Salutogenese? Salutogenese kann als „Entstehung von Gesundheit“ übersetzt werden. Die Worte leiten sich aus dem Lateinischen und Griechischen ab. „Salus“ bedeutet Gesundheit und „genesis“ ist die Entste- hung. Sie beschäſtigt sich mit der Frage: „Wie entsteht Gesundheit?“ Es geht nicht um die Suche nach Krankheiten und Schwächen, sondern um die psy- chischen und physischen Stärken eines Individuums. Demgegenüber steht das Prinzip der Pathogenese, das in unserer westlich geprägten Medizin in erster Li- nie verfolgt wird. Übersetzt bedeutet Pathogenese „Entstehung von Krank- heiten“. Aus diesen Erkenntnissen wer- den wirksame Arzneimittel und era- pien als wichtiger Aspekt für die Medi- zin entwickelt. Allerdings kann diese Sichtweise sehr gut durch die Salutoge- nese ergänzt und erweitert werden, um den Menschen über die pathologischen Aspekte hinaus in all seinen Daseinsdi- mensionen – der materiellen, der vege- tativen, der sozial-emotionalen, der kul- turellen und der global-geistigen – mit einzubeziehen. Hierbei geht es um die Frage, wie der Mensch sich gesund ent- wickeln kann und wie seine persönli- chen Ressourcen gesundheitsfördernd genutzt werden können. Das Wichtigste in Kürze . Salutogenese bedeutet „Entstehung von Gesundheit“. . Es geht dabei nicht um die Suche nach Krankheiten und Schwächen, sondern um die psychischen und phy- sischen Stärken eines Individuums. . Das Konzept der Salutogenese wurde in den 1970er-Jahren von Aaron An- tonovsky, einem Medizinsoziologen, entwickelt. . Es gibt drei Bedingungen für das Ko- härenzgefühl: Verstehbarkeit, Hand- habbarkeit und Sinnhaftigkeit. . Durch die Salutogenese ist es mög- lich, auf die Selbstheilungsfähigkeit Einfluss zu nehmen. Unsere Gefühle Salutogenese Auf der Suche nach den Quellen der Gesundheit

Salutogenese - PTAheute | PTAheute · scher Ebene, Zellstoffwechsel, Immun-system und den vegetativen Elementen, stehen immer in direkter Kommunika-tion mit den psychischen Aspekten,

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ph Nr. 23 Dezember 201620

von Birgit Emde, Ismaning

Der Begriff Salutogenese ist vielen wahr-scheinlich unbekannt. Er kann als „Ent-stehung von Gesundheit“ übersetzt wer-den. Salutogenese kann auch in der Be-ratung in der Apotheke erfolgreich ange-wendet werden. Gerade in Zeiten von Internet und Versandhandel gewinnt eine gute und gesundheitsfördernde Be-ratung an Bedeutung. Das Salutogenese-Modell kann jeder für die persönliche Gesundheitspflege anwenden, aber auch in beruflichen Zusammenhängen. Dieser Artikel soll einen Einblick in die Welt der Salutogenese geben und Anregung für die Umsetzung in der Apotheke sein.

Was bedeutet Salutogenese?

Salutogenese kann als „Entstehung von Gesundheit“ übersetzt werden. Die Worte leiten sich aus dem Lateinischen und Griechischen ab. „Salus“ bedeutet Gesundheit und „genesis“ ist die Entste-

hung. Sie beschäftigt sich mit der Frage: „Wie entsteht Gesundheit?“ Es geht nicht um die Suche nach Krankheiten und Schwächen, sondern um die psy-chischen und physischen Stärken eines Individuums. Demgegenüber steht das Prinzip der Pathogenese, das in unserer westlich geprägten Medizin in erster Li-nie verfolgt wird. Übersetzt bedeutet Pathogenese „Entstehung von Krank-heiten“. Aus diesen Erkenntnissen wer-den wirksame Arzneimittel und Thera-pien als wichtiger Aspekt für die Medi-

zin entwickelt. Allerdings kann diese Sichtweise sehr gut durch die Salutoge-nese ergänzt und erweitert werden, um den Menschen über die pathologischen Aspekte hinaus in all seinen Daseinsdi-mensionen – der materiellen, der vege-tativen, der sozial-emotionalen, der kul-turellen und der global-geistigen – mit einzubeziehen. Hierbei geht es um die Frage, wie der Mensch sich gesund ent-wickeln kann und wie seine persönli-chen Ressourcen gesundheitsfördernd genutzt werden können.

Das Wichtigste in Kürze

. Salutogenese bedeutet „Entstehung von Gesundheit“.

. Es geht dabei nicht um die Suche nach Krankheiten und Schwächen, sondern um die psychischen und phy-sischen Stärken eines Individuums.

. Das Konzept der Salutogenese wurde in den 1970er-Jahren von Aaron An-

tonovsky, einem Medizinsoziologen, entwickelt.

. Es gibt drei Bedingungen für das Ko-härenzgefühl: Verstehbarkeit, Hand-habbarkeit und Sinnhaftigkeit.

. Durch die Salutogenese ist es mög-lich, auf die Selbstheilungsfähigkeit Einfluss zu nehmen.

Unsere Gefühle

SalutogeneseAuf der Suche nach den Quellen der Gesundheit

Unsere Gefühle

phNr. 23 Dezember 2016 21

Salutogenese- Konzept

Nach dem Salutogenese-Mo-dell ist Gesundheit kein Zu-stand, sondern ein Prozess, an dem der Mensch sich ei-genverantwortlich und aktiv beteiligen kann. Entwickelt wurde das Konzept in den 1970er-Jahren von dem israe-lisch-amerikanischen Medi-zinsoziologen und Stressfor-scher Aaron Antonovsky. Bei einer Befragung überleben-der Frauen des Holocaust fiel ihm auf, dass eine Gruppe der Befragten trotz des un-vorstellbaren Horrors in ei-nem Konzentrationslager im Alter gesund geblieben war. Er fragte sich, welche Eigen-schaften und Ressourcen sie zur Stressbewältigung und Gesunderhaltung befähigt hat. Antonovsky bezeichnete als zentralen Faktor für Ge-sundheit den „sense of cohe-rence“, das Gefühl von Kohä-renz, das als Gefühl stimmiger Verbun-denheit, als ein Urvertrauen, empfun-den werden kann.

Kohärenzgefühl

Das Kohärenzgefühl drückt aus, wie gut es dem Menschen gelingt, sich in den großen und kleinen (privaten) Weltzusammenhang seines Lebens ein-zuordnen und damit den Sinn für sein Leben finden kann. Dieses Gefühl kann jeder entwickeln und üben. Es besteht aus drei Komponenten: der Verstehbar-keit, Handhabbarkeit und Sinnhaftig-

keit. Das Rahmenkonzept der Salutoge-nese ist auch in der Infografik auf Seite 22 abgebildet.

Die drei Komponenten im Detail

Bei der Verstehbarkeit geht es um die Verständlichkeit der Welt und der Din-ge, die passieren. Probleme und Belas-tungen, die erlebt werden, können in einem größeren Zusammenhang be-griffen werden. Die Handhabbarkeit drückt aus, wie gut die Aufgaben, die das Leben stellt, gelöst werden können.

Man verfügt über innere und äußere Ressourcen, die zur Meisterung des Lebens und der aktuellen Probleme ein-gesetzt werden können. Mit der Sinnhaftigkeit wird aus-gedrückt, dass für die eigene Lebensführung Anstrengung sinnvoll ist. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu en-gagieren lohnt.

Selbstheilungs-fähigkeit

Die Salutogenese als Quelle von Gesundheitskräften kann für die Aktivierung der eige-nen Selbstheilungsfähigkeit genutzt werden. Der Mensch erkrankt, wenn er verletzbar und schwach geworden ist. Verletzbarkeit kann auch als eine Unstimmigkeit verstan-den werden, die beispielswei-se durch Stress oder Müdig-keit ausgelöst wird. Der Mensch wird müde, unkon-zentriert und überlastet.

Würde er rechtzeitig angemessen auf diese Unstimmigkeiten reagieren, z. B. durch Hinlegen, Ruhepausen oder in-dem er die eigene Energie nach innen richtet, könnten diese beseitigt und eine neue Stimmigkeit erlangt werden.

Gestärktes Immunsystem

Dieser richtige Umgang mit gefühlter Unstimmigkeit (hier Stress und Müdig-keit) stärkt das Immunsystem. Die Ver-letzbarkeit geht zurück und die Selbst-heilungsfähigkeiten werden angeregt. Das Wechselspiel von Körper, Seele

Mit diesem Schaubild zeigt Birgit Emde, wie eine ganzheitliche Beratung im Sinne der Salutogenese geführt werden kann.

Die Pathogenese fragt:. Wie entsteht die Krankheit?. Was läuft schlecht oder falsch?. Wie kann ich Krankheit verhindern?

Die Salutogenese fragt: . Wie entsteht Gesundheit? . Wo liegen die Quellen der Gesundheit? . Wie kann Gesundheit gefördert werden?

Wo liegen die Unterschiede zwischen Pathogenese und Salutogenese?

Unsere Gefühle

ph Nr. 23 Dezember 201622

und Geist kann positiv und gesund-heitsfördernd gelenkt werden. Die Fähigkeiten des Organismus auf physi-scher Ebene, Zellstoffwechsel, Immun-system und den vegetativen Elementen, stehen immer in direkter Kommunika-tion mit den psychischen Aspekten, ge-nauer dem Zusammenspiel von Emo-tionen und Gedanken.

Schlafende Ressourcen wecken

Die Psychologie weiß schon lange, dass die Kommunikation mit den Mitmen-schen einen entscheidenden Einfluss auf das seelische Wohlbefinden hat. Menschliche Begegnungen bergen Res-sourcen für die Selbstheilungsfähigkei-ten. Das eröffnet große Möglichkeiten für den Einzelnen und fordert die Heil-berufe wie Arzt, Therapeut, Apotheker und PTA neu heraus.

Wichtig: die verbale Ebene

Zunächst geht es um die verbale Ebene in der Familie, im Freundeskreis und unter Kollegen. Es beginnt mit der Be-ziehungsfähigkeit zwischen Kind und Eltern. Das Kind würde ohne Kommu-nikation entwicklungsunfähig bleiben.

Später geht es dann um einen ausgewo-genen Kreislauf von Geben und Neh-men, um Agieren und Reagieren. Im Krankheitsfall sind der Therapeut, Arzt und die Apotheke gefragt, um für den Patienten eine heilsame Kommunika-tion im Sinne der Salutogenese zur An-regung der Selbstheilungsfähigkeit zu führen.

Anregung der Selbstheilungs fähigkeiten

Der Einzelne kann sich durch eine achtsame Lebensweise positiv beein-flussen (siehe auch den Artikel zur Achtsamkeit auf Seite 32), sich selbst bewusst wahrnehmen, sich auf die eig-nen Fähigkeiten besinnen und die posi-tiven, bereichernden Faktoren im All-

tag wahrnehmen. Aber auch durchlebte Erfahrungen durch Krankheit oder Krisen können als stärkendes Potenzial aufgefasst werden, indem sie positiv in das Leben integriert werden. Wichtig ist immer das Gespräch mit dem Part-ner, in der Familie oder mit Freunden. Hierbei sei auf die Bedingungen für das Kohärenzgefühl (siehe vorherige Seite) hingewiesen.

Salutogene Aspekte

Beim Beratungsgespräch mit dem Kun-den kann auf dessen Selbstheilungsfä-higkeit unter den Aspekten der Saluto-genese Einfluss genommen werden. Hierfür sind die persönlichen Kompe-tenzen des Kunden von großer Wich-tigkeit. PTA und Apotheker müssen den Kunden in dessen Erkenntnis stär-ken, dass es viele Ressourcen für die Selbstheilung gibt und man viel für sich selber tun kann. Die eigenen Kompe-tenzen können folgendermaßen erfragt werden:1. Was kann ich tun, damit es mir bes-

ser geht?2. Womit habe ich bisher gute Erfah-

rungen gemacht?3. Was brauche ich gerade jetzt als

Hilfestellung?4. Was wünsche ich mir?

Das Beratungsgespräch in der Apotheke

Für die Beratung können ganz konkrete Fragen gestellt werden, die den Patien-ten in seiner Kompetenz zur Selbsthei-lung stärken. Die individuellen Fähig-

Wie erkläre ich es meinem Kunden?

. „Welcher Tee hat Ihnen bei Ihren Magenproblemen geholfen?“

. „Welche Maßnahmen helfen Ihnen, um besser schlafen zu können? Was sind positive Erfahrungen?“

. „Haben Sie diese Symptome schon einmal gehabt? Welches Medika-ment hat Ihnen damals geholfen?“

. „Versuchen Sie immer wieder, auch auf die ,innere Stimme‘ Ihres Körpers zu hören. Fühlen Sie sich müde oder schlapp, dann sollten Sie sich hinle-gen.“

. „Können Sie mir sagen, was Ihnen bei Ihrer letzten Erkältung gutgetan hat?“

Das Rahmenkonzept der Salutogenese

Das Salutogenesekonzept von Aaron Antonovsky ruht auf drei SŠulen.

Folge: Schutz vor †berforderung und Krankheit

Ausrichtung auf attraktive,motivierende Gesundheitsziele

Verstehbarkeit

= VerstŠndlichkeit derWelt und der Dinge,

die passieren

= Wie gut werden dieAufgaben, die dasLeben stellt, gelšst

= Sind die AnstrengungenfŸr die eigene

LebensfŸhrung sinnvoll?

Handhabbarkeit Sinnhaftigkeit

KohŠrenzgefŸhl

Unsere Gefühle

phNr. 23 Dezember 2016 23

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Birgit Emde

Apothekerin für Anthroposophische Pharmazie (GAPiD)Ismaning

[email protected]

keiten, eigenen Erfahrungen und Kom-petenzen werden so ins Bewusstsein des Kunden geholt. Bei der Frage „Wis-sen Sie, was Ihnen in dieser Situation schon einmal gutgetan hat?“ geht es nicht vordergründig um Arzneimittel, sondern um persönliche Erfahrungen im Alltag – beispielsweise veränderte Schlafgewohnheiten, Ruhe gönnen, an-derer Tagesablauf, besondere Ereignis-se oder Ähnliches. Auch mit Fragen wie „Haben Sie die Beschwerden zum ers-ten Mal?“, „Sind die Symptome schon bekannt?“, „Welche positiven Erfahrun-gen haben Sie mit einem Arzneimittel, einer äußeren Anwendung (z. B. Fuß-bad, Wickel), einem Tee oder mit einer bestimmten Ernährung gemacht?“, die als Erweiterung des üblichen Bera-tungsgesprächs verstanden werden sol-len, fühlt sich der Kunde wahrgenom-men und schließlich kompetent, ange-lehnt an seine vorher persönlich for-mulierten Anliegen, beraten. PTA und Apotheker haben den Kunden im Ge-spräch als ganzen Menschen wahrge-nommen, so wie dieser in Beziehung zu seiner Umwelt und seinen Problemen steht.

Heilsames System durch Kommunikation

Ein gelungenes, im Sinne der Salutoge-nese geführtes Beratungsgespräch in der Apotheke bedeutet immer, dass je-der der Kommunizierenden etwas ein-bringt. Es geht um die Orientierung an attraktiven und gesunden Zielen und um eine aufbauende Form des Mitein-ander-Redens. PTA und Apotheker müssen die richtigen Fragen stellen und schließlich ihre Fachkompetenz zeigen. Der Kunde, dessen Vertrauen geweckt wurde, zeigt Interesse und äu-ßert sein Bedürfnis nach Heilung. Das empfohlene Arzneimittel, die Ernäh-rungsumstellung, die äußere Anwen-dung oder Tagesgestaltung runden die Beratung schließlich erfolgreich für alle ab. Es wurde gemeinsam herausgefun-den, welches Mittel gut ist und welche Maßnahme hilft.

Salutogenese in der anthro-posophischen Medizin

Die Aspekte der Salutogenese unter-streichen die Wirkungsweisen in der anthroposophischen Medizin. Die Arz-neimittel sind danach ausgerichtet, die Selbstheilungskräfte anzuregen. Die Er-krankung soll möglichst aus eigener Kraft überwunden und die Körperfunk-tionen sollen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden, damit die Abwehr-kräfte gestärkt werden. In den anthro-

posophischen Kliniken ist eine saluto-gene Gesprächsführung Teil der Thera-pie und in der Pflege werden die äuße-ren Anwendungen zur Unterstützung eingesetzt.

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